I. Global Governance - eine neue Politikform
Das hat es in der internationalen Diplomatie selten gegeben: dass gut vorbereitete Verhandlungen nicht auf einer dafür vorgesehenen internationalen Konferenz der Repräsentanten der Nationalstaaten zum Abschluss gebracht werden konnten, weil - neben internen Widersprüchen zwischen den verhandelnden Parteien - Massenproteste vor den Toren der Tagungsstätte die Legitimität der vorbereiteten Beschlüsse massiv in Frage stellten. So geschehen in Seattle 1999, wo die Welthandelsorganisation (WTO) ihre Verhandlungsrunde ergebnislos abbrach, oder in Prag, wo die Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank vorzeitig beendet werden musste, oder in Göteborg, wo die europäischen Regierungschefs auf heftigen Protest stießen. Den Tagungsort an den Rand der Wüste zu verlegen und die Öffentlichkeit weitgehend auszuschließen, wie es im November 2001 bei der WTO-Konferenz in Doha/Katar der Fall war, mag verständlich sein. Doch ist dies keine Erfolg versprechende Strategie. Im Gegenteil, denn die Legitimität der Entscheidungen dürfte im Urteil zivilgesellschaftlicher Organisationen nicht gerade zunehmen.
Blicken wir zunächst kurz zurück: In den ca. 350 Jahren vom Westfälischen Frieden 1648 bis zum Ende der Blockkonfrontation 1989 hatten wir es fast ausschließlich mit einer Staatenwelt zu tun. Weil die Regierungen moderner Nationalstaaten - wenn auch nicht alle - demokratische Legitimität dadurch besitzen, dass sie von ihren Bürgerinnen und Bürgern gewählt worden sind, wurden in der Konsequenz auch die internationalen Institutionen als demokratisch legitimiert betrachtet und - wenn auch nicht immer protestfrei - akzeptiert. Normen, Werte, Regeln und - sofern diese eine gewisse Dauerhaftigkeit erlangen - internationale Institutionen waren der Ausdruck der Beziehungen der Staaten untereinander. Das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten garantierte die grundsätzliche Souveränität der einzelnen Staaten auf ihrem Territorium sowie gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern - die wiederum als "Volkssouverän" die nationale Regierung mit Souveränität "nach außen" ausgestattet haben.
Doch seit den neunziger Jahren sind die Strukturveränderungen des internationalen Systems unübersehbar, auch wenn sie sich schon lange vorher ankündigten und von sensiblen Beobachtern früh bemerkt wurden.
Auf ihre territoriale Souveränität können sich nationalstaatliche Institutionen nicht mehr wie früher einmal berufen. Der Treibhauseffekt z. B. kennt keine Grenzen, und die Regeln der WTO sind verpflichtend wie ein internationaler Vertrag, wenn ein Land erst einmal der WTO beigetreten ist. Auch bei Strukturanpassungsprogrammen des IWF sind Bedingungen einzuhalten, zu denen sich die Länder in einem letter of intent formal souverän, aber dem Druck der Schuldenlast gehorchend, verpflichten. Erst recht wird seit dem Ende des Blockkonflikts der Anspruch erhoben, dass staatliche Souveränität gegenüber den Menschenrechten zurückzutreten habe und Interventionen in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten zum Schutz der Menschenrechte gerechtfertigt seien.
Dabei ist offensichtlich, dass die Anpassungskapazitäten ungleich verteilt sind. In der Welt der hoch entwickelten Industrieländer entstehen neue politische Strukturen einer global governance,
Hier kommt besonders deutlich die ungleiche Wirkung der Globalisierung zum Ausdruck, die von so manchen ihrer Befürworter abgestritten wird.
Allerdings zeigen die weltpolitisch bedeutsamen Krisenerscheinungen auf den Finanzmärkten oder in der Ökologie, die Zunahme der Unsicherheit für Milliarden Menschen, weil weder genügend Arbeitsplätze noch Einkommen zur Verfügung stehen, weil Bildung und Ausbildung, Gesundheitsversorgung und Wohnraum mangelhaft sind und Schutz vor organisierter und nicht organisierter Kriminalität (human security) völlig unzureichend ist,
Das Defizit an Vergesellschaftung in der globalisierten Welt ist also mehrfach begründet: politisch wegen der Deregulierung und damit verbundener Delegitimierung, sozial wegen der gewachsenen Ungleichheit in der Welt und ökonomisch wegen der Krisentendenzen, die sich von den Finanzmärkten auf die "reale Ökonomie" auswirken und Entwicklungsanstrengungen zurückwerfen. In dieses Defizit stoßen die Organisationen der Zivilgesellschaft vor: Nicht-Regierungsorganisationen (oder englisch, weil ja auch die Sprache sich globalisiert und ein einheitlicher Code erforderlich wird: Non-Governmental Organizations, NGOs).
Sie werden als "Advokaten" derjenigen gesehen, die keine Stimme haben oder sich im Geräusch der politischen Medien kein Gehör verschaffen können (advocacy). Bekannt sind ihre Kampagnen mit dem Ziel, staatliche ebenso wie privatwirtschaftliche Akteure und die Gesellschaft insgesamt zu Verhaltensänderungen zu bewegen (campaigning). Sie bündeln auch beträchtliches Know-how (expertise), das in die Entscheidungsprozesse auf verschiedenen Wegen eingebracht wird: über Beratungen von PolitikerInnen und Institutionen, mittels der Medien, mit eigenen Broschüren oder durch Lobbying. Auch deutet ihr Engagement unzweifelhaft darauf hin, dass die internationale Politik um Formen von global governance erweitert wird. Doch ist das Phänomen der NGOs komplizierter, als es zunächst erscheint.
II. NGOs - ein schillernder Begriff
NGOs sind nicht neu in der internationalen Politik. Schon im 19. Jahrhundert gab es sie: 1823 wurde die Foreign Anti-Slavery Society, 1874 der Weltpostverein und 1864 - als die älteste humanitäre Organisation der Welt - das Rote Kreuz gegründet.
In den Sozialwissenschaften hat sich zeitverzögert eine eigene Forschungsrichtung entwickelt, der es allerdings bis heute nicht gelungen ist, den terminologischen Wirrwarr um den Begriff der NGOs aufzulösen. Am einfachsten ist noch der eher technische Gebrauch des Begriffs innerhalb der UNO. Als NGOs werden hier alle Organisationen bezeichnet, die nicht staatlich sind. Demnach werden Umweltgruppen oder entwicklungspolitische Solidaritätsbewegungen, gewerkschaftliche Dachverbände oder die Industrielobby, Forschungsinstitute, Stiftungen, Kirchen oder Universitäten unter diesem catch all-Begriff zusammengefasst. Ihren festen Ort haben diese Organisationen im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC), bei dem über 2000 NGOs akkreditiert sind. Die Mitgliedschaft muss beantragt werden und ist an Bedingungen geknüpft. Die NGOs haben je nach Konsultativstatus die Möglichkeit, Vorschläge zur Tagesordnung zu machen, kurze schriftliche Stellungnahmen abzugeben oder nur beratend tätig zu sein.
Die breite Definition von NGO ist nicht unproblematisch. Kirchen, Gewerkschaften, die Industrielobby, Stiftungen oder Universitäten sind zwar der Zivilgesellschaft zuzuordnen, sollen hier aber nicht als NGOs bezeichnet werden. Das Kürzel ist vorwiegend reserviert für Organisationen mit einem Schwerpunkt auf sozialpolitischen Fragen wie Asyl-, Menschenrechts- oder Entwicklungspolitik oder auf umweltpolitischen Themen wie Klimawandel, Verlust an Biodiversität oder Regenwaldabholzung. Sie bedienen keine Klientel einer Glaubensgemeinschaft, sind keine Autofahrerlobby und verfolgen keine spezifischen Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberinteressen. Sie sind auch nicht einer politischen Partei zuzuordnen, sondern nehmen für sich in Anspruch, allgemeine und universelle Gesellschaftsinteressen wahrzunehmen und zu vertreten.
NGOs haben also eine spezifische Stellung innerhalb der sich internationalisierenden Zivilgesellschaft, deren unterschiedliche (theoretische) Konzeption erste Aussagen über ihre politische Rolle ermöglicht. Demnach werden NGOs einmal im liberalen Sinne als ein Gegenüber von Markt und Staat gesehen. Sie werden erforderlich, weil die klassischen gesellschaftlichen Organisationsinstanzen gerade im Zuge der Globalisierung nicht in der Lage sind, soziale wie ökologische Fehlleistungen von Markt und Staat zu korrigieren.
Unabhängig von der jeweiligen Lesart zeigt das Engagement der NGOs zweierlei:
Zum einen, dass das "Ende der Geschichte", die Zeit der Alternativlosigkeit durchaus nicht erreicht ist. Nach der ersten Euphorie anlässlich der "samtenen" Revolutionen ist die bittere Normalität von Krisen, Konflikten und Katastrophen (wieder) eingekehrt. Alternativen sind also erforderlich und müssen nicht nur gedacht, sondern gemacht werden; dieser Aufgabe nehmen sich die NGOs an.
Zum anderen, dass politische Steuerung in Zeiten der Globalisierung komplexer und das Akteursspektrum auf globalem Parkett breiter geworden ist: Erstens sind viele Akteure mit ganz unterschiedlichen Zielvorstellungen beteiligt, die zweitens auf ganz unterschiedlichen Ebenen - von der globalen bis zur lokalen Ebene - agieren, und dabei drittens ganz unterschiedlichen Handlungslogiken folgen: die einen dem Prinzip der Macht und ihrer Reproduktion im politischen System, die anderen dem Prinzip des Marktes und der Gewinnoptimierung (bzw. dem Prinzip des shareholder value) und die Dritten der Logik von vermeintlichen Gemeinwohlinteressen sowie universellen Werten und Normen.
III. "Glokalisierung" als Handlungsstrategie
Wie bewegen sich NGOs in diesem komplexen Mehr-Ebenen-, Mehr-Logiken-, Mehr-Akteure-System einer global governance? Die Antwort ist: vor allem in globalen Netzwerken. Die Binnenkommunikation wird so verbessert, über die Medien wird eine breite Öffentlichkeitswirkung erzeugt und beim Lobbying in den Hallen der offiziellen Politik wird der Kontakt zu den Entscheidungsträgerinnen und -trägern gesucht. Zugleich wird virtuos auf der Internetklaviatur gespielt. Schließlich erhalten die Forderungen der NGOs größeres Gewicht, wenn sie im Bündnis mit anderen global artikuliert werden. Aus der Summe dieser Netzwerkfunktionen ergibt sich die erhebliche politische Symbolkraft, die sich als zentrale Legitimationsressource im internationalen System wie am lokalen Ort von den einzelnen NGOs nutzen lässt und die als ein Ausdruck der "Globalisierung" verstanden werden kann.
Wer sich in Zeiten der Globalisierung gegen Kinderarbeit und Gewerkschaftsverbot engagiert, muss globale Sozialstandards fordern. Wer sich gegen die Abholzung von Tropenwäldern und die Verschmutzung von Gewässern einsetzt, muss globale Umweltstandards fordern. Wer Folter, Frauenhandel und Sklaverei anklagt, muss für universelle Menschenrechte und - konkreter - für eine Unterbindung der Geldwäsche eintreten. NGOs sind daher Ankläger von sozial oder ökologisch schädlichen Globalisierungsprozessen. Ihre globalen Netzwerke sind somit selbst Bestandteil der widersprüchlichen Formen der Globalisierung. Schon deshalb ist der von den Medien kreierte Begriff der "Globalisierungsgegner" ein ignoranter Missgriff.
Denn NGOs haben sehr unterschiedliche Charaktere. So kann kaum von einer Kooperation unter Gleichen ausgegangen werden. Die westeuropäischen und amerikanischen NGOs haben meist einen größeren Einfluss als die NGOs aus dem "Süden" des Globus. Letztere haben auf Grund geringerer Ressourcen nicht nur eine schwere Stellung während der internationalen Konferenzen, sondern können es sich oftmals gar nicht leisten, daran teilzunehmen. Es muss also bedacht werden, dass Netzwerke immer auch Fallstricke und Ausschlusskriterien aufweisen (lock in-Effekte und exclusion-mechanisms). Die politischen Ziele der verschiedenen NGOs stehen sich teilweise diametral gegenüber. So wollen die einen NGOs Sozial- und Umweltstandards innerhalb der WTO verankern, andere sehen darin den falschen Weg und präferieren die Internationale Arbeitsorganisation (ILO).
In den Klimaverhandlungen setzt sich eine Gruppe von NGOs für wirtschaftliche Modernisierungsstrategien und technologische Innovationen zur Problemlösung ein, andere - vor allem diejenigen aus dem Süden - fordern mit schwächerer Stimme mehr Gerechtigkeit in der Welt und - als operationalisiertes Ziel - gleiche Emissionsrechte (von klimaschädlichen Gasen) für alle. Bei der Anti-Rassismus-Konferenz im September 2001 in Durban/Südafrika spaltete sich die NGO-Community entlang der Frage, ob eine proisraelische Passage im Abschlusstext bleiben oder herausgenommen werden sollte. Die Liste der Kontroversen ließe sich fortsetzen. In der Sache "mehr Menschenrechte", "mehr Umweltschutz", "mehr soziale Gerechtigkeit" sind sich NGOs meist einig. Die Schwierigkeiten liegen im Detail, so dass NGOs als heterogene Akteursgruppe bei der Herausbildung von governance-Formen angesehen werden müssen.
Mario Pianta hat sicherlich Recht, wenn er in der Welt der NGOs fünf Projekte identifiziert:
Bei den Weltkonferenzen der UN und ihren vielfältigen follow up-Prozessen sowie innerhalb der WTO oder des IWF hatten in den neunziger Jahren die "Reformisten" die Oberhand. Ihre Strategie der "konfliktiven Kooperation" war nicht zuletzt der Vorstellung geschuldet, dass nach dem Ende des Ost-West-Konflikts neue Hoffnungen auf staatliche und nunmehr wirklich globale Anstrengungen zu Problemlösungen bestehen würden. Daher blieben Massenmobilisierung und der "Druck der Straße", wie 1988 bei der Kampagne gegen die IWF/Weltbank-Tagung in Berlin, zunächst aus. Die NGOs haben sich statt dessen mit Markt und Staat hochgradig "vernetzt und verstrickt".
Denn die Öffnung der politischen Räume für die Akteure aus der Zivilgesellschaft gehen nicht unbedingt mit substantiellen inhaltlichen Veränderungen staatlicher Politik einher. Allerdings wurde die politische Bedeutung von NGOs erkannt, weshalb sie von den inter- wie supranationalen Organisationen zu Gesprächen an runden Tischen eingeladen werden. Dabei wissen die Kommunikationsexpertinnen und -experten von IWF, Weltbank oder WTO nicht nur mit Gesten des Aufeinanderzugehens zu gefallen, sondern auch Protest wirkungsvoll zu kanalisieren. Jedenfalls liegt die Vermutung nahe, dass es bei der "Offensive des Lächelns" vor allem darum geht, die Legitimität der Institutionen zu erhöhen, "NGOs als Legitimationsressource"
IV. NGOs und die demokratische Frage
NGOs werden eher zu neuen Hoffnungs- als zu alten Sargträgern des Systems stilisiert. Der "Spiegel" schreibt ihnen die "Macht der Mutigen" (Spiegel Special 11/1995) im Zusammenhang von Greenpeace-Aktionen zu, die "Zeit" entdeckt in ihnen eine "neue Internationale" (25. 8. 1995) von über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg vernetzten Organisationen, die "Financial Times" sieht die "Netzwerk-Guerilla" in Aktion (30. 4. 1998) oder sie meint, dass "Globalization's children strike back" (10. 9. 2001), und die Zeitschrift "Politische Ökologie" überschreibt ein Themenheft zu den "NGOs im Wandel" mit dem Titel "Vom David zum Goliath?" - immerhin mit Fragezeichen (Heft 72/2001). Durch solche Headlines wird der Einfluss der NGOs übertrieben dargestellt; ihre Stärke ist nur scheinbar. Sie schwindet in dem Moment wieder, wo es den NGOs kaum noch gelingt, Medienöffentlichkeit herzustellen.
Doch auch wenn der Einfluss der NGOs nicht überschätzt werden darf, werden im Zuge der "NGOisierung der Weltpolitik" neokorporatistische Arrangements (wie das Modell Deutschland) durcheinandergewirbelt. Die transnationalen Netzwerke der Zivilgesellschaft haben gegenüber den klassischen Organisationen des Trilateralismus von Regierungen, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden strategische Vorteile. Sogar Parteien und Parlamente bringen sie in Zugzwang. Wie in der Geschichte vom Hasen und vom Igel können sie ein ums andere Mal rufen: "Ick bün scho da". Die große Zustimmung zu den Positionen von NGOs, auch in ihrer Widersprüchlichkeit, und die hohe Glaubwürdigkeit, die NGOs heute erfahren, kann als Ausdruck eines weitverbreiteten Unbehagens der Menschen über die Ferne des institutionalisierten internationalen Prozesses gedeutet werden. Dazu zwei Beispiele:
1998 verhinderten NGOs zusammen mit den Gewerkschaften (dem Trade Union Council bei der OECD) die Verabschiedung des Multilateralen Investitionsabkommens (MAI), das in Geheimverhandlungen innerhalb der OECD vorbereitet wurde. Es sollte den Transnationalen Konzernen weitgehend freie Hand gegenüber souveränen Regierungen gewähren. Auch soziale Rechte und ökologische Standards sowie die demokratischen Prärogative der Parlamente hätten ausgehebelt werden können. Das Abkommen wurde so skandalisiert, dass es "aus dem Verkehr gezogen" werden musste. Es zeigt sich hier die Bedeutung des Zusammenwirkens von NGOs mit ihren globalen Netzwerken und den Gewerkschaften mit ihrer institutionellen Einbindung, die auf politische Entscheidungsträger innerhalb der politischen Institutionen Druck auszuüben vermochten.
Das andere Beispiel ist die "Internationale Kampagne zum Verbot von Landminen". In erster Linie haben NGOs dafür gesorgt, dass mit der 1999 in Kraft getretenen Internationalen Konvention ein völkerrechtlich bindendes Waffenverbot durchgesetzt werden konnte - das erste in der Geschichte, das auf unmittelbaren Druck der Öffentlichkeit zustande gekommen ist.
Die Beispiele verweisen aber auch auf die demokratischen Defizite der stetig voranschreitenden Internationalisierung der Politik. Anders gesagt: Demokratie ist nicht mehr wirksam, wenn "der Radius ihrer Gestaltungsmacht geringer ist als der zu gestaltende Raum materieller und ideeller Lebenszusammenhänge".
Dieser Preis liegt in der Abkopplung staatlicher Regierungen von den innerstaatlichen Mechanismen der demokratischen Einflussnahme und der Kontrolle des Regierungshandelns. Für die Exekutive folgt daraus ein größerer Handlungsspielraum, der sich durch die gegenseitige Selbstbindung im Rahmen internationaler Vereinbarungen ergibt, die auf schwierigem Weg zustande kommen und zu vertretbaren politischen Kosten durch gegenläufige Entscheidungen im Parlament kaum revidierbar sind. Das Parlament wird durch - in den USA so genannte - fast track-Verfahren zum "Exekutor" internationaler Beschlüsse degradiert, für die die Volksvertreterinnen und -vertreter letztlich aber die Verantwortung übernehmen, weil sie diese in nationales Recht umsetzen.
Anders die NGOs: Sie erweitern gewissermaßen den Radius demokratischer Politik und sorgen so zumindest im Ansatz dafür, dass Öffentlichkeit, Partizipation und Einflussnahme auch auf internationaler Ebene ermöglicht wird. Das ist Voraussetzung dafür, dass die Menschen nachvollziehen können, wie sich die Globalisierung auf die eigene Lebensgestaltung und das Zusammenleben in der Gesellschaft auswirkt. Die Angst der Parteien, Parlamente oder Gewerkschaften, dass ihnen die Definitionsmacht über die politische Agenda abhanden kommt, ist daher nicht ganz unbegründet. Denn die nationalen Instanzen sind nur mit Schwierigkeiten in der Lage, die Anliegen der sozialen Basis auf internationaler Ebene zu repräsentieren oder die internationalen Prozesse transparenter zu machen. Das Parlament könnte "eine Runde der Abnicker" werden, wie es Bundestagspräsident Wolfgang Thierse in einem Essay für die Frankfurter Rundschau (25. 6. 2001) kritisch formulierte.
Demgegenüber haben NGOs Freiräume, die allerdings immer wieder auch Gegenstand der Kritik sind. So meinte BDI-Präsident Michael Rogowski: "Es kann nicht sein, dass Nichtregierungsorganisationen, die durch nichts außer ihr Engagement legitimiert sind, die öffentliche Diskussion um die Globalisierung beherrschen." Und er setzte fort: "Es kann auch nicht sein, dass die demokratisch Legitimierten ihre Gestaltungsaufgabe nicht ausreichend wahrnehmen"
Interessenverbände wie Gewerkschaften oder Wirtschaftsverbände betonten in positiver Abgrenzung zu den NGOs, eine innerverbandliche Demokratie zu haben, von ihren Mitgliedern finanziert und kontrolliert zu werden. Aber auch für sie stellt sich die Legitimationsfrage. Wenn die Vertretung partikularer Interessen von Wirtschaftsverbänden als legitimes Instrument in einer pluralistischen Demokratie anerkannt ist, kann den NGOs diese Legitimität nicht aberkannt werden. NGOs müssen darüber hinaus - anders als die Lobby der Privatwirtschaft, die auf nationaler und internationaler Ebene hinter dem Rücken von Wählerinnen und Wählern sowie von Parlamenten operiert - die Öffentlichkeit suchen, um ihre Ressourcen erwirtschaften und ihre Interessen durchsetzen zu können. Die Zustimmung zu ihrem politischen Engagement erfolgt dann nicht über Wahlen, sondern durch öffentliche wie mediale Resonanz und über Spendeneinnahmen. Gerade Letzteres ist nicht zu unterschätzen. Die Spender können - anders als der Steuerzahler - kurzfristig oder regelmäßig durch ihre Spenden Zustimmung zu den Zielen und zu den Arbeiten von NGOs signalisieren. NGOs haben also sehr wohl eine Legitimationsbasis, wenn es ihnen gelingt, die Gesellschaft zu überzeugen, dass sie gebraucht werden, obgleich sie über kein demokratisches Mandat verfügen. Wohlgemerkt: Die Frage nach der Legitimation der NGOs muss um die Frage nach der Legitimation aller an der Weltpolitik beteiligten Akteure erweitert werden - der sozialen, politischen, aber auch der privatwirtschaftlichen Akteure.
Das eigentliche Problem liegt woanders: Die Globalisierung muss politisch gestaltet werden; und dieser Herausforderung kann offenbar nur global angemessen begegnet werden. Dabei geht es nicht um ein Projekt der Wiedereinbettung der wirtschaftlichen Kräfte der Globalisierung in das gesellschaftliche und politische System, sondern um eine andere Politik gegen Neoliberalismus, Deregulierung und Privatisierung. Diese Aufgabe kann kaum von einer einzelnen Akteursgruppe übernommen werden. Mit anderen Worten: Die Errichtung der dieser Aufgabe angemessenen Ordnungsstrukturen ist ein Problem, das nicht nur die NGOs betrifft, sondern viele Akteure im globalen Raum. Hier kommt neuerlich die Demokratisierung einer global governance ins Spiel, d. h. von Strukturen, die von der lokalen bis zur globalen Ebene reichen. Sie sollen neue Kanäle der politischen Teilhabe öffnen und zur Demokratisierung des internationalen Systems beitragen.
V. Bewegungen für eine "Globalisierung von unten"?
NGOs waren lange Jahre die "Supernova" am Firmament globaler Politik und wurden in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts zu einer ernst zu nehmenden Kraft im Globalisierungsprozess. Eine "Supernova" hat aber keine stetige Leuchtkraft, sondern flackert auf, um dann nach geraumer Zeit wieder an Kraft zu verlieren. Die Phase der "NGOisierung der Weltpolitik" scheint diesem Wechselspiel zu folgen. Sie wird ganz offensichtlich überlagert von einer zweiten Phase, die sich als außerinstitutionelle und transnationale Protestmobilisierung charakterisieren lässt. Die schon fast vergessenen Neuen Sozialen Bewegungen am nationalen Ort werden durch die negativen Auswirkungen der Globalisierung nicht nur zu neuem Leben erweckt; sie treten nun auch global in Erscheinung.
Ein vorläufiger Höhepunkt der Massenproteste gegen die "Globalisierung der Reichen" waren die - in Genua/Italien in Anlehnung an das Buch "No Logo!" von Naomi Klein so genannten - no global-Demonstrationen im Juli 2001.
Neu sind vor allem der globale Charakter und die beeindruckenden Teilnehmerzahlen der Massenproteste, die Menschen aus sehr vielen Ländern mit ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft (von Studierenden, Schülern und Bauern, Arbeitnehmern und new professionals über NGOs und Gewerkschaften bis zu Kirchen) vereinen. Die Heterogenität der Bewegung einer "Globalisierung von unten"
Der Protest richtet sich aber - und hier besteht der gemeinsame Anknüpfungspunkt - in erster Linie gegen die Art und Weise, wie der Globalisierung der wirtschaftlich Mächtigen ihr Lauf gelassen wird und wie Regeln unter Missachtung demokratischer Verfahren und oftmals unter Ausschluss der Öffentlichkeit gesetzt werden, die den mächtigen ökonomischen Interessen nutzen, aber den breiten Massen, zumal in den ärmeren Weltregionen, eher Nachteile bringen. Die neoliberalen Versprechen von den positiven Wohlfahrtseffekten der Globalisierung haben sich jedenfalls nicht eingestellt. Im Gegenteil: Die unbestreitbare Zunahme der Ungleichheit in der Welt,
Wo zuvor von offizieller Seite begrüßt, ja dazu aufgefordert wurde, dass sich die Zivilgesellschaft einmischt, klingen nun allerdings verhaltenere Töne an. In der "Transformation" der Zivilgesellschaft hat sich diese nämlich radikalisiert. Antikapitalistische und antiinstitutionelle Forderungen wurden laut, die der "Offensive des Lächelns" nicht nachgegeben haben.
Dessen ungeachtet hat sich seit 1998 ein neuer Organisationstyp globalisierungskritisch in die Debatten um die "harten" Themen mit Erfolg eingemischt: das Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte, Attac.
Anknüpfungspunkt für die politischen Auseinandersetzungen ist dabei nicht mehr das Parlament, der Betrieb oder die Straße. Dieser "lokale Ort" ist den Bewegungen, von denen Attac nur ein Teil ist, eher abhanden gekommen. Heute sind es die symbolischen und "globalen Orte", an denen die Tagungen der G 7/G 8 oder des Weltwirtschaftsforums stattfinden und die den Fokus der Proteste bilden. Dort wird die globalisierungskritische Bewegung sich ihrer selbst in ihrer ganzen Vielfalt ansichtig, was für ihre weitere Dynamik wichtig ist; nur so gelangt sie zu einer einigermaßen realistischen Einschätzung eigener Stärken und Schwächen.
Die globalisierungskritische Bewegung scheint somit die Lehren aus den neunziger Jahren gezogen zu haben: NGOs werden nicht gebraucht, wenn die Nationalstaaten ihre "harten" ökonomischen Interessen zu verwirklichen suchen oder militärische Macht zur Durchsetzung ihrer Ziele einsetzen. Nur in den Feuerpausen und nach Ende der Kriegshandlungen können sie die humanitäre Katastrophe lindern, die jeder Krieg mit sich bringt. Die US-amerikanische Außenpolitik, die ganz auf die immer weiter gehende Liberalisierung der Märkte setzt und sich aus Abkommen zu verabschieden trachtet, für die sich gerade auch NGOs stark gemacht hatten - zuletzt aus der Biowaffen-Konvention -, weist auf einen dramatischen Wandel in der Weltpolitik hin: weg vom Multilateralismus hin zum Unilateralismus US-amerikanischer Prägung. Die positiven Ansätze einer global governance stehen auf Grund der neuen weltpolitischen Turbulenzen auf wackeligen Beinen. Und es ist keinesfalls gesichert, dass die Dynamik der globalen Protestbewegung anhalten wird. Sollte das allerdings der Fall sein, müsste NGO zukünftig anders buchstabiert werden - nämlich als "New Global Opposition".