I. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien
In Deutschland sind wir seit kurzem Zeuge einer "kopernikanischen Wende": Die Parteiendemokratie klassischen Zuschnitts wird zur Mediendemokratie. Die Regeln der medialen Politikdarstellung - unterhaltsam, dramatisierend, personalisiert und mit Drang zum Bild, allesamt der Darstellungskunst des Theaters entlehnt - greifen in zunehmendem Maße und mit beträchtlichen Folgen auf das politische Geschehen selbst über. Die Selektion spektakulärer Ereignisse, die effektsichere Inszenierung der Profis, die weite Teile des Mediensystems bestimmen, regieren zunehmend auch die Politik.
Ein folgenreicher Rollenwechsel vollzieht sich: Während in der pluralistischen Parteiendemokratie - ihrem Modell nach zur Gänze und in ihrer Praxis doch in ausschlaggebendem Maße - die Medien die Politik beobachten sollten, damit sich die Staatsbürger eine vernünftige Meinung von ihr bilden können, beobachten in der Mediendemokratie die politischen Akteure das Mediensystem, um von ihm zu lernen, was sie und wie sie sich präsentieren müssen, um auf der Medienbühne einen sicheren Platz zu gewinnen. Solches "politainment" - so die Annahme - vertreibt die Langeweile und erweitert das Publikum.Vgl. Andreas Dörner, Politainment - Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft, Frankfurt/M. 2001.
Die Frage ist nur, ob das, was es dabei zu besichtigen gibt, noch in hinreichendem Maße Information über Politik, einen Einblick in ihr tatsächliches Geschehen erlaubt und auf diesem Wege mündige Entscheidungen über sie möglich macht. In der Antwort auf diese Frage, und nicht etwa in einer puristisch-elitären Abneigung gegen die populär-kulturellen Künste der Massenattraktion, besteht das Problem, das die Kolonisierung der Politik durch die Medien für die Demokratie aufwirft.
Kern der Veränderung ist eine weitgehende Überlagerung - anstatt der früheren Trennung - der beiden Systeme "Politik" und "Medien".
Die Massenmedien erreichen ihren Zweck im Wesentlichen durch die Befolgung von zwei aufeinander abgestimmten Regelsystemen: Das erste Regelsystem (Selektionslogik) besteht in der Auswahl berichtenswerter Ereignisse nach Maßgabe ihrer Nachrichtenwerte.
In den Medien ist jede Darstellung des Politischen vom Wirken der beiden medialen Filtersysteme geprägt. Die Frage entsteht, ob solche Darstellung der Politik die Eigenlogik des Politischen noch in einem für die selbständige Urteilsbildung der Bürger angemessenen Maße erkennen lässt oder ob sie diese in den Regeln ihrer eigenen Logik auflöst. Auf Seiten der Politik führt die Schlüsselrolle des Mediensystems zur Vermehrung und zur Professionalisierung der Anstrengungen, ein Höchstmaß an Kontrolle über die Darstellung der Politik im Mediensystem zurückzugewinnen. Zu diesem Zweck mediatisiert sie sich mit Energie und professionellem Rat vehement selbst - sie wird zum "Politainment", einer in jedem Einzelfall jeweils besonders gestalteten Synthese aus instrumentellem Handeln und populärer Kommunikationskultur.
Dabei handelt es sich um einen wahrhaft dialektischen Vorgang, denn die Politik unterwirft sich den Regeln der Medien nur, um auf diesem Wege die Kontrolle über die Öffentlichkeit zu gewinnen, also aus genuin politischen Gründen. Selbstmediatisierung wird zu einer zentralen Strategie politischen Handelns in der Mediengesellschaft.
II. Politische Zeit und Medien-Zeit
Es gibt zwei zentrale und im Prinzip auch unvermeidliche Spannungsfelder zwischen politischer und medialer Logik, die durch die heute vorherrschende Art ihrer Handhabung in Politik und Medienwelt den Prozess der Transformation der Parteiendemokratie in eine Mediendemokratie vorantreiben:
Es ist den Medien durchaus prinzipell möglich - aber schwierig und nicht unbedingt nahe liegend -, in jedem Einzelfall eine Synthese aus den beiden so unterschiedlichen Logiken herzustellen, also in der mediengerechten Präsentation auch die Sache selbst, um die es geht, angemessen zum Ausdruck zu bringen. Natürlich gibt es in dieser Hinsicht besonders gravierende Unterschiede zwischen den Qualitäts- und den Boulevardmedien im Print- und Funkbereich, allerdings mit fließenden Übergängen in beiden Richtungen.
Als eine unwiderstehliche Triebfeder für die Transformation der Parteiendemokratie in die Mediendemokratie erweist sich das zweite große Spannungsfeld zwischen politischer Logik und Medienlogik: der zentrale Widerspruch zwischen politischer Prozesszeit und medialer Produktionszeit. Er ergibt sich aus den technischen Möglichkeiten und den besonderen Eigenarten der Produkte des Mediensystems, die mit den eigenwilligen Zeitmaßen des politischen Prozesses unverträglich sind. Die Vorherrschaft der extrem kurzen medialen Produktionszeit und der ebenso schnellen Verfallszeit für Neuigkeitswerte in der öffentlichen Arena der Politik führt dann in dem Maße, wie sich das politische System den Regeln des Mediensystems unterwirft, ihrerseits zu einer Entwertung derjenigen Strukturen und Organisationen des politischen Systems, die ihrer konstitutiven Eigenart entsprechend der langen politischen Prozesszeit verhaftet bleiben. Das betrifft insbesondere die intermediären Instanzen der Vereine und Verbände mitsamt den Parteien selbst, denen nach den Maßstäben der offiziellen Theorie der Parteiendemokratie eigentlich die Zentralität unter allen Akteuren im politischen Prozess der Demokratie zukommen soll.
Solange der politische Prozess im Wesentlichen stufenförmig verlief - nämlich aus gesellschaftlichen Interessenlagen entsprang, im intermediären System der Vereine, Verbände, Kirchen oder gesellschaftlicher Initiativen seine erste Formung erhielt, um sich dann in den Parteien zu großen, gesamtpolitischen Handlungsalternativen zu verdichten und im Falle ihrer Wahlerfolge in das politisch-administrative System hineinzuwirken -, konnte und musste er seinem eigenen Zeitmaß folgen. Dieses umfasste bei allen halbwegs wichtigen Politiken stets einige, mitunter viele Jahre - etwa bei Fragen wie der Sozialversicherung, der Gesundheitspolitik, der Rentenformel, der Kernenergie, der Steuerpolitik und allen Angelegenheiten von vergleichbarer Bedeutung. Entgegen dem populistischen Vorurteil ist nämlich in der Sache - außer in plötzlich auftretenden Notsituationen - die lange Zeitdauer dem Politischen selbst in der Demokratie allein angemessen, da es dabei ja um Vorgänge der Artikulation, Vermittlung, Verständigung, des Lernens, der Transformation und der Integration ursprünglich disparater Positionen geht, bei denen gerade nicht die technische Lösung sachlich definierter Problemlagen, sondern Vorgänge der Identifikation, der Überzeugung, des gemeinsamen Wandels und der Gestaltung - also eine kollektive Praxis - den überragenden Handlungszweck bestimmen.
Während es in der Praxis des Politischen eher um die Beteiligung möglichst vieler verschiedener Akteure und die Einbeziehung unterschiedlicher Ausgangspositionen geht, damit allmählich gemeinsames Handeln und die Identifikation mit dessen Zielen und Ergebnissen entsteht, können technische Problemlösungen fast stets von Expertengruppen entworfen und dann auch umgesetzt werden, weil es bei ihnen ja allein um die funktionale Tauglichkeit von Mitteln für vorab gesetzte Zwecke geht. Bei ihnen zählt allein die Produktionszeit - zunächst hinsichtlich der Erarbeitung der Problemlösung und dann bei deren Umsetzung. Diese kann angesichts des enorm schnellen technischen Wandels gerade im Medienbereich extrem kurz sein, im Grenzfall der heutigen Möglichkeiten sogar gegen null tendieren. Solange Politik hingegen den in den Imperativen der Demokratie selbst verwurzelten Ansprüchen von Praxis folgt - selbst wenn diese nicht idealtypisch überhöht sind -, ist die Dimension der langen Prozesszeiten für das Politische konstitutiv und sinnvoll. Die ausgedehnte Prozessdauer selbst ist eine der wichtigsten Erfolgsbedingungen politischer Praxis und darum dem Politischen selbst unbedingt angemessen. Sie ergibt sich nicht in erster Linie aus der Produktion geeigneter Mittel für vorgegebene Zwecke, sondern aus dem Prozess der Integration vieler Personen und vieler Zwecke sowie der damit verbundenen diskursiven Einigung auf zweckdienliche Lösungen.
Die relativ lange Dauer der politischen Prozesszeit hat in den parlamentarischen Demokratien freilich immer ihre Grenze am Rhythmus der Wahlperioden gefunden. Sie ist daher nicht mit einem langfristigen Planungshorizont der politischen Handlungsfolgen zu verwechseln. Auch in der starken Phase der europäischen Parteiendemokratie hat der institutionelle Druck zur Erfolgsabrechnung spätestens am Ende der laufenden Wahlperiode immer die Kalkulationszeit der politischen Repräsentanten und ihren politischen Verantwortungshorizont in der Zukunftsdimension kurz gehalten. Das wurde in dem Maße zum politischen Problem, wie das erwachende ökologische Denken seit den siebziger Jahren den Widerspruch zwischen den in die weite Zukunft hinein reichenden Handlungsfolgen der technisch-industriellen Naturbeherrschung und den Verantwortungsfristen des darauf bezogenen politischen Handelns als Bedrohung empfand.
In der ökonomischen Theorie ist dieses institutionelle Dilemma zum Principal-Agent-Phänomen generalisiert worden. Dem zufolge neigen Auftragnehmer immer dazu, den kurzfristigsten Erfolg zu suchen, da sie nicht damit rechnen können, dass ihr Auftraggeber die ganze Komplexität der ins Spiel kommenden Ursachen und Wirkungen überschaut und ihnen unbedingt vertraut wird.
Für die realistische Kalkulation der politischen Prozesszeit hat diese Erkenntnis zwei einschränkende Folgen: Die eine ergibt sich aus dem Zeitrhythmus der Legislaturperioden als regelmäßiger Grenze der Erfolgskalkulation der repräsentativen politischen Eliten.
Die mediale Produktionszeit hingegen nähert sich unter der Herrschaft zweier dem Mediensystem eigentümlicher Imperative der magischen Null: Sie folgt zum einen den technischen Regeln der Herstellung zweckentsprechender Produkte durch Fachleute mit einer immerfort perfektionierten Technik, die Echtzeit-Produktionen mit sofortiger weltweiter Verteilung zum Normalfall gemacht haben. Das Bild, das soeben in Nepal aufgenommen wurde, ist über Satellit zur gleichen Zeit überall auf der Welt zu sehen. Das betrifft die Seite der technischen Möglichkeiten. Die Ökonomie der Eigenart ihrer Produkte bringt sie, zum anderen, unter das unvermeidbare Diktat der Jetztzeit, da das mediale Produkt der Nachrichten und Neuigkeiten aller Art immer schon im nächsten Augenblick seinen Tauschwert verliert, wenn die Ereignisse selbst oder das gleiche Produkt der zahlreichen Konkurrenten mit seiner öffentlichen Präsentation alle anderen Produkte der gleichen Art wertlos machen. Die Nachricht von einem aktuellen Ereignis verliert beträchtlich an Wert, wenn sie in den Konkurrenzmedien schon längst vermittelt wurde, und sie wird gänzlich wertlos, wenn sie im Zeitabstand erneut präsentiert wird.
Anders als individuelle Konsum- und öffentliche Güter löst sich das Hauptprodukt der Massenmedien - die Neuigkeit - im Augenblick seiner Präsentation auf und verliert mit seinem Gebrauchswert auch jeglichen kommerziellen Tauschwert. Wenn die Neuigkeit des soeben vergangenen Jetzt nicht wenigstens einen spürbaren Zusatz des Neueren erkennen lässt, so ist sie im aktuellen Jetzt als Ware schon entwertet. Darum ist der kompromisslose Präsentismus medialer Kommunikation ein Diktat funktionaler und struktureller Eigenarten des Mediensystems selbst und nicht erst eine unschöne Begleiterscheinung privatwirtschaftlicher Gewinnsucht - auch wenn diese sie oft hemmungslos auf die Spitze treibt. Der Stand der elektronischen Kommunikationstechnologie macht den Zwang zum Präsentismus möglich, die Eigenart der Ware "Nachricht" macht ihn nötig.
Die Massenmedien haben keine Zeit und sie kennen keine Zeit. Die empirische Erforschung der Nachrichtenfaktoren, die als Filtersysteme für die mediale Wahrnehmung und Konstruktion der Welt der Massenmedien dienen, bestätigt diese theoretische Erklärung der Zeitendifferenz. Ereignisse gewinnen nur als abgeschlossene mit überschaubarem Anfang und Ende, wenn sie zugleich als aktuelles Event in Erscheinung treten, die Aufmerksamkeit der Medien.
Dieser Sachverhalt zeigte sich beispielhaft in einer Sequenz aus der Wahlkampagne des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten George W. Bush im Oktober des Jahres 2000. Als dieser nämlich in einem Bürgergespräch unerwartet - und dieses eine Mal ohne Vorab-coaching der vermutlichen Fragen und schlagfertig wirkenden Antworten - von einer Bürgerin gefragt wurde, was sie denn ihren Bekannten sagen solle, die wissen wollten, warum sie gerade Bush wählen sollten, setzte der Kandidat nach längeren Momenten der Verwirrung mehrfach zu hilflos schlichten Antwortversuchen an, die alle nur sichtliche Enttäuschungen bei der Fragestellerin hervorriefen. Die allein aufschlussreiche Nachricht über das Ereignis wäre in diesem Falle offenkundig nur der ganze Prozess der Fehlversuche, Reaktionen und Korrekturen gewesen, die einige Minuten in Anspruch nahmen, und nicht eine einzelne Episode aus der gesamten Sequenz. In den Nachrichten des Tages war für dergleichen indessen nur ein paar Sekunden Zeit - eine isolierte Episode aus dem ganzen Ablauf, die nichts von dem vermitteln konnte, worum es in diesem Falle eigentlich gegangen war. Die Medien hatten die Wahl zwischen der etwas schlechteren und der etwas besseren Antwort, die beide indessen gleichermaßen von dem ablenkten, was an der Sache von Interesse war.
Der kompromisslose, kurzatmige Präsentismus der medialen Produktionszeit und die lange politische Prozesszeit vertragen einander nicht gut. Der dauernde, im Ergebnis stets ungewisse Prozess - der Kern des Politischen - findet vor der Logik der Medien keine Gnade, er wird auf kurze Augenblicke der Spannung, der allerneuesten Aktualität geschrumpft oder gänzlich ignoriert, es sei denn, er findet Eingang in einem seltenen Feature im entlegenen Medium für den anspruchsvollen Geschmack. Auch wenn das Medium sich im Spannungsbogen zwischen Politik und Unterhaltung Zeit nimmt, weil die Dominanz des Unterhaltsamen das längere Verweilen seiner Kunden erwarten lässt, etwa in der Talk- oder der Game-Show, ist es ja nicht politische Prozesszeit, die sich entfalten kann, sondern Inszenierungszeit der Unterhaltung, wenn auch unter Benutzung politischer Themen oder politischer Prominenz.
Soweit die Spitzenakteure des politischen Systems auf die Grundgleichung der Mediendemokratie setzen - Publizität gleich Erfolg -, fügen sie sich den Gesetzen der medialen Produktionszeit als vermeintlich unumgehbaren Bedingungen für die Gewinnung der Publikumsgunst. Das gilt nicht nur in dem trivialen Sinne, dass Politiker-Reisen, Tagungsordnungen von Parteitagen, Events, Symbolhandlungen, Erklärungen, die Verkündung von Entscheidungen und alles, was sonst noch in Betracht kommt, mit Kennerschaft und Sorgfalt auf die Tage und Stunden platziert wird, die die beste Gewähr für mediale Aufmerksamkeit bieten, also für das mediale Timing. Daran arbeiten professionelle Beraterstäbe zu jeder Zeit. Es gilt vor allem für den sehr viel folgenreicheren Sachverhalt, dass der lange politische Prozess mitsamt den intermediären Instanzen, die ihn organisieren (einschließlich der Parteien), von den medialen Spitzenrepräsentanten der Politik wo immer möglich umgangen wird, damit die mediale Produktionszeit bedient werden kann.
Was das im konkreten Falle heißt, haben viele Beispiele aus der ersten Phase der rot-grünen Regierungszeit in der Bundesrepublik Deutschland gezeigt. Beim Versuch der neuen Regierung im Herbst 1999, die so genannte geringfügige Beschäftigung teilweise sozialversicherungspflichtig zu machen, ergab sich innerhalb weniger Wochen ein spektakuläres Ping-Pong-Spiel zwischen Programmpräsentationen der Regierung, medialer Darstellung und Kritik der Vorhaben, umgehender Präsentation "nachgebesserter" Varianten der Programme durch die Regierung, erneuter Darstellung und Kritik der Vorhaben in den Medien und abermaliger "Nachbesserungen" der Vorhaben in insgesamt einem halben Dutzend Runden, völlig unabhängig von den Parteien, die diese Regierung tragen. Jeder Versuch ihrer Einbeziehung hätte die verfügbaren medialen Zeithorizonte gesprengt und wurde von den Handelnden weder erwogen, noch offenbar vermisst. Das intermediäre System wurde vom Tempo der Medienzeit sang- und klanglos abgehängt, während sich ihm die exekutiven Spitzenakteure in atemberaubenden Volten anpassten, um nicht die Chance der Mitwirkung an der Art und Weise der medialen Präsentation ihrer Projekte und damit an deren nachhaltiger Wirkung in der Öffentlichkeit zu verspielen.
III. Strategische Kommunikation statt Verständigung
Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind umfassend und vielgestaltig. Sie strukturieren nicht nur die Darstellung des Politischen, sondern auch seine Herstellung neu.
Professionelle Selbstmediatisierung der Politik nach den Regeln theatraler Inszenierungslogik ist qualitativ und quantitativ zu einer der Hauptaktivitäten des politischen Systems geworden. In Europa ist sie nach dem Wegfall des Systemwettbewerbs eine Art Ideologieersatz. Politik verfügt dabei über drei basale Inszenierungsstrategien, die von Fall zu Fall wechselnd in unterschiedlichem Maße mit Anteilen wirklich vollzogener Herstellungspolitik versetzt sind oder zumindest sein können.
Event-Politik: Von Schein-Ereignissen ist in den USA schon seit den sechziger Jahren die Rede. Sie waren die ersten großen Verbeugungen der politischen Welt vor den Mediengesetzen. Die Grenze zwischen solchen, die reales Geschehen verschönt in Szene setzen, und solchen, die nichts sind als Schein, aber aussehen wie greifbare Wirklichkeit, ist fast immer fließend. Der Fundus der Inszenierungschancen ist unerschöpflich. Die Medien aber haben die Wahl. Sie können das ihnen von der Politik dargereichte Scheinereignis an ihr Publikum bloß durchreichen - wenn sie gerade wenig Zeit, Sachverstand, Interesse, Verantwortlichkeit haben oder einfach meinen, dieser Wurm wird dem Fisch schon schmecken. Sie können das Angebot auch ignorieren und selbst etwas aus dem Anlass machen; sie können die Inszenierung der Politik aber auch demontieren, kritisch auf ihren wirklichen Kern befragen und bei all dem doch ihren eigenen Regeln der Auswahl und der Inszenierung treu bleiben. Die Fälle zwei und drei erfordern Kompetenz und Zeit, der Fall drei birgt das Risiko der Ungnade bei jenen Politikern, die man als Informationsquelle schon morgen wieder braucht. Die Medienregeln und das Darstellungsinteresse der Politik bilden strategische Koalitionen, sozusagen "widerspruchsvolle Inszenierungs-Partnerschaften". Die letzte Inszenierungshoheit allerdings liegt stets im Mediensystem.
Image-Politik: Image ist das Schein-Ereignis auf dem Gebiet der Ethik, Scheinhandeln als Personifikation. Durch wohlkalkulierte Scheinhandlungen wird eine natürliche Person zur Personifikation von Eigenschaften, die aus der Mythologie oder Ehtik des Gemeinwesens ihren besonderen Glanz beziehen.
Symbolische Scheinpolitik: Ein klassischer Fall symbolischer Scheinpolitik lag vor, als sich Präsident Reagan vor den versammelten TV-Kameras auf der Schulbank eines Klassenzimmers mit Lehrern und Schülern ins Gespräch vertiefte und leidenschaftliches Interesse am Bildungswesen zeigte, während er gerade dessen Etat empfindlich gekürzt hatte. Solche Auftritte können - müssen aber nicht - Placebo-Politik zu Verstellungszwecken sein. Sie gehören zum Handwerkszeug des Medien-Machiavellisten.
Die Selbstmediatisierung der Politik löst Politik nun keineswegs ins nur noch Mediale auf, wie radikale Kritiker behaupteten.
Man könnte nun in dem durchaus auch in Teilen der Medienwissenschaft verbreiteten Don't worry be happy-Stil sagen: Na ja, das ist eben Politik in der Mediengesellschaft, kein Grund zur Panik! Wenn da nicht ein wirklich ernsthaftes Problem bliebe: Wie soll der Normalbürger, der Politik nur von den Medien her kennt, noch wissen, was bloße Schau ist und was gut dargestellte Realität? Eigene Erfahrungen zur Gegenprüfung in Anspruch nehmen kann er oft erst dann, wenn die in Wahrheit ungelösten Probleme etwa von Arbeitslosigkeit, von Gewalt, Umweltschädigungen oder Unsicherheit jenseits der medialen Glanzbilder in die eigene Lebenswelt einbrechen. Was politisch möglich ist und was nicht, welches die wirklichen Optionen sind und was die Rolle der Akteure beim Ringen um sie, gerät kaum in den Blick.
Unter dem Druck der knappen Zeit auf Seiten der Medien und der eingeengten Handlungskorridore auf Seiten der Politik wird die gefällige Inszenierung des Scheins zum Patentrezept. Aber auch dort, wo inhaltlich gut Gemachtes auch noch gut inszeniert wird, bleibt ein Problem.
IV. Die Marginalisierung der politischen Parteien
Es geht aber nicht nur um die Darstellung, sondern um tektonische Verschiebungen in den Fundamenten der Politik selbst. Die Logik der Mediendemokratie drängt die Parteien auf der ganzen Linie an den Rand des Geschehens, auch wenn sie durch ihre Aktivitäten auf der kommunalen Ebene und als politisches Richtungs-Ambiente der Spitzenakteure weiterhin im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit bleiben.
Mit der Vorrangrolle der Medien bei der Auswahl möglicher Spitzenkandidaten vor der innerparteilichen Willensbildung von Parteien, die im Wechselspiel zwischen Medienresonanz, Wahlerfolgen und Kandidatenunterstützung geschieht, ist den politischen Parteien dann auch noch diejenige "Krönungs-Funktion" aus der Hand genommen, die einerseits ihre Zentralrolle mit begründet hatte und ihnen das Gewicht einer letzten Richtungskontrolle im politischen Prozess verschaffte. Nun büßen sie ihren kontinuierlichen Einfluss auf die Tagespolitik - ein Stück demokratischer Kontrolle der Politik durch die Gesellschaft - unter dem doppelten Druck von Medienzeit und Medienlogik ein.
V. Parlamentarismus unter Druck
Doch nicht nur die Parteien, die bisher eine demokratisch fundierte Zentralstellung im politischen Prozess einnahmen, geraten in der mediendemokratischen Konstellation an den Rand des Geschehens.
Das Parlament erfährt sowohl infolge der Marginalisierung der politischen Parteien wie durch die Auswirkungen der Medienlogik auch auf seine eigenen Handlungsbedingungen einen spürbaren Bedeutungsverlust. Die Vertreter der Regierungsparteien im Parlament stehen ja zum einen unter dem Eindruck der Erfahrung und des prinzipiellen Funktionswissens, dass sie ihren Wahlerfolg in ausschlaggebendem Maße der medialen Durchschlagskraft ihrer Spitzenkandidaten verdanken. Sie können zudem täglich beobachten, dass ein Dissens zwischen den politischen Absichtsbekundungen des Spitzenrepräsentanten, der die betreffende Partei sozusagen medial verkörpert, und Äußerungen von Vertretern der zugeordneten Parlamentsfraktion dessen Mediencharisma schmälert und allmählich aufbraucht. Darum sind sie im Großen und Ganzen immer zum voraus- oder nacheilenden Konsens mit dessen medial platzierten Vorgaben bereit.
Diese Tendenz wird dann noch verschärft, wenn Regierungschefs in außerparlamentarischen Verhandlungssystemen und neokorporatistischen Gesprächsrunden einen Konsens der großen Interessengruppen organisieren und als ihren eigenen Regierungserfolg öffentlich vermitteln. Dann schrumpft der Spielraum der Mehrheitsfraktion zur Mitgestaltung der Regierungspolitik häufig auf Nachbesserungsforderungen in einzelnen Detailbereichen. An der Entscheidung über die großen Linien der Regierungspolitik ist sie in einer solchen Konstellation kaum noch beteiligt.
VI. "Politainment": Na und?
Das ist die einschüchterne Frage der großen Don't worry be happy-Fraktion aus Teilen des Journalismus, der Politik und der Medienwissenschaft in der Mediendemokratie. Die mediale Erfolgsstrategie Politainment ist kurzweilig und erfolgsträchtig - aber eben leider nicht nur. Kein Zweifel, Inszenierungen können auch Inhalte transportieren, und sogar wirksamer als jede ernste Darlegung. Das ist ihr demokratisches Potenzial. Für die Demokratie wirft die Ambivalenz der Inszenierungspolitik zwischen gefälliger Einladung zum Inhaltlichen und Placebo gegen das Inhaltliche in dem Maße ein ernstes Problem auf, wie die Unterschiede zwischen beiden öffentlich verschwimmen und die Darstellungsregeln allmählich den ganzen politischen Prozess beherrschen.
Naiver oder puristischer Bildersturm kann gewiss keine Alternative sein - vielleicht aber die gemeinsame Arbeit der Gesellschaft an einer besseren Kultur der Massenmedien. Sie müsste bei der Medienkunde in allen Teilen des Bildungssystems beginnen, die Medien auch in der Inszenierungsdemokratie zum halbwegs verlässlichen Wegweiser des Publikums zwischen angemessener und ablenkender Politikinszenierung machen und eben dadurch am Ende auch der Politik zeigen, was sich in dieser Hinsicht lohnt und was nicht.
Die medialen Inszenierungsvorgaben sind nur eine Gelegenheitsstruktur. Es liegt an der Kommunikationskultur unserer Gesellschaft im Ganzen, was die einzelnen Akteure in ihrer Kommunikationspraxis daraus machen. Sie könnte vielleicht doch der Inhaltlichkeit und den langsameren Prozessen der Politik auch in der medialen Inszenierungswelt noch eine Chance lassen. Eine Art reflexiver Mediatisierung als Kommunikationskultur?