Das Konzept der Insel nimmt in unserem Alltagsbewusstsein und in unserer Alltagssprache einen erstaunlich großen Platz ein, sei es in der spielerischen Frage, was man gerne auf eine einsame Insel mitnehmen würde, sei es im Ausdruck, "reif für die Insel" zu sein, womit ein Leiden an den Lebensumständen ausgedrückt wird und die Suche nach einer heilenden Kompensation dafür. Das Motiv ist Teil der kulturellen und literarischen Sozialisation. Als Beleg mag der berühmte Roman "Robinson Crusoe" (1719) von Daniel Defoe und die lange Reihe verwandter Robinsonaden gelten. Das Motiv ist jedoch bereits in der antiken Dichtung Homers zu finden und kann als Bestandteil der Weltliteratur angesehen werden.
Seit der Zeit der europäischen Expansion und der Begegnung mit Menschen anderer, "fremder" Kulturen verstärkt sich zudem das kulturkritische Motiv, den Zustand der "eigenen" Kultur (auch) aus der Perspektive des Fremden in Augenschein zu nehmen.
In dieser Skizze steht die Insel als kulturelle Metapher im Mittelpunkt. Sie steht dabei für das jeweils "Eigene", der Kontinent für das "Fremde", von außen Eindringende. Als Konzept betrachtet, stellt sie ein vielfältiges Verhaltensrepertoire für zwischenmenschliche Begegnungssituationen mit Menschen vom (metaphorischen) Kontinent bereit. "Insularisches Denken" ist dennoch widersprüchlich und ambivalent, weil es sich abgrenzt vom "kontinentalen Denken", aber gleichzeitig die kulturellen oder historischen Gemeinsamkeiten ebenso verleugnet wie Perioden des Austauschs und der Wechselwirkung mit dem Kontinent und dem kontinentalen Denken. Das Denkmuster der Insel – neben dem Prinzip der Abgrenzung geprägt von Dichotomisierungen, während das kontinentale Denken von der Suche nach Austausch und Dialog geprägt ist – soll im Folgenden mit Rückgriff auf literarische und essayistische Texte verdeutlicht werden. In einem weiteren Schritt geht es um eine Kritik an dem diesem Denken innewohnenden Kulturbegriff und seine auf kulturelle und soziologische Abgrenzung zielende Metaphorik.
Die Skizze ist deshalb xenologisch akzentuiert, denn sie thematisiert zentral die Frage nach dem Umgang mit dem "Fremden".
Geschlossene Gemeinschaft
Einen insularischen Denk- und Verhaltensstil illustriert ein kleiner Text von Franz Kafka, der den Titel "Gemeinschaft" trägt.
Die xenologische Lesart des Textes zeigt, dass es Kafka in diesem sehr kurzen Text prägnant gelingt, einige wichtige Elemente des extremen, ja radikalen insularischen Denkens aufzuzeigen: die Überzeugung, eine geschlossene Gemeinschaft zu bilden, die Verweigerung jeglicher Kommunikation mit den anderen sowie die Bereitschaft zu gewalttätiger Verteidigung des eigenen Bezirks. Gleichwohl bleibt der andere, dessen Unzugehörigkeit fortwährend behauptet wird, anwesend und wird gerade nicht dazu gebracht, auf Zugehörigkeit zu verzichten. Ganz offensichtlich wird er als Eindringling, als Feind angesehen. In jedem Fall ist er überflüssig, der Sechste, den die Gruppe der Fünf nicht aufnehmen will. Er ist, um es mit den Worten des Soziologen Georg Simmel aus dem "Exkurs über den Fremden" auszudrücken, ein "Supernumerarius", ein Überzähliger, und seine soziale Position liegt im "Dazwischen", zwischen Zu- oder Unzugehörigkeit.
Es verwundert nicht, dass Kafka keinerlei Problemlösungen andeutet, vielmehr nur Fragen provoziert: Wer ist dieser Fremde? Auf welchen Gemeinsamkeiten baut die Gemeinschaft der Fünf auf? Sind es Überzeugungen politischer oder religiöser Art, ethnische oder soziale Herkunft beziehungsweise Zugehörigkeit?
Wie eine solche Gemeinschaft zustande kommt, hat die Forschung, insbesondere zum Begriff der Nation, gezeigt: Alle Gruppenbildungsprozesse besitzen ihr zufolge den Charakter eine Konstruktion. Gruppen oder Gemeinschaften "erfinden" sich und machen diese Erfindungen in Narrativen zugänglich.
"Überfremdung" durch "Gäste"
Während im Text von Kafka die Grenze zu den Fremden ganz deutlich markiert wird, thematisiert Max Frisch in seinem Essay "Überfremdung" von 1965 die Reaktion der Landesbewohner auf die Ankunft von Fremden, die zum Zwecke der Arbeitsaufnahme angeworben worden waren.
Im Kontext der Analyse insularischen Denkens nimmt der Essay jedoch einen anderen Stellenwert ein. Im Unterschied zu Kafkas literarischem Szenarium einer schroffen Entgegensetzung des Eigenen und des Fremden geht Frisch von dem realen Umstand aus, dass die Fremden nur in ihrer Funktion als "Arbeitskräfte" willkommen geheißen wurden, nun aber "Menschen" gekommen seien und die Einheimischen sich durch das "andere" Verhalten der "Gastarbeiter" in ihrem nationalen und kulturellen Selbstverständnis bedroht fühlten.
Statt der Gemeinsamkeiten werden die Unterschiede überbetont, was zur schroffen Abgrenzung und dem Wunsch nach Begrenzung der "Überfremdung" durch Kontingentierung führt, um sich nicht "fremd im eigenen Land" zu fühlen. In dieser Figuration der Wahrnehmung des Fremden dominiert der Wunsch nach Kontrolle, nicht zuletzt auch, um das Eigenbild des für seine "Humanität und Toleranz" berühmten "kleinen Herrenvolkes" aufrecht zu erhalten. Max Frisch führt die Fremdenfeindlichkeit seiner Landsleute auf die Folgen der "geistigen Landesverteidigung" während des Zweiten Weltkriegs zurück, einer Haltung, die zur Besinnung auf die "schweizerischen Werte" aufrief. Dieses Selbstbild der eigenen Humanität und Toleranz verfestigte sich nach dem Krieg, anstatt nach überstandener Gefahr überprüft zu werden. Genau dieses Ziel verfolgt Frisch, der zu den ersten Schweizer Intellektuellen gehörte, die eine kritische Hinterfragung der Vergangenheit verlangten, um für neue Herausforderungen wie etwa Migrationsprozesse gerüstet zu sein.
Die Widersprüche in diesem Selbstbild umfassen mehrere Ebenen. Auf der einen Seite steht die funktionale Auffassung der Fremden als Arbeitskräfte, die vor allem nützlich für die Volkswirtschaft sind und zumindest als "Kostenfaktoren" berechenbar und kontrollierbar scheinen. Der Vorteil der ökonomischen Auffassung besteht in der Ausblendung aller kulturellen Faktoren. Auf der anderen Seite lässt sich Humanität und Toleranz als Faktor von "Weltoffenheit" gut mit der Auffassung der Fremden als "Gäste" in Verbindung bringen. Der Vorteil des Gastverhältnisses besteht darin, dass der Aufenthalt per se vom "Hausherrn" begrenzt, also nur von vorübergehender Dauer ist. Der Übergang von einer Willkommenskultur zu eine Abschiebekultur ist auf dieser Ebene fließend möglich.
Die Gastzuschreibung ist ein beliebtes Vorgehen von Inselbewohnern, die gerne unter sich bleiben, aber nicht fremdenfeindlich und zudem weltoffen erscheinen wollen. Dem Gast wird ein Extraraum, der "Transitraum" zugewiesen, er gehört nicht dazu und soll auch nicht dazugehören. Die Migrationsgeschichte zeigt, dass die Gastfunktion und das Gastrecht vor allem in nomadischen Gesellschaften einen wichtigen Zwischenbereich für den Umgang mit dem als bedrohlich empfundenen unbekannten Fremden erfüllte, aber keine Grundlage für seine dauerhafte Integration sein kann.
Frischs kritische Einwände halten den Schweizern ein Selbstbild vor, das an der Realität der schlechten Behandlung der Fremden scheitert. Sie werden ihren eigenen Ansprüchen bezüglich Humanität, Freiheit und Toleranz nicht gerecht. Im erweiterten Sinn stehen diese Einwände im Kontext der Thematisierung des Begriffs Heimat, da sich die Begriffe "Heimat" und "Gast" fast schon zwangsläufig gegenseitig ausschließen, und der Frage, inwieweit die Schweiz eine Heimat sein kann, und zwar auch für jene Neubürger.
Schiffsverkehr zwischen Insel und Kontinent
Folgt man dem Schweizer Schriftsteller Francesco Micieli, der die Debatten um die Schwarzenbach-Initiative miterlebte, ist diese Reparatur misslungen oder, positiv ausgedrückt, dauert an. Micieli, der als Kind mit seinen Eltern aus Italien in die Schweiz einwanderte, stellt fest, dass sich seit Frischs Diagnose nichts an der Ablehnung von Fremden in Teilen der Gesellschaft wirklich geändert hat.
Das Neuartige am Beispiel Micieli ist jedoch, dass die "Neubürger", die "fremden Einheimischen", die ehemaligen Migranten, sich selbst aktiv an der "Reparatur" beteiligen und so den Kulturdiskurs der einheimischen Gesellschaft um neue Perspektiven ergänzen. Es findet also ein Kulturaustausch statt, in dem die ausschließliche Konzentration auf die Innenansicht durch kulturelle Außenperspektiven aufgebrochen wird. Zwischen der "Insel" und dem "Kontinent" findet Schiffsverkehr statt. Das für die Inselbewohner Selbstverständliche und Fraglose wird in der kontinentalen Sichtweise ein Grund für Fragen und umgekehrt. Der Austausch widerspricht der Überzeugung, dass die Eigenkultur über ihr gesamtes Entwicklungspotenzial verfügt und sich die Kulturentwicklung aus sich heraus gestaltet.
Ein wesentliches Element des Aufbrechens insularischen Denkens besteht in der Überprüfung der in der eigenen Kultur existierenden Narrative, Überzeugungen und Wertesysteme, auch mit der Beteiligung der "neuen Bürger", mit der Außenwelt also, um einen Anschluss an das kontinentale Denken zu gewinnen. Für Max Frisch bedeutet das eine Auseinandersetzung mit dem schweizerischen Verständnis von Heimat und dem Nationalmythos, dem "Freiheitshelden" Wilhelm Tell,
Die Schweiz ist nur ein Beispiel. Vieles trifft auch auf Deutschland zu: So liegt auch hier ein wesentlicher Grund für eine Neuausrichtung nationaler Narrative in der Überprüfung des Geschichtsverständnisses. Verfolgt man den Diskurs nach 1945, wird man schnell bemerken, dass im Unterschied zur Schweiz kaum nur von einer "Reparatur" die Rede sein kann.
So plädiert Zafer Şenocak, deutscher Schriftsteller türkischer Herkunft, für eine "Reform des Deutschseins", womit er die Abkehr von einem Nationalgefühl meint, das auf ethnischer Abstammung beruht und sich über Abgrenzung beziehungsweise Exklusion reguliert. In einem Radioessay fragte er 2010: "Kann ein guter Deutscher wirklich nur sein, wer kein Türke mehr ist? Das polarisierende Denken löst eine Verkrampfung zwischen nationalen Identitäten aus. Eine Einwanderungsgesellschaft, die erfolgreich sein will, braucht aber ein entspanntes Verhältnis gegenüber den nationalen Identitäten."
Das Stichwort ist hier erneut die Negation der Einwanderungsgesellschaft. In dem über mehrere Jahre laufenden Projekt "Deutsche Zustände" des Soziologen und Erziehungswissenschaftlers Wilhelm Heitmeyer ist dies empirisch als "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" bestätigt worden.
Schlussfolgerung
Nachdem im Verlauf dieser Skizze verschiedene Figurationen insularischen Denkens diskutiert wurden, steht die Frage im Raum, worin die Attraktivität dieses Denkstils liegt. Offensichtlich ist sie so groß, dass er in unterschiedlicher Intensität in verschiedenen Kontexten immer wieder in Erscheinung tritt. Es spricht einiges dafür, dass die Insel das Bedürfnis nach einer Übersichtlichkeit von Lebensbezügen, eine Sicherheit des Gewohnten und Fraglosen sowie eine gewisse Einheitlichkeit des Denkens, Fühlens und Wahrnehmens zu befriedigen scheint, deren Vorteil auch darin besteht, mit anderen geteilt zu werden. Die Attraktivität und Verführungskraft liegt somit im enormen Potenzial der Vereinfachung des komplexen Begriffs "Kultur" auf ein räumliches Gebilde mit eindeutigen Grenzen. Einfache und leicht verständliche Antworten zur Frage von Zugehörigkeit und Unzugehörigkeit, also von Identität und Heimat, werden ermöglicht. Ihr bildhafter Ausdruck lässt kaum Fragen aufkommen.
Zur Ambivalenz der Insel-Metapher gehört die Ahnung, dass es eine Verbindung zum "Kontinent" gibt und eine extreme Isolation keine Perspektive auf die "Außenwelt" anbietet, außer der, dass es noch andere "Inseln" gibt. Das ist die Konstellation des extremen Kulturrelativismus, dem ein ebenso extremer Universalismus entgegengesetzt werden kann. Während die einen die Insel und ihre Grenzen hochhalten und durch Mauern befestigen, kennen die anderen keine Grenze und machen keinen Unterschied zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Beides sind Optionen, die den Wirklichkeitsverhältnissen nicht angemessen sind.
Angemessen sind vielmehr Denkstile, die diese Extremismen vermeiden. Die Entscheidung ist dann nicht die zwischen der Insel oder dem Kontinent, sondern vielmehr, wie Insel und Kontinent miteinander kommunizieren und kooperieren können, womit wieder an die eingangs zitierte Aussage von John Donne erinnert sei. Sie soll deshalb so interpretiert werden, dass es um das Bewusstsein von den impliziten Anschlussmöglichkeiten beider Denkstile geht. Konkret heißt das, dass es durchaus eine universale und allen Menschen gemeinsame "Kultur" gibt, die aber in spezifischer Art und Weise ausgelebt wird. Gemeinsamkeit und Unterschiedlichkeit sind dann keine sich ausschließenden Elemente, sondern signalisieren vor allem eine andere kulturelle Praxis.