In den Hamburger Koalitionsvertrag zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen aus dem Jahr 2015 wurde erstmals ein eigener Abschnitt zum "Dialog mit den Religionsgemeinschaften" aufgenommen. Darin wird zu Beginn erklärt: "Die Koalitionspartner verstehen Hamburg als eine offene Stadt des interreligiösen Dialoges. Diesen wollen wir auch weiterhin unterstützen und im Dialog mit den Religionsgemeinschaften weiterentwickeln." Anschließend werden neben dem Verweis auf den 500. Jahrestag der Reformation als prägendes Ereignis der Hamburger Geschichte die folgenden Maßnahmen genannt: das Festhalten am "Hamburger Modell des gemeinsamen Religionsunterrichts für alle" und dessen Fortentwicklung mit den beteiligten Religionsgemeinschaften sowie der Akademie der Weltreligionen; die Unterstützung der islamischen und alevitischen Verbände und Gemeinden bei Bauvorhaben ihrer Gotteshäuser sowie auf ihrem Weg zur Anerkennung als Körperschaft; die besondere (finanzielle) Unterstützung und der Schutz der jüdischen Gemeinde; schließlich im ausführlichsten Absatz das gemeinsame Vorgehen mit den muslimischen und alevitischen Partnern der Stadt gegen Radikalisierung und in der Präventionsarbeit.
Auch in dem jüngst fortgeschriebenen und 2017 verabschiedeten Hamburger Integrationskonzept wurde ein Abschnitt zu Religion aufgenommen, in dem unter der gleichlautenden Überschrift gefragt wird: "Interreligiöser Dialog als Teil des Integrationskonzeptes?" Darin wird auf das identitätsstiftende und befriedende Potenzial von Religion und der Religionsgemeinschaften insbesondere während der Flüchtlingskrise eingegangen, und es wird mit Verweis auf die gleichwohl kontroversen Diskussionen zum Verhältnis von Gesellschaft und Islam die integrierende Wirkung der 2012 geschlossenen Verträge zwischen Hamburger Senat und den muslimischen Verbänden sowie der alevitischen Gemeinde hervorgehoben. Zum interreligiösen Dialog wird schließlich festgehalten, dass er trotz seiner Bedeutung für die Integration aufgrund der Trennung von Staat und Religion "nicht den Steuerungsmechanismen eines staatlicherseits formulierten Integrationskonzeptes unterliegen kann, sondern in der Verantwortung der religiösen und zivilgesellschaftlichen Akteure unserer Gesellschaft liegt", wobei wiederum auf die Akademie der Weltreligionen als wichtiger Akteur hingewiesen wird.
Sind diese Dokumente zunächst Absichtserklärungen, lassen sich an ihnen doch mindestens vier Entwicklungen ablesen: Erstens rücken im Zuge religiöser Pluralisierung und Säkularisierung Fragen zum Umgang mit religiöser beziehungsweise weltanschaulicher Diversität auch auf die politische Agenda, und die Politik ist gefordert, trotz weitgehender Verrechtlichung sowohl ihr eigenes Verhältnis zu Religion zu definieren als auch das Verhältnis der Religionen untereinander zu regulieren.
Zweitens betrifft dies neben der Bundesebene zunehmend auch die lokale Ebene, die angesichts der Zuständigkeiten der Bundesländer insbesondere in den Bereichen Religion und Bildung sowie der Spielräume der kommunalen Ausgestaltung "vor Ort" an Bedeutung gewinnt und auch in der Wissenschaft neben den dominierenden nationalen Perspektiven
Drittens gibt es auf lokaler Ebene unterschiedliche Ansätze und Maßnahmen, die in Hamburg von rechtlichen Regelungen bis zum interreligiösen Dialog reichen. Dabei ist Letzterer im doppelten Sinne zu verstehen, wenn man zwischen dem interreligiösen Dialog als stadtgesellschaftlichem Narrativ und als religiösem Kommunikationsformat unterscheidet, womit sich auch der scheinbare Widerspruch – Hamburg als "Stadt des interreligiösen Dialoges"
Viertens sind daran verschiedene Akteure in unterschiedlichen Konstellationen beteiligt, wenn etwa Politik und Religionsgemeinschaften sowohl bilateral Verträge schließen oder multilateral zum Religionsunterricht kooperieren, der interreligiöse Dialog angesichts verfassungsrechtlicher Bestimmungen bei den Religionsgemeinschaften sowie zivilgesellschaftlichen Akteuren verortet wird oder mit der Akademie der Weltreligionen ein wissenschaftlicher Akteur für Religionsunterricht und Dialog adressiert wird.
Daraus folgt: Will man den Umgang mit religiöser Diversität in Deutschland besser verstehen, gilt es, diesen auch auf lokaler Ebene in den Blick zu nehmen und in seinen Formen und Akteurskonstellationen sowie in seinen Mechanismen und Wirkungen aufzuschließen. Auf diese hier verfolgte Perspektive verweist der Begriff Governance: "Denn dieser steht für alle diese Formen und Mechanismen der Koordinierung zwischen mehr oder weniger autonomen Akteuren, deren Handlungen interdependent sind, sich also wechselseitig beeinträchtigen oder unterstützen können."
Mit Blick auf Governance religiöser Diversität lassen sich verschiedene Modi wie etwa "Governance of Religions" durch das klassische Staatskirchenrecht, "Governance with Religions" als Verflechtungsstrukturen von Staat und Religion(en) und "Governance by Religions" als Selbstregulierung der Religionsgemeinschaften unterscheiden und analysieren.
Hamburger "Staatsverträge"
Eines der zentralen Themen zur Governance religiöser Diversität ist die Anerkennung und rechtliche Gleichstellung von Religionsgemeinschaften. Dafür gibt es keine einheitliche Lösung auf Bundesebene, sodass sie über verschiedene Kooperationsformen auf der Ebene der Länder und Kommunen zu erreichen versucht wird.
So war eine zentrale Frage, mit wem aufseiten der muslimischen Verbände verhandelt wird. Der Senat forderte zunächst einen einzigen Ansprechpartner, akzeptierte schließlich jedoch die drei Verbände – den Rat der islamischen Gemeinde in Hamburg (SCHURA), den Landesverband Hamburg der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) und den Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) –, die zunächst durch rechts- und religionswissenschaftliche Gutachten als Religionsgemeinschaften und damit als Vertragspartner anerkannt wurden.
Zudem betrifft die Frage der Vertragspartner auch die Frage der Repräsentation: Denn während ein Großteil der muslimischen Gemeinden in Hamburg zwar in den drei Verbänden organisiert ist, gehören die in Hamburg lebenden Muslime nur zu einem geringen Teil den Gemeinden an beziehungsweise werden von den Verbänden repräsentiert, wie sich auch bundesweit weniger als ein Viertel der muslimischen Bevölkerung durch einen der islamischen Verbände vertreten fühlt.
Auch wurden mit den Verträgen Grenzziehungen zwischen Religionsgemeinschaften auf dem innerislamischen Feld sichtbar: Die seit den 1950er Jahren in Hamburg ansässige Ahmadiyya Muslim Gemeinde (AMJ), die sich selbst als islamische Gemeinschaft versteht, als solche aber nicht unbedingt anerkannt wird, blieb bei den Vertragsverhandlungen außen vor, erlangte aber in Hamburg zwei Jahre nach den Vertragsabschlüssen als bisher einzige islamische Gemeinschaft vor Ort den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts. Anders hingegen positionierte sich die Alevitische Gemeinde in Hamburg als nichtislamische Religionsgemeinschaft und bestand auf einen eigenen Vertrag, den sie parallel zu den islamischen Verbänden mit nahezu identischem Inhalt gesondert mit dem Hamburger Senat abschloss.
Deutlich wird daran, wie voraussetzungsreich und aushandelbar die Verträge in ihrer Gestaltung und zugleich ambivalent in ihrer Wirkung und als Instrument der Anerkennung sind. Als rechtspolitische Integrationsmaßnahme sind sie einerseits ein wichtiger Schritt zur institutionellen Gleichberechtigung religiöser Minderheiten, führen jedoch andererseits zu Vereinheitlichungen, die wiederum mit Vereinnahmungen, Grenzziehungen und neuen Positionierungen verbunden sind. Dabei bleibt das Gefälle zu den christlichen Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus vorerst bestehen. Der Vertrag schaffe insofern "kein gleiches Recht für alle", was in umgekehrter Richtung auch mit der Forderung verbunden wird, die Privilegien der etablierten Kirchen auf den Prüfstand zu stellen und das Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft grundsätzlich neu zu regeln.
Religiöse Bildung
Die gleichberechtigte Teilhabe am Religionsunterricht war eines der zentralen Motive der Hamburger Muslime und Aleviten für die Verträge, und auch bundesweit ist die Einführung des islamischen Religionsunterrichts eines der zentralen islampolitischen Projekte.
Das Besondere am Hamburger Modell des Religionsunterrichts für alle besteht nun darin, dass die Schüler nicht wie in anderen Bundesländern nach Konfessionen und Religionen getrennt, sondern gemeinsam unterrichtet werden. Das Modell basiert auf der frühen Öffnung der Evangelisch-Lutherischen Kirche gegenüber außerchristlichen Religionsgemeinschaften, sodass bereits zu einem frühen Zeitpunkt auch Vertreter aus Judentum, Islam, Alevitentum, Buddhismus, Hinduismus, Sikhismus und Bahaitum an der inhaltlichen Gestaltung des Religionsunterrichts beteiligt wurden.
Mit den Verträgen wurden die Muslime und Aleviten jedoch nicht nur bezüglich der Gestaltung des Religionsunterrichts nun auch formal gleichberechtigt, sondern ebenso im Hinblick auf die universitäre Religionslehrerausbildung. Denn gehalten wurde der Religionsunterricht für alle bis dato nur von evangelischen Lehrkräften. Das änderte sich mit den Verträgen, sodass das Argument der Gleichberechtigung bezüglich der universitären Ausbildung und der Pluralisierung der Theologien an deutschen Hochschulen, wie sie der Wissenschaftsrat 2010 empfohlen hatte, auch in Hamburg stichhaltig war und Regelungen zur Hochschulausbildung im Vertrag aufgenommen wurden.
Allerdings bleibt das Modell des Religionsunterrichts für alle ein Religionsunterricht von wenigen. Denn zum einen wurde mit der institutionellen Gleichberechtigung der Muslime und Aleviten ein neues Gefälle zu anderen – vorher beteiligten – Religionsgemeinschaften geschaffen, da mit den Verträgen der Kreis der Beteiligten am Religionsunterricht auf die Vertragspartner begrenzt wurde. Insbesondere für die Buddhisten, Hindus und Sikhs ist ihre Exklusion daher zum Katalysator institutioneller Anpassung geworden, um einen eigenen Vertrag mit dem Senat abzuschließen.
Religiöse Räume
Zur institutionellen Gleichstellung von Religionsgemeinschaften zählt auch ihre räumlich-symbolische Repräsentation im öffentlichen Raum. In vielen deutschen Großstädten finden hierzu Aushandlungsprozesse insbesondere zwischen Muslimen und nichtmuslimischer Mehrheitsgesellschaft um Moscheebauten und die damit verbundene Sichtbarkeit statt. Laut einer bundesweiten Studie gibt es in Deutschland insgesamt 2971 islamische Gemeinden, allerdings sind davon nur sieben bis zwölf Prozent nach außen überhaupt als Moschee erkennbar.
Auch in Hamburg besteht eine Diskrepanz zwischen Präsenz und Repräsentation: Es gibt drei erkennbare Moscheen, jedoch mehr als 60 islamische Gemeinden in der Stadt, die sich zumeist in Räumlichkeiten befinden, die schon im praktischen Sinne unangemessen und jedenfalls nicht repräsentativ sind.
Gleichzeitig soll im Zuge der fortschreitenden Säkularisierung im bundesweit größten evangelischen Kirchenkreis Hamburg-Ost laut eigener Prognose bis 2030 jedes dritte der 142 Kirchengebäude geschlossen oder umgenutzt werden.
Dieser Vorgang löste eine gesellschaftliche Debatte aus, an der außer den Religionsgemeinschaften auch Vertreter aus Parteien, Wissenschaft, Medien und insbesondere die Zivilgesellschaft beteiligt waren. Während es durchaus kritische und ablehnende Stimmen gab, überwogen die Befürworter und eine insgesamt tolerante Haltung auch in der Hamburger Bevölkerung,
Diese Kirchen-Moschee-Umnutzung ist in Deutschland anders als etwa in den Niederlanden oder England bisher ein Einzelfall und wird es vermutlich vorerst auch bleiben. Sie macht aber in besonderer Weise deutlich, dass auch räumliche Aushandlungsprozesse und religiöse Gebäude als solche wesentlich zum Umgang mit religiöser Diversität beitragen. Das kann sowohl zu ihrer Anerkennung und Befürwortung als auch zur Ablehnung führen, fördert in jedem Fall aber die Auseinandersetzung.
Interreligiöser Dialog und Kontakte
Während die Hamburger Verträge, das Modell des Religionsunterrichts für alle und auch die Toleranz gegenüber dem religiös Anderen und seinen Gotteshäusern auf eine starke interreligiöse Infrastruktur hinweisen, womit das eingangs erwähnte Narrativ der "Hauptstadt des interreligiösen Dialoges" durchaus Entsprechung findet, wird der interreligiöse Dialog auch im engeren Sinne zwischen den Religionsgemeinschaften geführt. Besondere Bedeutung hat hierbei das Interreligiöse Forum Hamburg als ein Zusammenschluss von Repräsentanten von Religionsgemeinschaften sowie der Akademie der Weltreligionen, das sich über den Austausch hinaus mit öffentlichen Stellungnahmen und Aktivitäten am interreligiösen sowie religiös-säkularen Diskurs beteiligt und dabei im Sinne von "state-interfaith governance"
Allerdings zählt der interreligiöse Dialog insofern bereits zu den anspruchsvollen Interaktionsformen, als er mit den dafür erforderlichen "Dialogfähigkeiten" wie Offenheit und Respekt gegenüber dem religiös Anderen bereits voraussetzt, was im praktischen Bereich des alltäglichen Verhaltens häufig nicht gegeben und erst zu schaffen ist. Damit stellt sich die Frage, inwieweit auch weniger verbindliche Interaktionen und Kontakte stattfinden. Denn auch solche können zur Verständigung beitragen und sind ein Schlüsselfaktor für eine positive Haltung gegenüber dem religiös Anderen, da gilt: Je mehr es zu persönlichen Kontakten kommt, umso positiver ist die Einstellung.
Dies ist übertragbar auf die Ebene der Religionsgemeinschaften und ihre Gemeinden, die durch interreligiöse Kontakte ebenso zu einem produktiven Umgang mit religiöser Diversität beitragen können. Eine Hamburger Gemeindestudie, bei der Gemeindeleitungen von 350 aus 547 identifizierten Gemeinden in Hamburg befragt wurden, ergab hierzu, dass 46 Prozent der Gemeinden über interreligiöse Kontakte verfügen, wobei meistens die Grenze zu lediglich einer anderen Religion überschritten wird (25 Prozent), während nur zwölf beziehungsweise zehn Prozent Kontakte zu Gemeinden aus zwei beziehungsweise mindestens drei anderen Religionen unterhalten. Hingegen hat die Mehrheit von 54 Prozent der Gemeinden überhaupt keine interreligiösen Kontakte. Auch wenn interreligiöse Beziehungen damit zwar durchaus verbreitet sind, sind sie, verglichen mit der starken öffentlichen Präsenz des interreligiösen Dialoges, zu relativieren beziehungsweise lassen "Luft nach oben". Fragt man nach förderlichen Faktoren, zeigt sich als ein stabiler Zusammenhang: Je mehr die Gemeinden über gesellschaftliche Kontakte verfügen, desto eher sind sie auch an interreligiösen Kontakten beteiligt.
Integration auf dem religiösen und gesellschaftlichen Feld gehen somit Hand in Hand, sodass der interreligiöse Dialog und Kontakte zwar in der Verantwortung der Religionsgemeinschaften selbst beziehungsweise im Bereich der "Governance by Religions" liegen, die Bedingungen dafür aber auch politisch beeinflussbar sind.
Fazit
All dies zeigt: Governance religiöser Diversität gestaltet sich lokal differenziert in verschiedenen Feldern, Formen und Akteurskonstellationen sowie mit unterschiedlichen Wirkungen. In Hamburg sind die Verträge als "Contract Governance" prägend, gleichzeitig jedoch mit anderen Governanceformen verwoben und durch nationale und transnationale Entwicklungen beeinflusst. Im Ergebnis werden dadurch einerseits konkrete Religionspraxis und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, andererseits entstehen zugleich neue Positionierungen, werden Grenzen gezogen und Gefälle geschaffen.
Governance religiöser Diversität erscheint somit als ein komplexes Geflecht, und es bedarf zum einen neben den dominierenden Perspektiven auf globale und nationale Entwicklungen Analysen von kleinräumigeren Einheiten, die nicht isoliert voneinander, sondern in ihren Wechselwirkungen zu betrachten sind, sowie zum anderen (horizontaler) Vergleiche zwischen Bundesländern, Kommunen oder Städten, um auch allgemeine Mechanismen lokaler Governance religiöser Diversität zu erschließen. Von Bedeutung sind dabei – wie es für Hamburg anhand von Politik und Recht, Bildung, Räumen und Kommunikation gezeigt wurde – institutionelle Kontexte, die durch religiöse Pluralisierung einen starken Wandel erfahren und daher im Sinne der Gleichbehandlung Anpassungen zur Integration religiöser Minderheiten erfordern. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der die Politik auch angesichts der lange vorherrschenden religionspolitischen Zögerlichkeit