Vorbemerkungen
Auf allen Ebenen des politisch-administrativen Systems laufen derzeit Modernisierungsprozesse. Die Akteure stehen hierbei vor dem Problem, dass sich Verfahrensabläufe nur schwer ändern lassen. Das wirft Fragen danach auf, wer welches Interesse daran hat, dass sich nichts ändert, und über welche Macht die einzelnen Vertreter verfügen, um ihre Interessen durchzusetzen. Es darf dabei nicht übersehen werden, dass sich die Akteure oft mehr für die Folgen einer Modernisierung für ihre Machtposition interessieren: Spezifische Machtkonstellationen führen zur Konstituierung von Rahmenbedingungen, Problemen und Zwängen des kollektiven, organisierten Handelns, die letztlich die Durchsetzbarkeit der Modernisierungsprogramme negativ beeinflussen. Häufig ist auch zu beobachten, dass das Entscheidende versäumt wird, nämlich andere Akteure, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Veränderungsprozess "mitzunehmen". Das kann allerdings nur funktionieren, wenn diese von der Vorhersehbarkeit, Handhabbarkeit und dem Sinn der an sie gestellten Anforderungen überzeugt sind, anderenfalls ist ein Scheitern von Projekten vorprogrammiert. Oftmals erweist sich die bestehende Organisationskultur als stärker als jeder reformerische Eingriff. Die Ergebnisse zahlreicher Analysen zeigen, wie schwer sich menschliche Verhaltensweisen in Organisationen verändern lassen und wie wenig ein Modell mechanischer Koordination oder ein einfacher Determinismus zum Erfolg verhilft.
Die Ergebnisse aus dem Landesprojekt der Neuen Steuerung (dezentrale Budgetierung, Kosten-Leistungsrechnung, Controlling etc.) in Baden-Württemberg (BW)
Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, dass in der Handlungsrationalität der hier behandelten Akteure und den inter- und innerorganisatorischen Machtkonstellationen Modernisierungshindernisse implizit angelegt sind. Dies ist ein Grund dafür, dass viele Veränderungsvorhaben von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.
Repräsentative politische Vertreter
Die Regierungsfraktionen besetzen wichtige Personalfunktionen in der Verwaltung, die für sie so etwas wie ein verlängerter Arm zur Umsetzung ihrer Ziele ist, mit Kandidatinnen und Kandidaten ihrer Wahl und üben so Einfluss aus. Sie sind weniger gezwungen, in verwaltungsinterne Abläufe einzugreifen. Die politische Mehrheit versucht auf diese Weise, ihre Politik zu rechtfertigen, die Macht zu erhalten bzw. auszubauen und den Informationsvorsprung der Verwaltung zu nutzen. Dies gelingt in aller Regel, da zwischen politischer Mehrheit und Verwaltung bzw. Regierung ausgeprägte Kooperationsstrukturen bestehen.
Die Oppositionsfraktionen verfügen über weniger Expertenwissen, Informations- und Kommunikationskanäle zur Verwaltung. Sie versuchen durch Profilierung die Macht zu erlangen. Detailorientierte, häufige Eingriffe der oppositionellen Parlamentarier ins Verwaltungsgeschäft sind üblich, um die Defizite zumindest teilweise kompensieren zu können. Eine Verhinderung dieser Interventionsmöglichkeit, wie es eine Neue Steuerung durch eine Verwaltungssteuerung "auf Abstand" intendiert, liegt außerhalb ihrer Funktionslogik und wird als Kontrollverlust betrachtet. Die Opposition erwartet sich von Modernisierungsprozessen gewöhnlich eine bessere Transparenz, Kontrolle und Leistungsfähigkeit der Verwaltung. Allerdings sind Modernisierungsmaßnahmen oft nur ein oppositionelles Randthema, da damit häufig keine großen Profilierungsmöglichkeiten verbunden sind. Dies ändert sich jedoch regelmäßig dann, wenn im Modernisierungsprozess die Aussicht besteht, Wählerstimmen gewinnen zu können.
Die im Zusammenhang mit Neuen Steuerungsprojekten, demnach mit der Einführung von betriebswirtschaftlichen Elementen, vielfach betonte Outputsteuerung - die Ziele bzw. Leistungen, welche die Verwaltung zu erbringen hat, werden hierbei ex ante festgelegt - erscheint der Politik nicht so wichtig zu sein, kommt es ihr doch nicht so sehr auf den Output, also den Umfang und die Qualität der öffentlichen Leistung an, sondern mehr auf den Impact, also die Wirkungen in der Umwelt, und den Outcome, somit auf die letztlich in der Gesellschaft erzielten Auswirkungen. Weil es um kollektive, an die spezifischen Erfolgsparameter des politischen Wettbewerbs gebundene Entscheidungsprozesse geht, sind diese immer konfliktär und nicht durch einfache Sachgesetzlichkeiten geprägt wie in der Privatwirtschaft, wo klare Ziel-Mittel-Hierarchien existieren. Ziel der politischen Entscheidungsträger ist es a priori, eine Akzeptanz für ein Weiterregieren bei den Wählerinnen und Wählern zu finden. Die Maximierung der Wählerstimmen spielt somit auf politischer Ebene eine entscheidende Rolle; sie steht über allen anderen Zielen. Die Interessen von Machterwerb und -sicherung bedingen eine Orientierung an der Logik einer medienwirksamen, parteipolitischen Profilierung. Die Regeln besagen, dass Parteien auf Grund von Wahlen zwangsläufig konkurrieren müssen. Um ihre Chancen zu verbessern sind sie gezwungen, sich zu profilieren. Interfraktionelles kooperatives Verhalten wird weder innerparteilich noch vom Wähler belohnt.
Beim Landesprojekt der Neuen Steuerung in BW gelangten die Informationen über die Probleme bei der Umsetzung ab Herbst 2002 sukzessive über den inneradministrativen "Spielfeldrand". Die Kritik wurde durch den Rechnungshof, die Personalräte und die Gewerkschaften in die Öffentlichkeit transportiert, bis schließlich Anfang 2003 die bis dahin eher zurückhaltende SPD-Landtagsfraktion zum offensiven Vorreiter der Gegenallianz avancierte. Auch die Regierungsfraktionen argumentierten ab diesem Zeitpunkt mit Blick auf ihre sukzessive schlechter werdenden Profilierungschancen zunehmend kritischer.
Administrative Vertreter
Die Regierungen sind in aller Regel die zentralen Promotoren von Modernisierungsprozessen. Ihre Interessen sind auf erhöhte Verwaltungssteuerung, Kostenreduzierung und persönliche Profilierung gerichtet. Organisationshoheit, Expertenmacht und ihr Informationsvorsprung sind ihre zentralen Machtmittel. Modernisierungskonzepte werden meist in Anlehnung an die Privatwirtschaft erstellt, und oft gelingt es, die wesentlichen Inhalte zu bestimmen und die Parlamentsvertreter von den Maßnahmen zu überzeugen. Häufig wird dabei - so auch in BW - auf die Kompetenz externer Berater und im Konfliktfall auf unklare Zuständigkeitsabgrenzungen und die Richtlinienkompetenz der Politik verwiesen, wobei die Regierung üblicherweise durch ihre Mehrheitsfraktion gedeckt wird. Oftmals werden die zentralen Projektgremien von den Verwaltungsspitzen geleitet und verfügen über ein Letztentscheidungsrecht, von dem gegebenenfalls Gebrauch gemacht wird.
Bis zum Start des Projekts Neue Steuerung im Jahr 2000 dominierten in BW die Regierung und die Spitzen des Finanzressorts den Prozess. Die übrigen Ressorts hatten bei der Initiierung des Projektes nur begrenzten Einfluss; außerdem büßten sie durch ihre überaus positive Bewertung der Pilotergebnisse an Spielraum ein. Dies verdeutlicht, welche weitreichenden Konsequenzen die Außendarstellung der Ergebnisse hat: Die mögliche spätere Erkenntnis, dass einer Neuen Steuerung kein Erfolg beschieden sein könnte, wird schon deshalb unwahrscheinlicher, weil ein Abweichen von der im Entscheidungskorridor beschlossenen Vorgehensweise wegen hoher interner und externer Barrieren nur schwer möglich ist, was bedeutet, dass einmal getroffene Entscheidungen eine hohe Bindungswirkung für das weitere Vorgehen entfalten.
Bei der Implementation (von betriebswirtschaftlichen Elementen) ist meist auch das mittlere Management der Verwaltung involviert, dessen Interessen auf Machterhalt bzw. -ausbau, Statussicherung und Autonomieorientierung gerichtet sind. Die Machtmittel der Akteure auf dieser Ebene ergeben sich aus der Anwendung von Organisationsregeln, der Kontrolle von Informationskanälen und ihrem Expertenwissen.
Die Beschäftigten haben vielfach keinen bzw. einen nur sehr eingeschränkten Akteursstatus, meist nur in der Phase der Implementation und auch nur diejenigen, die sich in Projektgruppen beteiligen (dürfen). Ihre Interessen sind auf Sicherung des Arbeitsplatzes, der Arbeitsbedingungen und Aufstiegsmöglichkeiten gerichtet. Ihre Machtmittel reduzieren sich auf die Verweigerung bzw. Mobilisierung von Fähigkeiten und Wissen. Insgesamt fürchten sie vielfach - unabhängig davon, ob sie beteiligt sind oder nicht und ähnlich wie das mittlere Management - um den Erhalt der bisherigen Arbeitsbedingungen und den Arbeitsplatz, denn Modernisierungen werden häufig als reine Sparmaßnahmen interpretiert.
Personalrat und organisierte Interessenvertreter
Über die Personalräte kommt allen Beschäftigten Akteursqualität zu. Die Rationalität der Personalvertretungen ist auf Beschäftigtenschutz, Einflusssicherung und Wiederwahl angelegt. Dabei stehen vor allem der Rationalisierungsschutz und eine größere Partizipation im Vordergrund. Die Verwaltung ist immer wieder auf die Mitarbeit der Personalräte angewiesen, wodurch ein nicht unbeträchtliches Verhandlungspotenzial besteht. Die konkurrierende Akteursbeziehung wird vielfach durch Verhandlungsprozesse bestimmt, in denen die Akteure zu kooperativen Lösungen gelangen können. In aller Regel dominiert jedoch die Verwaltung die Abläufe, und es kommt nur selten zu einer gleichberechtigten Mitsprache. Dennoch verfügen die Personalräte über eine nicht zu unterschätzende Macht auf Grund der Option eines "non-decision-making"
Schließlich nimmt ein Netz von Interessenorganisationen Einfluss auf die Willensbildung. Die Rationalität der Gewerkschaften ist darauf aufgebaut, den Bedürfnissen ihrer Mitglieder Geltung verschaffen zu wollen. Dabei üben sie öffentlichkeitswirksamen Druck aus und wenden Methoden der internen Beeinflussung an. Auf Grund des Informationsvorsprungs und Entscheidungsspielraums ist die Exekutive der erste Ansprechpartner für die organisierten Interessenvertreter. Wie die Ergebnisse aus BW zeigen, werden sukzessive auch die Einflusskanäle zu den Parteien und zum Landesparlament genutzt, weil die Wege zur Exekutive versperrt sind.
Machttheoretischer Kontext und routineprärogatives Akteurshandeln
Das politisch-administrative System ist eine "Kampfarena konfligierender Rationalitäten"
Der Wandel in BW ist dadurch vereitelt worden, dass sich die Machtverhältnisse im Veränderungsprozess nicht grundlegend geändert haben und dieser zu lange durch die traditionellen Akteurszirkel - in den Strukturen der alten Machtverteilung - dominiert wurde. Nach Michel Crozier und Erhard Friedberg ist Macht die Fähigkeit von Akteuren, Ressourcen - also Machtquellen wie Expertenwissen, Umweltbeziehungen, Kontrolle von Informations- und Kommunikationskanälen, Nutzung von Organisationsregeln - für eigene Interessen zu mobilisieren.
Letztlich ist in Innovationsprozessen ein mikropolitischer Konflikt strukturell angelegt, der zwischen Routine und Innovation. Die Vertreter beider Logiken versuchen ihre Handlungsfähigkeit zu erhalten. Während die Routinelogik auf Beibehaltung der Prozessbeherrschung, also auf Kontrolle des alltäglichen organisationalen Geschehens zielt, ist die Innovationslogik darauf gerichtet, Prozessbeherrschung zu erlangen und Macht neu zu verteilen. Zugleich sind zwei Typen von organisationalen "Spielen" zu unterscheiden: Routine- und Innovationsspiele. Erstere beziehen sich auf die Regelungen der alltäglichen Routinetätigkeiten, sie halten die Organisation am Laufen. Es bilden sich Handlungsmuster, eigene Standards, Normen und Interpretationsschemata heraus, und es etablieren sich interne Machtstrukturen und Ressourcenverteilungsmechanismen. Die empfundenen Freiheiten und Zwänge der Akteure und damit ihre Strategien verändern sich hierbei nicht, die Spielregeln bleiben bestehen. Vor allem Beständigkeit, Zuverlässigkeit und inkrementale Verbesserungen kennzeichnen diesen Spieltyp. Die Logik von Innovationsspielen liegt demgegenüber in der Veränderung der Routine, sie impliziert stets die Infragestellung von Routinespielen. Dieser "Spieltyp" erfordert Bewegung, Flexibilität, Risiko und Dynamik. Innovationsspiele greifen somit in die routinisierten Spielstrukturen ein und verändern dabei die Spielregeln und Gewinnchancen der Akteure.
Die formalen und informellen Regeln beschreiben die Gewinn- und Verlustmöglichkeiten in Organisationen, die das Ergebnis von "Spielen" sind. Die "Spielregeln" sind hierbei der Ausdruck der inneren Machtverhältnisse, die darüber entscheiden, inwieweit die Verhaltensstrukturen und die sie beeinflussenden Formal-, Ressourcen- und Informationsstrukturen im Akteurshandeln reproduziert und verändert werden.
- Die Regierung/Ministerialbürokratie rekurriert in ihrer Außendarstellung vielfach auf die Expertenmacht privater Akteure und "ihre eigenen" (bspw. Pilot-) Ergebnisse ("Expertise Games")
- Um potenzielle Kritiker kontrollieren zu können, werden diese nur selektiv mit Informationen versorgt ("Informationsselektionsspiel").
- Die administrativen Abläufe sind intensiv durch die "Hierachie" geprägt. In den Projektgruppen werden vielfach "nicht authentische Teamarbeitsspiele" gespielt, denn die prinzipielle Teamarbeit unterliegt einer strikten Top-down-Determinierung.
- Wenn die Probleme über den inneradministrativen "Spielfeldrand" gelangen, reagieren verschiedene Akteure mit Widerstand ("Insurgency Games").
- Durch den sukzessive angewachsenen Informationsstand erkennen die Oppositionsfraktionen Profilierungschancen, was sie veranlasst, Kurs auf ein offensiv-kritisches "Wählermaximierungsspiel"
Die "Spiele" lassen sich vorwiegend einem Routineverhalten zuordnen. Bei Routinespielen verändern sich die Strategien der Akteure nicht, die Spielregeln, demnach die Form der Arbeitsteilung, der hierarchische Aufbau, die kameralistische Haushaltsführung etc., bleiben erhalten; dadurch reproduziert sich das Spiel. Diese Logik steht einer Innovation entgegen. Demgegenüber erfordern Modernisierungskonzepte eine Innovationslogik, bei der sich die Spielregeln und Spielgewinne verändern, so dass die Akteure neue Strategien finden müssen. Dies bedeutet eine Veränderung der Machtverteilung, Kontrolle und des Wertes von Ressourcen.
Lernende Organisation und Innovationsprärogative
Es ist die Frage, wie ein Modernisierungserfolg eher erreicht werden könnte. Im Veränderungskontext spielen Machtaspekte eine entscheidende Rolle, ebenso die Tatsache, dass es kein soziales Handeln ohne Machtbeziehungen gibt. Macht ist ein Mittel, ohne das kein Eingriff in bestehende Verhältnisse möglich ist. Man kann sich im Grunde nur Ziele setzen, für die man genügend Handlungsfähigkeiten, also Macht mobilisieren kann. Jedoch ist auch kein Wandel ohne eine Änderung des Machtsystems respektive der bestehenden Machtbeziehungen möglich, was eine wesentliche Etappe, wenn nicht überhaupt das oberste und erste Ziel aller Bemühungen um Veränderungen sein muss. "Nur Macht kann Macht bekämpfen."
Sie lässt sich dadurch bekämpfen, dass es einer größeren Personenzahl ermöglicht wird, in das Spiel der Machtbeziehungen mit mehr Autonomie, Freiheit und Entscheidungsmöglichkeiten einzutreten. Sozialer Wandel ist nicht zu begreifen als bloße Umsetzung eines a priori und ex cathedra festgelegten Modells, dessen Rationalität und Rechtfertigung nicht zur Diskussion steht und das gegen Widerstände durchgesetzt werden muss. Sozialer Wandel kann nur als ein kollektiver Prozess verstanden werden, in dessen Verlauf die Mitglieder einer Gesamtheit neue Spielweisen für das soziale Spiel der Zusammenarbeit und des Konflikts erlernen, d.h. erfinden und festlegen, und in dessen Verlauf sie sich die dafür nötigen kognitiven, relationalen und organisatorischen Fähigkeiten aneignen. Die einzige Alternative zu Formen des technokratischen, autoritären, von oben aufgesetzten Wandels liegt in der Ausweitung und der progressiven Generalisierung des sozialen Experimentierens, d.h. des kollektiven und institutionellen Lernens auf allen Ebenen, bzw. in der Herstellung der Bedingungen, die eine solche Ausweitung ermöglichen. Es geht nicht darum, sich zu einer neuen Struktur, Technik oder einem neuen Verfahren zu entschließen, sondern darum, einen Wandlungsprozess einzuleiten, der Aktionen, Reaktionen, Verhandlungen und Zusammenarbeit voraussetzt und beinhaltet. Es handelt sich dabei um ein Vorhaben, das nicht den Willen Einzelner, sondern die Fähigkeit verschiedener an einem komplexen System beteiligter Gruppen repräsentiert, ihre Zusammenarbeit anders zu gestalten. Eine Veränderung kann also nicht durch die Ersetzung eines alten Modells durch ein neues erfolgen. Die Bedingungen für den Erfolg liegen im gemeinsamen Lernen aller Akteure. Dadurch werden die Ressourcen und Fähigkeiten für den Aufbau neuer Spiele mobilisiert oder geschaffen, deren freie, nicht erzwungene Anwendung es dem System als Ganzem ermöglicht, sich wie eine menschliche Gesamtheit umzuorientieren. Die Kräfteverhältnisse wandeln sich meist dann, wenn sich eine bessere Fähigkeit zu bewähren beginnt. Um in der Lage zu sein, eine neues (kollektives) Spielmodell zu erarbeiten oder festzulegen muss man allerdings mit Interessen, Machtverhältnissen, affektiven Schutzmechanismen und intellektuellen Modellen brechen.
Modernisierungskonzepte können demnach nur greifen, wenn es zu einem Wandel der Arbeitsbeziehungen und zu neuen Formen der Arbeitsteilung kommt, mit denen die Kooperations- und Koordinationsleistungen gesteigert werden können. Modernisierungsmaßnahmen sind jedoch weitestgehend geprägt durch Prozesse der Einflusssicherung und nicht durch die Einsicht in die Notwendigkeit neuer Abläufe und Strukturen. Die Akteure orientieren sich vornehmlich an ihren eigenen Interessen und nicht daran, gemeinsam den Spielgewinn zu optimieren. Es dominieren Routinespiele, weil diese den größten Gewinn versprechen. Die Frage ist somit, wie Akteursstrategien zu beeinflussen sind, damit Innovationsspiele entstehen können, sich also Spielregeln ändern, bzw. wie es gelingen kann, eine organisatorische Gesamtrationalität mit den Interessen und Strategien der Akteure zu vermitteln.
Jörg Bogumil und Leo Kissler konkretisieren die Aussagen von Michel Crozier und Erhard Friedberg. Sie betonen die Notwendigkeit von Innovationsspielen bei Veränderungsprozessen für einen Wandel. In Anlehnung daran erscheinen nachfolgende Möglichkeiten diskussionswürdig: Grundsätzlich müsste sich die Politik rechtzeitig auf ein rationales Politikspiel einigen, welches auch weitestgehend durchgehalten wird. Bogumil/Kissler verstehen darunter ein parteiübergreifendes Stillhaltemanöver, bei dem sich die politischen Spitzen und (Oppositions-)Fraktionen in einem Bündnis darauf verständigen, dass Letztere während des Umstrukturierungsprozesses nicht in Verwaltungsentscheidungen intervenieren und diese im Gegenzug mit entsprechenden Informationen versorgt und am Prozess beteiligt werden. Dies könnte eher dazu beitragen, dass von einer wählermaximierenden Praxis Abstand genommen wird. Große Koalitionen erscheinen von daher momentan und vor dem Hintergrund umfassender Modernisierungsmaßnahmen als Alternativüberlegung durchaus sinnvoll, denn solange das Mehrheitsprinzip üblich ist, spricht wenig dafür, ein parteiübergreifendes Vorgehen im Parlament als realistisch einzukalkulieren, insbesondere dann, wenn sich die großen Parteien in den Parlamenten in Regierung und Opposition gegenüberstehen. Noch wichtiger erscheint mir eine frühzeitige Werbung um die Gunst der Personalräte und Gewerkschaften und schließlich um die Einbindung möglichst vieler Akteure, um Veränderungsprozesse im Sinne einer "konzertierten Aktion" bewältigen zu können. Die Projektbegleitung und -beteiligung müsste mehr im Sinne eines Co-Managements erfolgen.
Modernisierungsmaßnahmen erfordern zeitliche Spielräume, flexible Möglichkeiten für Kurskorrekturen, ausgeprägte dezentrale Komponenten, eine angemessene Beteiligung von Fachdienststellen in den maßgeblichen Gremien und verantwortlichen Positionen, eine repräsentative, frühzeitige Einbindung möglichst unterschiedlicher Akteure in das Projektmanagement, rechtzeitige Dienstvereinbarungen mit den Personalräten, Zusagen zum Rationalisierungs-/Datenschutz, die Einbettung der Projekte in umfassende Quality-Managementkonzepte, eine adäquate Ressourcenausstattung der Dienststellen, angemessene und frühzeitige Qualifizierungsmaßnahmen und eine stärkere Berücksichtigung administrativer Experten, die per se kritischer urteilen (z.B. Rechnungshof). Schließlich ist entscheidend, die Prozesse nicht ex ante festzulegen, sondern schrittweise, evolutionär und ergebnisoffen vorzugehen, von Generallösungen abzusehen und eher adaptive, differenzierte, abgestufte Lösungsmuster zu bevorzugen.
Dass der Übergang von Routine- zu Innovationsspielen oft nicht gelingt, liegt vornehmlich daran, dass die Machtverhältnisse in Veränderungsprozessen nicht grundsätzlich verändert werden, bzw. an mikropolitischen Machtspielen, die durch falsch angelegte Einführungsstrategien erst richtig entfacht werden.