Die Unabhängigkeit einer Zentralbank gilt gewöhnlich als Grundlage für eine erfolgreiche stabilitätsorientierte Geldpolitik. Die Deutsche Bundesbank ist das beste Beispiel dafür. Insbesondere die junge Europäische Zentralbank (EZB) erhielt ihre Unabhängigkeit nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank. Vorteil einer unabhängigen Zentralbank ist, dass sie ihre geldpolitischen Entscheidungen frei von Beschränkungen und Einmischungen sowie ohne den Einfluss von Regierungen, des Parlaments oder anderen Institutionen oder Interessengruppen treffen kann.
Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 hat sich jedoch eine Diskussion in Politik und Wissenschaft entwickelt, in der die Unabhängigkeit der Zentralbanken zunehmend infrage gestellt wurde.
Konzept der Unabhängigkeit
Im Gegensatz zu Zeiten vollwertiger Münzen oder des Goldstandards kann "Geld" heute in jeder beliebigen Höhe als Giralgeld geschaffen werden. Deshalb ist gerade im 20. Jahrhundert das Thema Inflation infolge unverhältnismäßiger Ausweitung der Geldmenge besonders wichtig geworden. Deutschland hatte zweimal die fast vollständige Entwertung seines Geldes – ausgelöst durch maßlose Geldschöpfung zur Finanzierung eines Krieges – zu erleiden.
Grundlegender Gedanke des Konzeptes der unabhängigen Zentralbank ist, dass sich alle beteiligten politisch-ökonomischen Akteure vorab auf eine langfristig orientierte Stabilitätspolitik einigen. Dadurch erhöhen sich sowohl die Glaubwürdigkeit der Zentralbank als auch das Vertrauen in ihre Geldpolitik, denn den Politikern wird damit das entscheidende Instrument zur Verfolgung von eigenen politischen Zielen aus der Hand genommen. Dazu gehören etwa die Inflationspolitik zur Beschäftigungsstabilisierung oder das "Weginflationieren" von Staatsschulden. Durch die Existenz einer unabhängigen Zentralbank wird das Ziel der Preisniveaustabilität hingegen dauerhaft gefördert, denn im Gegensatz zu Politikern, die von ihrer Wiederwahl abhängig sind, ist für Zentralbanker vor allem steigendes Ansehen bei einer erfolgreichen Geldpolitik von Bedeutung.
Bereits in den 1990er Jahren ist diese These empirisch untersucht worden. Zum Beispiel haben die Wirtschaftswissenschaftler Alberto Alesina und Lawrence Summers 1993 dargestellt, dass Staaten mit autonomen Zentralbanken eine geringere durchschnittliche Inflationsrate aufweisen, ohne dafür mit einem schwächeren oder volatileren Wachstum zu bezahlen.
Die Bundesbank selbst unterscheidet vier Ebenen der Unabhängigkeit einer Zentralbank: institutionelle, funktionale, finanzielle und personelle Unabhängigkeit.
Von der Bank deutscher Länder zur Bundesbank
Die Stabilitätsorientierung der Deutschen Bundesbank geht bereits auf die Geldpolitik der Reichsbank im ausgehenden 19. Jahrhundert zurück. Die Regelungen zur Unabhängigkeit der deutschen Zentralbank ist hingegen ein Produkt der Zwischenkriegszeit.
Mit dem Gesetz über die Deutsche Bundesbank wurde 1957 nach einem achtjährigen Diskussionsprozess der zweistufige Aufbau des Zentralbanksystems der BdL beseitigt und die Zuständigkeit für die Geldpolitik der neu gegründeten Deutschen Bundesbank übertragen. Ihre Unabhängigkeit erlangte die neue deutsche Zentralbank dabei gegen den Widerstand des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer und anderer deutscher Politiker.
Als vornehmliches Ziel ist der Bundesbank nach dem Gesetz von 1957 die Geldwertstabilität vorgegeben. Während es im Originaltext des Bundesbankgesetzes von 1957 jedoch noch in Paragraf 3 heißt, die Bundesbank habe das "Ziel, die Währung zu sichern", ist seit 1997 die Rede vom Ziel, "die Preisstabilität zu gewährleisten". Die Bundesbank ist von Beginn an gesetzlich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unabhängig, das heißt nicht an Weisungen des Staates, des Parlaments oder einer anderen Stelle gebunden.
Inflationsbekämpfung
Insbesondere während der 1970er Jahre geriet die Deutsche Bundesbank häufig in Konflikt mit der Bundesregierung, die gemäß dem keynesianischen Ansatz über niedrige Zinsen Konjunktur und Beschäftigung anregen wollte. Symptomatisch dafür ist der Spruch von Bundeskanzler Helmut Schmidt von 1972: "Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit."
Verglichen mit anderen Industrieländern wies die Bundesrepublik Deutschland zur Zeit der D-Mark deshalb im Durchschnitt eine sehr geringe Inflationsrate auf. Zwischen 1948 und 1998 lag der Kaufkraftverlust der D-Mark mit durchschnittlich 2,8 Prozent pro Jahr deutlich unter dem in den meisten anderen Industrieländern.
Vorbild Deutsche Bundesbank?
Dank dieser Erfolge in der Bekämpfung von Inflation gilt die Deutsche Bundesbank seit 1957 als das Modell einer unabhängigen Zentralbank schlechthin. In verschiedenen empirischen Untersuchungen wurde ihr häufig der höchste Grad an Unabhängigkeit zuerkannt.
Insbesondere in den 1990er Jahren wurden dann weltweit neue Zentralbankgesetze erlassen, in denen der jeweiligen Zentralbank ein höherer Grad an Unabhängigkeit zugesprochen wurde. Ein Beispiel dafür ist die Bank of England, die kurz nach der Regierungsübernahme der Labour Party 1997 ihre Unabhängigkeit erhielt.
Um den Euro zu einer möglichst stabilen Währung zu machen, wurde auch die EZB 1998 nach dem Modell der Deutschen Bundesbank gestaltet. Ihre formelle Unabhängigkeit ist sogar noch stärker abgesichert als die der Deutschen Bundesbank.
Kritik an der Unabhängigkeit
Bislang hat sich das Konzept der Unabhängigkeit der Zentralbank weltweit als erfolgreich erwiesen. Allgemeiner Konsens war bis vor wenigen Jahren, dass eine ideale Zentralbank unabhängig sein muss und sich nur am Ziel der Geldwertstabilität orientieren soll. Seit der Finanz- und Verschuldungskrise ab 2007 votieren verschiedene Autoren jedoch wieder für eine Abschaffung der Unabhängigkeit der Zentralbanken. Sie argumentieren, dass das Prinzip gleichmäßiger Interessenvertretung in einer Demokratie durch die Unabhängigkeit der Zentralbank verletzt wird. Deshalb sollten sich die Zentralbanken einer demokratischen Kontrolle unterwerfen. Erst dann bestünde eine Verflechtung von Zentralbank- und Finanzpolitik, die eine effektive Wirtschaftspolitik ermöglichen würde.
Der Gedanke einer Regelbindung der Zentralbank setzte sich hingegen bereits mit dem Aufkommen des Monetarismus durch. Dessen Begründer, Milton Friedman, hatte 1962 in einem weit beachteten Aufsatz die Unabhängigkeit von Zentralbanken diskutiert, ihr jedoch eine Regelbindung der Geldpolitik ("Geldmengenmodell") vorgezogen. Durch eine vorher festgelegte jährliche Wachstumsrate der Geldmenge würde ein Missbrauch der Geldpolitik durch den Staat beziehungsweise die Politiker und die Zentralbank verhindert.
Wie das Verhalten der EZB in der Finanz- und Schuldenkrise gezeigt hat, ist auch die Stabilitätskultur in einem Land beziehungsweise einem Währungsgebiet von besonderer Bedeutung für die Geldpolitik einer unabhängigen Zentralbank. So ist gerade in der Europäischen Union eine Vielzahl unterschiedlichster Stabilitätskulturen zu finden. Dass sich diese zumindest zum Teil von der dogmatisch strengen deutschen Stabilitätskultur unterscheiden, ist unbestreitbar. Formelle Unabhängigkeit der Zentralbank ist daher kein Garant für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik, gerade dann, wenn die Zentralbank neben der Geldwertstabilität auch auf eine Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik verpflichtet ist.
Fazit
Die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank geht zwar auf ein Oktroi der alliierten Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg zurück, hat sich aber zu einem Markenzeichen deutscher Stabilitätspolitik entwickelt. So konnte die Deutsche Bundesbank die Inflationsraten in Deutschland während der Stagflation in den 1970er Jahren deutlich geringer halten als die Zentralbanken anderer Industrienationen. Im Verlauf der great moderation am Ende des 20. Jahrhunderts wurde die Deutsche Bundesbank daher immer mehr zum Vorbild für andere Zentralbanken. Trotz zahlreicher Rückschläge hat sich das Konzept der Unabhängigkeit der Zentralbank für die meisten Industrienationen bislang so weit bewährt, dass es nicht aufgegeben werden sollte.
Allerdings ist über institutionelle Änderungen bei allen unabhängigen Zentralbanken nachzudenken. Aus ordnungspolitischer Sicht scheint eine stärkere Regelbindung heute wünschenswert, denn je mehr sich eine Zentralbank an eine Regel bindet, desto besser ist die Vorhersagbarkeit ihrer geldpolitischen Interventionen. Insbesondere in der Eurozone mit ihren sehr heterogenen Stabilitätsvorstellungen wäre eine stärkere Regelbindung der EZB notwendig, um neben der formellen Unabhängigkeit auch eine De-facto-Unabhängigkeit zu erreichen. Andererseits wird es kaum möglich sein, völlig auf den "Faktor Mensch" zu verzichten und die Geldpolitik komplett aus dem Handlungsbereich der verantwortlichen Personen in den Zentralbanken herauszulösen. Eine Regelbindung erfordert immer ein gewisses Maß an Flexibilität und menschlicher Intuition sowie Ermessensspielräume. Um den Erfolg der Geldpolitik zu gewährleisten, ist die Unabhängigkeit der Zentralbank daher auch weiterhin notwendig.