I. Rückblick: die Demokratisierung
Knapp 25 Jahre ist es her, dass sich die politische Landkarte Lateinamerikas grundlegend zu verändern begann. In einer Region, die mit Ausnahme Costa Ricas, Venezuelas und Kolumbiens in den siebziger Jahren fast flächendeckend von autoritären Regimen beherrscht worden war, setzten (Re-) Demokratisierungsprozesse ein. Den Auftakt bildete 1978/79 Ecuador, ein Staat mit einer nur rudimentären demokratischen Tradition. Nur wenig später folgten Peru, Bolivien und Argentinien. Im Laufe der achtziger und neunziger Jahre wurde dann in fast allen lateinamerikanischen Staaten eine liberal-demokratische Herrschaftsform wieder oder erstmalig errichtet und zu etablieren versucht. Ausgenommen blieb lediglich Kuba.
Seit ihrer Wiedergeburt wird die Stabilität der politischen Demokratien in der Region kritisch hinterfragt.
Entgegen pessimistischen Prognosen ist die Demokratie bislang von Bestand und legte auch in Zeiten schwerer wirtschaftlicher und politischer Krisen eine erstaunliche Belastbarkeit an den Tag. Doch kam es in einzelnen Ländern zwischenzeitlich zu autoritären Rückfällen. Peru unter Alberto Fujimori (1990 - 2000) ist ein beredtes Beispiel. Weniger beachtet wurde schon das Scheitern demokratischer Gehversuche in Haiti auch nach der UN-Intervention im Jahre 1994. Angesichts durch Putschversuche, Selbstputsche und über Massenproteste erwirkter Präsidentenstürze der vergangenen Jahre ist die Gefahr des Zusammenbruchs der Demokratie in Lateinamerika noch nicht gebannt. Größer ist allerdings die Gefahr, dass die demokratischen Institutionen durch autokratische Herrschaftspraktiken gewählter Amtsinhaber untergraben und entwertet werden oder die zumindest demokratische Entwicklung stagniert und sich auf einem niedrigen Niveau verfestigt.
Die (Re-)Demokratisierungsprozesse in der Region setzten nicht gleichzeitig ein und verliefen unterschiedlich schnell. Während Staaten wie Ecuador, Peru und Bolivien Mitte der achtziger Jahre bereits den ersten Regierungswechsel gewählter, ziviler Präsidenten hinter sich hatten, zog sich etwa der demokratische Übergang in Brasilien fast über das gesamte Jahrzehnt hin. Zu den Nachzüglern in Südamerika gehörten auch Paraguay, dessen langjähriger Diktator Alfredo Stroessner im Jahre 1989 gestürzt wurde, und Chile, wo nach dem abschlägig entschiedenen Referendum über eine weitere Amtszeit des Diktators Augusto Pinochet ab 1990 ein ausgehandelter Übergang zur Demokratie erfolgte. Besonders zäh verliefen die in den achtziger Jahren eingeleiteten Demokratisierungsbemühungen in Zentralamerika, die erst nach Ende der Bürgerkriege in den neunziger Jahren richtig greifen konnten. Rascher ging der Übergang zur Demokratie in Panama vonstatten, dem im Jahre 1989 eine US-Invasion vorausging. Der jüngste Transformationsprozess fand in Mexiko statt, wo mit den Parlamentswahlen von 1997 und schließlich den Präsidentschaftswahlen von 2000 das jahrzehntelange Machtmonopol des Partido Revolucionario Institucional (PRI) aufbrach und die Opposition schließlich das Präsidentenamt übernahm.
Die Ausgangsbedingungen und Gründe für den Niedergang der autoritären Regime und den Übergang zur Demokratie waren alles andere als einheitlich. Für alle Diktaturen galt aber, dass sie am Ende nur noch über eine schwache gesellschaftliche Unterstützung verfügten. Ihre ohnehin schmale Legitimationsbasis als selbst ernannte "Retter der Nation" vor Chaos und Zerfall, als Garant der "nationalen Sicherheit" oder als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung war längst brüchig geworden. Die sozioökonomische Leistungsbilanz der autoritären Regime war zumeist verheerend, von den Menschenrechten ganz zu schweigen. In nicht wenigen Ländern leiteten die Militärs selbst die Demokratisierung ein. Mitunter kam es dabei regelrecht zu einer "Flucht" der Militärs von der Macht wie in Argentinien und Bolivien. In anderen Staaten wie Ecuador, Peru und Brasilien zogen sie sich kontrolliert zurück. Nicht in allen Ländern wurde die Veränderungen "von oben" eingeleitet. Vielfach wurden die Demokratisierungen zwischen alten und neuen Eliten ausgehandelt und verliefen friedlich. Selten waren sie "von unten" erkämpft oder gingen - wie in den zentralamerikanischen Bürgerkriegsländern - mit Gewaltanwendung einher. Auch der externe Einfluss variierte erheblich. Am stärksten war er in Zentralamerika, dem "Hinterhof der USA".
Die Erkenntnis, dass Erfolg und Misserfolg der Demokratisierung maßgeblich von den Handlungen und Strategien der politischen Akteure abhing, war von großer Bedeutung für die Lateinamerikaforschung.
II. Demokratie - oder doch nicht?
Obwohl Ausgangsbedingungen, Ursachen und Verlaufsformen der Transitionsprozesse sehr unterschiedlich waren, führten sie zu einem für Lateinamerika ungewöhnlich einheitlichen Systemtyp: der liberal-repräsentativen Demokratie. Sozialrevolutionäre Alternativen, wie sie zu Beginn der achtziger Jahre beispielsweise noch die Sandinisten in Nicaragua und Teile der sozialrevolutionären Opposition in El Salvador vertreten hatten, fehlten in den meisten Ländern und verloren auch in Zentralamerika bald an Bedeutung.
Dennoch ließen die politischen Veränderungen die Diskussion wieder aufleben, ab wann ein politisches System überhaupt als demokratisch einzustufen sei. Bezogen auf Lateinamerika standen und stehen sich hierbei unterschiedlich weit gefasste Definitionen von Demokratie gegenüber.
An der stark auf Wahlen bezogenen Verwendung des Demokratiebegriffs in der Transitionsforschung entzündete sich freilich von Beginn an Kritik. Ihr lag zum einen die Binsenweisheit zugrunde, dass sich die Demokratie nicht in Wahlen erschöpft. Zum anderen drückte sie das verständliche Unbehagen vieler Beobachter/innen aus, die politischen Systeme in Lateinamerika trotz schwerwiegender rechtsstaatlicher Mängel und der verbleibenden Machtfülle der Militärs vorbehaltlos als Demokratien zu bezeichnen. Dementsprechend gab es Bemühungen, den Demokratiebegriff zumindest um die Dimensionen des Rechtsstaates (Grundrechte, Gewaltenteilung etc.) und der Gewährleistung einer effektiven demokratischen Herrschaftsgewalt zu erweitern. Allerdings ergab sich daraus ein methodisches Problem: Da kaum ein lateinamerikanischer Staat über einen funktionstüchtigen Rechtsstaat und ein uneingeschränktes Herrschaftsmonopol in den Händen demokratischer Herrschaftsträger verfügt, lässt sich daraus die Konsequenz ziehen, entweder das Gros der politischen Systeme in der Region entgegen dem lateinamerikanischen Selbstverständnis als nichtdemokratisch zu klassifizieren - was die wenigsten Autoren tun - oder aber, was sinnvoller ist, zu klären, wieviel Rechtsstaat und wieviel zivile Kontrolle über das Militär nötig ist, damit es sich um Demokratien handelt. Eine diesbezüglich überzeugende Trennlinie zwischen Demokratien und Nicht-Demokratien wurde noch nicht entwickelt. Gleichwohl lässt sich über eine kontextsensible Interpretation zumindest feststellen, ob im nationalen wie regionalen Vergleich in derart deutlicher und systematischer Form die Prinzipien einer rechtsstaatlichen Herrschaftsweise, einer gewaltenteilenden Herrschaftsstruktur und einer zivilen Kontrolle des Militärs verletzt werden, dass die Logik demokratischen Regierens durchbrochen wird.
In diesem Sinne lassen sich - neben den bereits erwähnten Fällen Peru und Haiti - vor allem in Venezuela Re-Autokratisierungstendenzen erkennen. Verbunden mit einer populistischen Abwertung liberal-demokratischer Institutionen, gelang es dort dem 1998 gewählten Präsidenten Hugo Chávez, die politische Macht auf Kosten rechtsstaatlicher und gewaltenteilender Prinzipien zu personalisieren. Angesichts eines erodierenden Staates ist auch die "Demokratie" in Kolumbien mit einem Fragezeichen zu versehen; große Teile des Landes sind der staatlichen Kontrolle entzogen, und das Land ist in einem Gemisch aus staatlicher, halbstaatlicher und nicht-staatlicher Gewalt versunken. Ein chronischer Problemfall ist - obwohl gemeinhin als Demokratie verortet - auch Guatemala, das nach wie vor ein erschreckend schwaches Profil in puncto Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit aufweist. Immerhin aber kam es dort infolge des Friedensabkommens von 1996 zu einer Reform der Streitkräfte, die traditionell einen dominanten Einfluss auf die Politik ausübten. Das politische System Chiles hingegen, dessen demokratischer Charakter angesichts der verfassungsmäßig verankerten Machtvorbehalte des Militärs anfänglich umstritten war, gehört in Anbetracht des Gesamtprofils des politischen Prozesses eindeutig zu den Demokratien.
Trotz der weitverbreiteten Kritik an einer auf Wahlen fixierten Klassifikation der Demokratie bleiben kurioserweise die allermeisten Autor/innen insofern einem elektoralen Demokratiebegriff verpflichtet, als sie die politischen Systeme Lateinamerikas - ungeachtet rechtsstaatlicher oder sonstiger Mängel - mit Ausnahme Kubas (und Haitis) durchweg als Demokratien bezeichnen. Die Kritik schlägt sich freilich in oft abschätzigen Adjektiven nieder, die diesen Demokratien verliehen werden. So machten in den vergangenen Jahren Konzepte oder auch nur Schlagworte wie "elektorale Demokratie", "begrenzte Demokratie", "kontrollierte Demokratie", "Demokratie niedriger Intensität", "delegative Demokratie", "illiberale Demokratie" oder "defekte Demokratie" die Runde.
III. Wie gefährdet ist die Demokratie?
Für den Bestand und die Stabilität der Demokratie ist es von großer Bedeutung, dass sich alle wichtigen gesellschaftspolitischen Akteure an demokratische Spielregeln halten, demokratische Normen anerkennen und allmählich verinnerlichen. Demgemäß liegt das Hauptaugenmerk des Konzepts der Konsolidierung der Demokratie, so unterschiedlich es auch verwandt wird, auf der Verhaltens- und Einstellungsebene.
Hier stellt sich nun die Frage, ob die Entwicklung der vergangenen beiden Jahrzehnte Anlass zur Sorge gibt. Hochproblematisch sind die drängenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die in Lateinamerika nicht erst seit dem Übergang zur Demokratie bestehen. Von den jungen Demokratien wurde schon bald erwartet, diese Probleme zu lösen. Das modernisierungstheoretische Credo - erst Entwicklung, dann Demokratie - unterlag dadurch einer Kehrtwende: In politischen und akademischen Diskursen galt fortan die Demokratie als wichtige Voraussetzung für die sozioökonomische Entwicklung. Gleichzeitig wurde in der Konsolidierungsforschung die Demokratie als brüchig empfunden, sollte sie ihre "soziale Bringschuld" nicht erfüllen. Bei anhaltenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen ginge, so die systemtheoretische Argumentation, erst den gewählten Regierungen und schließlich auch dem demokratischen System die politische Unterstützung durch die Bevölkerung wieder verloren.
Tatsächlich belegten Wahlbeteiligungsraten und Umfrageergebnisse in vielen Ländern, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die demokratischen Institutionen im Laufe der Zeit zurückging. Trotz wichtiger institutioneller Reformen wurde die Demokratie rasch "entzaubert", machte sich Enttäuschung (desencanto) über die Leistungsfähigkeit der demokratisch gewählten Regierungen breit, die in gewissem Maße auch das Vertrauen in die Demokratie erschütterte. Umfragen des Latinobarómetro zufolge
So Besorgnis erregend niedrige Zustimmungsraten sind, lässt sich daraus doch nicht gleich ein akutes Bedrohungsszenario für die Demokratie in Lateinamerika ableiten. Die Demokratie kann, wenn dies auch unerwünscht ist, mit einem gewissen Maß an Unzufriedenheit (über)leben. Systemkritische oder ablehnende Einstellungen führen nicht sofort und unbedingt zu entsprechenden Handlungen. Und selbst dort, wo soziale und politische Unruhen ausbrechen, geht damit nicht gleich ein Zusammenbruch der Demokratie einher. Zwar können diese, wie in Ecuador in den Jahren 1997 und 2000, in Paraguay 1999 und in Argentinien zum Jahreswechsel 2001/2002 geschehen, zum Sturz von Regierungen beitragen oder die demokratischen Institutionen kurzfristig funktionsunfähig machen. Doch solange die Krisen (quasi-) institutionelle Lösungen finden und das demokratische Institutionengefüge Bestand hat, können Massenproteste auch als Korrektiv für schlechtes Regierungshandeln und als wichtiges Ventil für sozialen Unmut fungieren. Allerdings ist die häufige und leichtfertige Nutzung institutioneller Ausnahmeregeln (impeachment, Machtübernahme durch den Vizepräsidenten), verbunden mit einem großen Misstrauen der Bevölkerung in demokratische Institutionen, Besorgnis erregend.
Problematisch wird es vor allem dann, wenn die Unzufriedenheit mit der sozialen Lage und dem politischen Establishment zur Durchsetzung populistisch-autokratischer Machtambitionen benutzt wird. Dies zeigte gerade das Beispiel Alberto Fujimoris in Peru. Zeitweise getragen von einer beachtlichen Popularität und unterstützt vom Militär, trieb Fujimori in den neunziger Jahren die politische Machtkonzentration in den Händen der Exekutive voran und machte sich Legislative und Judikative gefügig. Zu diesem Zweck wurde sogar zeitweilig das Parlament aufgelöst und ein Teil der Verfassungsrichter entlassen. Fujimori unterband ein verfassungsmäßiges Referendum gegen seine Wiederwahl im Jahre 1995 und manipulierte die Wahlen von 2000. Das Regime verletzte zudem im Rahmen der - durchaus populären - Terrorismusbekämpfung massiv die Menschenrechte, beschnitt die Pressefreiheit und ging mit Hilfe des Geheimdienstes und regimetreuer Medien gegen politische Gegner in Parteien, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen vor.
Wie der inzwischen nach Japan geflohene Fujimori schlug auch der derzeitige venezolanische Präsident Hugo Chávez aus der Diskreditierung der traditionellen Elite und einer weit verbreiteten Anti-Parteien-Stimmung in populistischer Manier Kapital, wobei er unter dem Banner einer "Bolivarischen Revolution" die Demontage liberal-demokratischer Institutionen vorantrieb. Über Volksabstimmungen, Neuwahlen und die Verabschiedung einer neuen, per Referendum angenommen Verfassung gelang es Chávez dabei, dem Parlament zentrale Gestaltungs- und Kontrollfunktionen zu entziehen, auf Kosten rechtsstaatlicher und gewaltenteilender Prinzipien seine Macht auszubauen und gleichzeitig den Eindruck zu erwecken, die gesellschaftliche Mitwirkung in nennenswertem Umfang zu erhöhen. Tatsächlich stellt sich jedoch der Populismus in Venezuela als eine Mobilisierungsstrategie mit top-down-Charakter dar, mittels derer politische wie soziale Kontrolle ausgeübt wird.
Die beiden Beispiele zeigen, dass in der Aushöhlung demokratischer Institutionen von innen eine große Gefahr für die Demokratie in Lateinamerika liegt. Diese Einsicht schärft den Blick für den vielleicht nicht immer autokratischen, aber doch oft selbstherrlichen oder leichtsinnigen Umgang mancher Amtsinhaber mit demokratischen Institutionen. Ein beredtes Beispiel ist die Präsidentschaft des argentinischen Populisten Carlos Menem (1989 - 1999), der in Ausnutzung seiner präsidialen Befugnisse hart am Rande der Verfassung regierte; ein weniger bekannter Fall ist Arnoldo Alemán in Nicaragua (1997 - 2002), dessen Amtszeit von ausufernder Korruption und notorischer Vettern- und Klüngelwirtschaft geprägt war. Die Verhaltensweisen einiger Politiker, aber auch die Erwartungshaltung der Bevölkerung gegenüber der Politik wurzeln einerseits noch in einer autoritär und per-sonalistisch geprägten politischen Kultur und einem paternalistischen Staats- und Politikverständnis, die einen populistischen Politikstil, Amtsmissbrauch, Klientelismus und Korruption zusätzlich befördern. Andererseits muss zur Kenntnis genommen werden, dass die politischen Eliten vielerorts auch politische Lernerfahrungen gemacht und demokratiekonforme Verhaltensweisen an den Tag gelegt haben, die geprägt waren von Dialogbereitschaft, Kompromissen und Pragmatismus. Dies trug zur Überwindung der einst ausgeprägten politischen Polarisierung in Ländern wie Chile oder El Salvador bei.
Solche Lerneffekte haben zum Teil auch die Wirtschaftseliten erfasst, die bei der Etablierung oder Duldung ehemaliger autoritärer Regime in Lateinamerika oft eine unrühmliche Rolle gespielt hatten. Untersuchungen über Unternehmer und Politik sind zwar rar.
Und wie steht es mit dem Militär? Eine dauerhafte Machtübernahme durch die Streitkräfte gilt zur Zeit als wenig wahrscheinlich. Die Interventionsneigung der Militärs hat in den neunziger Jahren abgenommen, so dass die Demokratie heute nicht mehr "mit erhobenen Händen"
IV. Die "Qualität" der Demokratie
Gegenüber der Konsolidierungsforschung wurde verschiedentlich der Vorwurf erhoben, dass es ihr vorrangig um die Festigung der erreichten politischen Verhältnisse ginge, nicht aber um die Ausweitung ihres demokratischen Gehaltes.
Zweifelsohne steht die Demokratie vor großen Herausforderungen, soll ihr demokratischer Gehalt erhalten bleiben und ausgeweitet werden. Dies gilt selbst bezüglich der Wahlen, obwohl diese mittlerweile demokratische Routine sind: In keiner historischen Phase des Subkontinents wurde derart häufig und regelmäßig gewählt wie in der Folge der (Re-)Demokratisierungsprozesse der achtziger und neunziger Jahre. Niemals zuvor gingen so flächendeckend und mittlerweile so selbstverständlich die politischen Führungen in Lateinamerika aus vergleichsweise freien und fairen Wahlen hervor, auf der Grundlage eines zivilen Parteien- und Kandidatenwettbewerbs um die Wählergunst. Bedenklich ist allerdings, dass es verschiedentlich zu Rücktritten gewählter Präsidenten infolge von Impeachment-Verfahren (Brasilien 1992, Venezuela 1993, Ecuador 1997), aufgrund von Massenprotesten (Paraguay 1999, Argentinien 2001) und/oder aufgrund von Putschversuchen (Ecuador 2000) kam. Zudem zeigt das ständige Alternieren von Regierungen unterschiedlicher Parteizugehörigkeit an, dass die Wähler mit den gewählten Alternativen nicht zufrieden sind. Dies gilt umso mehr, als der Wahlwettbewerb noch stark elitäre bzw. - angesichts der Schwäche der Parteien - wenig repräsentative Züge trägt. Viele Parteien in der Region sind - bei allem Bedeutungszuwachs infolge der (Re-)Demokratisierung - noch durch ausgeprägte personalistische Strukturen, einen Mangel an innerparteilicher Demokratie und eine geringe gesellschaftliche Verankerung gekennzeichnet. Parteireformen sind dringend nötig, um die Parteiensysteme und die Demokratie zu konsolidieren. Gleichzeitig bleibt es eine Daueraufgabe, die Unabhängigkeit der obersten Wahlbehörden vor dem Zugriff der Parteien zu sichern, um weiterhin die Durchführung freier und fairer Wahlen zu gewährleisten.
Hinsichtlich einer gewaltenteilenden Herrschaftsstruktur wird die hohe Machtkonzentration des lateinamerikanischen "Hyperpräsidentialismus'", verbunden mit der Schwäche der Parlamente, oft als Problem angesehen. Gleichzeitig wird dem Präsidentialismus unterstellt, er erschwere die politische Konsensfindung, halte keine institutionellen Mechanismen bereit, um Konflikte zwischen Regierung und Opposition zu lösen, und unterlaufe, verbunden mit dem Verbot der unmittelbaren Wiederwahl, auch die Verantwortlichkeit der Regierung. Diese Kritik muss abgeschwächt werden: Obwohl sich das Zusammenspiel zwischen Regierung und Parlament stellenweise als schwierig darstellte und es vereinzelt, etwa in Nicaragua, zu langwierigen "deadlock"-Situationen kam, konnten die Regierungen meist auch dann ohne Blockaden regieren, wenn sie über keine Mehrheit im Parlament verfügten. Ungeachtet jener Länder und Regierungsphasen, die Pate standen für die Kritik an einer "delegativen Demokratie" (Argentinien, Peru), regierte die Mehrheit der lateinamerikanischen Präsidenten auch nicht ständig mittels Dekreten an ohnmächtigen Parlamenten vorbei. Zwar kann die Gestaltungsmacht der lateinamerikanischen Parlamente, mit Ausnahme vielleicht Chiles und Uruguays, als (zu) gering angesehen werden, doch nehmen diese im Sinne der Gewaltenteilung durchaus eine Kontrollfunktion wahr und sind politisch weniger ohnmächtig, als ihr schlechter Ruf unterstellt.
Mit Blick auf die Qualität der Demokratie wurden oft auch extra-konstitutionelle Machtvorbehalte gegenüber den demokratischen Herrschaftsträgern kritisiert. So haben sich etwa die Streitkräfte mit der (Re-)Demokratisierung nicht einfach vorbehaltlos in ihre Kasernen zurückgezogen, sondern sich ein hohes Maß an gesellschaftspolitischem Einfluss bewahrt, zumal sich ihnen mit der Bekämpfung des Drogenhandels und der ausufernden Kriminalität neue Tätigkeitsfelder eröffneten. Der Handlungsspielraum der Zivilregierungen blieb gerade bei der Aufarbeitung und Ahndung von Menschenrechtsverbrechen, bei der Beschneidung korporativer Interessen der Militärs oder - wie im Falle lateinamerikanischer Bürgerkriegsländer - bei Friedensgesprächen beschnitten. Dennoch musste das Militär infolge der (Re-) Demokratisierung oder, wie im Falle El Salvadors oder selbst Guatemalas, im Rahmen von Friedensprozessen einen relativen Bedeutungsverlust hinnehmen. Wichtige Erfolgsparameter für nötige Reformen sind hierbei die zivile Leitung und Kontrolle des Militärs, die Trennung von Polizei und Streitkräften oder auch die Unterstellung von Militärs unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. Völlig anders geartet ist die mit der Globalisierungsdebatte verwobene Kritik an internationalen Gebern und Finanzinstitutionen, die bar jeglicher demokratischer Legitimation erheblichen Einfluss auf die Politik gerade hoch verschuldeter Staaten in der Region nehmen. Hier geht es darum, die Beziehungen zwischen internationalen und nationalen Akteuren umzugestalten.
Großer Reformbedarf besteht weiterhin bezüglich einer rechtsstaatlichen Herrschaftsweise. Im Unterschied zu Europa, wo die Entwicklung des Rechtsstaates jener der Demokratie vorauseilte, ist das rechtsstaatliche Fundament der lateinamerikanischen Demokratien noch sehr schwach. Allerdings gibt es Länderunterschiede: Während Costa Rica, Uruguay, Chile und inzwischen auch Panama hinsichtlich der politischen Rechte und der bürgerlichen Freiheiten - den viel zitierten Angaben von Freedom House zufolge
Eine völlig offene Herausforderung an die Demokratie in Lateinamerika besteht darin, den internationalen Wettbewerbs- und Globalisierungsdruck in sozial verträglicher Weise abzufangen und die gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu bewältigen. Selbst konservative Autoren räumen ein, dass die Entwicklung der Demokratie bislang die ökonomische und soziale Sphäre ausgespart hat.
Die Mängel der politischen und das Fehlen der sozialen Demokratie verstärken sich hierbei gegenseitig. Das ausgeprägte Maß an sozialer Ungleichheit und Armut verzerrt die realen Bedingungen von Partizipation und Wettbewerb, befördert die Repräsentationsschwäche der demokratischen Institutionen und der politischen wie zivilgesellschaftlichen Organisationen und erschwert es, die oligarchische Verkrustung der Herrschaftsverhältnisse im Rahmen der politischen Demokratie aufzubrechen.