Einleitung
Bis weit in die zweite Hälfte der sechziger Jahre hinein war Großbritannien für viele westdeutsche Jugendliche das gelobte Land. Dies lag nicht zuletzt daran, dass ihre Altersgenossen es dort offenbar in mancher Hinsicht leichter hatten, kulturelle Vorlieben zu verwirklichen, weil sie mit mehr Toleranz von Seiten der Älteren rechnen konnten. Einen überwiegend günstigen Eindruck von der jungen Generation hatten Anfang der sechziger Jahre 32 Prozent der Italiener, 34 der Franzosen, 39 der Deutschen, 41 der Niederländer, aber mit weitem Abstand 59 Prozent der Briten.
Kein Zweifel, die langen sechziger Jahre, also der Zeitraum zwischen etwa 1958 und 1973, waren in Westdeutschland "goldene Jahre" des wirtschaftlichen Wohlstands, der zunehmenden Freizeit, der Entformalisierung gesellschaftlicher Beziehungen, der politischen Liberalisierung. Viele dieser Entwicklungen hat die junge Generation maßgeblich vorangetrieben. Und dennoch kam es hier zu mitunter sehr scharfen Konflikten. Die Auseinandersetzungen zwischen den Generationen prägten die sechziger Jahre in der Wahrnehmung der Zeitgenossen. Die Tageszeitung "Die Welt" konstatierte am Ende der Dekade: "Zweifellos ist dieses Generationsproblem die große Überraschung der Nachkriegszeit, wahrscheinlich die größte Überraschung unter allem Unvorhergesehenen."
Viele Erwachsene reagierten tolerant auf die Erweiterung des Stilrepertoires und auf die zunehmenden Partizipationsforderungen der nachwachsenden Generation. Doch für die Fähigkeit, sich an die Konsumgesellschaft anzupassen, mit dem Trend zur Liberalisierung Schritt zu halten und den Dialog zwischen den Generationen zu führen, waren die Umstände wichtig, unter denen die Beteiligten aufgewachsen waren. Diese Unterschiede waren derart vielfältig, dass die Unterscheidung zwischen "Erwachsenen" und "Jugendlichen" im Grunde zu grob ist - auch wenn die zeitgenössische Sozialforschung oft mit derlei Kategorien arbeitete und auch die historische Forschung nicht ganz auf sie verzichten kann.
Fünf Generationender sechziger Jahre
Im letzten Drittel der fünfziger Jahre setzte in der Bundesrepublik eine starke Beschleunigung des wirtschaftlichen und sozialen Wandels ein, dem die Einstellungen zur politischen Kultur, zu Lebensstilen und moralischen Normen nur zögernd folgten. Diese Ungleichzeitigkeit war insbesondere bei den noch im Kaiserreich sozialisierten Altersjahrgängen zu spüren, die bereits den dritten Systemwechsel erlebten und bis in die sechziger Jahre hinein in Politik und Wirtschaft den Ton angaben. Als ihre Exponenten galten der bis 1963 regierende Bundeskanzler Konrad Adenauer (geb. 1876), sein Nachfolger Ludwig Erhard (1897) und Bundespräsident Heinrich Lübke (1894).
Diese Generation trat Mitte der sechziger Jahre ab. Bezieht man sie ein, so trafen in den langen sechziger Jahren in jeweils unterschiedlichen Konstellationen fünf politische Generationen aufeinander - "Generation" hier verstanden als soziale Formation bestimmter Geburtsjahrgänge, die durch spezifische Prägungen, Denk- und Handlungsmuster sowie durch ein vages Gefühl der Zusammengehörigkeit miteinander verbunden waren.
Sie brachten der nachfolgenden Generation, die später als "68er-Generation" bezeichnet worden ist, anfangs nicht selten Sympathie entgegen, weil sie in den Jüngeren Verbündete im Kampf für eine politische und kulturelle Erneuerung der Bundesrepublik sahen. Die Angehörigen dieser vierten Generation waren ungefähr zwischen 1938 und 1948 geboren, dazu gehörten mehr und weniger bekannte Persönlichkeiten der Studentenbewegung wie Christian Semler (1938), Dieter Kunzelmann (1939), Rudi Dutschke (1940), Daniel Cohn-Bendit (1945) oder Helke Sander (1937).
Die fünfte und jüngste Generation machte sich seit den frühen siebziger Jahren bemerkbar. In den frühen fünfziger Jahren geboren und geprägt in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, als ihre älteren Brüder und Schwestern auf allen Gebieten das Normenspektrum erweiterten, waren sie Anhänger und teilweise Wortführer einer "Counterculture", etwa als Mitglieder und Führungsnachwuchs der zahlreichen linkssozialistischen und kommunistischen Gruppierungen der siebziger Jahre. Zu dieser Generation der Gegenkultur gehörten Musiker wie Peter Bursch (1949), Rio Reiser (1950) oder Dieter Dehm (1950), politische Aktivisten wie Thomas Ebermann (1951), Gero von Randow (1953) oder Jürgen Trittin (1954), aber auch Angehörige der "zweiten Generation" der terroristischen Roten Armee Fraktion wie Susanne Albrecht (1951).
Die hier anhand einiger Exponenten idealtypisch skizzierten Generationen waren in sich differenziert nach Herkunft und Region, sozialem Status, Geschlecht, politischen Präferenzen und religiöser Neigung. Und doch waren generationelle Gemeinsamkeiten verhältnismäßig stark ausgeprägt, denn sie hatten den beschleunigten gesellschaftlichen Wandel auf sehr unterschiedliche Weise verarbeitet. Die besondere Veränderungsdynamik der sechziger Jahre in der Bundesrepublik, auch die zahlreichen Konflikte, die ein wesentliches Element dieser Dynamik darstellten, rührten aus der Koexistenz und Konkurrenz dieser unterschiedlichen Generationen, nicht zuletzt aus dem nur in Grenzen erfolgreichen Aufstiegsbegehren der beiden jüngsten.
Allianzen mit dem Neuen: Jugendkultur als "dominante Teilkultur"
Noch in den fünfziger Jahren standen Erwachsene ihrem Nachwuchs häufig sehr unsicher gegenüber. Das hing damit zusammen, dass auf "die Jugend" nach dem Desaster des Nationalsozialismus hoch gespannte Erwartungen gerichtet wurden: Die kommende Generation sollte alles besser machen. Weil so große Hoffnungen in sie gesetzt wurden, waren auch die Ängste groß, dass diese neue Generation einen falschen Weg gehen und "fehlgeleitet" werden könnte. In bestimmten Erscheinungsformen der Konsumgesellschaft sah man Anzeichen einer derartigen Fehlentwicklung. Anfang der sechziger Jahre beklagten Erwachsene vor allem, dass junge Leute sich zu sehr den Verlockungen der Konsumgesellschaft hingaben. Etwa 60 Prozent der über 30-Jährigen glaubten, dass Jugendliche "zu viel auf Vergnügungen aus" seien.
Diese Kritik war in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren so laut zu vernehmen, weil in dieser Zeit immer deutlicher wurde, dass junge Leute sich in die bunte Waren- und Freizeitwelt, welche die Konsumindustrie zur Verfügung stellte, geradezu stürzten - und zwar zunächst vor allem Arbeiterjugendliche, später zunehmend auch Oberschüler und junge Studierende. In den Nischen, die kommerzielle Veranstalter und semikommerzielle Clubs boten, entstanden jene Impulse, die durch Zeitschriften, Radio- und auch erste Fernsehsendungen multipliziert und synchronisiert und schließlich in mehr oder weniger abgeschwächten Formen stilprägend wurden. Gleichzeitig wurden in den älteren Generationen to-lerante Erziehungsmaximen populärer. Vorreiter waren nicht nur linksliberale Pädagogen, Soziologen und Publizisten, sondern auch konservative Modernisierer wie der meinungsbildende Soziologe Helmut Schelsky und seine Schüler. Auch der katholische Journalist Walter Dirks, der die weit verbreitete Skepsis gegen die Konsum- und Freizeitgesellschaft schon in den fünfziger Jahren nicht geteilt hatte, empfahl Eltern in den sechziger Jahren, ihren Kinder nicht mit Misstrauen, sondern mit Offenheit zu begegnen und in ihren Verhaltensweisen die Veränderung der Gesellschaft aufzuspüren, um "das Neue zu erkennen, das sich da anmeldet". "Und dann", empfahl Dirks, "muß man sich mit diesem Neuen verbünden."
Seit den späten fünfziger Jahren setzten kulturelle Stile und Verhaltensmuster der Jugend mehr und mehr Maßstäbe für die ganze Gesellschaft. Besonders die zivilisierten Formen amerikanischer Massenkultur mit der Zentralfigur des "Teenagers", der zum Ideal des konsumfreudigen und lebenslustigen Jugendlichen avancierte, ermöglichte auch Erwachsenen eine positive Identifikation mit den neuen Jugendkulturen. Die Sozialwissenschaftlerin Edith Göbel stellte fest, dass von einer Anpassung der Jugendlichen an die Erwachsenen - wie sie Schelsky noch 1957 postuliert hatte - keine Rede mehr sein könne. Vielmehr passten sich viele Erwachsene den Erscheinungsformen der Jugendlichen an, "da diesen eine besonders attraktive Form der Selbstdarstellung"
Der Soziologe Friedrich Tenbruck sprach 1962 von einem "Puerilismus der Gesamtkultur", dessen Kennzeichen sei, dass "Umgang, Vergnügen, Lektüre, Freizeit, Moral, Sprache, Sitte der Erwachsenen zunehmend jugendliche Züge" aufwiesen.
Allerdings konnten die neuen Stilelemente keineswegs umstandslos von den älteren Generationen aufgesogen werden - so, wie es etwa Tenbrucks These nahe legte -, sondern es bildeten sich Subkulturen, die sich dezidiert von den Vorlieben der Älteren absetzten. Diese Absetzbewegungen vollzogen sich zuerst und am stärksten auf dem Gebiet der Mode und der Freizeitgestaltung. Göbel, die sich mit den Lebenswelten 14- bis 18-jähriger Mädchen beschäftigte, konstatierte 1964, dass es auf diesen Gebieten zwar "nur selten ernsthafte Konflikte" gebe, dass aber dennoch "ein ausgeprägtes Generationsbewußtsein" herrsche, sich die Lebensstile der Kinder stark von denen ihrer Eltern absetzten und "zum Teil völlig verschieden" seien.
Andere sozialwissenschaftliche Analysen ergaben, dass Jugendliche von den Erwachsenen zunehmend als Pioniere im Dschungel der Konsumgesellschaft betrachtet wurden. Bei den Ikonen der Konsummoderne - Beatmusik, Kosmetika, neue Filme, Mode, Autos - kannten sich Jugendliche deutlich besser aus als ihre Eltern. Anders war es bei politischen Fragen, wo sie sich offenbar eher auf den Sachverstand der Eltern verließen.
Festzuhalten bleibt, dass generationelle Absetzbewegungen nicht in erster Linie von Erwachsenen ausgingen, sondern von Jugendlichen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Erwachsene trotz der demonstrierenden Studenten, mit denen die große Mehrzahl von ihnen keineswegs einverstanden war, bis Mitte der siebziger Jahre eine immer freundlichere Haltung zu ihren Sprösslingen einnahmen. Auf die Frage der Meinungsforscher von Allensbach, ob sie einen vorteilhaften oder einen eher unvorteilhaften Eindruck von der jungen Generation hätten, äußerten sich 1950 gerade einmal 24 Prozent der Befragten positiv, 1956 waren es bereits 38, 1960 dann 44 und 1975 nicht weniger als 62 Prozent.
Gesellschaftliche Generationskonflikte
In einem Text der Rockband "Ton Steine Scherben" hieß es: "Ich will nicht werden, was mein Alter ist."
Ebenso selbstverständlich, wie Jugendliche sich der Möglichkeiten des Konsums bedienten, forderten sie, dass die kollektiven Stile, die sich in diesem Aneignungsprozess herausbildeten, akzeptiert wurden. Gerade dies aber war aus der Sicht vieler nicht oder - gemessen am demokratischen Selbstverständnis des Staatswesens - zu wenig der Fall. Andererseits erkannten jugendliche Kritiker sehr genau, dass viele Erwachsene es schwer hatten, sich an die Verhaltensmuster der Konsumgesellschaft zu gewöhnen. Der Kontrast zwischen den Erfahrungswelten von Eltern und Kindern war zu kaum einem Zeitpunkt in der Geschichte der Bundesrepublik größer als in den langen sechziger Jahren.
Wie sehr die übliche Weitergabe von Erfahrungen im Generationsverhältnis gestört war, zeigt eine Vielzahl von Aussagen Jugendlicher. Eine 18-jährige Berufsschülerin aus Nürnberg etwa führte in einem Aufsatz zum Thema "Was hältst Du von den Erwachsenen?" aus: "Sie schieben immer ihre Jugendzeit vor und glauben, daß sie uns beeinflussen können. Sie bedenken aber leider nicht, daß die Zeiten sich geändert haben, daß die Wissenschaft fortgeschritten ist, daß wir heute in einer Zeit des sogenannten Wohlstands leben. Im Grunde sind sie ja vielleicht eifersüchtig, daß sie keine solche Jugendzeit verleben konnten, da sie in die Kriegsjahre fiel. Sie verharren auf ihren alten Methoden und Gebräuchen."
Dabei ist es wichtig, zwischen dem Verhältnis der Generationen in der familiären Gemeinschaft und dem sozialen Generationsverhältnis auf der gesellschaftlichen Ebene zu unterscheiden. Schon in den frühen sechziger Jahren beobachteten Jugendsoziologen, dass sich das Verhältnis der Generationen in den Familien "entschärft" hatte und dass Jugendliche ihren Eltern großes Vertrauen entgegenbrachten.
Dass allerdings das innerfamiliäre Verhältnis zwischen den Generationen "weitgehend problemlos-harmonisch" gewesen sei, wie ein bekannter Jugendsoziologe meinte
Überhaupt änderte sich bis zur Mitte der siebziger Jahre an diesem Gesamtbild wenig: Junge Leute hatten großes Vertrauen zu ihren Eltern, während gleichzeitig unterschiedliche Erfahrungswelten bestanden, deren Inkompatibilität die Kommunikation vor allem in der Gesellschaft, aber auch in einem nicht unerheblichen Teil der Familien behinderte. Allerdings legten Jugendliche nur selten jene Unversöhnlichkeit an den Tag, die ihnen die Medien oftmals zuschrieben. "Trau' keinem über 30" - diese Redensart, die als angeblicher Slogan junger Leute immer wieder gern kolportiert wurde, widerspiegelte keineswegs ihre Einstellung. Für überwiegend oder ganz falsch hielten diese Aussage im Jahre 1975 70 Prozent der westdeutschen Jugendlichen, unter denen mit Hochschulbildung waren es sogar 89 Prozent. Allerdings bedeutete dies auch am Ende der langen sechziger Jahre nicht, dass unter ihnen unkritisch-harmonische Vorstellungen vom Verhältnis der Generationen vorgeherrscht hätten. Die Aussage "Zwischen Alt und Jung gibt es unüberbrückbare Gegensätze", hielten 18 Prozent für überwiegend oder ganz und gar zutreffend, weitere 37 Prozent für immerhin zum Teil zutreffend.
Zwischen den mittleren sechziger und den mittleren siebziger Jahren änderte sich so gut wie gar nichts an der Zufriedenheit Jugendlicher mit der Art elterlicher Interventionen. Durchweg drei Viertel der Jugendlichen waren damit zufrieden, wie Eltern sich in ihre Angelegenheiten einmischten oder auch nicht einmischten.
Diese markante Verschiebung spricht dafür, dass Eltern sich in der Regel verhältnismäßig flexibel auf die Veränderung jugendlicher Lebensstile einstellten, aber sie deutet auch darauf hin, dass Jugendliche Wert darauf legten, über ihre Freizeit selbstständig verfügen zu können, und zwar möglichst in eigenen, von elterlicher Aufsicht freien Räumen.
"Cold War Liberals", "measured judgement" und die NS-Vergangenheit
Gegen die Untergangsphantasien der Verteidiger eines imaginären Abendlandes betonten große Teile der politischen Klasse, dass sich die Jugend im Großen und Ganzen problemlos in die Gesellschaft einpasste und auch abweichende Stile mit Toleranz rechnen könnten. Mit dieser Leitlinie grenzte man sich gegen den Nationalsozialismus und den Staatssozialismus der DDR ab, die derartige abweichende Stile unterdrückt hatten bzw. noch unterdrückten.
Derart pauschale Aussagen ignorierten allerdings zunehmend kritische Äußerungen der Akteure sowie die Tatsache, dass sich bereits eine ganze Reihe von Subkulturen herausgebildet hatten, die sich von jeder Art von Mainstreamkultur absetzten. Aus diesem Grunde stieß der Bericht der Bundesregierung aus dem Jahre 1965, welcher der Jugend eine kritiklose Einpassung in die gesellschaftlichen Normen attestierte, auf erhebliche Kritik. Das Bundesjugendkuratorium zum Beispiel hielt es zwar für berechtigt, "ein vorwiegend positives Bild der Jugend zu zeichnen und dadurch manchen Vorurteilen der Erwachsenen den Boden zu entziehen", doch man benötigte für eine realistische Jugendpolitik eine Analyse, die "weniger verharmlosend" sei.
Immer wieder entstanden in der jungen Generation neue Stile, die öffentlichen Unmut hervorriefen. Zwischen 1965 und 1967 konzentrierte er sich auf die "Gammler" - langhaarige Jugendliche, die sich auf öffentlichen Plätzen westdeutscher Großstädte trafen und ihre Zeit mit Musikmachen und Nichtstun verbrachten. Bundeskanzler Ludwig Erhard echauffierte sich über dieses randständige Phänomen und erklärte: "Solange ich regiere, werde ich alles tun, um dieses Unwesen zu zerstören."
Allerdings bedeutete dies nicht, dass sich unkonventionelle politische Ambitionen junger Leute innerhalb des gegebenen Rahmens in ausreichendem Maße zur Geltung bringen konnten. Insbesondere die Bildung der Großen Koalition im Jahre 1966 verstärkte den Eindruck eines hermetisch abgeschlossenen politischen Systems, in dem es keine wirkliche Opposition gab. Die jugendlich geprägte Außerparlamentarische Opposition (APO) markierte diesen Konflikt sehr deutlich. Hinzu kam, dass das Wahlalter erst ab 1970, die Volljährigkeit ab 1974 von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt wurde. Insbesondere der höher gebildete Teil der jungen Generation richtete sich im Kampf um politischen Einfluss gegen eine Gesellschaft, die sich mitten in einem Prozess der Auflockerung und Diversifizierung befand und Jugendlichen auf der kulturellen Ebene bereits enorm gewachsene Einflussmöglichkeiten bot, aber die politische Ebene nach wie vor abschottete. In der Grauzone zwischen Studentenbewegung und " Counterculture" radikalisierte sich auch die Generationsrhetorik. Die Kölner Undergroundgruppe Floh de Cologne etwa reimte 1969: "Die Alten leben von ihrer Vergangenheit,/ wir leben von unserer Zukunft,/ die Alten träumen vom Mond,/ schießt sie hin." Und die linksradikale Rockband Checkpoint Charlie forderte 1970 einigermaßen apodiktisch: "Haltet die Schnauze, Greise!"
In dieser Eskalationsspirale kam es insbesondere zwischen jungen Intellektuellen und den "Cold War Liberals" (Uta G. Poiger) zur Konfrontation. Viele (Links-)Liberale, insbesondere aus der "45er-Generation" wie etwa Günter Grass, Jürgen Habermas oder Uwe Johnson, rückten von den Jüngeren ab, als sich die Studentenbewegung 1967 radikalisierte. Ein Kernelement ihres generationsspezifischen intellektuellen Habitus - so jedenfalls die Selbstwahrnehmung der "45er" - bestand in einer nüchtern-pragmatischen und möglichst ideologiefernen Grundeinstellung, die sich mit den ideellen Bezugsgrößen der Jüngeren nicht mehr vertrug. In einem Fernsehinterview mit Rudi Dutschke am 3. Dezember 1967 brachte der mit seinem Gesprächspartner durchaus sympathisierende Journalist Günter Gaus diesen elementaren Dissens zum Ausdruck: "Der Unterschied ((...)) zwischen Ihrer Generation und der Generation der heute Vierzig- bis Fünfzigjährigen scheint mir darin zu bestehen, daß Sie, die Jüngeren, die aus den vergangenen Jahrzehnten gewonnene Einsicht in die Verbrauchtheit der Ideologien nicht besitzen. Sie sind ideologiefähig."
Bei der innerlichen und äußeren Abgrenzung der Generationen spielte die NS-Vergangenheit eine wichtige Rolle. Die spätere RAF-Terroristin Gudrun Ensslin etwa erklärte: "Ihr könnt nicht mit Leuten reden, die Auschwitz gemacht haben."
Erklärungen von studentischer Seite wie etwa Ensslins Statement machten deutlich, dass es hier neben der moralischen Empörung auch darum ging, einen Gegner zu diskreditieren, eigene Interessen durchzusetzen und Erwachsene, wie ein 23-jähriger Angestellter 1963 formulierte, "bei Diskussionen mundtot zu machen oder um einen Vorwurf, vielleicht persönlicher Art, zu entkräften"
Die Gegner von Sexualdarstellungen in den Medien, von langen Haaren, Miniröcken und Popmusik, nach wie vor präsent und immer wieder gern zitiert, gerieten angesichts der Dynamik gesellschaftlicher Entwicklungen zunehmend ins Abseits. Viele von ihnen gaben 1969 und 1970 ihren Kampf auf, nicht zuletzt die mit dem "Jugendschutz" befassten Polizeibehörden. Wenn sie Razzien in Gaststätten, Kinos oder bei Tanzveranstaltungen vornahmen, dann zeigten Veranstalter, erwachsene Gäste und Eltern, wie es in einem Bericht hieß, "immer weniger Verständnis", so dass das Landeskriminalamt in Baden-Württemberg zu dem Schluss kam: "Da die noch gültigen Bestimmungen durch den Wandel der Anschauungen zum Teil völlig überholt sind, ist eine sinnvolle Durchführung des Jugendschutzes nicht mehr möglich."
Auch für die Bundesrepublik bestätigt sich Arthur Marwicks Befund, dass sich im Laufe der sechziger Jahre bei den Älteren ein maßvolles, abgewogenes Urteil ("measured judgement") durchsetzte.