I. Rechtsstaat und Präventionsstaat
Vor sieben Jahren habe ich Vielfalt, Sicherheit und Solidarität in ihrer doppelten Gestalt als Verfassungsideale einerseits und existenzielle Grundbefindlichkeiten andererseits beschrieben.
Nunmehr hat die "neue Dimension des Terrorismus" dem Gesetzgeber ein "neues Sicherheitskonzept" abgefordert, das einen ersten paragraphenreichen Ausdruck in dem "Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz)" gefunden hat. Dieses ist am 1. Januar 2002 in Kraft getreten und in wesentlichen Teilen auf fünf Jahre befristet.
Die bei der Aufklärung des Massenmordes vom 11. September 2001 sichtbar gewordenen kriminellen Bedrohungsstrukturen stellen die Grundmuster des rechtsstaatlich scharf konturierten Polizei- und Sicherheitsrechts auf eine harte Probe. Da hat es die Polizei nicht mehr (nur) mit einer sichtbaren, situativ und personell individuierten, zeitlich abschätzbaren, eben konkreten Gefahr zu tun, sondern mit einer unabsehbar großen Zahl einzelner, unsichtbarer und unbekannter Risikoquellen, die nach jahre- oder jahrzehntelanger Latenz - also vollkommener polizeilicher "Unauffälligkeit" - plötzlich an unvermutetem Ort und in unvorhersehbarer Art und Weise, aber mit höchster, vor Selbstzerstörung nicht zurückschreckender Tatenergie aktiv werden. Der betrunkene Randalierer, der gewalttätige Demonstrant ist sichtbar und sein Verhalten einschätzbar, auch der geiselnehmende Bankräuber, der seine Beute in Sicherheit bringen will, ist kalkulierbar; ganze Krimi-Serien "leben" von dem Duell strategischer Züge zwischen Täter und Detektiv, deren Rationalität der Zuschauer nachvollziehen soll. Ganz anders der "Schläfer", der jahrelang friedlich-freundlich, seine Gefährlichkeit verbergend unter uns lebt, seinen Studien nachgeht, eine preiswürdige Diplomarbeit schreibt und dann eines Tages, synchron mit seinesgleichen, mit unerhörter Wucht und Brutalität zuschlägt.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, des "schonendsten Mittels", greift nicht gegenüber dem, der weder sich noch andere schonen will, gegenüber dem Selbstmord-Attentäter. Die Auswahl des "geeigneten Mittels" wird unmöglich, wo die Mittel-Zweck-Relation in jeder Hinsicht unbestimmt ist, weil die Gefahr zwar existent, hinsichtlich ihrer Modalitäten aber völlig unbekannt ist.
Nicht anders verhält es sich hinsichtlich des zweiten großen Aufgabenfeldes der Polizei, der Strafverfolgung. Ihre "repressiven" Befugnisse eröffnen sich erst, wenn ein konkreter Tatverdacht, wenigstens als "Anfangsverdacht" einer konkreten Straftat, vorliegt. Das "Vorfeld" strafrechtlich relevanten Verhaltens, etwa unterhalb der Schwelle des Tatbestandes der "Volksverhetzung" (§ 130 StGB), ist weit. Es ist nicht Aufgabe der Polizei, extremen Überzeugungen oder Gesinnungen nachzuforschen, solange sie nicht in konkreten Taten ihren (strafbaren) Niederschlag finden. "Gesinnung aber kann nur von der Gesinnung erkannt und beurteilt werden. Es herrscht somit der Verdacht; die Tugend aber, sobald sie verdächtig wird, ist schon verurteilt."
Hier ist möglicherweise absichtsvollen Missverständnissen vorzubeugen: Die historische Erinnerung impliziert nicht die Behauptung, mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz befänden wir uns bereits wieder auf dem Weg zu einem mit dem NS-System vergleichbaren Sicherheits-Verbund. Eine solche Behauptung wäre aus mehreren Gründen falsch. Zum einen bleiben wesentliche Grundlagen des bisherigen Verfassungsschutzrechts unangetastet: das Gesetzmäßigkeitsprinzip, das Gebot der organisatorischen Trennung von Polizei und Nachrichtendienst sowie der Ausschluss polizeilicher Zwangsbefugnisse.
Um den Unterschied zwischen dem damaligen einheitlichen und zentralisierten NS-Sicherheitsrecht und dem heutigen gegliederten Polizei- und Verfassungsschutzrecht klar zu erfassen, lese man einmal das Regelwerk der 22 Artikel des Terrorismusbekämpfungsgesetzes, und dann ziehe man den Vergleich zu der bekannten Definition des nationalsozialistischen Polizeirechts. Nach dieser "hat die Polizei als ,Hüterin der Gemeinschaft' . . . überall dort einzuschreiten, wo deren Belange es erfordern. Weder ist dafür ein gesetzlicher Auftrag notwendig, noch gibt es eine sie hindernde gesetzliche Schranke; ihr Ziel ist die innere Sicherheit der deutschen Volksordnung gegen jede Störung und Zerstörung. Ihre Tätigkeit darf durch Normen weder gebunden noch beschränkt werden, das nationalsozialistische Polizeirecht muss vielmehr mit den bisherigen Spezial- und Generallegitimationen brechen"
Die historische Erinnerung ist dennoch nützlich, ja unerlässlich; sie hilft, die feine, beinahe unsichtbare Grenze zu erkennen, an welcher der Rechtsstaat in den Präventionsstaat übergeht. Beide gehorchen den Regeln jeweils spezifischer Funktionslogiken, jener denen der Freiheit und der Autonomie, dieser denen der Sicherheitsmaximierung und der instrumentellen Effizienz. Es geht allerdings nicht um ein schroffes Entweder-oder, sondern angesichts der terroristischen Bedrohung besteht die Aufgabe darin, die ideale Kombination der beiden Zielsetzungen in der Weise zu finden, dass das maximale Maß an Freiheit durch eine optimale Gewährleistung von Sicherheit erhalten wird. Dass hier die Balance nicht einfach zu finden und zu halten ist, zeigt sich in den gegensätzlichen Einschätzungen desselben Gesetzestextes durch die maßgeblichen Politiker: Während die rot-grüne Koalition ihren Entwurf in der aus der internen Kritik und der öffentlichen Anhörung (am 30. November 2001) hervorgegangenen "gereinigten" Fassung als die gelungene Verbindung der "strenge(n) Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien mit der notwendigen Effektivität bei der Kriminalitätsbekämpfung und Terrorprävention" lobt,
Sicher ist nur eines: Die Probleme lassen sich nicht durch Pauschalforderungen oder -angebote lösen. Weder das verfassungsrechtlich nicht begründbare Postulat einer Informationseinheit sämtlicher Sicherheitsbehörden, das seinerzeit (1983/84) gegen die "Erfindung" des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht und die damit erforderliche "informationelle Gewaltenteilung" ins Feld geführt wurde,
II. Hauptelemente der Sicherheitsstrategie
Hält man sich die Geschehnisse vom 11. September, ihre Entstehungsgeschichte, die Biographien der Akteure, deren soziales und religiöses Umfeld sowie die realen Bedingungen ähnlich motivierter, organisierter und gesteuerter Terroraktionen vor Augen, so liegen die legislativen Themenfelder einer möglichen Präventionsstrategie auf der Hand. Das Terrorismusbekämpfungsgesetz greift sie auf:
- Erkennung und Beobachtung gewaltbereiter und möglicherweise gewaltvorbereitender "Bestrebungen" mit grenzüberschreitenden Bezügen. Hier sind, im weiten Vorfeld eigentlicher Polizeiarbeit, auch die Nachrichtendienste mit allerdings veränderter Aufgabenstellung gefordert (Verfassungsschutzämter, MAD, BND);
- Sicherung besonders sicherheitsempfindlicher lebens- oder verteidigungswichtiger Einrichtungen durch "vorbeugenden personellen Sabotageschutz", z. B. durch die Ergänzung des Sicherheitsüberprüfungs- und des Luftverkehrsgesetzes;
- Sicherung der Identitätsfeststellungen (Passgesetz, Personalausweisgesetz);
- Überwachung des Vereinslebens ausländischer Mitbürger;
- Ausweitung der Kompetenzen des Bundeskriminalamtes;
- Überwachung des Ein- und Ausreiseverkehrs, Verschärfung des Visumverfahrens und der Ausweisungsmöglichkeiten (Ausländergesetz, Asylverfahrensgesetz, Nebengesetze);
- Sicherung der Energieversorgung gegen Störungen (Energiesicherungsgesetz);
- Evaluation der wichtigsten Maßnahmen und Befristung der Regelungen.
1. Verfassungsschutz
Die zentrale Rolle, die dem Bundesamt für Verfassungsschutz und - unter bestimmten Voraussetzungen - auch den Landesämtern künftig bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zugedacht ist, wird nur sichtbar, wenn man die Befugniserweiterungen (§ 8 Abs. 5 bis 11, § 9 Abs. 4 BVerfSchG) zusammen mit der Aufgabenerweiterung in den Blick nimmt. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 (neu) BVerfSchG gehört zu den Aufgaben des Amtes künftig auch das Sammeln und Auswerten von Informationen über "Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind". Der Gedanke der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker sind ebenso schutz- und förderungswürdig wie der "Tatbestand" einer "dagegen gerichteten Bestrebung" höchst unbestimmt und nahezu uferlos weit ist. Ein "Pfingsttreffen" der Sudetendeutschen, bei dem das Unrecht ihrer Vertreibung geltend gemacht wird, kann ebenso darunter fallen wie die Forderung auf Anerkennung der "Rückkehr" der Palästinenser oder die Unterstützung einer der zahllosen Autonomiebestrebungen auf der Welt. Gewaltanwendung oder Gewaltvorbereitung sind - im Unterschied zu dem mit der bisherigen Klausel des § 3 Abs. 1 Nr. 3 erfassten "Ausländerextremismus" - nicht Voraussetzung für die Beobachtung durch den Verfassungsschutz.
Im Hinblick auf die weitreichenden neuen Befugnisse zur Überwachung der Geld-, Transport- und Reisebewegungen sowie des Postverkehrs und der Telekommunikationsverbindungs- und Teledienstenutzungsdaten erwartet man in der Gesetzesbegründung eine klare Auskunft zur grundgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für diese neue Gesetzgebung. Der Allgemeine Teil der Begründung des Gesetzentwurfs
Bestrebungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten, sich aber durch Gewaltaktionen nur im Ausland (nicht notwendig im Heimatstaat der Täter), jedoch nicht im Inland manifestieren, können weder als Angriffe auf die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik noch als Gefährdungen des Bestandes oder (!) der Sicherheit des Bundes oder eines Landes qualifiziert werden. Gegenstand des in Nr. 10 b) legal definierten Verfassungsschutzes sind nur diejenigen Schutzgüter der inländischen Verfassungsrechtsordnung, wie sie in Anlehnung an die Entscheidung des Bundesverfassunggerichts von 1952 in § 4 BVerfSchG aufgezählt wurden.
Ergibt sich somit, dass keine der beiden in Betracht kommenden Kompetenzgrundlagen - weder Nr. 10 b) noch 10 c) des Art. 73 GG - die in § 4 Abs. 1 Nr. 4 BVerfSchG neu normierte Aufgabenerweiterung des Verfassungsschutzes zu rechtfertigen vermag, dann steht jedenfalls das Bundesamt verfassungsrechtlich insoweit auf schwachen Füßen. (Ob die Landesgesetzgebung in diesem Bereich, die ja nach Art. 70 GG keiner enumerierten Kompetenzgrundlage bedarf, entsprechenden Bedenken unterliegt, soll hier nicht untersucht werden.)
Im Fraktionsentwurf (Drs. 14/7386, S. 91) macht man sich erst gar nicht die Mühe einer (wohl auch nicht möglichen) einwandfreien Kompetenzbegründung. Hier wird nicht vom rechtsstaatlich ausgefeilten Verfassungsnormtext her argumentiert, sondern vom sicherheitspolitisch gewünschten Ziel: "Es muss zulässig sein", heißt es da, dass der Verfassungsschutz solche (völkerverständigungsfeindlichen, E. D.) Bestrebungen beobachtet, weil sie einen Nährboden für die Entstehung extremistischer Auffassungen bildeten und Hass schürten, der auch vor terroristischer Gewaltanwendung nicht zurückschrecke. Hier muss die Frage erlaubt sein, ob man sich angesichts solcher "Bestrebungen", die ja auch nicht auf das "geheime Kämmerlein" beschränkt bleiben, nicht längst in der "hässlichen", Hass predigenden Wirklichkeit der einschlägigen Straftatbestände der §§ 129, 129 a und b, 130 StGB bewegt, welche in erster Linie die Kriminalpolizei auf den Plan rufen müssten. Wenn man die Tätigkeit des Verfassungsschutzes so weit in das (inländische) "Vorfeld" krimineller, im Ausland auszuführender Aktionen ausdehnen will, dass weder die Straftatbestände des StGB, noch die "Vorbereitungshandlungen" der (konkreten) Gewaltanwendung im Sinne des Art. 73 Nr. 10 c) GG greifen, dann macht man ihn zu einem fast überall einsetzbaren präventiven Überwachungsinstrument.
Die Gewichtsverschiebung zwischen Rechtsstaat und Präventivstaat wird deutlich, wenn man die in § 8 Abs. 5 bis 13 BVerfSchG (neu) geschaffenen Überwachungsbefugnisse auf die in § 3 Abs. 1 Nr. 4 erfassten "Bestrebungen" anwendet. Es ist nicht übertrieben, nunmehr von einem funktionalen präventiven Fahndungsverbund zwischen den Nachrichtendiensten und der Polizei auf dem Feld der Terrorismusbekämpfung zu sprechen, denn die bisher schon in den §§ 18 bis 20 BVerfSchG eröffneten Übermittlungsmöglichkeiten zwischen den Sicherheitsbehörden gewährleisten einen völlig ausreichenden Informationsfluss, der künftig auch noch durch Informationsverpflichtungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der Ausländerbehörden der Länder gegenüber den Verfassungsschutzämtern des Bundes und der Länder ergänzt wird (§ 18 Abs. 1 a [neu] BVerfSchG). Die Auskunftseinholungen über Konten und Geldbewegungen bei Kreditinstituten, über Postbewegungen bei allen Postdienstleistern, über Transport- und Reisebewegungen bei Lufttransporteuren und über Telekommunikationsdienstleistungen bei den entsprechenden Anbietern (§ 8 Abs. 5 bis 8) ermöglichen dem Bundesamt für Verfassungsschutz die Bildung umfassender Persönlichkeitsprofile der betroffenen Personen.
Spätestens hier muss der - früher auch von mir vertretene
2. Sicherheitsüberprüfungen: "Vorbeugender personeller Sabotageschutz"
Seit langem gehört die Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen von Personen (personeller Sabotageschutz) zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden. Jetzt soll der Kreis der zu überprüfenden Personen erheblich ausgeweitet werden und alle diejenigen umfassen, die an einer "sicherheitsempfindlichen Stelle" in einer "lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtung" beschäftigt sind oder werden sollen. Dabei geht aus dem Gesetz hervor, dass sowohl "öffentliche" wie "nichtöffentliche", das heißt private Einrichtungen und Stellen in Betracht kommen. Eine nähere Bestimmung dessen, was als "lebens- oder verteidigungswichtige Einrichtung" anzusehen sei, traf der Fraktionsentwurf (Drs. 14/7386) nicht. Lediglich in der Begründung (S. 104 f.) wurden die Definitionen wiedergegeben, auf die sich der Arbeitskreis IV "Verfassungsschutz" der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder 1994 verständigt hatte. Außerdem zählten die Entwurfsfassungen vom 12. Oktober und vom 8. November 2001 unterschiedliche Beispiele auf, was die Beliebigkeit der Ausfüllbarkeit der Definition verdeutlicht. Auf das in der Sachverständigenanhörung geäußerte Bedenken hin, der Gesetzgeber müsse - schon um dem "Wesentlichkeitsgrundsatz" zu genügen - wenigstens die wichtigsten Einrichtungen als "Regelbeispiele" katalogartig fixieren, erhebt der Gesetzgeber nunmehr die in der Begründung vorfindlichen, konturlosen Definitionen in den Rang von Legaldefinition (§ 1 Abs. 4 und 5 SÜG [neu]). In der Begründung wird die normative "Rangerhöhung" mit dem "Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz" begründet. Dies ist schon deshalb falsch, weil die "Umpflanzung" einer unbestimmten Definition dieser kein Quäntchen mehr an Bestimmtheit zuwachsen lässt; im Übrigen bleibt der Wesentlichkeitsgrundsatz nach wie vor unberücksichtigt. Die Prärogative der Exekutive für die Bestimmung des konkreten personellen Umfangs der Sicherheitsüberprüfungen besteht fort, nur ist die Kompetenz-Verteilung dieses an sich klaren Auftrags wiederum ein Lehrstück an rechtsverwirrender Verweisungstechnik. Wer dies nicht glaubt, der lese die auf einander verweisenden §§ 1 Abs. 4, 25 Abs. 2 und 34 SÜG (neu) und beantworte dann ganz schnell die Frage, welche Stelle oder Behörde wofür zuständig ist.
3. Sicherung der Identitätsfeststellung
Ausweisdokumente haben die Funktion, eine zuverlässige Feststellung der Identität des Dokumentinhabers zu ermöglichen. Diese Funktion kann auf verschiedene Weisen konterkariert werden, etwa durch Herstellung eines falschen Passes oder Personalausweises mit Phantasiedaten oder mit den Daten einer anderen lebenden oder toten oder vermissten Person. Eine andere Möglichkeit ist die Benutzung eines echten, dem rechtmäßigen Inhaber aber entwendeten oder abhanden gekommenen Dokumentes, dessen sich ein Unberechtigter wegen seiner Ähnlichkeit mit der abgebildeten Person oder auch nach entsprechenden Veränderungen der Abbildung bedienen kann. Eine weitere Variante der Identitätsverunsicherung könnte man als "Identitätsvervielfachung" bezeichnen, wenn beispielsweise ein Terrorist zur Irreführung über seine häufigen Reisen (in bestimmte Länder) eine Mehrzahl verschiedener Pässe benutzt, die er sich vielleicht sogar legal oder halb legal in verschiedenen Ländern hat ausstellen lassen.
Um solche Missbrauchsmöglichkeiten mindestens zu erschweren, sieht das Terrorismusbekämpfungsgesetz für Inländer Ergänzungen des Pass- und des Personalausweisgesetzes, für Ausländer entsprechende Änderungen der Vorschriften über Aufenthaltsgenehmigungen und Ausweisersatz (§§ 5 und 39 AuslG) vor.
Während der Pass bisher außer den Angaben zur Person nur das Lichtbild und die Unterschrift des Inhabers enthalten durfte, lässt das Gesetz (§ 4 Abs. 3 und 4 PassG [neu] jetzt auch die Aufnahme "weiterer biometrischer Merkmale" zu, und zwar auch "in mit Sicherheitsverfahren verschlüsselter Form". Die Merkmale müssen sich auf Finger, Hände oder Gesicht des Inhabers beziehen. § 4 Abs. 4 kündigt (ungewöhnlicherweise) ein weiteres Bundesgesetz an, das die Arten und die Einzelheiten der biometrischen Merkmale sowie der Verschlüsselung, Speicherung und sonstigen Verarbeitung von Merkmalen und Angaben regeln soll. Die Kabinettsvorlage des Innenministeriums (Stand 12. 10./5. 11. 2001) sah für all dies ursprünglich nur eine "bundesratspflichtige" Rechtsverordnung des Innenministers vor; erst der spätere Fraktionsentwurf versuchte dann, dem Wesentlichkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen. Bei den Ausweisdokumenten für Ausländer (der Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 und dem Ausweisersatz nach § 39 AuslG) überlässt man die Regelung aller Einzelheiten allerdings einer Rechtsverordnung. Und während der deutsche Pass- oder Ausweisinhaber von der Behörde Auskunft über die in seinem Dokument enthaltenen verschlüsselten Merkmale verlangen kann, ist dem Ausländer dies versagt. Redaktionsversehen?
4. Die Behandlung der Nicht-EU-Ausländer
Die bisherige Betrachtung musste unvermeidlich auf Einzelheiten der Novellierungsarbeit eingehen, um deutlich zu machen, wie mühselig und oft zum Scheitern verurteilt das Geschäft rechtsstaatlicher Normsetzung in Zeiten dominanten Präventionsdenkens ist. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip läuft weitgehend leer, dem Grundsatz der Normbestimmtheit traut man wenig normative Kraft zu
Nun ist es jedoch an der Zeit, die "neue Bedrohungslage" durch den "internationalen Terrorismus" in ihrer konkreten historischen Situation anzusprechen. Denn der Gegner ist nicht eine fiktive, nach Weltherrschaft strebende Instanz "des Bösen" wie im Thriller-Schema der James-Bond-Filme, sondern die aktionistische Auskristallisierung der Gedankenwelt eines militanten, fundamentalistischen Islamismus. Dass sie, etwa als Al-Qaida-Organisation, ihr logistisches und ideologisches "Hinterland" unter dem Taliban-Regime gefunden hat, ist weder Zufall noch einzigartig. Sie kann sich also, unter anderen Führern und Namen, auch anderswo jederzeit wieder neu manifestieren. Günstige Voraussetzungen hierfür bietet ein religiös-kulturelles Umfeld, das durch niedrigen Bildungsstand, völlig Ignoranz der "westlichen" Welt, archaische familiale Strukturen mit einer entsprechend rechtlosen, untergeordneten Stellung der Frau und durch eine "frühmittelalterliche" (in okzidentaler Zeitrechnung) Verbindung von Religion und Staat, kurz: durch die Absenz von Aufklärung und Emanzipation gekennzeichnet ist. Eine krassere Gleichzeitigkeit des "Ungleichzeitigen" wie die des amerikanisch-globalisierten Kapitalismus und des talibanisch-rigorosen Islamismus ist kaum vorstellbar. Die schweren persönlichen Identitätskrisen, die hieraus resultieren können, mögen Psychologen gründlich erforschen. Aufgabe der Politiker ist es, diese kulturell-religiösen Bedingungen in ihrem Zusammenhang mit der globalen wirtschaftlichen Entwicklung und mit den dadurch mitbedingten Migrationsbewegungen zu begreifen und daraus vertretbare Konsequenzen zu ziehen. Eine allein auf Abwehr, Abschottung und Abschiebung setzende Ausländerpolitik mag punktuelle Erfolge erzielen, wirkt langfristig jedoch kontraproduktiv.
Prüft man die ausländerrechtlichen Vorschriften des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vor diesem Hintergrund, so sieht man, dass sie über die Einfallslosigkeit von Versagung und Verbot nicht hinaus kommen. Einige Beispiele mögen dies belegen. Der Verein des selbsternannten "Kalifen von Köln" könnte nach der längst fälligen Aufhebung des so genannten "Religionsprivilegs" des § 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG ohne weiteres aufgrund des bisher geltenden Vereinsrechts verboten werden, das als Verbotsgründe für inländische Vereine ebenso wie für "Ausländervereine" u. a. Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung kennt. Daran soll sich auch nichts ändern. Ein Verein, in dem Hass - etwa zwischen Arabern und Israelis - gepredigt wird, ein Verein, dessen Funktionäre Parlamentarismus, Demokratie und Menschenrechte nur so lange anerkennen wollen, wie sie und ihre Anhänger sich noch in einer Minderheitenposition befinden, ein Verein, der eine menschenrechtswidrige Strafrechtsordnung mit Auspeitschung, Handamputation und Steinigung sowie die Unterordnung der staatlichen Willensbildung unter eine theokratisch-hierarchische Offenbarungsreligion propagiert, konnte und kann also bereits nach dem bisher geltenden Recht ohne weiteres verboten werden.
Zwei Überlegungen, folgt man der Entwurfsbegründung, haben jetzt zu einer Neufassung der Verbotsmöglichkeiten geführt. Die erste, durchaus nachvollziehbare, zielt auf eine Angleichung der Beschränkungs- und Verbotsmöglichkeiten für kollektive Ausländertätigkeiten an die für individuelle Aktivitäten von Ausländern (im Inland) ab. Deshalb nimmt der Katalog der Verbotsgründe für Ausländervereine im neuen § 14 Abs. 2 VereinsG im Wesentlichen Elemente und Formulierungen des § 37 AuslG auf. Die zweite Erwägung ist von dem Bestreben geleitet, von hierzulande existierenden "Ausländervereinen" ausgehende Unterstützungs-Tätigkeiten für im Ausland operierende, gewaltsam oder auch nur menschenrechtswidrig handelnde "Bestrebungen" zu unterbinden. Man muss allerdings die Erwartung des Gesetzgebers bezweifeln,
Widerspruch muss auch die Behauptung der Begründung (S. 122) erregen, die Neufassung der Verbotsgründe strebe einen "konkreten und weniger wertungsbedüftigen Katalog" an, um den unter Zeit- und Entscheidungsdruck handlungspflichtigen Sicherheitsbehörden nicht durch "vage, hochgradig auslegungsbedürftig" formulierte Eingriffsvoraussetzungen "Steine statt Brot" in die Hand zu geben. Eine vagere Formulierung als "die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland" - so § 14 Abs. 2 Nr. 1 VereinsG (neu) - und eine wertungsbedürftigere Formulierung als "Bestrebungen . . ., deren Ziele oder Mittel mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar sind" - so der alte/neue Wortlaut in § 37 Abs. 1 Nr. 4 AuslG und § 14 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG (neu) -, sind schwer vorstellbar. Die deutsche Rechtsordnung sollte sich damit begnügen, die hierzulande anzutreffenden Vorstellungen von Menschenwürde zu schützen. Den Ausländervereinen ist Friedfertigkeit, Achtung der inländischen Gesetze und Toleranz gegenüber Andersdenkenden abzuverlangen; das lässt sich in wenigen, klaren Worten ausdrücken. Die jetzige Fassung des § 14 VereinsG ist ein hochgradig redundanter, nebulös begrenzter juristischer Overkill, der "gutwillige" Ausländer verunsichert und das zarte Pflänzchen "Integration" erstickt.
Das "individuelle" Ausländerrecht des Ausländergesetzes in der Funktion der Terrorismusbekämpfung zeigt ähnliche Züge. Die Ausweisung wird erleichtert, der Abschiebungsschutz für anerkannte politische Flüchtlinge abgeschwächt. Überall herrscht "Ausländer-Management" unter dem Aspekt der Prävention: detaillierte Tatbestände, aber relativiert und "gesichert" durch eine vage, umfassende Generalklausel; und an die Stelle der klaren Feststellung durch eine rechtskräftige Verurteilung tritt der - wenngleich durch qualifizierte Gründe gestützte - Verdacht.
III. Also: Freiheit durch Sicherheit?
Hat der Gesetzgeber das Fragezeichen unserer Themenstellung erkannt? Hat er überhaupt unsere Problematik - nämlich die Frage nach den Möglichkeiten einer schutzwirksamen Kompatibilität der Funktionslogiken von Rechtsstaat und Präventionsstaat, von Freiheitssicherung und Sicherheitsgewährleistung - erkannt und anerkannt? Oder folgt er blind der Hobbes'schen Dialektik von Schutz und Angst,
Der Umstand, dass der nach dem 11. September sehr eilige Gesetzgeber wichtige Teile seiner Novellierungen (s. o. zu II. 1, 2.) auf fünf Jahre befristete und dann (in "letzter Minute") auch noch ausdrücklich deren Evaluierung anordnete (Art. 22 Abs. 3), ließ Hoffnung aufkeimen, er könne das Fragezeichen dieses Themas ernst nehmen. Allerdings kommt es auf die Kriterien an, nach denen evaluiert wird; sie können sich auf die Effizienz und Kosten unter dem Aspekt der Sicherheit beschränken, sie könnten aber auch bis zu der notwendigen Gesamtabwägung von Sicherheit und Freiheit vordringen. Meine diesbezügliche Hoffnung schwand dahin, als ich feststellen musste, dass der Entwurf des Terrorismusbekämpfungsgesetzes auf dem Vorblatt und im Text der ausführlichen Allgemeinen Begründung das Wort "Sicherheit" 37-mal,
Vielleicht ist dies dem Ernst der Lage angemessen; voreilige negative (Kurz-)Schlüsse sind nicht am Platze. "Wenn organisierter Terrorismus und technisches Risiko einander kumulativ begegnen", dann kann die "Risikogesellschaft" rasch zur "Katastrophengesellschaft" absinken, war meine Sorge vor zwölf Jahren.