Einleitung
Es gehört zu den Legenden der Wahlkampfgeschichte, dass das Fernsehen die US-Präsidentschaftswahl des Jahres 1961 entschieden habe: Bei der Übertragung der ersten Debatte zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon habe Nixons Bartschatten einen düsteren Eindruck hinterlassen, obendrein habe der Kandidat bleich und krank ausgesehen. Das hätte sich für den jugendlich und fit auftretenden Kennedy positiv ausgewirkt: Fernsehzuschauer hielten Kennedy für den Sieger der Debatte, Radiohörer dagegen Nixon. 1961 fand der erste Fernsehwahlkampf in den USA statt. Seitdem steht dort das Fernsehen im Mittelpunkt des Interesses von Wahlkämpfern und Wahlkampfbeobachtern. Die Kennedy-Nixon-Debatte, wiewohl in ihrer Wirkung später umstritten, hat viel dazu beigetragen.
In der Bundesrepublik dauerte es noch etwas, bis Wahlkämpfer überwiegend auf das Fernsehen setzten. Zwar ließ sich Willy Brandt ein Jahr später, im Bundestagswahlkampf 1961, von den Kampagnenerfahrungen der Amerikaner inspirieren. Am deutlichsten wurde das in Brandts Wahlkampfreise, welche die amerikanische whistle-stop campaign zum Vorbild hatte - also ein Element des direkten Wählerkontaktes: Gemeint ist mit diesem Begriff die Kandidatentour durch das Land, wie sie in den USA ehemals mit dem Zug stattfand, der an jeder Station anhielt.
Das Fernsehen wurde 1961 eher zufällig zu Brandts Wahlkampfhelfer. Nachdem am 13. August, etwa einen Monat vor dem Wahltermin, in Berlin die Mauer errichtet worden war, fand der Berliner Bürgermeister schnell seine Rolle als Krisenmanager und damit auch reichlich Aufmerksamkeit im Fernsehen. Bundeskanzler Adenauer hingegen tat sich in dieser Situation wesentlich schwerer und hatte, was die Fernsehpräsenz anging, daher deutlich das Nachsehen.
Das Zweierduell im Fernsehen, welches sich für Kennedy angeblich so positiv ausgewirkt hatte, bekam Brandt allerdings nicht. Adenauer verweigerte sich dieser Herausforderung durch den SPD-Kandidaten. Nicht nur, dass die Fernsehdebatte den jungen Brandt sichtbar mit "dem Alten" konfrontiert hätte; Amtsinhaber fürchten auch die damit offensichtliche Aufwertung des Gegenkandidaten, demgegenüber sonst gerne eine Strategie des Ignorierens eingesetzt wird.
Es vergingen noch einige Jahre, bis auch deutsche Wahlkämpfe zu "Medienwahlkämpfen" wurden. Das Fernsehen verbreitete sich hierzulande zunächst eher zögerlich, während es in den USA bis zum Ende der fünfziger Jahre schon eine rasante Entwicklung hinter sich hatte. Von Anfang an privatwirtschaftlich organisiert, bot das Fernsehen dort den Kandidaten für ihre Wahlwerbung auch den leichteren Zugang. Dass sich die amerikanischen Wahlkämpfer das neue Medium schnell zu Nutze machten, ist außerdem durch die besonderen Herausforderungen der Wähleransprache in den USA zu erklären: die Größe des Landes, nachlassendes Vertrauen in die Politik etwa ab Mitte der sechziger Jahre und sinkende Wahlbeteiligung. Indessen sind die zuletzt genannten Phänomene der politischen Malaise später gerade dem Fernsehen zur Last gelegt worden.
I. Fernsehen als zentrales Wahlkampfmedium
In der Bundesrepublik setzte der Umbruch vom traditionellen zum audiovisuell dominierten Wahlkampf Anfang der siebziger Jahre ein. Den Weg dahin bereitete ganz wesentlich Elisabeth Noelle-Neumann mit ihrer Forschung zur von ihr so genannten Schweigespirale und der Rolle, die sie in diesem Zusammenhang gerade dem Fernsehen zuwies. Demnach beeinflusst das Meinungsklima, das sich dem Einzelnen durch die direkte oder durch Medien vermittelte Umweltbeobachtung erschließt, die individuelle Meinungsbildung und kann sich so auch auf die Wahlentscheidung auswirken. Der Politikwissenschaftler Max Kaase hat denn auch den Bundestagswahlkampf 1976 als "Zäsur in der Wahrnehmung der Massenmedien durch die politischen Parteien"
Das Fernsehen ins Visier zu nehmen lag nahe, nachdem Elisabeth Noelle-Neumann bereits kurz vor dem Wahltermin in Zeitungsartikeln den Einfluss des Fernsehens auf die Wahlentscheidung thematisiert hatte.
Dass das Fernsehen den Eindruck vermittelte, SPD und FDP würden die Wahl gewinnen, führte Noelle-Neumann zum einen darauf zurück, dass die Journalisten mehr als die Bevölkerung den Koalitionsparteien zuneigten und daher die Lage anders beurteilten: "Die Journalisten haben nicht manipuliert, sie sahen es so."
Die Aufmerksamkeit, die sich mit der medialen Wahlanalyse zunächst auf das Fernsehen gerichtet hatte, brachte in mehrfacher Hinsicht Bewegung in die Wahrnehmung und Analyse des Verhältnisses von Massenmedien und Wahlen sowie darüber hinaus auch allgemein von Massenmedien und Politikvermittlung. In der Kommunikationswissenschaft entwickelte sich die Wahlforschung nun schnell zu einem der fruchtbarsten Forschungszweige.
Zu dieser Zeit vollzog die Disziplin auch die Hinwendung zum "Konzept der mächtigen Medien".
Es war klar, dass den Angeboten des Fernsehens und daher auch den redaktionell Verantwortlichen verstärkte Aufmerksamkeit zukommen würde; die Rundfunkanstalten, damals nur ARD und ZDF, gerieten in eine unangenehme Lage. Welche Formen der politische Druck annahm, wurde zum Beispiel sichtbar in den Studiouhren, die bei den Fernsehdebatten 1972 und 1976 für die gleichmäßige Verteilung der Redezeit an die Politiker sorgen sollten, oder in Diskussionen über "genehme" Journalisten für Politikerinterviews.
Zur Bundestagswahl 1980 reagierten ARD und ZDF mit einer Studie über "Fernsehen und Alltag",
II. Hinwendung zum aktiven Kommunikationsmanagement
Wie die Politik die Analysen der Kommunikationswissenschaft aufnahm und sich für die Wahlkampfplanung zu Eigen machte, lässt sich gut in den Publikationen von Peter Radunski nachlesen, der zu dieser Zeit Wahlkampfmanager der CDU war. ".... . . 1980: Die Wahlen werden im Fernsehen entschieden",
1980 erschien Radunskis Buch über moderne Wahlkampfführung, mit dem zum ersten Mal für Deutschland die Anlage von Wahlkämpfen aus der Sicht der Praxis dargelegt wurde.
Während Radunski damals den Werbe- und Parteienkampagnen selbst noch nachrangige Bedeutung zuwies, wurde der Wahlkampf zur Umarmungsstrategie gegenüber den Massenmedien. Diese - zumal die kritisch wahrgenommenen Rundfunkanstalten - geraten in eine prekäre Situation, um nicht zu sagen in die Defensive. Das fand seinen Niederschlag auch in den Fragestellungen, denen die kommunikationswissenschaftliche Wahlforschung nun nachging. Inhaltsanalysen der Presse- und Fernsehberichterstattung während des Wahlkampfes untersuchten deren Aus- bzw. Unausgewogenheit.
Nachdem die Politik also das Fernsehen zum für sie interessantesten Medium erklärt hat, aber auch zu der Auffassung gelangt ist, dass es im Sinne der Politik zu riskant ist, Auswahl und Aufbereitung von Themen den Journalisten allein zu überlassen, bemühen sich die Wahlkämpfer, die Medienberichterstattung so weit wie möglich zu beeinflussen.
Solche Art aktiven Wahlkampfmanagements wird auch nötig aufgrund von Veränderungen, die sich in der Wählerschaft abzeichnen: Die Bindungen der Wählerinnen und Wähler an die Parteien beginnen lockerer zu werden. Die Zahl derjenigen Deutschen, die keine Parteiidentifikation aufweist, wird immer größer.
Schließlich änderten sich die Bedingungen für die Politikvermittlung in Deutschland ab Mitte der achtziger Jahre durch den tiefgreifenden Wandel des Rundfunkmarktes. Nicht nur der Zutritt privat-kommerzieller Anbieter, sondern auch die erhebliche Vermehrung der Fernsehprogramme verlangt von der Politik neuerliche Anpassungsleistungen. Sie muss sich nicht nur fernsehgerecht präsentieren, sondern auch den ökonomischen Kriterien genügen, die das kommerzialisierte Mediensystem beherrschen.
Das aktive Wahlkampfmanagement erfordert die Zentralisierung der Wahlkampagne, um alle Maßnahmen zu koordinieren und die Risiken unterschiedlicher Politikdarstellung auszuschalten. Die Kampagne steht unter dem Primat des einheitlichen und einigen Auftritts, der über die Massenmedien vermittelt werden soll. Zugleich versichert sich die Politik professioneller Unterstützung. Die differenzierten Aufgaben werden in die Hände von Spezialisten gelegt, um den Aufmerksamkeitseffekt zu maximieren und so weit wie möglich zu bestimmen, wie Politik in der Öffentlichkeit präsentiert wird. Diese Professionalisierung des Wahlkampfes - der Einsatz von Experten sowie von Mitteln und Strategien der Verkaufsbranche - und speziell auch ihre Erfolge bei der Indienstnahme der Medien weckten nun auch die Aufmerksamkeit der Kommunikationsforschung.
Deren Interesse an den Wirkungen von Wahlkampfkommunikation ist ungebrochen. Längst ist das nicht nur die Frage nach dem Einfluss der Medien auf die Wahlentscheidung, sondern auch auf die der Wahlentscheidung vorgelagerten Ein- und Vorstellungen. Die Forschung erweitert diese Perspektive und nimmt auch in den Blick, wie das, was sich der Wählerschaft im Wahlkampf als Politik präsentiert, produziert wird. Die Fragen, die hier gestellt werden, richten sich zunächst auf die Beziehung von politischen Akteuren und Medien. Studien zum agenda building prüfen, inwieweit es der Politik gelingt, die politische Themenagenda der Medien zu bestimmen.
III. Die Amerikanisierungsthese
Die politischen Akteure, die sich den neuen Bedingungen des Wettbewerbs stellen und in den Kampf um die Aufmerksamkeit von Medien und Wählerschaft einsteigen, ereilt indessen der Vorwurf der Amerikanisierung. Während dieses Etikett in den Medien bevorzugt verwendet wird, um den Inszenierungs- und Showcharakter von Wahlkampagnen anzuprangern, wissenschaftliche Kampagnenbeobachter hingegen eher um Begriffskosmetik bemüht sind und lieber von Modernisierung statt von Amerikanisierung sprechen, gibt sich die Zunft der Wahlkampfexperten da weitaus pragmatischer. Radunski mokiert sich über deutsche Berührungsängste und behauptet: "Dabei kann man Wahlkämpfe weder verstehen noch konzipieren, wenn man nicht bewusst die Amerikanisierung der politischen Kommunikation bejaht."
Was in diesem Zusammenhang mit Amerikanisierung bezeichnet wird, meint die professionell organisierte Kampagne unter Berücksichtigung der Bedingungen, die sich aus den Veränderungen bei Wählerschaft und Medienlandschaft ergeben haben. Der US-amerikanische Wahlkampf, der sich solchen Herausforderungen schon früher stellen musste, bietet reichlich Anregungen dafür, wie die moderne Kampagne auszusehen hat; aber auch in europäischen Staaten wird längst der Austausch entsprechender Rezepte gepflegt.
Moderner Wahlkampf in diesem Sinne - Pippa Norris spricht nicht zu Unrecht von der "postmodernen" Kampagne
Die Kampagne im Fernsehen stellt Personen in den Mittelpunkt; das Bildermedium verlangt die Personalisierung, die Politik liefert sie. Auch in Europa schieben sich so die Kandidaten in den Vordergrund, die als Sympathieträger und Identifikationsobjekte Ideologien ersetzen, die heute ihre Funktion der Sinnvermittlung verloren haben. In der Forschung spiegelt sich die zunehmende Konzentration der Kampagnen auf die Spitzenkandidaten in Fragestellungen wider, die der Personalisierung in den Angeboten der Politik, deren Niederschlag in der medialen Berichterstattung und dem Einfluss der Kandidaten auf Ein- und Vorstellungen der Wählerschaft nachgehen.
Da Politik aber in der Regel nicht massenattraktiv ist - es sei denn, sie liefert besondere Spannungsmomente -, steuern die Politiker mehr und mehr dahin, wo sie das große Publikum finden: in der Unterhaltung. Gerade dort wird Politik dann auch privat, setzt auf Emotionen und Charakter, um Sympathie und persönliches Vertrauen zu gewinnen.
Die Diskussion über die sich solchermaßen entwickelnde, medienorientierte Kampagne wird gerne auf eine einfache Formel gebracht: Images vs. Issues, Imagepolitik statt Sachthemen. Dieser Vorwurf, die Arbeit am Image verdränge die Auseinandersetzung mit Problemen, ist längst auch Thema der Wahlkämpfer selbst, die sich gegenseitig der Inszenierung, der Show ("Medienkanzler") und so des Ausweichens vor Sachfragen bezichtigen. Eine solche Metakampagne - wobei die Kampagne selbst zum Thema der Kampagne gemacht wird - ist eine beliebte, mittlerweile fast schon traditionelle Strategie.
Mit der vermuteten Amerikanisierung deutscher und generell europäischer Wahlkämpfe weitet sich auch die Perspektive der Forschung hin zum internationalen Vergleich. Der Vergleich europäischer Kampagnen mit den USA prüft die Annäherung an das vermeintliche Vorbild, wie sie in der Amerikanisierungsthese enthalten ist. Der Blick auf die Kampagnen anderer Länder in Europa fragt nach übergreifenden Mustern der Entwicklung von Wahlkämpfen aufgrund ähnlicher Veränderungen in der Wählerschaft und den Mediensystemen. Der grenzüberschreitende Austausch von Kampagnenstrategien offenbart sich auch in den Netzwerken und Engagements der Wahlkampfberater.
IV. Der postmoderne Wahlkampf
Der moderne Wahlkampf, der in den postmodernen übergeht, zwingt die politischen Akteure zum Überdenken ihrer bisherigen Strategien, die auf die klassischen Massenmedien und das große Publikum gerichtet sind. Die zunehmend differenzierte Gesellschaft erfordert hingegen eine stärkere Zielgruppenorientierung. Strategische und ökonomische Überlegungen können zudem eine Schwerpunktsetzung der Kampagne nahe legen. Ein Beispiel dafür war die Aktion "32 Wahlkreise" der SPD im Bundestagswahlkampf 1998: Dafür wurden solche Wahlkreise ausgesucht, in denen die SPD beim Kampf um das Direktmandat in früheren Jahren nur knapp unterlegen war. Die gezielte Kampagne in diesen Wahlkreisen zahlte sich aus; die SPD gewann 26 dieser 32 Wahlkreise, was auch dazu beitrug, dass die Partei 1998 13 Überhangmandate erzielte und der rot-grünen Bundesregierung eine bequeme Mehrheit sicherte.
Die Zielgruppenansprache wird durch "postmoderne Wahlkampftechnologien"
Die computervermittelte Kommunikation dient vorläufig noch eher der innerparteilichen Kampagnenorganisation (Intranet). Im Internet müssen die Parteien vertreten sein, um sich ein modernes Image zu geben. Als Wahlkampfkanal dient es zwar ebenfalls dem unmittelbaren Kontakt mit der Wählerschaft, kann jedoch keine gezielte Ansprache leisten und bleibt abhängig von der Aktivität, das heißt vor allem dem Interesse der Nutzer.
Die professionelle und sich stärker differenzierende Kampagne macht die Parteien von der Unterstützung durch die Experten der Informationsbeschaffung und des "Verkaufs" d. h. der Markt- und Meinungsforschungsinstitute sowie der Werbe- und PR-Beratung, abhängig. Das wiederum steigert den Koordinations- und letztlich den Kapitalaufwand für Wahlkämpfe. Wenn Wahlkämpfe außerdem immer länger werden und sich zum permanenten Wahlkampf entwickeln, wird der Finanzbedarf der Parteien wachsen und sie zu Spendenkampagnen wie in den USA zwingen. Der Verdacht auf immerwährenden Wahlkampf mit ausgeklügelten Methoden könnte allerdings bei der Wählerschaft den Eindruck erwecken, die Politik habe ihre eigentlichen Aufgaben aus den Augen verloren. Die von der Politik professionell umgarnten Medien versuchen längst, sich in dieser Umklammerung Luft zu verschaffen. Sie legen ihrerseits die Inszenierung, den Showcharakter des Wahlkampfes bloß und erinnern damit an den Unterschied zwischen Politikherstellung und Politikdarstellung.