Soziale Ungleichheit der Gesundheitschancen und Krankheitsrisiken
Thomas Lampert
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In Deutschland gibt es erhebliche gesundheitliche Ungleichheiten, die sich in den letzten Jahren eher noch verfestigen. Sie zu verringern ist eine gesamtgesellschaftliche, politikbereichsübergreifende Aufgabe.
Deutschland gehört zu den reichsten Ländern der Welt und verfügt über umfassende Systeme der sozialen Sicherung und der medizinischen Versorgung. Gleichzeitig sind, wie in vielen anderen Ländern, erhebliche Ungleichheiten der Lebensbedingungen und sozialen Teilhabechancen festzustellen, die in den vergangenen Jahren zum Teil noch zugenommen haben. Zu verweisen ist unter anderem auf das hohe, in bestimmten Bevölkerungsgruppen und Regionen steigende Armutsrisiko, die fortschreitende Konzentration des Privatvermögens und die Zunahme überschuldeter Haushalte. Ebenso zu beachten ist der nach wie vor stark ausgeprägte Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und den Bildungschancen sowie die verstärkte Zuwanderung von Menschen aus ökonomisch benachteiligten Ländern, durch die sich in jüngster Zeit zusätzliche Herausforderungen für den Sozialstaat ergeben haben.
Diese sozialen Ungleichheiten spiegeln sich auch in der Gesundheit und Lebenserwartung der Bevölkerung wider. Mittlerweile zeigt eine große Zahl an Studien, dass Menschen mit niedrigem sozialen Status, gemessen zumeist über Einkommen, Bildungsniveau und berufliche Stellung, vermehrt von chronischen Krankheiten und Beschwerden betroffen sind, ihre eigene Gesundheit und gesundheitsbezogene Lebensqualität schlechter einschätzen und ein erhöhtes vorzeitiges Sterberisiko haben. Diese gesundheitlichen Ungleichheiten sind nicht nur für Deutschland, sondern für alle Länder, für die aussagekräftige Daten vorliegen, belegt.
Welche politische Bedeutung den sozialen Unterschieden in der Gesundheit und Lebenserwartung beigemessen wird, lässt sich daran ersehen, dass sowohl die Europäische Kommission als auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheiten, und zwar sowohl zwischen den Ländern als auch innerhalb der einzelnen Länder, als ein vorrangiges Ziel definiert. In einem Bericht der WHO-Expertenkommission "Social Determinants of Health" hieß es dazu bereits im Jahr 2006: "Die Entwicklung einer Gesellschaft kann an der Gesundheit ihrer Bevölkerung gemessen werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, wie gerecht die Gesundheitschancen verteilt sind und welche Vorkehrungen zum Schutz vor Nachteilen, die aus einem schlechten Gesundheitszustand resultieren, getroffen werden."
Im Folgenden wird zunächst für Deutschland das Ausmaß und Erscheinungsbild der sozialen Unterschiede in der Gesundheit und Lebenserwartung beschrieben. Anschließend werden verschiedene Erklärungsansätze dargestellt und auf die Ausprägung der gesundheitlichen Ungleichheiten über den Lebensverlauf sowie auf zeitliche Entwicklungen und Trends der vergangenen 20 bis 30 Jahre eingegangen. Zum Abschluss wird unter Berücksichtigung nationaler und internationaler Erfahrungen diskutiert, wie gesundheitliche Ungleichheiten verringert werden können.
Soziale Unterschiede im Krankheits- und Sterberisiko
Zu den Krankheiten, die bei Personen mit niedrigem sozialen Status häufiger auftreten als bei Personen mit mittlerem und hohem sozialen Status, zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall und Stoffwechselstörungen wie Diabetes mellitus (Abbildung 1). Gleiches trifft auf Atemwegserkrankungen wie chronische Bronchitis und Erkrankungen am Haltungs- und Bewegungsapparat wie Arthrose oder Osteoporose zu. Auch viele Krebserkrankungen kommen in der niedrigen Statusgruppe vermehrt vor. Dies gilt etwa für Lungen-, Magen- und Darmkrebs. Mit Blick auf psychische Erkrankungen ist auf ein erhöhtes Risiko für Depressionen zu verweisen. Aber auch von Angststörungen, somatoformen Störungen und Substanzstörungen sind Personen mit niedrigem sozialen Status überproportional häufig betroffen.
Wie stark die sozialen Unterschiede ausgeprägt sind, hängt von den betrachteten Erkrankungen und Beschwerden ab. Häufig ist das Risiko in der niedrigen im Vergleich zur hohen Statusgruppe um das Zwei- bis Dreifache erhöht. Zu berücksichtigen ist dabei, dass sich auch im Vergleich der niedrigen zur mittleren und im Vergleich der mittleren zur hohen Statusgruppe Unterschiede zeigen. Entsprechend wird oftmals von einem sozialen Gradienten gesprochen, also einer graduellen Abstufung des Krankheitsrisikos über die gesamte Statushierarchie. Darüber hinaus weisen die vorliegenden Studien darauf hin, dass die sozialen Unterschiede nicht nur bei der Entstehung von Erkrankungen und Beschwerden zum Tragen kommen, sondern auch bei deren Verlauf und den Krankheitsfolgen. Dies lässt sich unter anderem an einem höheren Risiko für Funktionseinschränkungen und Behinderungen und damit verbundenen funktionellen Einschränkungen in der Alltagsbewältigung festmachen.
Die sozialen Unterschiede in Bezug auf Erkrankungen, Beschwerden und Funktionseinschränkungen kumulieren letztlich in einem erhöhten vorzeitigen Sterberisiko in der niedrigen Statusgruppe. Mit Blick auf das Einkommen sprechen die vorliegenden Studien für eine um fünf bis zehn Jahre verringerte mittlere Lebenserwartung bei Geburt, wenn Personen mit niedrigen und hohen Einkommen verglichen werden. Auch bei der im Alter von 65 Lebensjahren verbleibenden Lebenszeit lässt sich noch eine Differenz von etwa drei bis fünf Jahren feststellen.
Erklärungsansätze
Wie können diese Unterschiede erklärt werden? Die meisten Forschenden stimmen darin überein, dass die beobachteten gesundheitlichen Ungleichheiten durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren zustande kommen. Der Public Health-Professor Johan Mackenbach hat ein Modell zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten vorgeschlagen, nach dem zwischen materiellen, psychosozialen und verhaltensbezogenen Faktoren differenziert werden sollte, die sich gegenseitig beeinflussen. Hervorgehoben wird unter anderem der Einfluss der materiellen Lebensbedingungen auf psychosoziale Belastungen und Ressourcen und in diesem Zusammenhang besonders die Bedeutung von Einkommensarmut, materieller Deprivation sowie nachteiligen Arbeits- und Wohnbedingungen. Eine weitere zentrale Annahme des Modells ist die Beeinflussung des Gesundheitsverhaltens durch materielle und psychosoziale Faktoren. Als Beispiele hierfür werden Zusammenhänge zwischen einem geringen Einkommen und einem ungünstigen Ernährungsverhalten sowie zwischen psychosozialen Arbeitsbelastungen und dem Tabak- und Alkoholkonsum angeführt.
Andere Erklärungsansätze gesundheitlicher Ungleichheit beziehen stärker makrosoziologische Einflüsse ein. Dies trifft zum Beispiel auf das Modell der WHO-Expertenkommission Social Determinants of Health zu (Abbildung 2). Dieses Modell identifiziert auf der Makroebene neben Globalisierungsprozessen, denen eine große Bedeutung beigemessen wird, unter anderem die makroökonomische Politik, die Sozialpolitik sowie das öffentliche Bildungs-, Gesundheits- und Sozialversicherungssystem als strukturelle Determinanten gesundheitlicher Ungleichheiten. Das Modell legt auch nahe, dass die nationalen Gesundheitssysteme zu einer Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten beitragen können, indem sie zum Beispiel die intersektorale Zusammenarbeit intensivieren und dabei soziale Beteiligung und Empowerment auf Bürger- und Institutionenebene nutzen, um die alltäglichen Lebensbedingungen zu verbessern und einer ungerechten Verteilung von Ressourcen entgegenzuwirken.
Frühe Weichenstellungen
Die aktuelle Diskussion über die Ursachen gesundheitlicher Ungleichheiten ist darüber hinaus durch eine stärkere Einbeziehung der zeitlichen Dimension, also des Lebensverlaufs, charakterisiert. Für das Verständnis gesundheitlicher Ungleichheiten sind insbesondere drei Erklärungsmodelle aufschlussreich:Erstens wird davon ausgegangen, dass negative Einflüsse in Entwicklungsphasen, die mit einer erhöhten organischen Vulnerabilität einhergehen – wie Schwangerschaft oder Pubertät – zu organischen Schädigungen führen und das Krankheitsrisiko langfristig erhöhen können ("Modell kritischer Perioden"). Ein häufig genanntes Beispiel ist Rauchen während der Schwangerschaft, das nachweislich verschiedene Organe des Fötus schädigt und unter anderem das Risiko für Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen im späteren Leben erhöht. Zweitens gilt für die meisten Risiken und Belastungen, dass ihre Auswirkungen auf die Gesundheit mit der Dauer und der Intensität der Exposition zunehmen ("Modell der Risikoakkumulation"). Neben dem Rauchen oder dem Alkoholkonsum trifft dies auch auf andere Verhaltensaspekte wie eine ungesunde Ernährung und geringe körperliche Aktivität zu, aber ebenso auf gesundheitliche Auswirkungen von Arbeits-, Wohn- und Umweltbedingungen. Drittens ist zu berücksichtigen, dass länger andauernde Krankheiten und Funktionseinschränkungen die berufliche Entwicklung und damit auch die soziale Positionierung negativ beeinflussen können, etwa weil bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt werden können oder sogar der Arbeitsplatz verloren geht. Zudem haben Kinder, die gesundheitlich stark beeinträchtigt sind, schlechtere Bildungs- und Ausbildungschancen und später schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt ("Modell gesundheitsbedingter sozialer Mobilität").
Die vorliegenden Studien machen deutlich, wie früh die Weichen für die Gesundheit gestellt werden. Gerade in Bezug auf das Rauchen in der Schwangerschaft sind die sozialen Unterschiede eklatant. Aber auch hinsichtlich des Stillens, das sowohl für das Kind als auch die Mutter mit gesundheitlichen Vorteilen verbunden ist, und die Teilnahme an den sogenannten U-Untersuchungen beim Kinderarzt, die zur Früherkennung von Entwicklungs- und Gesundheitsstörungen dienen, sind erhebliche Unterschiede zuungunsten von Kindern aus Familien mit niedrigem sozialen Status zu beobachten (Abbildung 3).
Auch in der weiteren gesundheitlichen Entwicklung sind zum Teil erhebliche soziale Unterschiede auszumachen. So werden bei Kindern aus Familien mit niedrigem Sozialstatus im Alter von fünf bis sechs Jahren, also kurz vor der Einschulung, deutlich häufiger Sehstörungen, Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen sowie Wahrnehmungs- und psychomotorische Störungen festgestellt. Für intellektuelle Entwicklungsverzögerungen, emotionale und soziale Störungen sowie psychiatrische Auffälligkeiten gilt ebenfalls, dass sie bei Kindern aus Familien mit niedrigem Sozialstatus vermehrt auftreten.
Bei Kindern und Jugendlichen auf Grund- und weiterführenden Schulen sind ebenfalls deutliche soziale Unterschiede festzustellen, und zwar insbesondere in Bezug auf die psychosoziale Gesundheit und das Gesundheitsverhalten. Beispielsweise ist das Risiko für psychische Auffälligkeiten wie emotionale Probleme, Verhaltensprobleme und Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen bei Kindern und Jugendlichen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus etwa vier- bis fünffach erhöht. Zudem weisen sie ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts- und Essstörungen auf. Ähnlich große Unterschiede sind im Gesundheitsverhalten auszumachen, was unter anderem darin zum Ausdruck kommt, dass Kinder aus der niedrigen Statusgruppe deutlich seltener frisches Obst- und Gemüse essen, dafür aber häufiger Süßigkeiten und zuckerhaltige Getränke konsumieren. Zudem treiben sie weniger Sport, sie lernen später schwimmen und sie fangen häufiger mit dem Rauchen an. Das ungünstigere Ernährungs- und Bewegungsverhalten schlägt sich in einem mehr als dreimal höherem Risiko für Adipositas im Kindes- und Jugendalter nieder, mit erheblichen Konsequenzen für die weitere gesundheitliche Entwicklung.
Zeitliche Entwicklungen
Bei der Erklärung der sozialen Unterschiede in der Gesundheit und Lebenserwartung ist darüber hinaus die gesellschaftliche Entwicklung zu berücksichtigen, also zum Beispiel Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, das Ausmaß der Armutsbetroffenheit, der demografische Wandel oder der Zuzug von Asylsuchenden und Flüchtlingen. Um die Frage zu beantworten, wie sich diese Entwicklungen auf die gesundheitliche Ungleichheiten auswirken, kann in Deutschland inzwischen auf eine deutlich verbesserte Datenlage zurückgegriffen werden. Mit Blick auf die Selbsteinschätzung des allgemeinen Gesundheitszustandes konnte etwa für die 25- bis 69-jährige Bevölkerung gezeigt werden, dass die sozialen Unterschiede im Vergleich der Zeiträume 1994–1999 und 2009–2014 zugenommen haben.
Interessant sind darüber hinaus die Ergebnisse zur Entwicklung von sozialen Unterschieden im Gesundheitsverhalten. Für den Tabakkonsum lässt sich feststellen, dass der seit etwa 2003 zu beobachtende Rückgang vor allem darauf zurückzuführen ist, dass Personen mit hoher Bildung weniger rauchen (Abbildung 4). In den anderen Bildungsgruppen sind keine bedeutsamen Unterschiede festzustellen, bei Frauen mit niedriger Bildung hat der Anteil der Raucherinnen sogar eher zugenommen – das gilt zumindest für die hier betrachtete Gruppe der 30- bis 64-Jährigen. Eine ähnliche Entwicklung ist auch für die sportliche Aktivität zu verzeichnen. Für den Zeitraum von 2003 bis 2012 konnte für die 25- bis 69-jährige Bevölkerung gezeigt werden, dass der Anteil der Personen, die überhaupt keinen Sport treiben, in der hohen Statusgruppe deutlich abgenommen hat, und zwar auf unter 20 Prozent, während er in der niedrigen Statusgruppe mit etwa 50 Prozent unverändert hoch blieb.
Zusammenfassung
Eine ständig zunehmende Zahl an Studien belegt, dass in Deutschland erhebliche soziale Unterschiede in der Gesundheit und Lebenserwartung bestehen. Diese Unterschiede sind nicht nur zwischen der niedrigen und hohen Statusgruppe, sondern über die gesamte Statushierarchie zu beobachten. Zudem weisen die Studien darauf hin, dass der soziale Status bereits die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen beeinflusst, mit entsprechenden Konsequenzen im weiteren Lebensverlauf. Bislang finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die sozialen Unterschiede in der Gesundheit und Lebenserwartung über die Zeit verringert haben könnten. Auf die zurückliegenden 20 bis 30 Jahre bezogen ist vielmehr von relativ stabilen gesundheitlichen Ungleichheiten auszugehen. In einigen Bereichen haben sich die sozialen Unterschiede sogar ausgeweitet, da an sich positive Entwicklungen wie der Rückgang des Tabakkonsums oder die Zunahme der Sportbeteiligung nur oder überwiegend in der mittleren und hohen Statusgruppe festzustellen sind. Dies weist darauf hin, dass auch erfolgreiche Maßnahmen, wie sie zuletzt im Bereich der Tabakprävention und Tabakkontrollpolitik sowie der Bewegungs- und Sportförderung umgesetzt wurden, die Bevölkerungsgruppen, die eigentlich den größten Förderbedarf haben, nicht gleichermaßen erreichen.
Diese Ergebnisse entsprechen weitgehend dem internationalen Forschungsstand. Als Referenz können insbesondere Studien aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien und den skandinavischen Ländern dienen. Die Datenlage ist dort deutlich besser als hierzulande und die Entwicklung der gesundheitlichen Ungleichheiten kann über lange Zeiträume analysiert werden. In diesen Ländern gibt es ebenfalls erhebliche gesundheitliche Ungleichheiten, die sich in der Verbreitung von Krankheiten, Beschwerden, Risikofaktoren sowie vorzeitigen Sterbefällen zeigen. Ebenso lässt sich für diese Länder feststellen, dass sich die gesundheitlichen Ungleichheiten im Verlauf der letzten Jahrzehnte nicht verringert, sondern eher verfestigt und zum Teil noch ausgeweitet haben.
Die Reduzierung der gesundheitlichen Ungleichheiten bleibt somit auch in den kommenden Jahren ein wichtiges politisches Handlungsziel. Da davon auszugehen ist, dass die gesundheitlichen Ungleichheiten infolge eines komplexen Zusammenspiels materieller, psychosozialer und verhaltensbezogener Faktoren zustande kommen, müssen auch die Interventionen an mehreren Stellen ansetzen. Von Bedeutung sind unter anderem Maßnahmen, die auf die eigentlichen Ursachen der gesundheitlichen Ungleichheiten zielen und in verschiedenen Politikbereichen zu verorten sind. Neben der Bekämpfung von Armut geht es dabei um die Verringerung ungleicher Bildungschancen, eine Verbesserung der Arbeitsmarktchancen von Geringqualifizierten, die Unterstützung und Stärkung von sozial benachteiligten Familien sowie die Eindämmung von sozialräumlich ungleich verteilten Umweltbelastungen und -risiken.
Daneben ist die Gesundheitspolitik gefragt: Im Zusammenhang mit der medizinischen und pflegerischen Versorgung ist zu berücksichtigen, dass sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen aufgrund des erhöhten Risikos für chronische Erkrankungen, Beschwerden und Funktionseinschränkungen einen größeren Versorgungsbedarf haben. Außerdem bestehen häufiger spezifische Versorgungsbedarfe, etwa aufgrund von Mehrfacherkrankung, psychischen Begleiterkrankungen oder einer Suchtproblematik. Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung müssen auch und insbesondere die sozial Benachteiligten erreichen und so früh wie möglich ansetzen. Bewährt haben sich in dieser Hinsicht vor allem Interventionen, die auf eindeutig definierte Bevölkerungsgruppen ausgerichtet sind, die Lebensbedingungen und Problemlagen der angesprochenen Gruppen berücksichtigen sowie die Zielgruppen und beteiligten Einrichtungen und Akteure in die Planung, Durchführung und auch Bewertung der Maßnahmen einbeziehen.
Die Erfahrungen aus anderen Ländern wie Schweden oder Großbritannien zeigen, dass die Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und politikbereichsübergreifende Anstrengungen erfordert, zum einen in Bezug auf die Bekämpfung der Ursachen, die sich zu einem Großteil an benachteiligten Lebensverhältnissen und verminderten Teilhabechancen festmachen lassen, zum anderen in der Anforderung, Prävention und Gesundheitsförderung in allen Politikfeldern zu verankern ("Health in all Policies"). Zugleich machen sie deutlich, dass die Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten eine langfristige Aufgabe ist und die ergriffenen Maßnahmen stabile strukturelle und gesetzliche Rahmenbedingungen sowie eine sichere Finanzierung benötigen.
ist habilitierter Soziologe und Gesundheitswissenschaftler und Leiter des Fachgebiets Soziale Determinanten der Gesundheit am Robert Koch-Institut in Berlin.
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