Einleitung
Nach einem Bonmot des früheren US-Präsidenten Calvin Coolidge dreht sich in den USA alles ums Geschäft: "Chief business of the American people is business."
Wäre die nationale Sicherheit der USA der einzige Grund für die Militarisierung der amerikanischen Gesellschaft, dann hätte das Ende des Kalten Kriegs zu einer nachhaltigen Abrüstung führen müssen. Seit der Zeitenwende von 1989/90 ist keine Macht der Erde den Vereinigten Staaten auch nur entfernt ebenbürtig. Eine "Friedensdividende" wäre das Gebot der Stunde. Tatsächlich senkte Präsident Bill Clinton nach seinem Amtsantritt 1993 den Verteidigungshaushalt und leitete in den Folgejahren viele Milliarden in die Schuldenreduzierung um. In der amerikanischen Rüstungsindustrie vollzog sich angesichts der sinkenden Aufträge aus dem Pentagon eine Welle von Fusionen. Dann stand der Militärisch-Industrielle Komplex plötzlich wie Phönix aus der Asche wieder auf. Im Oktober 1999 beschloss der US-Kongress erstmals wieder eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Eine Woche später warf der Vorstandsvorsitzende des Rüstungskonzerns General Dynamics, Nicholas D. Chabraja, der Clinton-Administration vor, durch Einsparungen bei der Rüstungsbeschaffung die Streitkräfte demoralisiert und die nationale Sicherheit gefährdet zu haben. Die erstmalige Erhöhung der Verteidigungsausgaben wollte er zu einer Trendwende umdeuten: "Es ist nur ein Anfang. Aber es ist eine Verpflichtung, die unsere Unterstützung verdient. Nicht nur in diesem Jahr - sondern im nächsten Jahr und in allen weiteren Jahren vor uns."
Die Architekten des neuen Rüstungsbooms
Donald H. Rumsfeld und Richard B. Cheney gehörten 1997 zu den Gründern des "Project for the New American Century", eines exklusiven Kreises von Neokonservativen in der Republikanischen Partei. Der Politikerkreis forderte die Regierung Clinton in öffentlichen Briefen zu einer entschlosseneren Führung in der Weltpolitik und zur Erhöhung der Militärausgaben auf.
Im Jahr 2002 bestritten die Vereinigten Staaten alleine bereits 43 Prozent der weltweiten Militärausgaben
Richard Cheney und Donald Rumsfeld sind die Architekten des neuen Rüstungsbooms. Beide sind seit über drei Jahrzehnten ein Team in der Politik und bewegen sich zwischen den Führungsetagen der Politik, des Militärs und der Industrie hin und her. Rumsfeld wechselte als ehemaliger NATO-Botschafter, Stabschef im Weißen Haus und Verteidigungsminister 1977 in die Wirtschaft. Als Vorstandsvorsitzender des angeschlagenen Pharmakonzerns G.D. Searle & Co sanierte er das Unternehmen und häufte bis Ende der achtziger Jahre ein Vermögen von über 200 Millionen US-Dollar an. Fortan bereitete er sein politisches Comeback vor und leistete Wahlkampfspenden für George W. Bush in Texas. Bereits 1974 hatte Rumsfeld dafür gesorgt, dass sein Juniorpartner Dick Cheney aus dem Kongress in den Stab des Weißen Hauses geholt wurde. Der heutige Vizepräsident der USA bewegte sich seither ebenfalls zwischen den Chefetagen von Politik, Militär und Big Business hin und her.
Dick Cheney wechselte 1989 aus dem Repräsentantenhaus in das Amt des Verteidigungsministers und 1993 von der Spitze des Pentagon in die Führungsetagen der Wirtschaft. Fünf Jahre lang leitete er als Vorstandsvorsitzender den texanischen Erdöldienstleister Halliburton, der von der Bush-Administration zum Hauptauftragnehmer für den Wiederaufbau im Irak gemacht worden ist (aktuelles Auftragsvolumen: über zwei Milliarden US-Dollar). Der Vizepräsident bezieht von Halliburton immer noch über 150 000 US-Dollar pro Jahr aus Abschiedsgeldern und Aktienoptionen. Dass die Bush-Administration Interessenpolitik im Dienste der Erdölindustrie betreibt, ist mittlerweile weithin bekannt. Die massiven Interessen der Rüstungsindustrie werden bislang übersehen.
Direkte Verflechtungen mit der Rüstungsindustrie
Als Chef des Pentagon zeichnet Donald Rumsfeld seit seinem Amtsantritt im Februar 2001 die Milliardenaufträge an die Rüstungsindustrie ab und schleust sie durch den Kongress, in dem die Republikaner in den vier maßgeblichen Ausschüssen die Mehrheit der Abgeordneten stellen. Die interne Planung und Budgetierung der Programme vollzieht sich weitgehend im Verborgenen, denn die Details militärischer Projekte stehen bis zur endgültigen Einführung der Waffensysteme unter Geheimhaltung. Nur bei gelegentlichen Skandalen dringen Details an das Licht der Öffentlichkeit. Minister Rumsfeld führt sein Amt von der ersten Stunde an als ein Modernisierer, der die Digitalisierung der US-Streitkräfte auf allen Ebenen vorantreibt. Die US-Streitkräfte werden komplett von den Satelliten im Weltall bis hinunter zu den Fußsoldaten vor der Bergfestung Tora Bora miteinander über Computersysteme vernetzt. Parallel dazu erforschen die USA zahlreiche neue futuristische Waffensysteme. Das Rumsfeld-Programm hat zu einer Flut an neuen Aufträgen an die Rüstungsindustrie geführt.
Gleich nach seinem Amtsantritt berief Rumsfeld hierfür einen neuen Staatssekretär an die Spitze der US-Air-Force, den ehemaligen Marinekapitän James G. Roche. Die Personalie Roche ist auf oberster Ebene beispielhaft für zahlreiche Verflechtungen, die zwischen dem Pentagon und der Rüstungsindustrie auf unteren Ebenen bestehen. Roche wechselte 1985 aus dem Dienst der Streitkräfte in die Rüstungsindustrie und arbeitete sich als Spezialist für Verteidigungselektronik in das Topmanagement des Rüstungsproduzenten Northrop-Grumman empor. Rumsfeld holte den Rüstungsmanager als Staatssekretär der US-Air-Force in die Streitkräfte zurück, wo Roche die Digitalisierung der Waffen- und Kommunikationssysteme der Luftwaffe koordinierte. Im Mai 2003 machte Rumsfeld seinen Experten für Verteidigungselektronik zum neuen Staatssekretär des Heeres, wo Roche ebenfalls die Digitalisierung der Streitkräfte vorantreiben soll. Der Interessenkonflikt ist eindeutig: Northop-Grumman, der frühere Arbeitgeber des Staatssekretärs, ist mit einem Jahresumsatz von 17 Milliarden US-Dollar im Jahr 2002 zum größten Produzenten von Verteidigungselektronik in den USA aufgestiegen.
Eine weitere Verflechtung zwischen Regierung und Rüstungsindustrie ist sogar eine Verwandtschaft ersten Grades. Die Ehefrau des Vizepräsidenten, Lynne Cheney, wurde 1993 in den Aufsichtsrat von Lockheed-Martin berufen, des größten Rüstungskonzerns der Welt. Als Cheney im Januar 2001 in seinem Regierungsamt vereidigt wurde, legte seine Ehefrau ihr Mandat bei Lockheed-Martin natürlich nieder. Bis dahin hatte sie über Unternehmensaktien und Tantiemen des Rüstungsriesen über 500 000 US-Dollar verdient.
Der Militärisch-Industrielle Komplex ist der eigentliche Nutznießer der politischen Wende vom Januar 2001. Die Rüstungsmilliarden aus dem Pentagon fließen zu weit über 50 Prozent an nur fünf Unternehmen, die heute den Weltmarkt für Großwaffensysteme dominieren: Lockheed-Martin, Boeing, Northrop-Grumman, Raytheon und General Dynamics. Europäische Rüstungsmanager prophezeien bereits, dass der gesamte Weltmarkt für Großwaffensysteme in einigen Jahren von nur noch drei bis fünf Industriegruppen beherrscht sein wird.
Die Rüstungsindustrie als Schlüsselsektor
Die fünf Rüstungsriesen der USA beschäftigen zusammen über 540 000 Mitarbeiter. Alleine mit der Waffenproduktion erlösten sie im Geschäftsjahr 2002 rund 80 Milliarden US-Dollar. Der Rüstungsumsatz des Oligopols ist im ersten Halbjahr 2003 um 22,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum angestiegen (vgl. die Tabelle). Der Krieg im Irak diente nicht nur dem Sturz des Saddam-Regimes und einer geopolitischen Neuordnung des Nahen Ostens, sondern de facto auch den Geschäften der amerikanischen Rüstungsindustrie. Die US-Streitkräfte füllen zur Zeit ihre verschossenen Bestände an Raketen und Marschflugkörpern mit Milliardenbeträgen wieder auf.
Die Konzerne sichern ihre Interessen über einen aufwändigen Lobbyismus in Washington. Sie verteilen ihre Standorte über das ganze Land und können dadurch auf die Unterstützung einer großen Zahl von Kongressabgeordneten setzen, die nicht nur an die Arbeitsplätze in ihren Wahlkreisen denken, sondern auch auf Wahlkampfspenden in ihren Heimatstaaten hoffen. Zusammen mit dergewaltigen Verteidigungsbürokratie hat die Rüstungsindustrie seit dem Ende des Kalten Kriegs erfolgreich den Kampf gegen die Friedensdividende geführt. Selten geht die verschwiegene Branche hierfür an die Öffentlichkeit. Sie setzt auf vertrauliche Hintergrundgespräche, den Einfluss ehemaliger Offiziere und auf Wahlkampfspenden. Die Aufblähung des Pentagon-Haushaltes ist das zentrale Instrument eines deficit spending zugunsten des gesamten Hochtechnologiesektors:
Die fünf großen Rüstungskonzerne der USA sind Elektronikunternehmen, deren Produkte zunehmend Anwendungen auf zivilen Märkten finden. "Ob Wetterradar, Laser in CD- und DVD-Abspielgeräten oder in der Medizin, ob kohlefaserverstärkte High-Tech-Verbundstoffe, Mobilfunk oder das Internet - alle diese Produkte sind zuerst fürs Militär entwickelt worden."
Subventionen für Boeing
Der angeschlagene Luftfahrtriese Boeing steht heute im Zentrum des Milliardenregens aus den Kassen des Pentagon. Boeing muss die Verluste ausgleichen, die das Unternehmen seit dem 11. September 2001 im zivilen Flugzeugbau schreibt. Im laufenden Jahr wird der Anteil des Rüstungsgeschäfts am Konzernumsatz auf über 55 Prozent ansteigen, in Südkalifornien ist die Rüstungssparte von Boeing zum größten Arbeitgeber der Region geworden. Hierfür vergab das Verteidigungsministerium von Mai bis August 2003 drei neue Multi-Milliarden-Dollar-Aufträge an das Weltunternehmen aus Chicago.
Durch gezielte Indiskretionen einzelner Abgeordneter im Kongress und des Wettbewerbers Lockheed-Martin wurden in den letzten Monaten aufschlussreiche Details über den Lobbyismus des Boeing-Konzerns in Washington bekannt. Im Mai 2003 beauftragte die US-Luftwaffe Boeing damit, 100 Jumbos vom Typ 767 zu Tankflugzeugen umzubauen, die von der Luftwaffe über sechs Jahre geleast und anschließend gekauft werden sollen. Das Auftragsvolumen umfasste 26 Milliarden US-Dollar. Für das Lobbying im Weißen Haus hatte Boeing bereits im Dezember 2001 den republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, J. Dennis Hastert, gewonnen. Hastert sitzt für den Boeing-Heimatstaat Illinois im Kongress. Bei einem Gespräch mit dem einflussreichen Abgeordneten gab Präsident Bush im Oktober 2002 grünes Licht für das Geschäft. Hastert sagte als Gegenleistung seine Unterstützung für die zweite Runde der Steuersenkungen im Repräsentantenhaus zu.
Nach Berechnungen des US-Bundesrechnungshofes war der Leasingpreis für die 100 Tankflugzeuge mit 26 Milliarden US-Dollar grotesk überhöht. Eine komplette Modernisierung der bestehenden Tankerflotte der Luftwaffe wäre um acht Milliarden US-Dollar billiger gewesen.
Senator McCain nutzte die Gelegenheit, um seinen Intimfeind Bush mit brisanten Details aus internen Unterlagen von Boeing in Schwierigkeiten zu bringen. Demzufolge verriet die stellvertretende Abteilungsleiterin für Rüstungsbeschaffung bei der Luftwaffe, Darleen Druyun, dem Unternehmen vertrauliche Details über die Konkurrenzangebote von Airbus. Das Angebot des europäischen Wettbewerbers lag zunächst weit unter dem Boeing-Preis. Der US-Konzern besserte auf Drängen aus dem Pentagon sein Angebot nach und konnte nur deshalb den Zuschlag der US- Air-Force erhalten. Im Januar 2003 wechselte DarleenDruyun aus den Diensten des Pentagon in das Topmanagement des Weltunternehmens.
Der Imageschaden für Boeing ist groß, zumal Lockheed-Martin im Juli bereits den Diebstahl interner Firmenunterlagen durch den Konkurrenten publik gemacht hatte. Das Pentagon sah sich deswegen zu einer Vertragsstrafe gegenüber Boeing in Höhe von einer Milliarde US-Dollar gezwungen.
Eine Lektion in Gesellschaftspolitik
Die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik verfolgt neben geostrategischen auch massive wirtschaftliche Interessen. Die Bush-Administration vertritt hier die Interessen des Big Business. Nach der traditionellen Ideologie der Republikaner soll sich der Staat zwar aus den Märkten heraushalten und die Steuerbelastung der privaten Einkommen senken, um die wirtschaftliche Dynamik zu stärken. Doch für Wirtschaftszweige, die sich in einem starken internationalen Wettbewerb befinden, betreibt die Bush-Administration ein massives deficit spending: Alimentiert werden vor allem die Rüstungsindustrie und die Landwirtschaft. Die Rüstungswirtschaft bildet dabei die Basis der gesamten Luft- und Raumfahrtindustrie in den USA, die 800 000 gut bis hoch bezahlte Mitarbeiter beschäftigt. Ein Drittel ihrer Produkte werden vom Pentagon gekauft,
Die Kombination aus Steuersenkungen und Milliarden-Subventionen hat bedeutende wirtschaftliche Auswirkungen. Die Politik der Bush-Administration führt im amerikanischen Bundeshaushalt jedes Jahr zu einer gigantischen Neuverschuldung, die im kommenden Jahr auf über 540 Milliarden US-Dollar ansteigen wird. Der Ökonom John Kenneth Galbraith sieht hier eine gesellschaftspolitische Strategie am Werke. Die nationale Sicherheit dient demnach als öffentliche Legitimation für eine massive Staatsverschuldung, die für alle Zukunft einen nachhaltigen Ausbau des Sozialstaates verhindern soll. Statt zum Teil dringend benötigte Wohlfahrtsprogramme für die Unterschicht aufzulegen, alimentiert die Bundespolitik stattdessen über Steuersenkungen und Subventionen das wohlhabende Bürgertum in den USA.
Die Gewinner kennen diese Verteilungswirkungen amerikanischer Politik. Das Wahlkampfteam von George W. Bush rechnet für 2004 mit einem neuen Spendenrekord in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Rund 170 Millionen US-Dollar werden die Kassen der Bush-Kampagne noch praller füllen als im Jahr 2000.
Unter Präsident Reagan ging das Konzept auf. Seine Kombination aus Steuersenkungen und deficit spending führte zwischen 1983 und 1989 zu einer durchschnittlichen Wachstumsrate der Volkswirtschaft von 4,3 Prozent, netto entstanden fast 20 Millionen neue Jobs.