Einleitung
Die Politik der US-Regierung im Kontext des Krieges gegen den Irak hat weit mehr als nur regionale Bedeutung für den Nahen und Mittleren Osten. So einschneidend die mittelfristigen Folgen des Krieges für den Irak und seine Nachbarländer auch sein mögen, so brachte der ehemalige Nationale Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski die allgemeine Bedeutung des Konfliktes doch präzise auf den Punkt: "Es geht nicht um den Irak. Es geht um unsere globale Rolle."Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine bearbeiteten und gekürzten Vorabdruck von: Jochen Hippler, US-Dominanz und Unilateralismus im internationalen System - Strategische Probleme und Grenzen von Global Governance, in: Jochen Hippler/Jeanette Schade, US-Unilateralismus als Problem von internationaler Politik und Global Governance, INEF-Report 70, Juli 2003 am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), Duisburg.1Zit. in: US in a Tough Position as Isolation Increases, in: Washington Post vom 6. März 2003, S. A01. Tatsächlich dürfte sich die Bedeutung der Politik der Bush-Administration im Kontext des Irak-Krieges für das internationale System als prägend erweisen, sowohl was ihre Substanz als auch ihren Stil angeht. Diese haben nicht nur die politische Architektur des Nahen und Mittleren Ostens erschüttert, sondern auch die Beziehungen zwischen den westlichen Verbündeten aus dem Gleichgewicht gebracht und die Rolle der Vereinten Nationen und des Völkerrechts auf eine harte Bewährungsprobe gestellt.
Viele Debatten um den Irak-Krieg konzentrierten sich auf die unilaterale Handlungsweise Washingtons und seinen rüden Umgang mit dem UN-Sicherheitsrat. Es stellt sich die Frage, welcher Zusammenhang zwischen der unverkennbaren unipolaren Grundstruktur des internationalen Systems nach Ende des Kalten Krieges - nämlich der machtpolitisch eindeutig dominierenden Rolle der USA - und einer unilateralen Politik Washingtons besteht und wie sich dies auf das internationale System und die Vereinten Nationen auswirkt.
I. Unilateralismus in der US-Außenpolitik
Die US-amerikanische Außenpolitik hat zumindest in den letzten Jahrzehnten immer zugleich Elemente von Multi- und Unilateralismus enthalten, und sie hat in Wellenbewegungen zwischen diesen beiden Polen oszilliert, ohne dass sich eine dieser Tendenzen jemals vollständig auf Kosten der anderen hätte durchsetzen können. Die amerikanische Außenpolitik war fast immer zu pragmatisch und zielorientiert, um vom Streben nach ideologischer Reinheit in dieser Frage beherrscht zu werden. Das Mischungsverhältnis zwischen uni- und multilateraler Ausrichtung mochte wechseln, aber beide Politikstränge existierten und existieren bis heute nebeneinander, oft in harmonischer Ergänzung zur Verfolgung der eigenen Interessen, gelegentlich im Konflikt miteinander. Insofern ist die stärkere Betonung des Unilateralismus durch die Bush-Administration kein Bruch mit der Tradition, sondern nur die besondere Betonung eines der beiden grundlegenden Politikansätze. Die Gewichtung multi- und unilateraler Politikelemente erfolgte in der Regel unter Berücksichtigung dreier eng zusammenhängender Faktoren: der Wahrnehmung der eigenen Interessen, dem (innenpolitischen oder internationalen) politischen Kontext - sowohl bezüglich der gesamtpolitischen Rahmenbedingungen als auch spezifischer Sachfragen - sowie der ideologischen Präferenzen der jeweiligen Administration und der außenpolitischen Elite.
In der Zeit der Bipolarität waren die USA auf Verbündete stärker angewiesen als in der heutigen Phase der Unipolarität. Die Sowjetunion war unilateral nicht zu bezwingen, ihr "Zurückrollen" oder ihre "Eindämmung" basierte außer auf der eigenen wirtschaftlichen und militärischen Macht auf dem Aufbau eines umfassenden Systems von Partnern und Verbündeten, die dieses Interesse teilten und sich von der Kooperation mit den USA Vorteile versprachen. In bi- oder multilateralen Systemen können Völkerrecht und andere Regelungsmechanismen, können multilaterale Politikansätze notwendig sein, um Konflikte einzuhegen und zu regulieren.
Nach dem Ende des Kalten Krieges sind die globalen Machtverhältnisse vorläufig geklärt. Die USA haben eine beherrschende Machtstellung im internationalen System erreicht, die von keinem anderen Akteur infrage gestellt werden kann. Multilateralismus, Völkerrecht und andere Formen der Selbsteinbindung erscheinen den USA so weniger als Chance für kooperative Problemlösungen, sondern werden eher als ein Hindernis eigener Interessendurchsetzung und Machtentfaltung gesehen. In der US-Außenpolitik wird so die unilaterale Politikströmung gestärkt, da ihre Plausibilität und ihr Realitätsbezug gestiegen sind. Unilateralismus - nicht in Reinform, sondern als Grundtendenz - ist heute zu einer realistischen Option US-amerikanischer Politik geworden, während dies früher nur in Ansätzen und Teilbereichen (etwa bezogen auf Mittelamerika und die Karibik) der Fall war.
Betrachten wir einige Beispiele konkreter unilateraler Politik. Washington drängt zunehmend auf die strafrechtliche Aburteilung bestimmter Verbrechen (z.B. Völkermord) durch internationale Gerichtshöfe in bestimmten Konflikten, etwa auf dem Balkan. Auch in Bezug auf Saddam Hussein wurde dies in den USA diskutiert. Zugleich allerdings hat Washington die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs massiv hintertrieben, eine Zuständigkeit für US-Militärpersonal prinzipiell ausgeschlossen und zahlreiche Regierungen unter starken Druck gesetzt, den Strafgerichtshof ebenfalls abzulehnen. Internationale Regelungen sollen in diesem Fall offensichtlich nur dann gelten, wenn es Washington genehm ist - und man selbst denkt nicht daran, sich denselben Mechanismen zu unterwerfen, die man Schwächeren aufzwingt.
Die USA betreiben ebenfalls eine Politik, wichtige internationale Umweltregime zu untergraben oder zu sabotieren, etwa durch ihre Blockadehaltung gegenüber dem Kyoto-Protokoll zur Klimapolitik. Hier ist man lange der Doppelstrategie gefolgt, innerhalb des Verhandlungsmechanismus jede mögliche Verwässerung durchzusetzen, um trotzdem die Gesamtergebnisse abzulehnen und dem Protokoll fernzubleiben. Diese doppelbödige Position hat sich inzwischen noch verhärtet. Zu Kyoto erklärte US-Präsident Bush kurz und bündig: "I will not accept a plan that will harm our economy and hurt our workers."
Gerade der wirtschaftliche Bereich ist ein Sektor, auf dem die USA eine nachdrücklich unilaterale Politik verfolgen. Exemplarisch ist ihre Politik einseitiger Wirtschaftssanktionen gegen zahlreiche Länder. Ein Zusammenschluss von rund 650 US-Firmen, landwirtschaftlichen Vereinigungen sowie Industrie- und Handelskammern, die einseitig gegenüber US-Wirtschaftssanktionen kritisch eingestellt sind, berichtet Ende der neunziger Jahre: "The President's Export Council's latest report on sanctions lists 73 countries subjected to some form of unilateral U.S. sanction as of January 1997. The National Association of Manufacturers' reports that 60 U.S. laws and executive actions were enacted authorizing unilateral sanctions from 1993 through 1996. A Congressional Research Service report from January 1998 cites 125 measures authorizing U.S. unilateral economic sanctions targeting 30 countries."
Bei dieser Politik einer verbreiteten Anwendung unilateraler Wirtschaftssanktionen (multilaterale Sanktionen etwa im Rahmen der UNO sind in diesen Zahlen nicht enthalten) handelt es sich nicht allein um einseitige Maßnahmen Washingtons, sondern diese stehen zugleich im Widerspruch zu Paragraph 32 der Charta über die Wirtschaftlichen und Sozialen Rechte und Pflichten der Staaten (beschlossen von der UNO-Generalversammlung im Dezember 1974
Im Dezember 2001 brachten die USA die Verhandlungen zur Stärkung der internationalen Biowaffenkonvention zum Scheitern. Dabei ging es vor allem um die Einrichtung verbindlicher Kontrollmechanismen: Während die Bush-Administration öffentlich sehr nachdrücklich auf die Gefahr einer Verbreitung von biologischen Waffen hinweist und besonders deren möglichen Einsatz durch "Schurkenstaaten" und Terrororganisationen betont, weigert sie sich kompromisslos, die eigenen Labore international überprüfen zu lassen - und bringt damit eine umfassende Überprüfung in allen Ländern zum Scheitern. Dies geschah trotz der Anthrax-Anschläge in den USA selbst, welche die Notwendigkeit eines funktionierenden Verifikationsregimes eigentlich unterstrichen haben sollten. Als Gründe wurden unter anderem die "nationale Sicherheit der USA" und wirtschaftliche Erwägungen angegeben. Es stellt sich natürlich die Frage, warum solche Gründe für die USA gelten sollten, für andere Länder aber nicht.
Andere Beispiele sind die Nicht-Ratifizierung des Internationalen Abkommens über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte und anderer, wichtiger Menschenrechtsvereinbarungen, etwa der Internationalen Konvention zur Beseitigung aller Formen der Rassischen Diskriminierung, der Kinderrechtskonvention oder der Anti-Folter-Konvention. Die Liste der Fälle, in denen die USA - im Übrigen seit Jahrzehnten, nicht erst seit Amtsantritt der Bush-Administration - internationale Vereinbarungen und Verträge entweder nicht unterschrieben, nicht ratifiziert oder für sich selbst mit so vielen Einschränkungen versehen haben, dass sie bedeutungslos wurden, könnte fast beliebig verlängert werden.
II. Washington und die Vereinten Nationen
Besonders drastisch wirkt sich eine solche Politik auf die Vereinten Nationen aus, die für ihre Funktionsfähigkeit auf eine kooperative und konsensorientierte Politik ihrer wichtigsten Akteure angewiesen sind - umso mehr, wenn diese über ein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat verfügen. Die Politik Washingtons hat aber in den letzten Jahren in der Regel einen gegenteiligen Akzent gesetzt. Seitdem die USA im Zuge des Kalten Krieges und der Dekolonisierung ihren zuerst dominierenden Einfluss in der UNO reduziert sahen, ging ihr Interesse an der Weltorganisation deutlich zurück. Indizien dafür sind zu zahlreich, um sie aufzählen zu können - aber die chronischen Beitragsrückstände der USA an die Weltorganisation, die diese gelegentlich an den Rand der Handlungsfähigkeit brachten, dürfen als Beleg gelten. Illustrativ war auch der Umgang mit der UNO im Rahmen der Irak-Krise. Einerseits erklärte die Bush-Administration immer wieder die teils tatsächliche, teils nur behauptete Nicht-Einhaltung von UNO-Resolutionen (etwa der Resolution 1441) durch Bagdad zum zentralen Konfliktpunkt, andererseits setzte man selbst nicht nur die UN-Inspekteure massiv unter Druck, zu den gewünschten Untersuchungsergebnissen zu kommen, sondern auch den Sicherheitsrat. US-Präsident Bush stellte die UNO mehrfach vor die Alternative, sich der US-Position anzuschließen, oder "irrelevant" zu werden. Auch die Tatsache, dass UNO-Resolutionen in anderen Zusammenhängen den USA ausgesprochen gleichgültig sind (etwa bezogen auf Israel oder die Türkei), deutet auf einen höchst selektiven Umgang mit den Beschlüssen der Vereinten Nationen hin: Wenn im US-Interesse, werden sie stark in den Vordergrund gestellt, sonst ignoriert. Stephen Zunes wies auf diese Problematik hin: "There are over 90 UN Security Council resolutions currently being violated by countries other than Iraq. The United States has blocked the enforcement of the vast majority of these since they involve important U.S. allies such as Morocco, Israel, and Turkey. In addition, over the past thirty years, the United States has vetoed over 50 Security Council resolutions, more than all the vetoes by all other members of the Security Council during that same period combined. In all but a few cases, the United States cast the sole dissenting vote in the 15-member body."
Ein massives Drängen auf die Einhaltung von UNO-Resolutionen durch Dritte ist deshalb offensichtlich keine grundsätzliche, sondern eine taktisch motivierte Politik, die nicht auf die Stärkung der UNO, sondern auf die Schwächung eines Gegners zielt. Mit Multilateralismus hat dies wenig zu tun. Gerade wenn es um die Frage einer Beseitigung von Massenvernichtungswaffen geht, ist diese selektive Politik nicht glaubwürdig: So ignoriert Israel immer noch die UNO-Resolution 487 (aus dem Jahre 1981), die ihm unter anderem die Öffnung seiner Atomanlagen für Inspektionen durch die Internationale Atomenergiebehörde auferlegt - ohne dass Washington dies für problematisch hielte. Israel hat bis heute noch nie einer Inspektion seines umfangreichen Atomwaffenarsenals und seiner biologischen und chemischen Waffen zugestimmt. Auch werden zahlreiche andere Resolutionen, etwa zur völkerrechtswidrigen Besetzung und den ebenso völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten, nicht ernster genommen.
Wie in einem Brennglas ließ sich der Umgang Washingtons mit den Vereinten Nationen an der Irak-Politik ablesen. Dabei ging es nicht allein um das taktische Spiel mit UNO-Resolutionen - der massive Druck auf den Sicherheitsrat und die UNO-Waffeninspekteure wurde durch geradezu haarsträubende Maßnahmen unterstrichen. So wurde bekannt, dass die USA ihren Geheimdienst NSA (National Security Agency) benutzten, die unbotmäßigen Diplomaten verschiedener Länder im UNO-Sicherheitsrat abzuhören und auszuspionieren. Der britische Observer berichtete Anfang März 2003: "The United States is conducting a secret dirty tricks campaign against UN Security Council delegations in New York as part of its battle to win votes in favour of war against Iraq. Details of the aggressive surveillance operation, which involves interception of the home and office telephones and the emails of UN delegates in New York, are revealed in a document leaked to The Observer."
Nur wenige Tage später berichtete einer der beiden obersten Waffeninspekteure der UNO für denIrak, Mohamed El Baradei, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, wie verschiedene Geheimdienste gefälschte Beweise über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen an die UNO geleitet hatten. Dabei ging es unter anderem um angebliche irakische Versuche, im Niger Uran zu kaufen. "Wir haben die Papiere mit authentischen Dokumenten aus Niger verglichen, wir haben Verbindungen zu Parteien geknüpft, die in den Papieren erwähnt waren, wir haben forensische Mittel genutzt. Es gibt einen Konsens darüber, dass es Fälschungen sind." Frage: "Wer hat Ihnen die falschen Dokumente zugespielt?" Baradei: "Eine Anzahl von Quellen." Frage: "Staaten?" Baradei: "Ja, das ist richtig." Frage: "Waren es Geheimdienstquellen?" Baradei: "Ja, Geheimdienstquellen." Frage: "Aber Sie wollen uns nicht sagen, aus welchen Staaten?" Baradei: "Nein, das will ich nicht."
Auch wenn El Baradei die Quelle der Fälschungen aus diplomatischer Rücksichtnahme lieber verschwieg: Es ist offensichtlich, dass es sich nur um Staaten handeln konnte, welche die Arbeit der UNO-Inspekteure zugunsten der Rechtfertigung eines Irak-Krieges manipulieren wollten - dafür kamen nur zwei Regierungen in Frage: die USA und Großbritannien. Bald wurde bekannt, dass die fraglichen Papiere von Washington an die UNO weitergeleitet worden waren.
Der taktische Umgang mit den Vereinten Nationen wird auch deutlich, wenn man an den massiven Druck denkt, den Washington immer wieder einsetzt, wenn es um die Ernennung oder Entlassung von Spitzenpersonal geht. So wurde der UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali vor allem darum nicht in seinem Amt bestätigt, weil die US-Regierung ihn als nicht willfährig genug empfand und seine Wiederwahl verhinderte. Die vorzügliche und allgemein respektierte UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson erlitt das gleiche Schicksal: Als sie immer wieder die Menschenrechte für wichtiger hielt als die Ziele der US-Außenpolitik, waren ihre Tage gezählt. Nicht besser erging es Robert Watson, dem Vorsitzenden des Intergovernmentalen Rates zum Klimawandel (IPCC). Er wurde im April 2002 auf Druck der US-Regierung abgewählt. Es ist aufschlussreich, dass Watson gestürzt wurde, nachdem der Ölkonzern Exxon in einem Memorandum (vom 6.Februar 2001) der Bush-Administration nicht allein konkrete Vorschläge unterbreitet hatte, wer für die US-Regierung an den entsprechenden Verhandlungen teilnehmen solle (unter Angabe der entsprechenden Telefonnummern), sondern direkt fragte: "Can Watson now be replaced at the request of the US?"
Kurz darauf gelang es den USA unter ebenfalls massivem Druck und zum Teil bizarren Vorwänden, den Chef der Organisation zum Verbot von Chemiewaffen (OPCW) feuern zu lassen und durch einen besser gelittenen Kandidaten zu ersetzen.
III. "Amerikanischer Internationalismus"?
Die Frage eines neuen US-Unilateralismus und des herrschaftlichen Umgangs mit internationalen Verträgen wird auch in den USA an die eigene Regierung gestellt. Ein aufschlussreiches Beispiel war eine Pressekonferenz des Präsidentensprechers Ari Fleischer im Juli 2001. Eine Journalistin stellte die pointierte Frage:
"Is there any treaty since World War II that this administration is not willing to torpedo? (Laughter.) (...) Every treaty, it seems, that's been made in at least the last 25 years you seem to be saying no to and tearing up. I mean, has nothing any validity that was done before you arrived?" Fleischer beantwortete die Frage folgendermaßen: "There have been a series of issues in which the President is going to demonstrate American leadership on because the President is more interested in doing what is right for America and having America lead the world to good solutions to difficult problems. (...) The President is going to continue to lead America into our relations around the world on the basis of what is right and what is best for America. (...) The United States will continue to work, under President Bush, well with our allies and partners around the world. But the President will not shirk from his duties to protect the American people from any international agreements that the President does not think are in America's interest."
Zum "entschiedenen amerikanischen Internationalismus" des US-Präsidenten gehört danach seine "Pflicht", das "amerikanische Volk vor allen internationalen Abkommen zu schützen, die er nicht für im amerikanischen Interesse hält".
Ein Grundansatz zu multinationalen Politikformen lässt sich aus solchen Positionen kaum herauslesen. Während es selbstverständlich ist, die eigenen Interessen zu berücksichtigen und zum Ausgangspunkt eigener Politik zu machen, geht es ja gerade um die Definition der eigenen Interessen - die hier denen anderer Staaten und den globalen Notwendigkeiten entgegengesetzt werden. Statt beide in Übereinstimmung zu bringen, wird der US-amerikanische Führungsanspruch formuliert und zum Schutz vor unliebsamen internationalen Abkommen.
All dies soll nicht bedeuten, dass manche anderen Länder die UNO oder eine kooperative Form des Multilateralismus ernster nähmen als die USA - auch andere haben Völkerrecht, UNO und kooperativen Multilateralismus oft genug ignoriert oder bloß zu instrumentalisieren versucht. Aber durch die dominierende Rolle Washingtons im Weltsystem kommt dessen instrumenteller und oft destruktiver Politik der UNO gegenüber eine weit größere Bedeutung zu. Unilateralismus einer Welt- und Supermacht ist nicht nur wahrscheinlicher als die von kleineren Mächten, sondern auch prägender. Ein kooperativer Multilateralismus kann die globale Hegemoniemacht kaum aussparen, ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren. Eine Weltmacht, die einen großen Teil der globalen Ökonomie bestimmt, die für einen beträchtlichen Teil der weltweiten Umweltprobleme verantwortlich ist, sich durch überdurchschnittlichen Energieverbrauch hervortut, die politischen Debatten der internationalen Gemeinschaft oft prägt und militärisch den Rest der Welt klar dominiert - eine solche Macht muss sich an Global Governance und anderen Formen eines kooperativen Multilateralismus beteiligen, wenn diese nicht bis zum Scheitern geschwächt werden sollen. Globale Kooperation ohne Nordkorea oder Libyen bleibt möglich, ohne die globale Vormacht USA ist sie in vielen Bereichen auf Sand gebaut. Die Vereinten Nationen sind auf Dauer darauf angewiesen, dass ihr mit Abstand mächtigstes - und mit einem Vetorecht im Sicherheitsrat ausgestattetes - Mitglied sich an der Lösung globaler Probleme nicht allein unter taktischen Gesichtspunkten beteiligt.
IV. Das Politikspektrum zwischen Uni- und Multilateralismus
Es würde allerdings viel zu kurz greifen, die Politik Washingtons - auch der Bush-Administration - schlicht als "unilateral" zu bezeichnen und von einem simplen Gegensatz von unilateraler und multipolarer Politik auszugehen. Die zu Beginn erwähnte Tatsache, dass beide Politikstränge immer zugleich vorhanden sind und durch das Primat der eigenen Interessendurchsetzung vermittelt werden, führt zu einem Politikmix, zu einem notwendigen Aufbrechen des scheinbaren Dualismus von Uni- versus Multilateralität, das zu einem ganzen Politikspektrum uni- und multilateraler Handlungsmöglichkeiten führt, die meist nebeneinander zu beobachten sind. Die wichtigsten Handlungsmuster der USA - und potentiell aller Großmächte - sind:
- "kooperativer Multilateralismus" zur Lösung gemeinsamer (ggf. auch globaler) Probleme zwischen prinzipiell Gleichen;
- "selektiver Multilateralismus", also ein Multilateralismus à la carte, bei dem kooperativer Multilateralismus punktuell oder auf einzelnen Politikfeldern angewandt wird, wenn dies den unilateral definierten Eigeninteressen mehr nutzt als unilaterale Praktiken;
- "imperialer Multilateralismus", bei dem die Form des Multilateralismus teilweise oder zum Schein gewahrt wird, multilaterale Mechanismen aber vor allem zu Dominanzzwecken eingesetzt werden und die "Kooperation" unilaterale Machtverhältnisse und Politiken maskiert. Hierbei geht es um die Instrumentalisierung multilateraler Mechanismen zur Durchsetzung eigener Machtpolitik;
- "regionaler Unilateralismus", bei dem in bestimmten Regionen oder in Bezug auf bestimmte Länder unilateral agiert wird (historisch etwa in Mittelamerika und der Karibik), während in anderen Regionen stärker multilaterale Politikformen angewandt werden (z.B. bezüglich Westeuropas);
- "reiner Unilateralismus", bei dem multilaterale Mechanismen ignoriert oder außerhalb solcher Mechanismen agiert wird, ohne diese bewusst schädigen zu wollen; und
- "offensiver Unilateralismus", bei dem multilaterale Mechanismen gezielt untergraben, geschwächt oder sabotiert werden, weil man sie für bestimmte eigene Politiken als störend oder als eine prinzipielle Einschränkung der eigenen Handlungsfreiheit empfindet.
Tatsächlich ist die Politik Washingtons nicht erst seit dem Ende des Kalten Krieges und dem Antritt der Bush-Administration imperial angelegt - aber nicht automatisch und immer unilateral. Es handelt sich vielmehr um eine flexible Anwendung des skizzierten Spektrums: Je nach Nutzen wird mal das eine, dann ein anderes Instrument der Interessenpolitik betont. Es handelt sich also um einen flexiblen, selektiven Unilateralismus. Ein pauschaler Vorwurf an die USA, sie handelten "unilateral", greift vor dem Hintergrund dieses Handlungsspektrums allerdings zu kurz und missversteht die komplexen Politikprozesse. Insofern hat Denison Recht, wenn er den Begriff Unilateralismus für die US-Politik als "etwas unpräzise" bezeichnet. Allerdings ist wenig gewonnen, wenn er diesen schlicht in "Multilateralismus American Style" umetikettiert, da dies eher verwirrt und kaum präziser ist.
Wie in einem Brennglas verdichtet wird der spezielle Politikmix der gegenwärtigen US-Regierung in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie, die Präsident George Bush im September 2002 verkündete. Dort findet sich beispielsweise in schöner Klarheit die Ausführung: "While the United States will constantly strive to enlist the support of the international community, we will not hesitate to act alone, if necessary, to exercise our right of self-defense by acting preemptively (...)"
Die Formulierung "to enlist" bedeutet "anwerben" (durchaus mit militärischer Konnotation), also keine gleichberechtigte Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft, sondern deren Nutzung als politische oder militärische Hilfstruppe für die US-Politik, was der realen Praxis Washingtons durchaus entspricht. Falls dies nicht möglich ist, handelt man eben allein - und zwar gegebenenfalls in "präemptiver Selbstverteidigung", also vorbeugend, bevor eine Bedrohung erst entstehen kann. Was kaum mehr als eine höfliche Formulierung der alten Weisheit ist, nach der Angriff die beste Verteidigung sei. Erneut wird so das Völkerrecht dem nationalen Eigeninteresse untergeordnet: "Präemptive Verteidigung" ist dem Völkerrecht nicht nur fremd, sondern ein Völkerrechtsbruch. Völkerrechtlich kann das "Selbstverteidigungsrecht" (gemäß Artikel 51 der UNO-Charta) bekanntlich nur die Abwehr eines im Gange befindlichen oder unmittelbar bevorstehenden Angriffs bedeuten. Dies aber ist das Gegenteil von Präemption.
In diesem Kontext muss auch die völkerrechtliche Bedeutung des Irak-Krieges betrachtet werden: Dieser erfolgte erkennbar nicht in einer Situation der Selbstverteidigung, da weder die USA noch Großbritannien angegriffen worden waren und ein Angriff auch für die Zukunft (unmittelbar oder längerfristig) nicht erkennbar war. Noch nicht einmal die Nachbarn des Irak fühlten sich bedroht. Auch ein Beschluss des UNO-Sicherheitsrates aufgrund Kapitel 7 der UNO-Charta lag bekanntlich nicht vor. Die Politik Washingtons stellte also nicht allein eine schwere Brüskierung und Schwächung der UNO dar, sondern auch einen Schlag gegen das Völkerrecht als zentrale Regelungsinstanz zwischenstaatlicher Konflikte - und zwar nicht durch einen "politischen Unfall" oder ein bedauerliches Missverständnis, sondern in Übereinstimmung mit der neuen US-Nationalen Sicherheitsstrategie, die ein solches Verhalten programmatisch vorzeichnete.
V. Folgerungen für die UNO und das Völkerrecht
In weiteren Fällen beteiligen sich die USA zwar prinzipiell an multilateralen Mechanismen, behalten sich allerdings weitreichende Sonderrechte vor, etwa die Option, diese selbst nicht anzuwenden, wenn sie als störend empfunden werden. Die Kombination aus selektivem und imperialem Multilateralismus mit verschiedenen Schattierungen des Unilateralismus durch Washington bedeutet deshalb zweierlei: einmal die Schwächung, Untergrabung und Störung einzelner multilateraler Problemlösungsversuche, die ohne eine aktive Teilnahme des mit Abstand wichtigsten internationalen Akteurs (und anderer, von ihm beeinflusster oder genötigter Staaten) oft nicht funktionsfähig sind; und die Schwächung eines kooperativen Multilateralismus insgesamt, der ja auf die Mitarbeit der wichtigen Politikakteure angewiesen ist. Es werden also nicht allein einzelne Mechanismen, sondern auch die Legitimität zentraler Elemente von Global Governance beschädigt oder aufgehoben, oft gar dessen Voraussetzungen aufgeweicht oder zerstört, etwa die gleichmäßige Geltung des Völkerrechts für alle, die Funktionsfähigkeit der UNO als eigenständiger Konfliktregelungsmechanismus oder die Geltung bestehender Verträge nach Vertragsabschluss und Ratifizierung. Wenn einzelne, mächtige Staaten dies nicht prinzipiell, sondern nur nach Geschmack und konkretem nationalen Nutzen im Einzelfall akzeptieren, laden sie auch andere Länder ein, das Völkerrecht zu ignorieren oder zu relativieren, wenn dies Vorteile verspricht, und die UNO zum Spielball ihrer Einzelinteressen herabzuwürdigen.
Teilweise wird von Regierungen und anderen internationalen Akteuren als Gegenstrategie versucht, Washington durch materielle Zugeständnisse in der Sache dazu zu bringen, seine Politik im Rahmen von UNO und Völkerrecht zu verfolgen. Die UNO-Resolution 1441 zum Irak stellte ein Beispiel dieser Politik dar. Um Washington im Herbst und Winter 2002/2003 daran zu hindern, unilateral und unter Ignorierung der UNO den Irak militärisch anzugreifen, drohte der UN-Sicherheitsrat Bagdad in der Sache nicht ganz klare "ernsthafte Konsequenzen" an. Solche Taktik erweist sich allerdings als zwiespältig: Sie vermag Zeit zu gewinnen, aber nicht die US-Administration von ihrem Kurs abzubringen. Es handelt sich leicht um einen Kuhhandel, bei dem man der unilateralen Substanz der US-Politik weit entgegenkommt, um die multilaterale Form eine Zeit lang zu retten - bis zu dem Punkt, an dem man sich in Washington durch den partiellen Multilateralismus zu stark gebunden fühlt und ihn doch fallen lässt. Dann aber hat die internationale Gemeinschaft eine Reihe der politischen Prämissen Washingtons bereits akzeptiert und diesen teilweise Legitimität verschafft, die sie zuvor nicht hatten.
Ein Beispiel für diesen Mechanismus stellt die Resolution 1483 des UN-Sicherheitsrates vom Mai 2003 dar, in der nach dem Irak-Krieg die Rolle der UNO und der Besatzungsmächte im Irak geregelt wird.
Anders ausgedrückt: Im Extremfall besteht der Preis für die multilaterale Einbindung Washingtons in der Übernahme seiner Positionen - dann spricht auch aus Bush-Perspektive nichts gegen Multilateralismus. Damit verliert dieser aber gerade seinen Sinn: Anstatt den Hegemon "einzubinden" und auf die Regeln des Völkerrechts und internationaler Organisationen zu verpflichten, werden beide nur zu weiteren Machtinstrumenten der Supermacht. Damit ist nicht nur nichts gewonnen, sondern die Substanz eines kooperativen Multilateralismus wird seinem Schein geopfert. Die multilaterale Unterwerfung unter den Hegemon ergibt keine Form von Global Governance, für die einzutreten sich lohnen würde. Wenn Global Governance neben der Lösung konkreter Probleme nicht auch die großen Mächte in einen internationalen, kooperativen und verrechtlichten Rahmen einzuhegen vermag, wird es nicht nur entbehrlich, sondern ausgehöhlt und kann in seiner entleerten Form zu einer zusätzlichen Gefahr der "Vermachtung" der internationalen Beziehungen werden.
Gegen solche Instrumentalisierung der Schlüsselelemente von Global Governance einzutreten ist so dringlich wie schwierig. Kurzfristig kann eine solche Politik sogar kaum Erfolge versprechen, da die nötige Einhegung von Hegemonialstaaten keine Frage des politischen Willens allein, sondern vor allem der Machtverhältnisse ist. Und diese sind gegenwärtig so eindeutig, dass ein offenes Entgegentreten nur punktuell realistisch ist, wie man zumindest an zentralen Punkten und mit Einschränkungen im Fall des Irak beobachten konnte. Eine Politik des Gleichgewichts zur Erhöhung des politischen Spielraums fast aller Akteure und der Schaffung wichtiger Voraussetzungen für kooperativen Multilateralismus setzt eben auch Staaten mit entsprechendem Gewicht voraus. Deshalb ist gegenwärtig nicht absehbar, dem unilateral geprägten Hegemon mit geschlossenen Gegenentwürfen entgegentreten zu können. Dafür fehlt die nötige Machtbasis. Zumindest in diesem Jahrzehnt wird es darum nicht um mehr gehen können als um eine defensive Politik zur Sicherung des erreichten Niveaus an Verrechtlichung und Multilateralisierung, darum, die Transformation der bestehenden Elemente von kooperativem Multilateralismus in eine imperiale Spielart zu hintertreiben und das Völkerrecht vor seiner Aushöhlung so gut es geht zu schützen. Auf dieser Basis wird es sicher möglich sein, von Zeit zu Zeit punktuell zusätzliche Pflöcke eines kooperativen Multilateralismus einzuschlagen, wenn sich aufgrund besonderer Umstände eine solche Chance ergeben sollte. Schließlich wird es auch punktuell möglich sein, die Kosten unilateraler oder imperialer Politik für den Hegemon zu heben und so ihre Umsetzung graduell zu mäßigen. Viel mehr dürfte für das nächste Jahrzehnt nicht zu erreichen sein.