I. Drei Dimensionen der transatlantischen Beziehungen
1. Die Öffentlichkeiten: trotz Zeichen der Entfremdung deutlich näher beieinander als die Politik
Die gemeinsamen Werte und die Erfordernisse zweckgemeinschaftlicher Kooperation, wie sie Secretary of State Colin Powell in New York am 7. Mai 2003 anlässlich der Jahrestagung der "Foreign Policy Association" beschwor,Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine Kurzfassung meines aktualisierten HSFK-Reports 1/2003 unter dem Titel: Arroganz der Macht, Arroganz der Ohnmacht. Der Irak, die Weltordnungspolitik der USA und die transatlantischen Beziehungen, Frankfurt/M. 2003 2 . 1(Externer Link: No Titel products/washfile/topic/i(...)/newsitem.shtm) vom 9. 5. 2003. können nicht über anhaltende Verstimmungen zwischen den USA und Teilen Europas hinwegtäuschen: "USA-Bashing" ist in Europa populär, "Europe-Bashing" in den USA. In Frankreich ist ein Buch, in dem die Attentate auf New York und Washington vom 11. September 2001 geleugnet werden, zurzeit ein Bestseller. In den USA gefallen sich konservative Intellektuelle in sexistischem Virilismus, werden die Europäer gern (in Anspielung auf Caesars veni, vidi, vici) als "weeny, weady, weaky" hingestellt. Ritualisierte, habituelle Anti-Haltungen sind in den transatlantischen Beziehungen jedoch nichts Neues, sie sind voller Projektionen und empirisch leicht angreifbar.
Interessanter als die bloße Tatsache solcher Animositäten ist die Frage, wie tief sie reichen und ob sie die Substanz des transatlantischen Verhältnisses treffen. In der muslimischen Welt sind die Sympathiewerte gegenüber den USA seit dem Irak-Krieg endgültig "im Keller", in Europa haben sie sich nach einem historischen Tiefstand im März 2003 vor Ausbruch des Irak-Krieges etwas erholt, aber sie liegen immer noch unter den Werten von 1999/2000 bzw. 2002.
Umgekehrt sind auch die Sympathiewerte in den USA gegenüber Deutschland und Frankreich im Vergleich zum Februar 2002 massiv gefallen, und zwar von 83 auf 44 bzw. 79 auf 29 (für Großbritannien von 90 auf 82, für Kanada von 83 auf 65). Persönliche Konsequenzen aus den veränderten Sympathie/Antipathie-Werten gezogen, nämlich keine amerikanischen Produkte mehr gekauft haben in Westeuropa allerdings nur zwischen 4 und 12 % der Befragten, in den USA umgekehrt immerhin 14 %. Politische Konsequenzen zeigen sich in dem in Europa verbreiteten Wunsch nach mehr Unabhängigkeit von den USA in der Außen- und Sicherheitspolitik: In Frankreich plädieren dafür 75 %, in der Türkei und in Spanien 62, in Italien 61, in Deutschland 57, in Großbritannien 45 und in Kanada 43 %. In den USA wünschen immerhin noch 39 % mehr Unabhängigkeit von den Europäern, möchte aber eine Mehrheit wie in Kanada und Großbritannien die Beziehungen so eng halten wie sie sind.
Wie stabil diese Einstellungen oder wie stark sie von bestimmten Ereignissen oder Umständen geprägt sind, lässt sich aus diesen Daten allein nicht ersehen. In fast allen vom Pew Research Center im Mai 2003 befragten Staaten ergaben sich große Unterschiede, wenn diejenigen, die eine ungünstige Meinung von den USA hatten, zwischen der Regierung und den USA allgemein unterscheiden konnten. Von wenigen Ländern wie Südkorea, Israel oder den palästinensischen Gebieten abgesehen, liegt für deutliche Mehrheiten innerhalb dieser Gruppe das Problem bei Präsident Bush und nicht bei Amerika schlechthin. Gestützt werden diese Angaben durch Daten für das Bild der Amerikaner (im Unterschied zu den USA) in der Welt. Hier fallen die Einbrüche gegenüber 2002 insgesamt deutlich geringer aus (Ausnahme: Jordanien), liegen die Sympathiewerte für die Menschen zwischen 10 und 20 Prozentpunkten über denen für das Land (und seine Politik, wie man wird ergänzen müssen): Großbritannien 80:70 (Prozent mit "Favorable View of Americans" bzw. "of U.S." im Mai 2003), Kanada 77:63, Italien 77:60, Deutschland 67:45, Frankreich 58:43, Spanien 47:38, Türkei 32:15.
Dieser differenzierte Gesamteindruck wird von der bislang gründlichsten Studie über politische Einstellungen in der westlichen Allianz bestätigt, die der Chicago Council on Foreign Relations zusammen mit dem German Marshall Fund Ende 2002 auf der Grundlage von Befragungen vom vergangenen Sommer herausgebracht hat. Dort schnitten auf der Sympathieskala die USA in Europa (Umfragen wurden in Großbritannien, Deutschland, Italien, Frankreich, den Niederlanden und Polen durchgeführt) vergleichsweise gut ab, und diese Sympathien wurden erwidert. In Großbritannien, Polen, Italien und Deutschland hegte die Mehrheit sogar positivere Gefühle gegenüber den USA als gegenüber allen europäischen Ländern, die in der Befragung zur Diskussion standen.
Gerade deshalb erscheint es als besonders bedeutsam, dass die amerikanische Öffentlichkeit nicht weniger multilateralistisch eingestellt ist als die europäische - ein stabiler Befund, der seit vielen Jahren immer wieder in Umfragen bestätigt wird. Drei Viertel der US-Bürgerinnen und -Bürger sähen gerne die UNO gestärkt, ebenso viele wie in Europa. Und wenn es nach der amerikanischen Öffentlichkeit ginge, dann wären drei besonders auffällige jüngere Beispiele für Unilateralismus der USA kein Gegenstand innerwestlicher Kontroversen oder Anlass für Frustrationen proamerikanischer Europäer: 81 % der US-Bürgerinnen und -Bürger haben sich für die Ratifizierung des umfassenden Teststopp-Vertrages (CTBT) ausgesprochen, 71 % sind für den Internationalen Strafgerichtshof (ICC), 64 % für das Kyoto-Protokoll.
Neben vielen Gemeinsamkeiten gibt es außer dem generell höheren Bedrohungsgefühl in den USA noch zwei weitere auffällige Unterschiede: Die EuropäerInnen stehen Militärausgaben sehr viel kritischer gegenüber als die US-Bürgerinnen und -Bürger. Zwar sähen sie mehrheitlich Europa gerne als zweite Supermacht, nicht um mit den USA zu konkurrieren, sondern um mit ihnen gleichberechtigt zu kooperieren, aber sie sind nicht bereit, dafür mehr Geld für die Rüstung auszugeben; da lassen sie es lieber bei der bisherigen Arbeitsteilung, von der nun die AmerikanerInnen ihrerseits keineswegs begeistert sind. Und was den Nahostkonflikt angeht, so sind die EuropäerInnen kritischer gegenüber Israel und sprechen sich deutlicher für einen Palästinenserstaat aus als die AmerikanerInnen; allerdings wünscht auch eine deutliche Mehrheit der US-BürgerInnen, dass sich ihre Regierung beiden Konfliktparteien gegenüber fair verhält.
Als längerfristig wirksame Differenzen in politisch relevanten Grundauffassungen zwischen den USA und Europa kommen allerdings noch andere Faktoren ins Spiel: In Fragen der Religiosität, in ihrem Patriotismus und ihrer Einstellung zum Verhältnis zwischen persönlichem Erfolg und Wohlfahrtsstaat fallen die AmerikanerInnen weit aus dem üblichen OECD-Profil heraus.
2. Die Wirtschaftsbeziehungen: Konkurrenz mit Risiken bei intensiver symmetrischer Verflechtung
Die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen bilden das weltweit engste Handels- und Investitionssystem, die "wohl am dichtesten verflochtene Wirtschaftsregion der Erde"
Auch die Koordination der Außenwirtschaftspolitik hat sich verbessert, insbesondere durch die Etablierung der WTO 1995 mit ihrem erheblich wirksameren Streitschlichtungsmechanismus, durch den der Welthandel zu einem der am stärksten international verregelten Konfliktfelder geworden ist. Damit hat sich auch das transatlantische handelspolitische Kräftemessen auf zuständige quasi-rechtsförmige Institutionen verlagert. Die USA haben inzwischen den Streitschlichtungsprozess akzeptiert, obwohl er ihnen weniger Vorteile eingebracht hat, als sie zunächst erhofft hatten. Die hohen Erwartungen, die mit dem Projekt einer transatlantischen wirtschaftlichen Partnerschaft zeitweise verbunden waren, haben sich jedoch bislang nicht erfüllt, im Laufe der neunziger Jahre haben die Konflikte zwischen den USA und der EU sogar zugenommen. Viele der Klagen, die seit 1995 bei der WTO wechselseitig vorgebracht werden, haben grundsätzliche Bedeutung, deshalb werden die Grenzen der Streitschlichtung bewusst getestet. Außerdem ergibt sich aus der zunehmenden wirtschaftlichen Integration auch neuer Konfliktstoff, weil immer mehr Unterschiede in den Wirtschaftsverfassungen oder auch den Konsumgewohnheiten für die Austauschprozesse und deren Verregelung relevant werden. Der Vergleich von Klägern und Beklagten zeigt für die USA wie für die EU ein doppeltes Gleichgewicht: Beide klagen insgesamt etwa genau so oft, wie sie selbst beklagt werden, allerdings werden die USA insgesamt stärker beklagt, und zwar vor allem aus dem OECD-Bereich außerhalb Europas. Das wechselseitige Verhältnis der Klagen zwischen EU und USA ist ebenfalls ausgewogen.
Die Streitfragen und Streitfälle in und außerhalb der WTO beziehen sich auf sechs verschiedene Ebenen:
Alle Analysen stimmen darin überein, dass die USA die Rolle des wohlwollenden Hegemons in der Wirtschaftspolitik nicht mehr durchgängig, sondern nur noch selektiv wahrnehmen. Ihr Beitrag zur Weltwirtschaftsordnung unterliegt einem strukturellen Dilemma.
Es gibt eine Reihe von Problemen und Konflikten in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Europa. Sie sind Ausdruck ökonomischer Rivalität, unterschiedlicher Regulationsformen, die z. T. erst durch die zunehmende Verflechtung zum Gegenstand von Kontroversen und Abstimmungsbedarf werden, außerdem unterschiedlicher Ordnungsvorstellungen für die Organisation der Weltwirtschaft. Gleichwohl rechnen die ExpertInnen nicht damit, dass es hier zu einer vergleichbaren Addition von Bruchstellen kommt wie in anderen Bereichen der Weltordnung, etwa in der Sicherheitspolitik oder im Völkerrecht insgesamt. Ein entscheidender Grund dafür dürfte darin zu sehen sein, dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und Europa symmetrisch sind. Die wirtschaftspolitische Integration bleibt zwar hinter den realen Austauschprozessen zurück, aber diese sind stark verregelt, und der Verregelungsmechanismus wird, auch wenn er im Detail selbst weiter Gegenstand der Auseinandersetzung ist, im Prinzip von beiden Seiten akzeptiert. Neben dem Modus der Macht prägt der Modus des Kompromisses die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen.
Ob dieser insgesamt optimistische Befund Bestand haben wird, ist nicht gesichert; das hängt auch von der weiteren weltkonjunkturellen Entwicklung ab. Die amerikanische Ökonomie ist keineswegs so stabil, wie es gelegentlich scheint. Zu den chronischen Problemen gehört die traditionell zu geringe Sparquote in den USA - die AmerikanerInnen leben seit langem über ihre Verhältnisse. Die Außenhandelsdefizite sind seit Jahren dramatisch, die USA bleiben auf das Interesse ausländischer Anleger angewiesen. Die Haushaltsdefizite, die während des langen Booms der neunziger Jahre abgebaut werden konnten, beginnen wieder zu steigen, nicht zuletzt dank des Rüstungskurses der Regierung Bush und ihrer Steuersenkungen, die fast ausschließlich den Reichen und Superreichen zugute kommen. Die Infrastruktur des Landes leidet, viele Städte, nicht nur New York, stehen am Rande der Pleite. Die Einkommensungleichheit hat in den USA in den letzten zehn Jahren erheblich zugenommen; nicht nur "linke" AutorInnen argumentieren, die Vereinigten Staaten seien auf dem Weg in die Plutokratie und gefährdeten damit sowohl ihre Demokratie als auch ihre Ökonomie.
Die europäischen Länder sehen sich teilweise vor ähnlichen strukturellen Problemen der ökonomischen Entwicklung, die auch auf dieser Seite des Atlantiks die Bereitschaft zu außenwirtschaftlichen Kompromissen beeinträchtigen könnten. Die Auseinandersetzungen über die Agrarpolitik in der Doha-Welthandelsrunde, in der sich die USA und Europa den schwarzen Peter zuschieben, wo sie doch beide zu Lasten der Entwicklungsländer ihre industriellen Großbauern hoch subventionieren, sind ein aktuelles Indiz für den Mangel an ordnungspolitischer Kompetenz der beiden größten Weltökonomien, die "die wichtige Aufgabe der Gestaltung der Globalisierung sträflich vernachlässigt und sich stattdessen auf einen kurzsichtigen und gefährlichen Konkurrenzkampf eingelassen (haben)"
3. Der politische "Überbau": hochgradig entfremdet
Im politischen "Überbau" insgesamt, in der "Grand Strategy" der Sicherheits- und Bündnispolitik bzw. der allgemeinen Außenpolitik sind die Differenzen im transatlantischen Verhältnis am markantesten. Die Ursachen dafür sind in erster Linie in einem Paradigmenwechsel in den USA zu suchen. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hatten die Vereinigten Staaten unter George Bush sen. und dann unter Bill Clinton zunächst noch auf den liberal-institutionalistischen Entwurf US-amerikanischer Weltpolitik zurückgegriffen, der ihre "Grand Strategy" nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmt hatte und vom Ost-West-Konflikt nur überlagert worden war. Als kluger Hegemon waren die USA bereit, ihre militärische und wirtschaftliche Übermacht (raw power) in eine institutionell abgesicherte und legitimierte Ordnung einzubringen (legitimate authority). Durch "bonding", "binding" und "voice opportunities", also durch Herstellen von Gemeinsamkeiten, durch Regeln für alle und damit die Selbstbindung des Hegemons und durch Mitspracherechte für die weniger mächtigen Staaten, verzichtete die westliche Supermacht zwar auf kurzfristige Machtgewinne, konnte dafür aber eine langfristig stabile und kostengünstige Führungsrolle spielen.
Zwar ist auch in der gegenwärtigen US-Administration mit Colin Powell der moderate republikanische Internationalismus noch vertreten, aber er hat einen sehr schweren Stand gegenüber einer Koalition aus "realistischen", d.h. machtpolitisch orientierten Hardlinern aus der Zeit des Kalten Krieges und hoch ideologisch motivierten Neokonservativen. Das Ergebnis dieser Konstellation ist eine Tendenz zu einem fundamentalistisch angehauchten "unilateralistischen Internationalismus". Das neoimperiale Paradigma setzt auf dauerhafte militärische Überlegenheit der USA, kombiniert mit einer höheren Bereitschaft, militärische Gewalt anzuwenden (realist anti-appeasement), es wertet die Bedeutung internationaler Regeln, Bindungen, Verträge und Bündnisse ab (assertive unilateralism), es dramatisiert und integriert neue Bedrohungen, für die radikale Antworten konzipiert werden (threat inflation and conflation), und es betont die globale Mission der USA (American exceptionalism).
Die "konservative Revolution", die Machtübernahme des Kongresses durch die Republikaner und die neue Bush-Administration, ist Hauptursache für den zunehmenden Unilateralismus der USA vor allem in der Sicherheitspolitik und im Völkerrecht, aber auch in der Wirtschafts-, der Entwicklungs- und Umweltpolitik sowie bei den Menschenrechten. Die USA behindern wirksames internationales Handeln (z.B. in der Klimapolitik, in der Rüstungskontrolle, bei den Frauenrechten), sie engagieren sich weniger, als es ihrer Macht und Wirtschaftskraft entsprechen würde (vor allem in der Nord-Süd-Politik
- Der umfassende Test-Stopp-Vertrag (CTBT), der nicht einmal eine einfache Mehrheit, geschweige denn die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Senat erreichte, war Teil einer Absprache zwischen den "Haves" (den Nuklearwaffenstaaten) und den "Have-Nots" auf der Konferenz über die unbegrenzte Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages im Jahre 1995. Die "Have-Nots" erklärten sich mit der unbegrenzten Verlängerung einverstanden, aber sie erwarteten dafür Gegenleistungen: Ein Teil dieser Gegenleistungen war der CTBT. Großbritannien, Frankreich und Russland haben diese Gegenleistung geliefert, die USA (und mit Verweis auf die USA auch China) nicht, wenn man davon absieht, dass sie bislang keine weiteren Nukleartests durchgeführt haben.
- In Europa kaum nachvollziehbar ist der heftige Widerstand in den USA gegen den Internationalen Strafgerichtshof (ICC), zumal sich dieses Objekt in vielerlei Hinsicht auf amerikanische Ideen und Traditionen zurückführen lässt. Ein wichtiger Grund, warum es überhaupt zum ICC-Statut kam, sind die unermüdlichen Aktivitäten einer amerikanischen NGO. Die USA sind eine Demokratie und verfügen über ein funktionierendes Rechtssystem, deshalb haben sie vom ICC kaum etwas zu befürchten. Da die Basis des Völkerrechts das Prinzip, wenn auch nicht die Realität der Gleichheit ist, kann der Widerstand der USA gegen den ICC zwangsläufig nur so gedeutet werden, dass sie sich außerhalb oder vielmehr oberhalb des Völkerrechts stellen wollen, sie sind nicht einmal mehr am rechtlichen Schein der Gleichheit interessiert. Die massiven und anhaltenden Pressionen gegenüber der UNO und Beitrittsstaaten zum Statut des ICC haben diesen Eindruck nur verstärkt.
- Der dritte Fall ist das Kyoto-Protokoll. Vieles lässt sich gegen diesen sehr unzulänglichen Versuch einer Eindämmung der globalen CO2-Emissionen einwenden, aber er fußt auf einem breiten, konsensfähigen Kompromiss. Noch beunruhigender als dieses weitere Beispiel für amerikanischen Unilateralismus ist jedoch die Verbindung mit der Energiepolitik der neuen Regierung, die auf eine drastische Ausweitung im Verbrauch fossiler Brennstoffe setzt.
II. Bilanz und Perspektiven
Die hier vorgelegten Daten und Interpretationen ergeben kein einheitliches Bild. Eine durchgängige Gefährdung der transatlantischen Beziehungen erscheint mir bislang nicht erkennbar, aber es geht um mehr als vorübergehende Meinungsverschiedenheiten. Die Differenzen über den Umgang mit dem Irak waren nur ein besonders markantes Beispiel für ein breites Spektrum von unterschiedlichen Positionierungen in zentralen weltordnungspolitischen Fragen. Was die Öffentlichkeiten auf beiden Seiten des Atlantiks betrifft, so liegen - trotz aktueller Irritationen - nicht nur die Sympathiewerte zwischen den Völkern, sondern auch ihre (welt)politischen Grundauffassungen deutlich näher beieinander, als es die Konflikte in der großen Politik vermuten lassen. Längerfristige Differenzen in der politischen Kultur (Unterschiede im Patriotismus, in den religiösen Bindungen und bei der Intensität der Bedrohungsvorstellungen) können jedoch Sachkonflikte zusätzlich aufladen. Die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen sind Ausdruck enger symmetrischer Verflechtungen mit Problemen, die keineswegs untypisch sind für Partner, die gleichzeitig miteinander konkurrieren. Die Austauschprozesse sind stärker verregelt als je zuvor, Risiken erwachsen hier vor allem aus der mangelnden weltordnungspolitischen Leistungsbereitschaft beider Seiten; denn der Regulierungsbedarf wächst mit zunehmender Integration.
Die Hauptprobleme in den transatlantischen Beziehungen liegen im Bereich der klassischen "high politics", in den sicherheitspolitischen "Grand Strategies" und im Verhältnis zum Völkerrecht, also in grundlegenden Differenzen über Weltordnungspolitik zwischen maßgeblichen Teilen der herrschenden politischen Eliten. Niemand kann ausschließen, dass sich die "Befreiung" des Irak positiv entwickelt, wünschen müssen es alle. Sicher ist es aber nicht, die Risiken sind enorm. Die historische Bilanz gewaltsamer Demokratisierungspolitik von außen - von wichtigen Ausnahmen unter besonderen Umständen wie im Falle Deutschlands abgesehen - und die aktuellen Probleme in Afghanistan mit dem unzureichenden Engagement gerade auch der USA für den Neuaufbau dort stimmen nicht optimistisch.
Auf der Suche nach einem Gegenmittel zur "Arroganz der Macht" kann man sich Rat holen bei den Gründervätern der Vereinigten Staaten und ihren Debatten über die beste Verfassung des neuen Gemeinwesens: "checks and balances". Es ist durchaus möglich, dass sich in den USA selbst schon bald wirksame Gegengewichte gegen den jetzigen Kurs der Regierung Bush jr. formieren. Die erkennbaren Defizite der wirtschaftlichen Entwicklung und die Verschärfung sozialer Probleme im weitesten Sinne weisen in diese Richtung. Viel wird davon abhängen, ob es zu weiteren schweren Attentaten kommt, die der Belagerungsmentalität und der Fokussierung auf den neuen Außenfeind Nahrung geben. Europas Aufgabe müsste darin bestehen, seinen Teil des "Balancing" zu übernehmen. Dabei geht es nicht um geopolitische Gleichgewichtspolitik im Sinne des "Realismus" oder klassischer "Realpolitik", sondern um "kooperatives Balancing" im Sinne der Bildung von (Gegen-)Koalitionen zu politischen Themen.
Freilich bleibt auch die EU in vielerlei Hinsicht hinter ihren weltordnungspolitischen Ansprüchen und Möglichkeiten zurück. Diese Unzulänglichkeiten (z.B. im Bereich der Energiepolitik: Europa wird selbst Schwierigkeiten haben, die wahrlich bescheidenen CO2-Reduzierungsziele von Kyoto zu erreichen; oder im Bereich des Agrar- und Textilprotektionismus gegenüber der Dritten Welt) werden häufig hinter der berechtigten Kritik am Unilateralismus der USA versteckt. Oder Europa praktiziert selbst eine Arroganz der Macht wie der französische Staatspräsident gegenüber den neuen EU-Mitgliedern, die es gewagt hatten, sich in der Irak-Frage für die amerikanische Position auszusprechen; oder wie der deutsche Bundeskanzler, der sich durch sein bedingungsloses Nein zu jeder Form der Mitwirkung an international legitimierter Drohpolitik gegen die Rechtsbrüche durch Saddam Hussein selbst den Vorwurf des Unilateralismus zuzog und entscheidend dazu beitrug, dass es den Europäern nicht gelang, eine gemeinsame Gegenposition zu den USA zu formulieren. Die Ironie solcher europäischer Machtarroganz liegt darin, dass sie angesichts der realen Machtverhältnisse nur Varianten einer Arroganz der Ohnmacht produziert. Die Europäer verfügen im Prinzip über das richtige Gegengewicht zum "assertive unilateralism" der Radikalkonservativen in den USA, sie müssen es nur gemeinsam in die Waagschale legen. Dazu gehört auch eine stärkere Integration ihrer Streitkräfte und eine effizientere konföderative Arbeitsteilung in der Beschaffungspolitik. "Kooperatives Balancing" im Rahmen einer multilateralen, institutionalistischen und partizipativen "global governance" erfordert zwar kein militärisches Gegengewicht zu den USA, aber es verlangt wirksame militärische Mittel als Bestandteil in Konzepten langfristiger Friedenssicherung. Solange die Europäer die Chance und die Aufgabe des "Balancing" der Arroganz der Supermacht nicht wahrnehmen, bleibt ihre Kritik an amerikanischer Weltmachtpolitik unzulänglich und unglaubwürdig.