Einleitung
Seit den neunziger Jahren ist die Einsicht gewachsen, dass die bislang weitgehend ungezügelte Eigendynamik der wirtschaftlichen Globalisierung eines politischen Ordnungsrahmens bedarf, der die ökonomischen Prozesse in umfassendere gesellschaftliche Ziele einbindet.
Vor diesem Hintergrund haben international aktive, politisch agierende NGOs,
I. Ambivalente Zwischenbilanzen
Die politischen NGOs verstehen sich als Akteure einer "internationalen Zivilgesellschaft". Ihr Beitrag zur Demokratisierung der internationalen Politik sollte jedoch realistisch eingeschätzt werden. Positiv schlägt zu Buche: NGOs beteiligen sich als eigenständige Kraft an der Entwicklung neuer Kooperationsformen mit staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren in internationalen Regimen,
Doch ist trotz dieser unbestreitbar demokratisierenden Leistungen der NGOs vor allzu euphorischen Zwischenbilanzen zu warnen. So macht etwa ein Blick auf die oftmals kargen materiellen Politikergebnisse - man denke nur an die des Rio-Prozesses - deutlich, dass mächtige Nationalstaaten und Staatengruppen wie auch Wirtschaftsakteure weiterhin zentrale Akteure in der internationalen Arena sind. Die wachsende Zerklüftung und Unüberschaubarkeit der internationalen Politik ist zwar günstig für Wachstum und Beteiligung von NGOs in einzelnen internationalen Regimen, doch ist sie zugleich auch Ausdruck einer Schwächung politischer Regulierungsmöglichkeiten insgesamt. Skeptiker sprechen in diesem Zusammenhang von einer sich abzeichnenden Anarchie der internationalen Politik. NGOs sind zudem oftmals nur Erfüllungsgehilfen staatlicher Interessen oder einer Politik der Privatisierung von Entwicklungshilfe und humanitären Programmen: Staaten wie Wirtschaft nutzen Fachkompetenz, Flexibilität, Effektivität und das öffentliche Ansehen der NGOs.
NGOs neigen dazu, sich von breiter Beteiligung abzuschirmen. Da ihr Einfluss - und oft auch ihre Einnahmen (Spenden) - abhängt von öffentlicher Aufmerksamkeit, orientieren sie sich an Gesetzmäßigkeiten und Selektivitäten der Massenmedien: Eine professionelle Medienarbeit - ob in der Inszenierung von Medienereignissen oder bei der Durchführung von Kampagnen - kommt ohne die Beteiligung einer großen Zahl von Aktiven aus. Die ungleich bessere Ressourcenausstattung der NGOs des Nordens gegenüber denen des Südens (Geld, Medien, qualifiziertes Personal etc.) macht schließlich darauf aufmerksam, dass die globale Zivilgesellschaft ihre eigenen Formen der Dominanz kennt. Dies bezieht sich auch auf die Auswahl und Deutung der Themen von NGOs. So betonen NGOs des Nordens beispielsweise die zivilen und politischen Menschenrechte, während NGOs des Südens die Bedeutung sozialer Menschenrechte hervorheben.
II. NGOs als Akteure der "internationalen Zivilgesellschaft"
Kritiker weisen immer wieder darauf hin, dass die NGOs nicht durch Wahlen legitimiert sind. Hinter dem Deckmantel der Vertretung allgemeiner Interessen - so die Kritik - kaschieren sie oftmals partikulare Anliegen, und hinter dem Mantel öffentlichen Ansehens verberge sich eine oft unterschätzte ökonomische Macht, die den jeweils vertretenen Forderungen politisch Nachdruck verleihen kann.
Die Bedeutung des außerparlamentarischen bürgerschaftlichen Engagements zivilgesellschaftlicher Akteure im nationalstaatlichen Rahmen wird mittlerweile parteiübergreifend anerkannt.
Der Vorwurf mangelnder Legitimität der NGOs ist oftmals Teil einer interessierten Diffamierungsstrategie. Denn es ist gerade das strukturelle Legitimitätsproblem internationaler Politik, das die NGOs durch ihre an die Öffentlichkeit adressierte Arbeit offen legen: Angesichts der zunehmenden Bedeutung von in inter- und supranationalen Institutionen getroffenen Entscheidungen ist es den von diesen Entscheidungen Betroffenen nicht möglich, sich am Entscheidungsprozess politisch zu beteiligen. Die nationalstaatlichen Demokratien sind durch den Globalisierungsprozess in zunehmendem Maße mit einer Abnahme von Entscheidungskompetenzen konfrontiert, die in inter- und supranationale Institutionen und regimespezifische Governance-Strukturen abwandern. Die Legitimationsdecke internationaler Politik ist dünn. Angesichts anwachsender globaler Probleme - von einer ständig wachsenden weltweiten Ungleichheit über den Schwund lebenswichtiger Ressourcen bis zu immer weiter steigenden Umweltbelastungen - stellt sich daher, so Ernst Ulrich von Weizsäcker, "nicht nur das Legitimitätsproblem der NGOs, sondern auch das Legitimitätsproblem einer Weltordnung, die Millionen von Menschen und weite Teile der Umwelt auf die Verliererstraße schickt"
NGOs tragen zur Entwicklung einer globalen Öffentlichkeit bei. Diese sich verdichtenden Kommunikationsbezüge sind die Voraussetzung für Lernprozesse, die das Zusammenwachsen der Welt zu einer moralischen Gemeinschaft fördern. Ob diese moralische Gemeinschaft sich darauf beschränken muss, eine die kulturellen Differenzen überspannende dünne Minimalmoral auszubilden, die den Schutz vor Grausamkeit, Tyrannei, Folter, leiblicher Unterdrückung, seelischem Terror, Vertreibung und Unterdrückung vorsieht, oder ob sie einen am Diskurs der Menschenrechte orientierten, weiter reichenden moralischen Universalismus zu fördern vermag, ist derzeit ein herausragendes Thema der Diskussion über die Möglichkeiten der Ausbildung einer "Weltgemeinschaft".
III. NGOs und transnationale soziale Bewegungen
Ein kurzer historischer Rückblick macht deutlich, dass viele der heute einflussreichen politischen NGOs des Nordens aus den neuen sozialen Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre (Menschenrechts-, Solidaritäts-, Friedens-, Umwelt-, Frauenbewegung) entstanden sind. Sie verdanken sich einem Institutionalisierungs-, Professionalisierungs- und Spezialisierungsschub.
Die neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts können im Rückblick als das "Jahrzehnt der NGOs" gelten. Sie waren geprägt von den großen UN-Weltkonferenzen und einer Aufbruchsstimmung, die sich vor allem der Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio verdankte. In dieser Phase wurde die Mitarbeit, Expertise und Lobbytätigkeit der NGOs in den institutionalisierten Arenen der internationalen Politik nahezu selbstverständlich. In Vergessenheit zu geraten drohte in dieser Phase beinahe, dass NGOs darauf angewiesen bleiben, im Anschluss an nationale Bewegungsnetzwerke gegebenenfalls öffentliche Proteste anzustoßen und ihre Lobby- und Beratungstätigkeit bei Bedarf mit Protestmobilisierung und internationalen Kampagnen zu verbinden. Anderenfalls droht ihnen der Verlust an öffentlicher Aufmerksamkeit und politischem Einfluss. Doch nicht nur die politische Stärke der NGOs wird durch eine solche Abkopplung gefährdet. Es drohen auch die Gefahren der Spezialisierung und Professionalisierung.
Bei den Akteuren der Proteste in Seattle, Prag, Göteborg und Genua handelt es sich bislang keineswegs um eine miteinander eng vernetzte, kompakte globalisierungskritische Bewegung, sondern "um ein Sammelsurium von teils lose verknüpften, teils völlig unverbundenen Gruppen, Netzwerken und Einzelbewegungen, die sich vorzugsweise anlässlich von Gipfeltreffen der etablierten Politik zusammenfinden"
Die NGOs sind strategisch darauf angewiesen, sich zwischen politischer Lobbyarbeit und öffentlichkeitswirksamen Straßenprotest zu platzieren. Aussichtsreich erscheint dabei eine Doppelstrategie, die den NGOs freilich künftig erhebliche Anstrengungen abverlangt und strukturell nicht konfliktfrei sein kann: Es gilt Elemente einer anwaltschaftlichen, auf Mittel der Lobbyarbeit, Expertise und Beratung zurückgreifenden Politik mit Elementen einer Vernetzungs- und mobilisationsorientierten Politik zu verknüpfen und den Kontakt zu den sich derzeit formierenden globalisierungskritischen Bewegungen zu halten.