I. Einleitung
Vor gut zehn Jahren, anlässlich eines Treffens des dänischen und des deutschen Außenministers Uffe Ellemann-Jensen und Hans-Dietrich Genscher am 22. Oktober 1991 in Rostock, war eine Intitiative zur Schaffung eines auf den Ostseeraum bezogenen Forums zwischenstaatlicher Zusammenarbeit vereinbart worden. Die Gründung des Ostseerates (Council of the Baltic Sea States, CBSS) erfolgte bereits wenige Monate später am 5. und 6. März 1992 in Kopenhagen. Dies war nur aufgrund der Tatsache möglich, dass bei dem Gründungsakt der beteiligten Regierungen auf den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages verzichtet worden war. Damit konnte einerseits der "lockere Charakter" des multilateralen, intergouvernementalen Zusammenschlusses gewahrt und andererseits auf ein langwieriges Ratifizierungsverfahren in den Parlamenten der einzelnen Mitgliedstaaten verzichtet werden.
Der dänische Außenminister zielte mit dieser Initiative insbesondere darauf, die drei baltischen Staaten - Estland, Lettland und Litauen - in deren Streben nach Festigung ihrer staatlichen Unabhängigkeit und Entwicklung zu unterstützen.
Angesichts der Bestrebungen einzelner deutscher Bundesländer, ihre europapolitische Rolle im Kontext eines "Europas der Regionen" zu stärken, ging es für den deutschen Außenminister möglicherweise auch darum, die Ambitionen der nördlichen Bundesländer zu steuern und entsprechende Initiativen in die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland einzubinden.
Außerhalb Europas erfährt die Zusammenarbeit mit dem Ostseeraum ebenfalls ein reges Interesse, wie beispielsweise die 1997 ins Leben gerufene US-amerikanische "Nordeuropa-Initiative" zeigt.
Insbesondere an der Peripherie der Europäischen Union sind neben dem Ostseerat im Laufe des vergangenen Jahrzehnts eine ganze Reihe subregionaler Organisationen entstanden, die eine Fülle von Aufgaben und Funktionen wahrnehmen.
Dabei wurde allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass seit der Entscheidung des Europäischen Rates von Luxemburg im Dezember 1997, die Beitrittskandidaten mit Blick auf ihre Mitgliedsfähigkeit zu differenzieren, die bilaterale Ebene der Beziehungen der Union zu den beitrittswilligen Staaten Mittel- und Osteuropas in den Vordergrund getreten ist. Dies wurde insbesondere im Ostseeraum spürbar, wo die Ratsentscheidung auf der Grundlage der von der Europäischen Kommission im Juli 1997 vorgelegten Stellungnahme (avis) zur Beitrittsfähigkeit der einzelnen Bewerberländer zu einer Verringerung der Kooperation zwischen den baltischen Staaten - Estland (das der ersten Erweiterungsgruppe zugerechnet wurde), Lettland und Litauen - geführt hat.
Der Begriff der Subregion verdeutlicht die - auf Kriterien der Funktionalität bzw. Homogenität eines politischen, geographischen, kulturellen oder sozioökonomischen Raumes beruhende - Zuordnung dieser Ebene zu einem übergeordneten "Ganzen". Aufgrund des Beitrittswunsches mehrerer Staaten bildet die Europäische Union im Falle des größten Teils der Ostseeanrainerstaaten diesen regionalen Bezugspunkt. Mit Blick auf diese regionale Ordnung lassen sich zwei Typen von Subregionalisierung unterscheiden.
Wegen seiner geographischen Lage bildet der Ostseeraum eine periphere Subregion. Dem Ostseerat kommt hierbei die Rolle zu, eine funktionale Verbindung zwischen EU, künftigen Mitgliedern und Nichtmitgliedern herzustellen. Schwerpunktmäßig bildet das Gremium ein multilaterales Forum zur Zusammenarbeit in nicht-militärischen Bereichen und unterstützt in dieser Hinsicht den Erweiterungsprozess der EU. Darüber hinaus stellt der Ostseerat durch seine enge Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen eine außenpolitische Innovation zur Kooperation mit der "Gesellschaftswelt"
II. Grundzüge der Entwicklung des Ostseeraumes seit 1990
Kaum eine andere europäische Region hat sich nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes so tiefgreifend gewandelt wie der Ostseeraum. Bis 1989 bildete die Ostsee eine der Nahtstellen einer potenziellen Blockkonfrontation zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt. Zugleich bemühten sich einzelne der Anrainerstaaten (insbesondere Finnland) durch die Anregung des KSZE-Prozesses sowie mit anderen auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit zielenden politischen Initiativen um Verständigung in diesem Spannungsfeld von antagonistischer Systemkonfrontation und -kooperation
Der EU ist es gelungen, sich im Laufe der neunziger Jahre als maßgeblicher regionaler Ordnungsfaktor in Europa zu etablieren.
So ist es nicht verwunderlich, dass die EU dem Ostseeraum seit der Mitgliedschaft der Kommission im Ostseerat im Jahre 1992 - und noch viel mehr seit Oktober 1994 mit der Verabschiedung der "Leitlinien für ein Konzept der Europäischen Union für die Ostseeregion" - eine besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt.
Um tatsächlich Synergieeffekte zu erzielen, ist eine enge Abstimmung bzw. eine Arbeitsteilung zwischen dem Ostseerat und der EU erforderlich. Als die Europäische Kommission im April 2000 ihren Entwurf für einen Aktionsplan zur Nördlichen Dimension vorlegte, nahm dies der Ostseegipfel der Regierungschefs zum Anlass, über die Ausgestaltung des künftigen Verhältnisses des Ostseerates zur Europäischen Union zu diskutieren. Die Überlegung, dem "Ostseerat eines Tages die Form eines Regionalgremiums der EU - unter Einschluss Russlands"
Den ersten Schritt zur Realisierung der Nördlichen Dimension bildete der auf dem Europäischen Rat von Santa da Feira am 19. und 20. Juni 2000 verabschiedete Aktionsplan. Er misst dem Ostseerat prinzipiell eine wichtige Rolle zu, führt diese allerdings im Kontext der Beziehungen zur EU nicht weiter aus. Der Aktionsplan bietet dem Ostseerat die Möglichkeit, sich aktiv zu beteiligen und in Absprache mit dem Rat der Europäischen Union bei der Identifizierung gemeinsamer Interessen und Prioritäten mitzuwirken. Dem Ostseerat wurde eine aktive Rolle bei der Umsetzung von Kooperationsmaßnahmen zuerkannt, ebenso wie die Mitwirkung der Europäischen Kommission an der Arbeit dieses subregionalen Gremiums festgeschrieben wurde. Im April 2001 überreichte der Ostseerat der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft eine Liste mit Vorschlägen von vorrangigen Projekten für den Ostseeraum.
III. Struktur und Funktionen des Ostseerates
Der Ostseerat umfasst heute zwölf Mitglieder: neben Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Island, Lettland, Litauen, Norwegen, Polen, Russland und Schweden ist die Europäische Kommission gleichberechtigt vertreten. Zur Gewährleistung einer vollen Einbeziehung der Europäischen Union wird der Ratsvorsitzende der EU und der Kommissionspräsident zu den Gipfeltreffen des Ostseerates jeweils eingeladen. Daneben genießen Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, die Ukraine, die Slowakei und die USA einen Beobachterstatus. Darum bemüht sich auch Weißrussland, was allerdings auf die Zurückhaltung der EU-Mitglieder im Ostseerat stößt, sind sie doch durch die Beschlüsse der EU dazu gehalten, politische Kontakte mit diesem Land möglichst zu vermeiden. Insgesamt scheint die Auffassung der Bundesregierung konsensfähig zu sein, den regionalen Charakter des Ostseerates zu erhalten und nicht durch eine Ausweitung der Beteiligung von Drittstaaten in Frage zu stellen.
Bei den Mitgliedsländern sind vier Gruppen zu unterscheiden: Zum einen ist die im Jahre 1995 um Finnland und Schweden erweitert EU vertreten; zweitens gehören dem Rat vier Staaten an, die seit 1998 bzw. 2000 mit der EU über einen Beitritt verhandeln - (Polen, Estland, Lettland und Litauen); drittens sind mit Norwegen und Island zwei nordische Länder beteiligt, die nicht der EU angehören und dennoch durch ihre Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) enge Kontakte zu ihr unterhalten; schließlich ist Russland Mitglied - ein Staat, der zwar aufgrund seiner Größe, seiner politisch-kulturellen Prägung und seiner wirtschaftlichen Verfassung auf absehbare Zeit kein Mitglied der EU werden kann, aber inzwischen über ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit der Union verfügt. Auch nach einem Abschluss der geplanten Osterweiterung werden somit mit Island und Norwegen einerseits und mit Russland andererseits Mitglieder im Ostseerat repräsentiert sein, die dem europäischen Integrationssystem nicht (voll) angehören. Norwegen und Island nehmen zwar bereits heute an den Vereinbarungen von Schengen teil und dokumentieren damit ihr Bestreben, unterhalb der Schwelle einer EU-Mitgliedschaft an einer differenzierten europäischen Integration in einzelnen Sachbereichen teilzuhaben. Aus der Sicht der EU könnte sich gegenüber Russland mit dem Ostseerat in ähnlicher Hinsicht die Chance bieten, eine in definierten Sachbereichen intensivierte Zusammenarbeit zu praktizieren.
Ähnlich wie - bis zur Ratifizierung des Vertrages von Amsterdam - die EU hat auch der Ostseerat ein Troika-System um die Präsidentschaft eingerichtet. Die jährlichen Außenministertreffen zwischen den Ostseeanrainern wurden mittlerweile um die Treffen der Fachminister (Verkehr, Kultur, Energie, Bau, Wirtschaft und Inneres) erweitert. Der Ostseerat gewinnt somit eine Koordinierungsfunktion für die gesamte Regierungszusammenarbeit seiner Mitglieder. Zwar ist an keine weitere Institutionalisierung gedacht, um die sektorale Eigenverantwortlichkeit zu wahren, aber "die Informationsverpflichtungen der Ressorts und nachgeordneter staatlicher Stellen gegenüber dem Ostseerat wachsen"
Seit 1996 finden auch in einem zweijährigen Rhythmus Ostseegipfel der Staats- und Regierungschefs statt. Im selben Jahr beriefen die Regierungschefs eine Expertengruppe (Task Force) ihrer persönlichen Beauftragten zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Angesichts der hohen HIV-Infektionsrate in Kaliningrad wurde auf norwegische Initiative im Jahr 2000 eine Expertengruppe zur Kontrolle ansteckender Krankheiten eingerichtet. Ergänzt wird diese Arbeitsstruktur auf Regierungsebene durch regionale und subregionale Aktivitäten in der Wirtschaft, beim Umweltschutz, im Verkehrswesen und in der Kultur, insbesondere durch die "Stavanger Initiative" der Subregionen (Baltic Sea States' Sub-regional Conference, BSSSC), die bereits seit 1974 bestehende Helsinki-Kommission (HELCOM) zum Schutz der Umwelt in der Ostsee, durch die Union der Ostseestädte (UBC) sowie Zusammenschlüsse von Wirtschaftsverbänden und Nichtregierungsorganisationen. Hierbei sind insbesondere die Aktivitäten des Business Advisory Council (BAC) zu erwähnen, das in die Tätigkeiten der Arbeitsgruppe für wirtschaftliche Zusammenarbeit eingebunden ist (siehe Abb.).
IV. Ergebnisse in den Politikfeldern des Ostseerates
Die Politikfelder zwischenstaatlicher Zusammenarbeit im Rahmen des Ostseerates liegen vor allem im Bereich der sogenannten "weichen Sicherheit" (soft security). Darunter werden jene Bedrohungsprotenziale und -szenarien verstanden, die nicht unmittelbar mit militärischen Sicherheitsrisiken (hard security) in Zusammenhang stehen. Sie gefährden weniger die staatliche Souveränität, als vielmehr die Identität und Wertvollstellungen der jeweiligen Gesellschaft.
Als ein Beispiel für die Bewältigung des sowjetischen Erbes im Ostseeraum lässt sich der Umgang mit der russischsprachigen Minderheit in Estland und Lettland anführen. Im Mai 1994 nahm auf Anregung Russlands der Kommissar für demokratische Institutionen und Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Minderheiten seine Tätigkeit auf. Der ehemalige dänische Justizminister Øle Espersen, der das Mandat des Ostseerats-Kommissars bis September 2000 ausübte, hat sich in seinen Berichten an die Mitgliedstaaten u. a. auf die Rechtsentwicklung gegenüber den russischsprachigen Minderheiten in Estland und Lettland konzentriert. Ihm ist in diesem Zusammenhang der Vorwurf gemacht worden, einseitig zugunsten Russ-lands Partei zu ergreifen.
Der Ostseerat hat sich auch zu einem "Scharnier" im Gefüge der europäischen Sicherheitsstruktur entwickelt, das neben den Institutionen "harter" Sicherheit (insbes. der NATO mit einer gegenseitigen Verteidigungsverpflichtung) auch weitere Formen der Sicherheitsvorsorge entwickelt. Besonders effektiv war die Zusammenarbeit der Ostseeanrainerstaaten in den Bereichen transnationaler organisierter Kriminalität und öffentlicher Gesundheit. Bereits 1996 wurde zur Verbesserung der Abstimmung bei der Verbrechensbekämpfung eine Expertengruppe eingerichtet. Sie bündelt und koordiniert die Bemühungen der Mitgliedstaaten, transnationalen Problemen wie z. B. dem Menschenhandel, illegaler Immigration, Waffen-, Drogenschmuggel und Geldwäsche zu begegnen. Hierzu hat die Expertengruppe verschiedene gemeinsame Kontrollmaßnahmen initiiert. Der Erfolg dieser Expertengruppe, deren Mandat bis 2004 verlängert worden ist, führte dazu, dass der Ostseegipfel im April 2000 im dänischen Kolding die Gründung einer zweiten Task Force zur Kontrolle übertragbarer Krankheiten ins Leben rief. Bereits im Dezember 2000 präsentierte diese Expertengruppe einige Vorschläge für Projekte zur Verbesserung der gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen in einzelnen Mitgliedstaaten des Ostseerates.
Aufgrund fehlender eigener finanzieller Ressourcen ist der Ostseerat in besonderem Maße auf die Bereitschaft seiner Mitglieder angewiesen, nationale Interessen und Politiken abzustimmen. So verfolgte beispielsweise die deutsche Präsidentschaft das Ziel, die verschiedenen Aktivitäten und Foren der Zusammenarbeit im Ostseeraum und in Nordeuropa insgesamt zu koordinieren und dadurch Synergieeffekte zu bewirken.
Entgegen mancher Befürchtungen unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion hat das Baltikum keine blutigen ethnischen Konflikte - wie auf dem Balkan - erlebt. Im Gegenteil: Diese europäische Subregion ist in hohem Maße gekennzeichnet durch eine friedliche Transformation, einen erfolgreichen (wenn auch noch nicht vollendeten) Aufbau demokratischer Insittutionen, einen hinreichenden Schutz der Minderheitenrechte sowie eine Heranführung an die EU. Allerdings besteht im Ostseeraum noch ein erhebliches sozioökonomisches Gefälle. Hierzu wurde während der deutschen Präsidentschaft im März 2001 in Berlin eine hochrangig besetzte Wirtschaftskonferenz veranstaltet. Noch sind zahlreiche in den Aktionsplänen des Ostseerates enthaltene Empfehlungen zur Verbesserung des Grenzübertritts im Güterverkehr, zur Anpassung bei Standardisierung und Zertifizierung, zur Korruptionsbekämpfung, zum Schutz geistigen Eigentums, zum Abbau von Investitionshemmnissen und zur Schaffung eines günstigen Geschäftsklimas für kleine und mittlere Unternehmen in die Tat umzusetzen. Einen Schlüssel zur Behebung der ökonomischen Unterschiede stellt die Entwicklung einer "Wissensgesellschaft" im Ostseeraum dar. Hierzu wurde im Mai 2001 in der deutschen Hauptstadt eine Fachtagung durchgeführt, welche die spezifischen Wettbewerbsvorteile dieser Region angesichts besonderer Potenziale in den Bereichen Hochschulkooperation, IT-Gesellschaft und Technologietransfer herausarbeitete. Die Einbeziehung Russlands in die europäische "Wissensgesellschaft" unterstreicht die im September 2000 in Kaliningrad eröffnete EuroFakultät.
Ein weiterer Schwerpunkt der deutschen Präsidentschaft lag in dem bereits klassischen Feld der Ostseekooperation: dem Umweltschutz und der nachhaltigen Entwicklung. Hierbei geht es darum, die präventiven Maßnahmen, etwa in der Frage der Sicherheit der Schifffahrt, weiterzuentwickeln und so den maritimen Umweltschutz auszubauen. Dem besonderen Merkmal der Ostseekooperation, die auch politische Prozesse "von unten nach oben" (bottom-up) fördern soll, wurde durch die Organisation eines Forums für Nicht-Regierungsorganisationen Ende Mai 2001 in Lübeck Rechnung getragen. Dabei stand im Vordergrund, übergreifende Zielvorstellungen für eine verbesserte Zusammenarbeit zu entwickeln. Bedeutsam ist, dass Russland an all diesen Aktivitäten gleichberechtigt mitwirkt. Zwar beruht die Teilnahme auf Freiwilligkeit, und es gibt für die Umsetzung von Entschlüssen keinen Kontrollmechanismus. Dennoch erfolgt hier mittels Zusammenarbeit und Anreizen eine gewisse Festlegung Russlands auf europäisch-westliche Verhaltensweisen und -normen.
V. Der Ostseerat als Forum zur Bearbeitung "weicher" Sicherheitsprobleme
Die Besonderheit des Ostseerates besteht darin, als ein subregionales Forum für Information, Konsultation und Koordination an einer früheren Nahtstelle zwischen West und Ost das friedliche "Zusammenwachsen" Europas im Bereich der Ostsee zu fördern. Bedeutsam ist, dass dieses Gremium in einem Gefüge sich überlappender Institutionen (insbes. NATO, EU, Europarat und OSZE) besondere Funktionen im Bereich nichtmilitärischer Probleme wahrzunehmen sucht. Erstens gilt dabei das Prinzip gemeinsamer Betroffenheit; zweitens geht es um diejenigen Probleme, die aus dem Zusammenbruch des Sowjetsystems herrühren. Gerade weil hier harte Sicherheitsprobleme - etwa die Frage einer künftigen NATO-Mitgliedschaft der baltischen Staaten - ausgeklammert sind, bietet sich die Chance, praktische Fragen von geringerer sicherheitspolitischer Brisanz zu bearbeiten und gegenseitige Lernprozesse auf unterschiedlichen staatlichen wie nichtstaatlichen Ebenen anzustoßen, um den "Wachstumsraum Ostsee" weiterzuentwickeln.
Aus dem Charakter des Ostseerates als einem multilateralen Forum zwischenstaatlicher Kooperation, in dem keines der Mitglieder aufgrund seiner militärischen Bedeutung einen Führungsanspruch erheben kann, ergeben sich aber auch Nachteile. Wie im Falle der OSZE sind die Beschlüsse des Gremiums lediglich politisch, nicht aber rechtlich bindend. Hindernisse auf dem Weg einer stärkeren Zusammenarbeit ergeben sich auch aus der unterschiedlichen Interessenlage der beteiligten Staaten. Die Mitglieder der EU stehen unter dem "außenpolitischen Primat" der Union und sind gehalten, ihre Politiken mit der Gemeinschaftspraxis abzustimmen.
VI. Der Ostseerat als subregionales Bindeglied zwischen der Euro- päischen Union und Russland
Für Russland, das sich an anderen Abschnitten seiner Außengrenze mit erheblichen militärischen Problemen - etwa Tschetschenien und Kaukasus - und teilweise ungeklärten Nachbarschaftsverhältnissen - insbesondere Japan, aber auch China - konfrontiert sieht, bietet die Ostsee-Kooperation besondere Bedingungen und Chancen: An seiner nordwestlichen Grenze hat es als Nachbarn Mitglieder der EU oder mit der EU zunehmend verbundene Staaten. Mit diesen wickelt es derzeit annähernd 40 Prozent seines Außenhandels ab; nach einem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten dürften es mehr als 50 Prozent werden. Aus dieser Tatsache ergeben sich weitere Interessen, so etwa der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Vor allem die nordwestlichen Regionen Russlands, die an die EU oder die EU-Beitrittskandidaten grenzen, sehen vor sich die Herausforderung, die sich möglicherweise noch vertiefende Kluft insbesondere im wirtschaftlich-sozialen Entwicklungsniveau zu überbrücken. Auf extreme Weise stellt sich dieses Problem im Fall der russischen Exklave Kaliningrad.
Die Zusammenarbeit im Rahmen des Ostseerates bietet Chancen, diesen Herausforderungen zu begegnen und Lösungen herbeizuführen. Die gegenwärtige Präsidentschaft Russlands im Ostseerat ist in dieser Hinsicht geradezu ein Symbol für die grundlegend veränderten Beziehungen in Europa zehn Jahre nach dem Ost-West-Konflikt: An Stelle der Blockkonfrontation und der Absprachen von Großmächten auf Kosten kleinerer Staaten wird hier in einem multilateralen Rahmen gehandelt. Konsultativforen wie der Ostseerat bieten die Chance zur Bearbeitung von Problemen, die andernfalls zu ernsten Sicherheitsfragen werden könnten. Der Ostseerat ist damit Teil eines neuartigen Systems von Institutionen, um in Europa den friedlichen Wandel konkret zu verwirklichen.
Aus der Sicht Russlands bietet die Mitgliedschaft im Ostseerat die Möglichkeit, seine Interessen gegenüber seinen nordwestlichen Nachbarn wahrzunehmen. Die russische Ostseerats-Präsidentschaft kann so verstanden werden als eine praktische Probe aufs Exempel: Wie weit die Anbindung Russlands an die EU vorangeschritten ist und wie weit nichtmilitärische Instrumente dienlich sind, um in einer sich rapide verändernden europäischen Subregion die Stabilität zu bewahren.
VII. Schlussfolgerungen
Der Ostseerat stellt eine Verknüpfung zwischen den heute maßgebenden regionalen Ordnungen - der EU und der von Russland dominierten Region der früheren Sowjetunion (mit Ausnahme der drei baltischen Staaten) - und der nationalstaatlichen Ebene in Europa her. Er ermöglicht gleichzeitig eine regionale, auf die Ostsee gerichtete zwischenstaatliche Kooperation, die durch eine differenzierte Form der Mitgliedschaft und Teilnahme von weiteren Staaten über diesen geographischen Raum hinausweist. Inwieweit es sich nach einer Erweiterung der EU als eigenständige Institution erhalten wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar. Insbesondere ist offen, ob die Ereignisse vom 11. September 2001 in den USA nicht nur in der Frage der NATO-, sondern auch EU-Osterweiterung zu einer institutionell neuartigen Verbindung zwischen den jeweiligen Akteuren - NATO bzw. EU einerseits und Russland andererseits - führen könnten. Allerdings hat Russland sein Interesse daran bekundet, auch weiterhin den Ostseerat als unabhängige Institution neben dem Dialog mit der Europäischen Union bewahren zu wollen.
Die Einbindung von nichtstaatlichen Akteuren in Prozesse der Außenpolitik von Nationalstaaten im Rahmen multilateraler Einrichtungen spiegelt zugleich einen Aspekt "postmoderner" Politik wider, die sich von klassischen staatszentrierten Betrachtungsweisen löst.