Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Gründe und Verlauf einer europäischen Tragödie | Dreißigjähriger Krieg | bpb.de

Dreißigjähriger Krieg Editorial Gründe und Verlauf einer europäischen Tragödie "Das sich einem Stein solt erbarmet haben". Der Dreißigjährige Krieg im Erleben der Zivilbevölkerung Deutungen des Dreißigjährigen Krieges. Mythos, Legenden und Einsichten Der Dreißigjährige Krieg: Ein Bürgerkrieg, der zugleich ein Hegemonialkrieg war Ein doppeltes "Westphalian System"? Der Westfälische Friede, das Reich und Europa Ein Westfälischer Frieden für den Nahen Osten? Zeittafel: Wegmarken des Dreißigjährigen Krieges Karten

Gründe und Verlauf einer europäischen Tragödie

Peter H. Wilson

/ 18 Minuten zu lesen

Die wahre Tragödie des Dreißigjährigen Krieges bestand nicht darin, dass er unausweichlich war, sondern dass ein Konflikt dieses Umfangs hätte vermieden werden können. Zunächst lokal beschränkt, weitete er sich rasch und verheerend aus – mit Folgen für ganz Europa.

Der Dreißigjährige Krieg war ein blutiges und langwieriges Ringen um die religiöse und staatliche Ordnung innerhalb des Heiligen Römischen Reiches. Dieses Reich war seinerzeit das größte und bevölkerungsreichste in Europa. Es umfasste nicht nur das heutige Deutschland und Österreich, sondern auch Tschechien, Norditalien, Süddänemark, Ostfrankreich und Westpolen. Weitere neun größere und kleinere europäische Staaten waren an dem Krieg entweder direkt beteiligt oder stellten einer oder mehreren Kriegsparteien finanzielle Mittel oder Soldaten zur Verfügung. Dass der Krieg ein historisches Ereignis von bleibender Bedeutung war, ist unter Wissenschaftlern unumstritten. Bei der Frage, was ihn verursachte, warum er sich so in die Länge zog und wie sein Vermächtnis für spätere Generationen zu deuten ist, gehen die Meinungen jedoch stark auseinander.

Zum Teil sind diese Meinungsverschiedenheiten bedingt durch lückenhafte wissenschaftliche Belege. Das Heilige Römische Reich hinterließ kein Nationalarchiv; man muss sich seine Geschichte aus verschiedenartigen und lückenhaften Quellen zusammenstückeln, die oft missverständlich oder widersprüchlich sind. Darüber hinaus war es äußerst unübersichtlich gegliedert, sogar für seine eigenen Einwohner. Anders als die Erbmonarchien von England, Frankreich oder Spanien wurde das Heilige Römische Reich als "gemischte Monarchie" regiert. Dabei teilte sich der Kaiser, gewählt von einer elitären Gruppe aus sieben Kurfürsten, die Macht mit etwa 60 Prinzen, 140 Grafen und Äbten sowie rund 60 Reichsstädten. Als habsburgischer Kaiser behielt er nicht zuletzt deswegen die Oberhand, weil es keine ernsthafte Alternative zum Hause Habsburg gab, dessen Erbfürstentümer ein Drittel des Reiches sowie im Osten einen erheblichen Teil von Ungarn umfassten. Als einzige Herrscherfamilie, die imstande war, das Reich gegen die Osmanen zu verteidigen, war das Haus Habsburg seit 1438 immer wieder zur Regentschaft bestimmt worden. Doch konnte es den Rest des Reiches nur im Verbund mit den Kurfürsten, Prinzen und Reichsstädten regieren, die gemeinsam die sogenannten Reichsstände bildeten. Die allgemeine Schlussfolgerung lautet, mutmaßliche staatsrechtliche Schwachstellen des Reiches seien für den Krieg verantwortlich und dieses sei nach dem Krieg kaum mehr als ein hohles Gebilde gewesen. Wie nachfolgend deutlich werden wird, stellt die moderne Forschung diese üblichen Schlussfolgerungen infrage.

Der zweite, wesentlichere Grund für die auseinandergehenden Interpretationen liegt im natürlichen Bedürfnis, die komplexen und verwickelten Zusammenhänge zu vereinfachen. Historiker heben für gewöhnlich strukturelle Faktoren hervor und stellen den Krieg als eine Folge größerer grundlegender Entwicklungen dar: entweder als eine "allgemeine Krise" – hervorgerufen durch den Wandel von feudaler zu kapitalistischer Wirtschaft oder durch die klimatischen Veränderungen der Kleinen Eiszeit – oder als Veränderungen in der politischen Ordnung, die "staatenbildende Kriege" auslösten. Andere, weniger strukturelle Interpretationen ordnen den Dreißigjährigen Krieg in einen länger währenden Kampf zwischen den französischen Königen und dem Haus Habsburg um die Vorherrschaft in Europa ein. Dieser Ansatz bagatellisiert indes die Bedeutung der Ereignisse im Heiligen Römischen Reich ebenso wie die Unterschiede zwischen dem dort von 1618 bis 1648 währenden Krieg und dem parallel verlaufenden Achtzigjährigen Krieg der Niederlande gegen die spanische Herrschaft (1568–1648) sowie den zwischenzeitlichen heißen und kalten Kriegen zwischen Frankreich und Spanien seit den 1580er Jahren, die 1630 zu einer größeren, bis 1659 währenden Auseinandersetzung eskalierten. Eine weitere geläufige Variante dieses Ansatzes besteht darin, zu argumentieren, der Dreißigjährige Krieg habe zwar mit dem Ständeaufstand in Böhmen 1618 begonnen, dann aber hätten die ursprünglichen Kriegsteilnehmer rasch die Kontrolle über die Ereignisse verloren und ihre Streitigkeiten seien in einen allgemeinen europäischen Krieg übergegangen.

Die am weitesten verbreitete strukturelle Interpretation besagt, es habe sich um den letzten und größten Religionskrieg in einem ganzen Zeitalter von Religionskriegen gehandelt, das 1517 mit der Reformation begonnen habe. Konfessionell motivierter Hass habe demnach einen "Kommunikationsabbruch" verursacht, der wichtige Verhandlungen verhindert und direkt zu Gewalt geführt habe. Andere Wissenschaftler weisen auf ein allgemeineres Gefühl der Angst hin und auf einen chiliastischen Glauben an einen unmittelbar bevorstehenden apokalyptischen Kampf zwischen Gut und Böse und eine darauf folgende tausendjährige Epoche des Friedens und der christlichen Einheit. Zweifellos wurde in diesem Zusammenhang das Erscheinen eines auffälligen Kometen 1618 als Zeichen nahenden göttlichen Zorns gedeutet.

Vorgeschichte: Unvermeidliche Eskalation?

Um den Stellenwert von Religion in dem Krieg begreifen zu können, müssen wir zuerst unsere dem 21. Jahrhundert anhängenden Vorstellungen vom Stellenwert des Glaubens in der menschlichen Gesellschaft ablegen. Heute sind wir es gewohnt, zwischen "religiösen" und "säkularen" Einstellungen zu unterscheiden. Eine solche Unterscheidung war im 17. Jahrhundert undenkbar – kein Mensch vermochte sich ein Universum ohne Gott vorzustellen. Stattdessen wurde unterschieden zwischen denen, die man heute als "gemäßigt" und anderen, die man als "militant" bezeichnen könnte. Beide Gruppierungen waren religiös und wollten ihre jeweils eigene Version vom Christentum geltend machen. Die Militanten jedoch fühlten sich persönlich von Gott zum Handeln berufen. Sie neigten zu dem Glauben, ihre Ziele seien in greifbarer Nähe und eventuelle Probleme oder Rückschläge sollten lediglich ihren Glauben auf die Probe stellen. Demgegenüber betrachteten die Gemäßigten religiöse Ziele – etwa die Wiedervereinigung aller Christen – als fernere Ziele und gingen pragmatischer bei der Wahl der Methoden vor, um diese zu erreichen. Militante befanden sich in der Minderheit, hielten in der Regel seltener Machtpositionen inne und übten daher selten direkten Einfluss auf die Geschehnisse aus. Allerdings waren viele von ihnen Geistliche und äußerten in ihren Stellungnahmen häufig heftige Kritik an politischen Akteuren. Dadurch prägten sie die den Historikern zugänglichen Quellen auf unverhältnismäßig starke Weise.

Ungeachtet dessen, ob sie ihre jeweiligen Schwerpunkte nun auf Wirtschaft, Klima, Politik oder Religion legen, betrachten die Vertreter der strukturellen Erklärungen den Krieg unisono als unvermeidlich. Dies ist angesichts der zahllosen Probleme im Heiligen Römischen Reich während des späten 16. Jahrhunderts verständlich. Das schwerwiegendste Problem war der Streit innerhalb des Hauses Habsburg um die Erbfolge des zaudernden Kaisers Rudolf II., der keine "legitimen" Kinder hatte. Dieser Streit eskalierte im Zuge des Langen Türkenkrieges (1593–1606), der das Herrscherhaus in den Ruin trieb und es mit einem größeren Aufstand in Ungarn konfrontierte. Durch ihre internen Probleme abgelenkt, waren die Habsburger nicht in der Lage, wirkungsvoll auf die Schwierigkeiten im Rest des Reiches einzugehen.

Zu diesen gehörte vor allem der Zugriff auf die "Reichskirche" und auf die zahlreichen, meist kleinen geistlichen Fürstentümer, die katholisch geprägt waren, als das Reich 1555 beim Augsburger Religionsfrieden seine Verfassung geändert und Lutheranern die gleichen politischen Rechte zugebilligt hatte, um im Zuge der Reformation aufgekommene Spannungen abzubauen. Diese Fürstentümer umfassten insgesamt ein Siebtel des Reichsgebietes und waren lange Zeit als Domänen der herrschenden fürstlichen und aristokratischen Familien betrachtet worden, in denen sie ihre jüngeren Söhne und unverheirateten Töchter durch Karrieren in der Reichskirche unterbringen konnten. Diejenigen Familien, die nach 1517 zum Luthertum übergetreten waren, weigerten sich, diese Möglichkeiten und den mit ihnen einhergehenden politischen Einfluss aufzugeben. Durchaus berechtigt verwiesen sie darauf, dass sie der Klausel im Frieden von 1555, nach der diese Ländereien Katholiken vorbehalten blieben, nie zugestimmt hatten.

Es war die Verflechtung von familiären Geschicken mit diesen komplexen religiösen und konstitutionellen Fragen, die die Bewältigung der Probleme des Reiches so erschwerte. Dennoch hätten diese wohl kaum zum Krieg geführt, wären da nicht noch andere, zufälligere Faktoren im Spiel gewesen. Dazu gehören vor allem die Ambitionen der rivalisierenden Zweige der zweiten Familie des Reiches, der Wittelsbacher in Bayern und der Kurpfalz. Die ältere, kurpfälzische Linie bewegte fünf andere Fürsten dazu, 1608 ein Verteidigungsbündnis zu schmieden, die sogenannte Protestantische Union. Diese umfasste jedoch selbst auf ihrem Höhepunkt 1610 lediglich die Hälfte der protestantischen Länder, da die restlichen, allen voran Sachsen, sich weigerten, sich ihr anzuschließen. Die Konvertierung der pfälzischen Wittelsbacher um 1560 zum Calvinismus hatte sich Anfang des 17. Jahrhunderts zu einem ernsten Problem ausgewachsen, da die meisten calvinistischen Konvertiten vom Luthertum übertraten. Als lutherische Vormacht befürchtete Sachsen, die Ausbreitung des Calvinismus könnte den 1555 erzielten Kompromiss gefährden, nicht zuletzt deshalb, weil viele Katholiken ihn als neue Religion betrachteten, die nicht unter die Schutzrechte fiel, die Lutheraner genossen.

Überdies befürchtete Sachsen zurecht, die Union werde die Reichspolitik polarisieren und den Reichstag und die kaiserlichen Höfe spalten. Tatsächlich verließen die Mitglieder der Union 1608 auf dem Regensburger Reichstag die Versammlung und fochten Urteilssprüche des Reichskammergerichtes bei "religiösen Fällen" an, bei denen es in Wirklichkeit um Streitigkeiten darüber ging, wer die mit den kirchlichen Ländereien verbundene rechtliche und politische Gerichtsbarkeit ausübte. Herzog Maximilian von Bayern nutzte die Gunst der Stunde und schmiedete mit dem Gros der katholischen Kirchenfürsten ein Gegenbündnis – die Katholische Liga. Genau genommen war die Liga nur deshalb rein katholisch, weil es Maximilian gelang, Bemühungen ihrer moderateren Mitglieder zu vereiteln, sie auch Sachsen und anderen politisch moderaten lutherischen Fürstentümern zu öffnen.

Die meisten Mitglieder beider Organisationen betrachteten ihr Engagement als eine Versicherung für den Fall, dass die bestehenden Spannungen wirklich zum Krieg führen würden. Weder Maximilian noch sein pfälzischer Gegenspieler nach 1610, Friedrich V., strebten einen massiven Konflikt an, mochten auch manche ihrer Berater die Meinung vertreten, ein solcher sei notwendig, um die Pattsituation zu beenden. Die wahre Tragödie des Dreißigjährigen Krieges bestand nicht darin, dass er unausweichlich war, sondern dass ein Konflikt dieses Umfangs und dieser Tragweite hätte vermieden werden können.

Beginn und erste Kriegsjahre

Innerhalb von fünf Jahren nach dem Ende ihres Bruderzwistes 1612 hatten die Habsburger Maximilian zur Auflösung der Katholischen Liga gezwungen, während die Protestantische Union bankrott war und stetig an Mitgliedern verlor. Dennoch war die Autorität der Habsburger in ihren eigenen Ländern noch immer brüchig. In diesen hatten die meisten Adeligen bis 1600 irgendeine Form des Protestantismus angenommen, während das Herrschergeschlecht selbst dem katholischen Glauben treu blieb. Die protestantischen Adeligen nutzten ihre Mehrheiten in den Landtagen, um – als Gegenleistung für ihre Zustimmung zu bestimmten Steuern – größere politische Rechte zu erstreiten sowie die Freiheit, die Religion ihrer eigenen Untertanen zu bestimmen. Das berühmteste dieser Privilegien war der Majestätsbrief. Diesen hatten protestantische Stände in Böhmen Kaiser Rudolf II. 1609 abgepresst. Entschlossen, ihre Autorität durchzusetzen und ihren Glauben zu verteidigen, beschränkten die Habsburger gerichtliche und militärische Ernennungen nun immer stärker auf Katholiken. Dies wiederum veranlasste eine Reihe prominenter Adeliger dazu, wieder zum Katholizismus zu konvertieren, um ihre Loyalität zu beteuern und ihre Karrieren voranzutreiben. Vereinbarungen wie der Majestätsbrief wurden derweil eng zugunsten der Vorrechte von Katholiken und Habsburgern ausgelegt.

Angesichts dieser Benachteiligungen und nach dem Verlust lukrativer Stellen bei Gericht stürmten wütende Vertreter protestantischer böhmischer Stände am 23. Mai 1618 die Regierungsräumlichkeiten in der Prager Burg. Dabei wurden zwei kaiserliche Statthalter samt Sekretär aus dem Fenster geworfen. Alle drei überlebten den Fenstersturz mit Verletzungen; dem Sekretär gelang die Flucht, und er alarmierte die zuständigen Behörden in Wien (später wurde er unter dem Namen von Hohenfall in den Adelsstand erhoben).

Die meisten derer, die bei dem Ereignis zugegen waren, waren sich der mörderischen Absichten der Rädelsführer gar nicht bewusst. Mit der "Defenestration" sollte die Mehrheit der Gemäßigten dazu gezwungen werden, sich den Forderungen der Radikalen – die Habsburger sollten ihre prokatholischen Maßnahmen zurücknehmen – anzuschließen. Zwar suchten die Fensterstürzer durchaus die Konfrontation, doch hatten sie es nicht auf einen Krieg angelegt. Da weder ihnen noch den Habsburgern die Mittel für eine kriegerische Auseinandersetzung zur Verfügung standen, forderten beide Seiten Unterstützung ein. Dadurch öffnete sich ihr Konflikt für externe Parteien, deren Intervention alles andere als altruistisch motiviert war. Da es keinem der Beteiligten gelang, eine Abfolge begrenzter Krisen zu lösen oder wenigstens einzudämmen, weitete sich der Krieg aus. Einmal begonnen, ließ er sich zunehmend schwerer beenden, denn beide Seiten mussten den vielfältigen, oft widerstreitenden Interessen ihrer Verbündeten Rechnung tragen.

Nach der Thronbesteigung Kaiser Ferdinands II. 1619 deutete alles auf eine frühe Entscheidung hin. Als katholischer Hardliner verstand Ferdinand den Konflikt eher als Aufstand denn als Bürgerkrieg. In seinen Augen hatten seine Widersacher als Aufständische ihre Rechte verwirkt, und er fühlte sich berechtigt, sie zu enteignen, sobald er sie besiegt hatte. 1620 erhielt Ferdinand Hilfe von Bayern, dem er gestattete, die Liga neu zu gründen, sowie von Sachsen, das den Frieden im Reich wiederherstellen wollte. Derweil setzte die böhmische Führung die Habsburger formell ab und wählte Friedrich V., den Kurfürsten von der Pfalz, zu ihrem König – und zwar unter einer neuen Verfassung, nach der die Monarchie weitgehend entmachtet wurde. Dass Friedrich dieses vergiftete Geschenk im Oktober 1619 annahm, verknüpfte die Probleme der Habsburger mit denen im restlichen Reich. Die Union jedoch weigerte sich, Friedrich zu unterstützen, was es Maximilian ermöglichte, die Liga-Armee zu entsenden, um Ferdinand zu Hilfe zu kommen.

Gestärkt durch spanische und päpstliche Truppen und Mittel vernichteten Ferdinands Streitkräfte die böhmische Armee am 8. November 1620 bei Prag in der Schlacht am Weißen Berg, der entscheidendsten Schlacht des Krieges. Friedrich floh gemeinsam mit seiner Gattin Elisabeth, der Tochter des englischen Königs Jakob I., und wurde fortan aufgrund der Kürze seiner Herrschaft als "Winterkönig" verspottet. Binnen weniger Monate beschlagnahmte Ferdinand "Rebellengüter", fast die Hälfte allen Grundbesitzes in Böhmen, und verteilte diese an jene Adeligen, die ihm gegenüber loyal geblieben waren, sowie an seine Armeeoffiziere, deren Sold er nicht länger bezahlen konnte.

Mit jedem weiteren kaiserlichen Sieg verbreitete sich diese Praxis fast im gesamten Reich. Maximilian bekam seine Belohnung 1623, als Ferdinand ihm die Pfalz übertrug, nachdem Friedrich V. ins Exil getrieben worden war. Spanien rief seine Truppen zurück, und nun hätte der Krieg enden können, hätte Dänemark nicht 1625 interveniert, um seine Interessen in Norddeutschland zu schützen. Die Niederlage Dänemarks und seiner deutschen protestantischen Geldgeber im Juni 1629 ermöglichte es Ferdinand, seine Strategie der Beschlagnahme und Neuverteilung auszuweiten. Sie war nun sogar noch notwendiger, um die stark vergrößerte kaiserliche Armee unter Albrecht von Wallenstein zu finanzieren, der seinerseits mit dem erbeuteten Herzogtum von Mecklenburg entschädigt wurde.

Ausweitung des Krieges

Mit dem Erlass des Restitutionsediktes vom März 1629 übernahm sich Ferdinand jedoch in höchstem Maße. Dieses Edikt sollte die Auseinandersetzungen um den Augsburger Frieden beilegen und schrieb Protestanten vor, sämtliche kirchliche Ländereien, die sie sich seit 1552 angeeignet hatten, zurückzugeben. Ob der Kaiser die alleinige Befugnis zur Auslegung der Verfassung innehatte, wurde sogar in den Reihen der Katholiken angezweifelt, sowohl die Spanier als auch Wallenstein mahnten zur Vorsicht. Derweil wurden kaiserliche Truppen entsandt, um Spanien im Kampf gegen die Holländer beizustehen, um kaiserliche Rechte in einem verworrenen Erbfolgekrieg im Herzogtum Mantua zu wahren und um Polen zu Hilfe zu kommen, das sich seit 1621 einer schwedischen Invasion erwehren musste.

Alarmiert von der Möglichkeit eines kaiserlich-polnischen Bündnisses akzeptierte der schwedische König Gustav II. Adolf eine französische Vermittlung, um einen nicht zu gewinnenden Krieg in Polen zu Ende zu bringen, und fiel im Juni 1630 in Deutschland ein. Damit setzte er den Krieg wieder in Gang. Obschon er später als Retter der Protestanten gefeiert wurde, war es Gustav Adolfs Absicht, Pommern zu erobern, um Schwedens Position als vorherrschende baltische Macht zu festigen. Sogar sein eigener Schwager, Kurfürst Georg Wilhelm von Brandenburg, weigerte sich zunächst, sich ihm anzuschließen, bis der schwedische König schließlich vor den Toren Berlins aufzog und damit drohte, das Kurfürstliche Schloss zu beschießen. In der Hoffnung, dies würde Ferdinand zwingen, in Bezug auf das Edikt Kompromisse einzugehen, zog Sachsen widerwillig nach. Erst nach dem spektakulären schwedischen Sieg bei Breitenfeld im September 1631 konnte Gustav Adolf tiefer in das Reich eindringen. Nun schlossen sich Hessen-Kassel und mehrere kleinere protestantische Fürsten bereitwillig Schweden an, darauf hoffend, weitere kirchliche Ländereien an sich reißen und Rechnungen mit lokalen Rivalen begleichen zu können.

Schweden beutete nominell Verbündete wie Pommern ebenso rücksichtslos aus wie die Ländereien, die es den Anhängern des Kaisers entriss. Selbst mit französischen Hilfsgeldern konnte die Ostseemacht den Krieg nicht finanzieren und war bei der Versorgung von vier Fünftel seiner Truppen auf deutsche Fürsten und Adelige sowie auf Exilböhmen angewiesen. Eroberte kirchliche Ländereien wurden als Belohnung an Unterstützer der Schweden verteilt, womit sich Schweden mit einem ebenso dichten Geflecht von Verpflichtungen umgab wie jenes, das die Habsburger an Bayern band.

Während der Krieg vor 1631 immer nur in einer oder zwei Regionen gleichzeitig ausgefochten worden war, breitete er sich nun auf das gesamte Heilige Römische Reich aus, und die Gesamtzahl der Kriegsteilnehmer erhöhte sich von etwa 150.000 in den 1620er Jahren auf mehr als 250.000. Die Koordinierung gestaltete sich wesentlich schwieriger, da sowohl der Kaiser als auch die Schweden gezwungen waren, ihre Streitkräfte zu verteilen, um ihre fürstlichen Verbündeten zu unterstützen. So stellte beispielsweise in Westfalen der Kurfürst von Köln eine eigenständige Streitmacht mit Soldaten aus kleinen katholischen Fürstentümern zusammen, immer wieder unterstützt von kaiserlichen Militäreinheiten, um sich den Bestrebungen seitens Hessen-Kassel, den Braunschweiger Welfenherzögen sowie schwedischer Regimenter entgegenzustellen, die Paderborn, Osnabrück und andere Bistümer erobern wollten. Die Notwendigkeit, regionalen Interessen nachkommen zu müssen, ist einer der Hauptgründe dafür, warum sich der Krieg so sehr in die Länge zog. Dieser Umstand machte es wesentlich schwieriger, Truppen für einen entscheidenden Schlag zusammenzuziehen, und er erschwerte es auch, Frieden zu schließen, da ein solcher so gut wie sicher bedeutet hätte, Verbündete dazu zu nötigen, einen Teil ihrer Kriegsbeute an die jeweils andere Seite zurückzugeben.

Auch Gustav Adolfs Tod in der Schlacht bei Lützen im November 1632 veränderte die Gesamtsituation kaum, denn der Kaiser konnte die Schweden nur dann aus dem Reich vertreiben, wenn es ihm gelang, deren deutsche Unterstützer zum Überlaufen zu bewegen. Dank umfassender spanischer Militärhilfe schaffte es die kaiserliche Hauptarmee im September 1634, Schwedens süddeutsche Armee bei Nördlingen zu schlagen und so das strategische Patt zu durchbrechen. Der Sieg versetzte Ferdinand in die Lage, Zugeständnisse in Bezug auf das Edikt als Großmut, nicht als Schwäche darzustellen. Zugleich ermöglichte er es Sachsen, Brandenburg und anderen, diese Zugeständnisse gefahrlos anzunehmen und die Seiten zu wechseln.

Entsprechende Vereinbarungen wurden im Mai 1635 im Prager Frieden getroffen, der Ferdinands Interpretation des Krieges aufgriff: Demnach war alles, was vor 1629 geschehen war, ein Aufstand gewesen, der inzwischen beigelegt war; bei den Geschehnissen seit 1630 hingegen handele es sich um eine ausländische Invasion, weshalb alle deutschen Fürsten und Städte helfen müssten, die Schweden zu vertreiben.

Kriegsverlängernde Wendungen

Unglücklicherweise reichten Ferdinands Zugeständnisse nicht weit genug, vor allem, weil er die Pfalz nicht zurückgeben konnte, ohne Bayern zu verprellen, seinen nach wie vor wichtigsten militärischen Verbündeten. Erneut übernahm sich Ferdinand: Die Aufgabe, Schweden zum Rückzug aus dem Reich zu bewegen, delegierte er an Sachsen, zugleich verlegte er einen Teil der kaiserlichen Armee in die Spanischen Niederlande, um Spanien gegen Frankreich zu unterstützen. Die Chance auf einen Friedensschluss war damit vertan. Die schwedische Regierung beschloss, dass sie schon zu viel Blut und Mittel in den Krieg investiert hatte, um einen Frieden akzeptieren zu können. Die Sachsen wiederum erwiesen sich als unfähig, auf sich allein gestellt die verbliebenen schwedischen Truppen zu besiegen, sodass der Kaiser gezwungen war, seine Truppen zur Unterstützung zu verlagern.

Der teilweise Zusammenbruch der schwedischen Truppen fiel zeitlich mit der Eskalation der französisch-spanischen Feindseligkeiten zu einem offenen Krieg im Mai 1635 zusammen. Bestrebt, Österreich von einer Unterstützung Spaniens abzuhalten, intensivierte Frankreich schrittweise sein Engagement im Reich. Zunächst unterstützte es Schwedens süddeutsches Rumpfheer unter Bernhard von Weimar 1635 finanziell, um seine Auflösung zu vermeiden. Ungeachtet dessen, dass es keine formale Kriegserklärung gegen den Kaiser gab, wurde diese Streitmacht nach Bernhards Tod 1639 in das französische Heer eingegliedert und um zusätzliche französische Truppen ergänzt. Derweil unterstützte Frankreich Schweden weiter finanziell, bevor 1642 ein dauerhaftes Bündnis geschmiedet wurde, bei dem beide Beteiligten darin übereinkamen, nicht ohne den jeweils anderen Frieden zu schließen.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten entwickelte sich zwischen Frankreich und Schweden eine wirksame strategische Partnerschaft. Frankreich konzentrierte sich darauf, sich gewaltsam einen Weg über den Rhein zu bahnen und die bayerischen Kräfte zu binden, während sich Schweden der kaiserlichen Hauptarmee entgegenstellte. Hessen-Kassel wurde damit betraut, sich mit Köln und der kleineren westfälischen Armee auseinanderzusetzen, die sich in Nordwestdeutschland festgesetzt hatte. Derweil nahmen sich kleinere schwedische Verbände die anderen deutschen Verbündeten des Kaisers vor und setzten sie unter Druck, einseitige Neutralitätsvereinbarungen zu akzeptieren, nach denen sie, unter der Voraussetzung, das schwedische Heer weiterhin mit Lebensmitteln und Geld zu unterstützen, aus dem Krieg ausscheiden konnten. Brandenburg nahm diese Vereinbarung 1642 an. Eine schwere kaiserliche Niederlage bei Jankau 1645 zwang Sachsen dazu, nachzuziehen.

Bis zum Friedensschluss

Diese Rückschläge überzeugten Ferdinand III., der 1637 seinem Vater auf den Thron gefolgt war, davon, dass weitere Zugeständnisse unvermeidlich waren. Er stimmte Friedensgesprächen in den beiden westfälischen Städten Münster und Osnabrück zu, die zu diesem Zweck 1643 für neutral erklärt wurden. Militäroperationen konzentrierten sich nun zunehmend darauf, weitere kleine Siege zu erringen, um die Position der jeweiligen Diplomaten zu stärken, und anders als gemeinhin angenommen, geriet der Krieg zu keinem Zeitpunkt politisch außer Kontrolle. Auch endete er nicht aufgrund beiderseitiger Ermüdung. Frankreich und Spanien waren in der Lage, ihren eigenen, separaten Krieg noch weitere elf Jahre fortzusetzen, und das Reich war trotz aller Verwüstungen imstande, eine gewaltige Geldsumme aufzubringen, um bis 1651 sämtliche Heere zu entlohnen. Die schlichte Erklärung lautet, dass die wichtigsten Kriegsteilnehmer allesamt zu dem Schluss kamen, weitere Kampfhandlungen würden die Zugewinne gefährden, die sie bereits erzielt hatten, und es sei besser, sich mit dem Erreichten zu begnügen und den Zerstörungen ein Ende zu bereiten.

Die Habsburger hielten an der Vereinbarung fest, die sie in ihren eigenen Ländereien in den 1620er Jahren durchgesetzt hatten, und festigten ihre Herrschaft in engem Schulterschluss mit dem mittlerweile geschlossen katholischen Adel, der die von den besiegten Aufständischen beschlagnahmten Besitztümer behalten durfte. Bayern behielt die Hälfte der pfälzischen Ländereien und seinen neuen Status als Kurfürstentum. Als Belohnung für seine Unterstützung des Kaisers wurde Sachsen eine habsburgische Provinz zugeschlagen. Schweden sicherte sich die Fürstentümer, die es in Norddeutschland erobert hatte (und die es sich, dies sollte betont werden, überwiegend von anderen protestantischen Fürsten angeeignet hatte). Frankreich bekam die habsburgischen Ländereien im Elsass, was viel später Zankapfel für deutsche Nationalisten werden sollte, für Frankreich jedoch weit weniger von Bedeutung war als das Versprechen, dass sich Österreich nicht auf die Seite Spaniens schlagen würde.

Die wahren Verlierer waren die pfälzischen Wittelsbacher, die ihren Status und die Hälfte ihrer Ländereien einbüßten, sowie die Böhmen und andere Verbannte, die ihre Besitztümer verloren. Und natürlich die einfachen Menschen, die so lange gelitten hatten: Die Bevölkerung im Heiligen Römischen Reich war um mindestens ein Fünftel geschrumpft, und erst im frühen 18. Jahrhundert wurde wieder das Vorkriegsniveau erreicht.

Der Westfälische Frieden gilt weithin als Beginn der modernen, auf souveränen Staaten basierenden internationalen Ordnung. Zwar war er zweifellos ein Schritt in diese Richtung, doch in dem eigentlichen Vertragswerk war davon kaum die Rede. Seine wichtigste Bedeutung besteht vor allem darin, wie nachfolgende Generationen ihn auslegten. Tatsächlich aber festigte der Frieden das Reich, da das Vertragswerk von 1648 Teil der Verfassungsordnung wurde, dezent das Gleichgewicht zwischen Kaiser und Fürsten regulierte und damit seinen Teil zum Fortbestand des Heiligen Römischen Reiches bis 1806 beitrug.

Übersetzung aus dem Englischen: Peter Beyer, Bonn.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Geoffrey Parker, Global Crisis: War, Climate Change and Catastrophe in the Seventeenth Century, New Haven 2013; Johannes Burkhardt, Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2018. Weitere Diskussion und Kritik in Peter H. Wilson, The Causes of the Thirty Years War 1618–48, in: English Historical Review 123/2008, S. 554–586.

  2. Vgl. Geoffrey Parker (Hrsg.), Der Dreißigjährige Krieg, Berlin 1987.

  3. Vgl. Christoph Kampmann, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart 2008.

  4. Vgl. Axel Gotthard, Der deutsche Konfessionskrieg seit 1619, in: Historisches Jahrbuch 122/2002, S. 141–171; ders., Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung, Köln 2016.

  5. Vgl. Heinz Duchhardt, Der Weg in die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges. Die Krisendekade 1608–1618, München 2017.

  6. Vgl. Andreas Bähr, Der grausame Komet. Himmelszeichen und Weltgeschehen im Dreißigjährigen Krieg, Reinbek 2017.

  7. Vgl. Peter H. Wilson, Dynasty, Constitution and Confession: The Role of Religion in the Thirty Years War, in: International History Review 30/2008, S. 473–514.

  8. Vgl. Winfried Schulze (Hrsg.), Friedliche Intentionen – kriegerische Effekte. War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich?, Sankt Katharinen 2002.

  9. Vgl. Albrecht Ernst/Anton Schindling (Hrsg.), Union und Liga 1608/09. Konfessionelle Bündnisse im Reich – Weichenstellung zum Religionskrieg?, Stuttgart 2010.

  10. Vgl. Dominic Phelps, The Triumph of Unity Over Dualism: Saxony and the Imperial Elections 1559–1619, in: R.J.W. Evans/Michael Schaich/Peter H. Wilson (Hrsg.), The Holy Roman Empire 1495–1806, Oxford 2012, S. 183–202.

  11. Vgl. Peter H. Wilson, Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie, Darmstadt 2017, S. 256–342.

  12. Vgl. Jan Kilián, Religiös-politische Unruhen in Böhmen und der (dritte) Prager Fenstersturz, in: Robert Rebitsch (Hrsg.), 1618. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, Köln 2017, S. 149–167.

  13. Vgl. Georg Schmidt, Die Reiter der Apokalyse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, München 2018, S. 153–167.

  14. Vgl. Thomas Brockmann, Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg, Paderborn 2011.

  15. Vgl. Olivier Chaline, La Bataille de Montagne Blanche (8 novembre 1620), Paris 2000.

  16. Vgl. Peter H. Wilson, War Finance, Policy and Strategy in the Thirty Years War, in: Michael Rohrschneider/Anuschka Tischer (Hrsg.), Dynamik durch Gewalt? Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) als Faktor der Wandlungsprozesse des 17. Jahrhunderts, Münster 2018, S. 229–250.

  17. Vgl. Peter H. Wilson, Lützen, Oxford 2018.

  18. Vgl. ders., Habsburg Imperial Strategy During the Thirty Years War, in: Enrique García Hernán/Davide Maffi (Hrsg.), Estudios sobre Guerra y Sociedad en la Monarquía Hispánica. Guerra maritima, estrategia, organización y cultura militar (1500–1700), Valencia 2017, S. 291–329; Jenny Öhman, Der Kampf um den Frieden. Schweden und der Kaiser im Dreißigjährigen Krieg, Wien 2005; Lothar Höbelt, Von Nördlingen bis Jankau. Kaiserliche Strategie und Kriegführung 1634–1645, Wien 2016.

  19. Vgl. Derek Croxton, Peacemaking in Early Modern Europe: Cardinal Mazarin and the Congress of Westphalia, 1643–1648, Selinsgrove 1999.

  20. Siehe hierzu auch den Beitrag von Heinz Duchhardt in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Peter H. Wilson für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und des/der Autors/-in teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

ist Inhaber der Chichele-Professur für Kriegsgeschichte am All Souls College der Universität Oxford. Zuletzt erschien von ihm "Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie" (2017). E-Mail Link: peter.wilson@history.ox.ac.uk