I. Zwei Thesen
Der Titel dieses Beitrags ist nicht als Verbeugung vor einem Modethema zu verstehen. Tatsächlich muss Globalisierung heute für vieles herhalten, wird sie mit allem Möglichen zu kombinieren versucht. Die Überschrift dieses Beitrags enthält vielmehr zwei zugespitzte Thesen, die nachfolgend illustriert und ausgeführt werden:
1. Jugendkulturen, die meist als bunte, lokale und regionale Lebensformen und in ihrer Vielfalt frei gewählter Lebensstile wahrgenommen werden, sind durch Globalisierungsprozesse einem massiven Veränderungsdruck ausgesetzt. Globale Entwicklungen wirken stärker denn je strukturierend auf Jugendkulturen, ihre Themen und Ausdrucksformen.
Dieser Blick auf Jugendkulturen ist keineswegs selbstverständlich, werden diese doch gemeinhin unter anderen Gesichtspunkten betrachtet. Als eigensinnige Gesellungsformen für einen spezifischen Lebensabschnitt (Adoleszenz und Postadoleszenz) gestalten Jugendkulturen einen historisch und milieuübergreifend länger und bedeutsamer gewordenen Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenstatus - einen Übergang, der von massiven Distanzierungen von der und mit Provokationen der Erwachsenenwelt begleitet sein kann. Die Rebellion der Jungen gegen die Autorität und Macht der Alten gilt als Dauerthema der Jugendkulturen des zurückliegenden Jahrhunderts.
All diese Funktionen sollen nicht bestritten werden. Themen und Stile von Jugendkulturen sind jedoch weniger denn je ausschließlich lokal und regional geprägt oder im Gefüge nationaler Klassen-, Schichtungs- und Milieuverhältnisse verstehbar. Die Kraft von Jugendkulturen, die dominanten Lebensweisen einer Gesellschaft herauszufordern und kreativ zu verändern ("lieber lebendig als normal"), wurde bislang vorwiegend im nationalen Zusammenhang gesehen. Unschwer lassen sich jedoch über das gesamte 20. Jahrhundert jugendkulturelle Strömungen und Musikstile identifizieren, die internationalen Charakter haben: Diese reichen von der Boheme und der Jugendbewegung nach 1900 sowie der Jazz- und Swingbegeisterung, die in den 1920er Jahren einsetzte, über die "Halbstarken"- und Teenagerbewegung bis zu den Beat-, Rock- und Hippiegenerationen nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit den sechziger Jahren hat die dichte Welle von jugendspezifischen Musikrichtungen, von Konsum- und Lebensstilen ohnehin weitgehend internationalen Charakter. Zumindest gelten die Jugendszenen in den USA und in Großbritannien weltweit als Quelle der Dauerinspiration. Dieser transnationale Kontext stand jedoch bislang nicht im Vordergrund entsprechender Untersuchungen. Auch in der Debatte über die weltweiten Proteste, die mit "1968" in Verbindung gebracht werden, sowie über die Themen der nachfolgenden Neuen Sozialen Bewegungen (Feminismus, Ökologie, Pazifismus usw.) wird diese Themendiffusion anerkannt, aber es sind die besonderen Gelegenheitsstrukturen der nationalen politischen Kultur, die als entscheidend für das Schicksal der Themen, Proteste und Mobilisierungen angesehen werden. Die Dichte und Wirksamkeit globaler wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Prozesse machen es jedoch heute sinnvoll, deren Eigengewicht für die Herausbildung und Transformation von lokalen und regionalen Jugendkulturen zu betonen. Gleichzeitig gibt es Ansätze zu transnationalen Jugendkulturen.
2. Jugendkulturen - bzw. deren Träger - versuchen zunehmend selbst Einfluss auf diese Globalisierungsprozesse zu nehmen, sie eigensinnig zu nutzen, zu gestalten oder zurückzudrängen. Das ist die andere Seite dieser Entwicklung.
Seit den Mobilisierungen gegen die Sitzungen der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle Ende 1999 begleitet eine Protestkarawane internationale ökonomische und politische Gipfeltreffen. Dabei handelt es sich um alles andere als eine einheitliche Bewegung. Unter anderem Gewerkschaftsgruppen, postkommunistische Linke und katholische Gemeinden, Umweltgruppen, Tierschützer, Feministinnen befinden sich unter den größtenteils jugendlichen Protestierenden. Aber nicht nur das Alter der bei solchen Gelegenheiten Festgenommenen verweist auf den hohen Anteil von Jugendlichen an den globalisierungskritischen Protesten. Nicht selten bilden sie - nicht zuletzt wegen ihrer Netzkompetenzen - die organisatorischen Knoten der transnationalen Mobilisierungsnetzwerke. Ereignisse und Themen der transnationalen Politik dominieren, auch wenn jeweils nationale Subthemen eingespeist werden. Aber nicht nur für die spektakulären Gipfelproteste gilt, dass der Versuch unternommen wird, auf die Agenda globaler Transformationen Einfluss zu nehmen. Solche Orientierungen finden sich auch in anderen Jugendkulturen. Worum geht es dabei?
II. Was heißt heute Globalisierung?
Globalisierung gilt als catchword für alles und jedes. Theorien, Konzepte und Verwendungszusammenhänge existieren nicht nur in Hülle und Fülle, sie sind auch heftig umstritten.
- Die ökonomische Globalisierung, wie wir sie heute diskutieren, nahm ihren Anfang mit der Liberalisierung der Weltfinanzmärkte in den siebziger Jahren, dem Abschied vom Bretton-Woods-System der Nachkriegszeit, das auf festen, nur begrenzt schwankenden Wechselkursen und Golddeckung beruhte. Seither vagabundieren täglich - für den Normalsterblichen - unvorstellbare Geldbeträge auf einem global gewordenen Marktplatz. Sie entfalten dabei eine politisch unkontrollierte Macht, die nationale (wie jüngst Argentinien) und regionale Ökonomien (wie zuletzt in Südostasien) ins Trudeln bringen können. Viele der ärmeren und ärmsten Länder sind in eine Schuldenfalle geraten, aus der sie mit eigener Kraft nicht mehr herauskommen. Die Auflagen der internationalen Kreditgeber und die Politik der nationalen Eliten stürzen größere Teile der Bevölkerung ins Elend.
- Neue Kommunikations- und Informationstechnologien haben diesen Austausch sicherlich erleichtert und gefördert. Wenn vom "Informationszeitalter" (Manuel Castells) die Rede ist, wird vor allem dieser Aspekt einseitig hervorgehoben. Die aktuellen Globalisierungsprozesse sind jedoch weder allein durch neue Technologien noch durch die "Gier des Marktes"
- Institutioneller Ausdruck und eine Konsequenz dieser ökonomisch globalisierten Welt sind die heute mehr als 300 "internationalen Regime", die jeweils einzelne Bereiche des transnationalen Austauschs regulieren.
Das NGO-Wachstum ist eng mit dem anderer transnationaler Akteure und Organisationen verbunden. In der gleichen Zeitspanne wächst beispielsweise die Zahl der transnationalen Konzerne auf 45 000. NGOs sind offensichtlich nur ein Element unter anderen im komplexen Prozess der Globalisierung. Unabhängig davon, wie tiefgreifend die Veränderungen in den internationalen Austausch- und Machtbeziehungen auch sein mögen, unübersehbar ist der Zuwachs internationaler Regierungsorganisationen IGOs (1909: 37 IGOs; 1996: 260 IGOs), internationaler Verträge zwischen Regierungen (1946: 6 351; 1975: 14 061) und von Verträgen mit IGOs (1946: 623; 1975: 2 303).
III. Folgen und Herausforderungen der Globalisierung
Von den vielen Folgen der Globalisierungsprozesse sollen hier nur einige wenige hervorgehoben werden, an denen sich gesellschaftlicher Widerspruch entzündet:
1. Ungleichheitsdynamik und soziale Exklusion
Auffällig ist, dass der weltwirtschaftliche Wachstumsschub, der von den liberalisierten transnationalen ökonomischen Beziehungen ausgeht, ein extrem ungleiches Profil aufweist. Dies gilt vor allem im Vergleich zur ersten Wachstumsphase nach dem Zweiten Weltkrieg, die oft als "fordistisch" geprägtes "goldenes Zeitalter" beschrieben wird - gemeint ist ein ökonomisches Wachstumsmodell, das auf dem Zusammenspiel von Massenproduktion und Massenkonsum beruhte und in der Zwischenkriegszeit auf betrieblicher Ebene zuerst durch den Automobilbauer Henry Ford propagiert wurde, bevor es gesellschaftspolitische Verheißung eines "Wohlstands für alle" wurde. Nachholende Entwicklung und Modernisierung schienen damals noch plausible Verheißungen für die zurückgebliebenen Regionen zu sein. Das neue, globalisierte Wettbewerbsmodell bietet vor allem Chancen für die überlegenen Standorte und ihre privilegierten Bewohner. Das weltweite Rennen um Standortvorteile, das gelegentlich auch in den kleinsten Gemeinden zu spüren ist, straft die Verlierer mit weiterer Abwertung und sozialer Exklusion. Die naturwüchsige Dynamik dieser neuen transnationalen Arbeitsteilung wird als "race to the bottom" erfahrbar - ein Rennen, bei dem Löhne und Arbeitsbedingungen, aber auch ökologische, soziale und demokratische Standards permanent unterboten werden. Kevin Bales hat in seiner Analyse "Die neue Sklaverei"
Bislang wird diese Ungleichheitsentwicklung, sofern sie überhaupt eingestanden wird, von den herrschenden Wirtschaftskreisen als Übergangserscheinung beschrieben. Getreu Ricardos Theorie der komparativen Kostenvorteile sollen bald die Bewohner in allen Ländern von der vertieften und intensivierten internationalen Arbeitsteilung profitieren. Nach zwei Dekaden intensiver Globalisierungsprozesse deutet sich die Einlösung dieses Versprechens jedoch nicht an. Eine nachholende Entwicklung in der Peripherie wird u. a. durch die unvollständige Marktöffnung der dominierenden Ökonomien verhindert. Handelsbarrieren gehören gerade zur Praxis jener reichen Nationen des Nordens und ihrer regionalen Zusammenschlüsse, die den Freihandel für andere auf ihre Fahnen geschrieben haben (der EU-Agrarmarkt ist dafür ein prägnantes Beispiel). Es ist schwer vorstellbar, wie einige EU-Länder heute aussähen, gäbe es den Freihandel für Agrarprodukte auch für die Länder der Peripherie. Gerade einflussreiche Nationen und transnationale Konzerne sind in der Lage, in vielen Bereichen einen strategischen Wettbewerb zu praktizieren, der Nachteile einseitig abwälzt und Vorteile einseitig aneignet.
In engem Zusammenhang mit der Ungleichheitsdynamik der ökonomischen Globalisierungsprozesse ist die drastische Zunahme von grenzüberschreitender Migration und den damit einhergehenden multikulturellen Herausforderungen zu sehen. Nicht von ungefähr sind die Konflikte um Einwanderung, Asylrecht, Flüchtlingsstatus und Staatsbürgerschaft in den reicheren Ländern des Nordens politisch brisant geworden.
2. Abstraktion und politischer Gestaltungsmangel
Die Abhängigkeit von Weltmarktentwicklungen, von anonymen, fernen Mächten, löst Ängste bei denen aus, die sich als Verlierer globaler Herausforderungen begreifen oder Angst davor haben müssen, künftig zu diesen zu gehören. Der politische Kontrollverlust der Nationalstaaten, der schwächeren zumal, ist überdeutlich. Viele der transnationalen Regime arbeiten im Verborgenen, lassen Öffentlichkeit und demokratische Kontrolle vermissen. Der Wunsch nach mehr Transparenz und politischer Steuerung wird vielfach artikuliert.
Insgesamt ist die künftige politische Verfassung der transnationalen Ebene umstritten, wobei im Augenblick mindestens drei unterschiedliche Versionen konkurrieren. Die Rede ist von
- einer "neuen Weltordnung" - wie sie bereits US-Präsident Bush senior zu Beginn der neunziger Jahre verkündete - mit den USA als allein verbliebener Hegemonialmacht, d. h., es gibt eine Zentralmacht, die stark genug ist, die Weltpolitik zu kontrollieren, und diese Macht im ökonomischen, politischen und militärischen Sinne auch ausübt;
- einem Tripartismus im Sinne des Nebeneinanders von drei starken Regionen (EU, Asean-Staaten und Nafta), wobei diese drei in einem mehr oder weniger kooperativen Verhältnis miteinander um die politische Dominanz konkurrieren oder
- einem "neuen Mittelalter" - eine Vision, die aktuell vermutlich am meisten Schrecken verbreitet -, geprägt von einer Vielzahl von rivalisierenden staatlichen und zivilen Mächten ohne eine dominierende und ordnende Regionalmacht. Dieses Projekt hat mit den Terroranschlägen der jüngsten Zeit praktische Gestalt angenommen. Aber auch unabhängig davon gibt es in vielen Ländern der Peripherie Bestrebungen, sich dem Zugriff der neuen hegemonialen Weltordnungen zu entziehen.
Der Kampf um eine neue globale Ordnung, für die auch demokratisch-menschenrechtlich anspruchsvollere Alternativen existieren, dürfte noch nicht entschieden sein.
IV. Die Neuformierung von Jugendkulturen
Mit Blick auf Jugendkulturen lassen sich schematisch - in der Realität gibt es zumeist Mischungsverhältnisse - drei gegensätzliche Reaktionsbildungen auf die beschriebenen globalen Transfor-mationen unterscheiden:
1. Jugendkulturen als Vorreiter von Globalisierungsprozessen
Jugendkulturen treten häufig als Avantgarden von Globalisierungsprozessen auf. Als Produzenten und Konsumenten sind sie zwar nicht die ressourcenstärkste, aber vermutlich die innovativste, flexibelste und mobilste Zielgruppe, die das Projekt einer weltweiten kulturellen Homogenisierung vorantreibt. Lifestyles, vermittelt über Musikstile, Videoclips, MTV, Hollywood-Filme, Reisen, Kleidungs- und Konsumstile sind heute global im Angebot und ein zentrales Exportprodukt der entsprechend spezialisierten transnationalen Konzerne, häufig mit Stammsitz in den "global media cities" der USA und in Westeuropa.
Über konsumorientierte Jugendliche als Vorreiter einer Eventkultur und Spaßgesellschaft ist viel geschrieben worden. Medial, beispielsweise über MTV, weltweit verbreitete kulturelle Images sind Angebote zur Selbststilisierung und Gruppenbildung, die vor allem von Teenagern intensiv genutzt werden. Leitbild ist die freie Wahl der Lebensstile aus einer vorgegebenen Palette von Konsumangeboten. Die Zukunftsperspektive der transnationalen konsumzentrierten Jugendmilieus hat der französische Romancier Frédéric Beigbeder auf die prägnante Formel gebracht: "Eines Tages werden wir nicht mehr Länder, sondern Marken bewohnen: Wir sind dann die McDonaldianer und die Microsofties."
Hiphop, Rave, Punk, Club, Techno usw. bezeichnen einige der Musikstile, um die sich transnationale Jugendkulturen gruppieren, von denen es je nach Zählung 100 und mehr Varianten gibt. Sie weisen stets einen besonderen lokalen Akzent auf, meist werden sie in abgewandelten und zusammengefügten Varianten gelebt. Aber die passende Musik, die richtigen Klamotten und andere Accessoires bietet der globale Markt - angereichert mit dem dazu gehörenden Lebensgefühl. Diese Jugendszenen zelebrieren "The power of now", so ein erfolgreicher Zeitgeist-Slogan für die Zigarettenmarke WEST, der genau mit diesem flexiblen Changieren von unterschiedlichsten Lebensstilen spielt. "The power of now" heißt, ihr könnt - quasi geschichtslos und ohne biografisches Bleigewicht - jederzeit neu über euren Lebensstil entscheiden und ihn tolerant nebeneinander leben. Auffällig ist zudem die ungebrochen zur Schau gestellte Konsumlust. "Abweichende" Lebensstile werden nicht mit einer spezifischen politisch-kulturellen Botschaft präsentiert, sondern als altersspezifisches Angebot ohne dauerhafte Prägewirkung. Die konsumkulturelle Botschaft überlagert zumeist politische Ausdruckformen, macht sie unbestimmt und beliebig. So ist es kein Zufall, dass es in der Skin- und Rockkultur r gesellschaftskritische Stachel von jugendkultureller Provokation kaum zu spüren ist. Mit Blick auf die ökonomischen Globalisierungsprozesse erscheinen diese Jugendkulturen proaktiv und beschleunigend. Sie erweitern transnationale Konsummärkte und nutzen dazu die vorhandenen technischen Vernetzungsmöglichkeiten. Ihre Pluralität und Heterogenität, ihr hybrider Charakter, die hinzugefügten Elemente der Selbstgestaltung, selbst ihre gelegentliche Aufladung mit Protestelementen sprechen zwar gegen das vorschnelle Urteil einer homogenisierten, ja weltweit uniformen Konzernwelt, wie sie mit Begriffen wie McDonaldisierung oder Disneyfizierung suggeriert wird.
2. Identitätsorientierter Widerstand und Rückzugsbewegungen
Im Kontrast zur proaktiven Grundströmung haben in jüngerer Zeit zwei andere Strömungen deutlich an Gewicht gewonnen. Es haben sich vielfältige lokale Gegenkulturen herausgebildet, die sich demonstrativ gegen die kulturelle Vereinheitlichung durch die beschriebenen Globalisierungsprozesse wenden. Religiöse, regionalistische, nationalistische und rechtsextreme Strömungen können ebenso dazu gehören wie ökologisch begründete Gemeinschaften. "Identität" ist ihr gemeinsames Zauberwort, um das alles kreist.
Solche politisch-kulturell gestimmten Identitätsbehauptungen haben in der Regel einen ökonomischen Kern. Einmal geht es um die Verteidigung komparativer Vorteile im Globalisierungsprozess gegen die anstürmenden Habenichtse - ein Wohlstandschauvinismus, der sich in weit verbreiteten Leitbildern wie der "Festung Europa" niedergeschlagen hat. Aus dieser Quelle speisen sich auch die italienische Lega Nord oder die österreichische FPÖ unter Jörg Haider. Zum anderen greifen rechtspopulistische Mobilisierungen die Erfahrung oder auch nur die Angst auf, zu den Globalisierungsverlierern zu gehören. Der "Vereinigungsschock" mit dauerhafter Massenarbeitslosigkeit, die Nähe zur EU-Außengrenze und die befürchtete Konkurrenz billiger Arbeitsmigranten sind die besonderen ökonomischen Faktoren des Wahlerfolgs der rechtsextremen DVU, die mit Parolen wie "Deutsche zuerst, Deutsche Arbeitsplätze für Deutsche" 1998 in Sachsen-Anhalt immerhin 12,9 Prozent der Wählerstimmen erringen konnte. Bei den Wählerinnen und Wählern unter 30 Jahren war die DVU sogar die stärkste Partei.
3. Globalisierungskritische Milieus und Bewegungen
Von Seattle bis Genua ist deutlich geworden, dass es einen progressiven globalisierungskritischen Gegenpol in den gegenwärtigen Jugendkulturen gibt. Auffällig war bei all diesen Protesten der hohe Anteil von Jugendlichen und Schülern. Kosmopolitische Orientierungen, globale Verantwortung, Unbehagen im Wohlstand, moralische Sensibilität für Globalisierungsfolgen und Solidarität mit den Globalisierungsopfern in der Peripherie gehören zu den hervorstechenden normativen Orientierungen dieser Jugendszenen, die transnational in verschiedenen Netzwerken kooperieren. Sicherlich spielt auch die Furcht vor den unabsehbaren sozialen und ökologischen Folgen eine Rolle, die durch die vorherrschende Form der Globalisierung aufgehäuft werden. Sie markieren den äußersten Gegenpol zu den rechtsextremen Rückzugsbewegungen und deren Globalisierungskritik, die auf nationale und regionale Schließung setzt. Die gegenwärtigen globalisierungskritischen Initiativen heben sich auch von einem Internationalismus ab, der auf revolutionäre Vorbilder in der "Dritten Welt" setzte. Im Vergleich dazu nehmen sich Debatten, wie sie von globalisierungskritischen Initiativen auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre Anfang 2001 geführt wurden, eher pragmatisch aus. Es gibt inzwischen - gerade auch in den USA und Kanada - eine Fülle von konsumkritischen Initiativen gegen eine konzerngeprägte Globalisierung, die Verstöße gegen soziale und ökologische Standards von Markenartikelherstellern in der Peripherie mit Boykottaufrufen beantworten. Naomi Klein hat mit ihrer stark beachteten Streitschrift "No Logo!" erheblich zur Aufklärung über diese Schattenseiten der globalen Konsumkultur und zur Verbreitung von Boykottinitiativen beigetragen. Mit "Reclaim the Streets" und den "Innenstadtaktionen" hat sie zudem auf Aktionsformen aufmerksam gemacht, die sich gegen die Privatisierung von öffentlichen Räumen und die Vertreibung von konsumstörenden "Randgruppen" aus den Innenstädten wenden.
Es ist gegenwärtig nicht möglich, ein halbwegs vollständiges Bild der Jugendmilieus zu skizzieren, die heute in der einen oder anderen Form in globalisierungskritischen Initiativen tätig sind. In ihrer prägnanten Parole "Eine andere Welt ist möglich!" schwingt noch jenes jugendbewegte Pathos mit, das an der Gestaltbarkeit der Welt festhält. Allerdings hat es nichts mehr mit der trügerischen Gewissheit jener Generation zu tun, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts beschwor: "Mit uns zieht die neue Zeit."
- eine Demokratisierung der Vereinten Nationen, der internationalen Organisationen und Regime, Öffentlichkeit und Transparenz ihrer Verhandlungen;
- die Schaffung einer transnationalen Öffentlichkeit, die nicht von einigen wenigen Konzernen geprägt ist;
- das Finden gemeinsamer normativer Maßstäbe, die sich durch einen möglichst gleichberechtigten interkulturellen Austausch der Gruppen entlang universeller Menschenrechte weltweit entwickeln können.
Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Jugendspezifische Forderungen wird man dabei vermutlich weitgehend vergeblich suchen. Auch dies ist ein Hinweis auf den historischen Abstand zum Mythos Jugend.
4. Gemeinsamkeiten und Herausforderungen
Bei näherem Hinsehen weisen die beschriebenen konkurrierenden, mitunter antagonistischen Strömungen auch Gemeinsamkeiten auf, die noch einmal auf die Prägekraft globaler Transformationen aufmerksam machen.
Alle jugendkulturellen Strömungen stützen sich auf überlokale, oft auch transnationale Vernetzungen, die sie mit Gleichgesinnten verbinden. Dies gilt auch für die diversen rechtsextremen Szenen (Hammerskins, Oi-Musik usw.). Gemeinsam ist ihnen auch die intensive Nutzung des Internets, wie das Beispiel der Demonstrationsberichterstattung der Jungen Nationalen zeigt. Die Boykott-Initiativen der globalisierungskritischen Initiativen wären ohne Internet gar nicht denkbar, fehlte es doch sonst an authentischen Vor-Ort-Informationen.
Zu den größten negativen Herausforderungen zählt die Formierung regressiver und repressiver jugendlich geprägter Verteidigungsgemeinschaften, die als "national befreite Zonen" bereits in einigen Regionen Ostdeutschland proklamiert wurden und an einigen Orten auch praktisch durchgesetzt werden. Verdrängung und beschleunigter Wegzug sind die Folge. Dadurch entstehen in den neuen Bundesländern womöglich homogene Räume, die von Andersdenkenden, -lebenden und -aussehenden "gesäubert" sind. Sie funktionieren pervers. Spektakuläre Gewalttaten gegen Ausländer oder ausländisch aussehende Menschen - immerhin mit mehr als 100 Todesopfern seit Anfang der neunziger Jahre - haben als territoriale Aneignung objektiv die Funktion von Erpressung: Beachtet uns und gebt uns Geld, sonst erleidet die gesamte Bundesrepublik einen Imageschaden im globalen Wettbewerb. Dabei entstehen Gemeinschaften, die Elemente von gegenseitiger Hilfe ausbilden (Handwerker, die bevorzugt rechte Jugendliche einstellen) und sich lokaler Anerkennung erfreuen (Kameradschaften als Sicherheitskräfte).