Einleitung
Im Präsidentschaftswahlkampf 2000 hatte der damalige Gouverneur von Texas, George W. Bush, plakativ sein besonderes Interesse an Lateinamerika bekundet und mit blumigen Worten die Vision eines Jahrhunderts der Amerikas umschrieben: "With persistence and courage, we shaped the last century into an American Century. With leadership and commitment, this can be the century of the Americas ((...)). Should I become president, I will look South, not as an afterthought, but as a fundamental commitment to my presidency."
Drei Jahre später, kurz nach der Halbzeit seiner Präsidentschaft, schlugen nordamerikanische Lateinamerikaspezialisten und ihre lateinamerikanischen Freunde wieder einmal Alarm. Mark Falcoff vom American Enterprise Institute beklagte ein Aufmerksamkeitsdefizit der US-Administration
Nachfolgend soll der Frage nachgegangen werden, ob die Klagen über eine Vernachlässigung Lateinamerikas durch die USA berechtigt sind. Dabei wird für die beiden Felder Handelspolitik und Sicherheitspolitik untersucht, wie sich die Bush-Regierung in der Lateinamerikapolitik von der Clinton-Administration absetzt.
I. Das Vermächtnis der Clinton-Administration
Als Präsident Bill Clinton im Januar 1993 sein Amt antrat, hatte ihm sein Vorgänger, der Vater des heutigen Präsidenten, den Vertrag zur Schaffung einer nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) hinterlassen, die neben den USA auch Kanada und Mexiko umfassen sollte. Die Ratifizierung durch den US-Kongress war alles andere als sicher, zumal gegen den NAFTA-Vertrag eine breite Kampagne geführt wurde und große Teile der Demokratischen Partei das Vertragswerk ablehnten. Ohne das Engagement von Clinton und Vize-Präsident Al Gore hätte der Vertrag vermutlich nicht die knappe Mehrheit von 234 zu 200 Stimmen im Repräsentantenhaus (61 zu 38 im Senat) gefunden.
Lateinamerika zählte zwar nicht zu den außenpolitischen Prioritäten der Regierung Clinton, aber der ALCA-Prozess fügte sich in die übergreifende handelspolitische Initiative zur Erhöhung des Lebensstandards und der US-amerikanischen Wettbewerbsfähigkeit mittels der Durchsetzung und Erhaltung offener Märkte ein. Die Clinton-Administration fand hierzu eine intellektuelle Abstützung in den geoökonomischen Überlegungen von Wissenschaftlern des Institute for International Economics.
Während der Amtszeit Clintons nahm die Bedeutung der westlichen Hemisphäre als Handelspartner der USA deutlich zu (vgl. Tabellen 1 und 2). Vor allem im Handel mit Mexiko waren beträchtliche Fortschritte zu verzeichnen. Demgegenüber veränderte sich der Anteil des restlichen Lateinamerika kaum. Insgesamt gingen am Ende der Amtszeit von Präsident Clinton fast 22 Prozent der US-Exporte nach Lateinamerika (einschließlich Mexiko), und die USA bezogen ca. 17 Prozent ihrer Importe aus der Region. Von strategischer Bedeutung sind die Erdölimporte aus Lateinamerika
Gleichwohl kamen die Freihandelsverhandlungen, soweit Lateinamerika betroffen war, nur mühsam voran. Nachdem die auf dem ersten Gipfel der Amerikas angekündigte Anbindung Chiles an die NAFTA nicht zustande gekommen war, wurden viele lateinamerikanische Regierungen zunehmend skeptischer, ob die USA genügend Gegenleistungen für eine Öffnung ihrer Märkte bieten würden. Die Skepsis wurde zusätzlich dadurch geschürt, dass es Präsident Clinton im Gegensatz zu seinen Amtsvorgängern nicht gelang, vom Kongress eine "fast track-Autorisation" in Handelsfragen zu erhalten, die 1994 ausgelaufen war; diese hätte es dem Präsidenten ermöglicht hätte, dem Kongress Handelsverträge als Paket zur Abstimmung vorzulegen.
Auch in anderen Feldern der Lateinamerika-Politik konnte sich Präsident Clinton wenig profilieren. So wurde gegenüber Kuba zwar eine Lockerung des Embargos und eine Verbesserung der Beziehungen angestrebt. Dies scheiterte aber am immer noch starken Einfluss der Exilkubaner in den USA und an der Politik des Castro-Regimes, das eine allzu große Annäherung als Gefahr betrachtete und gegebenenfalls die US-Hardliner provozierte.
II. Positive Signale nach dem Amtsantritt von George W. Bush
Lateinamerikanische Politiker und Unternehmer reagierten zunächst erwartungsvoll auf den Amtsantritt von George W. Bush, dessen Vater wichtige handelspolitische Initiativen eingeleitet hatte. Als Texaner und aufgrund familiärer Bande galt er gegenüber lateinamerikanischen Anliegen, vor allem von Seiten Mexikos, als besonders aufgeschlossen. Der erste Staatsbesuch nach seinem Amtsantritt führte Bush nach Mexiko, womit aus US-Sicht der "special relationship"
Allerdings zeigten sich von Anfang an auch gegenläufige Trends. Die Ernennung von Hardlinern aus der Regierungszeit von Bush senior oder Ronald Reagan, die vor allem während der zentralamerikanischen Bürgerkriege eine unrühmliche Rolle gespielt hatten, stieß in Lateinamerika auf Befremden. Zu erwähnen sind die Ernennung des ehemaligen Botschafters in Honduras (1981 - 1985), John D. Negroponte, zum Botschafter bei den Vereinten Nationen oder des Exil-Kubaners Otto J. Reich
In der Handelspolitik zeigten sich viele Kontinuitätslinien zur Clinton-Administration, und Präsident Bush konnte bedeutende Erfolge verzeichnen. Mit Robert B. Zoellick hatte er einen erfahrenen Exponenten der Freihandelspolitik, der schon seinem Vater während der Uruguay-Runde und den NAFTA-Verhandlungen gedient hatte, zum Handelsbeauftragten ernannt. In einer Rede in der Heritage Foundation hat Zoellick am 29. Juni 2001 den Kern der US-Handelstrategie eines "Liberalisierungswettbewerbs" klar umschrieben: "We are advancing trade liberalization and American interests - globally, regionally, and bilaterally. We are creating a 'competition on liberalization' with the United States at the center of a network of initiatives. (...) By leading, the United States is guiding the merger of regional integration within an open global system. By leading, the United States helps create models of liberalization that we can apply elsewhere."
Wider Erwarten gelang es der Regierung, wenn auch knapp,
III. Der Platz Lateinamerikas in der neuen Weltordnung
Aus sicherheitspolitischer Perspektive kam Lateinamerika in den neunziger Jahren auf den ersten Blick keine zentrale Bedeutung in der US-Politik zu. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatten die klassischen Bedrohungsszenarien an Bedeutung verloren. Die Bürgerkriege in Zentralamerika, die im Rahmen des Ost-West-Konfliktes angeheizt worden waren, konnten beendet werden, und auch Kuba wurde nicht mehr als unmittelbare Bedrohung der amerikanischen Sicherheit wahrgenommen. Nachdem Russland seine Truppen abgezogen, die Abhöreinrichtungen abgebaut und die Subventionierung des Castro-Regimes eingestellt hatte, wurde Kuba noch stärker als zuvor zu einem Problem der Innenpolitik. Im Rahmen eines erweiterten Sicherheitsbegriffs gewannen andere Themen an Bedeutung, die sich zu einem neuen Bedrohungsszenario verdichteten. Das Spektrum der Bedrohungen reichte in einem Papier des von den USA maßgeblich beeinflussten Inter-American Defense Board von Terrorismus, Nuklear- und Massenvernichtungswaffen, ökonomischer Krisenanfälligkeit, extremer Armut und organisierter Kriminalität bis hin zu "nationalistischen indigenen Bewegungen".
70 Prozent (1998: 55 Prozent) der Amerikaner sahen 2002 in der Kontrolle und Verringerung der illegalen Einwanderung ein wichtiges außenpolitisches Ziel, 81 Prozent (1998: 81) im Stopp des Zuflusses illegaler Drogen. Immerhin zwei Drittel der befragten US-Bürger befürworten den Einsatz von US-Truppen zur Bekämpfung von Drogenbossen in Kolumbien.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kam es zu einer Aufwertung der sicherheitspolitischen Komponente in der Lateinamerikapolitik, die zunehmend andere Themen überlagert. In einem aktuellen Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses hinsichtlich der im laufenden Jahr anstehenden Themen zu Lateinamerika stehen an erster Stelle die Bekämpfung von Terror und Drogen in der Andenregion, danach Handelsfragen und die potentiellen Bedrohungen für die Demokratie und Stabilität in der Region.
Im Magazin "Esquire" hatte Thomas P. M. Barnett die "neue Weltkarte des Pentagon" vorgestellt.
Obgleich Barnett "große Teile Südamerikas" dem Kern zurechnet, sind diese keineswegs so beständige Elemente wie etwa die USA oder die EU. Auf den kartographischen Illustrationen der neuen Weltordnung ist eine Dreiteilung der westlichen Hemisphäre abgebildet: a) der nördliche, zum Zentrum gehörende Block mit Kanada, den USA und Mexiko; b) ein Gürtel der nichtintegrierten Lücke, der von der Karibik über Zentralamerika, die Andenkette (Venezuela, Ecuador, Kolumbien, Peru, Bolivien) bis nach Paraguay führt; c) ein "Saum", der in diesem Bild von allen übrigen südamerikanischen "Kernländern" (Chile, Argentinien, Uruguay und Brasilien) gebildet wird. Obwohl Lateinamerika und die westliche Hemisphäre im Vergleich mit anderen Weltregionen keine "hot zone" im Krieg gegen den Terrorismus darstellen,
Die Durchlässigkeit der gemeinsamen Grenze zum "Saumstaat" Mexiko (aber auch zu Kanada) wird nicht mehr allein wegen der illegalen Einwanderung als problematisch erachtet. Die "weiche Flanke" der USA gilt als potentielles Einfallstor für Terroristen. In den Verhandlungen über eine größere Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Mexiko und den USA, die nach dem Amtsantritt von Präsident Bush mit guten Erfolgsaussichten geführt wurden, zeichnete sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ein Stillstand ab. Mehr noch, es ist mit einer weiteren Verschärfung der Grenzkontrollen zu rechnen. Und es gibt Bestrebungen, die mexikanischen wie auch die kanadischen Streitkräfte in ein umfassendes Konzept der Verteidigung des amerikanischen "homeland" einzubinden, wie überhaupt eine stärkere Abstimmung in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zwischen den NAFTA-Partnern für wünschenswert erachtet wird,
IV. Der Kampf gegen Drogen und verwandte Gefahren
Der Kampf gegen die in Lateinamerika für den US-amerikanischen Markt produzierten Drogen wurde nach dem Ende des Kalten Krieges von Militärstrategen als sicherheitsstrategische Priorität wahrgenommen und hatte unter Präsident Bill Clinton bereits ganz oben auf der außenpolitischen Agenda gestanden. Nach dem 2002 modifizierten Zertifizierungsverfahren für die Kooperation bei der Bekämpfung des Drogenhandels
Dabei wurde das Geflecht von organisierter Kriminalität, Drogenanbau und -handel und der kolumbianischen Aufstandsbewegung als besondere Gefahr erkannt. Bereits 1997 wurden die FARC (ca. 16 000 Mitglieder), die älteste Guerilla Lateinamerikas, und die ELN auf die Liste der gefährlichen internationalen Terrororganisationen gesetzt und mit dem Begriff des "narcoterrorism" auf ihre Bedeutung in der Drogenökonomie reduziert. Später wurden auch die in der AUC organisierten paramilitärischen Gruppen als terroristische Organisation eingestuft. Diese Organisationen schaffen innerhalb des kolumbianischen Territoriums "Ozonlöcher" der staatlichen Kontrolle, die sich auf die angrenzenden Staaten auszuweiten und aus US-Sicht die nationale Sicherheit der USA anzugreifen drohen.
Der "Kampf gegen Drogen" konzentriert sich auf die militärische Bekämpfung von "narcotráfico" und "narcoterrorismo" und die gleichzeitige biologisch-chemische Reduzierung der Anbauflächen von Koka und Schlafmohn. Nachdem er zunächst die Friedensverhandlungen zwischen Präsident Pastrana und der Guerilla unterstützt hatte, bereitete Präsident Clinton - als sich ein Scheitern des Friedensprozesses abzeichnete - einer Wende in der Kolumbienpolitik den Weg. Mit dem "Plan Colombia" legte Präsident Andrés Pastrana 1999 eine militarisierte Drogenbekämpfungsstrategie vor, die von der Clinton-Administration maßgeblich mitentwickelt worden war.
Unter George W. Bush wurde eine erweiterte offizielle Drogenbekämpfungsstrategie formuliert und im Mai 2001 unter dem Titel "Andean Regional Initiative" präsentiert. Für diesen Plan wurden im Haushaltsjahr 2003 928 Millionen US-Dollar für Drogenbekämpfungsmaßnahmen, den Aufbau demokratischer Strukturen und für Entwicklungshilfe bewilligt,
Der von der US-Regierung verwendete Begriff des "narcoterrorism" spiegelt die enge Verflechtung von politisch motiviertem Terrorismus und organisierter Kriminalität wider. Der Drogenanbau und -handel stellt dabei lediglich einen Pfeiler der kriminellen Netzwerke dar und wird von Geldwäsche, Menschen- und Waffenhandel und der "Entführungsindustrie" ergänzt. Im Kampf gegen die organisierte Kriminalität zeigt sich eine nach den Anschlägen vom 11. September steigende Tendenz zur offenen Militarisierung der Kriminalitätsbekämpfung. Neben Kolumbien gilt auch Zentralamerika diesbezüglich als Schlüsselregion, da hier die illegalen Handelsrouten für Menschen und Drogen verlaufen. Durch die Nähe zum Panamakanal erhielten die USA mit der Ausweitung des kolumbianischen Konflikts auf die Darién-Region einen weiteren Legitimationsgrund zur Einflussnahme in dieser geostrategisch bedeutenden Region. Die verstärkte Zusammenarbeit bei der Drogenbekämpfung zeigt sich in Zentralamerika etwa in der gemeinsamen Luft- und Seeüberwachung, in der Durchführung militärischer Trainingsprogramme und in der Nutzung von Einrichtungen durch US-Streitkräfte in El Salvador und Honduras.
Mit der Ausweitung der militärischen Drogenbekämpfung stiegen zugleich die Hoffnungen des SOUTHCOM auf eine Aufwertung der Rolle der US-Streitkräfte in Lateinamerika. Vor diesem Hintergrund untermauert es die Bemühungen des Pentagon um die Wiedererlangung der Zuständigkeit bei der Drogenbekämpfung, die Anfang der neunziger Jahre auf das State Department übertragen worden war.
V. Kuba - der lateinamerikanische "Schurkenstaat"
George W. Bush hatte bereits mit der Ernennung von Otto J. Reich zum Assistant Secretary for Western Hemisphere Affairs die exilkubanische Position in der US-Regierung gestärkt.
Mit den weltpolitischen Entwicklungen, die am 11. September 2001 ihren Anfang genommen und mit dem Irak-Krieg ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht haben, fand die US-Regierung einen weiteren Grund, einen härteren Kurs gegenüber dem kubanischen Regime einzuschlagen. Das Land wird seit vielen Jahren (schon unter Clinton) zu den Schurkenstaaten ("rogue states") gerechnet, die es gemäß dem neuen sicherheitspolitischen Paradigma jetzt aktiv zu bekämpfen gilt. Kuba wird nunmehr - neben Iran, Irak, Libyen, Nordkorea, Syrien und dem Sudan - zu den "state sponsors of terrorism"
Im Mai 2002 hatte US-Staatssekretär John Bolton in einer Rede vor der Heritage Foundation sogar behauptet, dass Kuba ein Biowaffenprogramm unterhalte und anderen Schurkenstaaten "dual-use biotechnology" zukommen lasse. Diese Vorwürfe wurden allerdings später von US-Verteidigungsminister Colin Powell relativiert. Mit der Klassifizierung als "state sponsor of terrorism" wird Kuba als potenzielle Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA eingestuft. Der "Krieg gegen den Terror" stellt für das US-kubanische Verhältnis insofern eine Zäsur dar, als er auch eine militärische Intervention gegen das Castro-Regime legitimieren könnte.
VI. Rechtsfreie Räume und sicherheitspolitische Vernetzung
Vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus stellen aus US-amerikanischer Sicht die Schwächung der Demokratie in Lateinamerika, mehr noch die Schwächung staatlicher Strukturen im Bereich der äußeren und inneren Sicherheit und die damit verbundene Ausweitung von rechtsfreien Räumen, eine Gefahr dar. In seiner Rede auf dem 5. Treffen der Verteidigungsminister der Amerikas (Defense Ministerial of the Americas) in Santiago de Chile am 19. November 2002 hatte Verteidigungsminister Rumsfeld diese Bedrohungsvorstellung klar beschrieben.
Aus US-Sicht sind es vor allem weite Regionen Kolumbiens, aber auch das Dreiländereck zwischen Paraguay, Argentinien und Brasilien mit einem bedeutenden muslimischen Bevölkerungsanteil, die als besonders gefährliche Zonen gelten. General Hill, Kommandant der SOUTHCOM, verwies auf die Gefahr, die von radikalen islamistischen Gruppierungen ausgehe, die in dieser Region wie auch in anderen Zonen Lateinamerikas operierten.
In diesem Kontext hatte Rumsfeld auf dem Verteidigungsministertreffen vom November 2002 einerseits die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Seestreitkräften, den Küstenwachen, den Zollbehörden und der Grenzpolizei eingefordert, um das nicht explizit formulierte Ziel einer effizienteren Kontrolle des Personen- und Güterverkehrs in der Region zu verwirklichen. Andererseits sollten, so Rumsfeld, die militärischen Ressourcen für gemeinsame Einsätze innerhalb und außerhalb der Region gestärkt und nach Möglichkeit regionale Einheiten zur Friedenssicherung gebildet werden. Dies erklärt, warum die USA kleine Truppenkontingente aus El Salvador, Honduras, Nicaragua und der Dominikanischen Republik für den Einsatz im Irak angefordert haben. Der militärische Wert im Irak mag zwar gering sein, aber es werden militärische Kapazitäten für gemeinsame Einsätze in der westlichen Hemisphäre geschaffen.
Und es gibt noch weiter gehende Überlegungen. In einer Studie des Strategic Studies Institute des U.S. Army War College vom August 2002
Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Etablierung demokratischer Regierungen in fast ganz Lateinamerika stand das interamerikanische Sicherheitssystem, wie es sich während und nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert hatte, auf dem Prüfstand. Seit Anfang und verstärkt seit Mitte der neunziger Jahre gab es verschiedene Bestrebungen, die Sicherheitspolitik in der westlichen Hemisphäre neu zu definieren, tradierte Sicherheitsstrukturen in Frage zu stellen und alternative Organe zu schaffen. Nach dem 11. September erhielten viele dieser Initiativen eine andere Stoßrichtung.
1995 kam es auf Anregung des damaligen US-Außenministers, William Perry, in Williamsburg (Virginia/USA) erstmals zu einem Treffen der Verteidigungsminister der Region (das so genannte Defense Ministerial of the Americas). Die nachfolgenden Treffen fanden in Bariloche (Argentinien) 1996, Cartagena (Kolumbien) 1998, Manaus (Brasilien) 2001 und zuletzt in Santiago de Chile 2002 statt.
Im selben Jahr, 1995, schuf die Generalversammlung der OAS das Committee on Hemispheric Security (CSH)
Daneben haben auch alte Institutionen des interamerikanischen Systems durch die Terroranschläge des 11. September eine Neubelebung erfahren. Dazu gehört das bereits 1942 in Reaktion auf die Bedrohung durch die Achsenmächte geschaffene Inter-American Defense Board (IADB), dem das Inter-American Defense College zugeordnet ist.
Alle diese Institutionen geben den USA Instrumente an die Hand, in sicherheitspolitischen Fragen auf ihre Partner in Lateinamerika einzuwirken. Es besteht das Risiko einer doppelten Militarisierung der Lateinamerikapolitik. Mangels Durchsetzungsfähigkeit des Außenministeriums könnte das Pentagon mehr und mehr die Lateinamerikapolitik an sich ziehen.
VII. Fazit
Wie der Überblick über die lateinamerikanischen Brennpunkte im Kampf gegen den Terror und die handelspolitischen Initiativen gezeigt hat, besitzen die USA ein vitales Interesse daran, Lateinamerika nicht zu vernachlässigen und das "Ozonloch der Globalisierung" in ihrem Hinterhof zu verkleinern. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Klagen über die mangelnde Beachtung Lateinamerikas durch die Bush-Administration als überzogen und spiegeln primär die Interessen der Lateinamerika-Lobby wider.
In der Handelspolitik gegenüber Lateinamerika kann die Regierung Bush durchaus Erfolge aufweisen. Dass die Fortschritte nicht größer waren, hängt auch mit den divergierenden Interessen der USA und einzelner lateinamerikanischer Regierungen zusammen, die sich gegen eine allzu rasche und allzu umfassende Handelsliberalisierung wehren. Bilaterale handelspolitische Initiativen der USA, die der Maxime des divide et impera folgen, sind aus (gesamt)lateinamerikanischer Sicht sogar eher negativ zu bewerten.
Im sicherheitspolitischen Bereich kommt - aufgrund der Weltlage seit dem 11. September nicht verwunderlich - Lateinamerika zwar nicht die erste Priorität zu, die USA haben die Region aber keineswegs aus den Augen verloren. Dabei zeigt sich eine Tendenz, die durchaus legitimen Sicherheitsanliegen der USA ideologisch zu überhöhen und in ein umfassendes manichäisches Weltbild einzuordnen. Wie bereits während des Kalten Krieges besteht die Gefahr, dass die realen Probleme Lateinamerikas der vereinfachenden Sichtweise der USA untergeordnet, den Lateinamerikanern inadäquate Lösungen oktroyiert und vorschnell militärische Lösungen ohne eine langfristige Planung gesucht werden.
Das Abstimmungsverhalten der lateinamerikanischen Länder im Weltsicherheitsrat und die nachfolgende Unterstützung für den Irak-Krieg wurde von den USA sehr genau beobachtet, und diese haben nachfolgend Vergünstigungen gewährt oder Liebesentzug angedroht. Auch im Hinblick auf die Unterzeichnung von Sonderabkommen zur Aushebelung des Internationalen Strafgerichtshofs üben die USA in Lateinamerika massiven Druck aus. Ähnlich wie in Europa werden die treuen Gefolgsleute belohnt und die Kritiker abgestraft: Die zentralamerikanischen Präsidenten, die den Irak-Krieg befürworteten, wurden mit großem Pomp im Weißen Haus empfangen, den Gegnern, wie etwa Mexiko, wurde zunächst einmal die kalte Schulter gezeigt. Nachdem sich die aus der internationalen Debatte um den Irak-Krieg erwachsenen Spannungen allmählich zu lösen beginnen, darf angesichts der großen handels- und sicherheitspolitischen Bedeutung Lateinamerikas allerdings bezweifelt werden, dass die Verstimmungen - die sich etwa darin gezeigt hatten, dass sich die Unterzeichnung des Handelsabkommens mit Chile um einige Wochen verzögerte und diese dann lediglich vom Handelsbeauftragten des US-Präsidenten vorgenommen wurde - eine langfristige Modifikation des interamerikanischen Verhältnisses bedeuten.
Vor dem Hintergrund der zu Anfang zitierten Klagen stellt sich für den Beobachter bzw. die Beobachterin aus dem alten Europa abschließend die Frage, ob im Kontext der Neuausrichtung der US-amerikanischen Außenpolitik eine Vernachlässigung Lateinamerikas, ein "benign neglect", nicht einer allzu großen Fürsorge vorzuziehen ist.