Der Dreißigjährige Krieg ist ein wichtiger Teil der älteren deutschen Geschichte. Er begann mit dem Prager Fenstersturz am 23. Mai 1618 und endete mit der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens am 24. Oktober 1648. An diesen Daten kommt niemand vorbei, der sich mit den Deutschen, ihrer Kultur, ihrer Nation und ihrem Staat, mit ihrem angeblichen Sonderweg oder ihren Befindlichkeiten beschäftigt. Zwischen fünf und acht Millionen Menschen verloren ihr Leben, über die Hälfte der Häuser und Gebäude waren zerstört, weite Teile Mitteleuropas verwüstet – allenthalben Gewalt, Not und Tod. Die Erinnerung an diesen Krieg ruft auch heute noch immer Schauder und Entsetzen hervor.
Die Zeitgenossen deuteten den Krieg als Strafgericht Gottes.
Die Geschichtsschreibung erzählt den Dreißigjährigen Krieg als Folge sich zuspitzender Krisen,
Ein deutscher Krieg?
Der Krieg begann in Böhmen, wo die evangelischen Stände für die Freiheit ihres Glaubens und ihrer Nation gegen die habsburgische Herrschaft kämpften. Das Königreich Böhmen gehörte nicht zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Der König wählte zwar als Kurfürst den künftigen Kaiser mit, Böhmen war aber nicht auf dem Reichstag vertreten, bildete keinen Reichskreis und unterlag nicht der Reichsjustiz. Der regionale Krieg um die böhmische Wenzelskrone endete im November 1620 mit dem Sieg Kaiser Ferdinands II., der nun kraft Kriegsrecht ein absolutistisches Regiment führte. Er ließ 27 Rebellen hinrichten, die alte protestantische Führungsschicht musste das Königreich verlassen, das rekatholisiert wurde. Der "Winterkönig", Friedrich V. von der Pfalz, wurde in die Reichsacht erklärt und ging ins niederländische Asyl.
Der Krieg erreichte Deutschland im Sommer 1620, als spanische Truppen die linksrheinische Pfalz und die Wetterau besetzten und die Armee der Katholischen Liga an der Donau bei Ulm das Heer der protestantischen Union ausschaltete. Die Zeitgenossen zählten die Kriegsjahre seit dem Fenstersturz oder dem Erscheinen des Kometen 1618. Sie endeten 1648, manche auch erst 1650, als nach dem Nürnberger Exekutionsrezess die fremden Soldaten auch aus den Garnisonen abzogen. Der 32-jährige (deutsche) Krieg verlor sich aber bald zugunsten der runden Zahl.
Der Krieg ergriff Deutschland, weil Herzog Maximilian von Bayern, der Führer der Katholischen Liga, Ferdinand II. mit der Ligaarmee unter dem Grafen Johann T’Serclaes von Tilly bei der Rückeroberung Böhmens maßgeblich unterstützte. Die Ligaarmee besetzte die Ober- und die Kurpfalz; Ferdinand II. belehnte Maximilian mit der Pfälzer Kurwürde. Die siegreiche kaiserlich-bayerische Koalition gab sich damit aber nicht zufrieden und dehnte den Krieg seit 1623 in die Mitte und den Norden Deutschlands aus, weil sie jeden Widerstand ausschalten wollte. König Christian IV. von Dänemark wurde von Tilly und Albrecht von Wallenstein, dem Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee, abgedrängt. Gustav II. Adolf von Schweden schaffte 1631 die Wende. Sein Siegeszug führte ihn bis nach München, doch er fiel 1632 in der Schlacht von Lützen. Danach drehte sich der Krieg, in den 1636 auch Frankreich direkt eingriff, mehr oder weniger im Kreis.
Das Kriegsgeschehen blieb auf Böhmen, Deutschland und in den 1640er Jahren auch Niederösterreich beschränkt. Wallenstein sandte zwar Truppen nach Polen, Oberitalien und in die Niederlande, 1636 fielen sogar kaiserlich-spanische Heere in Frankreich ein, doch auf den Krieg im Reich hatte dies wenig Einfluss. Die retrospektive Europäisierung bietet daher keine neuen Erkenntnisse. Sie erscheint empirisch fragwürdig und heuristisch sinnlos, denn dass fremde Armeen in Deutschland intervenierten, bestreitet niemand. Dänen, Schweden und Franzosen griffen ein, weil sie einen unter dem Kaiser geeinten Reichs-Staat fürchteten.
Die parallelen Kriege dieser Zeit haben ihre eigene Geschichte und werden getrennt, also in den jeweiligen nationalen Kontexten erinnert. Der Achtzigjährige Krieg in den Niederlanden begann in den 1560er Jahren; der Krieg zwischen Frankreich und Spanien endete erst mit dem Pyrenäenfrieden 1659. Für die Kriege zwischen Schweden, Polen und Dänemark oder diejenigen auf der britischen Insel sind 1618 und 1648 keine Zäsuren. Die europäische Totalkonfrontation zweier konfessioneller Lager gab es nicht. Die Geschichtsschreibung muss den Quellen nicht widersprechen: Der dreißigjährige deutsche Krieg kann als Teil der allgemeinen Krise des 17. Jahrhunderts und eines Zeitalters europäischer Kriege erzählt werden.
Wie der Krieg war auch der Frieden kein europäischer und schuf keine auf Souveränität und Gleichrangigkeit basierende Westfälische Ordnung. Im Friedensvertrag findet sich von diesem, in der Lehre von den internationalen Beziehungen beliebten Deutungsmuster kein Wort. Zwar verhandelten Diplomaten aus fast allen Ländern Europas in Münster und Osnabrück, doch das Ergebnis war ein Frieden für den Reichs-Staat in Form eines Grundgesetzes.
Die territorialen Abtretungen an Frankreich erfolgten zu souveränem Besitz, weil der Kaiser und die Reichsstände dem französischen König keine Stimme auf dem Reichstag einräumen wollten. Dagegen verblieben die von Schweden regierten Herzogtümer Pommern sowie Bremen und Verden im Reichsverband. Der Friedenskongress suchte keine systematischen, sondern konsensuale Lösungen.
Dies gilt erst recht für das Reichsgrundgesetz. Es bestätigte das Reich als ein föderatives Gefüge sich ergänzender Staatlichkeit, das sich mit der Europäischen Union vergleichen lässt.
Wandel durch Vernunft?
Die als machiavellistisch verpönte Staatsräson hatte den Weg aus dem vorgeblich gottgewollten Krieg gewiesen. Wolfgang Conrad von Thumbshirn, Gesandter Sachsen-Altenburgs, stellte fest: "Ratio status ist ein wunderliches Thier, es verjaget alle anderen Rationes."
Hat der Dreißigjährige Krieg die Reiter der Apokalypse besiegt? Begann in Münster und Osnabrück der "Wandel durch Vernunft",
Ende des 18. Jahrhunderts änderte sich dies. Das kurze Lehrbuch des Hallenser Privatdozenten Johann Christoph Krause gliederte 1782 den Krieg in vier Phasen: böhmisch-pfälzischer, niedersächsisch-dänischer, protestantisch-schwedischer und schwedisch-französischer Krieg. Krause betonte, dass der Krieg auch positive Folgen besessen habe: Durch Fleiß und Patriotismus gehöre Deutschland heute zu den blühendsten Ländern Europas.
Urkatastrophe und kollektives Trauma?
Im Kampf um den deutschen Nationalstaat wurde der Dreißigjährige Krieg dann zum tagespolitischen Argument. Er stand für die Ohnmacht und die Leiden Deutschlands; ausländische Heere durften das deutsche Vaterland nie mehr verwüsten. Die großdeutschen Protagonisten reaktivierten vage Pläne Wallensteins und Ferdinands II. und propagierten ein reformiertes, vom habsburgischen Kaiser monarchisch regiertes Reich. Ihre preußischen Kontrahenten wollten den Bruch: Sie setzten auf die Hohenzollern und den preußischen Staat, um den protestantisch-deutschen Nationalstaat zu schaffen, den angeblich schon Gustav Adolf geplant hatte. Dieser wurde nicht nur mit Blut und Eisen, sondern auch historiografisch erkämpft.
Da es die deutsche Meistererzählung beginnend mit Arminius dem Cherusker über das mittelalterliche Kaisertum und die Reformation Luthers bis zur Gegenwart nur in der Logik von Kaiser und Reich gab, wurde ihr eine neue zur Seite gestellt. Sie machte den Dreißigjährigen Krieg zum Tiefpunkt und Ursprung des Aufstiegs Preußens, zum deutschen Hoffnungsträger und zur europäischen Großmacht.
Der Historiker Johann Gustav Droysen lieferte das Grundgerüst. Der Dreißigjährige Krieg habe die "entarteten, verwucherten, unwahr gewordenen Zustände" des "alten Deutschland" beendet. "Wie ein tiefer Abgrund trennt er die Zeiten vorher und nachher." Nach dem Westfälischen Frieden sei die Aufgabe der staatlichen und nationalen Einheit den Hohenzollern und dem unter dem "Greuel allgemeinen Untergangs" geborenen preußischen Staat zugefallen.
Den Schrecken und die Verwüstungen des langen Krieges erklärte die neue Kulturgeschichtsschreibung zum kollektiven Trauma des deutschen Volkes. Fast alle Autoren beriefen sich auf zwei Autoritäten: den Zeitzeugen Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen und seinen Schelmenroman "Abenteuerlicher Simplicissimus Teutsch" (1669) sowie den Kulturhistoriker Gustav Freytag und seine "Bilder aus der deutschen Vergangenheit" (1859–1867).
Grimmelshausens fiktive Berichte von Folter und Gräueln, Kampf und Zerstörung wurden häufig für bare Münze genommen. Sie boten Anschauungsmaterial auch für Gustav Freytag, der Einzelbeispiele verallgemeinerte. Er prägte wie kein anderer das neue Narrativ des Dreißigjährigen Krieges. Seine Erzählung lebt von Genrebildern: "Alle Länder wimmelten von ‚herrenlosem Gesindlein‘, Banden entlassener Kriegsknechte mit Dirnen und Trossbuben, Scharen von Bettlern (…) setzten sich wohl gar in den verlassenen Hütten fest. Auch die Dorfbewohner, mit schlechten Waffen versehen, der Arbeit entwöhnt, fanden es zuweilen bequemer zu rauben als das Feld zu bestellen." Hier wurde "eine große Nation mit alter Kultur (…) verwüstet".
Reichskanzler Otto von Bismarck wird hierfür zum Kronzeugen: "Jeder deutsche Fürst, der vor dem Dreißigjährigen Kriege dem Kaiser widerstrebte, ärgerte mich; vom Großen Kurfürsten an aber war ich parteiisch genug, antikaiserlich zu urteilen (…)."
Die preußisch-deutsche Großerzählung war plausibel und stiftete Identität, weil sie den Nationalstaat mit einem Ursprung, einem historischen Auftrag und der politischen Vollendung verband. Das Narrativ reduzierte Komplexität, definierte einen zu rettenden Kern und entsprach dem Muster großer Mythen. Es wurde zum wichtigen symbolischen Kapital des Bismarckreiches. Die Gewissheit, im Einklang mit der Geschichte zu handeln, erlaubte es, verhärtete Fronten wie etwa diejenigen des Kulturkampfes oder gegen die Arbeiterbewegung zu räumen.
Der Zivilisationsbruch des Ersten Weltkrieges, das "Friedensdiktat" von Versailles und die bürgerkriegsähnlichen Zustände in der Weimarer Republik führten dann zu neuen Vergleichen mit dem Dreißigjährigen Krieg als Ausgangspunkt deutscher Zwietracht und Demütigung. Adolf Hitler wollte mit seinem Westfeldzug auch den Westfälischen Frieden endgültig liquidieren.
Mythos?
Nach dem Zweiten Weltkrieg war alles anders. Das Volk der Opfer war zum Volk von Tätern geworden.
"Mythen sind keine Lügengeschichten"; sie reduzieren Komplexität und lassen Gegenwärtiges in der Vergangenheit aufscheinen.
Der Mythos der 1648 besiegelten Ohnmacht blockiert bis heute die Neueinschätzungen, die den Westfälischen Frieden angesichts der europäischen Einigung und der Globalisierung in einen anderen Kontext rücken. Das beginnt mit der "deutschen Freiheit". Dass der Vertragstext diesen Kampfbegriff gegen monarchische Ambitionen vermied, zeigt die pragmatische Orientierung des Kongresses. Die Mitbestimmung der Reichsstände in allen Reichsangelegenheiten wurde dennoch vereinbart. Sie bildete die Basis einer vertikalen Machtteilung, die 1648 auch dafür sorgte, dass in den Religionsartikeln individuelle Freiheitsrechte formuliert wurden, die im damaligen Europa ihresgleichen suchen und zum Wurzelwerk des Kanons der Menschen- und Bürgerrechte zählen. Dies ist kaum bekannt, weil auch diese Bestimmungen als Kleinstaaterei und politische Ohnmacht in Verruf gerieten und bis heute geblieben sind. Im Zeichen der organisierten, sich gegenseitig beargwöhnenden Nationalstaaten mag diese Ablehnung sinnvoll gewesen sein – heute ist sie es gewiss nicht mehr.
Der Dreißigjährige Krieg als Urkatastrophe und kollektives Trauma ist die Erfindung einer Kampagne. Nahrungsmangel, durch Folter erpresste Gelder, Raub, Vergewaltigung und Totschlag führten gewiss zu vielen posttraumatischen Belastungsstörungen, nicht aber zu einem kollektiven Trauma. Das superlativierte Entsetzen wurde über Romane, Erzählungen und Theaterstücke dauerhaft verankert. Noch Günter Grass lässt sein fiktives Dichtertreffen von Telgte 1647 trostlos enden. Das Friedensmanifest verbleibt im Allgemeinen, benennt keine Schuldigen, fordert nur die Erneuerung der alten Ordnung und bittet, das Reich nicht so zu zerstückeln, "daß niemand mehr in ihm sein Vaterland, das einstmals deutsch geheißen, erkennen werde".
Der Dreißigjährige Krieg und Heute
Was lässt sich aus dem Dreißigjährigen Krieg lernen? Angesichts des skizzierten Mythos, vieler Legenden und der auch von Politikern verbreiteten Idee, den Westfälischen Frieden in den Nahen Osten zu transformieren, scheint dieser Krieg aktuell wie im 19. Jahrhundert. Liegen die Analogien aber wirklich auf der Hand? Das Narrativ von Leid und Schrecken gilt für jeden Krieg. Über das Ausmaß lässt sich streiten.
Die dichte mediale Begleitung und die autobiografische Überlieferung lassen den Dreißigjährigen Krieg zerstörerischer und grausamer erscheinen als vorangegangene Kriege. Die täglichen Bilder vom Kriegselend in aller Welt scheinen uns darüber hinaus den Dreißigjährigen Krieg nahezubringen. Texte wie die zunächst unveröffentlichten Berichte des Söldners Peter Hagendorf und des Mönchs Maurus Friesenegger, zusammengestellt und kommentiert vom Journalisten Christian Pantle, bestätigen auf den ersten Blick den Untertitel seines Buches "als Deutschland in Flammen stand".
Der Dreißigjährige Krieg ist einer der ersten, in denen das Leiden der Betroffenen durch Selbstzeugnisse dicht belegt erscheint. Doch die Berichterstatter haben nicht alles miterlebt, was sie notierten. Sie schöpften aus anderen Texten, auch aus propagandistischen Pamphleten. Das Gedruckte repräsentierte die Wahrheit. Zudem übertrieben die autobiografischen Texte, um im allgemeinen Elend gehört zu werden. Auf diese Überbietungsstrategien hinzuweisen, heißt nicht, das Leid und die Gräuel zu verdrängen oder zu unterschätzen. Die Bilder des Krieges – Gewalt, Krankheit, Hunger und Tod – ähneln sich nun einmal über die Jahrhunderte hinweg. Sie erzählen ihre Geschichte(n) in Anlehnung an die biblischen Plagen. Die Hintergründe und Motive, Strategien und Wege, um solche Gemetzel künftig zu vermeiden, müssen aber aus anderen Quellen erschlossen werden.
Es bleibt die Frage, ob die Reiter der Apokalypse in jedem Krieg zurückkehren oder nur in denjenigen, die als fundamentalistisch klassifiziert werden. Die Zeitgenossen hielten den Dreißigjährigen Krieg lange für gottgewollt. Dies entlastete die Akteure, die sich im Kampf gegen die evangelischen Ketzer oder den katholischen Antichristen und seine Helfer als Werkzeuge Gottes fühlen durften. Dies gilt wohl auch für die heutigen Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates. Damit sind meines Erachtens die Parallelen zum Nahen Osten der Gegenwart aber auch schon benannt. Im Dreißigjährigen Krieg wurde nicht primär um religiöse Werte und Wahrheiten, sondern um machtpolitische Interessen gekämpft. Die politischen Gemeinwesen blieben, abgesehen von kriegsbedingten Herrscherwechseln, im Großen und Ganzen intakt. Die politische Ordnung und die darauf beruhende Staatsräson war die plurale Basis, von der aus die Reiter der Apokalypse besiegt werden konnten.
Vor dieser Folie verliert die Rede vom zweiten Dreißigjährigen Krieg zwischen 1914 und 1945 ihre Berechtigung. Charles de Gaulle prägte den Begriff im Londoner Exil; Historiker griffen ihn auf.
Der von Menschen ausgehandelte Westfälische Frieden überwand den gottgewollten Krieg. Zeichnet sich ein solcher Wandel zur Vernunft im Nahen Osten ab? Liegt der Unterschied nicht darin, dass Europa seit der Antike und verstärkt seit der Renaissance gelernt hatte, Alternativen zu denken und mit ihnen zu leben, ohne ihre Urheber mit dem Tod zu bedrohen?
Der Dreißigjährige Krieg ist aus heutiger Sicht kein Glaubenskrieg; das fundamentalistische "gottgewollt" wurde jedoch auch für die Zeitgenossen mit zunehmender Dauer brüchig. Sie erkannten, dass sie Frieden schließen mussten, um sich nicht selbst auszurotten. Amnestie und immerwährendes Vergessen waren die heute undenkbaren Bedingungen eines Friedens, der die schlimmsten Verbrechen ungesühnt ließ. Er beendete nicht die Kriege in Europa, wohl aber denjenigen in Deutschland, weil mit der Blockade einer monarchischen Herrschaft des Kaisers über den Reichs-Staat die Sicherheitsbedürfnisse aller Beteiligten ernst genommen wurden. Der ausgehandelte Friedensvertrag korrigierte Fehlentwicklungen, setzte aber im Großen und Ganzen die Verhältnisse wieder in Kraft, die sich im 16. Jahrhundert eingespielt hatten. Das war möglich, weil das Reich alles andere als ein gescheiterter Staat war. Mit dem seit 1648 multilateral garantierten Gefüge komplementärer Mehrebenenstaatlichkeit wurde dem Irrweg, Identität an eine homogene Einheit, an einen Glauben, ein Wertesystem und eine Obrigkeit zu binden, ein Riegel vorgeschoben. Die als Kriminalisierungs- und Diskriminierungsverbote formulierten Freiheitsrechte sorgten für eine gewisse Toleranz und für Rechtssicherheit, gewöhnten die Deutschen an soziokulturelle Pluralität und sicherten den Einzelnen ansatzweise vor staatlich-obrigkeitlicher Willkür. Die dennoch auftauchenden Konflikte im Inneren wurden meist friedlich gelöst.
Es ist eine auf der Basis des Preußenmythos und des Sonderweges geformte Legende, dass dieser Krieg die Sehnsucht der Deutschen nach einer starken Obrigkeit und eine Abneigung gegen Revolutionen gefördert habe. Gewalttätige Aufbrüche schienen hier lange nicht nötig, da es bis 1806 unabhängige Richter gab, die auch den Untertanen gegen ihre Obrigkeit zu ihrem Recht verhalfen. Dem Krieg folgte kein kollektives Trauma, aber die Ablehnung neuer Kriege. Die panische Angst vor den vorgeblichen Zeichen Gottes wich einer vermehrten Ängstlichkeit gegenüber zeitlichen Bedrohungen und Zukunftsrisiken. Diese Haltung entspricht in etwa dem in der angelsächsischen Welt populären Deutungsmuster der German Angst.
Die Warnung vor bevorstehenden asymmetrischen oder kleinen Kriegen nach dem Typus Dreißigjähriger Krieg verfehlt die damalige Realität. Es kämpften keine Warlords oder Guerillakrieger, sondern Herrscher, die Kriegsunternehmer bestallten. Söldnerführer wie Graf Ernst von Mansfeld oder Herzog Bernhard von Weimar wollten am Krieg verdienen, strebten aber nicht danach, ganze Regionen allein mit Waffengewalt dauerhaft zu beherrschen. Sie suchten und brauchten die Bindung an eine legitime Gewalt. Wallenstein wurde als Herzog von Friedland, Sagan und Mecklenburg vom Kaiser belehnt; Bernhard von Weimar erhielt das Herzogtum Franken aus der Hand des militärischen Siegers Gustav Adolf. Andere Kriegsunternehmer wurden durch die Übertragung von kleineren Herrschaften in das politische System der Fürstenstaaten eingebunden, denen sie dienten. Wer im Reich einen gescheiterten Staat sieht, schreibt die Marginalisierung des 19. Jahrhunderts fort.
Der Frieden von 1648 führte zur Aufklärung und bereitete die Menschen zumindest darauf vor, für ihr irdisches Dasein und ihre Zukunft selbst verantwortlich zu sein. Gott blieb für Anfang und Ende zuständig. Heute wird er nicht einmal mehr benötigt, um dem Leben auf der Erde ein Ende zu setzen. Der Frieden hat der Aufklärung, aber auch der Dialektik der Aufklärung den Weg bereitet. Die notwendige Bereitschaft, aus der biblischen Heilsordnung herauszutreten, um das irdische Dasein zu retten, macht die Idee einer Übertragung damaliger Lösungswege auf Syrien und den Nahen Osten fraglich.
Alle Beteiligten fanden in Münster und Osnabrück Gehör, obwohl es keine Vollversammlungen gab und keine Öffentlichkeit Gerechtigkeit für die Opfer forderte. Bei Gesprächen im kleinen Kreis und am Rande von Banketten, Gelagen und anderen Festivitäten wurde das Vertrauen aufgebaut, das den Frieden ermöglichte. Ausnahmen und Öffnungsklauseln erleichterten verbindliche Kompromisse.
Historische Forschung erfolgt nicht unabhängig von aktuellen Fragen und Problemen. Die Vergangenheit gilt es immer wieder neu zu (re)konstruieren, um Irrtümer, Legenden und Mythen zu benennen, die unter anderen Zeitumständen als ewige Wahrheiten erschienen. Es sind die falschen Analogien, die für Missverständnisse sorgen und mögliche Anknüpfungspunkte verdecken. Historische Referenzen sind trotz struktureller Ähnlichkeit keine Modelle. Wenn der Vergleich plausibel und auf einer Sinnebene konstruiert wird, kann er erhellend wirken und vor allem vorgebliche Sachzwänge und Alternativlosigkeiten infrage stellen – mehr nicht.