Einleitung
Als "Führung im Konsens" charakterisierte Frank Walter Steinmeier, Chef des Bundeskanzleramtes, den Regierungsstil der rot-grünen Koalition. Mit Hilfe von auf Zeit eingerichteten Kommissionen und Räten werde "Konsenssuche" zu "einem dynamischen Prozess, in dessen Verlauf man traditionelle Blockaden überwindet". Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) pflichtete ihm bei: Die Kommissionen seien der richtige Weg, um einen breiteren gesellschaftlichen Konsens und eine gleichmäßige Lastenverteilung zu erreichen; zudem werde so "hoch spezialisierter Sachverstand" für den politischen Entscheidungsprozess mobilisiert. Kritiker hingegen monierten, dass die zahlreichen von der Regierung Schröder einberufenen Kommissionen und Konsensrunden zu einer Entmachtung des Parlaments führten und den Regierungsprozess undurchschaubar machten. So warnte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, "die Verlagerung wesentlicher Teile staatlicher Politik in verschiedene Formen einer Kooperation mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verbänden" könne zu einer Gefahr für das parlamentarische Regierungssystem der Bundesrepublik werden.
Auch wenn die intensive öffentliche Debatte über die Gefahr einer "Entparlamentarisierung" einen anderen Eindruck erweckt, sind von der Regierung initiierte Kommissionen und Konsensrunden kein neues Phänomen. Dabei lassen sich nach den konstitutionellen Rahmenbedingungen ihrer Entstehung und dem Kreis der Beteiligten drei Formen unterscheiden:
1) Unter den Begriff pluralistischer Korporatismus werden die Konsensrunden gefasst, in denen der Staat/die Regierung in Verhandlungen mit Interessenverbänden tritt. In der Verfassung sind solche Runden nicht vorgesehen, die Verhandlungen finden im Wesentlichen informell statt. Ihre Einrichtung beruht auf der Überlegung, im Konsens mit den beteiligten Verbänden bessere Lösungen zu erreichen als im Wege einseitiger Politikgestaltung. Jüngere Beispiele sind das Bündnis für Arbeit, die Gespräche der Bundesregierung mit den Vertretern der Energiewirtschaft, die zum "Atomkonsens" führten, sowie die Vereinbarung mit den Spitzenverbänden der Privatwirtschaft über Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen.
2) Die zweite Form, Kommissionen, die von der Regierung einberufen werden und denen vorrangig Wissenschaftler angehören, sind zunächst Instrumente der Politikberatung. Mit ihrer Hilfe soll externer Sachverstand für die Regierung nutzbar gemacht werden. Wie die aktuellen Beispiele der Zuwanderungskommission, der Rürup-Kommission(en) sowie der Hartz-Kommission zur Arbeitsmarktreform zeigen, handelt es sich in vielen Fällen jedoch nicht um reine Expertenkommissionen; vielmehr sind an den Gremien auch Interessengruppen sowie gesellschaftliche Vereinigungen wie die Kirchen beteiligt. Es ist zu fragen, welche Wirkungen diese Kommissionen über ihre Beratungsfunktion hinaus auf den Entscheidungsprozess in Regierung und Parlament entfalten.
3) Von diesen beiden Formen sind Konsensgespräche zwischen den Koalitionsparteien im Bund und der größten Oppositionspartei zu unterscheiden. Hierbei handelt es sich in den meisten Fällen um Folgen der "konstitutionellen Politikverflechtung", welche die Regierung im Bund in ihrer Möglichkeit begrenzt, mit eigener Mehrheit Gesetze zu verabschieden. Dies gilt für Verfassungsänderungen sowie für zustimmungspflichtige Gesetze immer dann, wenn in beiden Kammern unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse herrschen. Informelle Verhandlungen, wie die im Juli 2003 geführten Konsensgespräche zur Gesundheitsreform, werden hier dem formellen Gesetzgebungsverfahren vorgeschaltet. Diese Art von Konsensgesprächen zwischen den Parteien soll hier nicht weiter analysiert werden, da die Ausgangslage für ihre Einsetzung eine andere ist als bei den zuvor genannten Formen, die prinzipiell von einer Regierung freiwillig gewählt werden. Hier gilt: "Die Alternative zu Verhandlungen ist die Nichtentscheidung."
Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie
Die Entscheidungsvorbereitung durch Expertenkommissionen und in korporatistischen Konsensrunden wird als Teil einer allgemeinen Tendenz zur Informalisierung und Entparlamentarisierung kritisiert. Die verfassungsrechtliche Kritik knüpft daran an, dass das förmliche Rechtssetzungsverfahren in einem Ausmaß inhaltlich im Voraus festgelegt wird, dass "der Form das materielle Substrat entzogen ist, weil die politischen Weichenstellungen bereits früher und außerhalb des Parlaments erfolgt sind". Dadurch werden demokratische Grundprinzipien berührt, die in der repräsentativen parlamentarischen Demokratie ihren Ort wesentlich im Parlament finden: politische Verantwortung, Transparenz und Öffentlichkeit sowie politische Beteiligung.
Politische Verantwortung
Repräsentative Demokratie basiert darauf, dass mittels Wahl auf Zeit Verantwortung übertragen wird. Die Möglichkeit, den Inhaber eines öffentlichen Amtes für seine politischen Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen, besteht im Wesentlichen bei der nächsten Wahl. Voraussetzung dafür ist, dass die Entscheidungen zurechenbar sind. In dem Maße, wie eine wachsende Zahl von informellen Gremien an ihnen beteiligt ist, wird dies erschwert.
In diesem Zusammenhang erweist sich die faktische Bindungswirkung von Konsensverhandlungen mit Verbänden in besonderer Weise als problematisch, da "das Parlament in die Rolle der 'Ratifikationsinstanz' gedrängt wird, die [(...)] nur mit 'Ja' oder 'Nein' antworten kann, weil andernfalls das mühsam erzielte Verhandlungsergebnis auseinanderbrechen würde". Dies bedeutet, dass die Abgeordneten Verantwortung für eine politische Entscheidung übernehmen, auf die sie keinen oder nur minimalen Einfluss hatten. Dem steht entgegen, dass das formale Letztenscheidungsrecht des Parlaments eine rechtliche Hürde darstellt, die ihrerseits Vorwirkungen auf den informellen Verhandlungsprozess entfaltet. Wie weit die Entmachtung des Parlaments gehen kann, ist dann eine Frage des Entscheidungsprozesses innerhalb der Fraktionen der regierenden Mehrheit, deren Zustimmung erforderlich ist. Hier sind beide Möglichkeiten denkbar: eine Einbindung in den Verhandlungsprozess zumindest durch einzelne Vertreter oder ein weitgehender Ausschluss aus den Verhandlungen, der jedoch stets die Gefahr birgt, die Folgebereitschaft der Fraktion mittelfristig zu gefährden. Auch für den Fall der Beteiligung von Fraktionsexperten sind negative Auswirkungen zu beobachten, da diese zur Hierarchisierung innerhalb der Fraktionen beiträgt. Schwieriger stellt sich die Lage für den Fall dar, dass die Regierung in Absprache mit privaten Interessen beschließt, nicht tätig zu werden. Eine Gesetzesinitiative der Mehrheitsfraktionen gegen den Willen der Regierung ist sehr viel schwerer vorstellbar und ein deutliches Signal des Misstrauens.
Auch die Kommissionen erweisen sich im Hinblick auf die politische Verantwortung als problematisch. Expertenwissen kann dazu führen, dass politische Verantwortung nicht übernommen, sondern an scheinbar "objektiv" urteilende Experten delegiert wird. Angesichts des in den Ministerien und durch zahlreiche Gutachten ohnehin verfügbaren Expertenwissens ist nicht von der Hand zu weisen, dass das "Ziel der Kommissionen [(...)] gerade nicht die Gewinnung von Expertise (ist), da die notwendigen Daten ebenso wie vielfältige Konzepte längst vorliegen und bekannt sind. Ihre wesentliche Funktion besteht vielmehr darin, die Durchsetzungschancen zu erhöhen". Kündigt die Regierung an, die Empfehlungen von Expertenkommissionen - wie bei den Plänen zur Reform der Bundesanstalt für Arbeit - "1:1" umzusetzen, so ist dies ein Versuch, sich von der Last der eigenen Entscheidung und deren Begründung zu befreien.
Politische Verantwortung wird durch die Kommissionen und Expertenrunden insofern nicht aufgehoben, als die Federführung bei der Regierung bleibt und das Letztentscheidungsrecht des Parlaments besteht. Die "verfassungsrechtliche Vermutung der Autorschaft und Verantwortlichkeit" liegt bei den demokratisch legitimierten Verfassungsorganen. Dennoch droht die Bedeutung des Parlaments relativiert zu werden: In dem Maße, wie das Parlament auf die Rolle der Ratifikationsinstanz reduziert wird, wird es auch als Ort der öffentlichen Debatte über Politik, als "Forum der öffentlichen Rechtfertigung und Kritik der unterschiedlichen Standpunkte", entwertet. Gründet sich eine Entscheidung auf den Konsens zwischen Regierungsmehrheit und Opposition oder ist sie mit dem Mythos der Objektivität des Expertenrats versehen, so droht die strittige Diskussion über das politisch Gewünschte und damit der Kerngehalt demokratischer Politik verloren zu gehen. Dies entzieht auch dem Wettbewerb um die Wählerstimmen den Boden und lässt Wahlen an Bedeutung verlieren.
Gemeinwohl und Interesse
Ein weiterer Strang der Kritik setzt an der Frage der Beteiligung an. Konsensrunden und Sachverständigenkommissionen gefährden die demokratischen Prinzipien "der Interessenvermittlung zwischen Regierten und Regierenden sowie der politischen Gleichheit". Die Interessengruppen, die an den Verhandlungen beteiligt werden, erhalten eine zweifache Partizipationschance: als Wahlbürger sowie als Betroffene bei bestimmten Entscheidungen. Die Auswahl der zu berücksichtigenden Interessengruppen steht stets unter dem demokratietheoretischen Vorbehalt, dass Interessen nicht in gleicher Weise organisations- und durchsetzungsfähig sind, es somit durch die Verhandlungen zu einer Bevorzugung bestimmter Interessen kommen kann. Besonders problematisch wird eine Einigung zwischen Staat und privaten Interessen dann, wenn sie zu Lasten Dritter erfolgt.
Die Auswahl der Beteiligten an Expertenkommissionen sowie Konsensrunden gerät aus einem zweiten Grund in die Kritik. Abgeordnete und Regierungsmitglieder unterliegen einer Gemeinwohlverpflichtung; sie sind an die Interessen der Wählerschaft und deren grundsätzliche Zustimmung gebunden. Die Repräsentanten der Verbände hingegen sind nur dem partikularen Interesse ihrer Organisation verpflichtet. Es stellt sich die Frage nach der Rückbindung der Interessen der Verbände und der Experten mit ihrem Fachwissen an die Vorstellungen der Wählerschaft. Eine enge Verbindung zur Wählerschaft und eine Gemeinwohlorientierung kann allerdings aus empirischer politikwissenschaftlicher Sicht auch für Abgeordnete und Minister nicht ohne weiteres durchgehend bestätigt werden. Angesichts der faktisch starken parteipolitischen Bindung kann man zu dem Schluss kommen, dass Argumenten, "die sich auf kooperative Politik beziehen, [(...)] die Vermutung einer höheren Verallgemeinerbarkeit" zukommt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein Teil der Kritik die Bindungswirkung des Expertenrates überschätzt und zugleich unterschätzt, in welchem Maße eine Regierung auf die sie tragende Mehrheit im Parlament bereits während des (außerparlamentarischen) Verhandlungsprozesses Rücksicht nehmen muss. Dennoch sind negative Auswirkungen korporatistischer Konsensrunden und Expertenkommissionen auf die demokratische Legitimation politischer Entscheidungen festzustellen: Sie verschärfen das Problem ungleicher politischer Beteiligungschancen. Zudem steht Konsens als vorherrschender Einigungsmodus in einem Spannungsverhältnis zum Prinzip des Wettbewerbs der Parteien. Expertenkommissionen können zur Verwischung politischer Verantwortung beitragen, wenn ihr Rat von der Regierung als verbindliche Vorgabe angesehen und vorgestellt wird.
Diese Kritik konzentriert sich im Wesentlichen auf einen Teilaspekt von Legitimität, nämlich die "Anerkennungswürdigkeit und tatsächliche Anerkennung, die aus authentischer Beteiligung und Willensbildung erwachsen". Zudem basiert die Ablehnung eines Regierungsstils, der auf Konsens setzt, auf einer bestimmten Vorstellung des Regierens. Im Zentrum steht dabei der Gedanke, dass auch in einer Demokratie eine "größere Gemeinschaft ohne Führung nicht auskommen kann". Diese setzt "ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit" der Regierung voraus. Die Entscheidungen sollen in einem "öffentlichen parlamentarischen Verfahren" getroffen werden, die Handlungsfähigkeit der Politik zeigt sich in ihrer Fähigkeit, "zielorientiert verbindliche Entscheidungen durchzusetzen".
Wiedergewinnung staatlicher Handlungsfähigkeit
Die Fähigkeit des Staates, einseitig Maßnahmen zur Erreichung politischer Ziele durchzusetzen, wird seit der Diskussion über die "Unregierbarkeit" in den siebziger Jahren immer wieder bezweifelt. Als Reaktion auf den Verlust nationalstaatlicher Handlungsspielräume, der durch die zunehmende ökonomische Vernetzung und Europäisierung begünstigt wird, hat sich das Regieren gewandelt hin zu einem komplexen Prozess des Aushandelns, an dem verschiedene gesellschaftliche Interessen beteiligt werden. Dies kann so weit gehen, dass von staatlicher Seite auch dort auf Zwangsmittel verzichtet wird, wo deren Einsatz rechtlich möglich wäre. Die Einbeziehung der Betroffenen soll die Effektivität und Effizienz staatlichen Handelns steigern, indem Inhaber von Vetopotenzial durch frühzeitige Einbindung von der Ausübung eines "destruktiven Vetos" abgehalten werden. Ob dies gelingt, hängt jedoch von der Art des zu lösenden Problems, den Interessen der Beteiligten sowie den institutionellen Rahmenbedingungen ab.
Konsensrunden, in denen die Regierung in direkte Verhandlungen mit Interessenvertretern tritt (wie beim Atomkonsens) oder als beteiligter Dritter Verhandlungen zwischen verschiedenen privaten Interessen führt (wie beim Bündnis für Arbeit), machen sich das Eigeninteresse der privaten Akteure zunutze, um in den Verhandlungen eine Lösung zu erreichen, die für alle Beteiligten besser ist als eine Nichteinigung. Die Neigung der Interessenvertreter, einem Kompromiss zuzustimmen, wird dabei durch den "Schatten der Hierarchie" befördert, d.h. die Drohung des Staates mit nicht ausgehandelten Maßnahmen.
So fanden die Verhandlungen, die zum Atomkonsens führten, "im Schatten" einer möglichen einseitigen Änderung des Atomgesetzes entsprechend dem Ausstiegsziel der rot-grünen Bundesregierung statt. Der Vorteil des konsensualen Vorgehens lag für den Bund darin, dass er auf diese Weise keine kostspieligen und zeitraubenden Schadensersatzklagen der Energiekonzerne befürchten musste. Allerdings musste er dafür in Kauf nehmen, die Realisierung des politischen Ziels zeitlich erheblich nach hinten zu verschieben.
Angesichts der einflussreichen Wirkung des "Schattens der Hierarchie" wird fraglich, inwieweit korporatistische Verhandlungsrunden tatsächlich geeignet sind, den staatlichen Handlungsspielraum zu erweitern. Fehlen staatliche Handlungsmöglichkeiten, so verringert sich auch die Einigungsbereitschaft der verhandelnden privaten Akteure. Ein im Hinblick auf eine Einigung positiver Effekt kann sich dennoch daraus ergeben, dass Kommunikationsbeziehungen über einen längeren Zeitraum beiallen Beteiligten die Kooperationsneigung erhöhen. Die Gefahr, dass sich in Verhandlungen tendenziell die einflussreichen Interessen durchsetzen und die Einigung jeweils nur im kleinsten gemeinsamen Nenner besteht, bleibt jedoch bestehen. Tritt die Regierung als Verhandlungspartner auf, so muss sie gewährleisten können, dass die von ihr zugesagten Entscheidungen auch entsprechend dem vereinbarten Kompromiss ausfallen. Eine Erfolgsbedingung der Konsensrunden ist daher, dass das Parlament schnell und widerspruchslos ratifiziert.
Auch die Kommissionen verfolgen das Ziel, die Effektivität und Effizienz von Entscheidungen zu verbessern. Wenn ihr Beitrag über das klassische Regieren hinausgehen soll, müssen sie mehr leisten, als - im Zweifel auch auf andere Weise erwerbbares - Wissen zu beschaffen. Von Vorteil sind Kommissionen als Teil einer bewussten Strategie der Veränderung der Verhandlungssituation, welche die Inhaber von Blockademöglichkeiten davon abhalten soll, diese zu nutzen. Sie sollen "Unabhängigkeit und Überparteilichkeit vermitteln", um so Widerstand und Konflikte zu verringern. Adressaten sind hier nicht nur die gesellschaftlichen Interessen, sondern auch diejenigen, die am regulären Gesetzgebungsprozess beteiligt sind. Die Empfehlungen einer Kommission können jedoch nur dann ihre konfliktmindernde Bindungswirkung entfalten, wenn diese weitgehend einheitlich erfolgen. Diese Voraussetzung ist angesichts der Komplexität vieler Probleme und der Ausdifferenzierung der Wissenschaften immer seltener gegeben.
Der wesentliche Gewinn von Konsensrunden und Kommissionen liegt in der Vermeidung von Konflikten und der Beschleunigung von Entscheidungsprozessen. Wenn Kommissionen und Konsensrunden Effektivität und Effizienz steigernde Wirkung entfalten, stärken sie die Output-Legitimität demokratischer Systeme, die neben der bereits diskutierten Input-Legitimation - der Qualität demokratischer Verfahren - ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Legitimität ist: "Die Output-Perspektive betont die sachliche Qualität der Politik und die Effektivität der Orientierung auf das Gemeinwohl, die erst die Opfer rechtfertigen kann, die kollektives Handeln von den Einzelnen fordert." Maßgebliches Kriterium zur Beurteilung von Verhandlungen ist, ob "für alle Beteiligten gemeinsam - das bestmögliche Ergebnis erreicht wurde".
Verbreiterung politischer Beteiligung
Die Fähigkeit von Regierungen, den Entscheidungsprozess wesentlich einseitig zu gestalten, wobei die demokratische Legitimation aus der Wahl der Repräsentanten erwächst, gerät auch dadurch an Grenzen, dass politische Entscheidungen nicht mehr ohne weiteres auf Akzeptanz stoßen und Bürger mehr Teilhabe einfordern. Die Erweiterung des Kreises der Beteiligten an der Politikformulierung soll die Akzeptanz für eine Entscheidung verbreitern und so das notwendige Maß an gesellschaftlichem Konsens und Integration gewährleisten, das in ausdifferenzierten Gesellschaften durch die Parteien nicht mehr in ausreichender Weise gesichert sei. Durch die Verhandlungen zwischen verschiedenen Interessen und die Notwendigkeit des Ausgleichs steige die Chance, dass die "Gemeinwohl-Dienlichkeit der Ergebnisse" höher ist, als sie es im Fall einer politischen Entscheidung allein im Rahmen der parlamentarischen Institutionen gewesen wäre.
Überlegungen zur deliberativen Demokratie gehen generell von der (anspruchsvollen) Annahme aus, dass "Angelegenheiten, die in der Bürgergesellschaft entscheidungsnah vorbesprochen sind, nicht nur besser akzeptiert werden, sondern auch besser und nachhaltiger sind". Verständigung und Konsensfindung wird allerdings wahrscheinlicher, wenn der Kreis der Beteiligten klein ist und die Verhandlungen ohne Beteiligung der Öffentlichkeit stattfinden. Die Ziele der Verbreiterung der Beteiligungschancen durch eine Ausweitung des Teilnehmerkreises und die Stärkung der Konsensorientierung durch Kommunikation stehen daher in einem Spannungsverhältnis.
Korporatistische Konsensrunden bringen nur sehr begrenzt eine Verbreiterung der Beteiligung, da in der Regel nur ein begrenzter Kreis einflussreicher, etablierter Interessenorganisationen in die Verhandlungen einbezogen wird. Da das Ziel der Konsensrunden die Überwindung von Blockadepotenzial ist, entscheidet "Tauschmacht - die Fähigkeit für die Kooperationspartner relevante Leistungen anbieten oder mit deren Verweigerung drohen zu können" - darüber, ob eine Gruppe in die Verhandlungen einbezogen wird. Breitere Akzeptanz finden die dort getroffenen (Vor-)Entscheidungen in erster Linie bei den beteiligten Akteuren.
Bei den von der Regierung einberufenen Expertenkommissionen ist eine breitere Repräsentanz verschiedener Interessen festzustellen. Dabei beschränkt sich die Beteiligung jedoch auch hier auf einen engen Kreis direkt oder mittelbar betroffener, etablierter und gut organisierter Verbände; so waren zum Beispiel Migrantenorganisationen in der Zuwanderungskommission nicht repräsentiert. Im Fall der Wehrstrukturkommission dominierten weniger organisierte Interessen als vielmehr Wissenschaftler aus dem Bereich der Sicherheits- und Friedensforschung sowie einzelne bekannte Persönlichkeiten. Auch bei der Auswahl der Experten lässt sich die Tendenz feststellen, dass nur ein kleiner Kreis von Personen regelmäßig an solchen Prozessen beteiligt ist.
Ob Verständigung in der breiten Öffentlichkeit einen größeren Stellenwert erhält, ist von der Art des Konflikts abhängig und insbesondere dann fraglich, wenn es sich um stark parteipolitisch aufgeladene Konflikte handelt. Insofern konnte auch die Zuwanderungskommission vermutlich nur in geringem Maße dazu beitragen, bei einem größeren Teil der Bevölkerung Akzeptanz für dieses Thema zu schaffen. Die Beteiligung der Opposition durch einzelne, nicht von ihr benannte Vertreter konnte nicht verhindern, dass das Thema stark parteipolitisch polarisiert blieb. Die Wirkung von Expertendiskussionen auf die Akzeptanz politischer Entscheidungen bleibt angesichts des gesellschaftlichen Wertepluralismus fraglich. Weder bieten sie den Bürgern direkte Partizipationsmöglichkeiten noch können sie angesichts des begrenzten Teilnehmerkreises ohne weiteres eine höhere Repräsentativität der vertretenen Interessen für sich in Anspruch nehmen, als dies im gewählten Parlament der Fall ist.
Fazit
Die Kritik im ersten Teil hat gezeigt, dass die Auswanderung politischer (Vor-)Entscheidungen in Konsensrunden und Expertenkommissionen wesentliche Grundprinzipien parlamentarischer Demokratie in Frage stellt. Allein das Letztentscheidungsrecht des Parlaments trägt durch seine Vorwirkung auf die außerparlamentarischen Verhandlungsprozesse dazu bei, ein Mindestmaß an politischer Verantwortung, öffentlicher Diskussion, Gleichheit der Partizipation und Interessenberücksichtigung zu verbürgen.
Dem stehen zumindest für die Konsensrunden Vorteile im Hinblick auf den Handlungsspielraum entgegen. Der Vorzug der korporatistischen Konsensrunden liegt im Wesentlichen in ihrer Eignung zur Überwindung von Blockadepotenzial; dies impliziert jedoch, dass das Parlament sich auf seine Rolle als Ratifikationsinstanz reduzieren lässt. Hier gilt: "Kooperative Politik kann ein Effizienzgewinn sein, sie ist kein Demokratiegewinn." Für die Kommissionen ist der Gewinn an Effizienz nicht unmittelbar ersichtlich; ihr Vorzug kann vielmehr darin liegen, durch eine Verbreiterung der Beteiligung und einen vielseitigen Austausch ein Mehr an Alternativen und einen breiteren Konsens zu erreichen. Dabei geraten sie jedoch in besonderer Weise in Konkurrenz zum demokratisch gewählten Parlament. Gerade wenn es um grundlegende Fragen geht, bei denen die öffentliche Debatte und die Rückbindung an die Bürger von besonderer Bedeutung sind, ist zweifelhaft, welchen Vorzug eine von der Regierung einberufene Kommission gegenüber den zur Verfügung stehenden Beratungs- und Entscheidungsforen des Parlamentes haben kann.
Die Einberufung des Nationalen Ethikrats durch Kanzler Schröder parallel zur bereits existierenden Enquete-Kommission des Bundestages ist ein Beispiel für eine Entparlamentarisierung, der kein entsprechender Vorteil gegenübersteht. Zugleich zeigt es, dass das Parlament auch Möglichkeiten hat, sich seiner Entmachtung entgegenzustellen. Der Bundestag hat durch die Herstellung von Öffentlichkeit und die Diskussion von Alternativen die Initiative von der Regierung zurückgewonnen und einen wesentlichen Beitrag zur Formulierung einer Regelung geleistet, die Akzeptanz findet.
Nach Wilhelm Hennis bezeichnet Regieren das "Geschäft der Lenkung, der Führung und Koordination eines Gemeinwesens". Die Auswanderung der Politik aus den Verfassungsinstitutionen ist ein Hinweis darauf, dass der dritte Teil der Trias, die Koordination, zunehmend an die erste Stelle rückt. Auch diese ist jedoch darauf angewiesen, dass politische Verantwortung übernommen wird und Richtungsentscheidungen getroffen werden.