Einleitung
Mit der Ausdehnung der sozialen Rechte von Frauen in westlichen Gesellschaften haben sich seit dem 19. Jahrhundert einschneidende Veränderungen bezüglich der weiblichen Erwerbsbeteiligung ergeben. Angesichts der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit und lauter werdender Forderungen nach einem Umbau des Wohlfahrtsstaates stellt sich heute jedoch die Frage nach der Zukunft der Arbeit. Wie wird sich bei zunehmender Individualisierung und Pluralisierung der Lebensformen zukünftig die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern entwickeln? So zeigen etwa Studien, dass in den Ländern, in denen eine hohe Integration von Frauen in das Erwerbssystem gelungen ist, die Geburtenrate höher ist. Hier schließt sich die Frage an, wie das Erwerbsverhalten von Frauen und die länderspezifischen Betreuungsangebote für Kinder und/oder pflegebedürftige Angehörige zusammenhängen. Die Unterschiede zwischen einzelnen Ländern wurden zunächst vor allem mit den nationalen Gesetzen und Regelungen im Bereich der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Fiskalpolitik erklärt.
Zwei in dieser Hinsicht stark differierende Länder sind Deutschland und Finnland, insbesondere was die Erwerbsquote und die Arbeitszeitstrukturen von Frauen betrifft. Die geschlechtsspezifische Strukturierung des Arbeitsmarktes lässt überdies Aussagen darüber zu, welche Tätigkeiten über den Arbeitsmarkt vermittelt oder als "typische Frauenarbeit" in den unbezahlten privaten Bereich verbannt werden.
Der Text soll zunächst einen Überblick über die Erwerbsstrukturen von Frauen und Männern in beiden Ländern geben. Dabei lassen sich Unterschiede bei der geschlechtsspezifischen Verteilung der bezahlten sowie der unbezahlten Arbeit feststellen. Als wesentliche Ursache werden in der soziologischen Forschung neben der Politik des Wohlfahrtstaates auch die soziokulturellen Leitbilder genannt;
Tätigkeitsmuster von Frauen und Männern
Unverkennbar haben sich die Erwerbsmuster von Frauen in Europa seit den sechziger Jahren gewandelt. Seit dieser Zeit ist die Zahl registrierter Beschäftigungsverhältnisse kontinuierlich gestiegen. Ulrich Beck spricht in diesem Zusammenhang von einem "Modernisierungsschub".
Bezüglich der Arbeitszeitstrukturen zeigen die statistischen Daten, dass sich in Deutschland der Anteil teilzeitbeschäftigter Frauen von 25 Prozent zu Beginn der siebziger Jahre auf nahezu 33 Prozent im Jahre 1999 erhöht hat. In Finnland hingegen spielt Teilzeitarbeit von Frauen nur eine marginale Rolle. Dort stieg ihr Anteil nur geringfügig von 10 Prozent Ende der siebziger auf 13 Prozent Ende der neunziger Jahre.
Warum nehmen Frauen in Deutschland eine Teilzeitbeschäftigung auf? Denkbar wäre, dass diese Arbeitsform insbesondere beim Eintritt ins Erwerbsleben oder an dessen Ende gewählt wird.
Zur Beurteilung der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt sind quantitative Analysen nur begrenzt aussagekräftig. Daneben gilt es auch zu fragen, in welchen Berufen und Positionen Männer und Frauen beschäftigt sind. Unter diesem Aspekt lassen sich für beide Länder Gemeinsamkeiten finden. Obwohl die Arbeitsmarktintegration von Frauen in Finnland besser gelungen ist als in Deutschland, unterscheiden sich ihre Berufsfelder in beiden Ländern nur marginal. Hier wie dort dominieren Frauen in den sozialen Dienstleistungsberufen und sind meist im öffentlichen Sektor beschäftigt, während Männer überwiegend in sonstigen Dienstleistungsberufen in der Privatwirtschaft und in Industrieberufen arbeiten.
Die Veränderungsprozesse bei der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt hatten auch Auswirkungen auf das Verhältnis von bezahlter zu unbezahlter Arbeit. Eine jüngst erschienene europäische Vergleichsstudie kann die Sonderrolle Finnlands im europäischen Kontext untermauern. Die Untersuchung ergab, dass finnische Frauen insgesamt weniger Zeit mit unbezahlter Haus- und Sorgearbeit verbringen. Diese wird in höherem Maße über staatliche Angebote abgedeckt als in anderen Ländern, wo sie unbezahlt - als Hausarbeit - erledigt wird.
Daneben bestätigen Zeitbudget-Studien, dass auch die Tätigkeiten in beiden Ländern in traditioneller Weise zwischen Männern und Frauen aufgeteilt werden: Frauen sind hauptverantwortlich für die täglich anfallenden Erledigungen wie z.B. das Kochen, Saubermachen, Einkaufen und die Kinderbetreuung. Handwerkliche Arbeiten wie beispielsweise kleinere Autoreparaturen und das Instandhalten der Wohnung bzw. des Hauses liegen hingegen eher im Zuständigkeitsbereich der Männer.
Ursachen der unterschiedlichen Erwerbsintegration von Frauen und Männern
Für die länderspezifische Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt kann eine Reihe von Gründen angeführt werden. So üben beispielsweise politische Ideologien, die ökonomische Entwicklung, religiöse Ideen und Vorstellungen, aber auch kulturelle Traditionen Einfluss aus. Für die beiden Vergleichsländer sind zwei eng miteinander verbundene Ursachen zu nennen: Zum einen unterstützt die wohlfahrtsstaatliche Politik geschlechtsspezifische Erwerbsmuster, zum anderen beeinflussen soziokulturelle Leitbilder und Ideale in der Gesellschaft die individuelle Entscheidung über eine Beteiligung am Arbeitsmarkt.
Die Rolle der Sozial- und Fiskalpolitik
Der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei richtete sich der Fokus zunehmend auf die Rolle der wohlfahrtsstaatlichen Politik bei der Integration beider Geschlechter in das Erwerbssystem.
Auch die Versorgung mit Betreuungseinrichtungen für pflegebedürftige Angehörige ist in Deutschland ungenügend. Die Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1996 sollte auch einen Anreiz schaffen, die Betreuung alter Menschen der Familie zu übertragen. Studien zeigen, dass die meisten Betreuungs- und Pflegebedürftigen nach wie vor in der Familie versorgt werden, mehrheitlich von Ehefrauen, Töchtern oder Schwiegertöchtern.
Auch die staatliche Finanzpolitik trägt dazu bei, das männliche "Ernährer"-Modell festzuschreiben. Das so genannte Ehegattensplitting gilt als finanzieller Anreiz für Frauen, die Rolle der Hausfrau und unbezahlten Betreuerin zu übernehmen, die bestenfalls noch Geld hinzuverdient.
Auch im Alter wirken sich Berufsunterbrechungen negativ aus. Das deutsche Rentenversicherungssystem ist eng gekoppelt an das Erwerbssystem. Somit entscheidet die Teilhabe am Arbeitsmarkt über die finanzielle Ausstattung im Rentenalter: Nur das Familienmitglied mit einem kontinuierlichen, möglichst lebenslangen Erwerbsverlauf kann auf eine adäquate Altersversorgung hoffen. In diesem Zusammenhang ist auch der kontinuierliche Anstieg der Scheidungsrate in den vergangenen Dekaden zu erwähnen, der auf die zunehmende Individualisierung zurückzuführen ist. Frauen sind so in Deutschland lediglich "einen Ehemann weit von der Armut entfernt", da Trennung und Scheidung die soziale und ökonomische Verwundbarkeit von allein erziehenden Frauen enthüllen.
Die finnische Sozialpolitik gründet auf einem anderen Geschlechterkonzept. Männer und Frauen beteiligen sich hier gleichermaßen am Arbeitsmarkt. Obwohl dieser auch in Finnland nach Berufen und Positionen stark segregiert ist und nicht von Chancengleichheit gesprochen werden kann, sind beide Geschlechter vollständig in den Arbeitsmarkt integriert. Für Familien mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen wird dies möglich durch staatliche Betreuungseinrichtungen, die Frauen zugleich Arbeitsplätze bieten.
Zudem werden verheiratete Frauen im finnischen Steuer- und Sozialversicherungssystem als Individuen behandelt, nicht als Teil eines Paares wie in Deutschland. Es gibt eine Einheitsrente, die so genannte Volksrente, und zusätzlich eine Erwerbsrente. Die Volksrente soll allen Rentnerinnen und Rentnern ein angemessenes Mindesteinkommen garantieren. Die Erwerbsrente, die erst seit diesem Jahr obligatorisch ist, berechnet sich anhand der Dauer der Beschäftigung oder Selbstständigkeit sowie des erzielten Einkommens. Bei der Erwerbsrente kommt es allerdings zu einer Benachteiligung von Frauen, da sie im Durchschnitt weniger verdienen als Männer.
Trotz der Vorzüge des finnischen Systems kritisieren skandinavische Forscherinnen die nordische Wohlfahrtsstaatspolitik, da sie die Frauen in eine doppelte Abhängigkeit führe. Frauen seien zum einen vom Staat als Arbeitgeber abhängig. Zum anderen ist der Staat die Institution, die Betreuungseinrichtungen zur Verfügung stellt, damit Frauen Vollzeit arbeiten können.
Zusammengefasst kann festgehalten werden: Die sozialpolitischen Rahmenbedingungen führen in Finnland zu einer Unabhängigkeit der Frauen vom Ehemann bzw. Lebenspartner. In Deutschland erzeugen sie dagegen in stärkerem Maße eine Abhängigkeit von einem männlichen Ernährer - jedenfalls für die Frauen, die unbezahlt häusliche Reproduktions- und Betreuungsarbeit leisten. Darüber hinaus kann eine lückenhafte Erwerbskarriere zu einer lebenslangen ökonomischen Instabilität führen, da z.B. im Falle einer Scheidung die Diskontinuität der Berufstätigkeit und die damit verbundenen Nachteile im weiteren Erwerbsverlauf kaum mehr ausgeglichen werden können. Um die unterschiedliche Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt in europäischen Industrieländern zu erklären, können die sozialstaatlichen Rahmenbedingungen allerdings nicht isoliert von anderen, sich teilweise ergänzenden und/oder gegenseitig bedingenden Faktoren betrachtet werden. Länderspezifisch differierende kulturelle Normen fließen in politische Entscheidungen und Vorgaben mit ein, es entstehen also Interdependenzen zwischen der Geschlechternorm, der ökonomischen und politischen Entwicklung und der wohlfahrtsstaatlichen Politik eines Landes. In einem kurzen Rückblick auf die Industrialisierungsphasen der beiden Vergleichsländer Finnland und Deutschland wird die Veränderung kultureller Normen und Leitbilder betrachtet.
Die gesellschaftliche Prägung kultureller Leitbilder
Vor der Industrialisierung wiesen beide Länder eine weitgehend agrarische Gesellschaftsstruktur auf. Obwohl auch in der Vormoderne eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bestand und Frauen nicht im Besitz sämtlicher Bürgerrechte waren, wird das damalige Geschlechtermodell in der Literatur als nahezu gleichberechtigt und die Tätigkeit von Männern und Frauen als gleichwertig beschrieben.
In Finnland vollzog sich der Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft in den späten sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts und damit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr spät. Aber die finnische Industriegesellschaft entwickelte sich sehr rasch, und parallel dazu entstand der Wohlfahrtsstaat. Die partnerähnlichen Strukturen der Geschlechtsbeziehungen in der Agrargesellschaft sowie der rasche Übergang zur Industriegesellschaft scheinen eine Erklärung für den Konsens in der finnischen Gesellschaft zu sein, beide Geschlechter vollständig in den Erwerbsarbeitsmarkt zu integrieren. Begünstigt wurde dies durch die rasche, nahezu zeitgleiche Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft.
In Deutschland begann der Prozess der Industrialisierung nahezu 100 Jahre früher, aber er dauerte erheblich länger und war von anderen gesellschaftlichen Entwicklungen begleitet. Mit der Industrialisierung entstand die neue Klasse der Bourgeoisie. Die Frauen aus dem Bürgertum waren nicht in den Arbeitsmarkt integriert. Da sie nicht mehr wie früher einem großen Haushalt vorstanden, der in der vormodernen, agrarisch orientierten Gesellschaft ihr Machtbereich gewesen war, begann sich ein neues kulturelles Leitbild zu entwickeln. Ausgehend von der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung wurden nun Frauen und Männern auch unterschiedliche Kompetenzen in verschiedenen Lebenssphären zugeschrieben: den Männern in der öffentlichen Sphäre, den Frauen im privaten Bereich. Es wurden naturgegebene polare "Geschlechtscharaktere" propagiert: Die Frau wurde als passiv, emotional und nachgiebig, der Mann als aktiv und rational eingestuft. Daher seien Frauen für die personenbezogenen Sorge- und Betreuungstätigkeiten in der Familie, Männer für sachbezogene, produktive Tätigkeiten in Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft prädestiniert. Mit dieser Entwicklung verfestigte sich das so genannte männliche Ernährer-Modell: Männer sollten fortan das Familieneinkommen durch bezahlte Arbeit garantieren, während Frauen für die private Reproduktionsarbeit verantwortlich waren. Das kulturelle Frauenleitbild in Deutschland war seitdem das der verheirateten, ökonomisch abhängigen Hausfrau.
Seit den späten sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat diese soziokulturelle Norm eine Modernisierung erfahren: Mütter, die in einer Partnerschaft mit einem männlichen Ernährer leben, scheiden wegen der Kinder häufig einige Jahre aus dem Erwerbsleben aus und arbeiten danach in Teilzeit. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Zu nennen sind hier vor allem der bereits erwähnte "Modernisierungsschub" seit dem Ende der sechziger Jahre und seine sozialpolitischen Begleiterscheinungen wie die Bildungsexpansion; diese billigte nun nicht mehr nur den männlichen Gesellschaftsmitgliedern ein Studium und/oder gute Ausbildungsmöglichkeiten zu, sondern gewährte zunehmend auch Frauen Zugang zu höherer Bildung. Nicht zu vernachlässigen ist auch die so genannte Neue Frauenbewegung: Sie führte dazu, dass Frauen die ihnen zugedachte Rolle als Hausfrau und Mutter zunehmend hinterfragten und sich gegen diese gesellschaftlichen Zuweisungen auflehnten. Während noch im Jahr 1957 die traditionelle Arbeitsteilung vom Gesetzgeber zur Norm erklärt worden war - der Mann als "Ernährer", die Frau als "Herz der Familie" - wurde dieses Leitbild 1977 durch das Prinzip der Wahlfreiheit ersetzt, wonach Ehepartner die Aufgaben in Beruf und Familie nach eigener Absprache aufteilen können.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Deutschland und Finnland aufgrund ihrer historischen, ökonomischen und kulturellen Entwicklung heute unterschiedliche Geschlechtermodelle aufweisen. In Deutschland ist das männliche Ernährer-Modell mit einer in Teilzeit tätigen Mutter, die überdies vorwiegend die Haus- und Sorgearbeit übernimmt, bis heute vorherrschend. Dagegen existiert in Finnland das Doppel-Ernährer-Modell, das durch die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von staatlichen Betreuungseinrichtungen für Kinder und Pflegebedürftige ermöglicht wird.
Zukunft der Arbeit unter den Bedingungen einer geschlechtergerechten Arbeitsbeteiligung
Bis heute sind deutliche Interdependenzen zwischen gesellschaftlichen Leitbildern und der jeweiligen sozialstaatlichen Politik und anderen Bereichen wie Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik festzustellen. Das zeigt sich in Deutschland unter anderem darin, dass Schlagworte wie "neue Mütterlichkeit", "Familiensolidarität" oder Aufrufe zu unbezahlter, sozialer Arbeit für das Gemeinwohl meist dann aktuell werden, wenn die Rückbesinnung der Frauen auf die private Lebenssphäre gefördert und so der Arbeitsmarkt entlastet werden soll. Es ist daher kaum überraschend, wenn diese Anregungen in Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit wieder zu einem gesellschafts- und arbeitsmarktpolitisch relevanten Thema werden. Im Unterschied dazu gab es in Finnland während der Rezession in den neunziger Jahren Überlegungen, sozialstaatliche Leistungen zu erweitern und so zusätzliche Arbeitsplätze im Dritten Sektor zu schaffen.
Allerdings wären in Deutschland aus Genderperspektive auch andere innovative Modelle zur Zukunft der Arbeit denkbar. Dabei wäre jedoch eine einseitige Beschränkung auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, den Ausbau des Niedriglohnsektors oder der personenbezogenen Dienstleistungen zu vermeiden. Diese stellen letztlich gering qualifizierte, niedrig bezahlte und hoch flexibilisierte Arbeit dar - Ansätze, die möglicherweise zur Entwicklung einer neuen Dienstbotenklasse unter Frauen und innerhalb unserer Gesellschaft führen könnten.
Hinsichtlich der Erwerbsbeteiligung von Frauen, ihrer Erwerbsverläufe und ihrer finanziellen Autonomie, insbesondere bei der Entscheidung für Kinder, stellt sich das finnische Modell - wie auch andere skandinavische Konzepte - als ein Paradebeispiel für Geschlechtergerechtigkeit dar. Würden alle Frauen unabhängig von einem männlichen Ernährer oder von staatlichen Transferleistungen - wie in Finnland - vollständig in den Erwerbsarbeitsmarkt integriert und die Haushalts- und Sorgetätigkeiten von sozialstaatlicher Seite bereitgestellt, wäre ein Schritt zur Verbesserung des Geschlechterverhältnisses getan. Doch selbst wenn die unterschiedlichen kulturellen Leitbilder - deren starkes Beharrungsvermögen nicht unterschätzt werden sollte - außer Acht blieben, würden der deutsche Arbeitsmarkt und der an seine Grenzen stoßende Sozialstaat eine solche Strategie kaum zulassen.
Politische und wissenschaftliche Diskurse zur Zukunft der Arbeit haben - unterstützt von zwei großen Zukunftskommissionen - seit vielen Jahren Konjunktur.
In diesem Kontext könnte eine noch weiter gehende Idee angeführt werden, die nicht nur auf die Umverteilung der bezahlten Erwerbsarbeit zielt, sondern im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit auf eine Neuverteilung aller Arbeiten. Ziel dieses Ansatzes ist es, alle Arten von gesellschaftlich notwendiger Arbeit - bezahlte wie unbezahlte - zwischen Männern und Frauen gleich aufzuteilen. Allerdings ist diese Vision mit Herausforderungen auf vielen Gebieten verbunden: Neue innovative Arbeitszeitmodelle und die weitere Flexibilisierung von Arbeit wären ebenso nötig wie eine Abkehr von der Leitvorstellung, dass Frauen kompetenter für Betreuungs-, Pflege- und Hausarbeit sind als Männer. Und last but not least wäre ein Wandel in der Bewertung von verschiedenen Arbeitsarten erforderlich.
Es gibt keine sachlichen Gründe, Haus- und Sorgearbeit geringer zu bewerten als Erwerbsarbeit, zumal Reproduktionsarbeit eine Voraussetzung für Erwerbstätigkeit ist. Diese Geringschätzung hätte ein Ende, wenn Männer an allen Arbeitsarten beteiligt wären, denn wissenschaftlich lässt sich nachweisen, dass der gesellschaftliche Status einer Arbeit ansteigt, sobald diese auch von Männern ausgeübt wird.
Das Verhältnis von bezahlter Erwerbsarbeit und anderen Formen von gesellschaftlich notwendiger Arbeit wie z.B. Haus- und Sorgearbeit oder nicht monetären und nicht marktvermittelten Arten von Arbeit wie das klassische Ehrenamt oder bürgerschaftliches Engagement und deren Gestaltbarkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Thematik, der bislang in der Genderperspektive kaum Bedeutung beigemessen wurde.
Sollten Giddens' Prognosen eintreten, wären Männer nicht länger von wichtigen Lebenssphären ausgeschlossen, und alle Arten von Arbeit würden die gleiche gesellschaftliche Wertschätzung erfahren. Nach Giddens wurden Frauen bislang viel zu sehr auf die emotionale Rolle festgelegt, sozusagen als "Expertinnen der Liebe"; dagegen hätten Männer die Verbindung zu den emotionalen Ursprüngen der Gesellschaft verloren, da die bezahlte Erwerbsarbeit "als Götze verehrt" werde.
Berufstätige Frauen in Europa
Wie viele Frauen studieren? Wie lange bleiben Mütter nach der Geburt eines Kindes zu Hause? Wie viele leben als Hausfrauen? Wann gehen Frauen in die Rente? Aus den Antworten auf diese Fragen ergibt sich die Höhe der "Erwerbsquote". Diese Quote beziffert, wie viele Frauen im erwerbsfähigen Alter Arbeit haben oder suchen. In Deutschland sind 58 von je 100 Frauen zwischen 15 und 64 Jahren berufstätig, das sind etwas mehr als der EU-Durchschnitt von 55. In Norwegen, Dänemark und Schweden arbeiten fast drei Viertel der Frauen. Dabei bekommen die Frauen dort - rein statistisch - mehr Kinder als in Deutschland. In Spanien Griechenland und Italien dagegen bleiben Frauen öfter zu Hause als in Deutschland (obwohl sie weniger Kinder bekommen).