Fühlen Sie sich zurzeit überarbeitet, abgespannt, erschöpft? Sehnen Sie sich nach einem Urlaub ohne Stress und Termine, fern vom Alltag, am besten am sonnenverwöhnten Palmenstrand? Dann sind Sie vielleicht "reif für die Insel". Im Musikvideo zum gleichnamigen Song spielt der österreichische Popsänger Peter Cornelius 1981 einen frustrierten Büroangestellten, der davon träumt, seiner monotonen Existenz und beruflichen Routine durch den Flug auf eine Insel zu entfliehen, die als ein exotisch-friedliches Paradies aus Palmen und Stränden im Sonnenuntergang dargestellt wird. Der Erfolg des Lieds machte die Phrase im deutschsprachigen Raum berühmt: Die Redewendung drückt eine Situation aus, in der jemand dringend eine Auszeit vom Alltagsstress benötigt. Die Werbe- und Tourismusindustrie hat sich dieses Stereotyps von der sorgenfreien Sonneninsel als Ort der angenehmen Abgeschiedenheit und Entspannung gekonnt bemächtigt – vom "Summer Dreaming" einer bekannten Rum-Marke bis hin zu beständig wiederholten Bildern vom Traumurlaub auf den Malediven – und so dazu beigetragen, unser Alltagsverständnis des Begriffs "Insel" zu prägen.
In diesem Beitrag zeichne ich nach, wie das Alltagsverständnis des Inselbegriffs literarisch bearbeitet wird und die so entstehenden Denkfiguren wiederum das Alltagsverständnis prägen. Im zweiten Schritt untersuche ich die Raumkonzepte, an die diverse Inselbegriffe gebunden sind, bevor ich am Beispiel sogenannter Sprachinseln aufzeige, wie schwierig die Abgrenzung zwischen vorgestellten und realen Inselräumen mitunter sein kann.
Inseln in der Literatur
Im Begriff der Insel schwingt eine Vielzahl von Konnotationen mit, die mit verschiedenen Bildern oder Topoi in der klassischen Kultur und der Populärkultur verbunden sind. Viele davon, wie etwa das Bild der Insel als Paradies, als Zufluchtsort oder das Bild der einsamen Insel, sind literarischen Ursprungs. Wegweisend für die Entwicklung dieser Inselbilder sind Platons Beschreibung der Insel Atlantis in seinen Dialogen "Timaios" und "Kritias" aus dem 4. Jahrhundert vor Christus sowie Thomas Morus’ "Utopia" von 1516: Sie sind Projektionen für ideale Gesellschaften in fiktionalen Settings oder Utopien, also "Nicht-Räume" im ursprünglichen Sinne des Wortes. Auch Homer hatte eine Faszination für Inseln: In seinen epischen Liedern wimmelt es nur so von insulären Sirenen, Zyklopen und Hydras. Sein König Odysseus versucht auf der kargen Insel Ithaka vergeblich, sich der Teilnahme am großen Krieg gegen Troja zu verweigern, indem er den Verrückten spielt – nur um nach dem Fall Trojas an die Inselufer der obskuren Göttin der Magie, Kirke, geworfen zu werden. Neben William Shakespeares Drama "The Tempest" (1610/11), das auf einer abgelegenen Insel spielt, trug vor allem auch Daniel Defoes Roman "Robinson Crusoe" (1719) um einen mittelständischen Kaufmannssohn und Zivilisationsflüchtling, der es schafft, auf einer einsamen Insel mit einfachsten Mitteln zu überleben, wesentlich zur Entwicklung mentaler Inselbilder bei.
Es gibt jedoch auch verschiedene fiktionale Werke, die die dunkle Seite der Insularität enthüllen und die Insel als Ort des Grauens, der Apokalypse, Dystopie und Ausbeutung porträtieren: Wichtig in diesem Zusammenhang ist beispielsweise Franz Kafkas parabolische Kurzgeschichte "In der Strafkolonie" (1919), in der die Insel den Ort für das grausame Schauspiel einer altmodischen Diktatur der Schuld bildet. Zentral für die negative Inselmetapher in der Literatur sind auch H.G. Wells’ apokalyptische Szenarien auf Inseln voller animalischer Mutanten wie in seinem Science-Fiction-Roman "The Island of Dr. Moreau" (1896). Geradezu paradigmatisch für die Insel als Allegorie für die brutalen Energien menschlicher Gruppen gegenüber Außenseitern ist William Goldings "Lord of the Flies" (1954). Selbst in der Kinderliteratur wird ein Gefühl für die abenteuerliche Insel als Ort tödlicher menschlicher Macht- und Besitzkämpfe verarbeitet, beispielsweise in Robert Louis Stevensons Roman "Treasure Island" (1883). Und nicht zuletzt wird das Thema der Insel in modernen Werken wie Christian Krachts umstrittenen Roman "Imperium" (2012) wiederbelebt, der die Problematik des deutschen Kolonialismus facettenreich beleuchtet. All dies sind nur ausgewählte Beispiele für literarische Verarbeitungen von Inselmetaphern – die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen.
Die Vorstellungen von Inseln werden in die Literatur eingeschrieben, durch die Volkskultur umgestaltet und aufgeführt und in der (touristischen) Werbung und Unterhaltung zelebriert. Der Begriff "Insel" vermittelt also viel mehr als die bloße geografische Tatsache eines von Wasser umgebenen und begrenzten Landes. Er sagt auch mehr aus als das politisch-territoriale Faktum, dass ein Viertel der von den Vereinten Nationen anerkannten Staaten (47 von 193) Inselstaaten sind. Inseln sind in einem viel weiteren Sinne Welten für sich, wenn auch meistens kleine. "Insularität" dient als Begriff, um all diese Konnotationen, Wahrnehmungen, Repräsentationen und Konstruktionen zu konzeptualisieren; "Insularisierung" bezieht sich auf den Prozess der Verinselung selbst. Das Studium von Inseln bietet nicht nur eine hervorragende Forschungspraxis auf mikrokosmischer Ebene, um kulturelle, soziale und ökonomische Einflüsse und Phänomene aufzudecken, die in größeren, nicht-isolierten Räumen nicht oder nicht länger zu finden sind; Inseln können auch die Wechselfälle und Misserfolge menschlicher Gesellschaften und Politik im Allgemeinen aufzeigen. Seit einigen Jahren finden sie wieder vermehrt Aufmerksamkeit im mittlerweile etablierten Forschungsfeld der Nissologie beziehungsweise Island Studies, das interdisziplinär ist und sein muss, da es Fragen und Methoden der Soziologie, Biogeografie, Anthropologie, Politik-, Umwelt-, Kultur- und Sprachwissenschaft untersucht."
Inseln als soziale Räume
Ohne Vorstellungen dessen, was "Raum" bedeutet oder bedeuten kann, blieben Begriffe wie "Insel" oder "Verinselung" leer. Raum ist zweifellos eine umstrittene Kategorie, weil der Begriff so vieldeutig ist und unter sehr unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachtet werden kann: Zum einen kann Raum verstanden werden als physischer Ort und damit als grundlegende geografische Größe eines städtischen, ländlichen, regionalen oder nationalen Territoriums. Darüber hinaus kann der Raum im kulturellen oder sozialen Bedeutungssinn heilig oder profan, virtuell oder real sein, er kann begrenzt und grenzenlos sein, sogar physisch, wie bei der Theorie eines unendlich expandierenden Universums. Räume können projiziert, dargestellt, reproduziert, vorgestellt werden, sie lassen sich aneignen, angreifen und verteidigen, isolieren und verbinden.
Man kann den Schwerpunkt auf die Idee des Raumes als einer relativen und nicht als einer absoluten Einheit legen, die aus sozialen Beziehungen zwischen Individuen besteht und aufgebaut ist und dementsprechend von menschlichen Handlungen und Wahrnehmungen abhängt. Genau dies, die unvermeidliche Verbindung einer Person mit ihrer Umgebung und Umwelt, wird in John Donnes berühmtem Satz "No man is an island" ausgedrückt. Er erinnert an Aristoteles’ wichtiges Diktum, dass ein Mensch als Mitglied der (staatlichen) Gesellschaft polis per se ein "Staats-Lebewesen" oder zôon politikon ist. Obwohl die Isolation in und auf einer Insel eine Tatsache und eine psychologische, ökonomische und politische Herausforderung sein kann, sind wir im Grunde nie allein. Ein Robinson Crusoe findet immer einen Freitag, ob dieser existiert oder nicht – denn auch die Erinnerung an den oder die anderen formt einen wichtigen Teil unserer individuellen Identität. Andererseits erfordert die gewohnte Routine des Alltags auch eine innere Abgeschlossenheit, ein angenehmes Ignorieren der Tatsache, dass wir von Leid umgeben sind wie die Insel von Wasser. Ein gewisses Maß an psychischer Verinselung, um die eigene Existenz von den endlosen Tragödien anderer abzugrenzen und zu distanzieren, macht uns den Alltag erst erträglich und möglich. In seinem Roman "American Gods" (2001) kommt der Fantasy-Autor Neil Gaiman deshalb zu dem Schluss, Donne habe sich geirrt: "Wären wir keine Inseln, wären wir verloren und in den Tragödien des jeweils anderen ertrunken. Wir sind isoliert […] von der Tragödie anderer, durch unsere Inselnatur."
Verschiedene Interpretationen von Räumen können hilfreich sein für die Analyse von Inseln als metaphorische Ideen oder räumlich-soziale Repräsentationen: Der Philosoph Michel Foucault betont den plurizentrischen Charakter des Raumes, seine gegensätzliche Vielfalt in immer neu sich entfaltenden Vielräumen ("Heterotopien"), während dem Theologen und Soziologen Michel de Certeau zufolge Raum erst durch die Bewegung der Menschen in ihm entsteht. Allein durch die Begrenzung des Meeres zwingen Inseln zum Anhalten, sie werden zu Orten des Wartens, auf ein Schiff, ein Flugzeug, auf die Flaschenpost. Poststrukturalistische Philosophen wie Gilles Deleuze und Jacques Derrida betonen dagegen den realen und virtuellen Charakter der Insel als Ort der Transformation und Vorstellungskraft. Die Insel steht für den Kontrast zwischen Erde und Wasser, zwischen bewohnten und verlassenen Orten und repräsentiert daher immer eine wechselnde Vielfalt des eigenen Werdens und des Werdens anderer. Als Welt für sich wird die Insel zu einer Plattform zwischenmenschlicher Begegnung, die anderen Gesetzen von Raum und Zeit zu gehorchen scheint, oder, wie es der Schriftsteller Lawrence Durrell ausgedrückt hat: "Inseln (…) sind Orte, an denen unterschiedliche Schicksale aufeinandertreffen und sich in voller Isolation der Zeit kreuzen können."
Inseln als Sprachräume
Da Sprache nicht nur für Repräsentation und Vermittlung von Kultur von größter Bedeutung ist, sondern auch für die Formulierung individueller und kollektiver Identitäten, ist es nicht verwunderlich, dass Sprachen oft eine wesentliche Rolle spielen bei der Gründung, Stärkung, Erhaltung und Gefährdung von Inselstaaten. Prozesse und Phänomene der Insularität können deshalb auch linguistisch betrachtet werden, weil topografisch-geografische Grenzen manchmal mit kulturellen und sprachlichen Grenzen übereinstimmen oder in Konflikt stehen.
Sprachinseln sind relativ kleine Minderheitengemeinschaften mit einer bestimmten Sprache in einem spezifischen regionalen oder nationalen Gebiet, das in einem größeren Gebiet, einer anderen Region oder Nation mit einer differenten, oft dominierenden Sprache liegt und zumeist von dieser umschlossen ist. Die Grenzen sind häufig fließend, denn solche Enklaven sind weder autonom noch autark, sondern in ständigem Austausch mit den umliegenden Sprachgebieten und ihren Bewohnern. Die verschiedenen Formen dieses Austausches bringen in der Regel eine funktionale Mehrsprachigkeit innerhalb der Sprachinsel mit sich, da die Bewohner nicht nur innerhalb der Inselgemeinschaft, sondern auch mit den Menschen der Umgebung kommunizieren müssen. Die brüchige Konstellation einer Minderheitensprachengemeinschaft innerhalb einer großen Sprachgemeinschaft wird dabei immer wieder durch eine Sprachenpolitik bedroht, die die sprachliche Identität der Bewohner der Sprachinsel sprachplanerisch bekämpft und diskriminiert. Der Akt der "Sprachreinigung" wird dabei zum machtpolitischen Mittel, um kulturelle und zuweilen auch territoriale Eigenständigkeiten sprachlicher und kultureller Minderheiten einzuebnen und aufzuheben.
Ein bekanntes historisches Beispiel für das fragile Phänomen der Mehrsprachigkeit ist die jüdische Gemeinde in Czernowitz in der Westukraine, dessen multikulturelle Tradition durch die Ermordung der Juden während des Zweiten Weltkriegs weitgehend verloren gegangen ist. Sprachinsel-Gemeinschaften, die heute gefährdet sind, sind zum Beispiel die rätoromanisch-sprachigen Teile der Schweiz, die Gälisch sprechenden Regionen in Irland oder die kleinen Gemeinden von Sprechern "konservierter" Idiome in Amerika wie der Mennoniten in Bolivien oder der Amischen in den Vereinigten Staaten. Einige dieser überseeischen Sprachinsel-Gemeinschaften haben sich starke Bindungen zum festländischen Mutterland bewahrt, das als Herkunftsland ein kultureller und linguistischer Bezugspunkt bleibt.
Die Fälle der Schweiz und Irlands zeigen, dass selbst eine stark fördernde nationale Sprachenpolitik gegenüber Sprachminderheiten nicht zwingend dazu führen muss, dass die Sprachvarietäten in diesen Enklaven überleben werden: So sind die Prognosen für das von weniger als 60.000 Sprechern alltäglich gesprochene Bündner- oder Rätoromanische in der Schweiz und das von nur noch etwa 66.000 Sprechern als Erstsprache verwendete irische Gälisch schlecht, obwohl sowohl die Schweiz als auch die Republik Irland hier mit beträchtlichen eigenen und EU-Mitteln gegensteuern – und Irisch seit 2007 sogar als offizielle Amtssprache in den EU-Institutionen anerkannt ist. Wie rapide der Sprachverfall voranschreiten kann, zeigt gerade das Irische, das noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auf der gesamten Insel als Umgangssprache von 3,5 Millionen Menschen gesprochen wurde. Es bleibt letztlich eine offene Frage, ob die besonders seit der Unabhängigkeit Irlands von Großbritannien 1922 einsetzende und teils enorme Aufwertung des Sprachprestiges des Irischen den Sprachverfall langfristig umkehren kann. Ähnliches gilt für das Bündner- oder Rätoromanische, das im Kanton Graubünden neben Deutsch und Italienisch als dritte Amtssprache und in der Schweiz als vierte Landessprache anerkannt ist.
Sprachpolitik kann Minderheitensprachen fördern, sie kann diese aber auch bekämpfen – so geschehen in Frankreich, wo eine zentralistisch gesteuerte Bevorzugung des Hochfranzösischen kleinere Sprachen wie das Okzitanische oder Bretonische bewusst diskriminiert und Stück für Stück zurückgedrängt hat. Das zeigt sich bis heute: Obwohl in allen, auch den überseeischen Staatsgebieten Frankreichs über 70 Regional- und Minderheitensprachen gesprochen werden und auch in Frankreich selbst einige nennenswerte Sprachinseln wie das Baskische und Okzitanische existieren, ist Französisch die einzige offizielle National- und Amtssprache (langue de la république) mit Verfassungsrang. Die traditionellen Sprachen werden lediglich als Regionalsprachen (langues régionales), nicht jedoch als ethnische Minderheitensprachen angesehen. Entsprechend hat Frankreich die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats von 1992, die die historischen Regional- und Minderheitensprachen in Europa schützt und fördert, bis heute nicht ratifiziert.
(Sprach-)Inseln als Denkräume
Doch auch ohne eine tendenziell oder offen diskriminierende Sprachenpolitik kann eine Mehrheitsgesellschaft das Festhalten einer Minderheit an ihrer Minderheitensprache als Provokation empfinden. Ein historisches Beispiel hierfür ist die Sprachtreue der deutsch-jüdischen Exilanten, die nach 1938 vor nationalsozialistischer Verfolgung nach Israel und Palästina flohen. Die "Jeckes", wie die aus deutschsprachigen Ländern stammenden aschkenasischen Juden genannt wurden, trafen auf eine relativ geschlossene, sich selbst verwaltende jüdische Gemeinschaft ("Jischuw"), die hauptsächlich aus osteuropäischen Juden bestand, die sich oft lange zuvor in Palästina niedergelassen hatten. Zu diesem Zeitpunkt war Hebräisch die dominierende Sprache des Jischuw. Bereits 1914 nutzten etwa 40 Prozent der palästinensischen Juden Ivrith, die revitalisierte und lexikalisch aufgefrischte Variante des traditionellen Hebräisch, als erste Volkssprache; bei den Kindern zwischen zwei und vierzehn Jahren lag der Anteil bei mehr als der Hälfte. Die Situation änderte sich nun: Während die westlichen, akkulturierten Juden in der Vergangenheit in oft herablassender Weise den östlichen oder osteuropäischen, aus Russland, Polen oder der Ukraine stammenden Juden die Segnungen der westeuropäischen Kultur gepriesen hatten, lehrten diese in Palästina nach 1933 den akkulturierten Juden, wie ein "wahrer Jude" zu sprechen und zu sein habe: hebräisch und zionistisch. Schließlich schienen durch den Nationalsozialismus die deutsche Kultur und als ihr Medium die deutsche Sprache ein für alle Mal diskreditiert. Die osteuropäischen Juden des Jischuw sahen die teils langsamen Fortschritte der Jeckes beim Erlernen des Hebräischen als bewusste Weigerung und begegneten dem zuweilen mit Aggressionen, die sich beispielsweise gegen deutschsprachige Zeitungen in Israel und Palästina richteten.
Die deutschsprachigen Juden reagierten darauf so, wie angefeindete Sprachminderheiten oft reagieren: mit einer Mischung aus Entgegenkommen und Identitätsversicherung, die sich auch in der Bildung von Sprachinseln zeigen kann. Bis 1939 hatte sich ein sehr hoher Anteil deutschsprachiger Juden in bestimmten Städten angesiedelt, vor allem in Tel Aviv, Jerusalem und Haifa. In Jerusalem lebten und arbeiteten viele deutschsprachige Juden in Stadtteilen wie zum Beispiel Rekhavia oder in einem Gebiet, das bis heute "das deutsche Viertel" (Moshava Germanit) genannt wird und auf eine frühe deutsche Siedlung aus dem 19. Jahrhundert zurückgeht. Jeckes in Tel Aviv gründeten kleine Viertel mit deutsch-jüdischen Cafés, einer liberalen Synagoge und Buchläden auf Straßen, die sie mit deutsch-hebräischen Komposita benannten, beispielsweise Rehov-Ben-Yehuda-Straße. In diesen Arealen kommunizierten die Bewohner weiterhin auf Deutsch. Uri Rapp, ein Lehrer und Dozent, erinnerte sich 1990: "Es gab, vor allem in Tel Aviv und Haifa, eine Enklave, in der man Deutsch sprach. Meine Mutter hat in vierzig Jahren nie Hebräisch gelernt, und sie hat sich in Tel Aviv sehr gut zurechtgefunden."
Dieses Phänomen blieb auch nach der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 bestehen. Intellektuelle Führer des deutschen Judentums wie der Religionsphilosoph Martin Buber, der Philosoph Hugo Bergmann und der Religionshistoriker Gershom Scholem lebten, permanent oder nur für eine Weile, in diesen relativ kleinen Nachbarschaften, in denen Apotheken, Ärzte und Anwälte, kurzum eine ganze Umgebung, bevorzugt auf Deutsch kommunizierte. Dennoch können die deutschsprachigen Siedlungen in Palästina nicht als typische Sprachinseln bezeichnet werden, da die deutschsprachigen Areale in Jerusalem, Tel Aviv oder Haifa ziemlich partiell, gebrochen und zerstreut waren. Daher fehlten ihnen der starke Zusammenhalt und die eindeutig abzugrenzende Lokalisation – beides Merkmale, die dem Sozialpsychologen John Edwards zufolge zu den Hauptmerkmalen sprachlicher Minderheiten und auch von Sprachinseln gehören. Eben darin unterschieden sie sich beispielsweise von den jiddischsprachigen Schtetl-Kulturen in Polen, Russland oder der Ukraine, die in funktionaler Mehrsprachigkeit mit der sie umgebenden Mehrheitssprachgemeinschaft kommunizierten, dabei aber in recht genau abgetrennten Siedlungen nahezu vollständig von eben dieser Mehrheit umschlossen waren. Die Sprachinseln der deutsch-jüdischen Exilanten waren also vor allem auch Denkräume, die "eher in den Köpfen der Sprachinsulaner als in der Landschaft" existierten. Statt von Sprachinseln ließe sich hier also besser von "Sprachinselmentalitäten" reden.
Diese "imagined communities" scheinen viel unabhängiger von sozialen, kulturellen und geografischen Realitäten gewesen zu sein als gedacht. Abgetrennt von ihrem deutschen Vaterland, wo sie diskriminiert und verfolgt wurden, und von Zionisten und Hebraisten beschuldigt, den wahren jüdischen Glauben nicht annehmen zu wollen, hielten viele deutschsprachige Juden in Palästina an ihrer Muttersprache fest, die aufgrund des nationalsozialistischen Terrors massiv an Prestige eingebüßt hatte und auch deshalb von der Mehrheit des Jischuv abgelehnt oder sogar angefeindet wurde. Die deutschsprachigen Jeckes konnten sich nicht oder erst spät in den neuen Kultur- und Sprachraum in Israel und Palästina einfinden. Ihr kultureller Erinnerungsraum der Weimarer Republik existierte nach 1933 nicht mehr, ihr aus Quellen des 18. Jahrhunderts (Goethe, Schiller, Lessing etc.) gespeister humanistischer Bildungsraum hatte den Einbruch der nationalsozialistischen Barbarei nicht verhindern können. Verloren in und zwischen diesen Räumen, schufen sich viele deutschsprachige Jeckes Ersatzräume: Sprach- und Kulturinseln des Inneren.
Zusammenfassung
In dieser kurzen Zusammenschau über Ausprägungen von Inseln und Insularität wurde aufgezeigt, dass unsere Alltagsbilder von Inseln in der Literatur verarbeitet und wiederum durch diese literarisch-kulturelle Denkfiguren oder Topoi geprägt werden. Die Bilder, die wir uns von Inseln machen, sind wiederum an bestimmte Raumkonzepte gebunden, die die simple geografisch-territoriale Definition der Insel als vom Meer umschlossener Raum um soziale, kulturelle, politische und sprachliche Parameter erweitern. Sprachinseln wurden als Areale gekennzeichnet, in denen Minderheiten an einer bestimmten Sprache festhalten, während und obwohl diese Areale von Mehrheiten mit oft dominierenden Leitsprachen umschlossen sind. Phänomene der Sprachenpolitik und Sprachplanung spielen auch hier eine wichtige Rolle. Die Grenzen zwischen vorgestellten und realen Inselräumen sind jedoch oftmals fließend. So ließ sich am Fallbeispiel der nach Israel und Palästina ausgewanderten deutschsprachigen Juden aufzeigen, dass Sprachinseln oft Denkräume bilden, in denen sich wirkliche Begebenheiten mit Wunschvorstellungen mischen – seien diese nun nostalgischer oder utopischer Natur, vergangenheits- oder zukunftsorientiert.