Politische Legitimation in der Mediengesellschaft
Politik als Schauspiel und als inszeniertes Politspektakel - dieser Generalverdacht wird nicht nur an deutschen Stammtischen laut. Die Frage, wie eine angemessene politische Kommunikation aussehen sollte, ist ein altes Thema wissenschaftlicher und politischer Reflexion.
Dabei geht es nicht um die demokratische Selbstverständlichkeit, dass Politik zustimmungsabhängig und deshalb begründungspflichtig ist, Kommunikation und Demokratie demnach zwei Seiten einer Medaille sind. Entscheidender ist, wie sich das parlamentarische Regierungssystem unter den Bedingungen einer dauernden medialen Fremd- und Selbstbeobachtung verändert, welche Anpassungsleistungen an den Medienbetrieb es erbringt und welche Folgen es zeitigt, wenn eine Demokratie unter Kommunikationsstress steht.
Öffentlichkeit und Demokratie
In der Demokratie stellt Macht keine dauerhafte Größe dar. Sie gründet vielmehr auf Meinungen und bedarf der steten kommunikativen Erneuerung. Karl W. Deutsch hat in seiner "Politischen Kybernetik" die Überlebensfähigkeit politischer Systeme an ihre Kommunikations- und Lernfähigkeit geknüpft. Deshalb sind Demokratien historisch betrachtet anderen politischen Systemen überlegen: Sie lassen Öffentlichkeit als kritische Instanz zu und stellen so das gesellschaftliche und politische System unter permanenten Lernzwang. Nur mit einer funktionierenden Öffentlichkeit sind politische Systeme korrekturfähig.
Wie andere demokratische Ordnungen erkennt auch das Grundgesetz weder ein Wahrheitsmonopol noch einen homogenen Volkswillen an. Deshalb muss der Vorgang der politischen Willensbildung "prinzipiell in das Licht der Öffentlichkeit"
Der Glaube an eine "lineare Legitimationshierarchie" hoheitlicher Institutionen ist längst erschüttert.
Aus verfassungsrechtlicher und demokratietheoretischer Sicht mag dieser Anspruch als selbstverständliche Voraussetzung für die "Rationalisierung des politischen Prozesses" erscheinen.
Die Medien: Medium, Faktor und Akteur
Bereits im ersten Fernsehurteil 1961 sprach das Bundesverfassungsgericht davon, dass die Medien nicht nur "Medium" seien, also Forum und Plattform unterschiedlicher Meinungen und Interessen, sondern auch ein "eminenter 'Faktor' der öffentlichen Meinungsbildung".
Die Politik kann diese Entwicklungen nicht völlig ignorieren. Denn Politik und Medien brauchen sich wechselseitig. Sie stehen sich nicht im Sinne einer Gewaltenteilung (die Medien als "vierte Gewalt") gegenüber, so sehr sich diese Vorstellung festgesetzt und als normatives Regulativ nach wie vor Berechtigung hat. Ebenso wenig lässt sich von einseitiger Abhängigkeit bzw. Instrumentalisierung sprechen. Kennzeichnend für das Beziehungsgeflecht ist eine Art Symbiose, ein Tauschverhältnis. Politik braucht Publizität, verfügt kaum über eigene Kommunikationsmittel und bedient sich der Massenmedien als Plattform. Zugleich sind diese für die Politik unverzichtbar zur Selbstbeobachtung und zur Beobachtung der gesellschaftlichen Umwelt. Die Medien ihrerseits suchen die Nähe zur Politik, weil sie an exklusiven und kontinuierlich fließenden Informationen interessiert sind.
Wenn die Einschätzung zutrifft, dass sich Politik aufgrund dieser Entwicklungen - auch und zunehmend - an den Funktionsmechanismen des Medienbetriebs orientiert, dann stellt sich die Frage nach den Folgen eines möglichen politisch-medialen Verdrängungswettbewerbs. Führt der vermeintliche Zwang zur "Darstellungspolitik" zur Verdrängung unpopulärer "Entscheidungspolitik"?
Enttäuschungsanfälligkeit und Kommunikationsabhängigkeit
Für die auf Zustimmung angewiesenen politischen Akteure steigen die Anforderungen an Vermittlungskompetenz auch deshalb, weil sich die Organisationsbindungen im Zuge gesellschaftlicher Modernisierung gelockert haben.
Das muss nicht unbedingt ein Verlust für die Demokratie sein. Ebenso wenig rechtfertigt der verstärkte Kommunikationsdruck jedoch die bedingungslose Unterwerfung politischen Handelns unter die Medienlogik oder gar schieren Populismus. Gleichwohl wird politischer Erfolg in der Mediengesellschaft - auch und nicht zuletzt - auf der "Galerie", also von den "Laien" des Medienpublikums, entschieden und nicht allein in den politisch-institutionellen "Arenen".
Die Parteiendemokratiein der Mediengesellschaft
Parlamentarische Regierungssysteme sind Parteiendemokratien. Die politische Steuerung des parlamentarischen Betriebs folgt deshalb "nicht der Logik von juristisch abgegrenzten Institutionen-Kooperationen", sondern letztlich "einer parteipolitischen Logik".
Angesichts der diagnostizierten Legitimationskrise erscheinen Parteien in Deutschland wie ein "anachronistisches Wunder"
Lange Zeit bestimmte die Kritik an der Überdehnung des Parteienstaates und dem Wandel vom grundgesetzlichen Mitwirkungs- zu einem politischen Allzuständigkeitsanspruch die Diskussion.
"Drinnen" und "draußen": Unterschiedliche Organisations- und Kommunikationswelten
Das Medienbild von Parteien ist organisationsblind und prominenzlastig. Auf wenige Spitzenakteure vor allem der Bundesebene beschränkt, bleibt die komplexe Organisationswirklichkeit der politischen Großbetriebe, wie sie Volksparteien darstellen, in der Regel ausgeblendet. Mehr als alle anderen Politikvermittlungsagenturen sind die Parteien aber - in der Gesellschaft verankert und zugleich in die staatliche Ebene wirkend - Zwitterwesen mit zwei unterschiedlichen Organisations- und Kommunikationswelten. In der "duale(n) Kommunikationslogik"
In beiden Kommunikationssphären kommen die Medien in unterschiedlicher Weise ins Spiel. Auf der Ebene der Ortsvereine ist massenmediale Kommunikation, sieht man von lokalen Medien ab, von nachgeordneter Bedeutung. Hier gilt es, "die primären gesinnungsexpressiven und sozialintegrativen Kommunikationsbedürfnisse der freiwilligen Mitglieder"
Parteien im Kommunikationsspagat
Die neuen Anforderungen an die "Parteien in der Mediendemokratie"
So ist das Modell einer "Netzwerkpartei" auf die Kommunikationskompetenz eines professionellen Kerns gerichtet, der politisch mobilisiert, "Allianzen auf Zeit" und "lose verkoppelte Interessengemeinschaften" schmiedet.
Allerdings: Auch im Medienzeitalter sind Parteien keine "Event-Agenturen"
Das Parlament: nur ein medienattraktives Staatsnotariat?
Im parlamentarischen Regierungssystem gilt gemeinhin das Parlament als wichtigster Ort demokratischer Legitimation. Ihm kommt eine Schlüsselfunktion als Institution der Willensbildung und Entscheidungsfindung zu. Es sollte die "zentrale politische Kommunikationsagentur"
Nicht zu übersehen ist ein Bedeutungsrückgang des Parlaments. Dieser ist nicht allein mediengesellschaftlichen Entwicklungen geschuldet. Der politisch-institutionelle Ansehensverlust
Neben der Gouvernementalisierung und Professionalisierung der Parlamentsarbeit wird die Auswanderung der Politik in - mehr oder weniger prominent besetzte und schon deshalb öffentlich stark beachtete - extrakonstitutionelle Gremien, Kreise und Kommissionen beklagt. Mag mit der Entinstitutionalisierung der Politik ein Effizienzgewinn verbunden sein, so verstärkt dies doch den Eindruck zunehmender Intransparenz. Es verschleiert politische Verantwortlichkeiten und degradiert das Parlament zur politischen Nebenbühne.
Parlamentarische Arenen: zwischen Bühne und Entscheidungszentrum
Umso schwerer wiegt die Sorge, dass die "einheits- und identitätsstiftende Funktion des Parlaments"
Aber nicht alles im parlamentarischen Betrieb hat Nachrichtenwert. Auch hier ist zwischen "Arbeits-, Durchsetzungs- und Darstellungskommunikation"
Die Klage über die eingeschränkte, medienvermittelte Parlamentswirklichkeit ist nicht neu.
Das Plenum als Bühne, Staatsnotariat oder Diskursraum?
So plausibel die Diagnose vom negativen Erscheinungsbild des Bundestages ist, wichtiger erscheint die Frage, mit welchen Nebenwirkungen eine Therapie verbunden ist, die letztlich auf die Steigerung der Publikums- bzw. Medienattraktivität des Parlaments zielt. Verbindet sich damit nicht zwangsläufig ein Parlamentarismusverständnis, wonach die Abgeordneten mehr unabhängige Anwälte als abhängige Delegierte einer Partei sind?
Es kann nicht um die Rückkehr zum Honoratiorenparlament gehen, sondern nur um eine attraktivere Debattenkultur. Diese Impulse sind umso ernster zu nehmen, wenn sie mit parlaments-, wahl- und parteienrechtlichen Überlegungen verbunden werden. Dies beträfe etwa die Frage, wie die Stellung der Abgeordneten auch durch neue Regeln in der Geschäftsordnung von Gesamtparlament und Fraktionen sowie durch eine bessere Beteiligung von Parteimitgliedern und Wählern bei der Rekrutierung von Kandidaten gestärkt werden kann. Verfassungsrechtlich gesprochen, liefen diese Bemühungen auf eine Neujustierung des im Grundgesetz (Art. 21 GG) angelegten Verhältnisses zwischen Abgeordnetenfreiheit und Parteienstaatlichkeit hinaus - ein Verhältnis, das sich in der Praxis des Bundestages einseitig in Richtung Parteienparlamentarismus verschoben hat.
Die Steigerung vordergründiger Medienattraktivität allein wird dem Parlament keinen Legitimitätsgewinn verschaffen, sondern nur ein neu austariertes Verhältnis "zwischen professioneller, ordnungs- wie geschäftsmäßiger Aufgabenerledigung und - für ein erfolgreiches Parlament ebenso professioneller - Offenheit und Kreativität"
Medialisierung des Regierungsstils
Regieren heißt in allen liberalen Demokratien Handeln unter den Bedingungen wachsender Unsicherheit. Autoritative Entscheidungen werden im Zuge verstärkter partizipatorischer Ansprüche weniger akzeptiert. Parteienprofile werden undeutlicher und damit auch politische Vertretungsansprüche heterogener. Die zunehmende Komplexität der Probleme erfordert die Einbeziehung von institutionellen und fachlichen Autoritäten. Nicht zuletzt schafft die Entgrenzung des Politischen nationale und internationale Verflechtungen, die den Kooperations- und Koordinationsbedarf ständig erhöhen. So gesehen ist Regieren in den vergangenen fünf Jahrzehnten auch in Deutschland "anspruchsvoller, komplizierter und zeitaufwändiger"
Die populäre Charakterisierung des deutschen Regierungssystems als "Kanzlerdemokratie"
Der Wechsel von der Dauerkanzlerschaft Helmut Kohls zu Gerhard Schröder wurde vielfach als eine Art "Systemwechsel" wahrgenommen.
Das "System Kohl": Nicht nur parteiendemokratische Kommunikations- und Loyalitätsgeflechte
Dass der Langzeitkanzler Helmut Kohl (CDU), der nicht über die Attribute eines Medienstars verfügte und zum Ende seiner Amtszeit dennoch zum politisch-medialen Antistar wurde, zugleich eine gewisse Medienresistenz leistete und sich medialen Anpassungszwängen entzog, sollte über eines nicht hinwegtäuschen: Auch das "System Kohl" verfügte über ein hoch entwickeltes Instrumentarium zur Beobachtung und Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Allerdings kam die Rolle des Regierungschefs allein mit der zunehmenden Amtsdauer auch medial mehr zur Geltung. Das neutralisierte den wachsenden medialen Druck, sich aktiv als politischer Kommunikator in den Medien behaupten zu müssen.
Ein noch wichtigerer Schutz gegen die Anpassung an mediengesellschaftliche Zwänge war die parteiendemokratische Verankerung als Regierungschef und langjähriger Parteivorsitzender. Denn das "System Kohl" fand seine Legitimationsbasis in den traditionellen Institutionen, Mechanismen und in den persönlichen Loyalitäten der alten Parteiendemokratie. Dieses über Jahrzehnte vor allem durch informelle Kommunikation gepflegte, "geradezu osmotische Verhältnis"
Das "System Schröder": Nicht nur mediendemokratische Akklamation
Zunächst schien es, dass mit Gerhard Schröder auch in Deutschland Medienpräsenz und Fernsehkompetenz bestimmendes Merkmal des Regierens würden, ein Wechsel also von der "Kanzlerdemokratie" zur "Teledemokratie"
Der "Trend, immer mehr Themen zumindest zeitweilig aus dem allgemeinen Verfahren zu ziehen (Runde Tische, Gipfel, Kamingespräche)"
Präsidialisierung der Regierung: Stil und Substanz
Auch unter medialen Stressbedingungen folgt Regieren nicht einer eindimensionalen Kommunikationslogik. Die Kompetenzausstattung des Bundeskanzlers, die Rahmenbedingungen des Amtes und die Anforderungen des modernen Medienbetriebes begünstigen aber "Tendenzen zu einem präsidialen Regierungsstil".
Unverkennbar ist jedenfalls eine Gewichtsverschiebung in der demokratischen Regierungsweise. Neigungen der exekutiven Spitze, den "Weg zum Volk" direkt über die Medien zu suchen und sich durch Akklamation eine quasiplebiszitäre Legitimation zu verschaffen, werden von der Mediengesellschaft begünstigt. Ein zunehmend medien- und demoskopiefixierter Regierungsstil reduziert institutionelle Abhängigkeiten (von Regierung, Partei, Fraktion), macht aber umso abhängiger von politisch-medialen Stimmungen.
Die liberale Demokratie im Medienzeitalter
Zwei übergreifende, für die Demokratieentwicklung relevante Tendenzen verdienen Beachtung.
Das Auseinanderdriften politischer Kommunikationswelten: Es verfestigt sich der Eindruck einer Spaltung der politisch-medialen Wirklichkeit. Die beiden Kommunikationswelten "Darstellungs-" und "Entscheidungspolitik" driften auseinander. Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit verselbständigt sich gegenüber dem politischen Entscheidungshandeln. Die Wechselwirkungen zwischen "Darstellungspolitik" und "Entscheidungspolitik" liegen wissenschaftlich bisher weithin im Dunkeln. Es spricht einiges dafür, dass es einen gegen Inszenierung resistenten Kern des Politischen gibt und ein öffentliches Interesse an Authentizität, Originalität und Unangepasstheit angesichts verbreiteter politisch-medialer Stromlinienförmigkeit.
Ob ein Mehr an Medienpräsenz zu einer erhöhten Rationalität und Transparenz des politischen Prozesses beiträgt, hängt nicht zuletzt von der Qualität des politischen Kommunikationsangebots, von der Professionalität des Journalismus und den Qualitätsansprüchen der Bürger ab. Jedenfalls steigen mit der Ausweitung einer Kommunikation, die Bürger nicht auf Distanz halten will, sondern einbezieht, die politischen Entscheidungskosten.
Die Plebiszitarisierung der Politik: In Politikdarstellung und -wahrnehmung sind Tendenzen einer Plebiszitarisierung unverkennbar. Politik inszeniert sich als medienöffentlicher Dialog zwischen der Politikprominenz und dem Publikum. Und die Massenmedien geben - in Verbindung mit der Demoskopie - die Bühne ab, die der Politik die Beobachtung eines vermeintlichen Volkswillen erlaubt. Dabei scheint eine gewisse Abneigung gegen das Institutionelle in der Politik die medienpräsente Politprominenz und die Bürger als Medienpublikum zu verbinden.
Verdrängt die Legitimation des Augenblicks institutionelles Vertrauen? Dies wäre nicht nur verhängnisvoll, weil eine medienfixierte Stimmungsdemokratie anfällig ist für kollektiven Irrtum. Es wäre auch folgenreich für die liberale Demokratie. Denn die freiheitliche Verfassung setzt nicht auf "identitäre Kurzschlüsse"