Einleitung
Die Nutzung des Internets
Die Forschungsfrage, welche Parlamente im Netz vertreten sind, ist mittlerweile weltweit irrelevant, denn die Parlamente aller Länder verfügen über Websites mit Informationen über ihre Geschichte, Struktur und Zusammensetzung bzw. mit Gesetzestexten. Doch diese Informationen werden nicht immer sinnvoll aufbereitet. So enthalten die Seiten selten interaktive Elemente, die über eine Kontaktmöglichkeit mittels E-Mail hinausreichen. Gleichzeitig sind sowohl der Internetzugang als auch die Medienkompetenz zur parlamentarischen Informationssuche im Internet begrenzt, und sie unterscheiden sich von Land zu Land. Von entscheidender Bedeutung bleibt demzufolge auch für Europa die Hauptfrage der US-Studien: Welche demokratiepolitischen Leistungen erbringen die Internetauftritte der Parlamente? Es ist zu befürchten, dass das Internet in der Parlamentskommunikation politische Eliten bevorzugt und die politische Information und Kommunikation als intraelitären Prozess fördert anstatt den interaktiven Dialog von Eliten und Bürgern zu unterstützen.
Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Der anarchische Charakter des Internets steht in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich oft in Widerspruch mit der traditionell hierarchischen Struktur von Prozessen der politischen Kommunikation. Aus mehreren Gründen - der Charakter Deutschlands und Österreichs als "Konsensdemokratien", die weitreichende Bürokratisierung, ein starkes Parteiensystem, institutionalisierte Verhandlungsmodelle von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen anstatt eines freien Wettbewerbs konkurrierender Interessen, öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten - unterscheidet sich der politische Kommunikationsfluss in beiden Ländern signifikant von einer liberalen Informationskultur wie beispielsweise in den USA.
Es dominiert in Deutschland und Österreich eine klare Orientierung an etablierten Kommunikationsstrukturen, so dass es für Bürger eher unüblich ist, im Internet aktiv nach politischen Informationen oder gar nach Möglichkeiten politischer Beteiligung zu suchen. Im Umkehrschluss sind auch parlamentarische Eliten im Umgang mit derart aktiven Bürgern unerfahren. Auch ein grundsätzlicher Konservativismus oder aber Traditionen der Direktdemokratie (siehe das Beispiel der Schweiz) können die Institutionalisierung des Internets für einen Dialog zwischen Parlamenten und Bürgern negativ beeinflussen.
Vergleichsstudien über Parlamenteim Internet
Wissenschaftliche Untersuchungen über die Bedeutung von Parlamenten im Internet leiden unverändert an Theorie- und Empiriedefiziten. Als europäisches Standardwerk kann eine Sonderausgabe der Fachzeitschrift "Parliamentary Affairs" von 1999 angeführt werden.
Deutschsprachige Beiträge, die einen theoretischen Bezugsrahmen aufweisen, liegen u.a. von Stefan Marschall
Von 1999 bis 2001 wurde an der Amsterdam-Maastricht Summer University jedes Jahr eine Studie über die Websites von Parlamenten in den 15 EU-Mitgliedstaaten durchgeführt.
Die Unterschiede von Jahr zu Jahr sind lediglich zum Teil durch tatsächliche Innovationen bzw. Veränderungen der parlamentarischen Websites erklärbar, so dass die Ergebnisse durch die im Jahresvergleich unterschiedliche Studiengruppe beeinflusst wurden und nur als Trend angesehen werden dürfen. Die Ergebnisse sind überraschend, weil es keine klare Korrelation der Bewertungspunkte mit der Häufigkeit der Internetnutzung bzw. deren Anstieg in den einzelnen Ländern gab. Die skandinavischen Länder sind in der Internetnutzung führend, doch nur Schweden und Dänemark erhielten Spitzenbewertungen, die Internetseite des finnischen Parlaments hingegen nicht, obwohl in Finnland gleichermaßen sowohl die Regierung als auch private Nicht-Regierungsorganisationen und Wirtschaftsunternehmen frühzeitig Initiativen für eine Unterstützung der Internetnutzung ergriffen.
Griechenland erzielte Spitzenwerte, obwohl das Land die niedrigste Internetnutzungsrate in der EU aufweist. Die Steigerungsraten der Internetnutzung im Vereinigten Königreich führten zu einer höheren Punktezahl, doch war bereits die Erstbewertung bemerkenswert hoch gewesen. Österreich liegt in der Häufigkeit der Internetnutzung klar vor Deutschland, die Internetseite des Deutschen Bundestags wurde jedoch eindeutig besser bewertet als jene des österreichischen National- und Bundesrats. Die Seite des italienischen Parlaments wurde ebenfalls gut bewertet, obwohl rein zahlenmäßig die österreichischen Angebote nicht übertroffen werden und die Zahl der Internetnutzer noch geringer ist. Nur in Portugal deckte sich eine schlechte Bewertung mit einer geringen Internetnutzung.
Qualitative Inhaltsanalyse parlamentarischer Websites
Das skizzierte Ergebnis der Amsterdam-Maastricht Summer University lässt grundlegende Unterschiede der Qualität vermuten. Sinnvolle qualitative Vergleiche parlamentarischer Websites müssen demzufolge nach mehrdimensionalen Kriterien erfolgen und über reine Zählungen hinausgehen, nachdem viele Inhalte überall vorhanden
In der Folge wird versucht, die Websites deutschsprachiger Parlamente qualitativ zu vergleichen. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass in einer repräsentativen Demokratie parlamentarische Websites idealtypisch sowohl Top-down-Informationen als auch Bottom-up-Kanäle für eine interaktive politische Partizipation und Kommunikation anbieten. Die Kategorien für eine Inhaltsanalyse können demzufolge (vgl. Abbildung 2, siehe PDF-Version) nach den Kriterien der politischen Information über Geschichte, Rechtsrahmen, Strukturen und Abgeordnete sowie der (interaktiven) Kommunikation über die Arbeit des Parlaments und politische Themen mit den jeweils entsprechenden Serviceleistungen unterschieden werden.
Quantitative Studien nach einem ähnlichen Analyseschema belegen - wenig überraschend - den höchsten Service-, Informations- und Kommunikationsgehalt nordamerikanischer und westeuropäischer bzw. insbesondere skandinavischer Seiten. Auch Australien und Neuseeland nehmen Führungspositionen ein, während Parlamente in Afrika und im Nahen/Mittleren Osten das Schlusslicht bilden. Die Qualität parlamentarischer Websites steht global in direktem Zusammenhang mit der Nutzungsfrequenz für das Internet, vor allem aber auch mit dem Entwicklungsstand und Demokratisierungsgrad eines Landes.
Im Unterschied zu solchen quantitativ orientierten Studien - in denen der Abbildung 2 vergleichbare Kategorien bzw. Indikatoren korreliert werden, um eine Reihung nach Punkten zu ermöglichen
Deutschsprachige Websites
Bundesrepublik Deutschland
Die Internetseite des Deutschen Bundestags
Parallelen zu den anderen Fallbeispielen zeigen sich hinsichtlich der Einstellung von Gesetzestexten zum Parlamentarismus bzw. zum parlamentarischen System (Grundgesetz, Wahlrecht, Parteiengesetz als Volltext) und der Geschäftsordnung, die mit Erläuterungen versehen ist. Die Tagesordnung von Sitzungen - als Sitzungskalender für den Deutschen Bundestag im Netz gemeinsam mit geschichtlichen Informationen und aktuellen Veranstaltungen usw. als "Infothek" zusammengefasst - ist sehr detailliert und enthält sowohl einen Rückblick auf frühere Sitzungsperioden als auch eine Vorschau. Tagesordnung, Pressemitteilungen und Protokolle (als "Aktuelles" in einer Rubrik) finden sich auch auf den Websites von Parlamenten anderer Länder.
Unterschiede zu anderen Ländern sind vordergründig auch nicht in der dokumentarischen Aufbereitung von Parlamentsmaterialien (nach dem Zeitpunkt geordnete Protokolle mit Schlagwortkatalog) zu erkennen. Zusätzlich enthält die Internetseite des Deutschen Bundestags Verweise auf externe Datenbanken auf nationaler und internationaler Ebene. Printpublikationen werden demgegenüber in verhältnismäßig geringem Ausmaß offeriert. Das Angebot wird in deutscher, englischer und in französischer Sprache gestaltet. Links zeigen in Deutschland einen verstärkten Europabezug bzw. vermehrt internationale Komponenten (Europäische Institutionen bzw. Internationale Organisationen). Die Inhalte der nichtöffentlichen Ausschusssitzungen sind vergleichsweise knapp dargestellt, obwohl die Ausschüsse des Deutschen Bundestags über eigene - allerdings auf eine Auflistung der generellen Zuständigkeit und der Mitglieder reduzierte - Subseiten verfügen. Die Seite des Deutschen Bundestags enthält außerdem eine gesonderte Subseite von 516 Abgeordneten (bzw. 85,6 Prozent, Erhebungszeitpunkt September 2003) mit Homepages.
Der parlamentarische Unterausschuss für "Neue Medien" (Externer Link: www.bundestag.de/gremien15 ) initiierte ein "E-democracy"-Projekt, das ein Diskussionsforum mit zusätzlichen Informationsangeboten verbinden sollte. Erfahrungen mit dem Forum "Modernisierung des Informationsrechtes" zeigten, dass ein Dialog zwischen Abgeordneten und einer vorinformierten und interessierten Öffentlichkeit möglich ist. Vor allem aber wurde deutlich, dass sowohl Formvorschriften wie die Registrierung der Diskutanten als auch ein Moderator als authentische Person für Zusatzinformationen, Themenkoordination, Mediation und Zusammenfassung von Ergebnissen unumgänglich sind, um parlamentarische Diskussionsforen im Internet als interaktives und partizipatives Kommunikationselement effektiv zu machen.
Zum Erhebungszeitpunkt (Ende April 2003) waren zwei Foren aktiv - "Heilung für die kranken Kassen" (bis Herbst 2003) und das Forum von Jürgen Meyer, SPD, Vertreter des Bundestages im EU-Konvent zu eben diesem Thema -, die zumindest im erstgenannten Fall mit ihren Inhalten ein Beispiel für die hochgradige Spezifizierung darstellen. Auch ist der Interaktivitätsgrad relativ gering. Im Forum zum Gesundheitssystem wurden nicht nur die vier Parlamentsfraktionen um Stellungnahmen gebeten, sondern auch Besucher der Website. Nach einer intensiven Diskussion nach Foreneröffnung Anfang April gab es zum Monatsende bereits weniger als einen Diskussionsbeitrag im Tagesdurchschnitt. Das Forum zur Diskussion über die Vorstellungen von Europas Zukunft ist seit Mai 2002 online, zuletzt gab es jedoch durchschnittlich nur einen Beitrag im Monat. Im Spätsommer 2003 kam als Forum "Auslandseinsätze und Wehrpflicht - Marschbefehle für die Bundeswehr" mit anfänglich intensiveren Diskussionen hinzu.
Auch das Archiv für Diskussionsforen zeigt, dass bestimmte Themen (Kampf gegen Drogen, Anonyme Geburten, Ethik in der Medizin, Öko-Bauern, Videoüberwachung, Bundeswehreinsatz im Kosovo) über allgemein demokratische Fragestellungen (z.B. "10 gesamtdeutsche Jahre, 1990 - 2000") zahlenmäßig dominieren. Die Quantität der Beteiligung ist sehr unterschiedlich, doch werden Foren primär von einer fachbezogenen Teilöffentlichkeit - etwa Ärzte bei medizinischen Themen - genutzt. Ausgewählte Beiträge werden im Printmagazin "Blickpunkt Bundestag - Forum der Demokratie" veröffentlicht. Als Kritikpunkt kann angeführt werden, dass der interaktive Dialog sich als intraelitäre Diskussion von politischen und sonstigen gesellschaftlichen Eliten und nicht als Diskurs zwischen Eliten und Bürgern gestaltet. Rück- und Anfragemöglichkeiten sind auf E-Mails und Hinweise auf telefonische Optionen beschränkt. Auch virtuelle Konferenzen zu Sachthemen richten sich offensichtlich an Fachöffentlichkeiten. Eine Ausnahme stellten umfangreiche Aktivitäten zu den Bundestagswahlen im September 2002 dar; als zusätzliche Foren ("Was steht zur Wahl?") wurden Online-Konferenzen (u.a. "Warum wählen gehen?" auf Externer Link: www.mitmischen.de für Jugendliche und junge Wähler) und ein Internet-Quiz angeboten.
Die Plenarsitzungen des Bundestags werden im Internet live übertragen. Hinweise finden sich ebenso zu Tonübertragungen und zum Bundestagsfernsehen. Reale Besuchsmöglichkeiten werden angeboten, enthalten jedoch als Besichtigung bzw. Führung keine Inhaltsbezüge. Zusätzlich wird auf die Wanderausstellung "Deutscher Bundestag - Unsere Abgeordneten" sowie auf das Infomobil des Bundestages, das eine Tour durch das Land absolviert, hingewiesen.
Allgemein erscheint die Internetseite des Deutschen Bundestags trotz bzw. wegen des Verzichts auf eine aufwendige Bildgestaltung vergleichsweise benutzerfreundlich, nicht zuletzt, weil die Navigationshilfen schlüssiger als anderswo gestaltet sind.
Österreich
Die Startseite des österreichischen Parlaments (Externer Link: www.parlament.gv.at ) ist nahezu ohne graphische Elemente strukturiert. Basisinformationen werden in Deutsch und Englisch, jedoch in keiner weiteren Fremdsprache und keiner Sprache einer gesetzlichen Minderheit in Österreich (Slowenisch bzw. Serbokroatisch) angeboten. Der Link "Willkommen im Österreichischen Parlament" führt zu einem illustrierten Überblick sowohl über das Parlament als auch das parlamentarische System. 24 Abbildungen zeigen gleichermaßen das Gebäude und seine Räumlichkeiten wie die Vorgangsweise im Prozess der Gesetzgebung.
Der Textüberblick ist detailliert, enthält jedoch überwiegend Grundinformationen und keine kritischen Wertungen. Die meisten Teile konzentrieren sich auf geschichtliche Informationen (Entwicklung der Bundesverfassung, des Wahlsystems unddes Parlamentarismus im 20. Jahrhundert), das Parlamentsgebäude und die Organisation derVolksvertretung (Kammern und Gremien, Geschäftsordnung, Gesetzgebung). Einführende Kommentare beschäftigen sich auf etwa fünf Seiten in sehr allgemeiner Form mit der Funktion des Parlaments im politischen System. Anhänge enthalten Rechtsquellen und Statistiken. Kommentare über das Parlament als demokratiepolitische Institution sowie über die Beziehung zwischen Parlament und Regierung sind zwar enthalten, aber ebenfalls auf Basisinformationen reduziert. Gleichzeitig ist die durch das Bildungsministerium
gestaltete Information um Objektivität bzw. neutrale Beschreibungen bemüht und daher relativ theoretisch. Ausschließlich in deutscher Sprache werden zusätzlich u.a. folgende Serviceleistungen angeboten: Eine alphabetische Liste aller Parlamentsabgeordneten enthält Informationen über ihren Wahlbezirk, Amtszeit und Erreichbarkeit via Telefon/Fax und Internet. Im Oktober 2003 haben 73 von 183 Abgeordneten ihre - theoretisch für alle Parlamentsmitglieder verfügbare - E-Mail-Adresse auf der Seite veröffentlicht, 168 gaben entweder diese oder/und eine andere E-Mail-Adresse an. Bei 15 Abgeordneten schien keine E-Mail-Adresse auf. Lediglich 29 Abgeordnete gaben eine persönliche Homepage an (in 31 Fällen wurde eine institutionalisierte Homepage einer Partei oder Interessenvertretung angeführt).
Von den via E-Mail kontaktierbaren Abgeordneten hatte allerdings im Frühjahr 2003 lediglich ein Viertel (26,9 Prozent) auf eine konkrete Testanfrage im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts geantwortet. Die Sitzverteilung der Abgeordneten nach Parteizugehörigkeit und ihre Ausschussmitgliedschaften führen auf einer tiefer gelegenen Ebene zu detaillierten Biografien und Fotos. Tagesordnungen der Plenar- und Ausschusssitzungen werden mit Themen- und Rednerlisten gezeigt, von Plenarsitzungen gibt es Direktübertragungen mittels Audio Stream.
Protokolle der Plenarsitzungen und Gesetzgebungsprotokolle sind ab 1996 verfügbar und können auch mittels elektronischem Schlagwortkatalog gesucht werden.
Das Parlament betreffende Rechtsquellen enthalten den Volltext der Bundesverfassung, Wahlrechtsbestimmungen, Parteigesetze sowie die Geschäftsordnung.
Presseberichte der Austria Presse Agentur (APA) über parlamentarische Aktivitäten sind ab dem Jahr 1966 abrufbar und nach Datum, Thema und/oder Schlagwörtern sortiert.
Hintergrundinformationen führen zu virtuellen Rundgängen im Parlamentsgebäude, aber auch zu Bibliotheksarchiven und einer Bürgerinformationsstelle für Anfragen via Telefon oder E-Mail.
Die Website des Deutschen Bundestags wird trotz einer bestenfalls mittleren Positionierung des Landes hinsichtlich der Internetnutzung im EU-Vergleich sowohl in quantitativen als auch qualitativen Studien sehr gut bewertet.
Der Internetauftritt des österreichischen Parlaments wird nach quantitativen Kriterien sehr schlecht eingeordnet. Für den Fall einer qualitativen Analyse ergibt sich ein deutlich besseres Bild.Ein klarer Zusammenhang zwischen der vergleichsweise hohen Internetnutzung und der besonders guten Bewertung der parlamentarischen Website besteht aber jedenfalls nicht.
Das schweizerische Parlament und seine Website sind in EU-Vergleichsstudien nicht erfasst, doch ist auch hier die qualitativ orientierte Bewertung besser als die quantitative.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Defizit an Informationen über die politischen Positionen der einzelnen Parlamentsabgeordneten in Österreich auffällt, aber eine logische Konsequenz der freiwilligen Fraktionsdisziplin ("Klubzwang") und der parteikonformen Abstimmungen ist. Obwohl beispielsweise die Abbildungen zur Gesetzgebung im Stil von Unterrichtsmaterialien für höhere Schulen gestaltet sind, ist die Website des Parlaments weniger für eine praxisbezogene politische Bildungsfunktion denn als Informationsarchiv geeignet.
Schweiz
In der Schweiz wird auf einer Begrüßungs- bzw. Auswahlseite (Externer Link: www.parlament.ch ) in Deutsch, Französisch und Italienisch die Mehrsprachigkeit des Landes betont, doch fehlt Rätoromanisch als vierte offizielle Amtssprache und wird durch Englisch ersetzt. Historische Informationen umfassen u.a. eine "kleine Staatskunde" über das Parlament und seine Tätigkeitsbereiche, über die Bundesverfassung, über staatspolitische Einrichtungen sowie ein Wahlwörterbuch. Dieses umfasst auf Parlamentswahlen bezogene Gesetze und Rechte bzw. Pflichten, sowie als Kategorien u.a. Stimmrecht, Proporzwahl und Parteienstimmen.
Die unter dem Begriff "Tätigkeiten" zusammengefassten Informationen über den Gesetzgebungsprozess führen von der obersten Ebene zu Subseiten wie zum Beispiel Geschäftsreglement und parlamentarische Verfahren, ohne dass auffallende Unterschiede zu den Websites von Parlamenten anderer Länder bestehen. Auch gesetzliche Grundlagen (Wahlrecht u.a.) sowie Statistiken und aktuelle Tagesordnungen von Nationalrat und Ständerat bzw. der Kommissionen differieren kaum. Eine Live-Übertragung von Plenardebatten in Ton und/oder Bild ist vorgesehen.
Als Informationen über Abgeordnete finden sich eine Auflistung der Präsidenten (mit eigener Internetseite) und Vizepräsidenten sowie der Mitglieder der Räte mit Partei- und Kantonszugehörigkeit, beruflichem Hintergrund, politischer Tätigkeit und parlamentarischen sowie, falls vorhanden, privaten E-Mail-Adressen. Regierungsmitglieder werden nicht eigens angeführt. Informationssuche ist u.a. mittels eines alphabetischen Index und als Volltextsuche im Angebot der Parlamentsdienste möglich. Selbstständige Veröffentlichungen reduzieren sich mehrheitlich auf offizielle Berichte und Broschüren, doch können im "Meta Web" themenbezogen Publikationen recherchiert werden, und unter "Staatskunde" sind Bücher (auch Lehrbücher) zu Parlamentsthemen abrufbar.
Von besonderer Bedeutung für die Schweiz ist es, dass "halb-direktdemokratische" Elemente - Volksabstimmungen und Volksinitiativen - den Bürgern im Bereich der Gesetzgebung weitreichende Einflussmöglichkeiten garantieren, die in Österreich und vor allem in Deutschland weniger stark ausgeprägt sind. Zu bemängeln ist daher das Fehlen von Diskussionsforen oder "Chat Rooms" als Merkmal der Interaktivität einer Konkordanzdemokratie. Diese beschränkt sich auf eine Kontaktaufnahme mit Ratsmitgliedern via E-Mail. Ansätze für eine politische Bildungsarbeit sinddurch ein interaktives Staatskundelehrspiel und -programm ("CiviCampus") erkennbar.
Parlamentsintern dient das Internet primär als Hilfsmittel für die Versorgung der Abgeordneten mit Daten und Informationen im Gesetzgebungsverfahren. Schwerpunkte der Arbeit leisten der Kommissionsdienst und die Dokumentationszentrale. Für die Weiterentwicklung der Internettechnik ist ein neu geschaffener Informatikdienst zuständig.
Qualitative Resultate
Gegenüber den angeführten quantitativen Studien ergeben sich nach einer qualitativen Inhaltsanalyse sowohl tendenziell parallele Ergebnisse als auch interessante Unterschiede (siehe die obige Beschreibung sowie Abbildung 3, siehe PDF-Version).
Länder mit einer traditionellen Führungsposition in der Internetentwicklung wie die USA und Dänemark rangieren übrigens sowohl in quantitativ als auch qualitativ dominierten Rangordnungen im Vorderfeld. Ein Gegenbeispiel zu den USA und Dänemark bildet das Vereinigte Königreich, wo jeweils überproportional steigende Internetnutzungsraten nicht mit einer gut bewerteten Website des Parlaments korrelieren. Gegenbeispiel zu vor allem Österreich ist das italienische "Parlamento", das quantitativ klar besser als qualitativ bewertet wird.
Schlussfolgerungen
Auffallend ist, dass Websites von Parlamenten in modernen Kommunikationsgesellschaften hinsichtlich der formalen Sachinformationen (Gesetze, Protokolle, Tagesordnungen usw.) inhaltlich nahezu identisch sind und gestalterisch durch das Webdesign viele Parallelen aufweisen. Letzteres resultiert daraus, dass gestalterische "Todsünden" (Linien als Barriere, störende Hintergrundbilder und lange Ladevorgänge, Stillstand)
Differenzen ergeben sich allerdings, inwieweit das Internet als Hybridmedium, d.h. für die multimediale Übermittlung von Textdokumenten, Bildern und Graphiken, Ton- und Filmberichten, genutzt wird. Diesbezüglich befindet sich das Internet gegenüber den anderen Informationsmedien - Zeitungen können lediglich Texte (auszugsweise) wiedergeben und mit Bildelementen verbinden, Radio und Fernsehen Debatten meist nur in Ausschnitten übertragen - im Vorteil, doch ist unklar, inwieweit ein vollständiger Einsatz aller technischen Optionen die Benutzerfreundlichkeit erhöht. Nicht zufällig ist die gut bewertete Internetseite des Deutschen Bundestags vergleichsweise einfach und textkonzentriert gestaltet, während die Unübersichtlichkeit der visuell aufwendigen Seiten des italienischen Parlaments zu einer schlechteren Bewertung führen würde.
Der Interaktivitätsgrad stellt das zentrale Unterscheidungskriterium dar. Parlamentarische Seiten können zusätzlich zur Top-down-Informationsvermittlung von Gesetzestexten/-entwürfen, Ausschuss- und Plenarsitzungen oder rechtlichen Grundlagen Bottom-up-Kanäle der Bürgerbeteiligung offerieren. In Österreich beschränkt sich das Online-Angebot auf E-Mails. Es fehlen Diskussionsforen, über E-Mails hinausreichende Diskursformen von Bürgern mit Ausschüssen und Abgeordneten sowie elektronische Appellations- und Interpellationsrechte. Positives Beispiel sind die Diskussionsforen und virtuellen Konferenzen in Deutschland. Nirgendwo versteht sich aber eine virtuelle Aktivität zwischen Bürgern und Parlamenten als Möglichkeit, den politischen Entscheidungsprozess signifikant zu beeinflussen.
Kritisch zu hinterfragen ist, inwieweit durch Internetauftritte von Parlamenten eine breite Öffentlichkeit zur Verbesserung der Demokratiequalität erreicht wird oder ob seit Mitte der neunziger Jahre nur die "klassischen" Interessenten (Journalisten, Parteiaktivisten, Lobbyisten, Wissenschaftler) eine neue und vereinfachte Form des Zugangs zu parlamentarischen Informationen erhalten bzw. über zusätzliche Kommunikationskanäle verfügen.
Parlamentarische Websites sind auf die politische Informationsvermittlung fokussiert und sehen lediglich ein limitiertes Angebot für die politische Partizipation vor. Das gilt insbesondere, wenn Beteiligung sich nicht als Form der (Minimal-)Teilnahme am politischen Prozess versteht, sondern lediglich Chancen, diesen Prozess zu beeinflussen, als reelle Partizipation gelten. Kontaktmöglichkeiten verstehen sich oft nur als Besuchsgelegenheit und selten als Beteiligungschance. Standardisierte Informationen für klassische Medien (Presseunterlagen usw.) werden oft gleichzeitig via Internet vermittelt. Es fehlen mit wenigen Ausnahmen internetspezifische Formen der Informationsvermittlung. Für nicht professionelle Internetnutzer ist der Schwierigkeitsgrad für den Informationszugang in allen Fällen sehr hoch.
Ein weiteres Defizit ist, dass für die politische Bildung verwendbare Angebote entweder ganz fehlen (in Österreich) oder nur ansatzweise (in der Schweiz durch ein Staatskundespiel) vorhanden sind. In der Bundesrepublik Deutschland überrascht allerdings, dass trotz des institutionellen Rahmens und traditionell reichhaltiger Ressourcen für die politische Bildungsarbeit diese auf der Internetseite des Parlaments nicht von größerer Bedeutung ist. Problematisch ist überall die mangelnde Transparenz von Hintergründen der angebotenen bzw. nicht angebotenen Informationen, die ausnahmslos durch "das Parlament" mit dem Anspruch einer (Schein-)Objektivität politisch vermittelt werden.
Die Einführung von parlamentarischen Websites ist eine subjektiv motivierte Legitimierung, um repräsentative Kompetenzen durch oberflächliche Informations- und Partizipationsmöglichkeiten zu bestätigen. Es ergibt sich unter Umständen eine Verbesserung der Quantität des politischen Dialogs (Erhöhung der Wahlbeteiligung/der Häufigkeit des Kontakts mit Repräsentanten des politischen Systems usw.), ohne dass qualitative Verbesserungen der Demokratie - reelle Partizipationschancen, Vermeidung von Politikverdrossenheit, mehr Vertrauen in politische Institutionen usw. - gesichert sind. Das Internet ist aber das einzige Medium, das für eine Aufarbeitung der hoch komplexen parlamentarischen Informationen zweckdienlich ist. Gesetzesvorlagen, Protokolle von Plenarsitzungen, Berichte von Ausschüssen usw. können als Detailinformation durch Printmedien und herkömmliche elektronische Medien aus Raum- und Zeitmangel nicht vermittelt werden. Durch ein System von Hyperlinks, Suchmaschinen und Download-Dateien kann jede Information nicht nur den Abgeordneten, sondern zugleich einer interessierten (Fach-)Öffentlichkeit verfügbar gemacht werden, ohne die Serviceleistungen für weniger Interessierte zu reduzieren.
Aufgrund der Hyperlinks und Gateway-Funktionen könnte die parlamentarische Kommunikation zwischen Eliten und Bürgern mit anderen Formen der Regierungskommunikation sowie auch mit derintraparlamentarischen Kommunikation der Abgeordneten und ihrer Mitarbeiter verbunden werden. Gleichzeitig können externe Akteure der Politik - etwa Expertensysteme - in den Dialog einbezogen werden. Einfaches Beispiel dafür sind Verknüpfungen der parlamentarischen Seiten mitWebsites von Parteien inner- und außerhalb des Parlaments, wobei Zugangsbeschränkungen sowohl die allgemeine Informationsvermittlung als auch eine spezifische Informationsweiterleitung ermöglichen. Alle Seiten der Parlamente weisen eine Verknüpfung mit Ministerien und Verwaltungsbehörden bzw. manchmal mit Interessengruppen und Nicht-Regierungsorganisationen auf. Theoretisch ergibt sich dadurch eine gute Gelegenheit für die Bevölkerung, offizielle Informationen als "Fakten" von Meinungen usw. zu unterscheiden, während dies ansonsten aufgrund des zunehmenden Marketings der Politik nicht unbedingt der Fall wäre.
Klassische Parlamentsstrukturen werden durch das Internet kaum berührt. Abgesehen von vorsichtigen Ansätzen in Dänemark wird beispielsweise das System der Ausschüsse, sofern vorhanden, nicht modifiziert. Obwohl sämtliche parlamentarische Tätigkeiten für Bürger zugänglich gemacht werden könnten, wird - u.a. unter Hinweis auf Effizienzgründe - der politische Entscheidungsprozess weiterhin in nichtöffentlichen Sitzungen erfolgen und nicht in via Internet übertragene Plenarsitzungen mit lediglich formalen Abstimmungen verlagert. Auch der Themenbereich des E-Voting ist nicht nur für parlamentarische Abstimmungen, sondern auch für Parlamentswahlen unzureichend behandelt.
Obwohl die Parlamentsinformation täglich aktualisiert wird, ist der Transparenzgrad gering. Reden im Plenum etwa bieten für Bürger keine Möglichkeit, die Hintergründe politischer Entscheidungen kennen zu lernen. Bezeichnenderweise sind historische Informationen ausführlich, während tagespolitische Informationen formalisiert (Tagesordnung usw.) und nicht kommentiert werden. Gemäßigte Reformen könnten "Online Calls for Papers" zu kontroversen Themen und/oder Übertragungen von Hearings im Internet enthalten. Bürgerdiskussionen (etwa in Form von Focus Groups) wären ein weiterer Schritt. Vergleichbare Ansätze gibt es in Deutschland, wo das Projekt zur "Elektronischen Demokratie" vorsieht, Gesetze nicht allein im Parlament, sondern auch via Internet entstehen zu lassen. Referentenentwürfe, Ergebnisse von Expertengutachten, Positionen der Bundestagsfraktionen sowie von Interessengruppen vorgelegte Stellungnahmen sollen im Internet zur Debatte gestellt werden.
Parlamente sind strukturkonservative Einrichtungen, die unabhängig von einer oberflächlichen Befürwortung des Internets als Legitimationsnachweis befürchten müssen, durch Reformen nach einer radikalen Implementierung des Internets traditionelle Aufgaben und Vorrechte zu verlieren. Modernisierungsprozesse reichen daher lediglich soweit, dass die Position von Parlamenten in repräsentativen Demokratien nicht in Frage gestellt wird.
Die Ausweitung von Beteiligungsmöglichkeiten stellt keine Zielsetzung dar, weil parlamentarische Eliten an der Nutzung des Internets für interne Kommunikationsflüsse und als Top-down-Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern - von Regierenden mit Regierten - interessiert sind und eine Transformation des Systems der Repräsentativdemokratie durch bottom-up-orientierte Konzepte einer "Cyberdemocracy" nicht in ihrem Interesse liegt. Das Internet ist demzufolge in der parlamentarischen Kommunikation kein Instrument zur Veränderung politischer Entscheidungsprozesse.