Die Ausgrenzung wohnungsloser Menschen hat eine lange Tradition in Deutschland. Kulminiert ist sie in der jüngeren Geschichte in ihrer Vernichtung in den Konzentrationslagern im Nationalsozialismus. Dort mussten sie den schwarzen Winkel für die sogenannten Asozialen tragen, ein Sammelbegriff unter anderem für "Landstreicher", Bettler und Zuhälter. Es kann nicht mehr recherchiert werden, wie viele Menschen dies insgesamt betraf, aber nach Schätzungen des Historikers Wolfgang Ayaß waren es vermutlich mehr als zehntausend Personen. Eine Wiedergutmachung haben die Überlebenden bis heute nicht erhalten. Aktuell haben mehr als zehntausend Menschen aus vielen Professionen eine Petition unterschrieben, die von Wissenschaftler_innen und Mitarbeiter_innen von KZ-Gedenkstätten initiiert wurde. Appelliert wird an die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und FDP, auch den "Asozialen" und "Berufsverbrecher_innen" die Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus auszusprechen. Für Entschädigungen ist es aufgrund der langen Wartezeit vermutlich zu spät. Dass bisher nichts passiert ist, hat vor allem damit zu tun, dass die gesetzliche Grundlage für die Kriminalisierung wohnungsloser Menschen im Nationalsozialismus der bereits seit 1871 geltende Paragraf 361 Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich war. Mit ihm konnte Landstreicherei mit bis zu sechs Wochen Haft bestraft werden. Diese Gesetzesnorm wurde in der Bundesrepublik Deutschland erst 1974 gestrichen. In der DDR wurden nach Paragraf 249 Strafgesetzbuch wohnungslose Menschen bis zur Wiedervereinigung 1990 als "asozial" diffamiert und kriminalisiert.
Heutzutage haben wohnungslose Menschen in Deutschland einen einklagbaren Anspruch auf Unterbringung in einer Notunterkunft, gleichzeitig können sie nicht gegen ihren Willen untergebracht werden. Diese rechtliche Absicherung ist in Europa einzigartig. Nichtsdestotrotz werden wohnungslose Menschen in unserer Gesellschaft weiterhin ausgegrenzt, stigmatisiert und zum Teil in ihrer Existenz bedroht. In diesem Beitrag zeige ich auf, welche Ausgrenzungs- und Stigmatisierungserfahrungen wohnungslose Menschen in Deutschland machen, welche Ursachen hierfür identifiziert werden können und welche Herausforderungen dies nicht nur an die Soziale Arbeit, sondern auch an Politik, Medien und die Zivilgesellschaft stellt.
Nach einer kurzen Begriffsklärung zu Wohnungslosigkeit und Ausgrenzung werden Vorurteile gegen wohnungslose Menschen aufgezeigt, die sich in der Medienberichterstattung, aber auch im Umgang der Politik mit dieser heterogenen Gruppe widerspiegeln beziehungsweise durch diese noch befeuert werden. Als eine der Folgen wird auf die Ausgrenzung wohnungsloser Menschen am Wohnungsmarkt eingegangen. Eine besondere Dimension von Ausgrenzung wird anschließend mit der Verdrängung aus dem öffentlichen Raum beschrieben, die verstärkt auch wohnungslose EU-Bürger_innen aus Südosteuropa trifft. Als bedrohlichste Form der Ausgrenzungserfahrung wohnungsloser Menschen wird danach auf die Gewalt gegen vor allem auf der Straße lebende Menschen eingegangen, bevor abschließend Schlussfolgerungen aus den beschriebenen Erkenntnissen gezogen werden.
Wohnungslosigkeit und Ausgrenzung
In Deutschland existiert keine gesetzliche oder amtliche Bestimmung des Begriffs "wohnungslos". Einschlägig und deutschlandweit genutzt ist die Definition der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W), nach der Menschen wohnungslos sind, die nicht über mietvertraglich gesicherten Wohnraum oder Eigentum verfügen. Dies umfasst nicht nur Menschen, die auf der Straße oder in Notunterkünften leben, sondern beispielsweise auch jene, die temporär bei Freund_innen und Bekannten unterschlüpfen können beziehungsweise in Übergangswohnheimen oder betreuten Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe leben. Oft werden Menschen, die auf der Straße leben, auch als "obdachlos" bezeichnet. Diese Bezeichnung ist in Deutschland allerdings nicht eindeutig definiert und wird häufig diskriminierend gebraucht. Hinzu kommt, dass wohnungslose Menschen häufig in wechselnden Wohnsituationen wie Straße, Notübernachtung, temporärer Unterkunft oder betreutem Wohnen leben. Daher wird hier auf diese sprachliche Unterscheidung verzichtet. Wohnungslos im Sinne der vorgestellten Definition sind auch sogenannte Straßenjugendliche, wenn sie über keine mietvertraglich abgesicherte Wohnmöglichkeit verfügen. Diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind in der Regel Zielgruppe der Jugendhilfe, nicht der Hilfe für wohnungslose Menschen.
Unter "Ausgrenzung", "sozialer Ausgrenzung" oder "Exklusion" wird ein dynamischer Prozess des Ausschlusses aus gesellschaftlichen Zusammenhängen verstanden. Der französische Soziologe Robert Castel definierte in diesem Zusammenhang ein Koordinatensystem sozialer Verhältnisse: die Zone der Integration, die Zone der Verwundbarkeit, die Zone der Fürsorge und die Zone der Exklusion beziehungsweise Entkoppelung. Es geht also weniger um ein "draußen oder drinnen" als um die Verortung zwischen "oben und unten". Dabei ist der Begriff der Ausgrenzung weniger mit materiellen Kategorien verknüpft als die meisten Armutsdefinitionen. Aus Sicht der Systemtheorie ist Exklusion ein "multidimensionaler, kumulativer und sequenziell vernetzter Vorgang eines Ausschlusses aus einer Mehrzahl von Funktionssystemen". Es kommt also zu keinem Ausschluss aus der Gesellschaft insgesamt, sondern nur aus einzelnen Teilsystemen. Ein erwerbsloser Mensch ist beispielsweise aus dem Teilsystem Arbeit exkludiert, aber möglicherweise in das Teilsystem Sozialhilfe inkludiert.
Ausgrenzungsprozesse basieren oft auf dem Verlust der Erwerbsarbeit. Der Soziologe Martin Kronauer hat diesen Prozess als "Momente des Ausgrenzungsproblems" wie folgt beschrieben: Es kommt zunächst zu einer Marginalisierung am Arbeitsmarkt bis hin zum gänzlichen Ausschluss von Erwerbsarbeit. Dies führt zu einer Einschränkung der sozialen Beziehungen bis hin zur Vereinzelung und sozialen Isolation. Die Folge ist der Ausschluss von Teilhabemöglichkeiten an gesellschaftlich anerkannten Lebenschancen und Lebensstandards. Ausgrenzungserfahrungen und -folgen greifen dabei sukzessive ineinander und können Gefühle der Nutzlosigkeit erzeugen. Der Nutzen von Menschen ist allerdings die Grundlage ihrer Anerkennung in unserer Gesellschaft, wie an der Stigmatisierung von langzeitarbeitslosen, aber auch wohnungslosen Menschen deutlich wird. So werten vor allem Angehörige der Mittelschicht Gruppen ab, die ihrem Kosten-Nutzen-Kalkül widersprechen.
Nach dem kanadischen Soziologen Erving Goffman ist Stigmatisierung ein Prozess, in dem Personen zunächst kategorisiert, also in bestimmte "Schubladen" gesteckt werden. Im Folgenden werden den so entstandenen Kategorien wie beispielsweise "wohnungslose Menschen" bestimmte Eigenschaften zugewiesen. Das Stigma ist also nicht, wie ursprünglich im Wortsinn gemeint, ein zugefügtes körperliches Merkmal zur Sichtbarmachung beispielsweise von Verbrecher_innen, sondern ein Konstrukt von Merkmalen und vermeintlichen Eigenschaften. Da Stigmatisierung immer diskreditierend gemeint ist, sind dies durchgängig negative Attribute. Wohnungslose Menschen haben Ausgrenzungs- und Stigmatisierungsprozesse häufig schon lange vor dem Verlust ihrer Wohnung gemacht. So waren (und sind) sie beispielsweise überwiegend arbeitslos und bezogen (und beziehen) Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld II ("Hartz IV"). Die Wohnung beziehungsweise gesicherte Wohnmöglichkeit zu verlieren, heißt dann für viele, "am Ende" angekommen zu sein. Entsprechend groß ist in vielen Fällen die Scham, es "nicht geschafft" zu haben.
Vorurteile gegenüber wohnungslosen Menschen
Wohnungslose Menschen werden häufig als "Penner" bezeichnet oder mit noch verächtlicheren Schimpfworten belegt. Ihnen wird oft pauschal unterstellt, schmutzig und alkoholabhängig zu sein. Wie eine repräsentative Langzeitstudie zur sogenannten Ideologie der Ungleichwertigkeit um den Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer gezeigt hat, gibt es vor allem gegenüber auf der Straße lebenden wohnungslosen Menschen (in der Studie als "Obdachlose" bezeichnet) massive Vorurteile. So waren im zehnten und letzten Durchgang deutschlandweit zwischen 30 und 38 Prozent der Befragten der Ansicht, die meisten Obdachlosen seien arbeitsscheu und unangenehm, und bettelnde Obdachlose sollten aus den Fußgängerzonen entfernt werden (s. Tabelle). Die Abwertung wohnungsloser Menschen blieb damit seit dem Start der Untersuchung in 2002 insgesamt nahezu unverändert. Die Zuschreibungen gehen einher mit einer massiven Abwertung, aber auch der Verweigerung gleicher Rechte.
Nun gibt es wohnungslose Menschen, auch auf der Straße lebende, die nach Arbeit suchen oder sogar über eine Arbeitsstelle verfügen. Viele von ihnen werden gar nicht als wohnungslos erkannt. Sie sind gepflegt und gut angezogen, einige haben einen akademischen Hintergrund oder eine andere Biografie, in der sie schon einmal bessere Zeiten gesehen haben. Die Zuschreibung als "arbeitsscheu" und "unangenehm" entspricht nicht ihrem Selbstbild (wie übrigens auch nicht dem aller anderen wohnungslosen Menschen), aber sie nehmen sehr wohl die Stigmatisierung wahr. Das von außen an sie herangetragene Stigma führt zu einer Abwertung ihrer Person. Nach Goffman stimmt in diesem Fall die selbst empfundene Identität nicht mit der von außen zugeschriebenen Identität überein. Eine klassische Folge dieses Prozesses ist im sogenannten labeling approach oder auch Etikettierungsansatz beschrieben. Danach verhalten sich stigmatisierte Menschen irgendwann so, wie die Gesellschaft es von ihnen erwartet beziehungsweise gemäß den von ihnen angenommenen Erwartungen. Sie übernehmen also die Verhaltensweisen, die ihnen von Dritten zugeschrieben wurden. Oder, wie es die Soziologen Hartmut Häussermann und Martin Kronauer formuliert haben: "Der ‚Kündigung durch die Gesellschaft‘ wird resigniert oder trotzig eine ‚Kündigung gegenüber der Gesellschaft‘ entgegengehalten." Ein sich selbst ausgrenzendes Verhalten wird entwickelt. Dies kann beispielsweise dazu führen, dass sich manche auf der Straße lebende Menschen nicht waschen oder ihre Kleidung wechseln, obwohl es, zumindest in den großen Städten, niedrigschwellige Treffpunkte und andere Angebote für wohnungslose Menschen gibt, in denen sie kostenlos und anonym duschen und sich neu einkleiden können.
Durch die Ausgrenzungserfahrungen und den erlittenen Statusverlust kann es zu Umwandlungsprozessen kommen, in denen der nächst Schwächere zum Opfer wird. Verlierer_innen schaffen neue Verlierer_innen, um sich selbst aufzuwerten, das heißt die eigene Ungleichheit wird in eine Abwertung anderer Gruppen transformiert. Heitmeyer hat dies als ein "Instrument der Ohnmächtigen" bezeichnet. Im Kontext wohnungsloser Menschen kann diese Transformation beispielsweise in der Abwertung geflüchteter Menschen oder wohnungsloser Menschen aus Südosteuropa identifiziert werden. Für Letztere addieren sich die Vorurteile, was sie zu einer noch schwächeren Gruppe macht, die gleich mehrere Außenseiterkategorien erfüllt.
Rechtsextreme Gruppen schüren diese Konkurrenz, indem sie beispielsweise Schlafsäcke und Lebensmittel explizit nur an deutsche Wohnungslose verteilen. Subtiler geht die Partei AfD vor, die in Anfragen in Landesparlamenten ihre Fragen oft differenziert nach deutschen und nichtdeutschen Wohnungslosen stellt. Dabei werden auch "teils gewalttätig[e] Verteilungskonflikte zwischen bedürftigen Deutschen und Migranten im Umfeld sozialer Hilfsangebote" beschrieben. Die "Konkurrenz" zwischen deutschen und ausländischen Wohnungslosen um die wenigen Ressourcen wird nicht selten auch durch das Hilfesystem selbst befördert, wenn Sozialarbeiter_innen teilweise ihre "angestammte Klientel" gegen EU-Bürger_innen aus Südosteuropa ausspielen. Mit den Problemen, die mit der neuen Zielgruppe auftauchen, werden sie allerdings meistens von der Politik alleingelassen. Konkurrenz entsteht aber nur dann, wenn es einen Mangel gibt. Ursache hierfür sind also vor allem strukturelle Defizite wie fehlender Wohnraum. Dies wird nachfolgend zunächst an der Ausgrenzung wohnungsloser Menschen vom Wohnungsmarkt aufgezeigt.
Ausgrenzung vom Wohnungsmarkt
In Zeiten der Wohnungsnot ist bezahlbarer Wohnraum eine der begehrten Ressourcen, um die arme und andere benachteiligte Menschen konkurrieren. Vor allem in den Städten haben Arbeitslosengeld-II-Empfänger_innen kaum eine Chance, auf dem freien Markt eine Wohnung zu ergattern, die den sogenannten Angemessenheitskriterien der Jobcenter genügt. Haben sie eine negative Schufa-Auskunft, sinken ihre Aussichten gegen Null. Wohnungslose Menschen sehen sich darüber hinaus mit den oben genannten Stigmatisierungen konfrontiert, die ihnen auch von Vermietern (inklusive der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften) oft sehr deutlich entgegenschlagen. Hiervon erzählten ehemals wohnungslose Menschen in Berlin in einer Interviewstudie. Sie berichteten unter anderem von wenig wertschätzenden bis respektlosen Begegnungen mit Vermietern und fühlten sich "teilweise wie ‚Dreck‘ behandelt". Auch im Vorfeld der Wohnungssuche, beispielsweise bei der Vorsprache in den Jobcentern, fühlten sich einige der Interviewten unverstanden und nicht unterstützt. Selbst in Programmen, die speziell für die Wohnungsversorgung wohnungsloser Menschen konzipiert sind, werden Ausgrenzungserfahrungen von den Betroffenen gemacht und sogenannte Creaming-Effekte beobachtet: Unter den marginalisierten Bewerber_innen werden sich die Rosinen herausgepickt. Denn "arbeitsscheue" und "unangenehme" Mieter_innen möchte kein Vermieter haben. Für die Betroffenen bedeutet diese permanente Abweisung Stress. Viele geben daher schon im Vorfeld auf und bewerben sich erst gar nicht mehr um Wohnraum. Daraus kann für Außenstehende schnell der Eindruck entstehen, sie würden sich "nicht kümmern" – eine weitere negative Zuschreibung ist damit erfolgt. Parallel kommt es durch die Selektionsprozesse auf dem Wohnungsmarkt zur Problemkonzentration in benachteiligten Quartieren. Dieser sozialräumliche Aspekt von Ausgrenzungsprozessen wird Segregation genannt und ist eng verbunden mit der Verdrängung aus dem öffentlichen Raum.
Verdrängung aus dem öffentlichen Raum
Nicht nur vom Wohnungsmarkt werden wohnungslose Menschen ausgegrenzt, auch aus dem öffentlichen Raum werden sie verdrängt. Wie in privatisierten Räumen, beispielsweise in Shopping Malls umgewandelte Einkaufsstraßen, wird es wohnungslosen Menschen auch im öffentlichen Raum bereits seit vielen Jahren ungemütlich gemacht. So wird beispielsweise die Stadtmöblierung in den Innenstädten so umgestaltet, dass man sich auf ihnen nicht mehr ausruhen kann. Unbequeme Schalensitze ersetzen die klassischen Bänke. Hinzu kommen regelmäßige Kontrollen durch Ordnungsämter und Sicherheitsdienste sowie Aufenthaltsverbote und Platzverweise. Fast perfide zu nennen sind darüber hinaus Verdrängungsstrategien wie die Beschallung beliebter Aufenthaltsorte wohnungsloser Menschen mit lauter klassischer Musik, die unter anderem für den Hamburger Hauptbahnhof beschrieben wurden.
Um nicht aufzufallen, machen sich wohnungslose Menschen unsichtbar. Haben sie auch tagsüber keine Möglichkeit, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten, fahren manche von ihnen mit Aktentasche und Anzug im öffentlichen Nahverkehr hin und her und erwecken so den Anschein, auf dem Weg zur Arbeit zu sein. Bei wohnungslosen Frauen wird oft von "verdeckter" oder "versteckter" Wohnungslosigkeit gesprochen, da sie teilweise bewusst nicht die Angebote des Hilfesystems nutzen. Viele von ihnen gehen lieber sogenannte Zwangspartnerschaften ein, als in eine Wohnungslosenunterkunft zu ziehen. Sie haben dort keine mietvertraglichen Rechte, werden von ihren meist männlichen Partnern (auch sexuell) ausgebeutet und können jederzeit auf der Straße landen. Hintergrund für die Entscheidung, sich unsichtbar zu machen, ist bei diesen Frauen häufig die Scham, als wohnungslos erkannt zu werden und damit negativen Zuschreibungen ausgesetzt zu sein. Sichtbar wohnungslos bleiben häufig nur die psychisch stark belasteten betroffenen Frauen, die "[d]en Schein der Normalität" nicht mehr aufrechterhalten können. Dies gilt im Übrigen genauso für Männer und trans*Personen. Sie prägen damit auch das öffentliche Bild wohnungsloser Menschen auf der Straße.
Kräftezehrend wird es vor allem dann, wenn Menschen den öffentlichen Raum zu ihrem Schlafzimmer machen (müssen). Wie oben bereits erläutert wurde, ist in Deutschland niemand verpflichtet, ein Dach über dem Kopf zu haben, was sich unter anderem aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz ableiten lässt. Das bedeutet aber nicht, dass wohnungslose Menschen einfach so auf der Straße oder in Parks nächtigen dürfen. Zwar ist das Betreten und Sich-Fortbewegen im innerstädtischen Raum erlaubnisfrei möglich, aber das längere Liegen oder das Lagern in Gruppen kann schon verboten sein. In der Regel wird das Campieren wohnungsloser Menschen im öffentlichen Raum, selbst in den noch restriktiver geregelten Grünanlagen, jedoch von den Ordnungsbehörden geduldet. Vor allem in größeren Städten wie Frankfurt am Main, Hamburg und Berlin sind in der letzten Zeit nicht mehr nur einzelne Biwaks und Zelte in den Parks zu sehen, sondern haben sich ganze Zeltstädte entwickelt. Die Duldung dieser draußen campierenden wohnungslosen Menschen ist auch der Tatsache geschuldet, dass eine Unterbringungsverpflichtung des Staates bei unfreiwilliger Wohnungslosigkeit besteht. Die Räumung eines Zeltes würde also eigentlich zum unmittelbaren Nachweis einer Notunterkunft führen müssen.
Am Beispiel von Berlin kann gezeigt werden, wie ein solches "Agreement" ganz schnell vonseiten der politisch und administrativ Verantwortlichen aufgekündigt werden kann. So überschlugen sich ab Sommer 2017 die Berliner, aber auch die überregionalen Medien mit Berichten über wohnungslose Menschen im Berliner Tiergarten. Was war passiert? Immer mehr wohnungslose Menschen wurden auf der Straße und in den Parks für jeden sichtbar, ohne dass ihre genaue Zahl offiziell bekannt war und ist. Ein Bezirksbürgermeister schritt zur Tat und proklamierte in den darauf begeistert einsteigenden Medien, dass nun durchgegriffen werden solle. In den Medienberichten ging es dann nicht mehr nur um wohnungslose Menschen, sondern um "aggressive Obdachlose", "Verstecke von Wohnungslosen" sowie "Drogenhandel, Müllberge" und sogar: "Mord". Da es unter anderem auch um südosteuropäische Wohnungslose ging (und weiterhin geht), wurden (und werden weiterhin) nicht nur Zelte abgeräumt, sondern zudem mit Abschiebung gedroht. Diese setzt jedoch die "Feststellung des Nichtbestehens der Freizügigkeitsberechtigung" voraus, was nur aufgrund von Straftaten mittelschwerer und schwerer Kriminalität erfolgen kann. Auch die EU-Kommission hat vor Kurzem bestätigt, dass rough sleeping, also das Nächtigen auf der Straße, nicht das Recht auf Freizügigkeit der EU-Bürger_innen beeinträchtigt.
Gleichzeitig führen Vertreibungen aus dem öffentlichen Raum nur zur Problemverlagerung, wie ein Berliner Streetworkträger in einem seiner Jahresberichte anschaulich beschreibt: "Nach relativ kurzer Zeit tauchten verdrängte Menschen an der gleichen Stelle wieder auf, an der sie vorher schon waren. Von daher kann man sagen, dass repressive Politik gegenüber Wohnungslosen gänzlich ineffizient ist, da mit hohem Aufwand Ziele nicht erreicht und Probleme nicht gelöst werden."
Rolle der Medien
Vorurteile entwickeln sich nicht von selbst, sie werden unter anderem durch die Medien geprägt. Neben der Diskussion der Rechtmäßigkeit vertreibender Maßnahmen ist daher interessant, wie die Umdefinition von Problemen auch durch die Medien erfolgt, wie das Beispiel aus dem Berliner Tiergarten zeigt: Wohnungslose Menschen campieren im öffentlichen Raum. Einigen von ihnen, vor allem solchen aus Südosteuropa, wurde vorab die Unterbringung in einer (Not-)Unterkunft von den zuständigen Sozialämtern verweigert. Andere ziehen die Straße oder den Park einer Wohnungslosenunterkunft vor – aus welchen Gründen auch immer. Durch die Medien werden diese wohnungslosen Menschen, die von ihnen sonst auch gern als Opfer dargestellt werden, zu Tätern gemacht. Aus einem sozialen Problem wird ein ordnungs- und strafrechtliches Problem, das durch die Tatsache befeuert wird, dass auch Ausländer_innen betroffen sind. Das ist ein Thema (nicht nur) für Rechtspopulisten, die seither vor allem in den sozialen Medien verstärkt die Vorrangigkeit der Hilfe für deutsche Wohnungslose fordern.
Die Geografin Sandra Wolf hat in einer Expertise zu wohnungslosen Menschen auf der Straße ebenfalls aufgezeigt, dass in den Medien aufgegriffene markige Sprüche von Politiker_innen die Wahrnehmung wohnungsloser Menschen im öffentlichen Raum beeinflussen. Die Berichterstattung kennzeichne sich durch Ambivalenz: "[I]n Abhängigkeit von den Jahreszeiten wird entweder ein besorgt-mitleidender oder ein genervt-repressiver Ton angeschlagen." Öffentlichkeitswirksame Einzelfälle würden ein stereotypes Bild von wohnungslosen Menschen vermitteln. Über die "Individualisierung der Schuldfrage" können repressive Maßnahmen gegen wohnungslose Menschen der Gesellschaft zudem besser vermittelt werden. Wurde anhand der Berichterstattung über den Berliner Tiergarten aufgezeigt, wie ein "genervt-repressiver Ton" von den Medien angeschlagen werden kann, werden im Winter Dokumentationen über "Obdachlose" und ihre – gern ehrenamtlich tätigen – Unterstützer_innen gezeigt. Über den ersten Kältetoten (es sind in der Regel Männer) wird ausführlich berichtet, und unvergessen ist die Schlagzeile der "Taz" aus dem Februar 2012: "Noch ist niemand erfroren." In beiden vorgestellten Fällen erfolgen durch die Medien die oben beschriebenen Zuschreibungsprozesse – unabhängig davon, ob die Betroffenen als Täter_innen oder Opfer präsentiert werden. Seriöse Dokumentationen über wohnungslose Menschen, in denen sie als handelnde Subjekte dargestellt werden, gibt es wenige. Das Thema Wohnungslosigkeit wird, beispielsweise von den privaten TV-Sendern, eher reißerisch vermarktet. Auch im laut Selbstbeschreibung "provokanten Onlinespiel" "Pennergame" werden die oben beschriebenen Stereotypen vom saufenden und kriminellen Wohnungslosen reproduziert.
Gewalt gegen wohnungslose Menschen
So wie Wohnungslosigkeit als existenziellste Armutslage angesehen werden kann, sind Gewalttaten gegen wohnungslose Menschen die massivste Folge von Ausgrenzungsprozessen, wenn sie keine Beziehungstaten sind, sondern als sogenannte Hasskriminalität identifiziert werden können. Diese bezeichnet Straftaten, die politisch motiviert sind und sich gegen Personen als Angehörige einer Gruppe richten, die beispielsweise aus Gründen ihrer Nationalität oder Religion, aber auch aufgrund ihres gesellschaftlichen Status angegriffen werden. Ein inoffizieller Begriff hierfür ist "Vorurteilskriminalität". 2016 ist nach Erhebungen der BAG W in mindestens 128 Fällen Gewalt gegen wohnungslose Menschen in Deutschland verübt worden, darüber hinaus gab es 17 Todesfälle durch Gewalteinwirkung. In mehr als der Hälfte der Fälle waren die Täter_innen selbst nicht wohnungslos, hier spielten nach Erkenntnis der BAG W häufig menschenverachtende Motive eine zentrale Rolle. Unter den Todesopfern rechtsextremer Gewalt seit 1990 stellten wohnungslose Menschen etwa 20 Prozent.
Es ist allerdings bekannt, dass wohnungslose Menschen in der Mehrheit Übergriffe nicht von selbst anzeigen. Hasskriminalität hat auch eine einschüchternde Wirkung, denn sie ist grundsätzlich ein Angriff auf die Identität der Opfer. Zudem haben viele sichtbar wohnungslose Menschen schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht, die sie in der Regel als sogenannte Störer_innen der öffentlichen Ordnung ansieht. Um sie als Opfer sichtbarer zu machen, plädiert der Journalist Lucius Teidelbaum dafür, "Obdachlose als eigene Kategorie von Opfern rechter Gewalt anzuerkennen". Im Zusammenhang mit Gewalttaten gegen wohnungslose Menschen kommt es laut Teidelbaum zur scheinbaren Bestätigung der Vorurteile der Täter_innen, denn "nur Obdachlose, die dem beschriebenen Stereotyp entsprechen, [werden] als solche erkannt". Wohnungslose Frauen sind auch aus diesem Grund häufiger Opfer von Beziehungstaten als von politisch motivierter Gewalt.
Schlussfolgerungen
Wohnungslose Menschen sind heutzutage massiven Ausgrenzungs- und Stigmatisierungsprozessen ausgesetzt. Die diesen zugrundeliegenden Zuschreibungsprozesse beruhen auf Vorurteilen gegen die vermeintlich homogene Gruppe "Wohnungslose" beziehungsweise "Obdachlose". Aktuelle Vorurteile entstehen in einer Gesellschaft aber nicht von selbst, sondern sie beruhen häufig auf unhinterfragten beziehungsweise nicht revidierten Kategorisierungen aus der Vergangenheit. So konnte anhand der Kontinuität der Ausgrenzung von wohnungslosen Menschen in der jüngeren deutschen Geschichte aufgezeigt werden, wie Vorurteile über Jahrzehnte bis Jahrhunderte weitergeschrieben beziehungsweise reproduziert werden. Eine besondere Verantwortung, wohnungslose Menschen nicht als homogene Gruppe mit von der Norm abweichenden Charaktereigenschaften und Merkmalen zu stigmatisieren, haben die politisch Verantwortlichen sowie die Medien. Gezeigt wurde allerdings, dass diese – übrigens auch in Bezug auf andere stigmatisierte Gruppen wie langzeitarbeitslose Menschen – oft in einer erschreckenden Einmütigkeit genau diese Bilder fort- und festschreiben.
Wohnungslose Menschen brauchen eine Lobby, sie müssen aber auch ermutigt werden, sich zusammenzuschließen und sich gegen Ausgrenzung und Stigmatisierung zu wehren. Ihre "natürlichen Verbündeten", nämlich in der Wohnungslosenhilfe arbeitenden Sozialarbeiter_innen, müssen sich dabei selbstreflexiv mit ihren eigenen Bildern ihrer Klientel auseinandersetzen. Häufig herrscht auch hier eine Defizitlogik vor, die die Betroffenen nicht als handelnde Subjekte wahrnimmt und damit weitere Ausgrenzungen erzeugt. Mit der Wahrnehmung des politischen Mandats Sozialer Arbeit und einem Zusammenschluss von der Zielgruppe gegenüber aufgeschlossenen Politiker_innen, Medienvertreter_innen, zivilgesellschaftlich engagierten Bürger_innen und den Betroffenen selbst könnte es gelingen, neue und individuelle Bilder wohnungsloser Menschen zu erzeugen – mit all ihren Problemlagen, aber auch vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen.