Einleitung
"Liebe Eltern! - Alljährlich begegnen wir in den ersten Septembertagen in unseren Straßen den kleinen Lernanfängern. An ihren erwartungsfrohen, festlich gestimmten Gesichtern kann man erkennen, dass dies ein großer Tag für sie ist. Vor unseren Kindern liegt eine glückliche Schulzeit in unserer sozialistischen Schule, und wohl keiner, der sie an ihrem ersten Schultag sieht, geht ohne Anteilnahme vorüber. In diesem Jahr wird Ihr Kind, liebe Eltern, auch dabeisein. Es ist vielleicht das erste Kind, das Sie in unsere Schule bringen, und Sie werden viele Fragen auf dem Herzen haben. Was wird das Kind lernen? Wie wird es erzogen werden? Was können wir Eltern tun?"
In der Broschüre für Eltern von Schulanfängern aus dem Jahr 1973, aus der hier zitiert wird, herausgegeben vom Ministerium für Volksbildung der DDR, bekamen die verunsicherten Väter und Mütter selbstverständlich auch die Antworten seitens der staatlichen Erziehungsbevollmächtigten mitgeliefert: "Helfen Sie Ihrem Kind, zwischen Gut und Böse, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden!"
Das Kind höre die Erwachsenen von Krieg und Frieden reden und frage, was das bedeute. Es würde die Soldaten der Volksarmee sehen und wolle doch wissen, warum sie Soldaten seien. "Antworten Sie richtig - die Soldaten bewachen unsere Grenze vor Feinden, damit du in Ruhe spielen kannst, damit Vati und Mutti arbeiten können und niemand unsere Wohnung zerstört? Oder geben Sie keine Antwort und meinen, dass das Mädchen oder der Junge dazu noch zu klein seien? Lassen Sie nicht zu, dass die Feinde des Sozialismus, die Feinde der Deutschen Demokratischen Republik, mit Hilfe von Fernseh- und Rundfunkstationen durch Lüge und Hetze versuchen, auf Sie und auf Ihr Kind Einfluss zu gewinnen! Ihr Kind soll nicht diesem Gift ausgesetzt werden! Sie würden es in große Konflikte bringen, ihm und seiner Entwicklung schaden.
Es gibt so unendlich viele Fragen, und die müssen wir Erwachsenen ihnen in einer verständlichen Form, die beim Kinde ganz bestimmte Vorstellungen hervorruft, beantworten. Wir müssen sie so beantworten, dass wir schon bei den kleinen Kindern beginnen, die Liebe zu ihrem Arbeiter-und-Bauern-Staat anzuerziehen. Wenn sie in der Schule sind, merken sie sehr bald, ob Mutti, Vati und Lehrer sich einig sind. Gerade das ist so wichtig, weil es ihnen hilft, sich zurechtzufinden. Das ist dann der Keim zu einem sich neu entwickelnden Menschen, der den Sozialismus und den Frieden über alles liebt und den Krieg und die Kriegstreiber hassen wird."
Dieser Elternratgeber ließ keinerlei Zweifel daran aufkommen, wie das Bild der Kinder vom politischen Feind auszusehen hatte, wo die Feinde des Sozialismus standen und wer die Freunde eines friedlichen Alltags der Kinder waren. Und er ließ auch keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass die Antworten in der Schule und zu Hause nicht unterschiedlich auszufallen hatten! Unmissverständliche Freund- und Feindbilder
Die zweigeteilte Welt des Marxismus-Leninismus
Mit der Entstehung neuer, "sozialistischer" Gesellschaftsordnungen seit dem Oktober 1917 konstituierten sich neben positiven Selbstbeschreibungen auch entsprechende negative Bilder von dem "Anderen". In theoretischen Abhandlungen, mit publizistischen und propagandistischen Mitteln, aber auch administrativ, also mit Gesetzen, Direktiven und Verordnungen, zuweilen sogar mit Hilfe des Strafgesetzbuches, legten Ideologen und Propagandisten die Grundlagen für eine möglichst frühzeitige Vermittlung stereotyper Feindbilder. "Es kommt darauf an", heißt es etwa im Gefolge des 11. Plenums des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) im Jahr 1965, "der Jugend zu helfen, gegen den Imperialismus und die bürgerliche Ideologie selbstbewusst und standhaft aufzutreten und die Lügen und Verleumdungen des Feindes zu entlarven. Die klare Abgrenzung von der Geisteswelt des imperialistischen Feindes ist eine immer aktuelle Forderung an unsere politische Arbeit, weil der Kampf der gegensätzlichen ideologischen Konzeption in unserer Epoche natürlich auch der Kampf um die Jugend ist."
In den sozialistischen Staaten entsprachen die Bilder von Feinden und Freunden einem durch und durch zweigeteilten Denkschema. Polare Argumentationsfiguren ließen nirgendwo dritte Wege, nirgendwo Schattierungen und Abstufungen zu. Ebenso unversöhnlich wie unverrückbar schienen sich die Pole konfrontativ gegenüberzustehen.
Auf der philosophisch-ideologischen Ebene
Tertium non datur - eine dritte Möglichkeit gibt es nicht: Als der "grundlegende weltweite Widerspruch der gegenwärtigen Epoche" wird nicht zuletzt von daher "der Widerspruch zwischen den beiden Weltsystemen" definiert. Der grundlegende politische und ökonomische Antagonismus wird ausschließlich als Kampf zweier Pole interpretiert. Hierbei ringen das sozialistische und das kapitalistische Lager um die Vormacht, wobei der politische Antagonismus der USA und der Sowjetunion das Leitmotiv schlechthin darstellt. Dort die Vormacht des Imperialismus und des Militarismus, hier die des Friedenslagers. Dort die volksfeindliche Herrschaft des Monopolkapitals, hier die Herrschaft des Volkes, das die Produktionsmittel als sein Eigentum erkennt. In dieses polare Weltsystem ordnen sich wie selbstverständlich die beiden deutschen Nachkriegsstaaten ein: Westdeutschland und Westberlin werden zu Horten des Faschismus und des Revanchismus, zu Brutstätten der Feinde des Sozialismus.
Tertium non datur: Ein strenges Entweder-oder soll alles Denken und Fühlen durchziehen, das zweigeteilte Weltverständnis wird auf alle Ebenen heruntergebrochen. Das Geschichtsbild wird ebenso dichotom konstruiert wie die Bilder von der Zukunft. Die Gründungserzählung der DDR legitimiert diesen ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden mit seinem angeborenen Antifaschismus. Die DDR, so das propagandistische Selbstbild der fünfziger und sechziger Jahre, ist das Kind einer moralischen Tabula rasa: unschuldig am Krieg, unschuldig am "Faschismus".
Tertium non datur: Nicht anders verhält es sich mit dem Menschenbild: Das Propagem des sozialen Antagonismus lokalisiert auf der einen Seite die Gebeutelten und Ausgebeuteten, die Entrechteten und Geknechteten, die Ausgesetzten und Passiven, im Sozialismus aber, unter der Führung der Partei, die lichte Welt der Befreiten und Wissenden, der Gerechten, der Besseren und der Aktiven: Hier ist der Ort der Freunde, der Kämpfer und der Helden des Sozialismus.
Wir haben es mit einem dichotom ausgerichteten Denk- und Fühlschema, einem Muster zur Wahrnehmung von Welt und Wirklichkeit zu tun, das mit den kommunikativen Machtmitteln von Partei und Staat explizit und implizit das Welt-, Fremd- und Selbstverständnis der Bevölkerung durchdringen soll. Alle kognitive Ordnung der Dinge hatte im Sinne dieser unbedingten Polarität zu erfolgen. Außerhalb dieser durfte es keine Möglichkeit der Orientierung, der Ein- oder Unterordnung geben. Dem Feindbild des Ostens liegt ein durchdringender Denk- und Fühlstil zugrunde, der einen ebenso polaren Kommunikationsstil nach sich zieht: Eine derart monolithische Philosophie requiriert eine monologische Kommunikation für sich.
Im Westen regierte ebenfalls ein polares Politikverständnis, vor allem in den fünfziger Jahren, gerade auch bei den herrschenden politischen und kulturellen Eliten.
Das Denkschema der unbedingten Polarität fand sich in den sozialistischen Gesellschaften indes konsequent und abgestimmt von der Wiege bis zur Bahre umgesetzt: in Kinderzeitschriften wie "Bummi", "Frösi" oder "Atze" respektive deren Pendants,
Inszenierungen von Ideologie
Mit der durch Wladimir I. Lenin vollzogenen Gleichsetzung von Marxismus und Revolution wurde auch für die nach 1945 unter sowjetischer Hegemonie stehenden Staaten ein regelrecht militantes Freund-Feind-Denken zur obersten Maxime kommunistischer Ideologie und Politik. Ein zentrales Element der intentional monologischen Kommunikation "von oben" bildete ein ganzer Reigen propagandistischer Routinen und Rituale. Diese sollten nicht nur politische Symbole darstellen,
Wie sehr Rituale in der sozialistischen Gesellschaft nicht nur Politisches repräsentierten, sondern Politik waren, zeigt exemplarisch das Geschehen an den so genannten Ehrentribünen auf: In regelmäßigen zeitlichen Intervallen, zum Ersten Mai und zu den "Geburtstagen der Republik", fand an diesen Tribünen eine rituelle Begegnung von Herrschenden und Beherrschten statt, eine Begegnung, die Loyalität und Legitimität vorführen und stiften sollte.
Die Herrschenden kommunizierten mit den Beherrschten durch Rituale.
Die Rituale des Sozialismus setzten einen Akt der Vergemeinschaftung in Szene: Sie sollten ein DDR-eigenes Wir-Verständnis und Wir-Gefühl nicht nur öffentlich vorführen, sondern tatsächlich aufbauen. Das leisteten sie nicht nur durch feierlich inszenierte gemeinschaftliche Handlungen, sondern auch, indem sie das polare Denk- und Fühlschema aufriefen. Daher vergaßen die Regisseure politischer Öffentlichkeiten niemals, auch die polaren Freund-Feind-Erzählungen in die Dramaturgie der politischen Rituale als integrierenden Bestandteil einzubauen.
Protagonisten der Propaganda: Das Heer "der Feinde"
"Hast Du sie Dir genau angesehen, Joe? Die Teens und die Twens? Die Bürstenhaare? Die auf die Haut geklebten Bluejeans? Die Lederjacken à la Marlon Brando? Die grellbunten Nickys?" Diese rhetorischen Fragen stellte die Ostberliner "Wochenpost" 1961, kurz nach dem Mauerbau, einem fiktiven farbigen und demnach mutmaßlich unterprivilegierten US-Soldaten, der in Berlin stationiert war. Die jungen Leute, die hier als Feinde figurierten, wurden nicht nur als "gekaufte" Provokateure des Westens gebrandmarkt, sondern überdies als die Agenten der herrschenden weißen Bourgeoisie entlarvt. Solcherart Feinde, "die Teens" und "die Twens", werfen jetzt mit Steinen nach der Volkspolizei, die doch bloß ihre Pflicht tut! Und, so die Argumentation weiter, in den Vereinigten Staaten würden dieselben Typen zur gleichen Zeit gegen "unschuldige Negerkinder" vorgehen.
Dieses Feindbild-Narrativ kennzeichnet Jugendliche aus Westberlin als Feinde der sozialistischen Ordnung - mithin auch als Feinde der neuen Grenze und der neuen Wirklichkeit, die sie einrichtet. Dies scheint symptomatisch: Feindbilder markieren immer auch Grenzen, in diesem Fall ist die Grenze sogar physisch wahrnehmbar, die Mauer in Berlin nämlich. Die Vorstellung von Freunden auf der einen und Fremden auf der anderen Seite impliziert zwangsläufig eine scharf gezogene Demarkationslinie - und zwar im ursprünglichen Wortsinn.
Der hier vorgestellte Feind-Typus zählt zu den äußeren Feinden - Figuren, die ihre Wühlarbeit gegen das Neue vom Boden des Alten aus organisieren: die Vereinigten Staaten, die Bundesrepublik, in den vierziger und fünfziger Jahren ab und an noch Großbritannien. Damit ist die Topographie des politischen Feindbildes in der DDR hinlänglich beschrieben, andere Länder des Westens werden in der Regel nicht mit Feindbildern aufgeladen.
Vor allem aber "Berlin-West" musste als das feindliche Territorium par excellence gelten: "Währungsspekulanten, Grenzgänger und Schieber sorgten für einen ständigen Aderlaß der DDR an Gütern und geistigen Werten. Ausländische Agenten nutzten die offene Grenze nach Berlin-West zur Sabotage und Spionage. Als 'Brückenkopf' und 'Frontstadt' geisterte Berlin-West in den Köpfen Bonner Politiker und in NATO-Kriegsplänen(...) Berlin mit seinen offenen Grenzen war ein idealer Tummelplatz für Provokateure, für Gelichter aller Art, für Geschäftemacher, für Schmutzfinken(...) Achtzig Agentenorganisationen hatten sich dort etabliert. Und Agentenorganisationen befassen sich bekanntlich nicht mit Volkstänzen und anderem erbaulichen Zeitvertreib. Von Westberlin wurde eine großangelegte Abwerbung betrieben, Fachleute, Techniker, Ärzte, Lehrer wurden bestochen, und viele ließen sich bestechen. Von Westberlin aus wurde eine nie gekannte Hetze gegen die Deutsche Demokratische Republik betrieben. Die 'Flüchtlings'propaganda der Springer-Zeitungen erinnerte fatal an die 'Flüchtlings'propaganda der Hitler-Presse kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges. Von Westberlin aus wurde der Versuch unternommen, die DDR 'auszukaufen'."
In Bonn regierten diesem Welt- und Selbstverständnis zufolge "Nazis", "Faschisten" und "Kriegsverbrecher". Von den westdeutschen Statthaltern des "US-Imperialismus" und "-Kolonialismus", den "Handlangern der Rüstungsmonopole" und "Marionetten der Springerpresse", von den dortigen "Bankherren", "Aktionären", "Großgrundbesitzern" und "kapitalistischen Meinungsfabrikanten"
Zwischen den äußeren Feinden und den inneren Feinden gab es vielfältige dunkle Verbindungen. Die inneren Feinde wurden von den äußeren nicht nur angeleitet, sondern auch "bezahlt" - ebenso wie die schon genannten jugendlichen "Grenzprovokateure" an der Mauer. Sie werden zu Söldnern des Kapitalismus und Militarismus. Wer die Grenze überschreitet, wird zum Feind, lautet die Regel. Zu den inneren Feinden zählten in den fünfziger Jahren daher auch die so genannten Grenzgänger
Eine der wichtigsten Gruppen aus der Vielzahl innerer Feinde stellten die tatsächlichen und vermeintlichen Wirtschaftssaboteure dar, personifiziert etwa als "Otto Murks" und in unzähligen Kampagnen gegeißelt: "Es wird nicht leicht sein, sich das Gesicht des Bösewichtes einzuprägen, denn Murks hat tausend Gesichter! Sah er noch vor dem Frühstück aus wie Werkdirektor Krause - um zehn Uhr kann er schon dem Meister Müller ähneln. Er könnte mit dem Genossenschaftler Brauer ebenso verwechselt werden wie mit dem Architekten Blau; und sicher wird er irgendwo mit unruhigem Gewissen mit dem Malermeister Schrupp in einen Topf geworfen werden können. Darum: Hinfort mit ihm!"
Nicht nur die Westberliner Jugend, auch Vertreter des eigenen Nachwuchses konnten zu Zeiten in den Verruf kommen, Feind zu sein. Junge Leute, die sich in den sechziger Jahren am Rhythmus und an den Rhythmen des Westens begeisterten, die nicht dem Bild der Staatsjugend entsprachen, liefen stets Gefahr, als Rowdies erkannt und entsprechend behandelt zu werden. Der Terminus "Rowdytum" beschrieb nicht nur ein propagandistisches Feindmuster, einen Typus, der an Elementen westlichen Kleidungs-, Musik- und Lebensstils zu erkennen war, sondern auch eine strafrechtliche Kategorie. Seit 1968 konnte man wegen "Rowdytums" angeklagt und verurteilt werden.
Auf propagandistischer Ebene wurde der ideologische Dualismus in leicht kommunizierbare Bilder gegossen: Positiv besetzte Figuren, die "neuen Menschen", personifiziert in "den Helden" oder "den Freunden", und negative Figuren, "die Feinde", "die Militaristen", "die Kapitalisten" oder "die Saboteure", bevölkerten die Propagandabühne der sozialistischen Staaten. Mit diesen Figuren und den mit ihnen verbundenen Erzählungen sollte "das Eigene" und "das Andere" "vermenschlicht" werden. Damit dienten diese Figuren den Machthabern als Sinnbilder des komplexen ideologischen Systems des Sozialismus und seiner nicht minder komplexen politischen und sozialen Deutungen. Nichts konnte die Bedrohung durch "den Kapitalismus" und "den Militarismus" des Westens eingängiger veranschaulichen als Bilder vermeintlicher "Kapitalisten" und "Militaristen". Nichts war im Stande, die postulierte Überlegenheit des Sozialismus glaubhafter zu machen als Bilder von überzeugten Sozialisten: Ein richtig gewähltes Gesicht vermag mehr als tausend Worte zu sagen: Die moderne Verhaltensforschung weiß, dass es Hierarchien der Einprägsamkeit und Hierarchien der Vertrauensbildung gibt: Durch Bilder lässt sich ein Maximum an Informationen weit schneller und weit wirksamer als durch Sprache vermitteln. Und die Erfahrung wirklicher Menschen und die Bilder von Menschen stehen in diesen Hierarchien an erster Stelle. Menschliche Zeugen und ihre Abbilder werden sehr viel besser erinnert als konkrete Wörter.
Das Grenzregime der Feindbilder
"Feindbilder" können somit als Kommunikationsmuster verstanden werden, die "das Andere" personifizieren und typisieren. Sozialpsychologen charakterisieren diese Erzählungen vom feindlichen Gegenüber als "negative, hoch emotionale veränderungsresistente Vorurteile", die - und das ist entscheidend - bis "zur phantasierten oder gar realen Vernichtung des Gegners" führen können.
Feindbild-Narrative leben von extrem negativen inhaltlichen Zuschreibungen und zeichnen sich durch hohe Stereotypisierungen aus. Sie sind integrierende Bestandteile von übergeordneten bipolaren Schemata, von dichotomen Welt- und Selbstbildern, und ermöglichen durch eine Semantik des Entweder-oder eingängige Verbalisierungen und Visualisierungen. Die einfache semantische Struktur und die Möglichkeit, Feindbilder in unkomplizierte Bilder gießen zu können, schaffen bei den Vielen in der Regel eine rasche Wahrnehmung und Akzeptanz. Freund-Feind-Konstellationen weisen schließlich eine beachtliche Stabilität auf, die über Generationen hinweg im kommunikativen wie kulturellen Gedächtnis weitergegeben werden. Im Gegensatz zu anderen Verallgemeinerungen wie etwa bloßen Vorurteilen sind sie, einmal mit Erfolg kommuniziert, nur mit großem Aufwand zu modifizieren.
Feindbilder - seien es nun Vorstellungen traditioneller Gemeinschaften oder moderner Gesellschaften - folgen stets ähnlichen Mustern: Die eigene Gruppe, die eigene Gesellschaft, die eigene Nation wird überwiegend mit positiven Attributen versehen, "die anderen" erfahren rigide Abwertungen. Feindbilder gehen stets von einem Worst-Case-Denken aus. Vergleichbare Verhaltensweisen der eigenen und der anderen Seite werden nach unterschiedlichen Maßstäben bewertet. Die militärischen, ideologischen und ökonomischen Intentionen und Möglichkeiten des Gegners werden übertrieben wahrgenommen, denn der Feind hegt ja von Natur aus aggressive Absichten. Der Feind gibt ein monolithisches Bild ab: Die Zentralität und Geschlossenheit des Gegners wird maßlos überschätzt. Dabei scheint es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen einer weithin homogenen Wahrnehmung des Gegners und dem subjektiven Bedrohungspotential zu geben: Je größer und schlagkräftiger der Feind ist, desto höher ist die Bedrohung und - als Erwiderung - desto stärker ausgeprägt das Feindbild.
Gemeinschaften, und das trifft sowohl für Diktaturen wie für Demokratien zu, bestimmen auf eine ähnliche Weise ihr Verhältnis zum Raum, ihr Verhältnis zu ihrer Umwelt. Sie idealisieren das Hier, das eigene Territorium, indem sie ihm alles Gute und alles Ganzheitliche anheften, alles Üble und Fragmentierte jedoch der Außenwelt zuschreiben.
Die solchermaßen gesellschaftlich akzeptierte oder gar geförderte Externalisierung eigener negativer Anteile scheint für das Überleben von Gruppen von hoher Bedeutung zu sein. Die Verlagerung drohender gruppeninterner Konflikte ermöglicht - zumindest zeitweilig - die Überdeckung der inneren Spannung und die Förderung der eigenen Kohärenz. Die innere Integration wird also auf Kosten der Verfestigung des Konflikts mit einem äußeren Feind erreicht.
So sind der in der frühen Bundesrepublik verbreitete Antikommunismus ebenso wie der gegen Westdeutschland gerichtete Vorwurf des "Revanchismus" seitens der DDR-Regierung vor dem Hintergrund der Konsolidierung des jeweiligen politischen Systems zu analysieren. Die gegenseitig gepflegten und inszenierten Freund- wie Feindbilder sollten mithelfen, das eigenstaatliche respektive das "nationale" Selbstbewusstsein der Deutschen in Ost und West zu stabilisieren. Entsprechend diesem Funktionszusammenhang scheint sich jede der an wechselseitigen Projektionen beteiligten Gesellschaften darum zu bemühen, die Separierung von den jeweils Anderen aufrechtzuerhalten. Um einer gerade drohenden Vermischung des eigenen Wir und mit demjenigen der Anderen vorzubeugen, müssen reale, vor allem aber symbolische Grenzen errichtet werden.
Die persönliche, familiale und soziale Nähe zu den vermeintlichen Feinden im Innern wie draußen verlieh den meisten Feindbildkonstruktionen in der DDR freilich wenig Durchsetzungskraft. An das globale Feindbild eines faschistisch-revanchistisch-militaristischen "Westdeutschland" vermochten nur wenige zu glauben. Überdies wurde das feindliche Fremdbild von der "BRD" stets durch das replizierte Selbstbild Westdeutschlands konterkariert. In der DDR handelte es sich ja nicht um eine in sich abgeschlossene politische Öffentlichkeit, sondern um eine, die durch westliche politische und kulturelle Botschaften aufgebrochen war. Das westliche Selbstbild wurde durch konventionelle Medien wie Rundfunk und Fernsehen, aber auch durch westliche Produkte
Internethinweise
"Helden" des Sozialismus:
Externer Link: 1. Rezension des Buches "Sozialistische Feindbilder"
Externer Link: Artikel "Von Menschen und Übermenschen"
Externer Link: Currculum vitae von Dr. Rainer Gries
"Feinde" des Sozialismus:
Externer Link: 2. Rezension des Buches "Sozialistische Feindbilder"
Externer Link: Tagungsbericht
Externer Link: Leipziger Kreis