I. Der 11. September als Signatur einer kulturell globalisierten Welt
Es gibt ein Bild aus New York vom 11. September 2001, das in seiner Symbolik wie in einem Brennglas vieles von dem festhält, wofür dieses Datum steht: Auf dem Trümmerfeld vor dem zerstörten World Trade Center steht ein staubüberdeckter, leicht beschädigter roter Lieferwagen mit der Aufschrift "Enjoy Coca Cola", dahinter ragen wie mahnende Grabstelen die abgebrochenen Betonsäulen der Eingangsetage des ehemals höchsten Wolkenkratzers in den Himmel.
Das Wahrzeichen westlich-kapitalistischer Wirtschaftsmacht in Trümmern, die Ermordung von rund 3 000 Menschen und eine von Menschenhand herbeigeführte Zerstörung großen Ausmaßes im US-amerikanischem Mutterland mit dem von den zusammenbrechenden Hochhäusern gestoppten Coca-Cola-Wagen - dieses Bild vermischt sich damit, was wir über den Terroranschlag und die Attentäter wissen: Die "Waffen" waren entführte Passagierflugzeuge, gesteuert von jungen Leuten, die in deutschen und englischen Universitätsstädten studiert und dort jahrelang unauffällig gelebt hatten. Ihre Flugkenntnisse lernten sie an nordamerikanischen Flugschulen, und am Abend vor ihrem Todesflug haben sie sich sichtlich gut gelaunt Geld an einem Bankautomaten abgehoben, bei Pizza Hut Fast Food gegessen und bei der weltgrößten Supermarktkette Wal-Mart noch etwas eingekauft. Die etwa 20 Attentäter kamen aus Saudi-Arabien und anderen Nahoststaaten, viele stammten aus der Oberklasse und der gehobenen Mittelschicht und lebten im westlichen Ausland, wo sie studiert, gearbeitet und teilweise sehr vergnügt die dortige Lebensweise genossen haben. Sie waren islamischen Glaubens und sind zu unterschiedlichen Zeiten vor ihrem mörderischen Anschlag zu militanten Fundamentalisten geworden, die Anschläge, Mord und Terror als Teil des Dschihad, des Heiligen Krieges, von islamistischen Gläubigen gegen die Ungläubigen und ihre gottlose Kultur propagieren.
Deutlicher als McDonalds in Singapur, Pizza Hut in Lagos oder IKEA in Peking, als MTV, Coca Cola und der Marlboro-Mann steht der 11. September für die auch kulturell globalisierte Welt.
Entgegen dem nach den Terroranschlägen immer wieder zitierten Bild vom "Kampf der Kulturen", des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Samuel P. Huntington markiert der 11. September eine Eskalation der Konflikte innerhalb einer gemeinsamen Weltgesellschaft mit vielen Kulturen, Ideologien, Religionen und Weltanschauungen und nicht zwischen kulturell definierten Großregionen.
II. Was meint kulturelle Globalisierung?
Den 11. September als Ausdruck einer mit sich selbst in Konflikt geratenen Globalisierung zu verstehen entbindet nicht von der Aufgabe, genauer zu bestimmen, was mit den allgemeinen Kennzeichnungen unserer Weltsituation durch die Bezeichnungen "Globalisierung" und "kultureller Globalisierung" gemeint ist.
Wie die Globalisierung insgesamt ist auch die kulturelle Globalisierung ein komplexer Prozess mit sehr widersprüchlichen Formen, Reichweiten und Ausdrucksweisen, der sich einer eindeutigen Kennzeichnung entzieht.
Weder "Globalisierung" noch "kulturelle Globalisierung" sind wissenschaftliche oder auch nur politische Begriffe, mit denen konkretere Aussagen verbunden sind - ausgenommen jene, dass Ökonomie, Technik, Politik und Kultur heute weltweit in so engen Austausch- und Kommunikationsbeziehungen stehen wie noch nie in der Geschichte. Über den Charakter und die Reichweiten dieser Verflechtung von Menschen, Gütern, Orten, Dienstleistungen und Kapital, die dadurch hervorgerufenen Veränderungen und die Entwicklungsperspektiven sowie die damit verbundenen Chancen und Gefahren ist mit diesen Bezeichnungen noch nichts gesagt. "Globalisierung" und "kulturelle Globalisierung" sind Arbeitsbezeichnungen für sehr unterschiedliche Entwicklungen und keine eindeutig definierten Begriffe.
1. Nicht Mosaik, sondern Fluss
In der Diskussion über kulturelle Globalisierung gibt es eine sehr populäre Auffassung, nach der eine sich immer stärker ausbreitende US-amerikanische bzw. westliche Kultur die Kulturen in den anderen Ländern, Regionen und Kontinenten verdränge und alles zum großen Einheitsbrei, der "McDonaldisierung" (George Ritzer), einer "Cocacolization" (Zdravko Mlinar) oder der "McWorld" (Benjamin Barber) zusammenschmelzen würde.
Die Vorstellungen von der Zerstörung einer Kultur durch eine andere basieren auf einem Verständnis, nach dem Kulturen weitgehend in sich abgeschlossene Gebilde sind, gebunden an Orte und eine Gruppe von Menschen, eine Gemeinschaft oder Gesellschaft, eine Region oder Nation. Aber solche authentischen Kulturen, ohne prägende Einflüsse von außen, sind eine Fiktion, da Kulturen nie in "Reinform" existieren, nicht statisch und homogen sind und immer aus der Begegnung und dem Austausch mit anderen Kulturen, dem gegenseitigen Aufnehmen und Abgrenzen entstehen. Kulturen sind Produkt von Beziehungen und Durchquerungen und entwickeln sich erst im Kontakt mit dem Fremden, Anderen. Kultur bedeutet immer schon "zwischen den Kulturen" (Alexander Düttmann), ist nie rein und homogen, sondern hybrid und heterogen. Kulturen sind "Bastarde", nicht nur wegen ihrer jeweils früheren Übernahme fremder Kulturelemente in die eigene Kultur, sondern "grundlegender deshalb, weil der Gestus der Kultur selbst einer des Vermischens ist: Es gibt Wettbewerb und Vergleich, es wird umgewandelt und uminterpretiert, zerlegt und neu zusammengesetzt, kombiniert und gebastelt"
Im "World Culture Report 2000" der UNESCO bildet dieses Verständnis vom Entstehen und der Entwicklung von Kultur durch den ständigen kulturellen Austausch den Ausgangspunkt der Untersuchung der gegenwärtigen kulturellen Situation. Danach besteht "die Welt nicht aus einem Mosaik der Kulturen, sondern ist ein sich ständig wandelnder Fluss der Kulturen, dessen verschiedene Strömungen sich dauerhaft mischen"
2. Weltliteratur, Kosmopolitismus und Nationalisierung der Kultur
Auch wenn kultureller Austausch zum Wesensmerkmal der menschlichen Entwicklung gehört und in allen Epochen mit unterschiedlicher Intensität stattgefunden hat, nahm er einen gewaltigen Aufschwung mit der Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise, welche die Menschen auf der Jagd nach Gewinn um den ganzen Erdball trieb. Diese neuen ökonomisch motivierten weltweiten Verbindungen schufen qualitativ andere Zusammenhänge als in früheren Zeiten und umfassten nicht nur die materielle, sondern auch die geistige Produktion. "Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltliteratur", heißt es 1848 bei Karl Marx und Friedrich Engels.
Bei Goethe taucht der Begriff "Weltliteratur", der erstmals von August Wilhelm Schlegel 1802 genutzt wurde, nachdem er zuvor der Sache nach schon von Johann Gottfried Herder entwickelt worden war, häufig auf. Goethe spricht davon, dass "die Epoche der Weltliteratur an der Zeit ist, und jeder muss jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen"
Die Vorstellung einer Weltliteratur war ein Produkt der Aufklärung und eines neuartigen Universalismus, die im neuen Begriff des "Weltbürgertums" im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert ihren Ausdruck fanden.
Dieser Kosmopolitismus des 18. und frühen 19. Jahrhunderts konnte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts trotz weiter wachsender und immer engerer ökonomischer und politischer Zusammenhänge nicht weiter entfalten, da die Herausbildung der Nationalstaaten in starkem Maße über den Weg der "kulturellen Nationalisierung" stattfand. Nationalliteratur und Nationalkulturen spielten bei dieser Konstituierung einer Tradition, eines Gründungsmythos und der Idee eines reinen ursprünglichen Volkes eine zentrale Rolle, da mittels Kunst und Kultur die Verknüpfung der Menschen mit der Besonderheit eines national bestimmten Raumes und die Formung einer nationalen Identität am sinnfälligsten zu erreichen waren. Dabei wurden die Pluralität bäuerlicher Regionalkulturen und die universalen Orientierungen der Elitenkultur in der vorindustriellen Welt in den jeweiligen Nationalkulturen eingeebnet.
Die "Nationalisierung der Kultur" war eine politische Konstruktion des 19. Jahrhunderts, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts prägend blieb und vor allem in den faschistischen und nationalsozialistischen Staaten Deutschland, Italien und Spanien eine besonders widerwärtige Ausformung hatte.
3. Weltmusik und Weltkunst: frühe Formen kultureller Globalisierung
Die von der Aufklärung und der deutschen Klassik geförderten Vorstellungen einer Weltliteratur wurden von der Nationalisierung der Kultur im 19. Jahrhundert zwar relativiert, aber nicht aufgesogen. Literatur ist spätestens von da an nicht mehr an eine Menschengruppe und Gegend gebunden, in der es mit der Schrift ein "Speichermedium" gibt. Seither ist jede Literatur von anderen Literaturen beeinflusst und wirkt wiederum auf diese ein. Dieser Austauschprozess gewinnt mit der Erfindung und Weiterentwicklung des Buchdrucks eine neue Dimension.
Was bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem für die Literatur galt, weitet sich ab der zweiten Hälfte auch auf zwei andere Kunstformen aus: auf Musik und bildende Kunst. Grundlage hierfür war wiederum die Weiterentwicklung der Speichermedien. Natürlich gab es über den direkten Kontakt der Musiker und deren Arbeit in anderen Ländern, über Reisende und Auswanderer auch schon früher einen musikalischen Austausch und gegenseitige Beeinflussungen. Dabei betrifft das Aufnehmen von Musikidiomen aus anderen Kulturen nicht nur die klassische "Kunstmusik", sondern auch jene Musik, die besonders eng an das Lokale gebunden ist, wie die populäre Volksmusik. Ein exponiertes Beispiel dafür ist "La Paloma". Seit etwa 150 Jahren gibt es das Musikstück, das vermutlich Mitte des 19. Jahrhunderts von einem Spanier komponiert wurde und auf einer böhmischen Volksweise beruht, in einer Vielzahl von Ländern: als Volkslied, Tanzmusik und Seemannslied, als populäres Bravourstück für Opernsänger, als Tango, Walzer, Marsch, später im Jazz, Twist, Rock, Reggae, Country und als vielfacher Schlagererfolg sowie häufig als Filmmusik.
Dieser musikalische Austausch und die gegenwärtige Beeinflussung nehmen ähnlich wie bei der Entwicklung des Buchdrucks für die Literatur von dem Zeitpunkt eine neue Dimension an, als eine Speicher- und Wiedergabemaschine für Töne erfunden wurde. Der 1877 von Edison erfundene Phonograph und die 20 Jahre später entwickelte Schelllackplatte markieren den Beginn der ersten Phase der Weltmusik. Die jungen Phono-Unternehmen weiteten rasch ihr Absatzgebiet auf die ganze Welt aus, und um die Grammophone auch in Übersee zu verkaufen, wurde nicht nur europäische Musik auf die Platten gepresst, sondern auch von speziellen Aufnahmeteams aufgenommene Musikstücke aus den jeweiligen Ländern. Schon 1906, zwei Jahre nach ihrer Gründung, hatte die deutsche Musikfirma Odeon 11 000 Titel mit außereuropäischer Musik in ihrem Programm, die von Repräsentanten vor Ort ausgewählt, aufgenommen und vertrieben wurden.
Die Aufnahme- und Wiedergabemöglichkeiten für Klänge bildeten die Voraussetzung nicht nur für den weltumfassenden Vertrieb von Musikaufnahmen aus allen Ländern, sondern auch für die Vermischung musikalischen Materials und die Entstehung neuer Musik in einem ganz anderen Ausmaß, als es zuvor möglich gewesen war.
1906 tauchte erstmals der Begriff "Weltmusik" auf. Was für die Entstehung der Weltmusik die Erfindung des Grammophons bedeutete, war für die bildende Kunst das Museum und die Fotografie. Nach den Kunst-, Gewerbe- und Geschichtsmuseen entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem im Zusammenhang mit dem expandierenden Kolonialismus Völkerkundemuseen. Gegenstände der Alltagskultur und des religiösen Brauchtums, Schnitzereien und Masken in diesen Museen brachten die Kulturen aus Afrika, Asien und Südamerika nach Europa und beeinflussten hier das künstlerische und kunstgewerbliche Schaffen.
Hierdurch wurde die Entwicklung der bildenden Kunst entscheidend beeinflusst. Am Beginn stehen Gauguins Südseebilder und Picassos Adaption afrikanischer Plastiken Anfang des 20. Jahrhunderts. Weitere Stationen sind Malreisen von Klee, Macke, Nolde und vielen anderen nach Afrika, Asien und Südamerika, ferner der Einfluss der mexikanischen und indigenen Kunst auf die nordamerikanische Kunstszene sowie der Dialog zwischen asiatischen und europäischen KünstlerInnen.
Diese Austauschprozesse in der bildenden Kunst wurden durch die Möglichkeit der "technischen Reproduzierbarkeit von Kunst" über die neuen Medien Fotografie und Film noch einmal erheblich gefördert. Unter dem Einfluss der nun in großem Umfang entdeckten künstlerischen Arbeiten außereuropäischer Völker entsteht der "Weltkunstgedanke, das Sichauftun eines universalen Kunsthorizonts und die Erkenntnis, dass es dringende Pflicht ist, über die Mauern Europas hinauszuspringen, um mit jenen riesigen Kunstprinzipien sich auseinander zu setzen und in lebendige Beziehung zu treten, die außerhalb unseres westlichen Erdteils existieren . . . Die Parole und das Kennwort neuen Strebens lautet: Weltkunst, und das heißt die Gesamtheit aller Stilformen und Kunstbezirke des ganzen Weltkreises."
III. Grundlagen heutiger kultureller Globalisierung
Die Herausbildung einer Weltliteratur, einer Weltmusik und einer Weltkunst im 19. und 20. Jahrhundert sind Vorläufer der kulturellen Globalisierung, die heute unser Leben prägt. Es handelt sich dabei um Internationalisierungsprozesse, die einen kulturellen Teilbereich, die Künste, betrafen - und auch hier nur einen Teil.
Der zentrale Unterschied früherer und heutiger Formen kultureller Globalisierung besteht darin, dass sie heute weit über die Künste hinaus reichen und die Alltagskulturen sowie teilweise auch die mit Kultur und Kunst verbundenen Werthaltungen und Bedeutungen umfassen. Zudem zeichnet sich der gegenwärtige durch die Globalisierung bewirkte kulturelle Wandel durch eine bis in die letzten Zipfel der Erde reichende Ausbreitung aus sowie eine ungeheure Geschwindigkeit und eine gesteigerte Intensität, mit der die Kulturen in Kontakt stehen, sich austauschen, vermischen und neue Kulturen hervorbringen.
Diese neue Qualität kultureller Globalisierung geht vor allem auf drei zentrale gesellschaftliche Veränderungen zurück, die alle Länder, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß prägen: die Herausbildung einer Weltgesellschaft durch die ökonomische Globalisierung, die weltweiten Migrationsprozesse und die Medienentwicklung.
1. Eine Welt
Die Globalisierung der Finanz- und Warenmärkte hat neue Zusammenhänge und Abhängigkeiten geschaffen. Kapital und Waren bewegen sich nahezu grenzenlos über die gesamte Erde, die Herstellung von Gütern und Dienstleistungen ist immer weniger an bestimmte Orte gebunden. Die enge Verflechtung von Ökonomie und Finanzen bringt auch eine neue Mobilität der Menschen hervor. Führungskräfte und mittleres Management transnationaler Konzerne jetten um die Welt, Fachkräfte arbeiten wechselnd an unterschiedlichen Produktionsstätten auf verschiedenen Kontinenten, und Computerspezialisten werden an- und abgeworben, egal in welchem Land sie bisher oder zukünftig arbeiten. Der Internationalisierung der Arbeit folgt auch zunehmend eine solche der Qualifizierung dafür.
Und wo die Menschen nicht durch ihre Arbeit und ihre Qualifizierung in andere Länder kommen, reisen sie als Touristen um die Welt. Natürlich betrifft diese neue Mobilität durch die grenzüberschreitende Ökonomie und den Tourismus nur einen kleineren Teil der Menschen. Aber auch viele der anderen, die ihre heimische Gegend nicht verlassen müssen oder können, kommen an ihren Arbeitsstellen oder den Tourismusorten mit den Berufs- und Urlaubsreisenden in Kontakt, lernen etwas von deren Kultur kennen, wie umgekehrt diese etwas von ihrer Kultur aufnehmen.
2. Migration
Die aus sozialen, ökonomischen und politischen Gründen erzwungene Mobilität hat in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein Ausmaß erreicht, das - trotz Völkerwanderung und Siedlungskolonialismus in früheren Jahrhunderten - bislang unbekannt war. Als "Zeitalter der Migration" (Stephen Castles) wird inzwischen das letzte Jahrzehnt des 20. und das erste des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Nach dem Migrationsbericht der "Internationalen Organisation für Migration" (IOM) gab es 1975 75 Millionen Migranten, 20 Jahre später war die Zahl auf 105 Millionen gestiegen und beträgt nach UN-Schätzung heute 150 Millionen. Dabei finden diese Wanderungsbewegungen vor allem zwischen den Ländern des Südens, innerhalb der so genannten "Dritten Welt", statt, davon ein Drittel in Afrika. Nur 5 Prozent betreffen Europa. Als Folgen des disproportionalen Wachstums - nach dem "Human Development Report" der UN-Entwicklungsorganisation lebten 1996 1,6 Milliarden Menschen schlechter als 15 Jahre zuvor -, mit der zunehmenden Umweltzerstörung und den kriegerischen Auseinandersetzungen ist eine Steigerung der internationalen und interkontinentalen Wanderungsbewegungen absehbar.
Diese in der Regel erzwungenen Migrationsbewegungen gehören zu den Schattenseiten der Globalisierung und tragen, da die meisten Migranten oft für längere Zeit und viele für immer ihren Heimatort wechseln müssen, erheblich zur kulturellen Globalisierung und der Vermischung der Kulturen bei.
3. Medienentwicklung
Wie bei der früheren Herausbildung von weltweiten Austauschbeziehungen zwischen Kunstformen kommt der Medienentwicklung auch bei der gegenwärtigen kulturellen Globalisierung die entscheidende Bedeutung zu. Sie bildet die Voraussetzung für die heutige globale Vernetzung von Kulturen und Künsten. Nach einer UNESCO-Studie vom Ende der neunziger Jahre haben 93 Prozent der Kinder Zugang zu einem Fernsehgerät, und selbst in Afrika können vier von fünf Kindern hin und wieder TV sehen.
Die Entwicklung und Verbreitung der audiovisuellen Massenmedien Radio und Fernsehen haben eine neue Stufe grenzüberschreitender Vermittlung von Kulturen hervorgebracht, da sie zum Teil leichter zugänglich und oft attraktiver sind als andere Medien. Und sie haben zur Herausbildung transnationaler Medienunternehmen geführt, die immer mehr kulturelle Angebote für immer mehr Menschen in der Welt bereithalten, von denen jeder Einzelne dann wiederum über eine wachsende Zahl kultureller Produkte verfügen kann.
Der Übergang von Buch- und Schriftmedien zu den Bild-, Wort- und Tonmedien (Fotografie, Telefon, Schallplatte) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und ihre Weiterentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Radio, Film) und vor allem in der zweiten Hälfte (Fernsehen, Tonkassetten, Video) prägen die bisherigen Stufen der kulturellen Globalisierung.
Gegenwärtig befinden wir uns an einer erneuten medialen Epochenschwelle; die kulturellen Globalisierungsprozesse werden weiter umgewälzt werden. Mediale Leitform wird zunehmend der Computer werden, der die heutigen Kommunikationsprozesse und Informationsmedien prägt und weiter verändern wird. Datenautobahnen und Internet sind der sichtbarste Ausdruck dieser Veränderungen.
Das Gefälle zwischen industrialisierten und ökonomisch weniger entwickelten Ländern ist bei der Verfügung über die traditionellen audiovisuellen Kommunikations- und Informationsmedien beträchtlich. Diese Asymmetrie erhöht sich noch bei den neuen Medien. Lediglich 5,2 Prozent der Bevölkerung in den Drittweltländern verfügten Mitte der neunziger Jahre über einen Telefonanschluss (gegenüber 52,3 Prozent in den Industrieländern) und 0,7 Prozent über einen PC (gegenüber 8,7 Prozent in den Industrieländern). In Ballungsgebieten wie New York und Tokio gibt es beispielsweise mehr Telefonanschlüsse als in ganz Afrika. Auf die zehn reichsten Länder mit 20 Prozent der Weltbevölkerung kommen drei Viertel aller Telefonanschlüsse. Telefonanschlüsse bilden aber (noch) die Zugangsvoraussetzung, um an den neuen Kommunikationsmedien partizipieren zu können. Zwar sind inzwischen alle 54 Länder Afrikas an das Internet angeschlossen, aber von den 800 Millionen Bewohnern dieses Kontinents können lediglich 2,5 Millionen das Netz nutzen, davon 80 Prozent in Südafrika. Nach einer OECD-Analyse entfielen 1999 65 Prozent der Internetzugänge auf die USA und Kanada, gefolgt von Europa mit 22 Prozent und Australien, Neuseeland und Japan mit 6 Prozent sowie dem sonstigen asiatisch-pazifischen Raum mit knapp 4 Prozent und Lateinamerika mit 2 Prozent. Das Schlusslicht bildet Afrika mit 0,3 Prozent.
Trotz dieser schroffen Ungleichheit sind aber die Chancen für eine bessere Partizipation gerade wegen der anderen technologischen Basis der neuen Medien für die Bewohner in den Ländern des Südens besser als bei den traditionellen Kommunikations- und Kulturmedien. Da der Welttelekommunikationsmarkt heute schon zu 80 Prozent aus Kommunikationsdienstleistungen und Software und nur noch zu 20 Prozent aus Ausrüstung/Hardware besteht, sind diese Hoffnungen auch berechtigt, wie das Beispiel Indien zeigt. Heute exportiert Indien bereits mehr Software als alle EU-Staaten zusammen.
IV. Kennzeichen heutiger kultureller Globalisierung
Die ökonomischen, gesellschaftlichen und medientechnischen beziehungsweise medienwirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen drei Jahrzehnte haben die heutigen Formen kultureller Globalisierung hervorgebracht beziehungsweise ermöglicht. Dabei umfassen sie im Unterschied zu früheren kulturellen Austauschprozessen heute vor allem mit den Konsumgütern große Bereiche der Alltagskulturen und die verschiedenen Popularkulturen. Für die Menschen in den entwickelten und in den ökonomisch weniger entwickelten Ländern ist dadurch der Umfang kultureller und allgemeiner Konsumangebote, über die sie verfügen können, enorm gewachsen, auch wenn einige einheimische Produkte unter dem Druck der globalen Konkurrenz verschwunden sind.
Die gegenwärtigen Formen kultureller Globalisierung sind vor allem durch drei Aspekte gekennzeichnet:
1. Die Eine-Waren-Welt
Das auffälligste Merkmal - und das wird von vielen Kritikern als alleiniges Kennzeichen wahrgenommen - ist die Angleichung eines Teilbereiches des kulturellen Lebens über universelle Bilderwelten, uniforme Muster von Popularkulturen und gleichen Konsumgütern, die von der transnationalen Kulturindustrie und den internationalen Konzernen in alle Weltgegenden transportiert werden.
Im niederbayerischen Dorf werden die gleichen "Seifenopern" gesehen wie in New York, Tokio, Bombay oder in den Favelas von Rio de Janeiro. 800 Millionen Barbiepuppen weltweit propagieren das Schönheits- und Lebensideal der weißen US-amerikanischen Mittelschicht, und inzwischen stammeln in 120 Ländern die Teletubbies ihr "Winke, winke" über die Bildschirme. McDonalds gibt es nun nahezu überall auf der Welt, wie auch überall Blue Jeans getragen werden, Coca Cola getrunken und Marlboro geraucht wird. Diese universellen Bilder-, Kultur- und Konsumwelten verbinden unterschiedliche kulturelle Lebenswelten. Kulturelle Globalisierung tritt hier vor allem als globale Kulturindustrie auf und bringt eine Angleichung kultureller Symbole und Lebensformen hervor. Die eine Welt erscheint als Eine-Waren-Welt.
Diese kulturelle Nivellierung betrifft vor allem die Bereiche der Unterhaltungskultur, die über Film, Fernsehen und Rundfunk, Kassetten, CDs und Videos zu den Menschen kommen, sowie zahlreiche Konsumgüter. Viele dieser Angebote für das alltägliche Leben wie Kleidung, Essen und Trinken sind gleichermaßen Gebrauchsgegenstände und - wenn es sich um bestimmte Markenerzeugnisse handelt - ästhetisch-kulturelle Kennzeichen. Nike-Schuhe oder eine Adidas-Hose zu tragen, Coca Cola zu trinken und bei McDonalds zu essen symbolisiert einen Lebensstil und ist mindestens ebenso sehr kultureller Ausdruck wie die Befriedigung eines körperlichen Bedürfnisses. Das gilt inzwischen in der ganzen Welt - wobei die strukturelle Ungleichheit zwischen den verschiedenen Weltgegenden hier besonders drastisch ins Auge fällt: Viele internationale Konzerne lassen ihre Markenprodukte in Ländern des Südens unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen produzieren und sie dort auch bewerben. Aber die, die sie herstellen, können sie nicht kaufen, da sie für sie zu teuer sind.
Da viele Markenkonzerne ihren Ursprung und Hauptsitz in den USA haben, wird für diese Ausbreitung westlicher Konsum- und Kulturmuster oft synonym von "Amerikanisierung" oder "McDonaldisierung" gesprochen. So augenscheinlich die Ausbreitung der westlichen Konsum- und Popularkultur über den gesamten Erdball ist, so verfehlt ist es, daraus den Schluss zu ziehen, dass sich dadurch eine einheitliche Weltkultur herausgebildet hat oder herausbilden wird, die an die Stelle der lokalen Kulturen tritt und diese zum "Einheitsbrei" der "McDonaldisierung" zusammenschmelzt. Eine solche Sicht kultureller Globalisierung als "Kulturschmelze" verallgemeinert Teilaspekte, überschätzt die Homogenität der amerikanischen oder westlichen Kulturen und schließt vom Konsum auf das Bewusstsein. Sie übersieht die oft eigenwillige Rezeption US-amerikanischer Kulturprodukte in anderen Kulturen, wie allgemein die Ambivalenz kultureller Prozesse dabei unterschätzt wird.
Auch wenn Hollywood-Filme in vielen Weltgegenden die nationalen Kinomärkte beherrschen und die Soap Operas der US-Fernsehgesellschaften in Asien, Europa und Afrika zu sehen sind, so ist der Vorwurf der Amerikanisierung oberflächlich. Denn ist Hollywood heute noch viel mehr als eine Metapher, wo mit japanischem, europäischem und australischem Geld Regisseure aus China, Korea, Deutschland oder England Filme drehen?
Auch auf dem Musikmarkt, der von fünf multinationalen Konzernen mit einem 75-prozentigen Weltmarktanteil beherrscht wird, liegt der Umsatz von Warner (USA) hinter dem von Sony (Japan) und Polygram (Niederlande) und nur knapp vor BMG/Bertelsmann (Deutschland) und EMI-Music (Großbritannien). Spitzenreiter auf dem nicht viel weniger massenpopulär ausgerichteten internationalen Buchmarkt ist Bertelsmann. In wichtigen Bereichen der weltweiten Kulturindustrie sind es weniger US-amerikanische als trans- und multinationale Konzerne, welche die Produktion und den Vertrieb von Weltkultur beherrschen. In einigen Fällen kommen die "Global Player" auch aus Ländern des Südens. So werden etwa in Bombay mit 800 jährlich hergestellten Spielfilmen viermal mehr Filme als in Hollywood produziert, und der brasilianische Medienkonzern Globo ist innerhalb weniger Jahre bei TV-Umsätzen zum weltweit elftgrößten Anbieter geworden.
Angesichts der realen Eigentums- und Produktionsverhältnisse in der globalen Kulturindustrie von einer "Amerikanisierung" der Kultur zu sprechen ist irreführend, es sei denn, damit ist verallgemeinernd die "westliche" Dominanz von Nordamerika und Europa unter Einbeziehung von Japan und Korea gemeint. Aber auch hier trifft die Kritik nicht zu, da eine Homogenität unterstellt wird, die so nicht vorhanden ist, beziehungsweise nur dann sinnvoll erscheint, wenn "Amerikanisierung" unter kulturkritischer Sichtweise für den industriellen Warencharakter kultureller Angebote gebraucht wird.
Zutreffend ist allerdings der Einwand von Kritikern kultureller Globalisierung, dass die Inhalte der global angebotenen Kultur der amerikanisch-europäisch-japanischen Kulturindustrie vor allem "westliche" Geschichten und ihre visualisierten Lebensbilder transportieren. Da diese unter ökonomischen Gesichtspunkten verbreitet werden, sind sie zudem weitgehend durch allgemeine Konsumierbarkeit, behagliche Unterhaltung und die Stimulanz von Konsum geprägt. Allerdings ist es trotz dieser berechtigten Kritik falsch, von den Produktions- und Verwertungszusammenhängen direkt und eindimensional auf die Rezeption zu schließen.
Alle kulturellen Produkte sind mehrdeutig, auch die der Massenkultur, weshalb es nie nur eine Lesart gibt. Zudem findet in der Popularkultur, stärker als bei den traditionellen Künsten, eine stärkere Rückbindung an die eigenen Erfahrungen und Wünsche, an den lokalen Ort und die dort herrschenden Traditionen statt. In dieser "Re-Lokalisierung" der Produkte der globalen Kulturindustrie bekommen diese eine andere Bedeutung. Dabei kann auch eine vollständige Lösung der globalen Kulturangebote von den damit verbundenen Werten und Lebensbildern stattfinden.
2. Lokal - Global - Glokal
Die immer stärkere Ausbreitung westlicher Konsumgüter und Kulturmuster geht oft mit einer verstärkten Rückbesinnung auf lokale kulturelle Traditionen und ihre Wiederentdeckung einher. In Anbetracht vieler weltweit gleicher Kulturangebote werden die Besonderheiten der eigenen Kultur gegenüber anderen Kulturen hervorgehoben. Kulturelle Identitätssuche in lokalen, regionalen und nationalen Bezügen zur Selbstvergewisserung bildet nicht nur bei Migranten, nationalen Minderheiten und in Ländern des Südens die andere Seite der kulturellen Globalisierung. Lokal-, Regional- und Nationalkulturen als Ausdruck kultureller Traditionen sollen dabei ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermitteln und dadurch den Menschen einen Orientierungspunkt bieten.
Die verstärkte Beziehung auf lokale, regionale und nationale Kulturen geht dabei öfter, wie gegenwärtige Kriege und gewaltsame Konflikte in vielen Teilen der Welt zeigen, weit über eine Identitätsstabilisierung in Zeiten kultureller Globalisierung hinaus und dient zur ideologischen Begleitung und Legitimation von Unterdrückung, Unterwerfung und Kriegen.
Für die enge Verknüpfung von Globalisierung mit einer neuen Betonung des Lokalen hat der englische Soziologe Roland Robertson (1998) die Bezeichnung "Glokalisierung" geprägt, die inzwischen vielfach aufgegriffen und benutzt wird. Dabei beschreibt Glokalisierung mehr als die Betonung des Lokalen und Einheimischen gegenüber dem Anderen, Fremden und zielt auf die Verankerung des Globalen im Lokalen wie des Lokalen im Globalen.
Wie notwendig die Verbindung des Ortsspezifischen mit dem Globalen ist, erfahren viele multinationale Konzerne dort schmerzhaft, wo sie die kulturellen Kontexte eines neuen Absatzmarktes für ihre Produkte ignorieren. Das reicht von Produktnamen über die Werbestrategien bis zum Design und den Verkaufsformen. Nahezu alle großen, weltweit agierenden Konzerne umschreiben inzwischen ihre Werbe- und Absatzstrategien mit "globale Lokalisierung", "lokale Globalisierung" oder ähnlichen Begrifflichkeiten.
Dieser Bezug auf lokale kulturelle Gewohnheiten trifft auch in besonderer Weise auf den engeren Bereich der Kultur zu, wie beispielsweise an der Entwicklung der Popmusik in den neunziger Jahren deutlich wird, die gerade im Zuge ihrer größeren Ausbreitung auf die "örtliche Färbung", "ethnische Hervorhebung" und die "Poesie des Lokalen" (George Lipsitz) setzt und damit ein "Globalkolorit" (Ruth Mayer/Mark Terkessidis) hervorbringt. Der Musiksender MTV als weltweit größter Anbieter musikalischer Popularkultur hat aus diesem Grund auch recht bald von seinem einheitlichen Sendekonzept und den für alle gleichen Videoclips Abstand nehmen müssen und erreicht seine Zuschauer von Brasilien bis Japan, Großbritannien bis Indien inzwischen mit 28 regionalspezifischen MTV-Sendern, welche die lokalen Besonderheiten berücksichtigen und die einheimischen Stars und Hits in entsprechender Zahl in das Programm einbauen.
Durch die veränderte Verbindung von Lokalem und Globalem wandeln sich sowohl die globalen Produkte wie das Verständnis von Örtlichkeit und Tradition. Im Prozess von "De-Lokalisierung" durch die globale Kultur und "Re-Lokalisierung" als erneute Rückbindung lösen die lokalen Kulturen ihre Fixierung auf den konkreten Ort auf, ohne die Verbindung ganz abzubrechen, und werden zu Bestandteilen der globalen Kulturangebote.
In diesem Prozess zeigt sich auch, dass ohne das globale Bezugssystem eine Anzahl von lokalen Kulturen überhaupt nicht bestehen würde. Eine Reihe von ihnen sind erst bei der Suche nach den eigenen kulturellen Wurzeln angesichts der vielen attraktiven Möglichkeiten der globalen Kulturindustrie oder nach Möglichkeiten eigener Angebote für den globalen Kulturmarkt, zum Beispiel für den Tourismus, wieder entdeckt beziehungsweise neu geschaffen worden. Das Lokale ist somit nicht nur ein konstitutiver Bestandteil des Globalen, sondern entsteht teilweise erst mit ihm. Vor diesem Hintergrund der neuen Beziehung von Lokalem und Globalem bildet sich eine "Struktur gemeinsamer Unterschiede" heraus (Joana Breidenbach/Ina Zukrigl), auf der sich die kulturellen Besonderheiten abbilden lassen und die Opposition von "lokal - global", "authentisch - oberflächlich", "indigen - importiert" an Bedeutung einbüßt.
3. "Hybride Kulturen"
Jede Kultur ist immer vermischt mit anderen Kulturen, aus dem Austausch mit ihnen entstanden, ein Bastard und multikulturell. Dieser Prozess ist nie abgeschlossen. Es war bislang aber in der Regel eine eher allmähliche Herausbildung und kontinuierliche Weiterentwicklung. Die gegenwärtige kulturelle Situation ist im Gegensatz dazu nicht nur durch ständig wechselnde kulturelle Moden, sondern auch in immer kürzeren Abständen neu entstehende Kulturformen und Kulturstile geprägt. Diese entwickeln sich aus der Kombination und Durchmischung unterschiedlicher Kulturtraditionen. Dafür wird der Begriff "Hybridisierung" gebraucht. Hybridisierung meint die Vermischung verschiedener kultureller Stile, Formen und Traditionen, aus der etwas Neues, eine "globale Melange" entsteht.
Heute gibt es in allen Kulturen viele aktuelle Beispiele solcher neuer hybrider Kulturen und Kulturmuster, und die Entgrenzung bisher voneinander getrennter Sparten, Stile und Traditionen, aus der etwas Neues entsteht, ist ein Kennzeichen unserer Zeit. Zentren der kulturellen Hybridisierung oder Kreolisierung bilden gegenwärtig die multikulturellen Gesellschaften in den Einwanderungsländern, die Kulturen in den Ländern des Südens und diejenigen populären Kulturformen, die weltweit Anklang und Absatz finden wollen.
Popmusik, Literatur, Film, Malerei, Theater, Kabarett - in nahezu allen Kunstsparten und Kulturformen haben sich durch die kulturellen Aktivitäten und Einflüsse von Migranten auch in der Bundesrepublik neue Stile, Richtungen und Kulturen herausgebildet, die nichts mehr mit den geduldeten und sozialfürsorglich behandelten Nischen der "Gastarbeiterkultur" der sechziger und siebziger Jahre zu tun haben, sondern Teil der allgemeinen bundesrepublikanischen Kulturlandschaft sind.
Auch viele Kulturen in den Ländern des Südens, in denen der starke ökonomische Druck und die attraktive Vielfalt der globalen Kulturindustrie auf eine nicht so umfassende, weniger "bunte" und ökonomisch nicht konkurrenzfähige traditionelle Kultur trifft, zeichnen sich weniger durch die Betonung der eigenen Traditionen als durch die Aufnahme vielfältiger kultureller Impulse von außen aus. Die wichtigsten Einflüsse gehen dabei von der globalen Kulturwirtschaft über Filme, Radio, Fernsehen und zunehmend auch über das Internet aus. Diese Kulturen sind dabei nicht in erster Linie ohnmächtige Opfer einer US-eurozentrischen Kulturindustrie, sondern haben oft die Kraft, Fremdes aufzunehmen, zu verarbeiten und zu integrieren. Dadurch entstehen neue Kulturen, in welche die eigenen Traditionen ebenso einfließen wie die Produkte, Stile und Bilder der globalen Kultur euro-amerikanischer Provenienz.
Einen dritten Schwerpunkt gegenwärtiger Hybridisierung, neben den neuen Kulturen durch die Migranten und in den Ländern des Südens, bildet die internationale Popmusik. Seit über 40 Jahren touren Popstars und Rockbands durch die Welt, füllen auf allen Kontinenten Fußballstadien, Arenen und Festhallen und bringen rund um den Globus Abertausende von Fans zum Mitrocken und Mitsingen - unabhängig von Sprachschranken und kulturellen Traditionen. Denn mit der Pop-Rockmusik hat sich seit den sechziger Jahren eine Kulturform herausgebildet, die länder- und kulturübergreifend nicht mehr an enge traditionelle Bezugsfelder gebunden ist und als erste Musikrichtung Impulse und Färbungen aus allen Kontinenten aufnimmt.
Während sie anfänglich trotz früher Einbindung von asiatischen Musiktraditionen und später von karibischen, südamerikanischen und afrikanischen Musikelementen weitgehend ihrem angloamerikanischen Ursprung verhaftet blieb, bilden sich seit einigen Jahren neue musikalische Formen heraus, die sehr unterschiedliche Traditionen und Stilrichtungen aufnehmen und zu neuen Mustern verweben. Dadurch verliert die Popmusik schrittweise ihre westeuropäisch-nordamerikanische Prägung und nimmt immer internationaleren Charakter an. Das betrifft die KünstlerInnen, die Instrumentierung, die Stile und die musikalischen Traditionen.
V. Differenzierung tut Not
Diese Skizze der mit dem Begriff "kulturelle Globalisierung" bezeichneten Entwicklungen sollte deutlich machen, dass es sich um vieldimensionale, hochkomplexe Prozesse mit Überschneidungen, Ungleichzeitigkeiten und Brüchen handelt, die sich kaum in eine vereinheitlichende Perspektive pressen lassen und statt weltweiter Vereinheitlichung neue Ausdifferenzierungen und Pluralitäten hervorbringen.
Bei der gegenwärtigen Diskussion über kulturelle Globalisierung kommt es darauf an, konkreter zu untersuchen, unter welchen Bedingungen diese Entwicklungen stattfinden. Welche Qualitäten sie haben, wie bei der Vermischung das Verhältnis der verschiedenen Kulturen zueinander ist und ob Vorherrschaft abgebaut oder Ungleichheit verstärkt wird. Wenn es also darum gehen soll, konkreter zu begreifen, wie sich kulturelle Globalisierungsprozesse im Einzelnen abspielen, um die Verluste und positiven Perspektiven zu beurteilen und vor allem um kulturpolitisch da eingreifen zu können, wo es notwendig erscheint, ist es erforderlich, genau hinzusehen und die Prozesse, die Akteure und Handlungsfelder zu differenzieren.
In einer Zeit zunehmender Mobilitäten, von Enttraditionalisierungsprozessen und des Verschwindens räumlicher Distanzen durch die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien wird die Anschlussfähigkeit von kulturellen Angeboten zum zentralen Kriterium und nicht die Bindung an generationenübergreifende Tradition, nationale Sprache und lokale Geschichte.
Global - lokal, national - multikulturell, indigen - auswärtig sind nicht die zentralen Fragen für Kunst und Kultur, sondern inwiefern in ihnen Zuschauer und Zuhörer Anknüpfungspunkte für eigene Erfahrungen und Bedürfnisse finden, ob Themen angesprochen werden, die berühren und anregen und ob die kulturellen Angebote neben Unterhaltung auch Nachdenklichkeit und Reflexion ermöglichen oder verhindern.
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