I. Abschnitt
Seit der Mitte der neunziger Jahre ist der Begriff der "Globalisierung" weltweit massiv in das Zentrum des politischen und auch des wissenschaftlichen Diskurses gerückt. Aus der Geschichte öffentlich wirksam gewordener Begriffe weiß man, dass ein solcher Vorgang immer reale Sachverhalte widerspiegelt. Dennoch: Problematisch wird der gängig gewordene Begriff, insofern mit ihm - wie es häufig in industriell hoch entwickelten Ländern geschieht - weltweite Gleichläufigkeiten unterstellt werden, wodurch ein fragwürdiges, gegebenenfalls sogar ein falsches Bild der Welt entsteht. Denn diese Welt zeichnet sich immer noch durch höchst unterschiedliche Teilstrukturen aus, die allerdings in hierarchisch gelagerten Abschichtungen aufeinander bezogen sind:
An der Spitze der Weltgesellschaft beobachten wir zwischen den fortgeschrittenen Industriegesellschaften (OECD-Welt) Entgrenzungsprozesse, die in allen Dimensionen (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur) komplexe Interdependenzen entstehen lassen. Im ökonomischen Bereich ist dieser Vorgang am weitesten fortgeschritten. Beispielhaft ist hierfür die forcierte Entwicklung des europäischen Binnenmarktes, der heute durch eine freihändlerisch motivierte Mobilität der entscheidenden ökonomischen Faktoren gekennzeichnet wird. Die hier inzwischen entstandenen Interdependenzen zeichnen sich durch Symmetrie und substitutive Arbeitsteilung aus. Das heißt, alle beteiligten Ökonomien produzieren tendenziell kapital-, wissens- und technologieintensiv; sie sind in allen Sektoren vergleichbar wettbewerbsfähig, und sie exportieren ein und denselben Typ von Gütern hoher Wertschöpfung über die Grenzen hinweg. Das führt zu einem erheblichen Wettbewerb und doch gleichzeitig zu grenzüberschreitenden integrierten Märkten. Da der Wettbewerb auf gleichem Kompetenzniveau stattfindet, kommt es zu dem, was man als Globalisierung de luxe bezeichnen könnte: einer symmetrisch gelagerten Durchdringung der Märkte mit vergleichbaren, substituierbaren Gütern. Bei diesem Typ von Arbeitsteilung gewinnen alle Beteiligten, einschließlich der Konsumenten.
Ein solcher Sachverhalt lässt sich aber weltweit, das heißt jenseits der OECD-Ökonomien, nicht oder nur im Hinblick auf eingeschränkte, wenige Länder erfassende Segmente beobachten. Weltweit existiert weiterhin, wie schon in den vergangenen Jahrzehnten, wenn nicht gar Jahrhunderten, ein erhebliches Produktivitäts- und Kompetenzgefälle zwischen den hoch produktiven Ökonomien und den weniger produktiven. Die weniger produktiven Ökonomien sind dabei einem dramatischen Verdrängungswettbewerb ausgesetzt; sie befinden sich unter Peripherisierungsdruck, d. h. in der Gefahr, innerhalb der Weltwirtschaft an den Rand gedrängt, also peripherisiert oder marginalisiert zu werden.
Natürlich sind das Produktivitäts- und Kompetenzgefälle und der daraus resultierende asymmetrisch gelagerte Verdrängungswettbewerb nicht überall gleich ausgeprägt. Und natürlich gibt es unterschiedliche Reaktionsweisen einer weniger produktiven Ökonomie (économie dominée) gegenüber der überragend produktiven économie dominante: Abbau und Verfall, also Regression, ist eine der möglichen Reaktionen, und sie ist keineswegs die seltenste (siehe Schwarz-Afrika). Abschottung bei gleichzeitigem Versuch des Überlebens unter selbst gewählten Bedingungen ist eine weitere denkbare und empirisch beobachtbare Reaktion (siehe bis vor kurzem Lateinamerika). Den dritten, eher seltenen Typ von Reaktion könnte man als innovative Antwort auf die genannte Herausforderung bezeichnen: Hier werden alle Kräfte mobilisiert, um dem Verdrängungswettbewerb standzuhalten und ihm gegebenenfalls erfolgreich entgegenzuwirken. Inszeniert wird dann ein Verdrängungswettbewerb gegen die höher produktive Ökonomie: Man schlägt den Herausforderer mit qualitativ vorzüglichen Produkten, die mit zunächst niedrigen Lohnkosten erzeugt werden, was zu einem "dependency reversal" führt (z. B. Ostasien in den vergangenen Jahrzehnten).
Doch anders als in diesem exzeptionellen Fall führt Globalisierung in den weniger produktiven Gesellschaften und Ökonomien allermeist zu jener Erscheinung, die Entwicklungsforscher seit Jahrzehnten als "strukturelle Heterogenität" bezeichnet haben. Mit diesem Begriff wird eine Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur gekennzeichnet, in der sich unterschiedliche Produktivitätsniveaus und Produktionsweisen, abgeschichtet gelagert, miteinander verschränken - gewissermaßen im Spektrum von den hoch produktiven Tochterfirmen multinationaler Konzerne einerseits und einer kärglichen Selbstversorgungswirtschaft andererseits. Die bekannte Folge dieser Struktur besteht in einer Akzentuierung der Kluft zwischen Reich und Arm, zwischen Privilegierung und Marginalität in ein und derselben Gesellschaft.
Wenn vor mehreren Jahrzehnten in einer fulminanten lateinamerikanischen Entwicklungsdiskussion über "transnationale kapitalistische Integration bei gleichzeitiger nationaler Desintegration" reflektiert wurde - auf diese Problematik bezog sich der Kern der so genannten dependencia-Diskussion -, dann hat sich inzwischen die seinerzeit geschilderte Problemlage für diesen Typ von Ländern in der Welt um einiges zugespitzt. Denn das Produktivitäts- und Kompetenzgefälle und damit der Peripherisierungs- und Marginalisierungsdruck sind in der Zwischenzeit nicht kleiner geworden, sondern größer. Autoren (wie A. Cordova, F. H. Cardoso, R. M. Marini, A. Quijano und O. Sunkel) haben seinerzeit über den Fall Lateinamerika nachgedacht, andere (wie insbesondere Samir Amin) über Afrika und die übrige Welt, und wiederum andere Autoren haben entsprechende Beobachtungen zur Ausgangslage einer "Weltsystem-Analyse" (Immanuel Wallerstein) gemacht. Die Globalisierungsproblematik, wie sie heute den größten Teil der Welt tangiert ("transnationale kapitalistische Integration"), ist also eine nicht unvertraute Erscheinung, was gleichermaßen für ihre Folgen - "nationale Desintegration" als Konsequenz eines asymmetrischen Verdrängungswettbewerbs - gilt. Für die Entwicklungsgesellschaften der Welt existierte sie, lange ehe Globalisierung als Begriff in Umlauf kam. Deshalb kann es nur nützlich sein, sich erneut der Sachverhalte einer Globalisierung avant la lettre zu vergewissern, um der Denkfalle zu entgehen, die Erfahrungen aus dem Umkreis einer OECD-Globalisierung de luxe als repräsentativ für die gesamte Welt zu unterstellen.
II. Abschnitt
Nun zeigen sich, vom ökonomischen Bereich her gesehen, bemerkenswerte Strukturanalogien im Hinblick auf kulturelle Globalisierung. Auch hier ist ein abgeschichtetes Bild erforderlich. Entgrenzung findet statt, aber diese hat wiederum ganz unterschiedliche Ausprägungen, je nachdem ob wir uns im Bereich der OECD-Welt bewegen oder in den übrigen Teilen der Welt.
Innerhalb der OECD-Welt wird der zunehmende kulturelle Austausch als Bereicherung empfunden, gleichgültig, ob er in anderen, vergleichbar entwickelten Gesellschaften oder in der übrigen Welt seinen Ursprung hat. Denn mit ihm verstärkt sich die Vielfalt der kulturellen Impulse, sei es in der bildenden Kunst, im Film, in der Musik ("Weltmusik") oder in der Literatur. Diese Vielfalt vermehrt das kulturelle Angebot, was wiederum zum weltläufigen postmodernen Flair dieser Gesellschaften beiträgt. Stilmischungen kommen zustande, sei es in Form einer Hybridisierung, von cross-overs oder ähnlichen Durchmengungen. Vor allem in der breitenwirksamen Popularkultur sind Vorgänge solcher Art interessant, aber politisch weitgehend belanglos. Denn offensichtlich lassen sich diese vielfältigen Impulse absorbieren, ohne dass die betroffenen Gesellschaften in Identitätskrisen verfallen. Vor allem: Eine sich dergestalt pluralisierende, bunter werdende Kulturszene bedroht nicht, zumindest nicht bis heute, den Kernbestand der politischen Kultur, d. h. die Akzeptanz von Pluralität und die Fähigkeit, diese mit Hilfe institutionalisierter Vorkehrungen konstruktiv zu bearbeiten. Hier also haben wir es, von der räumlich eingrenzbaren Problematik der Integration von Migranten abgesehen, mit einer kulturellen Globalisierung de luxe zu tun.
Gegenüber dieser ist die Lage in den Entwicklungsgesellschaften der Welt in aller Regel eine ganz andere. Dort wird allermeist der kulturelle Außeneinfluss, der aus der ökonomisch, technologisch und medienwirksam überlegeneren OECD-Welt stammt, als ein direkter Angriff auf die eigene (meist brüchig gewordene) Identität begriffen. Die fremde, sich aufdrängende Kultur wird dann unter den Vorzeichen eines aggressiven, wiederum asymmetrisch gelagerten kulturellen Verdrängungswettbewerbs betrachtet. Und wiederum gibt es, wie im ökonomischen Bereich, drei grundsätzliche Reaktionsweisen: die Regression in der Folge von Überforderung; ein sich aufbäumender Widerstand als Ausdruck von Gegenwehr (man findet diesen allerdings punktuell auch in hoch entwickelten Gesellschaften wie beispielsweise Frankreich gegenüber dem überwältigenden Kultureinfluss der USA); und gelegentlich kommt es zu innovativer Reaktion: Dann entsteht Neues in der Folge einer zunächst als überwältigend empfundenen Herausforderung.
Doch in der Regel führt der Verdrängungswettbewerb, nicht anders als in der Ökonomie, zur Herausbildung von struktureller Heterogenität, nunmehr in kultureller Hinsicht: Dann zergliedern sich Gesellschaften in der Folge von kultureller Globalisierung in Schichtungen unterschiedlicher mentaler und kultureller Orientierung: Da gibt es die "Westler", die mit westlicher Kultur (Pluralität, Individualismus, Gleichheit der Geschlechter, Selbstbestimmung usf.) keinerlei Schwierigkeiten haben. Mehr noch - sie wollen, dass die eigenen Gesellschaften möglichst schnell ein vergleichbares Kulturmuster ausprägen, was als Ausdruck von zivilisatorischem Fortschritt empfunden wird. Dann gibt es jene, die gewissermaßen ein Mischprogramm anstreben, also eine Synthese aus Moderne und überkommenen Kulturmustern. Und nicht gering an Zahl sind jene Vertreter, welche die eigene Kultur retten, aber doch die Segnungen der fremden Technologie nicht entbehren wollen. Als "halbierte Modernisten" wurden sie bezeichnet, weil sie nur Wissenschaft und Technologie modernisieren, nicht aber die Kultur unter Veränderungsdruck gesetzt sehen wollen. Auch gibt es die Traditionalisten, die in der Vergangenheit oft nur das sehen, was sie in diese hineinprojizieren, und damit zu Repräsentanten jenes Vorgangs werden, den man als "Erfindung von Tradition" bezeichnet hat. Schließlich gibt es die fundamentalistische Reaktionsweise, die vor Ort, aber auch international mit aggressiver Reaktion auf die Herausforderung westlicher Kultur ("den Satan") reagiert, im Grenzfall sogar mit lokal oder international inszeniertem Terrorismus. Der Kulturgehalt der letztgenannten Reaktion ist allerdings minimal bis inexistent. Denn terroristisch motivierte Gewalt will Schrecken verbreiten, darüber hinaus auch bei Gleichgesinnten zusätzliche Sympathien mobilisieren. Vor allem aber wird Terror als Instrument der Machterringung begriffen. Dabei wird Kultur, in Sonderheit Religion, allermeist auf ganz vordergründige Weise machtopportunistisch funktionalisiert, woraus Unkultur, im Grenzfall kulturell verbrämte Makrokriminalität erwächst.
Nun hängt die jeweils beobachtbare Mischung einer kulturell motivierten Reaktion in erheblichem Maße vom Erfolg bzw. Misserfolg sozioökonomischer und politischer Transformationsprozesse ab. Sind, wie beispielsweise in Ostasien, die Transformationsprozesse relativ erfolgreich, so sind die kulturellen Veränderungsprozesse zwar schmerzhaft, aber von Anpassungsfähigkeit und Lernoffenheit gekennzeichnet. Befinden sich demgegenüber Gesellschaften in einer tiefen Entwicklungskrise, so akzentuieren sich die kulturellen Verwerfungen, wobei ein Nährboden für ein breites Spektrum von meist gleichzeitig beobachtbaren Reaktionsweisen entsteht. Unter dem Vorzeichen einer chronischen Entwicklungskrise wird der Kulturkonflikt vor Ort fast unausweichlich zu einer Auseinandersetzung über die Ausrichtung der öffentlichen Ordnung. Es kommt zu einem Kulturkampf im ernsten Sinne des Begriffes: zu einer Auseinandersetzung über unterschiedliche Optionen in der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten. Kulturkonflikte gleichen dann Machtkämpfen, die ihrerseits Verfassungskämpfe sind, weil es in ihnen um grundlegende Fragen künftiger Verfassungsordnung geht. So beispielsweise um die Frage von theokratischer oder säkularer Orientierung bzw. entsprechenden Mischformen ("Gottes Staat als Republik"), wie seit einigen Jahren und derzeit intensiviert im Iran beispielhaft beobachtbar.
Kulturkämpfe dieser Art offenbaren existenzielle Identitätskrisen. Kulturelle und bewusstseinsmäßige Heterogenität ist dann nicht nur auf gesamtgesellschaftlicher Ebene oder in einzelnen Sozialschichten, sondern gerade auch bei Einzelpersonen zu beobachten. Mit den Folgewirkungen einer kulturellen Globalisierung de luxe - einer sich immer selbst bereichernden Kulturszene, einer spielerisch-postmodernen Beliebigkeit - hat dieser Sachverhalt nichts zu tun. Denn in den extremen Fällen sind Konflikte der genannten Art (s. Algerien, Iran u. a.) Auseinandersetzungen auf Leben und Tod.
Man tut also gut daran, wie in der ökonomischen (und allgemeinen) Globalisierungsdiskussion, so auch in der kulturellen ganz unterschiedliche Kontexte und die sie charakterisierenden Sachverhalte auseinander zu halten.
III. Abschnitt
Im Hinblick auf den in Zukunft immer unausweichlicher werdenden interkulturellen Dialog mag eine weitere Beobachtung von Nutzen sein: Was in den Entwicklungsgesellschaften der Welt heute unter den Vorzeichen ökonomischer und kultureller Globalisierung und angesichts eines tief greifenden sozialen Wandels zu beobachten ist, ruft - wenngleich nicht in jedem Detail, so doch in den Grundzügen - Erinnerungen an weithin im öffentlichen Bewusstsein verdrängte europäische Erfahrungen wach. Europa ist jener Kontinent, der zum ersten Mal in der Weltgeschichte zur Geburtsstätte dramatischer Modernisierungsschübe und entsprechender Umbruchserfahrungen wurde. Ihre Begleiterscheinung waren tief greifende ordnungs- bzw. gesellschaftspolitische Konflikte, auch Kulturkämpfe in den jeweiligen Gesellschaften. Die derzeitigen politischen, sozioökonomischen und soziokulturellen Veränderungen in den Entwicklungsgesellschaften der Welt sind dem Beobachter europäischer Geschichte nicht unvertraut: Wie einst in Europa, so ist heute weltweit eine dramatische Entbäuerlichung bzw. Verstädterung von Gesellschaften, eine breitenwirksame Alphabetisierung, die Politisierung von herkömmlicherweise eher apolitischen, jetzt organisierbar werdenden Bevölkerungen zu beobachten. Dabei kommt es zu einer Pluralisierung von politisierten Interessen und Identitäten. Und darüber entsteht die moderne Koexistenzfrage, die zur grundlegenden Verfassungsfrage wird: Welche verbindlichen institutionellen Vorkehrungen werden in einer sich pluralisierenden Gesellschaft für die friedliche Bear-beitung von unausweichlichen Konflikten gefunden und als legitim akzeptiert? Diese Problematik trieb die neuzeitliche Geschichte Europas um, und sie kennzeichnet heute die politischen Konflikte in weiten Teilen der außereuropäischen Welt.
Nun lässt sich die politisch virulente kulturelle Identitätskrise vieler Entwicklungsgesellschaften nicht durch exklusive Rückgriffe auf die eigene Tradition oder die pure Übernahme fremder Angebote bewältigen. Der Ausweg kann, nicht anders als seinerzeit in Europa, nur das Ergebnis von Kompromissen sein, die aus politischen Konflikten resultieren. Solche machtlagenbedingten Kompromisse müssen den jeweiligen Status-quo-Mächten abgerungen werden, denn es handelt sich bei ihnen um Weichenstellungen wider Willen. Das war in Europa nicht anders: Keine der zivilisatorischen Errungenschaften, die heute in Europa und in der westlichen Welt insgesamt als grundlegend für die Struktur und den Aufbau der öffentlichen Ordnung erachtet werden (der Schutz individueller Grundrechte, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Gewaltenteilung u. a.), waren tragende Prinzipien in der vormodernen alteuropäischen politischen Ordnung: Sie alle sind, nicht anders als die regulative Idee der Toleranz, ein spätes Produkt zivilisatorischer Entwicklung in unseren eigenen Breitenkreisen.
Wer die eigene europäische Kultur, gerade auch die inzwischen allseits wertgeschätzte, auf Pluralität ausgerichtete politische Kultur, als das historische Ergebnis eines konfliktreichen, oft konvulsiven kollektiven Lernprozesses begreift, wird angesichts andernorts zugespitzter gesellschaftspolitischer Konfliktlagen dort kaum in holistisch-kulturessentialistischer Manier unverrückbare homogene Kulturprofile ("asiatische/islamische Werte") unterstellen. Im Gegenteil: Seit langem ist zu beobachten, wie außereuropäische Kulturen als Reflex eines sozioökonomischen Wandels und politischer Konflikte mit sich selbst in Widerstreit geraten, sich ausdifferenzieren und darüber selbstreflexiv werden. Nicht anders als ein wirklichkeitsgetreues historisches Selbstbild Europas, die Wiedererinnerung an seine reale Konfliktgeschichte, erleichtert dieser in den Entwicklungsgesellschaften unübersehbare Sachverhalt den interkulturellen Dialog. In einem solchen Dialog werden sich, anders als heute, nicht sich selbst zu Repräsentanten von Kulturen und Religionen stilisierende Gesprächspartner begegnen, sondern Vertreter der unterschiedlichsten Stömungen, die es seit langem in allen Kulturen gibt: die Traditionalisten und Modernisten, die Theokraten und Säkularisten, die Wertekonservativen und Postmodernisten, die Aufklärer und Gegenaufklärer, die Universalisten und Kommunitaristen. Deren Differenzen sind weniger in spezifischen Kulturinhalten, die für nicht austauschbar bzw. nicht verhandelbar gehalten werden, begründet, vielmehr reflektieren diese kontroversen, oft antagonistischen Positionen moderniserungsbedingte, die einzelnen Kulturkreise übergreifende sozioökonomische und soziopolitische Problemlagen, vor allem unterschiedliche Handlungsperspektiven zu deren Bearbeitung und Bewältigung. Wer immer sich heute anschickt, interkulturelle Dialoge zu inszenieren, sollte die real existierende Kulturwelt, nicht also die Fiktion von homogenen Kulturen zum Ausgangspunkt nehmen. Das erfordert zunächst einmal die Auflösung von selbst verschuldeten klischeehaften Denkblockaden. Auch würde dadurch einer kontraproduktiv werdenden Routine, dem beobachtbaren Leerlauf vieler heute gängiger Dialoge, entgegengewirkt. Dergestalt neu ausgerichtet, wären interkulturelle Dialoge wichtige Beiträge für eine sich allmählich herausbildende, durch vielfältige Kreuz- und Querbezüge geprägte kulturelle Globalität.
Internetverweise des Autors:
Mario Vargas Llosa, The Culture of Liberty, in: online-Ausgabe von Foreign Policy, Jan./Feb. 2001. http://www.foreignpolicy.com/issue_janfeb_2001/vargasllosa.html
Economic Globalization and Culture: A Discussion with Dr. Francis Fukuyama Merrill Lynch & Co., Inc. Forum. http://www.ml.com/woml/forum/global.htm
Benjamin Barber, Jihad vs, McWorld, in: The Atlantic Monthly, 269 (March 1992) 3, S. 53-65. http://www.theatlantic.com/politics/foreign/barberf.htm
Clemens Six, Globalisierung und Kultur, in: ders.: Hindu-Nationalismus und Globalisierung. Die zwei Gesichter Indiens: Symbole der Identität und des Anderen, Frankfurt/M./Wien, 2001. http://www.univie.ac.at/Wirtschaftsgeschichte/VGS/ geg2lp.html
http://www-user.uni-bremen.de/~iniis/mitarb/ds.htm