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Europa und die arabischen Länder Krisenpotenziale im südlichen Mittelmeerraum

Dieter Weiss

/ 23 Minuten zu lesen

Die arabischen Länder sind im internationalen Entwicklungs- und Technologiewettlauf selbst gegenüber den Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas zurückgefallen. Die Gründe sind verfehlte Wirtschafts- und Gesellschaftspolitiken.

"Schurkenstaaten" und die "Achse des Bösen"

"Krieg gegen die Taliban - kein Krieg gegen die Muslime", so lautete die gängige westliche Rhetorik. Nur war sie bei den Bevölkerungsmehrheiten in der arabisch-islamischen Welt nicht glaubwürdig. Seit der Rede des amerikanischen Präsidenten zur Lage der Nation vom 29. Januar 2002 hören sie: "Our case is just, and it continues . . . Our war against terror is just beginning." Nord-Korea, Iran und Irak "constitute an axis of evil . . . I will not wait on events, while dangers gather. I will not stand by, as peril draws closer and closer."

Die Weltwahrnehmung der Bevölkerungen in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens ist eine andere. Die dortigen Reaktionen könnten dramatisch werden, wenn es zu einer Ausweitung der militärischen Aktionen auf weitere islamische "Schurkenstaaten" kommen sollte - Syrien, Sudan, Irak, Somalia? Die arabischen Partner der Anti-Terror-Koalition und die Türkei haben deutliche Zurückhaltung signalisiert, denn sie haben den wachsenden Zorn der Straße zu fürchten. Für die innenpolitische Stabilität in den arabischen Ländern verheißt dies nichts Gutes. Die Europäische Union könnte sich bald mit neuen Krisenherden an ihrer Mittelmeer-Südflanke konfrontiert sehen.

Unsere arabischen Nachbarn bieten ein verwirrendes Spektrum von anhaltender ökonomischer Unterentwicklung und sozialer Verelendung. Insbesondere in den Slumgürteln der urbanen Ballungsräume wachsen die politischen Spannungen. Oppositionelle Bewegungen bedienen sich dabei fundamentalistischer Parolen - je unreflektierter, desto massenwirksamer: "Der Islam ist die Lösung", lautet der Kampfruf aus den Moscheen. "Gute Musliminnen sein, wird uns von unseren Problemen befreien", hört man von Studentinnen an den Universitäten.

Unbefriedigende Reformansätze

Auslöser ist die desolate wirtschaftliche Situation und der Mangel an Lebensperspektiven. Sie sind Folge der verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitiken der vergangenen Jahrzehnte. Dies gilt für die früheren staatssozialistischen Ansätze (z. B. in Algerien, Ägypten, Syrien) ebenso wie für die Feudalregime (z. B. Marokko, Jordanien), für Erdöl- wie für Nicht-Erdöl-Staaten. Vielfach kam es zu einer fatalen Gemengelage planwirtschaftlicher und marktwirtschaftlicher Elemente ohne den angemessenen Einsatz der jeweils dazugehörigen Steuerungsinstrumente: Planwirtschaft ohne effektive zentrale Kontrolle, Marktwirtschaft ohne den dafür erforderlichen institutionellen Rahmen wie Rechtssicherheit, eine unabhängige Justiz und eine weisungsungebundene Zentralbank.

Auch die neueren Reformversuche in Richtung auf "marktfreundlichere" Politiken seit den achtziger Jahren, üblicherweise im Geberkonzert unter Federführung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds, blieben ausnahmslos hinter den Erwartungen zurück. Denn nirgendwo bildeten sich durchsetzungsfähige Reformkoalitionen. Die bisherigen Machteliten - von der politischen Führung über die Beamtenapparate, die Staatsbetriebe bis zu den staatlich kontrollierten Gewerkschaften und der Armee als vorhersehbare Reformverlierer - erwiesen sich in der Regel als stärker gegenüber den potenziellen Reformgewinnern.

Die Folge ist, dass die arabische Welt mit Ausnahme einiger Erdölemirate im internationalen Entwicklungswettlauf mit den Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas zurückgeblieben ist und weiter zurückfällt. Nur Subsahara-Afrika weist noch unbefriedigendere Ergebnisse auf. So liegt das Pro-Kopf-Einkommen für Singapur über 24 700 US-Dollar, für Südkorea bei 8 910 US-Dollar, für Malaysia bei 3 380 US-Dollar, für Thailand bei 2 010 US-Dollar. Für Ägypten, das industriell am weitesten entwickelte arabische Land, aber beträgt es nur 1 490 US-Dollar, für Marokko 1 180 US-Dollar, für Syrien 990 US-Dollar, für den Sudan unter 300 US-Dollar und für Burundi 110 US-Dollar. Für die drei größten lateinamerikanischen Länder Argentinien, Brasilien und Chile lauten die Werte 7 440, 3 570 bzw. 4 600 US-Dollar . Die Anzahl der Personalcomputer pro tausend Einwohner beträgt in Südkorea 132, in Malaysia 43, in Thailand 28, aber in Jordanien und Tunesien nur je 7, in Ägypten 6, in Algerien 3, in Marokko 2 und in Syrien 1,4.

Den Herausforderungen der Globalisierung stehen die arabischen Länder unvorbereitet gegenüber. Zentrale Verteilungskonflikte um Land, Wasser und Energieressourcen sind in der Region ungelöst. Keine Entwicklungsregion erlebte so viele militärische Konfrontationen: neben dem palästinensisch-israelischen Dauerkonflikt den Irak-Iran-Krieg, den zweiten Golfkrieg gegen den Irak, die Kämpfe um Spanisch-Sahara, die Bürgerkriege im Jemen, im Libanon und in Algerien. Im Durchschnitt werden jährlich rd. 15 Prozent der Bruttosozialprodukte für Militärausgaben verwandt.

Dabei wird das wichtigste Produktivitätspotenzial beharrlich vernachlässigt: das Humankapital und seine Innovationsfähigkeit. Forschung, Entwicklung und technologische Innovation verlangen nicht nur Geld, sondern vor allem auch Entfaltungsspielräume. Das bedeutet Freiheit des kritischen Denkens und politisch-gesellschaftliche Spielräume für Kreativität. Eben diese werden aber von den autoritär-paternalistischen Herrschaftssystemen verweigert. Die Bildungssysteme sind quantitativ aufgebläht, aber qualitativ desolat. Vorherrschender Lernstil ist immer noch das mechanische Auswendiglernen.

Ein wesentliches Entwicklungshemmnis ist die Analphabetenrate: 52 Prozent in Marokko, 45 Prozent in Ägypten, 33 Prozent in Algerien, 30 Prozent in Tunesien, 26 Prozent in Syrien. Demgegenüber liegt Korea bei zwei Prozent, die Philippinen und Thailand bei je fünf, Malaysia bei 13 Prozent. Hier liegt die wesentliche Ursache des ost- und südostasiatischen Entwicklungserfolgs und der Stagnation der arabischen Welt. Besonders fatal ist die noch höhere Analphabetenrate der Frauen (in Marokko bei 60 Prozent) sowie deren Behinderungen bei der Ausübung beruflicher Tätigkeiten außerhalb der häuslichen Sphäre. Mütter, die nicht lesen und schreiben können, geben ihren Kindern solche Fähigkeiten nicht weiter. Die niedrige Einschulungsquote für Mädchen im ländlichen Bereich ist deshalb einer der aussagekräftigsten internationalen Entwicklungsindikatoren.

Soziale Frustrationen und Islamischer Fundamentalismus

Trotz des Rückgangs der Geburtenraten werden sich die Bevölkerungen im südlichen Mittelmeerraum in den nächsten dreieinhalb Jahrzehnten nochmals verdoppeln. Wachsende soziale Spannungen sind damit vorprogrammiert. In Algerien, Ägypten, Syrien und Jordanien stellen die Jugendlichen 60-80 Prozent der Arbeitslosen. Frustationen über fehlende Lebensperspektiven entladen sich immer wieder gewalttätig. Nach dem entwicklungspolitischen Scheitern der Großideologien des Arabischen Nationalismus, des Panarabismus und des Arabischen Sozialismus bedient man sich nun religiöser Symbole. Man sucht Rückversicherung im Glauben, Bestätigung der eigenen kulturellen Identität und Wiedergewinnung der Selbstachtung.

Während der letzten zwei Jahrhunderte war diese vom westlichen Kolonialismus untergraben worden, dies hatte bohrende Selbstzweifel ausgelöst. Verwirklichte doch der Westen zivilisatorisch, was der Orient hätte verwirklichen müssen, getreu der koranischen Offenbarung, die den Muslimen die triumphierende Stellung in der Welt verheißen hatte. Zu dieser alten Wunde der Unterlegenheit gegenüber dem Westen - einschließlich der verlorenen Kriege und der Etablierung des Staates Israel - gesellt sich seit den letzten drei Jahrzehnten die noch viel demütigendere Bedrängung durch den Fernen Osten. Die arabischen Massen suchen angesichts solcher Verunsicherungen, die in krassem Widerspruch zum göttlich offenbarten Wort und seiner Verheißung stehen, verbindlich erscheinende und Halt gebende Regeln für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die im Grundverständnis des Islam ja eine unauflösliche Einheit mit der Religion bilden, was Säkularisierungsprozesse immer wieder blockiert hat.

In der internationalen Konkurrenzsituation vor allem auch mit den Schwellenländern anderer Weltregionen ringt man in der muslimischen Welt um eine tragfähige Interpretation von Koran und Sunna, der überlieferten Lebenspraxis des Propheten Mohammed als Staatslenker in Medina, die als Vorbild und Richtschnur rechten Handelns gilt. Dies soll auch "islamischen" Volkswirtschaften ermöglichen, sich den Anforderungen der globalisierten Weltwirtschaft erfolgversprechend zu stellen. Tatsächlich aber blieben Ansätze einer islamischen Wirtschaftsordnung - wie im Sudan, im Iran, in Pakistan und Algerien - wenig überzeugend. Sie beschränkten sich auf die Einführung einiger weniger, als islamisch geltender Elemente wie der Almosensteuer Zakat und der Abschaffung des Zinses, an dessen Stelle verschiedene Formen der Gewinnbeteiligung traten.

Weitere Herausforderungen ergeben sich aus den ökologischen Veränderungen und dem zunehmenden Wassermangel, die ebenfalls einen wachsenden Migrationsdruck ausüben: von den Sahelländern auf Nordafrika, und von dort weiterwirkend auf Europa.

Herausforderungen an die Europäische Gemeinschaft

Die EU ist auf die voraussehbaren Krisenszenarios in Bezug auf Handel, Energieversorgung, Migrationsströme, Drogenexport und Terrorismus wenig vorbereitet. Wichtig wäre eine weitsichtige Krisenprävention über eine breitgefächerte wirtschaftliche, soziale, technisch-wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit. Dabei ginge es um die Einbeziehung insbesondere auch vieler nichtstaatlicher Gruppen auf beiden Seiten des Mittelmeers. Ziel müsste es sein, tiefgreifende und langfristig angelegte Veränderungen zur Auflösung elementarer Entwicklungsblockaden auf den Weg zu bringen. Entsprechende Ansätze in der arabischen Welt sollten ermutigt und gegen den internen repressiven Druck der herrschenden Regime abgestützt werden. Vorrangig wäre die Förderung eines zivilgesellschaftlich-demokratischen Umfeldes, welches Freiheit des Denkens und der Person zulässt, Innovationen und Kreativität fördert und sie nicht als Bedrohung bisheriger etablierter Machtpositionen wahrnimmt und blockiert.

Die strategische Chance einer euro-arabischen Partnerschaftsuniversität

Eine zentrale Rolle käme der Stützung eines leistungsfähigen, qualitativ hochwertigen, kritischem und innovativem Denken gegenüber offenen Bildungswesens im primären, sekundären und tertiären Bereich zu. Eine strategische Funktion dabei hätte eine euro-arabische Partnerschaftsuniversität. Es ginge um ein Angebot technischer, betriebs- und volkswirtschaftlicher Studiengänge auf internationalem Niveau sowie um gemeinsame euro-arabische Forschungsvorhaben mit Bezug zu den drängenden Fragen, die sich der arabischen Welt heute in allen Bereichen stellen.

Solche Angebote wären zu verknüpfen mit euro-arabischen Dialogforen, die es ermöglichen, unterschiedliche Wissens- und Wissenschaftstraditionen zu diskutieren. Das jährliche Finanzvolumen wäre durchaus übersehbar. Es entspräche etwa den Kosten der technischen Sanierung und Modernisierung von drei Düngemittelfabriken, wie wir sie routinemäßig in der bilateralen deutschen Finanziellen Zusammenarbeit problemlos durchführen. Die Entwicklungsimpulse einer euro-arabischen Partnerschaftsuniversität im Sinne der Beeinflussung, Ermutigung und Abstützung der arabischen geistigen Eliten wären hingegen unvergleichlich tiefgreifender und nachhaltiger.

In diesem Rahmen könnte sich auch ein vertrauenvoller Dialog über zahlreiche drängende Herausforderungen entfalten - beginnend bei den unübersehbaren Problemen der ökologischen Veränderungen und ihren Folgewirkungen auf die geographischen Verschiebungen heutiger Siedlungsgebiete und den damit entstehenden internen und grenzüberschreitenden Wanderungsbewegungen.

Der Barcelona-Prozess

Zweieinhalb Monate nach den israelisch-palästinensischen Vereinbarungen von Oslo kam es anlässlich der euro-mediterranen Konferenz der Außenminister in Barcelona im November 1995 zur Deklaration der euro-mediterranen Partnerschaft zwischen den 15 EU-Mitgliedstaaten einerseits und zwölf Ländern des südlichen Mittelmeerraums andererseits: Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Israel, Jordanien, die Palästinensischen Autonomiegebiete, Syrien, Libanon, die Türkei, Zypern und Malta (Libyen blieb ausgeschlossen, nimmt aber inzwischen als Gast der jeweiligen EU-Ratspräsidentschaft an den Treffen teil). Vereinbart wurde die Kooperation in drei Feldern: 1. Politische und Sicherheitsfragen, 2. wirtschaftliche, finanzielle und handelspolitische Zusammenarbeit, 3. soziale und kulturelle Kooperation.

Es geht um eine großräumige Vision: die Schaffung einer euro-mediterranen Freihandelszone bis zum Jahr 2010 als einer "Zone des Friedens und der Stabilität" in Anerkennung fundamentaler Prinzipien wie Menschenrechte, Demokratie, Verständigung zwischen den Völkern und Entwicklung einer Zivilgesellschaft.

Europäisch-amerikanische Rivalitäten

Die EU sieht den Barcelona-Prozess als einen komplementären Beitrag zum nahöstlichen Friedensprozess, während die USA und Israel einem stärkeren europäischen Engagement im arabisch-israelischen Konflikt zurückhaltend bzw. explizit ablehnend gegenüberstehen. Dies ist verständlich angesichts der grundlegenden politischen Linie der EU, wie sie schon in der Erklärung des Europäischen Rats vom Juni 1980 in Venedig zum Ausdruck kommt, der unter Bezug auf die Entschließungen 242 und 338 des UN-Sicherheitsrats (Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten) Anerkennung fordert für das "Existenzrecht und das Recht auf Sicherheit aller Staaten der Region einschließlich Israels sowie der Gerechtigkeit für alle Völker, was die Anerkennung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes beinhaltet" . Die Annexion Ostjerusalems wird von der EU nicht anerkannt, die Beendigung der Besetzung arabischen Territoriums gefordert und die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, "dass die israelischen Siedlungen den Friedensprozess im Nahen Osten ernsthaft behindern" und völkerrechtswidrig sind.

Demgegenüber treten die USA als Schutzmacht Israels auf und werden als eine solche auch im arabischen Bewusstsein wahrgenommen. Die USA sehen ihre Rolle vor allem im Maschrek (der Gruppe der ostarabischen Länder von Ägypten bis zum Irak) und in den Golfstaaten - dort seit Ende des 2. Golfkriegs 1990/91 gegen den Irak mit einem Truppenkontingent von mehreren tausend Soldaten in Saudi Arabien zum Schutz der amerikanischen Erdölversorgung.

Frankreich wiederum betont seine spezifischen Interessen im westlichen Mittelmeer, aus dem es amerikanische Einflüsse herauszuhalten sucht, und pflegt seine historischen Beziehungen zu den Maghreb-Ländern. Spanien - nicht von ungefähr Gastgeber der Konferenzen von Madrid und Barcelona - bemüht sich um eine herausgehobene Vermittlerrolle zwischen Europa und der arabischen Welt, mit der es eine gemeinsame Geschichte von sieben Jahrhunderten verbindet.

Irritationen des Nahost- Friedensprozesses

Es zeigte sich bald, dass der Barcelona-Prozess nicht vom Nahost-Friedensprozess trennbar war. Störungen in ersterem schlugen immer wieder auf die Weiterentwicklung des letzteren durch. So kam es schon Anfang 1997 zum Konflikt über den Austragungsort der zweiten euro-mediterranen Außenministerkonferenz. Syrien verweigerte ein Zusammentreffen mit dem Vertreter Israels auf arabischem Territorium, ungeachtet des intensiven Interesses Marokkos an der Gastgeberrolle. Schließlich einigte man sich auf Malta. Im März 1997 eskalierte das Problem der jüdischen Siedlungen am Rande Ostjerusalems. Die Arabische Liga rief zum Boykott der Beziehungen zu Israel auf. Der Disput beherrschte das Treffen in Malta - in Anwesenheit von Arafat und dem israelischen Außenminister Levy - und blockierte die Einigung über ein Abschlusskommuniqué. Letzteres konnte erst einen Monat später nach einem Ringen um Formulierungen zum Nahost-Friedensprozess, zu Menschenrechten, illegaler Einwanderung und Terrorismus veröffentlicht werden. Der Sprecher der arabisch-mediterranen Gruppe bezeichneten die Lage des Barcelona-Prozesses als "fragil" bis "festgefahren" .

Anlässlich eines informellen Ministertreffens in Palermo im Juni 1998 artikulierte die arabisch-mediterrane Gruppe indessen ihr Interesse an der Weiterverfolgung des Barcelona-Prozesses ungeachtet des Stockens des Nahost-Friedensprozesses. Dieser Konsens wurde bestätigt auf der euro-mediterranen Ministerkonferenz von Stuttgart im April 1999 unter Teilnahme einer Delegation Libyens und Mauretaniens (als Gäste der deutschen Präsidentschaft mit Beobachterstatus). Es kam zu einem Austausch von Sichtweisen zur Lage im Nahen Osten und zu Überlegungen hinsichtlich konkreter Fortschritte im Barcelona-Prozess. Dieses Muster setzte sich auf dem Ministertreffen von Lissabon im Mai 1999 fort, wiederum mit Libyen als Gast (diesmal der portugiesischen Präsidentschaft).

Ungeachtet der Fortführung der Verhandlungsroutinen forderte die EU-Kommission - einem allgemeinen Unbehagen am schleppenden Umsetzungsprozess der Barcelona-Deklaration Ausdruck gebend - im September 2000 eine "Wiederbelebung" (reinvigoration). Insbesondere soll jedes Partnerland innerhalb von fünf Jahren nach Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU auch Freihandelsabkommen mit den anderen Signatarstaaten abschließen, um die Herausbildung des gemeinsamen euro-mediterranen Freihandelsraums voranzutreiben. Seit September 2000 überschatten die erneuten militärischen Konfrontationen zwischen Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten den Fortgang des Barcelona-Prozesses.

Nicht von ungefähr lag der Höhepunkt des Friedensprozesses - die 1995er Vereinbarungen von Oslo (d. h. "Oslo II", nach den Verhandlungen in Oslo 1993: "Oslo I") - nur zweieinhalb Monate vor der Barcelona-Konferenz. Kritische Beobachter diagnostizieren für das euro-mediterrane Projekt "process without progress. It is commonplace to state that the Barcelona Process is the only multilateral forum (outside the United Nations) where the parties in conflict in the Middle East meet. Considered in these terms the perpetuation of the process is, itself, an achievement and a contribution to the Middle East peace process." Finanzelle Zuwendungen der EU und die Hoffnung auf erweiterte Handelsmöglichkeiten halten den Prozess zwar in Bewegung, reichen in ihrem begrenzten Volumen aber nicht aus, ihm eine überzeugendere Schubkraft zu geben.

Umsetzungsprobleme der Barcelona-Erklärung

Die Umsetzung der Barcelona-Deklaration soll im Wesentlichen auf zwei Ebenen erfolgen: Zum einen geht es um den formalen Rahmen bilateraler Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den Partnerländern. Hier kam es zu zähflüssigen Aushandlungen und Verzögerungen bei der anschließenden Ratifizierung vor allem in Reaktion auf die geringe Kompromissbereitschaft der EU im Bereich des Agrarprotektionismus. Angestrebt wird eine Zusammenarbeit in den Bereichen Industrie, Energie, Umwelt, Telekommunikation, Tourismus, freier Kapitalverkehr, technisch-wissenschaftliche Kooperation und Drogenbekämpfung. Zentrales Ziel ist die Ausweitung des Handels und der Privatinvestitionen, wobei der EU-Agrarmarkt weithin geschützt bleibt.

Zum anderen sollen die Partnerländer ihre Handelsschranken untereinander abbauen und über einen erweiterten Süd-Süd-Handel - bislang nur sechs Prozent ihres gesamten Handelsvolumens - dazu beitragen, schrittweise einen einheitlichen euro-mediterranen Wirtschaftsraum zu schaffen, welcher auch größere Anreize für die bislang kaum interessierten privaten Auslandsinvestoren bietet. Ein Modernisierungsprogramm soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit der meist immer noch stark binnenwirtschaftlich orientierten arabischen Volkswirtschaften entwickeln.

Die EU sieht den politischen Dialog und die Förderung zivilgesellschaftlicher Strukturen als wesentliche Elemente für den Erfolg der euro-mediteranen Partnerschaft: Menschenrechte, Demokratie, good governance und Rechtsstaatlichkeit - dies angesichts erheblicher Widerstände der regierenden Eliten, die eher einen "Prozess kontrollierter Pluralisierung als einen Wandel zur Demokratie" anstreben. Eberhard Rhein, langjähriger führender Akteur in der Generaldirektion Mittelmeer/Naher und Mittlerer Osten der Europäischen Kommission, betont in diesem Zusammenhang: "The success of the enterprise will be measured by the capacity of Europe to trigger essential reforms and of its Mediterranean partners to implement them. Reforms must not be confined to trade or economic matters to implement them. Reforms have to go beyond the economic sphere. They have to change society, the power structures, the relationship between the state and the individuum. At the end of the process, which is bound to extend far into the early 21st century, the Maghreb and Mashrak societies should embody many essential elements of present European societies, in particular in respect of basic democratic principles and human rights."

"Weiche" Sicherheit

Weiterhin umfasst die Barcelona-Agenda gemeinsame Bemühungen um die Bekämpfung von Drogenhandel, organisierter Kriminalität, Terrorismus und illegaler Zuwanderung, also der die EU beunruhigenden Aspekte der "soft security". In der Sicht der EU-Kommission: "The security threats in the MED, as perceived by the EU, are not military ones, neither today nor in the next 10-20 years, notwithstanding speculations about the possible threat of missiles being fired at Europe by ,fanatic regimes' in Northern Africa. The real threats derive from increasing population, inability to employ the growing numbers of young people, illegal immigration, persistent poverty, environmental hazards, water scarcity, food shortages, urban chaos etc. Therefore, the response to the risks has to be primarily of a socio-economic nature. Europe has to ,shake up' the MED societies in such a way that they are better able to face the challenges of the next century. They need, each in its own particular way, to undergo profound system changes."

Es geht also um Reformen auf allen Ebenen im Bereich wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen, unternehmerischer Effizienzsteigerung, einer neuen Rolle des Staates und der Administration, eines modernisierten Finanzsektors, eines reformierten Erziehungswesens - und das Ganze im Rahmen grundlegender Freiheitsrechte. Dies angesichts einer meist fragilen Legitimität der herrschenden Regime bei gleichzeitig wachsendem sozialpolitischen Druck. "Most societies resent reforms; their basic impulse is conservative. Change is being resisted; for any change means risks, requires adjustment, learning, extra work, etc. It is therefore common to see societies incapable of engineering necessary changes and reforms from within."

Einen hohen Stellenwert für die EU hat auch der Umweltschutz, der naturgemäß eine regionale Kooperation unumgänglich macht: z. B. Wasserknappheit, Abfallbeseitigung, Küstenschutz, Artenvielfalt und Desertifikation.

Finanzielle Zuwendungen und personelle Engpässe

Im Gegenzug für Reformbemühungen bietet die EU Anreize in Form von nicht rückzahlbaren Zuschüssen, die für den Zeitraum 1995-1999 4,4 Mrd. Euro betrugen. Hinzu kamen Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) in Höhe von 4,8 Mrd. Euro. Für den Zeitraum 2000-2006 wurden 5,35 Mrd. Euro an Zuschüssen zur Verfügung gestellt, die durch EIB-Kredite in Höhe von 7,4 Mrd. Euro ergänzt werden sollen.

Die Mittel werden nicht nach Länderquoten verteilt, sondern entsprechend dem Reformfortschritt der einzelnen Länder, die damit in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Von Fall zu Fall werden die Mittel mit Stabilitäts- und Strukturanpassungshilfen anderer Geber wie der Weltbank, des IMF oder des Arab Fund verbunden und in den Politikdialog zu vordringlich erscheinenden Reformschritten eingebracht. Bei zwölf Partnerländern stehen pro Land durchschnittlich weniger als 100 Mio. Euro pro Jahr an Zuschüssen zur Verfügung - offenbar kein entscheidender finanzieller Anreiz für Reformmaßnahmen, zumal wenn sie einer Partnerregierung innenpolitisch als prekär erscheinen.

Hinzu kommt die notorisch knappe Personalkapazität der EU-Kommission im entwicklungspolitischen Feld, was eine differenzierte Projekt- und Programmidentifizierung, Implementierung und Evaluierung, wie sie etwa in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit ihren Tausenden von Mitarbeitern in einem komplexen Institutionengefüge möglich und üblich sind, kaum zulässt. Entsprechend unbefriedigend sind oft die Zielgenauigkeit und die Umsetzung der EU-Programme.

Vorläufige Ergebnisse

Die Reformfortschritte waren bislang begrenzt. Die Partnerländer sind weit davon entfernt, internationale Wettbewerbsfähigkeit erreicht zu haben und der künftigen EU-Konkurrenz im Zuge der stufenweisen Handelsliberalisierung innerhalb der euro-mediterranen Freihandelszone standhalten zu können. Noch zähflüssiger gestaltet sich der Übergang zu zivilgesellschaftlichen Strukturen, ungeachtet des anstehenden oder bereits erfolgten Generationenwechsels der politischen Führungseliten im arabischen Raum. Das Bewusstsein für die einschneidenden Umweltprobleme steht weithin erst ganz am Anfang.

Wegen der schwachen Stellung des Europäischen Parlaments fehlt zudem ein umfassendes politisches Mandat für ein deutlicheres Eintreten für Demokratie, Menschenrechte und die Entwicklungsorientierung staatlichen Handeln. Solche Initiativen verursachen üblicherweise diplomatische Kosten, die man eher zu vermeiden sucht. Auch bindet der anhaltende israelisch-palästinensische Konflikt die knappe Ressource "politische Aufmerksamkeit". Doch wären entwicklungspolitische Fortschritte billiger und langfristig wirksamer als die Perspektive eventuell erforderlich werdender flächendeckender humanitärer Katastrophenhilfen und Dauersubventionen für weiter wachsende Bevölkerungen - ganz zu schweigen von Abwehrmaßnahmen gegen Drogenhandel, Migrationsströme und Terrorismus.

Langfristig nicht zu unterschätzen ist die positive Wirkung etablierter Routinen. In zahlreichen euro-mediterranen Arbeitsgruppen, Konferenzen, Worksshops etc. treffen Beamte, Geschäftsleute, Wissenschaftler und Journalisten mit ihren arabischen Kollegen zusammen und erörtern technische Fragen wie Fischereiprobleme, Denkmalschutz, Umweltfragen, Kommunikationstechnologien, Probleme von Film und Fernsehen u. a. Entsprechend wachsen Netzwerke zwischen Industrie- und Handelskammern, wissenschaftlichen Instituten, Medien, Stadtverwaltungen etc.

Kritische Perspektiven

Die geographischen Gegebenheiten lassen die Option einer sich abschließenden "Festung Europa" nicht zu. Die bisherigen Ergebnisse können nicht voll befriedigen. Denkbar wäre ein ganzer Fächer von erweiterten Kooperationsszenarios, einer deutlichen Verstärkung der Bildungsförderung einschließlich der oben skizzierten Euro-Arabischen Partnerschaftsuniversität über Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen in diversen landwirtschaftlichen und industriellen Sektoren, Umwelt- und Ressourcenschutz (insbesondere angesichts der Ausbreitung der Wüsten) bis hin zu einem umfassenden, finanziell wesentlich besser ausgestatteten "Marshall-Plan", der auch versuchen könnte, auf den Nahost-Friedensprozess einzuwirken und einen wirtschaftlichen Überlebensschirm für Konfliktparteien anzubieten, die zu Recht oder zu Unrecht befürchten, zu marginalisierten ökonomischen Verlierern einer Friedensregelung zu werden.

Im Kern geht es um die Ermutigung und Stützung wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Such-, Lern- und Innovationsprozesse. Für die Unternehmen bedarf es der Förderung einer Innovationskultur mit Ausrichtung auf internationale Wettbewerbsfähigkeit, neue Technologien und Produkte. Trotz eines in manchen Ländern wie Tunesien, Ägypten und Jordanien existierenden beachtlichen technologischen und unternehmerischen Potenzials gelingt es angesichts der repressiven politischen Rahmenbedingungen nicht, dieses zu technologiegeleiteten gesamtwirtschaftlichen Wachstumsstrategien zu bündeln, wie es die ost- und südostasiatischen Schwellenländer beispielhaft vorgeführt haben. Viele Regierungen zögern weiterhin, Partizipationsmöglichkeiten nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch bei der Gestaltung von Wirtschafts- und Technologiepolitiken einzuräumen. Dies schlägt sich in einer notorischen Schwäche der meisten Regierungen bei der Formulierung und Umsetzung innovativer Politiken nieder.

Die EU scheut die diplomatischen, partiell auch die finanziellen Kosten einer entschlosseneren Eingriffstiefe im Sinne einer Geber-Konditionalität. Bei Weiterverfolgung der bisherigen, relativ zurückhaltenden EU-Linie ist zu erwarten, dass die Produktionsstrukturen in den arabischen Ländern auch in der laufenden Dekade nicht die Schwelle globaler Wettbewerbsfähigkeit erreichen.

Im Falle einer eher unwahrscheinlichen EU-Agrarmarktliberalisierung eröffnen sich den arabischen Ländern zwar einerseits Exportchancen im Bereich klassischer Südfrüchte (Wein, Oliven, Zitrusfrüchte) sowie von Obst und Gemüse, Fisch und Baumwolle auf Kosten bisheriger südeuropäischer Anbieter. Doch würden die Araber infolge der bis 2010 vorgesehenen Handelsliberalisierung ihrerseits unter Wettbewerbsdruck seitens der effizienter produzierenden nordeuropäischen Erzeuger von Getreide, Fleisch, Eiern und Milchprodukten geraten.

Insgesamt ist deshalb mit einer erheblichen Freisetzung von Arbeitskräften in den arabischen Mittelmeerländern zu rechnen, wenn in der geplanten Euro-Mediterranen Freihandelszone auch deren Handelsbarrieren gegen EU-Industrieprodukte fallen werden. Selbst für relativ fortgeschrittene Länder wie Tunesien und Marokko rechnet man mit einer Freisetzung von bis zu 50 Prozent der Beschäftigten in der internationalen nicht wettbewerbsfähigen Klein- und Mittelindustrie.

Die zögernde Wahrnehmung zukünftiger Krisenpotenziale seitens der EU begünstigt Strategien eines "Business as usual", d. h. der Fortführung bislang EU-intern konsensfähiger Kooperationsroutinen seitens der Brüsseler Kommission - dies durchaus nahe liegend angesichts der langwierigen Entscheidungsprozesse und der divergierenden Interessen der EU-Mitgliedsländer. Allenfalls neigt man zu einer Option eines "Mehr vom Bisherigen". Solche Routinen minimieren zwar EU-interne Konflikte, laufen aber Gefahr, mittelfristig zu Begleitern in ökonomische und politische Krisenszenarios zu werden.

Die vorhandenen wie die bevorstehenden Risiken legen es nahe, die Möglichkeit in Rechnung zu stellen, dass die Wohlstandsvision der Barcelona-Deklaration nicht voll realisierbar ist. Sozialpolitische Destabilisierungseffekte in einigen Ländern sind nicht auszuschließen. Die EU könnte sich dann veranlasst sehen, sozialpolitische Netze erheblichen Umfangs in einer Reihe von arabischen Mittelmeerländern zu finanzieren; dies möglicherweise mit Dauersubventionscharakter und mit Blick auf denkbare Migrationsbewegungen, auf die die europäische Öffentlichkeit - vielleicht mit Ausnahme Frankreichs mit seinen arabischen Vorstädten - bislang kaum vorbereitet ist.

Produktiver wäre eine dezidiertere Umsetzung des in den EU-Assoziationsabkommen vereinbarten politischen Dialogs. Dabei ginge es vor allem um die Öffnung der Regime für innovative Prozesse nicht nur auf der Ebene der Leistungssteigerung der Unternehmen, sondern auch der Schaffung der dafür erforderlichen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat dazu erkärt: "Die Dimension der anstehenden sozialpolitischen Kosten der ökonomischen Transformation erfordert möglicherweise nicht nur umfangreichere Finanztransfers . . ., sondern vordringlich auch den Versuch einer wirksameren Einflussnahme auf sensitive Fragen politischer Partizipation und der Freisetzung bislang blockierter Kreativitätspotenziale im weitesten Sinne . . . Die Auflösung von Innovationsblockaden muss primär von gesellschaftlichen Prozessen innerhalb der Mittelmeerländer selbst ausgehen; ein vielfältiges Geflecht von Kooperationsbeziehungen in wirtschafts-, sozial-, wissenschafts- und kulturpolitischen Interaktionsfeldern zwischen EU und den Partnerländern auf staatlicher und nichtstaatlicher Ebene kann und sollte solche gesellschaftlichen Transformationsprozesse ermutigen und stützen."

Die jüngsten Entwicklungen des Nahost-Konflikts verdeutlichen die Notwendigkeit einer klareren europäischen strategischen Perspektive angesichts der unabweislichen Anforderungen, die auf die EU zukommen. Eine Weiterentwicklung des Barcelona-Prozesses erscheint nicht vorstellbar ohne eine international koordinierte Deeskalation der israelisch-palästinensischen Dauerkonfrontation. Eine weitere Aufschaukelung des Konflikts gefährdet nicht nur die politische Stabilität einer Reihe arabischer Regierungen, sondern diejenige der gesamten Region. Sporadische, unzureichend vorbereitete Initiativen wie die Reise des Hohen Repräsentanten für die EU-Außen- und -Sicherheitspolitik Javier Solana sowie des derzeitigen EU-Ratsvorsitzenden und spanischen Außenministers Josep Piqué in den Nahen Osten im April 2002 erwiesen sich als unzureichend, um der Stimme der EU Gehör zu verschaffen. Sie demonstrierten damit zugleich sowohl die Defizite der innereuropäischen Willensbildungsprozesse wie einer angemessenen Umsetzung ihrer Entscheidungen. Wichtige neue Impulse sind künftig wohl eher vom EU-Parlament zu erwarten.

Die der Konferenz der EU-Außenminister vorgelegte "Sieben-Punkte-Ideenskizze" der deutschen Seite zur Lösung des Nahost-Konflikts im Rahmen einer Sicherheitsgarantie von USA, Russland, UN und EU schlägt vor, an das Muster der international koordinierten Balkan-Befriedung anzuknüpfen. Auch hier stellen sich die alten Fragen einer wirksamen Durchsetzung.

Noch umfassendere Herausforderungen könnten auf die EU zukommen, wenn es zu weiteren militärischen Anti-Terrorismus-Engagements gegen islamische Länder kommt, möglicherweise mit der Folge erheblicher politischer Erschütterungen des Nahen Ostens und Nordafrikas. Die Schaffung der euro-mediterranen "Zone des Friedens und der Stabilität" könnte der EU sehr viel weitreichendere Einsätze abverlangen als die bisherigen Bemühungen um die Schaffung einer Freihandelszone.

Fussnoten

Fußnoten

  1. US Department of State, Washington File, 29. January 2002, Transcript: President Bush"s State of the Union Address, http://usinfo.state.gov.

  2. Vgl. Dieter Weiss/Ulrich G. Wurzel, The Economics and Politics of Transition to an Open Market Economy - Egypt, Paris 1998 (französisch: Environnement économique et politique de transition vers l"économie de marché - L"Egypte), S. 190Äf.; Ulrich G. Wurzel, Ägyptische Privatisierungspolitik 1990 bis 1998, Münster 1999, S. 194Äf.

  3. Vgl. World Bank, World Development Report 2002, Building Institutions for Markets, Washington, D.ÄC. 2002, S. 232-233.

  4. Vgl. ebd.

  5. Vgl. Dieter Weiss, Wirtschaftliche Entwicklungsplanung in der Vereinigten Arabischen Republik, Köln - Opladen 1964, S. 252Äf.

  6. Vgl. Walther Braune, Der islamische Orient zwischen Vergangenheit und Zukunft, Bern 1960, S. 166Äf.

  7. Vgl. dazu kritisch Johannes Reissner, Vom Umgang mit Islam und Muslimen, Berlin 2002, S. 9.

  8. Vgl. Steffen Wippel, Islamische Wirtschafts- und Wohlfahrtseinrichtungen in Ägypten zwischen Markt und Moral, Münster 1996, S. 89Äf.; Dieter Weiss, Aspekte der Re-Islamisierung der Wirtschaft im arabisch-islamischen Orient, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, 35 (1985) 4, S. 469-480; ders., Towards an Islamic Economy - Cultural Identity, Binding Rules and the Struggle for a Workable Interpretation, in: Economics, 33 (1986), S. 21-37; ders., Islamische Bewegungen im Nahen Osten und in Nordafrika. Reaktionen der deutschen Entwicklungspolitik, Berlin 1998, S. 5Äf.

  9. Beispielhaft beschreibt die Historikerin und Romanautorin Assia Djebar, erste algerische Absolventin der Pariser Ecole Normale Supérieure, die Lage: "Die drei Jahre nach der Unabhängigkeit 1962-65 waren glückliche Jahre für mich. Die Universität war weltoffen, wir konnten uns nachts ungehindert in der Stadt bewegen, wir haben das Leben genossen. Aber schon 1963 wurde der erste Riegel vorgeschoben. Ich erinnere mich an die Sitzung einer Kommission unter dem Vorsitz des Erziehungsministers, in der es um die Geschichtsbücher ging. Man beschloß, künftig zwei Versionen herzustellen, eine französische und eine arabische, die sich nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich unterscheiden sollten. Ich habe mich gemeldet und gegen die Verbreitung von zwei verschiedenen Wahrheiten protestiert. Da die Herren keine Gegenargumente hatten, wurde mein Einwand mit Schweigen übergangen. Daraufhin habe ich gesagt: ,Herr Minister, wenn meine Meinung so wenig zählt, habe ich hier nichts mehr verloren.` Und bin gegangen. Ich habe dann noch zwei Jahre weiter unterrichtet, bin aber 1965 nach Frankreich zurückgekehrt. Ich hatte begriffen, daß sich hinter der Arabisation andere Absichten versteckten . . . Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In den arabischen Geschichtsbüchern wurde die vorislamische Periode - die Numider, die Römer, die Chris"ten, zu denen Augustinus gehörte - als Epoche der Unwissenheit vorgestellt. Wie soll man mit Abiturienten, die mit einem so primitiven Geschichtsbild an die Universität kommen, historische Kritik betreiben? Ein solches Geschichtsbild ist schwer zu korrigieren. Die Studenten sagen: Das ist eine frankophone Araberin, was weiß die schon? Man hat die Geschichte vernebelt, die Geister vernebelt, und am Ende hat man Intoleranz und Dogmatismus." Der Tagesspiegel vom 21.10.2000. Vgl. auch Dieter Weiss, Die arabische Welt vor einer neuen wissenschaftlich-technischen Kommunikationskrise?, in: Orient, 27 (1986) 3, S.'377-394.

  10. Vgl. Dieter Weiss, Zur Verstärkung der wissenschaftlichen Kooperation mit Entwicklungsländern. Stützung innovativer Eliten, Nachkontakte, Gemeinsame Forschungsprojekte, Auffangpositionen in Phasen politischer Unruhen, Interkulturelle Dialogforen. Eine Rolle für EU-Partnerschaftshochschulen, Berlin 2001, S. 8Äf.

  11. Vgl. Botschaft des Staates Israel, Das Interims-Abkommen zwischen Israel und der PLO, o.ÄO., September 1995.

  12. Vgl. European Commission, GD IB, External Relations, Euro-Mediterranean Partnership, Brüssel 1995, S. 4Äf.

  13. Erklärung des Europäischen Rates über den Nahen Osten vom 13. Juni 1980 in Venedig, in: Auswärtiges Amt (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland und der Nahe Osten, Bonn 1987, S. 61.

  14. Ebd., S. 62.

  15. Vgl. Roberto Aliboni, Change and Continuity in Western Policies Toward the Middle East, Rom 1995, S. 7.

  16. Agence Europe, Nr. 6955, 16. April 1997, S. 4.

  17. Vgl. Third Euro-Mediterranean Conference of Foreign Ministers, Stuttgart, 15-16. April 1999; http://www.medea. be/en/index412.htm.

  18. Vgl. Christopher Patten, External Relations Commissioner, Common Strategy for the Mediterranean and Reinvigorating the Barcelona Process, Brüssel, 31. Januar 2001; Anette Jünnemann, Six Years After: Reinvigorating the Euro-Mediterranean Partnership, in: Christian-Peter Hanelt/Felix Neugart/Matthias Pelz (Hrsg.), Europe"s Emerging Foreign Policy and the Middle Eastern Challenge, München - Gütersloh 2002, S. 70Äf.; http:europa.eu.int/comm/external_relations/news/patten/speech_01_04.htm.

  19. Vgl. Richard D. Whitman, Five Years of the EU"s Euro-Mediterranean Partnership: progress without partnership?, London 2001 (hekt.), S. 10-12.

  20. Ebd., S. 20. Vgl. auch Saleh M. Nsouli/Amer Bissat/Oussama Kanaan, The European Union"s New Mediterranean Strategy; http://www.worldbank.org/fandd/english/0996/articles/010996.htm.

  21. Vgl. Felix Neugart, Europe, The Mediterranean and the Middle East, Gütersloh 2002, S. 14Äf.

  22. Die Assoziierungsabkommen mit Tunesien, Malta, Zypern, der Türkei und der Palästinensischen Autonomiebehörde sind in Kraft, diejenigen mit Israel und Marokko vor der Inkraftsetzung. Die Abkommen mit Ägypten und Jordanien befinden sich im Ratifizierungsprozess, die Verhandlungen mit Algerien, Syrien und dem Libanon sind abgeschlossen.

  23. EU, Reinvigorating the Barcelona-Process, http://www.fei.eg/Programes/Barcelona-Process/REINVIGORATING.htm. Vgl. Ulrich G. Wurzel, Free Trade and Regional Integration in the Mediterranean, in: Christian-Peter Hanelt, Felix Neugart, Matthias Pelz (Hrsg.), Europe"s Emerging Foreign Policy and the Middle Eastern Challenge, München, Gütersloh 2002, S. 81Äf.

  24. Vgl. EU (Anm. 23).

  25. Volker Perthes/Heidi Kübel, Sozioökonomische und politische Herausforderungen im Südlichen Mittelmeerraum: Eine Bestandsaufnahme, Ebenhausen 1997, S. 38.

  26. Eberhard Rhein, The New Euro-Mediterranean Partnership. Trans-Atlantic Workshop on Regionalism, Ebenhausen, 4.-6. Juli 1996 (hekt.), S. 3.

  27. Eberhard Rhein, A New Strategy for the MED, Jerusalem, 30. Mai 1996 (hekt), S. 1-2.

  28. Vgl. E. Rhein (Anm. 26), S. 4.

  29. Vgl. ebd., S. 4.

  30. Vgl. Ulrich G. Wurzel/Peter Löwe, Zur geplanten Euro-Mediterranen Freihandelszone: Die Innovationsfähigkeit der südlichen Mittelmeerländer muss verbessert werden, in: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, Wochenbericht, Nr. 4, 2002, S. 70.

  31. Vgl. Volker Perthes, Geheime Gärten - Die neue arabische Welt, Berlin 2002, S. 103.

  32. Vgl. EU, The Delegation of the European Commission in Syria, Euro-Mediterranean Partnership; http://www.delsyr,cec.eu.int/euro_m_p/.

  33. Vgl. Dieter Weiss, Euro-Arab Development Cooperation, Scenarios and Policy Options, Berlin 1996; ders., Kooperationspolitiken der Europäischen Union gegenüber der Arabischen Welt - Szenarien und Optionen, in: Sabine Hofmann/Ferhad Ibrahim (Hrsg.), Versöhnung im Verzug. Probleme des Friedensprozesses im Nahen Osten, Bonn 1996, S. 67Äf.

  34. Vgl. U. G. Wurzel/P. Löwe (Anm. 30), S. 70.

  35. Vgl. Josef Licari, The Euro-Mediterranean Partnership: Economic and Financial Aspects, Paris 1998Äf.

  36. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Erfolgsbedingungen der Euro-Mediterranen Assoziierungspolitik, Bonn 2001, S. 14. Vgl. dazu die früheren Stellungnahmen des Beirats: Islamische Bewegungen und deutsche Entwicklungspolitik, BMZ aktuell, Bonn, November 1991; ders., Zur Notwendigkeit der Verstärkung der Wissenschaftlichen Kooperationspolitik mit Entwicklungsländern, BMZ aktuell, Bonn, Februar 1990.

Dipl.-Ing., Dr. rer. pol. habil., geb. 1935; 1962-1965 Grundsatzreferat im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; 1965-1980 am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik; 1980-2001 o. Professor für Volkswirtschaft des Vorderen Orients an der Freien Universität Berlin.

Anschrift: Goethestr. 80, 10623 Berlin.
E-Mail: prof.d.weiss@gmx.de

Veröffentlichungen u. a.: EU-Arab Development Cooperation, Scenarios and Options, Berlin 1996; (Mitautor) The Economics and Politics of Transition to an Open Market Economy - Egypt, Paris 1998; Zur Verstärkung der wissenschaftlichen Kooperation mit Entwicklungsländern, Berlin 2001.