Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Staaten Afrikas zwischen demokratischer Konsolidierung und Staatszerfall | Afrika | bpb.de

Afrika Editorial Die Staaten Afrikas zwischen demokratischer Konsolidierung und Staatszerfall Afrika - ein chancenloser Kontinent? Die regionale Integration und Kooperation in Afrika südlich der Sahara Die EU als internationaler Akteur in Afrika Gender und ländliche Entwicklung in Afrika

Die Staaten Afrikas zwischen demokratischer Konsolidierung und Staatszerfall

Rainer Tetzlaff

/ 11 Minuten zu lesen

Die Staaten Afrikas stehen vor vier großen Herausforderungen: grassierende politische Gewalt, zu langsames wirtschaftliches Wachstum und dauerhafte Armut, Ausbreitung von Aids und Tendenzen des Staatszerfalls.

Einleitung

Afrika verändert sich rasch. Es oszilliert zwischen Demokratisierungsfortschritten und Staatsverfallsprozessen, zwischen mutigen zivilgesellschaftlichen Aufbrüchen und Abstürzen in diverse Formen politisierter Gewalt. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass in kurzer Zeit überraschend viele Länder in Reformprozesse der demokratischen Transition eingetreten sind. In den Bevölkerungen haben sich positive Einstellungen zur Mehrparteiendemokratie entwickeln können - vor allem im südlichen Afrika sowie in Benin, Ghana und Mali. Die institutionelle Reifung und schließlich Konsolidierung der pluralen Demokratie ist auch unter Armutsbedingungen in Afrika möglich - sie braucht aber den entschlossenen Einsatz von konfliktfähigen und handlungsbereiten Gruppen, für Menschenrechte und für ihre Eigeninteressen zu kämpfen, und sie braucht Zeit.

Neben solchen Erfolgen mit der demokratischen Transition gibt es in Afrika allerdings auch vier große Problembereiche, die Anlass zu tiefer Sorge geben:

- lang anhaltende Bürgerkriege und zunehmende politische Gewalt, vor allem auch zwischen ethnischen und religiösen Gruppen in dicht besiedelten Regionen - Phänomene, die Migration fördern und Entwicklung blockieren;

- stagnierendes oder langsames wirtschaftliches Wachstum, geringe Investitionen, hohe Auslandsverschuldung, steigende Arbeitslosigkeit, vor allem bei Jugendlichen, und insgesamt persistente Armut;

- rasche Ausbreitung der Pandemie Aids (und anderer Krankheiten) und dadurch zunehmende Verluste an "Human capital", was regional zur Zerstörung von Familien, Dörfern und Wirtschaftsräumen führt;

- und schließlich zunehmende Tendenzen von Staatsverfall, Staatskollaps und Staatssubstitution durch neue und alte Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation, um so Phänomenen von Autoritätsverlust und sozialer Anomie begegnen zu können.

Während sich oftmals diese vier Krisenphänomene - Krieg, Wachstumsschwäche, Aids und Staatsverfall - wechselseitig stärken, kommt der ungebändigten kollektiven politischen Gewalt ein besonderes Gewicht im Prozess der blockierten Entwicklung zu. Nur zwischenstaatliche Kriege sind bisher selten. Der kürzlich zwischen Äthiopien und Eritrea geführte Bruderkrieg war allerdings ein Ereignis von schwer nachvollziehbarer Zerstörungswut. Mit 13 Bürgerkriegen (von 35 weltweit geführten Kriegen) und weiteren zwölf bewaffneten Konflikten ist Afrika noch immer der am häufigsten von politisierter Gewalt betroffene Kontinent. Die Zahl der Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge ("Displaced persons" innerhalb des jeweiligen Landes) geht in die Millionen. Besondere Besorgnis erregt seit dem präzedenzlosen Genozid in Ruanda aus dem Jahr 1994, der schätzungsweise 800 000 Menschen (überwiegend vom Volk der Tutsi) das Leben gekostet hat, der erste afrikanische zwischenstaatliche Regionalkrieg um den zerfallenen Staat Zaire/Kongo und seine lukrativen Bodenschätze. In diesen Flächenbrand im Gebiet der Großen Seen waren bis zu acht afrikanische Nachbarstaaten involviert, und die einstige extraktive Rolle europäischer Staaten, vor allem Belgiens, scheint nun von den vier Nachbarstaaten Ruanda und Uganda sowie Simbabwe und Angola eingenommen zu werden: Jede regional operierende Kriegspartei bereichert sich illegal an den Rohstoffreichtümern des Kongo und zeigt wenig Interesse an einer friedlichen Konfliktlösung. Bislang sind hier weitere zwei Millionen Kongolesen ums Leben gekommen - hauptsächlich in den (östlichen) Kivu-Provinzen des Kongo.

Zu allem Kriegsunglück kommt noch hinzu, dass Afrika zum Kontinent mit der größten Zahl von HIV-Infizierten geworden ist. Gegen Ende des Jahres 2000 lebten ca. 70 Prozent aller HIV-Infizierten (36,1 Millionen Menschen) im subsaharischen Afrika (25,3 Millionen) - Tendenz steigend. Jährlich sterben etwa drei Millionen Menschen an der Aids-Krankheit. Am schlimmsten ist Botswana betroffen - der demokratische Musterstaat mit hohem Einkommensniveau. Bisher sind etwa 17 Millionen Afrikaner an Aids gestorben; sie hinterließen 13,2 Millionen Waisenkinder. HIV/Aids trifft den aktivsten Teil der Bevölkerung und hinterlässt tiefe Wunden. Keine andere Krankheit ist in ihrer Kombination aus sozialen und ökonomischen Folgen so verheerend wie Aids.

UNAIDS in Genf befürchtet, dass Aids zu einem demographischen Erdrutsch führen wird: In zwanzig Jahren werden Teenager den Hauptteil der Bevölkerung bilden, und die allgemeine Lebenserwartung wird von heute 59 auf 45 Jahre absinken. Gleichzeitig wird sich die Zahl der Aidswaisen mehr als verdreifacht haben. Diese Kinder werden kaum zur Schule gehen können. Weil die Erwerbstätigen aussterben, müssen Schulen, Krankenhäuser und Polizeiwachen schließen - staatliche Einrichtungen werden implodieren. Obwohl sich täglich 16 000 Menschen neu mit dem Virus infizieren, wird die Suche nach einem Aids-Impfstoff immer noch vernachlässigt. Und die schon vorhandenen Medikamente, so genannte "hochaktive Therapien", sind teuer - etwa 15 000 US-Dollar pro Patient und Jahr. Daher sollte die Initiative von UN-Generalsekretär Kofi Annan unterstützt werden, der ein AIDS-Sonderprogramm von zehn Milliarden US-Dollar jährlich fordert, denn Afrika kann mit diesem Problem allein nicht fertig werden.

Zu Recht beginnt fast jede seriöse wissenschaftliche Abhandlung über Staat und Gesellschaft im gegenwärtigen Afrika mit dem Hinweis auf dessen natürlichen Reichtum an Völkern, Kulturen und Sprachen, gleichwohl auch auf dessen enorme politische, wirtschaftliche und ethnisch-kulturelle Heterogenität, die es eigentlich verbietet, den geographischen Sammelnamen Afrika für die Vielzahl strukturell unterschiedlicher Gesellschaften zu verwenden, die wenig mehr als das kolonialherrschaftliche Erbe (mit Ausnahme Äthiopiens und Liberias) und strukturelle Unterentwicklung (koloniale Monokulturen, hohe Außenabhängigkeit, geringe Industrialisierung) gemeinsam haben. Daher ist es sinnvoll, die 53 Staaten bzw. Länder des afrikanischen Kontinents in wenigstens drei Gruppen einzuteilen, differenziert nach einem ökonomischen Kriterium (wirtschaftliches Wachstum) in Kombination mit einem politischen (Bürgerkrieg oder politische Stabilität als Folge von demokratischen Reformen oder von autoritärer Herrschaft). Damit ergibt sich folgende Typologie, die sowohl die großen politischen Leistungen in Sachen Demokratie und Entwicklung als auch die unübersehbaren Defizite afrikanischer Politik - Bürgerkriege, ethnische Gewalt, Korruption, Unterdrückung der Zivilgesellschaft, Politisierung entlang ethnischer und religiöser Identitäten etc. - widerzuspiegeln versucht:

- Am weitesten hat es eine kleine Gruppe von ca. neun bis zehn demokratischen Ländern gebracht, in denen das Gewaltmonopol des Staates weitgehend gesichert, politische Partizipation mittels freier und fairer Wahlen gewährleistet und auf dem langen Weg zum verfassten Rechtsstaat (Unabhängigkeit der Justiz) bereits einige spürbare Fortschritte erzielt worden sind. Nach dem US-amerikanischen Freedom House Index, der die bürgerlichen und politischen Freiheitsrechte taxiert, gelten diese Staaten als "frei". Zu dieser Gruppe der erfolgreichen demokratischen Transitionsstaaten gehören Benin, Mali, Ghana und Senegal in Westafrika; denn hier ist ein auf Wahlen gegründeter Regierungswechsel möglich geworden. Ferner zählen dazu die beiden ökonomischen und politischen Erfolgsmodelle Mauritius und Botswana mit den höchsten durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen (PKE: 3540 bzw. 3240 US-Dollar), neben Südafrika mit 42 Millionen Einwohnern (3170 US-Dollar). Mit Einschränkungen sind auch die drei Armutsländer Tansania (260 US-Dollar), Malawi (180 US-Dollar) und Namibia (1890 US-Dollar) zu dieser Gruppe zu rechnen.

- Am anderen Ende der Freiheitsskala steht die Gruppe der Länder, die von diversen Stadien des Staatsverfalls (Staatsimplosion) und des Staatszerfalls heimgesucht sind und in denen freie und rechtsstaatliche Verhältnisse durch Militärdiktaturen bis auf weiteres blockiert werden. In diese Gruppe gehören zum einen die Länder, in denen der Staatszerfall durch (Bürger-)Kriege bis zum Staatskollaps fortgeschritten ist: Somalia, Sierra Leone und Liberia, ferner Angola und Kongo/Zaire, zum anderen die Staaten, in denen kriegerische Ereignisse und militante Konflikte (häufig in Form "ethnischer Säuberungen") eine demokratische Entwicklung in den vergangenen Jahren blockierten und teilweise noch verhindern: Burundi und Ruanda, Uganda und Guinea, Äthiopien, Eritrea und Sudan, die Zentralafrikanische Republik und Tschad. Für 2001 rechnete der Freedom House Index insgesamt 15 Staaten Afrikas südlich der Sahara zu den "unfreien" Ländern.

- Eine dritte Gruppe von Staaten, positioniert zwischen demokratischen Transitionsländern und gewaltträchtigen Staatszerfalls- und Bürgerkriegsländern, bilden die "teilweise freien" Staaten des Freedom House Index, die gegenwärtig etwa die Hälfte der 48 Staaten südlich der Sahara ausmachen. Hier ist zwar das Gewaltmonopol des Staates im Großen und Ganzen gesichert, aber demokratische Reformen, der Schutz der Menschenrechte und die Unabhängigkeit der Justiz sind erst ansatzweise realisiert und angelaufene Reformmaßnahmen erfahrungsgemäß reversibel. Die politische Stabilität dieser neopatrimonialen Staaten (bzw. ihrer politischen Regime) beruht auf dem effektiven Erfolg eines repressiven Herrschaftsmodells, das sich auf den antipluralistischen Präsidentialismus stützen kann.

Fragt man nach einer Erklärung für diese unterschiedliche Entwicklung, so lassen sich wenigstens drei Bündel von Ursachen feststellen, die hier nur angedeutet werden können: endogene, exogene und strukturelle Faktoren. Während Handelsprotektionismus der Industriestaaten, die meist ungünstigen "Terms of trade" (Austauschrelationen von Export- und Importgütern über einen bestimmten Zeitraum) und andere weltmarktabhängige Faktoren zu den wichtigsten exogenen Faktoren gehören, auf welche die Regierungen der Entwicklungsländer keinen Einfluss haben, sind endogene Faktoren die hausgemachten Leistungen bzw. Fehlleistungen der Regierungen, Verwaltungen und gesellschaftlich dominanten Kräfte eines Landes. Mit strukturellen Faktoren sind Klima, Größe, natürliche Beschaffenheit und geopolitische Lage eines Staates, die Zahl und Heterogenität seiner Bevölkerung und andere schwer beeinflussbare Faktoren aus der Geschichte (z. B. Traumata als frühere Sklaven, Epedemien wie Aids und Malaria) gemeint. Die Zwergstaaten Ruanda und Burundi beispielsweise sind Opfer struktureller Faktoren geworden.

Während strukturelle und exogene Faktoren von den Entwicklungsgesellschaften kaum oder gar nicht beeinflusst werden können, sind es meistens die endogenen Faktoren, in Kombination mit der Ausstattung des Landes mit begehrten Rohstoffen, die zu sehr unterschiedlichen Entwicklungsresultaten geführt haben. Unter dem atlantischen Sklavenhandel sowie dem europäischen Kolonialismus beispielsweise haben mehr oder weniger alle afrikanischen Ex-Kolonien gelitten, aber nur dort, wo "good governance" auf Staatsebene über einen längeren Zeitraum Wirtschaft und soziale Entwicklung prägen konnte, hat es gesamtgesellschaftlichen Fortschritt gegeben. Dies gilt für die Länder der Kategorie eins.

Zaire/Kongo ist der wohl bekannteste Fall eines postkolonialen Staates, der durch ein bizarres System von "bad governance" zugrunde gerichtet wurde. Unter dem neopatrimonial regierenden Präsidenten Joseph Mobutu (1965 bis 1997) ist Zaire trotz seines Ressourcenreichtums in eine ökonomisch-finanzielle Krise manövriert worden. Unter der vom Staatspräsidenten an seine loyale Klientel selbst ausgegebenen Parole der Selbstbereicherung hat sich eine bürokratisch-parasitäre Staatsklasse von Generälen, Parteifunktionären, Verwaltungsbeamten und Zwischenhändlern gebildet, die den überwiegenden Teil der hohen Staatseinnahmen (aus dem Verkauf von Kupfer, Kobalt, Coltrin etc.) korporativ für sich reklamierte und so der politisch entmündigten Bevölkerung stahl. Diese Form von staatlich organisierter Räuberei ist mit dem Begriff Kleptokratie treffend umschrieben worden.

Nach diesem unschönen Muster illegaler, ja krimineller Herrschaft - volkswirtschaftliche Selbstzerstörung als Folge ungehinderter Gier einer martialischen Staatsklasse - sind mehrere der großen Flächenstaaten Afrikas in den Ruin manövriert worden:

- der an Erdgas und Erdöl reiche Staat Algerien unter Herrschaft der Generäle der FLN (aus dem 1962 beendeten Befreiungskrieg gegen die französische Kolonialherrschaft), die sogar einen Bürgerkrieg (mit bislang mehr als 70 000 toten Zivilisten) in Kauf nahmen und weiter anheizen, um illegal an der Macht bleiben zu können;

- das über hohe Erdöleinnahmen verfügende Nigeria unter der Herrschaft der Putschgeneräle Babangida, Abacha und Co. (1983-2000), die illegal Milliardenbeträge auf ausländische Privatkonten transferierten und das Ergebnis demokratischer Wahlen schlichtweg annullierten;

- das ebenfalls über große Erdölquellen sowie über Diamantenfelder verfügende Angola, in dem zwei konkurrierende Bewegungen: die MPLA von Staatspräsident dos Santos und die UNITA des kürzlich getöteten Rebellenführers Savimbi um politische Macht und unkontrollierte Verfügungsgewalt der staatlichen Renteneinkommen kämpfen.

- Infolge der großen Erdölfunde der letzten Jahre am mittleren Nil durch internationale Rohstofffirmen ist die Lage im seit 1955 in einen Bürgerkrieg (muslimisch-arabischer Norden gegen afrikanisch-christlichen Süden) verstrickten Sudan durch jüngst entfachte Gier nach Reichtum und Macht weiter eskaliert. Frieden ist in dem multi-religiösen Vielvölkerstaat weiterhin in die Ferne gerückt, zumal die Ölfelder im umkämpften Grenzgebiet liegen und zusätzliche Staatsrevenuen zum Kauf neuer und effektiver Waffen verleiten.

Auch in anderen rohstoffreichen Staaten Afrikas (z. B. in Liberia, Sierra Leone und Guinea) spielen lukrative Rohstoffvorkommen, konkurrierende "Warlords", die im Namen einer diskriminierten Ethnie oder Region gegen den Herrscher des lokalen Staates rebellieren und letzteren zu erobern suchen, und - drittens - markthungrige "Global players" in Form von Rohstoffkonzernen und ausländischen Waffenhändlern eine ähnliche Rolle im Prozess der wirtschaftlichen und politischen Selbstzerstörung. Aus den hier skizzierten Fällen geht hervor, dass überwiegend hausgemachte, d. h. politisch veränderbare Ursachen den Niedergang einiger Staaten bedingen.

Ungerechte staatliche Herrschaft, die sich demokratischen Wahlen (und somit auch möglicher Abwahl) entzieht, provoziert Gegengewalt von den Rändern der Gesellschaft her, die den schwachen Zentralstaat weiter schwächt. An die Stelle des staatlichen Gewaltmonopols treten soziale Anomie oder gar politische Anarchie. Wo staatliche Autorität erodiert oder staatliche Institutionen kollabieren, entstehen gewaltoffene Hohlräume staatlicher Macht, in die sich alternative oder parastaatliche Autoritäten einnisten können - politische Abenteurer, rebellische Einheiten der Armee, "Warlords" sowie "ethnische Milizen" -, die zuweilen jegliche Tötungshemmung verlieren und durch Magie, Zauber und Aussicht auf Beute zusammengehalten werden. Auf Grund der weitgehend repressiven Rekrutierung von Kämpfern - darunter immer wieder auch "Kindersoldaten" - sind solche Gruppen äußerst instabil und politisch schwer einzubinden. Die Ökonomie solcher Kriegsherren-Banden beruht vornehmlich auf Plünderung und Handel mit geraubten oder illegal geförderten Gütern (wie "Blutdiamanten").

Dass heute vereinzelt Staatspräsidenten (und ihre politischen Klientelen, einschließlich ihrer Generäle) in die kriminelle Kriegsökonomie verstrickt sind, ist ein neues Phänomen: Zumindest in Simbabwe und Uganda wächst intern die Kritik an der Beteiligung von Regierungsmitgliedern an der gesetzwidrigen Ausbeutung von kongolesischen Bodenschätzen.

Somit kommt der Frage der moralischen Qualität der "politischen Führung" eine besondere Bedeutung zu: "Not programs and political parties matter, but presidents." Zur Zeit müssen wir allerdings mit ansehen, wie in Simbabwe ein machtgieriger Präsident nach 22 Jahren Alleinherrschaft alles daransetzt, gegen die Bestimmung der Verfassung eine dritte Amtszeit mit allen Mitteln (einschließlich der Verfolgung und Ermordung oppositioneller Wähler) durchzusetzen - ebenso wie auch Präsident Nujoma in Namibia die Verfassung ändern ließ, um ein drittes Mal kandidieren zu können (in Tunesien versucht es der Präsident gerade ein viertes Mal). Dies sind Anzeichen dafür, dass rechtliche, rationale Spielregeln des politischen Wettbewerbs und der Kontrolle von Macht noch nicht so verinnerlicht sind, dass sich Politiker daran gebunden fühlen. Hier ist die langsam mündig werdende Zivilgesellschaft in Afrika gefordert, Maßstäbe für "good governance" zu setzen bzw. Zuwiderhandlungen seitens der Machtpolitiker mit entsprechenden Protesten entgegenzutreten. Die Verhinderung solcher Zustände muss das primäre Gebot westlicher Entwicklungszusammenarbeit sein.

Für die in der Republik Südafriks anstehende Phase der ökonomischen Konsolidierung von pluralistischer Demokratie - d. h. der Beschleunigung von industriellem Wachstum und der Intensivierung von wissenschaftlicher Forschung unter sich verschärfendem Globalisierungsdruck - sind breitenwirksame Strukturreformen gefragt, die einer kollektiven Anstrengung einer ganzen Gesellschaft - und ausländischer Direktinvestitionen in Milliardenhöhe - bedürfen. Das vom ANC geführte Land leidet an diversen inneren Schwächen, die größtenteils noch auf das Konto des Apartheidsystems mit seinem staatlich regulierten Arbeitsmarkt- und Wirtschaftssystem zurückgeführt werden können und eine schwere Erblast von einiger Dauer darstellen: Erstens hat die bedrohlich hohe Kriminalität in den Städten, in denen frustrierte schwarze Jugendliche ohne Ausbildungsplatz und ohne Erwerbsarbeit ihre Aggressivität entladen, nicht tolerierbare Ausmaße erreicht und schreckt ausländische Investoren ab. Zweitens sind die Auswirkungen der Aids-Krise auf die Wirtschafts- und Sozialentwicklung, mit 150 000 Aids-Toten im Jahr 2000, verheerend. Drittens ist die ansteigende, hohe Zahl von abgewanderten Führungskräften Anlass zur Sorge: Zwischen 1989 und 1997 sollen 233 000 Personen - meist mit guter Ausbildung und ohne die Behörden zu informieren - das Land vor allem in Richtung Kanada, USA, Großbritannien oder Australien verlassen haben. Die Arbeitslosenrate ist mit ca. 23 Prozent äußerst hoch. Damit hängt viertens zusammen, dass auch die Höhe der ausländischen Direktinvestitionen mit weniger als einem Prozent des Bruttosozialprodukts des Landes viel zu niedrig ausfällt, um einen positiven Einfluss auf den Arbeitsmarkt haben zu können. Auch die Privatisierung der staatlichen und halbstaatlichen Versorgungsbetriebe geht nur zögerlich voran.

Insgesamt lässt sich also für Südafrika sagen, dass einem großen, ausbaufähigen Industriepotenzial mit erfahrenen Arbeitern und Managern eine Fülle von institutionellen Schwächen und Problemen gegenübersteht, welche die soziale Kohäsion der an sich schon sehr fragmentierten Gesellschaft weiter strapazieren werden. Für diese längerfristige Übergangszeit ist daher mit ansteigender politischer Gewalt zu rechnen - als Waffe der Verzweifelten, welche die Hoffnung verloren haben, auf rechtsstaatliche Weise ihre Lebensverhältnisse verbessern zu können.

Umso mehr ist die internationale Staatengemeinschaft gefordert, in ihren Beziehungen zu afrikanischen Gesellschaften mit viel Empathie, Geduld und Geld die schwierigen Umbruch- und Reformprozesse zu begleiten, die hier noch jahrzehntelang andauern werden.

Dr. phil., geb. 1940; Studium der Geschichte, Politischen Wissenschaft und Germanistik in Bonn und Berlin; seit 1974 Professor für Internationale Politik an der Universität Hamburg.

Anschrift: Universität Hamburg, IPW, 20146 Hamburg.
E-Mail:prof@rainertetzlaff.de

Veröffentlichungen zur deutschen und internationalen Entwicklungspolitik, zu internationalen Organisationen und Regimen, Demokratie und Menschenrechten sowie der Entwicklung Afrikas.