Einleitung
Ubiquitous computing, so heißt es, sei die Vision einer unsichtbaren, allgegenwärtigen und umfassend vernetzten Computerwelt.
Um von vornherein Missverständnisse zu vermeiden: Natürlich ist es interessant, dass es winzige smarte Labels gibt, die drahtlos Daten austauschen können. Abgesehen von einigen Sinn-Inseln der Anwendung jedoch, z.B. im medizinischen Bereich oder bei der Unternehmenslogistik, überrascht eine Durchsicht der Forschungsliteratur durch die Vagheit der angebotenen Visionen. Vorsichtig könnte man fragen, warum es gleich die ganze Welt sein muss, wenn erkennbar gute Ideen eher rar gesät sind?
Für eine konstruktive Debatte wäre zu überlegen, ob die Abwesenheit tragfähiger Zukunftsentwürfe nicht auch als Ausdruck eines Problems interpretiert werden könnte. Denkbar wäre etwa, dass die Vision einer total vernetzten Welt von Erwartungen motiviert ist, die nicht vereinbar sind mit dem modernen zweckrationalen Nutzenkalkül. Für eine solche These würden Metaphern und Bilder sprechen, die in den Forschungsprojekten wie semantische Fremdkörper auftauchen: Zauberei, Intuition oder eben auch Allgegenwart und Unsichtbarkeit. Solche Bruchstücke sind problematisch, weil sie dazu führen können, dass das technische Vorhaben nicht in der ursprünglich oder eigentlich gewünschten Weise realisiert wird. Zu bedenken wäre etwa, dass - anders als bei Zauberei - aus moderner Technik nichts herauskommt, was vorher nicht in sie hineingelegt wurde. Stark vereinfacht gesagt: Smart gelabelten Socken entspringen zunächst weder die versprochenen neuen Lebensqualitäten noch die prognostizierten Freiheitsgrade. Wird Technik solchermaßen zum Fetisch stilisiert, sind Enttäuschungen programmiert.
Wie könnte das Leben in einer Welt smarter Alltagsdinge aussehen? Das wird nicht zuletzt von dem Projekt abhängen, das sich am Schluss durchsetzt, und davon, wie dabei Inhalt und Form der Vernetzung und der vernetzten Dinge gestaltet werden. Form und Inhalt aber nehmen bereits Gestalt an, während wir heute darüber reden. Diesem Reden über ubiquitous computing, seinen Metaphern und impliziten Visionen werden die weiteren Ausführungen nachgehen.
Die leitenden Fragen sind sehr einfach: Was ist das für ein Projekt? Was kann man über technische Entwürfe sagen, welche die komplette Vernetzung der Welt planen? Nicht die Dinge selbst also stehen zur Disposition und schon gar nicht ihre Zukunft, sondern wie und was heute über sie geredet wird.
Die Vision: Allgegenwart und Unsichtbarkeit
Das Konzept des ubiquitous computing sieht vor, kleinste Computerprozessoren und mikroelektronische Sensoren in jeden Alltagsgegenstand zu integrieren. Bemerkenswert ist, dass für diesen Vorgang die Begriffe "Allgegenwart" und "Unsichtbarkeit" verwendet werden: Den Wunsch nach Allgegenwart haben westliche Kulturen bislang vorzugsweise in der Gestalt Gottes formuliert; der Wunsch nach Unsichtbarkeit technischer Funktionsweisen hingegen ist ein alter Trick magisch-artistischer Praktiken. Was aber haben metaphysisches Denken und magische Vorstellungen in computerwissenschaftlichen Technikvisionen verloren?
Totalität und technische Ganzheit
Die Vision eines Lebens in einer Welt smarter Alltagsdinge besteht aus zwei Seiten. Die Vorderseite sieht eine ganz neue Verbindung zwischen Mensch und Umwelt, realer und virtueller Welt vor: Die Umwelt wird smart, unterstützt uns auf ganz neue Art und Weise, indem sie uns überall und jederzeit mit relevanten Informationen versorgt. Weder ist jedoch klar, was mit smart tatsächlich gemeint ist, noch, worin die Relevanz der vielen Informationen bestehen könnte. Deutlich jedoch ist, dass diese Smartness überall herrschen und dafür sorgen soll, dass ein irgendwie intuitives Einverständnis und Verstehen zwischen dem Einzelnen und den Dingen der Umwelt herrscht. Die Frage ist jedoch, ob man mit der Implementierung einer vollautomatisch funktionierenden Umwelt tatsächlich beziehungsreiche Formen schaffen kann, die es einem ermöglichen, ein Leben in lebendigen Zusammenhängen zu führen. Bislang klingt die Lösung, dazu alle Dinge irgendwie smart zu machen und mit einer globalen intuitiv reagierenden Datenhülle zu vernetzen, nicht überzeugend. Auch ist nicht zu sehen, inwiefern der Wunsch, "überall" und "jederzeit" "mit allen Dingen" kommunizieren zu können, auf eine so häufig angekündigte Verbesserung der Lebensqualität hinauslaufen sollte.
Die Komponente Qualität ist in dieser Gleichung noch gar nicht enthalten. Überspitzt gesagt: Man liest von Goldhamstern, die nicht mehr verloren gehen, Tiefkühlpizzen, die ihre Garzeit der Mikrowelle mitteilen, und Teddybären, die für die abwesenden Eltern das Leben der Kleinen filmen. Warum das die komplette Verschmelzung der Welt mit einem digitalen Code erfordert, erscheint ebensowenig plausibel wie der Vorschlag, dass vernachlässigte Haustiere, Tiefkühlkost oder abwesende Eltern nachhaltig etwas mit verbesserter Lebensqualität zu tun haben könnten. Nichtsdestoweniger scheint man bereits in den Startlöchern zu stehen, um eine Welle der Anpassung um den Globus rollen zu lassen. Es ist damit zu rechnen, dass im Zuge eines solchen Technisierungsschubs "ganzheitlich" mit "einheitlich" verwechselt wird. Denn damit die kleinen Chips auch alle und überall ihre Daten untereinander austauschen können, muss eine flächendeckende Topographie des Digitalen entwickelt werden. Ein ganzheitlicher, "intuitiver" Zusammenhang mit der Umwelt jedoch oder gar eine Verbesserung der Lebensqualität geht damit weder einher noch läuft es darauf hinaus. Die Welt ist hinterher lediglich umfassend genormt und elektronisch standardisiert.
Mit dieser Normung und Standardisierung aller Lebensbereiche ist die Kehrseite der Vorstellung einer Allgegenwart von Computern verbunden: Die Welt wird zu einem gigantischen transhumanen, selbstreproduktiven System, das von Einzelwillen wie -körpern unabhängig funktioniert. Im Prinzip tut das jedes technische System,
Verschwinden und unsichtbarer Zusammenhang als Effekt der Magie
In vielen Passagen über ubiquitous computing-Anwendungen wird versprochen, dass die neue Technik uns nachhaltig verzaubern werde. Die neuen Möglichkeiten werden beschrieben in einer Rhetorik des Magischen. So heißt es, dass der Nutzer den Eindruck haben werde, die Gegenstände selbst könnten ihm Informationen zufunken. Man liest, dass die Dinge "neugierig" seien, sich "Sorgen" machten, vor allem aber, dass sie nichts anderes anstrebten, als immerzu zu Diensten zu sein.
Der entscheidende Punkt dieser historischen Parallele für die Debatte liegt darin, die Hintergründe solcher Selbstverortungen zu erkunden und dabei nicht voreilig Konventionen zu erliegen, beispielsweise dem modernen gesellschaftlichen Verständnis einer Unvereinbarkeit von Technik und Magie. Diese Unvereinbarkeit ist jedoch keinem unveränderlichen Merkmal der Technik geschuldet, sondern Ergebnis historischer Entwicklungen.
Jahrtausendelang galt technisches Erzeugen wesentlich als magische Operation. Der Techniker wurde als jemand gedacht, der um die Geheimnisse der Natur weiß und sie zu manipulieren versteht. Technische und magische Praktiken galten als zwei gleichberechtigte Seiten der Naturbeeinflussung.
Im Zuge der Industrialisierung und einer sich formierenden säkularen, wissenschaftlichen Zivilisation wurde der Zusammenhang von technischen und magischen Praktiken als zwei Seiten der Naturbeeinflussung endgültig aufgelöst. Verbindungen von Magie und Technik nahmen zum einen den Weg in die industriell geprägte Unterhaltungs- und Zerstreuungskultur, zum anderen begann man sich fortschrittlich an "Wundern der Technik" zu berauschen. Diese neuen Technikwunder aber sind in das wissenschaftlich-ökonomische Weltbild der Moderne eingeschlossen. In ihnen ist kein Platz mehr für den Techniker als bewundertem Magus. Der Techniker wird nurmehr eingestellt als Personal, um das technisch Machbare zu bearbeiten.
Die Beziehungen zwischen Technik und Gesellschaft unterliegen einem historischen Wandel. Unser Technikverständnis ist veränderbar. Dies ist deshalb wichtig zu betonen, weil man so die Referenz der ubiquitous computing-Autoren auf magische Praktiken nicht als technikfremde Verfehlung lesen muss. Wenn etwas auch anders sein könnte, kann man das, was von der derzeitigen Norm abweicht, anders bewerten. Es ist dann nicht notwendig falsch, sondern vielleicht nur falsch ausgedrückt. Man kann es auf Alternativen befragen und das Neue in ihm suchen.
Vor diesem Hintergrund könnte man das Experiment wagen, den Rekurs auf Wunder und Magie in ubiquitous computing-Papieren als Signal eines Dissenses aufzufassen, als eine Absage an etablierte Zweck-Mittel-Rahmungen, die derzeit für Technikentwicklungen vorgesehen sind. Für ein solches Experiment spräche die nicht einmal bahnbrechende Erkenntnis, dass Zweck-Mittel-Dispositive die Phantasie nicht unbedingt beflügeln. So könnte es sich als durchaus produktiv erweisen, die magischen Versatzstücke in ubiquitous computing-Visionen beim Wort zu nehmen und sich auf das intellektuelle Abenteuer einer modernen Verbindung von Technik und Magie einzulassen. Ein Gedankenexperiment zu modernen Allianzen von Technik und Magie könnte auf ganz neue Zugänge zum ubiquitous computing-Projekt stoßen. Neue Ideen zum Performativ-Wirkkräftigen der neuen Computermedien könnten dabei entstehen, vielleicht wären dem Netz der Netze auch epistemologische Qualitäten abzugewinnen oder neue Formen von Teilnahme und Kooperation.
Selbst wenn sich am Schluss herausstellen sollte, dass die Ideenwelt der Magie ein Holzweg war, wird die Dynamik des einmal freigesetzten Denkens sich kaum wieder einfangen lassen. Zumindest wäre dies ein Weg, es furchtlos mit jener monströsen Welt aufzunehmen, die in ubiquitous computing lediglich eine weitere universale Sprache des Geldes sieht. Jeder von der neuen Technik inspirierte Gestalter oder Konstrukteur sollte daher Gelegenheit haben, alle Register seiner Vorstellungskraft zu ziehen. Es ist in keiner Weise einsichtig, warum es gerade für die Entwicklung der avanciertesten Techniken ungewöhnlich sein sollte, in Zusammenhängen zu denken oder den Wunsch zu haben, etwas wirklich Atemberaubendes hervorzubringen.
Zu welchem Ende?
Die eingangs gestellte Frage bleibt unbeantwortet: Zu welchem Ende betreiben wir diesen Aufwand eigentlich? Aus den Berichten geht hervor, dass es um Arbeits- und Zeitersparnis geht, um eine bequeme Welt mit mehr Lebensqualität. Ist damit ein modernes Paradies gemeint, in dem uns alle Wünsche von den Augen abgelesen werden, damit wir vergnügliche Symbiosen von Sinn und Sinnlichkeit erfinden können? Das aber wäre ein altes Projekt: die Befreiung des Menschen von aller Mühsal und allem Naturzwang und seine Entlassung in die Utopie des Homo ludens.
Ob man mit dieser Utopie gut beraten ist? Solange die Gesellschaft so wenig für den Spieler aus Fleisch und Blut übrig hat, ist dies zu bezweifeln. Zwar ist die Abwesenheit des Vergnüglichen und Spielerischen aus dem modernen Technikdiskurs kein Erfordernis der Technik selbst, doch ist die Reduzierung des Technikbegriffes auf Nutzen und Effizienz nach wie vor ein Stützpfeiler der westlichen Vorstellungswelt. Technische Szenarien, die danach trachteten, das Vergnügliche und Berückende zu fördern, müssten überhaupt erst neu erfinden, was in einem anspruchsvollen Sinn unter Vergnügen zu verstehen sei. Keine technische Disziplin muss sich allerdings davon abhalten lassen. Es steht ihr frei, im Spiel eine Verbindung zu der ihr eigenen Ästhetik zu suchen.