Das Gedenkjahr 2018 hat auch für den österreichischen Föderalismus Relevanz. Zwar erfolgte die Konstituierung Österreichs als Bundesstaat erst mit dem Inkrafttreten der Bundesverfassung am 1. Oktober 1920, die Weichen wurden jedoch bereits in den ersten Novembertagen des Jahres 1918 gestellt. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie im Oktober/November 1918 erklärten die meisten deutschsprachigen Kronländer Cisleithaniens, also des österreichischen Teils der Habsburgermonarchie, ihren Beitritt zum Deutsch-Österreichischen Staat, wie es in den Erklärungen jeweils gleich lautete.
Staatsrechtliche Grundlagen des Föderalismus in Österreich
Die Bundesverfassung (B-VG)
Der österreichische Bundesstaat weist alle Merkmale auf, die in der Staatstheorie mit einem solchen Gebilde verbunden sind: Dazu gehört erstens, dass die Gesetzgebung und die Vollziehung auf zwei Ebenen, Bund und Länder, aufgeteilt sind.
Die Rechtsstellung des österreichischen Bundesrates ist im Vergleich mit seinem deutschen Pendant schwach: Er hat im Wesentlichen lediglich Zustimmungsrechte zu Verfassungsänderungen zulasten der Länder (Art. 44 Abs. 2 B-VG) und zu Staatsverträgen (Art. 50 Abs. 1 Z. 2 B-VG), die den Zuständigkeitsbereich der Länder regeln. Im Übrigen verfügt der Bundesrat nur über ein suspensives Veto, über das sich der Nationalrat mit Beharrungsbeschluss hinwegsetzen kann (Art. 42 B-VG). Zur rechtlichen Schwäche kommt die politische hinzu: Die Mitglieder des Bundesrates orientieren ihr Abstimmungsverhalten nicht an artikulierten Länderinteressen, sondern an dem Abstimmungsverhalten ihrer jeweiligen Parteikolleginnen und -kollegen im Nationalrat.
Zum Wesen eines Bundesstaates zählt außerdem die sogenannte Verfassungsautonomie der Länder, also ihre Befugnis, ihre innere Organisation und Struktur im Rahmen der gesamtstaatlichen Verfassung selbst zu regeln. Eine solche Verfassungsautonomie der österreichischen Länder existiert. Schließlich ist die eigenständige Finanzhoheit der Länder ein Kriterium des Bundesstaates. Die österreichischen Länder verfügen zwar über eine Budgethoheit, beziehen ihre Einnahmen aber weitgehend aus dem Finanzausgleich und erheben insbesondere keine eigenen Steuern.
Der damalige Vorarlberger Landeshauptmann Otto Ender (1875–1960) sprach in einer der letzten Diskussionsrunden zwischen Vertretern der Zentralregierung und den Ländern im Jahre 1920 von einem dreifach getöteten, erschlagenen Föderalismus. Er meinte damit die geringe Kompetenzausstattung der Länder, die fehlende Steuerautonomie und den hohen Zentralisierungsgrad der Vollziehung durch eigene Bundesbehörden.
Im internationalen Vergleich ist der österreichische Föderalismus ein sogenannter Verbundföderalismus, auch kooperativer Föderalismus genannt: Bundes- und Landesebene sind im Wege der Kompetenzverteilung, vor allem aber auch in der Vollziehung von Gesetzen eng miteinander verflochten. Insoweit ähnelt der österreichische Föderalismus durchaus dem deutschen Modell. Im Gegensatz dazu steht ein dualer Föderalismus, in dem die Funktionen der Bundes- und der Landesebene streng getrennt sind, wie dies etwa in den USA der Fall ist.
Mit der schwachen legislativen Kompetenzausstattung Hand in Hand geht die Schwäche der Landtage. Während es den Landesexekutiven gelingt, im Rahmen des kooperativen Föderalismus die verfassungsrechtlich und unionsrechtlich eingeschränkte Gestaltungsmacht zu kompensieren und auch an der Europäisierung teilzuhaben, sind die Landtage marginalisiert.
Realien des Föderalismus in Österreich
Neun selbstständige Länder
Art. 2 Abs. 2 B-VG bestimmt, dass der Bundesstaat aus den neun selbstständigen Ländern Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien gebildet wird. Die Unterschiede zwischen den Ländern in territorialer und bevölkerungsmäßiger Hinsicht sind beträchtlich, wenngleich die Disparitäten insgesamt nicht so stark wie in anderen Bundesstaaten sind: Wien, das gleichzeitig Stadt und Gemeinde ist, ist das bevölkerungsreichste (1,86 Millionen Einwohner, 415km²) und gleichzeitig flächenmäßig kleinste Bundesland, das bevölkerungsmäßig kleinste Bundesland ist das Burgenland mit etwa 292.000 Einwohnern, das in territorialer Hinsicht größte Bundesland ist Niederösterreich mit 19.186km², das mit 1,65 Millionen Einwohnern nur knapp hinter Wien liegt.
Auch Österreich ist derzeit stark von Urbanisierung geprägt, was zu einer wachsenden Bedeutung Wiens und seines niederösterreichischen Umlandes führt. Dies verstärkt die schon aus historischen Gründen (Wien war die Hauptstadt des Habsburgerreiches) bestehende Dominanz der Hauptstadt in vielerlei Hinsicht. So sind im Gegensatz etwa zu Deutschland praktisch alle Institutionen von gesamtstaatlicher Bedeutung wie der Verfassungsgerichtshof, der Verwaltungsgerichtshof oder der Rechnungshof, von den Ministerien ganz abgesehen, in Wien angesiedelt.
Bedeutung des kooperativen Föderalismus
Die Bedeutung des kooperativen Föderalismus im österreichischen Bundesstaat ist unbestritten.
Föderalistisches Bewusstsein in Österreich
Föderalismus ist in Österreich, dem Staatsrechtler Ewald Wiederin zufolge, "eine Sache für das Gemüt".
Detailreichere Befunde liegen aus verschiedenen Studien für die Jahre 2009
Föderalismus und Grenzüberschreitung
Die Länder im europäischen Mehrebenensystem
Die Europäische Union hat auch auf den österreichischen Föderalismus beträchtliche Auswirkungen. Die Beteiligungsrechte der Länder am Willensbildungsprozess in der Europäischen Union sind mit jenen der deutschen Länder durchaus vergleichbar. Ganz dem Geist des kooperativen Föderalismus österreichischer Prägung entsprechend erfolgt jedoch Ländermitwirkung nicht über den Bundesrat, sondern faktisch im Wege von innerhalb der Länderexekutiven abgestimmten Beschlüssen.
Die Länder sind befugt, durch sogenannte einheitliche Länderstellungnahmen den Bund in Beratungen und Abstimmungen auf der europäischen Ebene zu binden, wenn es sich um Angelegenheiten handelt, die in den selbstständigen Wirkungsbereich der Länder fallen. Der Bund ist allerdings gemäß Art. 23d B-VG ermächtigt, aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen von einer solchen Stellungnahme abzuweichen. Die Länder haben bisher insgesamt 122 einheitliche Länderstellungnahmen auf der Grundlage von Art. 23d B-VG erstattet.
Der Nationalrat verfügt gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG ebenfalls über das Recht, bindende Stellungnahmen gegenüber der Bundesregierung zu formulieren, übt dieses aber nur selten aus. Im Verfahren der Subsidiaritätskontrolle auf der Grundlage des Vertrags von Lissabon ist der Bundesrat sehr engagiert, auch im Vergleich mit anderen nationalen Parlamentskammern.
Die Länder als Akteure der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Die österreichischen Länder verfügen gemäß Art. 16 B-VG über die Kompetenz, mit anderen Staaten oder deren Teilstaaten sogenannte Länderstaatsverträge abzuschließen. Diese 1988 den Ländern übertragene Zuständigkeit beruhte auf einer langjährigen Forderung derselben, von der sie allerdings bis heute keinen Gebrauch machten. Grund dafür ist nicht nur das umständliche Verfahren, das den Landeshauptmann als Vertreter des Landes gegenüber dem Bundespräsidenten zu einem untergeordneten Organ macht,
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Länder stellt sich vielfältig dar, auch wenn sie aufgrund ihrer beschränkten Zuständigkeiten beziehungsweise der noch geringeren Schnittmenge der gemeinsamen Zuständigkeiten der jeweiligen Partner der Kooperation mitunter rasch an ihre Grenzen stößt. Dies gilt auch für die beiden bereits erwähnten EVTZ. Die Möglichkeit der Partner eines solchen EVTZ, grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten, ist eine beachtliche Leistung des EU-Rechts, weil damit für subnationale Entitäten die Möglichkeit geschaffen wurde, über die Staatsgrenzen hinweg institutionalisiert zu kooperieren, ohne dazu einer verfassungsrechtlichen Grundlage zu bedürfen.
Föderalismus im Regierungsprogramm der ÖVP/FPÖ-Koalition
In dem am 16. Dezember 2017 vorgestellten Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ
Wie in früheren Regierungsprogrammen
Im Zusammenhang mit einer angepeilten Entflechtung der Kompetenzverteilung ist unter dem Titel "Moderner Bundesstaat" die Abschaffung des Kompetenztypus der Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung in Art. 12 B-VG vorgesehen.
In der Theorie könnte eine derartige Form der Gesetzgebung ein durchaus wirkungsvolles bundesstaatliches Instrument sein.
Dieser Befund deckt sich zudem mit internationalen Entwicklungen: Zwar finden sich vergleichbare Kompetenztypen auch in anderen europäischen Staaten, diese sind allerdings entweder mit ähnlichen Problemen behaftet (Grundlagengesetzgebung in Spanien),
In einem vorgelegten Entwurf einer Verfassungsänderung
Unter dem Titel "Moderner Bundesstaat" wird auf S. 17 des Regierungsprogramms ein "Abschaffen gegenseitiger Blockademöglichkeiten" angekündigt. Der schon erwähnte Entwurf einer Verfassungsänderung sieht unter anderem den Entfall des Zustimmungsrechts der Landesregierung zu Verordnungen der Bundesregierung über die Änderungen von Bezirksgerichtssprengeln vor.
Ein Reformprojekt, das für den Föderalismus in Österreich von großer Bedeutung ist, auch wenn es sich ironischerweise ausschließlich im Bereich der Bundesgesetzgebung abspielt, ist die Reform der Sozialversicherungen.
Die Bundesregierung plant, diese neun Gebietskrankenkassen zu einer einzigen österreichischen Gesundheitskasse zu verschmelzen. Die Länder werden nach derzeitigem Stand aus ihrer Sicht nur Schadensbegrenzung leisten können und darauf dringen müssen, dass die von der Bundesregierung als Kompensation vorgesehenen Landesstellen dieser Gesundheitskasse möglichst weitreichende Kompetenzen im Bereich der regionalen Gesundheitsversorgung erhalten. Wichtig sind in diesem Zusammenhang insbesondere eine gewisse Budgetautonomie und die Zuständigkeit zum Abschluss von Gesamtverträgen mit der regionalen Ärztekammer über die ärztliche Versorgung in den Regionen.
Wie schon erwähnt, leidet der österreichische Föderalismus unter einer verwaltungswissenschaftlich unvorteilhaften Ausdifferenzierung von Verwaltungsbehörden des Bundes in den Ländern. Eine Zusammenführung mit den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern, die organisatorisch Landesbehörden sind, aber sowohl Aufgaben der Landes- als auch Bundesverwaltung erfüllen, wäre sinnvoll.
Im Punkt "Effizienzgewinnung bei der mittelbaren Bundesverwaltung" auf S. 17 des Programms wird dieses Thema angesprochen. Demnach sollen Aufgaben einzelner Bundesbehörden organisatorisch in die allgemeine staatliche Verwaltung der Länder eingegliedert, jedoch weiterhin unter Verantwortung und Leitung des Bundes geführt werden (sogenannte mittelbare Bundesverwaltung). Beispielhaft werden das Bundesdenkmalamt, das Sozialministeriumservice sowie die Wildbach- und Lawinenverbauung angeführt. Ob die Ankündigung allerdings tatsächlich ernst gemeint ist, ist offen. Bisher hat die Regierung jedenfalls keine Schritte zur Umsetzung dieses Punktes unternommen.
Ebenfalls erwähnt wird im Regierungsprogramm eine Ansiedelung von nachgelagerten Dienststellen des Bundes in strukturschwachen Regionen in Abstimmung mit Ländern und Gemeinden (S. 163). Dabei handelt es sich um die einzige Erwähnung einer Dezentralisierung von Bundesdienststellen im Sinne einer territorialen Verlagerung.
Zusammenfassung
Der österreichische Föderalismus hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verfassungsrechtlich trotz und gerade wegen einiger inkrementalen Anpassungen wenig verändert. Ihn kennzeichnet ein hohes Maß an Verflechtung, das in der Vergangenheit zunehmend intensiviert wurde. Politologisch ist diese Verflechtung zum kooperativen Föderalismus geradezu das prägende Merkmal des österreichischen Föderalismus. Im Rahmen dieses Prozesses ist es den Ländern gelungen, ihre verfassungsrechtliche Marginalisierung durchaus zu kompensieren und im Wege der Landeshauptleutekonferenz Einfluss auf die Bundespolitik zu nehmen. Das Regierungsprogramm der gegenwärtigen ÖVP/FPÖ-Koalition sieht verschiedene Reformen im österreichischen Föderalismus vor. Es wäre schon viel erreicht, wenn sie ihr Vorhaben, den Bundesstaat im Bereich der Grundsatzgesetzgebung zu entflechten, umsetzen könnte. Ob und inwieweit die Länder von einer solchen Änderung profitieren werden, bleibt dahingestellt.