Einleitung
In den fünfziger und sechziger Jahren herrschte in der Presse der Bundesrepublik kein Mangel an Berichten über amerikanische Filme, Musik und Moden und deren Einfluss auf Jugendliche. Die amerikanische Populärkultur machte nicht am Eisernen Vorhang Halt: Amerikanische Einflüsse waren in der DDR spürbar und wurden von der SED bekämpft. Doch gab es auch andere internationale Bezugspunkte, zum Beispiel die Musik der Beatles aus Großbritannien. Und Ende der sechziger Jahre gelangten Stile aus der Dritten Welt auf unterschiedlichen Wegen in beide deutsche Staaten.
Es stellt sich die Frage, wie die Kulturgeschichte der Bundesrepublik und der DDR während des Kalten Krieges sinnvoll im internationalen Rahmen zu verorten wäre. Gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen in der Bundesrepublik sind vielfach unter dem Blickwinkel der Amerikanisierung, der "Westernisierung" oder der Modernisierung diskutiert worden.
Im Folgenden will ich zunächst die vielfältigen, kontroversen Reaktionen auf amerikanische Kulturimporte, insbesondere in Mode und Musik, in Ost und West in den sechziger Jahren aufzeigen, um danach zwei weitergehende Fragen stellen: Ist für die sechziger Jahre eine Amerikanisierung der Populärkultur in beiden deutschen Staaten festzustellen? Inwiefern wurden auch andere Länder zu Bezugspunkten für den (gesamt)deutschen Alltag?
Jugendkultur in der Bundesrepublik
In der Bundesrepublik wie in der DDR der fünfziger und sechziger Jahre war amerikanische Populärkultur heftig umstritten. Erzieher, Wissenschaftler und Politiker diskutierten vermeintlich negative Einflüsse auf Jugendliche, machten sich Gedanken über politische Auswirkungen und versuchten, diese einzudämmen. Der Tradition katholischer Kulturkritik folgend, sahen Konservative in den fünfziger Jahren beispielsweise Jazz, Rock'n'Roll-Tänze oder Western als Bedrohung des "christlichen Abendlandes". In beiden Staaten benutzten Verantwortliche aus Kultur und Jugendarbeit Begriffe, die auf die Eugenik bzw. die NS-Ideologie zurückgingen ("dekadent"; "entartet").
In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre setzte sich in der Bundesrepublik allmählich eine liberalere Haltung durch: Neue Stilrichtungen und alltagskulturelle Trends, die wenige Jahre zuvor noch Staub aufgewirbelt hatten, galten nun vielen Experten und Politikern als akzeptabel. Die Veränderungen fanden in einer Zeit statt, in der Wirtschaftsminister Ludwig Erhard das Ende der Nachkriegszeit und "Wohlstand für alle" zur Losung für die bundesrepublikanische Demokratie erhob.
Ab 1960 eröffnete der Berliner Senat "Jazzcafés". Im "Jazz-Saloon" servierte Jugendsenatorin Ella Kay höchstpersönlich nichtalkoholische Getränke und Bier für die jugendlichen Gäste, die dort zu (wenn auch nicht allzu) heißen amerikanischen Rhythmen tanzen konnten. Während zahlreiche westdeutsche Kommentatoren noch Anfang der fünfziger Jahre die amerikanische Musik pauschal als bedrohlich disqualifiziert hatten, galt Jazz nun als modern und jugendlich. So unterschiedliche Politiker wie Franz Josef Strauß, damals Bundesverteidigungsminister, und Willy Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin, propagierten den Jazz als passende Musikform für die Jugend der Bundesrepublik. Jazz wurde sogar zu einem Aushängeschild: 1964 entsandte das Goethe-Institut westdeutsche Jazzgruppen in mehrere asiatische Länder.
Jugendsenatorin Kay war zufrieden mit dem Erfolg der Jazzklubs, die ihr zufolge berechtigte Wünsche erfüllten.
Sozialarbeiter, Soziologen und Politiker sahen staatlich geförderte Einrichtungen wie Jazz- oder auch Filmklubs als Mittel, die Jugend zum kritischen Umgang mit der importierten Konsumkultur zu erziehen. Ein Bericht des Senats sprach von einer "skeptischen Generation" in einer außengeleiteten Gesellschaft, von Jugendlichen, die keinen Halt mehr in den sozialen Normen der bürgerlichen Gesellschaft finden konnten. Um die Bedeutung solcher Jugendklubs zu verdeutlichen, benutzten die Verfasser Konzepte, die der amerikanische Soziologe David Riesman und sein deutscher Kollege Helmut Schelsky in den fünfziger Jahren eingeführt hatten. Riesman und Schelsky waren zwar der Konsumgesellschaft gegenüber kritisch eingestellt, bestätigten aber auch ihre Stabilität. Die staatlichen Interventionen zeigten die andauernde Ambivalenz gegenüber Populärkultur und Konsum im Allgemeinen und amerikanischen Einflüssen in der Jugendkultur im Besonderen.
Als die USA Mitte der sechziger Jahre zeitweise ihren Status als Exporteur der umstrittensten Produkte der Jugendkultur verloren und der Rock'n'Roll auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs zunehmend in den Hintergrund trat, machten sich Eltern, Sozialarbeiter und Politiker Gedanken über die Beatmusik britischer Bands wie der Beatles und der Rolling Stones und die legere Kleidung und langen Haare besonders ihrer männlichen Fans. Radiostationen wie die amerikanischen und britischen Soldatensender AFN und BFBS, Radio Luxemburg und Piratensender in der Nordsee waren die Hauptquellen für amerikanische und britische Musik. Derweil scheuten westdeutsche Stationen sich bis Mitte der sechziger Jahre, Rock oder Beatmusik zu senden.
Auch weiterhin gab es kulturkonservative Bedenken. So warnte die Fachzeitschrift "deutsche jugend" 1964 vor politischen Auswirkungen der Beatles-Welle: "Die jugendliche Massenhysterie könnte (...) auch in gefährlichere Bahnen gelenkt werden. Die Rattenfänger aus Liverpool sind vergleichsweise harmlos."
Trotz oder auch wegen solcher Befürchtungen wurde Jugendlichkeit im Laufe der sechziger Jahre immer mehr Teil der Vermarktungsstrategien für Konsumgüter. Zeitungen und Zeitschriften hatten schon seit den fünfziger Jahren verstärkt über amerikanische Stile berichtet, auch wenn diese zunächst nur von einer Minderheit wirklich angenommen wurden. 1965 gründeten die westdeutschen Rundfunkanstalten die erste Jugendmusiksendung des Fernsehens, den "Beat-Club", in dem auch Hendrix seinen Auftritt hatte. Gleichzeitig änderten sich die Geschmäcker: War es Anfang der Sechziger noch eine Minderheit, die amerikanische oder westliche Populärmusik bevorzugte, war es am Ende des Jahrzehnts die Mehrheit der Jugendlichen. Zudem galten Jugendliche nun als Trendsetter, die der älteren Generation einiges voraus hatten, diese aber auch immer mehr beeinflussten, unter anderem bei der Verbreitung westlicher Musik- und Modestile.
Doch der Anspruch an die Internationalisierung, antifaschistisch zu sein, barg auch Probleme: Einerseits bestand die Gefahr, zu verkennen, dass sich der Nationalsozialismus, allen öffentlichen Bekundungen zum Trotz, durchaus dem Wettbewerb mit nichtdeutschen Modellen, beispielsweise mit Hollywood und amerikanischem Jazz, gestellt und sogar Importe von Filmen oder Musik zugelassen hatte, um einen Schein von Normalität zu wahren.
Jugendkultur in der DDR nach dem Mauerbau
Als die Ost-Berliner Führung am 13. August 1961 die Berliner Mauer bauen ließ, sah sie den so genannten "antifaschistischen Schutzwall" nicht nur als Mittel an, um Arbeitskräfte in der DDR zu halten, sondern auch, um gefährliche westliche Einflüsse abzuwehren. In den Wochen nach dem Mauerbau waren die DDR-Zeitungen voll von Berichten über die Schließung der von der Führung geschmähten, von vielen DDR-Bürgern regelmäßig besuchten West-Berliner Kinos nahe der Sektorengrenze. Diese hatten ganze Ost-Berliner Schulklassen mit westlichen und vor allem amerikanischen Filmen versorgt.
Um die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu beschwichtigen, bediente sich die SED eines Rezepts, das sie auch schon in anderen Krisensituationen, zum Beispiel nach dem 17. Juni 1953, ausprobiert hatte: Sie schuf kurzfristig größere Freiräume im Bereich der Unterhaltung, ohne den Kampf gegen westliche Kultureinflüsse aufzugeben. Die Stadtverwaltungen hielten Kinos an, ein besonders interessantes Programm zu bieten, und Parteiorganisationen drängten Restaurants dazu, mehr Tanzabende abzuhalten. Gleichzeitig brachten die Zeitungen Berichte, dass staatliche Jugendklubs junge Grenzgänger in Jeans zu respektablen jungen Männern in Anzügen verwandelt hatten, die mit jungen Frauen in modischen Kleidern tanzten. Ein interner Bericht warnte jedoch, dass ehemalige Grenzgänger nach wie vor dem Staat gegenüber feindlich eingestellt seien.
Die DDR-Führung politisierte den jugendlichen Kulturkonsum. Im September 1961 startete die FDJ eine Kampagne gegen so genannte "Nato-Sender", um den Empfang westlicher Radio- und Fernsehstationen zu unterbinden. FDJ-Mitglieder gingen soweit, Antennen, die nach Westen zeigten, abzuknicken, selbst wenn derartige Aktionen den Zugang zu westlicher Musik allenfalls kurzzeitig unterbrachen.
Im Laufe der sechziger Jahre vollzog die DDR-Führung eine Art Zickzackkurs in Sachen westlicher Kultureinflüsse. Es gab wiederholt Kampagnen gegen Westsender, und Funktionäre versuchten, die Musik, die in der DDR gespielt wurde, zu kontrollieren. Zeiten relativer Nachgiebigkeit wechselten mit Phasen starker Unterdrückung. 1963 schlug die SED im Rahmen der Ulbricht'schen Reformbestrebungen mit ihrem Jugendkommuniqué einen neuen Weg in der Jugendpolitik ein. Der Jugend wurde als "Hausherren von morgen" eine wichtige Rolle beim Aufbau des Sozialismus zuerkannt. Manches ähnelte den Äußerungen westlicher Politiker und Pädagogen: Jugendliche sollten Spaß haben und ihre Freizeit vor allem miteinander verbringen; sie könnten gar über ihren Takt selbst entscheiden, allerdings nur, solange es "taktvoll" bleibe. Neue Angriffe gegen die "psychologische Kriegführung des Westens" zeigten, wie schwierig es für die DDR-Führung war, ein Gleichgewicht zwischen dem Verlangen vieler Jugendlicher nach Autonomie und der geforderten Treue zum sozialistischen System zu finden.
Jugendliche und Kulturschaffende, aber auch viele Funktionäre reizten die Freiräume aus. Man tanzte den Twist, und an vielen Orten der DDR wurden Rock- und Beatgruppen gegründet. 1963 ließ die DDR den ersten amerikanischen Western in die Kinos: "Die glorreichen Sieben" (USA 1960) mit Horst Buchholz. Zwei Jahre später wurde eine LP der Beatles herausgebracht, zu der es in der Presse hieß, dass Beat, wie früher der Jazz, im Westen durchaus eine Protestmusik sei. Aus Anlass des von der FDJ organisierten gesamtdeutschen "Deutschlandtreffens der Jugend" wurde 1964 das "Jugendradio DT 64" gegründet, das seine Zuhörer mit westlicher Rock- und Beatmusik und den Produkten einheimischer Bands bediente, obwohl für Musiker und Stationen weiterhin die Regel galt, dass höchstens 40 Prozent ihrer Musik aus dem westlichen Ausland stammen durfte.
Bald entglitt die neue Jugendkultur jedoch der Kontrolle von SED und FDJ. Ab 1964 begann insbesondere Erich Honecker, im ZK zuständig für Sicherheitsfragen und zweiter Mann hinter Ulbricht, die neue Offenheit einzuzäumen. In der Presse fanden sich wieder verstärkt Kampagnen gegen die Gefahren westlicher Einflüsse. Hier kam es zu einer bemerkenswerten Allianz der "Bild"-Zeitung und des "Neuen Deutschland": Nach dem Konzert der Rolling Stones auf der West-Berliner Waldbühne, bei dem es im September 1965 zu Krawallen gekommen war, druckte das Parteiorgan Beschreibungen aus "Bild" ab, denen zufolge junge Frauen sich ekstatisch ihrer Unterwäsche entledigt hätten. Hier war es durch männliche Aggressivität und weibliche Sexualität zu Überschreitungen von Geschlechternormen gekommen, die in Ost wie West beunruhigend wirkten.
Im Herbst 1965 wurde vielen Beatbands die Lizenz entzogen. Ein Gitarrenwettbewerb der FDJ wurde gestoppt, als zu viele Einsendungen amerikanische oder britische Einflüsse zeigten. In Leipzig verhaftete die Polizei im Oktober viele Teilnehmer einer so genannten "Beat-Demo", auf der 2500 Fans gegen die Repressionen protestiert hatten. Leipziger Parteifunktionäre griffen die "amerikanische Unkultur" unter Jugendlichen an, unter denen angeblich "Texasideologie" und "Rangerverhalten" grassierten. Das bezog sich auf die Beliebtheit der amerikanischen TV-Serie "Texas Ranger", die damals im Westfernsehen lief. Nach der Leipziger Demonstration ermunterte die FDJ ihre Mitglieder, Klassenkameraden die langen Haare abzuschneiden. Manche Beatfans wurden zu Gefängnis oder Arbeitslager verurteilt.
Im Dezember 1965 setzte die SED zum kulturellen "Kahlschlag" an. Honecker hielt auf dem berüchtigten 11. Plenum des Zentralkomitees der SED eine Rede, in der er sich darüber beschwerte, dass DT 64 "Erscheinungen der amerikanischen Unmoral und Dekadenz" nicht offen entgegentrete.
Während die meisten Redner auf dem ZK-Plenum auf alte Muster zurückgriffen, nahmen andere Äußerungen Bezug auf liberalere Diskurse, die inzwischen im Westen gängig waren. Begriffe wie "entartet" kamen kaum mehr vor. Stattdessen wandten sich viele gegen "Skeptizismus", "Objektivismus" oder "bürgerliche Theorien von der Einsamkeit des Menschen" und griffen Konzepte an, die von westdeutschen und amerikanischen Soziologen verwendet worden waren, etwa von Schelsky, Riesman oder Daniel Bell. ZK-Mitglieder empfahlen, das jugendliche Klassenbewusstsein durch ideologische Schulung zu festigen. Nach dem 11. Plenum wurden zahlreiche DDR-Filme verboten, und Musiker und Schriftsteller wurden in ihrer Arbeit behindert.
1966 beauftragte die SED das Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung mit der so genannten Pilzkopfstudie, um die Haltungen von langhaarigen Jugendlichen zu untersuchen. Im Gegensatz zu öffentlichen Darstellungen über Beatfans zeigte die Untersuchung, dass die jungen Männer keineswegs minderer Intelligenz waren. Aber sie waren nicht völlig vom Sozialismus überzeugt. Eine weitere Studie fand heraus, dass die Zahl der Jugendlichen, die den Empfang westlicher Sender ablehnten, immer weiter zurückging. Die Ergebnisse der Studien wurden nicht veröffentlicht. Das Regime forderte seine Bürger dazu auf, sich als Arbeiter und Bauern, als Sozialisten und Antifaschisten zu verstehen, doch solche Identifikationen wurden durch alltagskulturelle Einflüsse aus dem Westen und den Konsum populärer Musik und Moden immer weiter unterminiert.
Gegenkulturen
Die unterschiedlichen, wenn auch aufeinander bezogenen Wege, welche die beiden deutschen Staaten in den sechziger Jahren eingeschlagen hatten, bedeuteten auch, dass sich "Gegenkulturen" auf unterschiedliche Weise zeigten. Nach der Unterdrückung des Prager Frühlings 1968 machten Jugendliche in der DDR ihrer Unzufriedenheit Luft, indem sie Flugblätter verteilten, welche die tschechoslowakischen Reformen unterstützten; andere protestierten bei Tanzveranstaltungen oder indem sie öffentlich westliche Musik spielten. Unter diesen Jugendlichen waren, im Gegensatz zu den Mitgliedern von Protestgruppen in der Bundesrepublik, mehr junge Arbeiter als Studenten. Diese waren eher bereit, sich öffentlich gegen das Regime zu stellen als Studenten, die zwar oft auch aus der Arbeiterschicht stammten, aber aus Dankbarkeit für ihre Bildungsmöglichkeiten gegenüber Staat und Partei seltener Kritik übten. Als Reaktion auf die Unmutsäußerungen machten führende Funktionäre "Feindaktionen", inklusive der Verbreitung westlicher Musik, für eine angebliche "Entpolitisierung" der Jugend verantwortlich.
Trotz solcher Konfrontationen bewirkten die späten sechziger Jahre wahrscheinlich weniger grundlegende Veränderungen in der DDR als in der Bundesrepublik.
Die Aktiven der Studentenrevolte in der Bundesrepublik waren daran interessiert, demokratische Formen der Selbstbestimmung zu finden. Beziehungen sollten nicht mehr von traditionellen sozialen Wertvorstellungen belastet sein. Rasch rückte das politische und wirtschaftliche System der Bundesrepublik ins Zentrum der Kritik. Die westdeutsche Gegenkultur war keine einheitliche Bewegung, und sie erfasste nur einen kleinen Teil der Jugend, aber sie übte einen wichtigen Einfluss auf die Populär- und Alltagskultur aus. Mitglieder der antiautoritären Bewegung machten erstmals 1964 von sich reden, als sie auf einem Kongress von Werbefachleuten diese als "Seelenmasseure" verschrieen.
Die "68er" griffen Elemente des konservativen Kulturpessimismus auf, der sich ebenfalls gegen die manipulativen Aspekte der Unterhaltungs- und Konsumindustrie wandte. Das geschah aber unter anderen politischen Vorzeichen: Insbesondere die Werke von Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse waren für sie attraktiv. Die Analysen setzten Konsumkultur und Unterhaltungsindustrie mit Faschismus und Militarismus in Verbindung und identifizierten die USA als Vorreiter.
Für den "Jazzpapst" Joachim-Ernst Berendt erhob Jazz aus den USA in den fünfziger Jahren einen Anspruch von Modernität und Spontaneität, der sich sowohl gegen die nationalsozialistische Vergangenheit als auch gegen autoritäre Strukturen der Gegenwart richtete. Berendt suchte seit den sechziger Jahren in seiner Plattenreihe "Jazz Meets the World" und mit "World Music Meetings" Inspirationen in der Musik und Kultur anderer Völker insbesondere der Dritten Welt, um Gegenpole zum deutschen Mainstream aufzubauen. Er wurde zu einem der wichtigsten Begründer der "Weltmusik". Berendt war sicher kein Hippie, aber von ihm organisierte Konzerte und Plattenaufnahmen und seine Schriften beförderten das Sehnen nach Ferne und gesellschaftlicher Veränderung, das viele junge Deutsche überkam und für das seit den sechziger Jahren die USA nicht mehr der einzige oder wichtigste Bezugspunkt waren.
Auch die Mode diente der Zurschaustellung politischer Haltungen. Stile, die Barbara Til für die Jugend in der Londoner King's Road beschrieben hat, wurden Ende der sechziger Jahre auch in Deutschland beliebt: "Klamotten in schreienden Farben, nackte, gebräunte Beine unter kurzen Röcken, scheckige Hosen und Hemden, bestickte Blusen und Westen, Kleidung aus Peru, Mexiko, Afrika, Indien, oder sonstwoher."
Auch in der DDR identifizierten sich Jugendliche mit Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, allerdings unter anderen politischen Vorzeichen. Die DDR sah sich als Unterstützer der Befreiungsbewegungen. Anders als im Westen waren Proteste gegen die Vietnamkriegspolitik der USA staatlich sanktioniert. Die FDJ verstand es, sich die Begeisterung Jugendlicher für die Befreiungsbewegungen zunutze zu machen mit einer Reihe von Aktionen, die von Aufrufen zu Geld- und Blutspenden über Kontakte mit ausländischen Jugendorganisationen bis zu Einladungen von "Künstlern aus den jungen Nationalstaaten und Befreiungsbewegungen" reichten. Musiker aus der Dritten Welt, insbesondere aus Lateinamerika, kamen seit 1970 regelmäßig zum Festival des Politischen Liedes und 1973 zu den Weltfestspielen der Jugend nach Ost-Berlin. Die "in Europa nicht zu stillende Revolutionsromantik" beflügelte offensichtlich auch die Jugend der DDR, und besonders diejenigen, die vom gewaltsamen Ende des Prager Frühlings enttäuscht waren, übertrugen ihre Hoffnungen auf Veränderungen auf die Befreiungskämpfe in der Dritten Welt.
Schaffellmäntel wurden auch in der DDR beliebt, und oft fungierten Musikgruppen als Trendsetter. 1972 ließen sich beispielsweise die Mitglieder des Horst-Krüger-Septetts fotografieren: Einer trug einen Armeeparka, drei trugen Fellmäntel, von denen zwei im westlichen Mantelstil geschnitten waren und nur einer Afghanenmänteln ähnelte.
Moden wurden in der DDR und in der Bundesrepublik zum Ausdruck der Sehnsucht nach individueller und gesellschaftlicher Veränderung. Sie bedeuteten jedoch nicht automatisch ein Verschwinden rassistischer Haltungen; kultureller Eklektizismus hieß nicht gleichzeitig auch größerer Einsatz für die Rechte anderer. Oft waren die Ursprünge kultureller Stile den Konsumenten gar nicht bewusst. "Palästinensertücher" etwa waren in den siebziger Jahren weit verbreitet. Doch viele Jugendliche waren sich über ihre politische Bedeutung als Aussage für die PLO und gegen Israel nicht im Klaren. Wie viele Jugendstile zuvor wurden auch Elemente der Gegenkulturmode bald von Bekleidungskonzernen aufgegriffen. Diese Stile wurden zuerst in Straßenständen oder kleinen Geschäften verkauft, und bald erschienen sie in der Jugendabteilung von C&A.
Verschlungene Wege der Amerikanisierung und Internationalisierung
Wim Wenders ließ 1976 den Protagonisten seines Films "Im Lauf der Zeit" die viel zitierten Worte sagen: "Die Amis haben unser Unterbewusstsein kolonisiert."
Wenn man von einer Amerikanisierung der deutschen Kultur insbesondere seit den fünfziger Jahren spricht, verbinden sich damit keineswegs eindeutige kulturelle oder politische Entwicklungslinien. Der Vergleich zwischen beiden deutschen Staaten zeigt erstaunliche Überschneidungen, insbesondere in der Ablehnung amerikanischer Kultur (einschließlich der Berufung auf Geschlechternormen), aber auch in der Annahme amerikanischer Einflüsse besonders durch Jugendkulturen. Doch deutet der Vergleich auch auf wichtige Unterschiede. War Antiamerikanismus in der Nachkriegszeit unter den Eliten in Ost und West stark verbreitet, wurde er in den sechziger Jahren eher zu einem Markenzeichen der westdeutschen Gegenkultur in ihrer Ablehnung von "Imperialismus" und "Kapitalismus". Westdeutsche Politiker dagegen identifizierten sich meist mit den USA als Heimat demokratischer Institutionen und als Garant von Wohlstand und Sicherheit. Nicht nur viele kontroverse Stile, sondern auch das Vokabular, mit dem diese interpretiert wurden, waren in der Bundesrepublik aus den USA importiert. Insgesamt blieben amerikanische Stileinflüsse wegen der Abwehrhaltung von Staat und Partei in der DDR subversiver, auch wenn es mit dem Machtantritt Honeckers in den siebziger Jahren durchaus Lockerungen gab.
Die Konzentration auf eine Amerikanisierung der deutschen Kultur kann den Blick jedoch verengen, so dass die gegenseitige Beeinflussung von Europa und den USA, die sich im Laufe der sechziger Jahre durch die Beat-Musik und den intellektuellen Austausch verstärkte, ignoriert wird. Aber auch andere internationale Bezugspunkte für die Populärkultur in der Bundesrepublik und in der DDR geraten aus dem Blick. Der wachsende Anteil amerikanischer Programme im westdeutschen Fernsehen seit den siebziger Jahren bedeutete sicherlich eine gründliche "Amerikanisierung von unten", aber es hatte sich schon in den sechziger Jahren gezeigt, dass für die deutschen Vorstellungen von Stil, Kultur und Alltagspraxis zunehmend andere internationale Einflüsse außerhalb der USA an Bedeutung gewannen.