Einleitung
Unabhängig davon, wie viele Generationsgestalten für die 40 Jahre alte Bundesrepublik ausgemacht werden (ihre Zahl schwankt in der einschlägigen Literatur zwischen acht und vier) und wie man diese definiert, eine Generation steht in allen Analysen übereinstimmend als originäre Hervorbringung des Westens fest: die "68er".
Eine vergleichbar markante Generationseinheit hat die DDR nicht hervorgebracht, gleichwohl es die Geschichte ihrer generationellen Prägung noch zu schreiben gilt. Erste Ansätze dazu sind seit dem Ende der DDR aus unterschiedlichen Perspektiven heraus geleistet worden. Ein geschlossenes Modell fehlt jedoch noch. Es soll hier - bezogen auf die Jugendgenerationen der DDR - angeboten und für den Zeitraum der sechziger und siebziger Jahre speziell untersetzt werden.
In der DDR war die Jugend eine zentrale Größe gesellschaftlicher Planung. Die SED hat von Beginn ihrer Machtübernahme an auf die Jugend als Träger des Aufbaus einer neuen Gesellschaft gesetzt. Doch was ihr anfangs noch weitgehend gelang, geriet ab Mitte der siebziger Jahre immer mehr zum Desaster. Die Jugend war die erste Altersgruppe, welche die SED für sich vereinnahmen konnte, und sie war zugleich die erste, die ihr aus dem Ruder lief.
Das Generationenmodell
In dem Modell fließen zwei Wissenschaftsstränge ineinander, die bei bisherigen Analysen der DDR-Gesellschaft meist weitgehend getrennt agiert haben. Während Soziologen die Entwicklung der DDR bis zu ihrem jähen Ende vor allem aus den Verlaufsreihen empirischer Daten analysieren, sind Historiker wie auch Politikwissenschaftler stärker auf die von ihr hinterlassenen Archivalien fixiert. Die DDR ist jedoch weder durch eine einseitige Fixierung auf die Herrschaftsgeschichte des SED-Staates noch auf die Mentalitätsgeschichte der Ostdeutschen hinlänglich zu erklären. Erst der Blick auf die Verquickung von Herrschaft und Alltag ermöglicht es, ihre Geschichte als Prozess zunehmender Gewinnung von Handlungsspielräumen der Individuen gegenüber einem zentralistisch verfassten Staatswesen zu sehen - ein Staat, der auf die Einsatzbereitschaft und Kreativität seiner Bürger angewiesen war und ihnen dennoch die nötigen Freiräume dafür nicht gewähren wollte. Der Bruch mit der Bevölkerung war im politischen System der DDR von Beginn an angelegt. Er vollzog sich in mehreren Phasen und ist in besonderer Weise an der Generationenfolge festzumachen.
Es ist ein Privileg der Jugend, "die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen". Ob und in welchem Umfang dies den Jugendgenerationen der DDR gelungen ist, kann nur im Kontext der entscheidenden Zäsuren in 45 Jahren SBZ/DDR beantwortet werden, die "genau jene Weichenstellungen ausmachen, nach denen bestimmte Entwicklungen nicht mehr revidierbar" waren. Die kurze Geschichte der DDR weist erstaunlich viele Brüche auf. Die Zahl der von Historikern veranschlagten Etappen schwankt zwischen drei und zehn; je spezieller das Untersuchungsfeld, desto höher oft die Zahl. Überblicke dagegen kommen meist mit fünf Etappen aus: vom Kriegsende 1945 bis zur Gründung der DDR; die Entwicklung bis zum Mauerbau 1961; die innere Festigung der DDR bis zum Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker 1971; die siebziger Jahre mit ihrem Auf und Ab zwischen Stabilität und zunehmenden Krisen; der Niedergang der DDR bis zur demokratischen Revolution 1989.
Diesem Schema prinzipiell folgend, möchte ich einige Zäsuren partiell anders setzen (vgl. Abbildung 1: s. PDF-Version). Augenfällig ist, dass in den frühen Entwicklungsphasen die Übergänge von einer Etappe zur nächsten - auch im Bewusstsein der Bürger - auf den Tag genau festzumachen sind. Nach dem 17. Juni 1953 oder dem 13. August 1961 war in der DDR nichts mehr so wie zuvor. In ihren späten Perioden waren die Übergänge dagegen eher diffus. Natürlich gab es auch dann noch Ereignisse von nachhaltiger Wirkung, etwa den kulturellen "Kahlschlag" von 1965 oder das gewaltsame Ende des Prager Frühlings 1968, doch waren diese nicht für alle (jungen) DDR-Bürger in gleicher Weise relevant. Ihre Folgen wurden erst schrittweise erlebbar. Zugleich verweist das Schema darauf, dass die politische Sozialisation der Jugendgenerationen der DDR in starkem Maße durch Krisenerfahrungen geprägt wurde, Krisen, die partiell auch Generationsbrüche ausgelöst, zumindest aber mit herbeigeführt haben. Schon Karl Mannheim verwies darauf, dass es "von der auslösenden Kraft des gesellschaftlich-geistigen Prozesses" abhängt, "welche Generationslagerung in ihrer Potentialität aktiv wird".
Die prägenden Aktivitätsformen Jugendlicher in 40 Jahren DDR waren: ihre aktive Beteiligung am Aufbau in Nachkriegszeit und Gründungsphase; ihr anhaltendes Mitmachen bei der weiteren Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft, trotz vieler Warnzeichen und punktueller Zweifel an der Legitimität der SED-Herrschaft; ihre schrittweise Distanzierung vom "real existierenden Sozialismus". Für den Zeitraum von 1945 bis 1989 zeichnen sich demnach drei prägende Generationseinheiten ab: die Aufbaugeneration, die Integrierte und die Distanzierte Generation. Diese Generationsgestalten entwickelten sich - ausgehend von ihrem jeweiligen Geburtszeitraum - nicht parallel, sondern quer zu den zeitgeschichtlichen Etappen (vgl. Abbildung 2: s. PDF-Version).
Diese dreigliedrige Generationenfolge erfasst den Mainstream der Jugendentwicklung, dessen jeweiliger politischer, kultureller und sozialer Charakter den zentralen Generationseinheiten seinen Stempel aufgedrückt hat, wie sie auch ihrerseits die historischen Phasen, in denen sie dominant waren, (mehr oder minder) aktiv geprägt haben. Ihnen zur Seite bzw. konträr entgegen standen stets weitere Generationseinheiten, die jedoch keinen prägenden (und damit namengebendenen) Status für "ihre" Generation zu erlangen vermochten. Dennoch sind sie als Widerpart für die Prägnanzbildung des Mainstreams unabdingbar.
Im Folgenden können nicht alle drei prägenden Jugendgenerationen der DDR ausführlich dargestellt werden, zumal sich die vorliegenden Analysen in der Charakterisierung der ersten als Aufbaugeneration weitgehend einig sind: Die um 1930 bis ca. 1940 Geborenen und zwischen Kriegsende und Mitte der fünfziger Jahre ins Jugendalter Hineingewachsenen sind maßgeblich von ihrer Kindheit im Nationalsozialismus und ihrer Jugend in der Aufbauphase von SBZ und DDR geprägt worden. In dieser Generation mischten sich übersteigertes Schuldgefühl und Verdrängungssehnsucht zu einer neuen Aufbruchstimmung. Junge, überwiegend proletarische Aufsteiger wurden zur tragenden Säule der neuen Gesellschaft. Den Ton jedoch gab die "Alte Garde" der zwischen 1880 und 1914 geborenen "Gründergeneration" des SED-Staates an, die zur Tragik aller nachwachsenden Generationen die politische Macht bis zum Ende der DDR nicht mehr aus den Händen geben sollte.
Einpassen statt Aufbegehren: Die Integrierte Generation
Gehen oder bleiben? Diese zentrale Frage für Jugendliche der fünfziger Jahre stellte sich für die um 1945 und bis 1960 Geborenen, die zwischen dem Mauerbau und der Mitte der siebziger Jahre ins Jugendalter hineinwuchsen, nicht mehr. Mit dem Bau der Mauer hatte die SED-Führung allen noch Zögernden die Entscheidung aus der Hand genommen. Der DDR konnten sie auf viele Jahre hin nur unter Gefährdung des eigenen Lebens entkommen. Doch das allein erklärt nicht, warum jener Teil der Jugendlichen, der sich zur DDR als persönlichem Lebensentwurf bekannte, weiterhin tonangebend blieb; warum keine andere Generation so in den zweiten deutschen Staat integriert war wie diese, und zwar nicht nur die aufstiegsorientierten und daher angepassteren Abiturienten und Studenten. Auch bei der Mehrheit der 14- bis 18-jährigen Schüler und Lehrlinge herrschten "bereits Anfang der 60er Jahre (...) positive Einstellungen zu den propagierten sozialistischen Zielen und Werten vor. Charakteristisch war eine hohe Identifikation mit der DDR". Diese Entwicklung hielt bis weit in die siebziger Jahre hinein an, wie Studien der sich in diesem Zeitraum etablierenden Jugendforschung immer wieder belegten.
Nach dem Mauerbau erlebte die Integrierte Generation - vor allem kulturell - viele produktive Ansätze: In der Folge von Jugendkommuniqué und neuem Jugendgesetz (1963/1964) wurde der "Gitarrenbeat" von der FDJ gefördert, wurden LPs mit internationaler und nationaler Beatmusik herausgebracht und mit dem Jugendradio "DT 64" ein Radioprogramm für Jugendliche installiert. Doch schon bald folgten Jahre der Stagnation. Die SED belegte nach dem 11. Plenum 1965 die Künste und die Jugendlichen gleichermaßen mit Verdikten. Erst am Ende des Jahrzehnts wurden produktive Ansätze wieder aufgenommen. Doch trotz all der Widersprüche blieb die Bindung des Gros der Heranwachsenden an die DDR in dieser Zeit weitgehend stabil, weil ihre Jugend in die Phase eines relativen Wohlstands und der zunehmenden internationalen Anerkennung des Staates fiel. Zugleich waren sie "die ersten Kinder der anderen Republik, die nichts als DDR erlebten". Fast alle waren ohne starke innere Widersprüche Jungpioniere geworden, gingen nahtlos zur FDJ über und feierten die Jugendweihe. Die älteren Kohorten legten in diesem Zeitraum bereits das Abitur oder die Facharbeiterprüfung ab. Als Gründer junger Familien kamen sie nach 1971 in den Genuss großzügiger sozialer Fördermaßnahmen durch Erich Honeckers Programm der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik", mit seinem zinslosen Ehekredit, dem Babyjahr und der bevorzugten Versorgung mit Krippenplätzen und Wohnraum.
Alles Gute kam "von oben": In der DDR war "der Topos der Dankbarkeit politisch stark instrumentalisiert", wie Dorothee Wierling in lebensgeschichtlichen Interviews mit Ostdeutschen des Jahrgangs 1949 ermittelte. Einer von ihnen erinnert sich: "Wir wurden doch als 49er in etwas hineingeboren, das wir selbst nicht mit entwickelt hatten. (...) Es war nicht die Zeit, Bedingungen zu stellen." Viele glaubten trotz durchaus wahrgenommener politischer Krisensymptome lange an eine Reformierbarkeit der DDR, hatten sie diese doch in der Phase ihrer tatsächlichen Prosperität erlebt. Dadurch entfalteten - wie Marc-Dietrich Ohse in einer übergreifenden Darstellung der Jugend nach dem Mauerbau betont - weniger solch "spezifische Ereignisse wie der Kahlschlag Mitte der sechziger Jahre oder der Prager Frühling (...) eine generationelle Prägekraft (...) als vielmehr die Stabilisierung der DDR unter Ulbricht und Honecker". Diese Generation hat die politischen und moralischen Ansprüche des Sozialismus besonders stark verinnerlicht, ihre emotionale Beziehung zur "Heimat DDR" integrierte sie besonders nachhaltig in das System.
Damit stand sie im direkten Widerspruch zur aufbegehrenden Generation der 68er in den westlichen Industriestaaten. Sie steht aber auch im Widerspruch zu einer Theorie, welche die 68er "als erste globale Generation" begreift, weil "die Studentenunruhen (...) ebenfalls in Staaten des Ostblocks und der Dritten Welt eine Generationserfahrung" darstellten. Hat es die 68er in der DDR überhaupt gegeben? Die Meinungen gehen weit auseinander. Dietrich Mühlberg kommt in einer systemvergleichenden Analyse zu der Aussage, dass "1968 in der DDR - wenn überhaupt - eine (Zwischen-)Generation früher als im Westen" stattgefunden hat: Sie sei als "nachstalinistische Aufbaugeneration" zu fassen, deren jugendliche Orientierungsphase mit einem "enormen Modernisierungsschub" Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre zusammenfiel. Sie sah "seine sozialistische Bewältigung" als ihre Aufgabe. "Freilich: eine Revolte haben sie nicht veranstaltet", ihr Ideal war eher die wissenschaftlich-technische Revolutionierung der Gesellschaft. Die zunehmende Diskrepanz zwischen "objektiver" und "subjektiver" Modernisierung wurde aber - anders als im Westen - nicht als Konflikt der Generationen ausgetragen. Dadurch versäumte die "40er-Jahre-Generation der DDR" für Albrecht Göschel "die emanzipatorische Dimension des Statuskonfliktes der 60er Jahre" und "blieb sowohl den alten Eliten und Parteikadern untergeordnet als auch tradierten Pflicht- und Akzeptanzwerten verhaftet". Eine den West-68ern vergleichbare Generationseinheit konnte die altersgleiche Kohorte im Osten unter dem repressiven Druck der in Prag aufziehenden Panzer nicht ausprägen. Das sieht Dorothee Wierling ähnlich: In der DDR gab es "nicht jene fröhliche Selbststiftung als Generation wie im Westen", weil die Protestierer im Osten isoliert und ohne eine verbindende geistige Orientierung blieben. "1968 wurde in der DDR zur Chiffre für eine Niederlage."
Demzufolge spricht Dorothee Wierling für den Osten nicht von einer Generation der 68er, was Heinz Bude durchaus tut, auch wenn er dieses Datum für die DDR ebenfalls als "eine Geschichte der verlorenen Würde" sieht. Die Ost-68er hatten "das große Problem, dass sie ihren Takt in der Gesellschaft nicht durchsetzen konnten". Wolfgang Engler sieht sie sogar gleich zweimal in der Geschichte scheitern: 1968 und dann noch einmal im Herbst 1989, weil sie sich durch ihre spätere Spaltung in sozialistische "Reformisten" und "idealistische Außenseiter" (die Keime der Bürgerbewegung) einander entfremdeten und der Möglichkeit eines gemeinsamen Handelns in der Systemwende beraubten. Anders Annette Simon: Zwar meint sie, dass die 68er in der DDR "keine kulturrevolutionären Veränderungen wie ihre westlichen GenerationsgenossInnen" auslösten. Sie "wollten Reformen und setzten letztendlich eine Revolution in Gang, in der es [1989, B.L.] zu einem Wechsel der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse gekommen ist". Aber: "Eigentlich sollte eine Generation auch daran gemessen werden, inwieweit sie der nächsten Generation Zukunft eröffnet oder verschließt."
Abgesehen davon, dass man einer möglichen Ost-68er-Generation nicht gerecht wird, wenn man sie wie Engler allein als eine "Bewegung" von Intellektuellen aus Kultur und Politik oder wie Simon unter dem Aspekt des Generationenkonflikts zwischen leitenden Funktionären des SED-Staates und ihren Kindern schildert. Dagegen sprechen allein schon die Fakten: Von den 506 durch DDR-Justiz und Staatssicherheit 1968 eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen Jugendliche "wegen Verbreitung selbst gefertigter Hetzschriften" betrafen lediglich 7,6 Prozent Studenten, aber 71,1 Prozent junge Arbeiter und Lehrlinge. Es ist daher nicht sinnvoll, aus einer 21 Jahre später nachgeholten Revolution den prägenden Charakter einer Generation für ihre Altersgenossen in der DDR im Jahre 1968 ableiten zu wollen. Die Wahrheit ist, dass die Ost-68er, deren geografischer Fixpunkt mehr Prag als Paris, Berkeley oder West-Berlin war, in ihrer Generation marginal blieben und bestenfalls als "ausgebremste Generation" (Bude) gelten können, während die Mehrheit der Jugendlichen sich in das System integrierte. "Ein miefiges Gefühl des Wohlseins und der Übereinstimmung mit dem System prägten die siebziger und frühen achtziger Jahre."
Das Widerspruchspotenzial dieser Generation war nicht politisch, sondern vor allem kulturell geprägt (vgl. Abbildung 3). Der "Beat-Club" im Westfernsehen war ihr wichtiger als SDS, "Kommune 1" oder ein Sit-in. Und wenn sie es dennoch probierten, geriet es eher zur Farce als zum realen Protest, wie Michael Meinicke in seiner "wahren Geschichte" der "Beat-Generation der DDR-68er" schildert: Nachts um zwei setzen sie sich zu zehnt im Schneidersitz mitten auf die Kreuzung vor dem Ost-Berliner U-Bahnhof Vinetastraße. "Weit und breit kein Mensch. Die Lichter in den Fenstern der umliegenden Wohnhäuser längst erloschen. (...) Nach einer Weile flüsterte Pewi: 'Dubcek! Svoboda!' Die Namen der Führer des Prager Frühlings. Undeutlich murmelnd skandierten wir hinterher. Jetzt hörten wir den Motor eines Lastwagens. Sollten schon die Bullen kommen? (...) Scheinwerfer beleuchteten unser Grüppchen. Verzweifelt blieben wir hocken. Der Wagen hielt. Hinten klapperten Flaschen. Ein Mann stieg aus: 'Wat is denn det hier?' Bettina rief: 'Ein SIT IN!' 'Na ja, is ja jut. Wat et nich allet jibt. Nu seit so jut und jeht nach Hause. Wir müssen die Milchflaschen in die Läden bring'n.' Wir erhoben uns und gingen."
Rückzug statt Offensive: Die Distanzierte Generation
Die Ausformung prägender Generationseinheiten war in der DDR lange Zeit also auch eine Verdrängungsleistung. Dadurch ließen sich - so erstaunlich dies im Nachhinein anmutet - tiefe gesellschaftliche Einschnitte mehrheitlich mental "aussitzen". Erst eine neue Jugendgeneration - zwischen 1961 und 1975 geboren, von Mitte der siebziger Jahre bis zum Ende der DDR ins Jugendalter hineingewachsen - konnte sich innerlich daraus befreien: Nachgeborene, für die der schmale Wohlstand der DDR keine historische Errungenschaft mehr, sondern etwas Vorgefundenes und selbstverständlich in Anspruch Genommenes war. Sie vermochten dessen Brüchigkeit eher zu erkennen und den dafür zu entrichtenden Preis an politischer Anpassung in Frage zu stellen als ihre Eltern und ihre Vorgängergeneration. Bei ihnen handelt es sich um eine "Generation der Nicht-Mehr-Eingestiegenen". Ihre Grundhaltung zur DDR war die des Protestes durch Verweigerung. Diese Generation trat den "Rückzug statt (der) Offensive" an, wie es der Dichter Kurt Drawert treffend auf den Punkt brachte, "im Osten und doch nicht im Osten, wir wohnten, aber wir lebten nicht dort". Diese Aussage wird nachhaltig von Ergebnissen der Jugendforschung gestützt.
Ende der siebziger Jahre stagnierte die Haltung vieler Jugendlicher zu den "hehren Werten" der sozialistischen Gesellschaft nachdrücklich: die Identifikation mit dem Staat und seiner Ideologie, die Einstellung zur SED und zur Sowjetunion sowie zur historischen Perspektive des Sozialismus. Potenziert wurde dies durch einen tief greifenden Wandel der Lebensorientierungen, der mit Walter Friedrich als "'Mentalitätsumbruch' oder 'Werteaufbruch' in der DDR charakterisiert werden kann". Der Wunsch Jugendlicher nach Selbstgestaltung und sozialer Anerkennung nahm stark zu. Auf ihrer Agenda stand - statt politischer Einmischung - das Streben nach individuellem Wohlstand, kultureller Vielfalt und geistigem Freiraum, wo auch immer der schwächelnde Staat ihn nicht mehr verhindern konnte.
Mit dieser Distanzierten Generation vollzog sich nach 1975 erstmals ein (folgenschwerer) Paradigmawechsel in der Generationenfolge der DDR. Nicht mehr die systemfreundlichen Strömungen stellten die prägende Generationseinheit, sondern jene Jugendlichen, die der DDR kritisch-distanziert bis ablehnend gegenüberstanden. So machte (auch und gerade) die Jugend der DDR den Weg für die demokratische Revolution vom Herbst 1989 frei. Weniger als Demonstranten - der Kern der Leipziger Montagsdemonstranten war mit 25 bis 55 Jahren jenseits des Jugendalters -, sondern als Fluchtwillige. Das Durchschnittsalter der 225 233 Flüchtlinge und Übersiedler, die 1989 bis zum Fall der Mauer aus der DDR in den Westen gingen, lag bei 23,5 Jahren. Als sich diese "Kinder der geschlossenen Gesellschaft" entschlossen, der DDR den Rücken zu kehren, war es kaum mehr ein Abschied von "ihrem Land", sondern von einem konkreten sozialen Umfeld, ihrer Familie und dem Freundeskreis.
Schwankender Einfluss
Das Projekt der Vereinnahmung der Jugend für den Sozialismus war in der DDR lange vor deren Ende gescheitert. Welchen Anteil hatten die hier dargestellten Jugendgenerationen daran? Zwar konnten sie prägende Gestalt für ihre jeweilige Generation erreichen, politisch innovativ - im Sinne des Systems - wurde jedoch lediglich die Aufbaugeneration, soweit dies die "Generation der Alten" zuließ. Die Integrierte Generation dagegen konnte Innovationen im Sinne gesellschaftlicher Veränderungen weder für noch gegen das System dauerhaft ausprägen. Durch ihr Streben nach Übereinstimmung paralysierte sie sich weitgehend selbst. Aber auch die Distanzierte Generation vermochte lange keine eigenständigen politischen Zeichen zu setzen. Erst als sie - zu nicht unerheblichen Teilen - ihre Existenz in diesem System auch physisch in Frage stellte, nahm sie unübersehbar Einfluss auf das Ende der DDR.
Zu lange war das politische Feld uneingeschränkt von jener Generation besetzt, die den Staat gegründet hatte. Das bedeutet nicht, dass die Jungen wirkungslos blieben. Generationen werden dann wirksame Verbände, "wenn die kulturellen Konkurrenzen zwischen sozialen Bewegungen und Strömungen bedeutungsvoller, die Klassenkonkurrenzen dagegen schwächer werden". Das hier vorgestellte Modell der politischen und sozialen Jugendgenerationen der DDR bedarf also unbedingt der Ergänzung um eine kulturelle Perspektive (vgl. Abbildung 3: s. PDF-Version). Dies ist bereits ansatzweise geschehen. Hier kann lediglich darauf verwiesen werden, dass die kulturellen Parallelen zur Entwicklung der Altersgleichen in der Bundesrepublik stets größer waren als die politischen. Die kulturelle Identität Jugendlicher in der DDR war immer eine Mischidentität, von Elementen des Ostens wie des Westens geprägt.
Bleibt zu fragen, wie jene Generation der "Zonenkinder" zu charakterisieren ist, die erst am Ende der DDR in das Jugendalter eintrat. Die nach 1975 Geborenen erlebten die "Wende"-Zeit als deutlichen Einschnitt in ihrer Sozialisation. Auf der einen Seite von der Vergangenheit unbelastet, befanden sie sich zugleich in einer Lebensphase, in der sie verstärkt auf die Hilfestellung von Erziehungsautoritäten angewiesen waren. Doch fielen diese dafür weitgehend aus: Eltern und Verwandte, weil ihnen die Lebensumstände der Bundesrepublik ebenso fremd waren wie den Jungen; Lehrer, Jugendorganisationen wie die heimischen Medien, weil sie sich als Diener des alten Systems in den Augen der Jugendlichen diskreditiert hatten. Die Heranwachsenden im Osten waren nach 1990 weitgehend auf sich selbst verwiesen. Wir haben es bei ihnen mit einer in hohem Maße "Unberatenen Generation" zu tun. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei ihnen überwiegend um die Kinder der Integrierten Generation handelt; jener Generation also, die es nach der "Wende" mit Abstand am schwersten hatte, in der Bundesrepublik "anzukommen". Mit den "guten Zeiten" der DDR-Entwicklung besonders eng verbunden, kompensiert diese Generation ihre sozialen und mentalen Probleme mit der Gegenwart verstärkt durch (n)ostalgische Rückzüge, die umso stärker auch auf ihre Kinder und Enkel (ein)wirken, wie diese selbst Probleme mit ihrer Verortung in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts haben. Die Geschichte der Jugendgenerationen der DDR setzt sich also bis in die unmittelbare Gegenwart fort.