Wohnungslosigkeit in Deutschland im Spiegel der Problematik in anderen Ländern der Europäischen Union und vor dem Hintergrund der Diskussion auf europäischer Ebene zu betrachten, lässt Nachholbedarfe, Verbesserungspotenziale, aber auch Vorreiterfunktionen der Wohnungslosenhilfe und -politik in Deutschland sichtbar werden. Zunächst gehe ich auf die Definition von Wohnungslosigkeit in Deutschland und auf EU-Ebene ein, analysiere das quantitative Ausmaß und Entwicklungstendenzen von Wohnungslosigkeit und nenne Hintergründe für die Entwicklung. Im Anschluss beschreibe ich die Hilfesysteme und unterschiedlichen Rechtsansprüche von wohnungslosen und von Wohnungslosigkeit bedrohten Haushalten, bevor ich zum Abschluss einige beispielhafte Wohnungslosenpolitiken und Ansätze zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit in ausgewählten Ländern des europäischen Auslands sowie Beiträge zu deren Weiterentwicklung auf europäischer Ebene aufzeige.
Zur Definition von Wohnungslosigkeit
In Deutschland gibt es keine "offizielle" Definition von Wohnungslosigkeit. Es ist jedoch in Fachkreisen weitgehend anerkannt, dass es sich bei Wohnungslosen um Haushalte und Personen handelt, die als "Wohnungsnotfälle" nicht über eine eigene mietvertraglich abgesicherte Wohnung oder Wohneigentum verfügen und auf institutionelle Hilfe angewiesen sind, um sich eine normale Wohnung zu beschaffen und diese zu erhalten.
Die in Deutschland verbreitete Differenzierung der Wohnungslosen berücksichtigt auch die unterschiedlichen Formen der Versorgung mit vorübergehender Unterkunft. Es wird unterschieden in Wohnungslose, die institutionell untergebracht sind (im Rahmen des Ordnungsrechts oder durch Kostenübernahmen durch die Mindestsicherungssysteme) und solche, bei denen dies nicht der Fall ist (wie bei Straßenobdachlosen und Personen, die vorübergehend bei Verwandten und Bekannten unterkommen oder in Behelfsunterkünften leben). Bei statistischen Erhebungen wie der integrierten Wohnungsnotfallstatistik in Nordrhein-Westfalen werden die nicht institutionell untergebrachten Wohnungslosen allerdings nur dann erfasst, wenn sie bei Beratungsstellen freier Träger anhängig sind und mindestens einmal im Monat Juni des jeweiligen Jahres dort vorgesprochen hatten.
FEANTSA, die europäische Dachorganisation nationaler Nichtregierungsorganisationen, die mit Wohnungslosen arbeiten, hat 2005 in enger Kooperation mit dem European Observatory on Homelessness eine Europäische Typologie von Wohnungslosigkeit und Wohnausgrenzung vorgelegt, die unter der Kurzbezeichnung ETHOS
Die ursprünglich 13 wohnbezogenen Kategorien von ETHOS wurden im Rahmen einer EU-finanzierten Studie über die Messung von Wohnungslosigkeit in der EU
Wenn auch zwischenzeitlich in vielen Publikationen auf nationaler Ebene auf die Typologien ETHOS und ETHOS Light Bezug genommen wird, so werden längst nicht in allen Ländern der EU, etwa bei statistischen Erhebungen, auch alle erfassten Untergruppen einbezogen. Die Typologien erweisen sich jedoch beim Vergleich von Daten aus verschiedenen Ländern als ausgesprochen hilfreich, um zu verdeutlichen, welche Untergruppen von Wohnungslosen jeweils in die Statistiken einbezogen wurden und welche nicht.
Frauenhäuser bleiben beispielsweise, obwohl in der deutschen Definition von aktuell Wohnungslosen eingeschlossen, bei der Stichtagserhebung in Nordrhein-Westfalen unberücksichtigt. Ähnlich wie auch in zahlreichen anderen Ländern der EU grenzen sich die Träger von Frauenhäusern von der ihrer Ansicht nach stigmatisierenden Definition ihrer Klientinnen als "wohnungslos" ab und betonen, dass ihre Klientinnen eigentlich noch über eine Wohnung verfügen, von deren Nutzung aber durch gewalttätige Partner ferngehalten werden.
Im Gegensatz zu einer Reihe von anderen europäischen Ländern, in denen zumindest in größeren Städten die Zahl der Straßenobdachlosen mit großem Aufwand erhoben wird (beispielsweise in Bratislava, in Brüssel, in Dublin, in Lissabon sowie in zahlreichen Städten Großbritanniens und Spaniens), bestehen zur Zahl dieser Untergruppe von Wohnungslosen in den nördlichen Staaten der EU nur geringe empirisch gesicherte Kenntnisse, obwohl über ihre Einbeziehung in die Definition von Wohnungslosen der größte europaweite Konsens bestehen dürfte. Dies gilt auch für Deutschland, wo lediglich in München und Hamburg relativ regelmäßig, aber in größeren Zeitabständen versucht wird, das Ausmaß von Straßenobdachlosigkeit möglichst umfassend empirisch zu ermitteln.
Andererseits bleibt in zahlreichen Ländern vor allem im Süden und Osten Europas die "offizielle" Definition von Wohnungslosigkeit noch sehr stark auf Straßenobdachlose und den Personenkreis beschränkt, der in kommunalen Notunterkünften oder karitativen Einrichtungen vorübergehend mit einem Obdach versorgt wird. Insbesondere Personen, die aufgrund ihrer Wohnungslosigkeit vorübergehend bei Bekannten und Verwandten Unterschlupf suchen, werden nicht als wohnungslos eingestuft. Dagegen werden alle oder fast alle Untergruppen der ETHOS Light-Typologie vor allem in den nordischen Ländern (Dänemark, Schweden, Finnland) und in Deutschland einbezogen, und in manchen Ländern, wie in Großbritannien, umfasst die Definition von Wohnungslosen sogar Personen, denen der Verlust der Wohnung erst bevorsteht oder für die ein Verbleib in der Wohnung (beispielsweise wegen häuslicher Gewalt) unzumutbar wäre.
Ausmaß und Entwicklungstendenzen von Wohnungslosigkeit
In Deutschland gibt es bislang keine bundeseinheitliche Wohnungslosenstatistik. In letzter Zeit häufen sich jedoch Berichte über eine deutliche Zunahme von Wohnungslosigkeit. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) ist im November 2017 mit einer vielbeachteten Pressemitteilung an die Öffentlichkeit getreten, in der sie das Ausmaß von Wohnungslosigkeit in Deutschland für 2016 auf 860000 betroffene Menschen taxiert und einen weiteren Anstieg auf 1,2 Millionen für 2018 prognostiziert hat.
Die Wohnungslosenzahlen, die aus anderen EU-Mitgliedsstaaten gemeldet werden, gehen zum einen – wie oben dargestellt – häufig von einer deutlich eingeschränkteren Definition von Wohnungslosigkeit aus. Bei den Schätzungen der BAG W ist zudem auch eine Dunkelziffer enthalten, und es handelt sich um die jährliche Fortschreibung der Ergebnisse einer empirischen Erhebung, die schon 1992, damals noch auf Westdeutschland beschränkt, vorgenommen wurde.
Wenn beispielsweise in Publikationen der OECD oder von FEANTSA Übersichten über Ausmaß und Entwicklungstendenzen von Wohnungslosigkeit in europäisch beziehungsweise international vergleichenden Überblickstabellen oder -schaubildern veröffentlicht werden, so nehmen die Schätzwerte aus Deutschland in Relation zur Bevölkerung regelmäßig eine Spitzenstellung ein.
In Bezug auf die Entwicklungstrends ist in den vergangenen Jahren für alle EU-Mitgliedsstaaten, für die entsprechende Daten vorliegen, ein zum Teil sehr deutlicher Anstieg zu verzeichnen.
Hintergründe für die quantitative Entwicklung von Wohnungslosigkeit
Bei der quantitativen Entwicklung der Wohnungslosigkeit spielen sowohl in Deutschland als auch in vielen anderen Ländern der EU Prozesse am Wohnungsmarkt eine entscheidende Rolle. So wurden vielerorts preisgebundene und kommunale Wohnungsbestände veräußert, beispielsweise im Rahmen des right to buy für Haushalte, die kommunale Wohnungsbestände in Großbritannien bewohnt haben und ihre Wohnung mit Preisabschlägen erwerben konnten, aber auch zur Sanierung angespannter kommunaler Finanzhaushalte in Deutschland. Zudem wurden keine oder sehr wenige Sozialwohnungen neu erstellt. Dass Sozialwohnungen nach einer bestimmten Zeit quasi "automatisch" ihre sozialen Bindungen verlieren und in den frei finanzierten Wohnungsbestand übergehen, ist allerdings ein spezifisch deutsches Phänomen. In vielen Ländern der EU und auch in Deutschland ist in den vergangenen Jahren infolge der Privatisierung preisgebundenen Wohnraums und weiterer Prozesse am Wohnungsmarkt eine steigende Mietbelastung armer Haushalte zu verzeichnen, die in Deutschland besonders hoch ausfällt.
Mietschulden gehören in Deutschland, aber auch in vielen anderen EU-Ländern zu den Hauptauslösern von Wohnungslosigkeit.
Dabei sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass es ab Mitte der 1990er Jahre bis 2009 einen erheblichen Rückgang der Wohnungslosigkeit in Deutschland gegeben hat. In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der von den Kommunen in Obdachlosenunterkünften untergebrachten Wohnungslosen am jeweiligen Stichtag Ende Juni von einem Höhepunkt 1994 von 62400 (einer Hochphase der Zuwanderung von Spätaussiedlerinnen und -aussiedlern) auf nur noch 11800 Personen 2009 gesunken. Neben einer – in Europa ungewöhnlichen – Phase verstärkter Förderung des Neubaus von Sozialwohnungen ab Mitte der 1990er Jahre als Reaktion auf den Aussiedlerzuzug und dem deutlichen Rückgang dieses Zuzugs in den Folgejahren wirkten sich hier auch gezielte Bestrebungen des Landes und vieler Kommunen positiv aus, präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Wohnungsverlusten zu verbessern, Obdachlosenunterkünfte abzubauen und insbesondere obdachlose Familien in dauerhafte Normalwohnverhältnisse zu reintegrieren.
Der aufgezeigte massive Rückgang von Wohnungslosigkeit bis zum Ende der vergangenen Dekade und der deutliche Anstieg danach sprechen auch gegen Erklärungsansätze, die vor allem auf individuelle Ursachen und auf die Verbreitung von psychischen Erkrankungen und Suchtmittelabhängigkeit bei Wohnungslosen abheben. In diesem Zusammenhang ist immer wieder darauf zu insistieren, dass der allergrößte Teil von psychisch Kranken und Suchtmittelabhängigen in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern in regulären Wohnverhältnissen lebt. Das Risiko dieser Gruppen, in die Wohnungslosigkeit abzurutschen, ist zweifellos höher als in der Normalbevölkerung, und bei angespannten Wohnungsmärkten laufen sie besonders häufig Gefahr, aus der normalen Wohnraumversorgung ausgegrenzt zu werden. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Entwicklung der Wohnungslosenzahlen ist jedoch nicht herstellbar.
Der verstärkte Zuzug von Personen aus Südosteuropa und von Geflüchteten aus humanitären Krisengebieten hat die in Deutschland schon zuvor verbreiteten Engpässe am Wohnungsmarkt weiter verschärft. Während ein Großteil der Migrantinnen und Migranten aus Südosteuropa in Deutschland Arbeit gefunden hat und zum Steueraufkommen beiträgt, zieht ein vergleichsweise kleiner Anteil von mittellosen Angehörigen dieser Zugezogenen große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, weil sie von Sozialleistungen der Mindestsicherungssysteme ausgeschlossen sind und mittlerweile insbesondere in den Metropolen einen erheblichen Anteil der Straßenobdachlosen stellen.
In anderen europäischen Ländern noch wesentlich stärker als in Deutschland dürften auch Kürzungen im Sozialbereich zum Anstieg von Wohnungslosigkeit beigetragen haben, beispielsweise bei den Leistungen zur Sicherung der Unterkunft, und ein verbreiteter Trend zur Konditionalisierung von Mindestsicherungsleistungen, beispielsweise verstärkte Sanktionen in Fällen unzureichender "Mitwirkung" bei der Arbeitsmarktintegration. Relativ weit verbreitet bei der Entwicklung der Struktur der offiziell registrierten Wohnungslosen in Europa ist eine Zunahme des Anteils von Frauen und jungen Menschen. In jüngster Zeit wird – beispielsweise aus Irland, aber auch aus Deutschland – von einem deutlichen Anstieg des Anteils von Familien mit Kindern unter den Wohnungslosen berichtet, die bislang in den meisten Ländern eine Minderheit der Wohnungslosen stellen – mit Ausnahme von Großbritannien, wo sie im Rahmen der Wohnungslosengesetzgebung als prioritär zu versorgende Gruppe registriert werden.
Hilfesysteme und Rechtsansprüche
Während es in Deutschland kein einklagbares Recht auf eine dauerhafte Wohnungsversorgung gibt, das in der EU ohnehin nur in Großbritannien und Frankreich existiert und dort mit Einschränkungen und Umsetzungsproblemen verbunden ist, ist die sehr weitgehende Verpflichtung der deutschen Gemeinden zur Zuweisung einer vorübergehenden Unterkunft für alle Haushalte, die unmittelbar von Obdachlosigkeit bedroht sind, beispielgebend. Einzigartig ist die Verankerung dieser Verpflichtung als Abwehr von Gefahren für Grundrechte der Betroffenen in den Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder. Eine vergleichsweise strikte Verpflichtung der Gemeinden zur Unterbringung auch von Alleinstehenden und von Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die unfreiwillig obdachlos sind, findet sich in kaum einem anderen europäischen Land. Dass zahlreiche deutsche Kommunen ihrer Verpflichtung gerade gegenüber alleinstehenden Wohnungslosen und in jüngster Zeit insbesondere gegenüber mittellosen Migrantinnen und Migranten nicht in vollem Umfang nachkommen, liegt weniger an Defiziten der rechtlichen Regelungen
Neben der Bereitstellung von Obdachlosenunterkünften durch die Gemeinden, die lediglich minimalen Standards zum Schutz vor den Unbilden der Witterung genügen müssen, ist das Hilfesystem in Deutschland – wie in vielen anderen EU-Ländern auch – stark durch die traditionsreichen Einrichtungen freier Träger der Wohnungslosenhilfe, insbesondere der Diakonie und der Caritas, geprägt. Mittlerweile ist das Hilfesystem freier Träger für Wohnungslose modernisiert und, in Deutschland noch stärker als in anderen europäischen Ländern, professionalisiert, und wird hierzulande überwiegend aus staatlichen Mitteln finanziert. Obwohl eine vergleichende Studie zu den Hilfesystemen noch aussteht, ist davon auszugehen, dass Spendenmittel, Freiwilligenarbeit und gering qualifiziertes Personal in den Wohnungsloseneinrichtungen der meisten anderen EU-Länder noch einen deutlich größeren Stellenwert einnehmen als in Deutschland. Auch hat in Deutschland früher als in den meisten anderen Ländern Europas eine "Ambulantisierung" der Hilfen für Wohnungslose durch den Ausbau ambulanter Beratungsstellen und von persönlichen Hilfen in Wohnungen stattgefunden. Finanzierungsgrundlage sind hier insbesondere die individuellen Rechtsansprüche der Wohnungslosen auf "Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten" nach den Paragrafen 67ff. Sozialgesetzbuch (SGB) XII.
Dennoch hält sich auch in Deutschland das in ganz Europa verbreitete Stufenkonzept, nach dem Wohnungslose zunächst außerhalb des regulären Wohnungsmarkts stufenweise "Wohnfähigkeit" erlangen müssen, bevor sie in dauerhafte Normalwohnverhältnisse vermittelt werden können.
Im Kontrast zu vielen anderen Ländern, in denen Mietverhältnisse oft zeitlich eng begrenzt sein dürfen und der Mieterschutz schwach ausgeprägt ist, steht auch der starke Kündigungsschutz in Deutschland, der Kündigungen lediglich bei Eigenbedarf und gravierenden Vertragsverstößen zulässt und zeitliche Begrenzungen nur in wenigen explizit benannten Fällen erlaubt. Beispielgebend sind die Regelungen zur Unwirksamkeit von fristlosen Kündigungen wegen Zahlungsverzug, wenn innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Räumungsklage (Heilungsfrist) die Mietschulden übernommen werden, die Pflicht der Amtsgerichte zur Information der Jobcenter und Sozialämter über solche Räumungsklagen und die Verpflichtung der zuständigen Stellen, Mietschulden zu übernehmen, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit droht (Paragraf 36 SGB XII und Paragraf 22 Abs. 8 SGB II). Zwar wird von Fachleuten hierzulande noch Regelungsbedarf (beispielsweise für besseren Schutz auch bei fristgerechten Kündigungen) angemeldet, und es gibt Vollzugsdefizite,
Besonders problematisch sind die Zugangshürden von Wohnungslosen zur Normalwohnraumversorgung. Diese bestehen nicht nur darin, dass viele Wohnungen für die Betroffenen nicht bezahlbar sind, weil ihre Mieten über den Richtwerten für "angemessene" Kosten der Unterkunft im Rahmen der Mindestsicherung liegen, sondern auch darin, dass die große Mehrheit der Wohnungsunternehmen Wohnungsuchende mit negativen Schufa-Einträgen ablehnt und Vermieter gegenüber Wohnungslosen häufig Vorbehalte haben. Ähnliche Probleme werden auch aus anderen Ländern der Union berichtet.
Wohnungslosenpolitiken und beispielhafte Ansätze zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit
Immer mehr EU-Mitgliedsstaaten haben in den vergangenen Jahrzehnten nationale Strategien gegen Wohnungslosigkeit aufgelegt. Solche Strategien wurden unter anderem in Dänemark und Finnland von der Regierung verabschiedet und in enger Kooperation mit den Kommunen umgesetzt, in beiden Fällen mit einer starken Housing First-Komponente. Auch Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal, Spanien und die Tschechische Republik haben nationale Strategien zur Wohnungslosigkeit entwickelt. Auch wenn die Strategien jeweils höchst unterschiedliche Grade von Verbindlichkeit und Finanzierung aufweisen, so belegen sie doch, dass sich die nationalen Regierungen – bislang noch im Gegensatz zur deutschen Bundesregierung – die Aufgabe einer Reduzierung von Wohnungslosigkeit und der Verbesserung präventiver Maßnahmen zu eigen gemacht haben, auch in solchen Ländern, in denen die grundlegenden Kompetenzen – wie in Deutschland – bei den Kommunen liegen und die eine föderale Struktur aufweisen.
Viele der genannten Länderstrategien enthalten klare Zielvorgaben mit quantifizierbaren und überprüfbaren Zielen. Im Allgemeinen spielen dabei die Prävention von Wohnungslosigkeit infolge von Zwangsräumungen, aber auch von Entlassungen aus Institutionen und Ähnlichem sowie der Zugang zu Wohnraum eine herausragende Rolle. Die stärksten Strategien finden sich in Finnland, Dänemark und Schottland. In Schottland wurde ein individuell einklagbarer Vorrang von allen Wohnungslosen bei der Wohnungsversorgung beschlossen, in Finnland wurde in zwei Phasen die Eliminierung von Langzeitwohnungslosigkeit betrieben (mit Schließung der meisten Unterkünfte für Langzeitwohnungslose und dem konsequenten Einsatz einer Housing First-Strategie). In Dänemark wurde ebenfalls konsequent auf die Implementierung des Housing First-Ansatzes gesetzt, aber im Gegensatz zu Finnland das Element der Schaffung zusätzlichen Wohnraums eher vernachlässigt.
Als beispielhaft kann auch die gezielte Akquisition von Wohnungen für Wohnungslose durch die eigens dafür gegründete finnische Y-Stiftung sowie die landesweite Förderung von Sozialen Wohnraumagenturen in Belgien angesehen werden. Aber auch ein Programm der dänischen Regierung zur Tolerierung und gezielten Schaffung von "schrägen Behausungen" wie Gartenhäusern, Wohnwagen oder Containerbauten für eine Minderheit von Wohnungslosen, die im Geschosswohnungsbau trotz Unterstützung nicht zurechtkommen, kann zur Nachahmung in Deutschland anregen. Schließlich ist durch zahlreiche robuste Studien in den USA, Kanada und Europa belegt, dass mit dem Housing First-Ansatz auch Wohnungslosen mit komplexen Problemlagen am besten dadurch zu einer Normalisierung ihrer Lebensverhältnisse verholfen werden kann, indem sie möglichst ohne Umwege rasch in reguläre Wohnverhältnisse vermittelt und bedarfsgerechte wohnbegleitende Hilfen zur Verfügung gestellt werden.
Problembearbeitung auf Europäischer Ebene
Wohnungslosigkeit ist ein auf der europäischen Ebene durchaus viel thematisiertes soziales Problem. Zwar hat die EU-Kommission keine Gesetzgebungs- oder Weisungskompetenzen zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, und immer wieder wird in diesem Kontext auf das Subsidiaritätsprinzip verwiesen, das einem größeren gesamteuropäischen Engagement gegen Wohnungslosigkeit entgegenstehe. Dennoch haben viele Regelungen und Maßnahmen auf EU-Ebene mehr oder weniger unmittelbaren Einfluss auch auf diesen Bereich. Zu nennen sind hier beispielhaft die Regelungen zur Freizügigkeit innerhalb der EU, die Flüchtlingspolitik, die Sozialrechtscharta, Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und Fördermaßnahmen von Strukturfonds wie dem Europäischen Sozialfonds, aus dem beispielswiese auch die deutschen EHAP-Projekte gefördert werden,
Das Europäische Parlament hat zwischenzeitlich zwei Entschließungen zur Eliminierung von Straßenobdachlosigkeit und zur Entwicklung einer Europäischen Strategie gegen Wohnungslosigkeit verabschiedet.
Besonders hervorzuheben sind die inhaltlichen Empfehlungen der Europäischen Kommission zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, die sie 2013 in einem Arbeitspapier veröffentlicht hat.
Die Realisierung des wünschenswerten und grundsätzlich realisierbaren Ziels, Wohnungslosigkeit in Deutschland zu reduzieren, ihre Entstehung zu vermeiden und Wohnungslose schnellstmöglich in normale Wohnverhältnisse zu (re)integrieren, bleibt jedoch letztlich eine Aufgabe der Kommunen, die dabei stärker noch als bislang von den Landesregierungen und der Bundesregierung unterstützt werden sollten.