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Irak und Iran in der Phase II des amerikanischen Krieges gegen den Terror | US-Außenpolitik | bpb.de

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Irak und Iran in der Phase II des amerikanischen Krieges gegen den Terror

Ferhad Ibrahim

/ 24 Minuten zu lesen

Im Rahmen des amerikanischen Krieges gegen den Terror stehen die mittelöstlichen Staaten Irak und Iran erneut im Visier der US-Außenpolitik. Beide bilden die so genannte "Achse des Bösen".

I. Irak, Iran und die Doktrin des Dual Containment

In seiner Rede "The State of the Union" erklärte der amerikanische Präsident George W. Bush die beiden mittelöstlichen Staaten Iran und Irak zu bösen Staaten, zu Mitgliedern der "Achse des Bösen". Um die beiden Akteure zu Pariastaaten zu machen, unternahmen die USA in den neunziger Jahren vielfältige Anstrengungen: Das Beharren an der Aufrechterhaltung der UNO-Sanktionen gegen den Irak, die unilateralen Sanktionen der USA gegen den Iran und das dual containment gegen die beiden Staaten bilden den Hauptteil eines Ensembles von Maßnahmen gegen die als "Schurkenstaaten" abgestempelten Länder Iran und Irak.

Wenige Monate nach der Übernahme der Präsidentschaft durch Bill Clinton im Jahre 1993 verkündete die neue Administration das so genannte dual containment-Konzept als Strategie für den Umgang der Supermacht mit den beiden regionalen Akteuren Irak und Iran. Der Vorgänger Clintons, George Bush, hatte sich nach der Vertreibung Saddam Husseins aus Kuwait erhofft, dass die gegen das Regime von Saddam Hussein verhängten Sanktionen zur Schwächung und Ablösung des irakischen Diktators, also zu einer "Palastrevolte" führen könnten. Im Nachhinein zeigten sich Bush und sein Außenminister James Baker überrascht über den Überlebenswillen des irakischen Regimes. Clinton setzte im Grunde genommen die Politik seines Vorgängers fort. Irak und Iran sollten nicht wie bis Ende der achtziger Jahre gegeneinander ausgespielt, sondern so geschwächt werden, dass sie keine Gefahr für die Verbündeten der USA in der Golfregion darstellten. Vor allem sollte ihre Fähigkeit, die von den USA geplante Regionalordnung im Nahen Osten zu konterkarieren, unterbunden werden. Die Möglichkeit der beiden Staaten, als Störfaktor zu wirken, wurde von den USA in den Bestrebungen der beiden Staaten, über Massenvernichtungswaffen (WMD: Weapons of Mass Destruction) zu verfügen, und in ihrer Unterstützung des Terrorismus gesehen. Die Bildung eines weltweiten Bündnisses gegen die beiden Pariastaaten und das Instrument der Sanktionen sollten nach dem dual containment-Konzept die Realisierung der angestrebten Ziele ermöglichen.

Mitte der neunziger Jahre mehrte sich die Kritik gegen die Doktrin der amerikanischen Irak-Iran-Politik. Neben den akademischen Nahostexperten meldeten sich wichtige ehemalige Amtsträger der Carter- und Reagan-Administrationen zu Wort. Sowohl die Mitglieder der akademischen think tanks als auch die ehemaligen Amtsträger sind sich in einem wesentlichen Punkt einig: Die nähere Betrachtung von Iran und Irak zeigt, dass die beiden Staaten strukturelle, politische, soziale und kulturelle Unterschiede vorweisen. Dies erfordere eine differenzierte Behandlung der beiden Staaten. Das Konzept des dual containment kann daher keine adäquate Strategie der amerikanischen Politik gegenüber den beiden Staaten sein. Die Kritiker ziehen allerdings unterschiedliche Konsequenzen, was die zukünftige amerikanische Irak-Iran-Politik betrifft.

Brzezinski, Scowcroft und Murphy plädierten für ein differentiated containment. Ein Konzept, wie es die Clinton-Administration verkündet habe, schien ihnen "mehr ein Slogan als eine Strategie zu sein" . Saddam Hussein regiere weiter unbehelligt in Bagdad, und der Iran ist weit davon entfernt, regional und international isoliert zu sein. Auch das 1996 vom amerikanischen Kongress verabschiedete Gesetz zu Sanktionen gegen den Iran (Iran and Libya Sanction Act) habe kaum etwas bewirkt. Die erwähnten Autoren plädieren im Fall des Irak für einen zielstrebigen Systemwechsel. Dieser erfordere eine ernsthafte und effektive Mobilisierung der internen Opponenten des irakischen Regimes sowie die Gewinnung der Staaten der Region für einen politischen Wandel im Irak. Im Fall Iran schlagen die Autoren eine Annäherungsstrategie vor. Da die von der Clinton-Administration verkündete dual containment-Politik einen Regimewechsel im Iran nicht vorgesehen hatte, wäre es angebracht, durch den politischen Druck den Iran von seinem Vorhaben, Massenvernichtungswaffen herzustellen, den Terrorismus zu unterstützen und den Friedensprozess im Nahen Osten zu stören, abzubringen.

Ende der neunziger Jahre war das Konzept des dual containment bereits zu Makulatur geworden. Dem Iran war es gelungen, die Beziehungen mit Saudi-Arabien zu normalisieren, und er unterhielt gute Beziehungen mit den Golfkooperationsstaaten (GCC). Der Streit mit den Vereinigten Arabischen Emiraten über die drei Inseln, die der Iran 1971 besetzt hatte, bekam für kurze Zeit eine brisante Komponente, als der Iran die Verwaltung der Emirate auf den Inseln durch eine iranische ersetzte; die GCC-Staaten spielten den Streit herunter.

Der Irak versuchte seit Mitte der neunziger Jahre, seine volle Souveränität durch eine aktive Diplomatie und durch eine limitierte Konfrontation mit den Vereinigten Staaten zu erlangen. Mit dem oil for food-Abkommen erfüllte Saddam Hussein fünf Jahre nach dem zweiten Golfkrieg das Angebot der UNO, durch diese Vereinbarung sein Erdöl wieder exportieren zu können. Dem Irak ist es trotz der vielfältigen Krisen in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wieder gelungen, seinen Platz als einer der großen Erdölexporteure zu behaupten. Der Irak musste allerdings seine Souveränität betreffend Abstriche machen. Die aufgrund der Resolution 692 des UN-Sicherheitsrates gegründete Entschädigungskommission bzw. das Sanktionsregime der UNO hat das Recht, das legale Erdöleinkommen zu kontrollieren. Saddam Hussein verfügt außerdem über die tolerierten Erdölverkauferlöse, die durch illegale, aber geduldete Transporte durch die Türkei, Syrien, Jordanien und Iran erwirtschaftet werden.

Eine weitere eklatante Souveränitätseinschränkung des Irak ist der Status der no fly-Zonen im Nord- und Süd-Irak. Saddam Hussein versuchte im August 1996 durch das Eingreifen in den Krieg der KDP (Kurdistan Democratic Party) von Masud Barsani gegen die PUK (Patriotic Union of Kurdistan) von Jalal Talabani, die Entwicklung in der so genannten Schutzzone wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Die verspätete militärische Reaktion der USA und Großbritanniens konnte es nicht verhindern, dass Saddam Hussein die Hauptstadt der Schutzzone Arbil besetzte und die Anhänger des von den USA unterstützten Iraqi National Congress, deren er habhaft werden konnte, liquidierte.

Ein weiteres Beispiel für die Ineffizienz des dual containment zeigte sich während der Krise um die Sanktionen der UNO in den Jahren 1997/98. Saddam Hussein lehnte im Herbst 1998 die Forderung der UNSCOM (United Nations Special Commission) ab, seine Paläste für die Waffenkontrolleure zugänglich zu machen. Mitte Dezember hatte der UNSCOM-Vorsitzende Richard Butler dem Sicherheitsrat der UNO einen irakkritischen Bericht vorgelegt. Die USA und Großbritannien nahmen den Bericht und die Weigerung Saddams, seine Paläste für die Kommission zugänglich zu machen, zum Anlass, die desert fox-Operation gegen den Irak zu starten. Mit dem desert fox-Angriff bewirkte Clinton das Gegenteil von dem, was er eigentlich anstrebte: Saddam Hussein lehnte auch nach diesem Angriff jedwede Kooperation mit den Waffenkontrolleuren ab. Auch die 1999 gegründete Nachfolgekommission der UNSCOM, die UNMOVIC (United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission), die weniger amerikanische Waffeninspektoren beschäftigte, wurde vom Irak nicht akzeptiert. Der Irak war der Meinung, dass die Waffeninspektionen bereits abgeschlossen seien. Trotz des dual containment verlor Clinton durch die Weigerung des Irak, die Waffeninspekteure ins Land zu lassen, ein wichtiges Instrument zu einer effektiven Schwächung des Regimes Saddam Husseins. Clinton musste - wie dann George W. Bush - die irakische Entscheidung als Faktum hinnehmen.

Die Ineffizienz des Konzepts des dual containment veranlasste Mitglieder der wichtigen amerikanischen Forschungsinstitutionen, den Vorschlag zu machen, im Fall des Irak und des Iran auf die bisherigen Sanktionsinstrumente völlig zu verzichten. "Es reicht aus", so Andrew Parasiliti vom Middle East Institute (Washington), "wenn die Vereinigten Staaten sich auf die allgemeinen konventionellen UNO-Instrumentarien und Abkommen (Nuclear Non-Proliferation Treaty Chemical and Biological Weapons Convention) stützen." Die USA sollten aber zur Realisierung der Verträge über eine glaubhafte Abschreckung verfügen.

Im Falle des Iran wurde als unvermeidliche Konsequenz des faktischen Scheiterns des dual containment die Aufhebung der Sanktionen und die Anerkennung der iranischen Regierung gefordert. Die Spannungen zwischen den USA und dem Iran wurden zum Teil als das Ergebnis der Sanktionen und der containment-Politik bewertet. Die Sanktionen waren zwar, u.a. weil Japan und die europäischen Partner der USA sie nicht unterstützten, kaum effektiv, aber sie lieferten den iranischen Radikalen ein Argument, um sich gegenüber den moderaten Politikern zu behaupten. Ein Entspannungskurs der USA gegenüber dem Iran könnte ihn zum Einlenken in den drei großen Streitpunkten bewegen: bei dem Versuch, Massenvernichtungswaffen herzustellen, bei der Unterstützung terroristischer Organisationen und der Ablehnung des Friedensprozesses im Nahen Osten.

Trotz der vielseitigen Kritik gegenüber dem Konzept des dual containment versucht sein Urheber, der damalige Assistant Secretary for Near Eastern Affairs im amerikanischen Außenministerium und amerikanische Botschafter in Israel, Martin S. Indyk, das Konzept als Erfolg darzustellen. Im Fall des Iran bewertet er die Wahl Khatamis als Erfüllung der im dual containment enthaltenen Intention, im Iran eine positive Veränderung zu erzielen. Der Irak sei schwächer denn je und bilde keine Gefahr für seine Nachbarn. Beide Staaten hätten zudem keine Möglichkeit, den Friedensprozess im Nahen Osten negativ zu beeinflussen.

Es ist zu vermuten, dass die amerikanische Administration unter Clinton die beiden "Pariastaaten" Irak und Iran zwar im Visier behielt, aber dem Nahostkonflikt die höchste Priorität gab. Durch das dual containment-Konzept sollten mögliche negative Auswirkungen auf den Friedensprozess neutralisiert werden. Die überwiegenden Initiativen gegen den Irak und den Iran kamen aus den Reihen der Republikaner im Kongress, so auch das Sanktionsgesetz gegen den Iran und der im Oktober 1998 verabschiedete Iraq Liberation Act.

II. Wer ist der Nächste im amerikanischen Krieg gegen den Terror?

Vor dem 11. September 2001 war bekannt, dass in der Bush-Administration keine einheitliche Linie über die zukünftige Politik gegenüber dem Irak und Iran zu verzeichnen war. Allerdings stellte das neue Regierungsteam den Iran in die zweite Reihe bezüglich der politischen Strategien. Es schien, dass George W. Bush, anders als sein Vorgänger Clinton, dem Nahostkonflikt keine absolute Priorität geben wollte. Über die Strategie der zukünftigen Irakpolitik der neuen Administration bildeten sich zwei Lager innerhalb der Administration. Während Außenminister Colin Powell bis zum 11. September 2001 für Multilateralismus bei der Behandlung des Falles Irak und für Zurückhaltung auftrat, plädierten die Stellvertreter im Verteidigungsministerium und Außenministerium, Paul Wolfowitz und Richard Armitage, sowie Richard Perle, Vorsitzender der Kommission für Verteidigungspolitik im Pentagon, für einen klaren Kurs, der zum Regimewechsel im Irak führen sollte.

Der 11. September 2001 und der daraufhin erklärte "Krieg gegen den Terror", stellte die beiden "Pariastaaten" des Mittleren Ostens in den Mittelpunkt der amerikanischen Debatte über die Staaten, die den Terror unterstützen. Mutmaßungen über die Beherbergung der Al-Qaida-Kämpfer durch den Iran und über Kontakte der irakischen Diplomatie mit den Attentätern vom 11. September sowie die Bezichtigung, dass der Irak die Quelle der Milzbrandanschläge wäre, waren die Vorboten der verbalen Angriffe der Mitglieder der amerikanischen Administration gegen die beschuldigten "Schurkenstaaten".

Schon bevor der amerikanische Präsident seine Rede "The State of the Union" gehalten und den Irak und Iran als Mitglieder der axis of evil benannt hatte, fand in der öffentlichen Debatte der Vereinigten Staaten die "great Iraq debate", wie das "Wall Street Journal" die Beschäftigung mit dem Irak seit dem 11. September 2001 nannte, statt. In dieser Debatte wird zwar der Irak ins Visier genommen, der Iran wird aber nicht minder bezichtigt, die drei nach amerikanischer Lesart für die Schurkenstaaten typischen Sünden zu begehen: Bemühungen zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen, Unterstützung des Terrors - insbesondere die Unterstützung der libanesischen Hizbullah, der palästinensischen Hamas und der al-Jihad-Organisationen - sowie der Versuch, die Verbündeten der USA in der Region zu bedrohen. Die Parole nach dem Krieg gegen die Taliban "and now to Iraq" zeigt, dass der Irak, wie Henry Kissinger es ausdrückt, in der "phase II" des Krieges gegen den Terror platziert ist. Präsident Bush gab in seiner "State of the Union"-Rede dann die Marschroute im "war to terror" vor. Obwohl die Vorwürfe des amerikanischen Präsidenten: die Herstellung von Massenvernichtungswaffen, Unterstützung des Terrorismus sowie Feindseligkeit gegenüber den Vereinigten Staaten auf alle drei Staaten der "Achse des Bösen" zutreffen, wurde der Irak erkoren, das nächste Ziel des Krieges gegen den Terror zu sein. Folgende Erwägungen spielen eine Rolle:

- Der Irak handelte bei seiner Entscheidung, die Tätigkeit der Waffeninspekteure auf seinem Territorium nicht zuzulassen, formal im Widerspruch zu den UNO-Resolutionen, die er vorher akzeptiert hatte. Gegen die Behauptung des Irak, dass die UNSCOM ihre Arbeit beendet habe, entgegnete Bush in seiner Rede: "Dies ist ein Regime, dass etwas vor der zivilisierten Welt zu verbergen hat."

- Der Irak hat nachweislich, und zur Tatzeit ohne wirkliche Konsequenzen, toxische Waffen gegen die irakischen Kurden eingesetzt. In den Nahostkriegen haben die Kriegsparteien vor dem Hintergrund der Abschreckung solche Waffen nicht eingesetzt.

- Die kurdische Schutzzone und die no fly-Zone im Süden sind nicht nur deutliche Zeichen der eingeschränkten Souveränität des Regimes von Saddam Hussein, sondern können auch als Faustpfand gegen die irakische Regierung dienen. Die amerikanische Regierung hat aus diesem Grund einen irakischen Angriff gegen die Schutzzone als eine rote Linie bezeichnet, die bei Verletzung ebendieser nicht ohne Ahndung bleiben wird. Colin Powell hat nicht ohne Grund die Garantie für die Schutzzone erneuert.

- Ausschlaggebend für die Wahl des Irak als nächstes Ziel im Krieg gegen den Terror scheint die Abkehr von der Präferenz, die Clinton dem Nahostkonflikt gegeben hatte. Die neue Administration hofft vermutlich, dass eine Regelung der "Irak-Frage" positive Auswirkungen auf die Regelung des Nahostkonfliktes haben kann. Zum einen könnten die Spannungen in der gesamten Region vermindert werden, zum anderen könnte der Sturz Saddam Husseins das Lager der radikalen Kräfte schwächen. Saddam Hussein nützte seinerseits die Eskalation des palästinensisch-israelischen Konfliktes zum Zweck der internen und regionalen Legitimation aus, indem er die Selbstmordanschläge finanziell unterstützt, und durch propagandistische Schachzüge, wie den Stopp der Erdölproduktion, welche die Verbündeten der USA am Golf unter Druck setzt.

Den scheinbar für einen Regimewechsel im Irak günstigen Bedingungen stehen andere wichtige Faktoren gegenüber: Hierzu gehört die Gefahr, dass die nach dem 11. September entstandene Antiterrorkoalition zerbrechen könnte. China, Frankreich und Russland hatten in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre gegen ein zu rigides Regime der UNO gegenüber dem Irak gestimmt. Die europäischen Partner der USA, ausgenommen Großbritannien, werden einen Krieg gegen den Irak nicht verhindern können, sie werden aber vermutlich im Nachhinein die transatlantischen Bindungen durch überzogene ablehnende Reaktionen nicht gefährden wollen. Die Haltung der arabischen Welt gegenüber einem Angriff gegen den Irak scheint nicht minder wichtig zu sein. Eine regionale "Anti-Saddam-Koalition" nach dem Modell des zweiten Golfkrieges ist definitiv nicht möglich, hier spielen zwei Faktoren eine Rolle:

Die Eskalation der Gewalt nach der Wahl Ariel Scharons und vor allem die Operation "Schutzwall" lassen kaum zu, dass arabische Akteure einen Krieg gegen den Irak befürworten werden. Weil Scharon die UNO-Resolutionen genauso wenig beachtet wie Saddam Hussein, klagen die arabischen Führer über den Doppelstandard der USA bei der Behandlung der beiden Krisenherde. Für Saddam Hussein war die Eskalation der Gewalt im palästinensisch-israelischen Konflikt ein deus ex machina. Die Äußerungen einiger palästinensischer Politiker, dass die Aqsa-Intifada und ihr Widerstand gegen Scharon Saddam Hussein vor einem amerikanischen Schlag vorerst gerettet hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Nicht unwesentlich scheint auch die Intensivierung der politischen Beziehungen der arabischen Staaten zum Irak seit dem Ende der neunziger Jahre zu sein. Fast alle arabischen Staaten haben ihre diplomatischen Beziehungen mit dem Irak wieder normalisiert. Ägypten und Syrien - ehemalige Mitglieder der "Anti-Saddam-Koalition" im zweiten Golfkrieg - entwickelten sich zu den wichtigsten Handelspartnern des Irak. Vor dem Hintergrund der verbesserten Beziehungen und der Eskalation des israelisch-palästinensischen Konfliktes gelang es Saddam Hussein auf der Gipfelkonferenz der Arabischen Liga in Beirut im vergangenen März, sich die Solidarität der arabischen Staaten zu sichern. Die USA messen allerdings dem regionalen Faktor keine große Bedeutung bei. Die US-Offiziellen erwarten, dass die arabischen Politiker ex post ein amerikanisches Vorgehen gegen Saddam befürworten werden. So antwortete Richard Perle, Vorsitzender der Kommission für Verteidigungspolitik im Pentagon, auf den Einwand, dass die moderaten arabischen Staaten wie Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien gegen einen Krieg gegen das irakische Regime wären, mit der Bemerkung: "Diese Ablehnung wird nur nach außen hin bekundet. Hinter verschlossenen Türen klingt das meist ganz anders."

Perle erwähnt eine andere Frage, die für die arabischen Nachbarn des Irak und für den Iran nicht unwesentlich sein kann: "Die Araber wissen genau, wozu er (Saddam Hussein) fähig ist. Doch verständlicherweise verspüren die Regimes im Nahen Osten Vorbehalte gegen die Vertreibung eines Diktators, da sie ja allesamt nicht demokratisch legitimiert sind." Es scheint, dass die Türkei bislang der einzige regionale Akteur ist, der sich von Saddam Husseins Regime abgewandt hat. Der Hintergrund dürfte die Wirtschaftskrise der Türkei und die erhoffte amerikanische Hilfe sein. Es kommt hinzu, dass die USA die Mitgliedschaft der Türkei in der EU nachdrücklich unterstützen. Zudem scheint der Türkei bewusst zu sein, dass sie einen Krieg gegen den Irak nicht verhindern kann, und eine begrenzte Beteiligung durch die Benutzung der türkischen Infrastruktur könnte es der Türkei ermöglichen, bei der Neugestaltung der Zukunft des Irak mitzureden. Schließlich hat die Türkei vor dem Hintergrund der Kurdenfrage ein vitales Interesse bei der Mitwirkung der Gestaltung der regionalen Strukturen nach einem möglichen dritten Golfkrieg. Die Entschlossenheit der USA, dass sie den Krieg gegen den Irak führen und gewinnen werden, und die Relativierung der internationalen Faktoren, vor allem die Nichtbeachtung der kritischen Haltung der europäischen Partner sowie der regionalen Faktoren, also die Position der arabischen Staaten, steht im Zusammenhang mit der unilateralistischen Politiksicht der neuen Administration.

Die multilaterale Zusammenarbeit bei der Regelung der Konflikte, wie es bei der Golfkrise 1990/91 der Fall war, scheint für die neue Administration nicht erstrebenswert zu sein, weil sie freie Entscheidungen der USA einschränken könnte. Die USA können nach der Doktrin des Unilateralismus, wie es in einem Pentagonpapier aus den frühen neunziger Jahren heißt: "jede feindliche Macht daran hindern, Regionen unter ihre Kontrolle zu bringen, deren Ressourcen es ihr erlauben würden, den Status einer Großmacht zu erlangen" . Vor allem scheint der Unilateralismus im Fall der amerikanischen Strategie gegen den Irak deswegen für die USA opportun zu sein, weil die Berater des Präsidenten einen effektiven Druck auf Israel, um den Konflikt mit den Palästinensern als Quidproquo für die arabische Toleranz bei dem amerikanischen Vorhaben einzusetzen, Saddam Hussein zu stürzen, nicht akzeptieren.

Ein Krieg gegen den Irak wird möglicherweise an den Grenzen des Irak nicht halt machen: Der zweite Golfkrieg zeigte, dass Saddam Hussein durch das Hineinziehen anderer Akteure den Krieg zu regionalisieren versuchte. 1991 bestand die Gefahr, dass Israel auf die irakischen Scud- Raketen reagieren würde. Da der Sturz Saddam Husseins nicht eindeutig intendiert war und die USA die damalige Regierung Israels unter Yitzhak Schamir zur Zurückhaltung mahnte, musste die Taktik Saddam Husseins scheitern. Der Krieg hätte wahrscheinlich zu einer regionalen Katastrophe geführt, wenn Saddam Hussein die toxischen Waffen gegen Israel eingesetzt und dieses atomar reagiert hätte. Da Saddams Regime nicht akut gefährdet war, nahm er Abstand von dem Einsatz biologischer und chemischer Waffen. In einem neuen Krieg, der den Sturz Saddam Husseins zum Ziel hat, kann eine Involvierung Israels nicht ausgeschlossen werden. Szenen wie im kurdischen Halabja nach dem Einsatz chemischer Waffen im Jahr 1988 werden jede israelische Regierung zwingen, wie Benjamin Netanjahu neulich formulierte, angemessen zu reagieren. Dieses Problem ist der amerikanischen Administration bewusst, sie verlässt sich aber auf das rationale Verhalten der Generäle Saddam Husseins und auf die fortschrittliche präventive Militärtechnologie.

III. Szenarien eines dritten Golfkrieges

Mit dem Beginn der phase II im Krieg gegen den Terror gehört die "hidden agenda" im amerikanischen Umgang mit dem Irak der Vergangenheit an. Das Regime Saddam Husseins als ein Bestandteil der "states of evil" soll als nächstes fallen. Während die amerikanische Administration fortlaufend dementiert, dass eine Entscheidung getroffen sei (so sagte der Deputy Defense Secretary Paul D. Wolfowitz im letzten Februar: "We are a long way from decisions about what to do" ), zeigen die Äußerungen der Mitglieder der Administration, dass auch im Fall, dass Saddam Hussein die Forderungen der UNO erfüllen würde, man ihm nicht vertrauen könne und der casus belli nur eine Frage der Zeit sei. Debattiert werden folgende Fragen: die bisherigen Erfahrungen im Krieg gegen den Terror und der Fall Irak, die irakische Opposition und ihr Platz in der augenblicklichen Situation bzw. nach dem Beginn des Krieges sowie die Probleme eines "Post-Saddam-Irak".

Seit dem zweiten Golfkrieg beschäftigt die Gründung einer effektiven irakischen Opposition die amerikanische Irakpolitik. Die Errichtung einer Schutzzone für die Kurden infolge der Massenflucht vom Frühjahr 1991 und die Verabschiedung der Resolution 688 durch den UN-Sicherheitsrat führten dazu, dass Saddam Hussein die Kontrolle über mehr als drei Millionen irakischer Kurden und über die drei kurdischen Provinzen Sulaimaniya, Arbil und Dehok verloren hat. 1994 weitete der amerikanische Präsident Clinton die no fly-Zone, die jetzt auch den schiitischen Süden des Irak umfasst, aus. Saddam Hussein blieb aber im Süden des Landes weiterhin präsent. Durch die Kontrollflüge über die no fly-Zonen sollte vor allem der Status der kurdischen Zone aufrechterhalten werden. Die amerikanische Administration war aber in ihrem Verhalten gegenüber der Schutzzone nicht konsequent: Einerseits bildet die Schutzzone ein Faustpfand gegenüber der Regierung Saddam Husseins und könnte die mögliche Basis für eine gesamtirakische Opposition werden, andererseits unterwarf sich die Administration der legalistischen Auffassung der UNO, die bei jeder Entscheidung, die die Schutzzone betraf, die Einwilligung Bagdads einholte. Im Rahmen des oil for food-Abkommens erhielt die Schutzzone eigene Anteile an finanziellen Mitteln, die von der UNO vor Ort verwaltet werden. Das Durchsickern der PKK in die Schutzzone und die Unterstützung der kurdischen Islamisten durch den Iran destabilisierten diese Zone. In den Jahren von 1994 bis 1998 brach dann der Krieg um Privilegien und Macht zwischen der KDP und der PUK aus. Ein Krieg, der die politischen Institutionen (frei gewähltes Parlament und Regionalregierung) und die politische Legitimation der Kurden schwächte. 1998 gelang es der amerikanischen Regierung durch ihren Einsatz, die beiden Parteien zu einem friedlichen modus vivendi zu veranlassen. Für die Destabilität sorgten nun die verschiedenen vom Iran unterstützten islamistischen Gruppen, allen voran der Al-Qaida-Ableger Ansar al-Islam, und die ebenfalls vom Iran unterstützten PKK-Reste in der Schutzzone. Die kurdische Szene hatte, wie schon erwähnt, ihre Relevanz, weil die Zone u. a. als Basis für eine oppositionelle Bewegung dienen könnte. 1992 wurde im nordirakischen Ort Salahadin der INC (Iraqi National Congress), der die wesentlichen Oppositionsparteien von den schiitschen Islamisten bis zu den Kommunisten umfasste, gegründet.

Die Polarisierungstendenzen in den Reihen der irakischen Opposition und der Ausbruch des Krieges der kurdischen Parteien im Jahre 1994 schwächte den INC, der nun die beiden kurdischen Parteien und einige kleinere Gruppen sowie den INC-Apparat unter dem Sekretär des Kongresses Ahmad Chalabi umfasste. Obwohl Chalabi und der INC von der amerikanischen Regierung unterstützt wurden, konnte er vor dem Hintergrund der beschriebenen Schwierigkeiten weder eine effektive Öffentlichkeitsarbeit leisten noch zu einem authentischen Sammelbecken für die Opposition werden. Dennoch wurde er von der US-Regierung beauftragt, nach der Verabschiedung des amerikanischen Irak Liberation Act die für den Zweck der Befreiung des Irak vorgesehenen 97 Millionen US-Dollar im Sinne des INC zu verwalten. Neben dem INC formierte sich aus den Reihen der sunnitisch-arabischen Personen und Organisationen der INA (Iraqi National Accord). Die letztere Dachorganisation wird von dem ehemaligen Chef des irakischen Geheimdienstes Iyad al-Alawi geführt. Seit der Gründung der INA konkurriert sie mit der INC um die Gunst der USA und der anderen Geldgeber. Der amerikanische Nahostexperte Anthony Cordesman skizzierte die beiden Organisationen ziemlich genau: "The vainglorious claims of the INC disguise a long history of divisions, ineffectiveness, and uncertain financial integrity. The end result seems to be a small, ineffective secular Shiite group with little meaningful internal support.... The INA is almost certainly worse off. It has always been heavily penetrated by Iraqi intelligence, and has probably done more to help Iraqi intelligence target internal dissidents and opposition leaders than mobilize real opposition to Saddam."

Wahrscheinlich können lediglich die beiden kurdischen Parteien KDP und PUK sowie der von dem schiitischen Geistlichen Ayatullah Muhammad Baqir al-Hakim angeführte "Oberste Rat der Islamischen Revolution im Irak" als ernst zu nehmende Organisationen bewertet werden. Bislang fehlt ein sunnitisch-arabisches Pendant zu den kurdischen und schiitischen Parteien. Es scheint, dass dieser Umstand für die amerikanischen Planer der Irakpolitik Probleme bereitet. Um die sunnitischen Offiziere um Saddam Hussein zu gewinnen, müssten sunnitische Persönlichkeiten für den Wandel rekrutiert werden. Aus diesem Grund versuchte die amerikanische Administration, Kontakt mit den im Exil lebenden ehemaligen Offizieren der irakischen Armee aufzunehmen. Im Irak selbst beseitigt Saddam Hussein präventiv alle potenziellen Opponenten innerhalb der Armee.

Die Administration Bush muss, um ein zerrissenes "Iraqistan" zu vermeiden, parallel zu seinen militärischen Vorbereitungen ein Konzept für einen zukünftigen Irak vorlegen. In diesem Irak wird sich die schiitische Bevölkerungsmehrheit - wie in den letzten achtzig Jahren - mit dem Status einer Minderheit nicht zufriedengeben. Die Kurden werden auf ihre 1992 ausgerufene föderative Region pochen. Die arabischen Sunniten (ca. 25 Prozent der irakischen Bevölkerung) werden vermutlich ihre politische Dominanz verlieren, aber ähnlich wie die Maroniten im Libanon auf einigen Schlüsselpositionen im Staat beharren.

Die Falken in der US-Administration, allen voran Paul Wolfowitz, Richard Perle, aber auch Donald Rumsfeld selbst, kümmern sich nicht so sehr um den zukünftigen Irak, als um die Zerstörung des irakischen Potenzials nuklearer Waffen, bevor Saddam Hussein sein Waffenprogramm erfolgreich durchführen kann. Vor diesem Hintergrund kann gegenwärtig vom Primat der militärischen Option ausgegangen werden.

Wie werden aber die USA ohne eine schlagkräftige irakische Opposition und ohne einen regionalen Beistand den Krieg gegen Saddam gewinnen? Es scheint, dass die amerikanischen Strategen das Afghanistan-Modell im Irak wiederholen wollen. Dies bedeutet einen massiven Luftkrieg, um militärische Erfolge der lokalen Opposition zu ermöglichen. Eine günstige Option wäre ein Palastputsch gegen Saddam Hussein. Dies war auch die Intention der amerikanischen Militärs bei der Operation desert fox im Dezember 1998: bekanntlich ohne Erfolg. Es wird bereits davor gewarnt, dass das Kräfteverhältnis zwischen der Opposition und der Regierung im Irak mit den Verhältnissen zwischen Taliban und ihren Gegnern nicht zu vergleichen ist. Der Irak verfügt über eine nicht sehr gut ausgerüstete, aber erfahrene Armee von ca. 450 000 Mann. Darüber hinaus stehen der irakischen Führung die Saddam Fida'iyin, die in den neunziger Jahren zum Schutz des Regimes entstanden waren, die bewaffnete Verbände der Ba'th-Partei und die Sicherheitsdienste zur Verfügung. Die Opposition hat, abgesehen von den ca. 80 000 bewaffneten Truppen der KDP und PUK, kaum bewaffnete Kräfte. Die Badir-Division des schiitischen Obersten Rat der Islamischen Revolution wird sich vermutlich dann an einem Schlag gegen die Regierung Saddam Husseins beteiligen, wenn der Iran grünes Licht geben würde. Sie wurde bekanntlich vom Iran bewaffnet und ist im Iran stationiert. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass die Kurden und Schiiten sich gegen Saddam erheben werden, wenn sie nicht völlig sicher sein können, dass die USA das Regime Saddam Husseins mit allen Mitteln stürzen wollten. Die Erfahrungen von 1991 waren nicht ermutigend.

Die erwähnten INC- und INA-Organisationen werden in dem zu erwartenden Krieg vermutlich keinerlei Rolle spielen. Die USA werden sehr wahrscheinlich die Erfolgsgeschichte von Afghanistan nicht wiederholen können. Sie würden, wie Kenneth M. Pollack vermutet, eher die Geschichte des desert storm von 1991 wiederholen müssen. Dies bedeutet, dass die USA und höchstwahrscheinlich Großbritannien eine Armee von vermutlich 200 000 bis 300 000 Soldaten zusammenziehen werden, um nach dem erwarteten Luftkrieg den Bodenkrieg zu starten. Dabei könnte Saddam Hussein mit einem Gegenangriff sowohl die Streitkräfte seiner Kriegsgegner, als auch die kurdische Schutzzone, aber vor allem Israel mit chemischen und biologischen Waffen attackieren. Dies bleibt das Hauptrisiko in einem dritten Golfkrieg. Der Krieg könnte dann ein schnelles Ende finden, wenn es zu einem Militärputsch im Irak kommen würde.

Die Auswirkungen eines Krieges gegen die Regierung Saddam Husseins und auf den Iran als den zweiten mittelöstlichen Staat in der "Achse des Bösen" sind aus der heutigen Sicht schwer zu durchschauen. Wie bei dem Konzept des dual containment der Clinton-Ära scheint die Gleichbehandlung des Irak und des Iran aus vielfältigen Gründen problematisch zu sein. Der Iran ist, anders als der Irak, in seiner politischen Struktur multizentrisch. Die Reformer und die Konservativen, repräsentiert durch den Staatspräsidenten Khatami und den geistlichen Führer Chamenei, streiten sich u. a. auch über den außenpolitischen Kurs des Landes. Eine Annäherung an den Westen und die Einstellung der Unterstützung der radikalen islamistischen Gruppen ist bereits Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen den beiden iranischen Lagern. Die amerikanischen Sanktionen gegen den Iran haben weder zur Unterbindung der Unterstützung der radikalen Islamisten durch den Iran geführt, noch die iranischen Bemühungen verhindert, die Herstellung von Raketen zu fördern, geschweige denn von dem vermuteten Massenvernichtungswaffenprogramm Abstand zu nehmen. China und Russland haben bis jetzt - trotz des amerikanischen Drucks - kaum Abstriche bezüglich des Umfangs ihrer Zusammenarbeit mit dem Iran gemacht.

Die Vermutung, dass der Iran im Rahmen des amerikanischen Krieges gegen den Terror zum "bösen Staat" deklariert wurde, was u. a. auch auf israelische Bemühungen zurückzuführen wäre, ist nicht von der Hand zu weisen. Wegen der geographischen Nähe und im Hinblick auf den Umstand, dass der Iran die Feinde des Staates Israel, Hizbullah, Hamas und al-Jihad al-Islami, unterstützt sowie den gesamten Friedensprozess ablehnt, sind die Bemühungen Israels in dieser Hinsicht verständlich.

Dennoch scheint es, dass ein Krieg gegen den Iran eine sehr hypothetische Frage ist. Die USA werden vermutlich nicht einmal annähernde Strukturen vorfinden, die denen des Irak ähnlich wären. Allerdings kann ein präventiver amerikanischer, israelischer oder amerikanisch-israelischer Schlag gegen die iranischen Anlagen zur Herstellung von Trägerraketen und Massenvernichtungswaffen nicht ausgeschlossen werden. Ein Zurückdrängen des Iran von dem nahöstlichen Schauplatz sowie der Verzicht der Akteure auf die Herstellung von Massenvernichtungswaffen hat der ehemalige Sicherheitsberater Clintons, Sandy Berger, 1999 kommentiert: "Wenn wir die offenen Probleme des Friedensprozesses nicht lösen können, wird dies zentrifugale Kräfte in einer Region freisetzen, in der immer mehr Staaten über immer mehr nichtkonventionelle Waffen verfügen. Die Gefahr eines Konfliktes, bei dem Massenvernichtungswaffen zum Einsatz kommen, ist beträchtlich. Deshalb glaube ich, dass es im vitalen Interesse der Vereinigten Staaten liegt, dem Friedensprozess zum Erfolg zu verhelfen."

IV. Bilanz

Die Kritiker des dual containment charakterisierten seinerzeit das Konzept der Politik gegenüber dem Iran und dem Irak - den so genannten "Schurkenstaaten" - als Slogan. Der Krieg gegen den Terror, wie wir ihn in Afghanistan erlebt haben, ist dagegen kein Slogan. Der Begriff der "Achse des Bösen", der mittlerweile aus der politischen Sprache der amerikanischen Administration verbannt wurde, ist eher zu einem Propagandainstrument im Krieg gegen diejenigen Staaten geworden, die in den Verdacht gekommen sind, terroristische Gruppen zu unterstützen und das Verdikt gegen die Proliferation von nuklearen Waffen sowie die Entwicklung von Trägerraketen nicht zu beachten. Bezogen auf Iran und Irak ergeben sich Komplikationen, die von der Bush-Administration heruntergespielt werden. Hierzu gehört - wie im Fall des dual containment - die Tatsache, dass Irak und Iran nicht gleichgesetzt werden können. Die USA können sich bei einem Vorgehen gegen den Irak auf die lange Vorgeschichte des Konfliktes, aber auch auf die Resolutionen der UNO, die zwischen 1990 und 2001 verabschiedet worden waren, berufen.

Die Diktatur im Irak ist mit Sicherheit auf Saddam Hussein konzentriert. Sein Sturz wird das System lawinenartig hinwegfegen. Das Problem liegt aber darin, dass ein akut gefährdeter Saddam Hussein den Irak und die Region in eine Katastrophe stürzen kann. Ein Angriff mit chemischen Waffen gegen Israel könnte der Anfang dieser Katastrophe sein. Die "Samson-Option", die Israel in einer ausweglosen Situation beschrieb, könnte auch im Fall Saddam Husseins zutreffen. Es kommt hinzu, dass die USA die arabischen Akteure nach dem Modell des zweiten Golfkriegs kaum gegen Saddam Hussein gewinnen werden können. Ein unilateralistisches Vorgehen der USA wird die politischen Systeme der Freunde der USA am Golf und in anderen Teilen der arabischen Welt nicht gerade stabilisieren.

Im Fall des Iran wird zwar die Führung eines Krieges in den Reihen der Administration nicht debattiert, die USA legen aber auch kein klares Konzept für eine Iran-Politik vor. Die Sanktionen haben bis jetzt keine Wirkungen gezeigt. China und Russland liefern weiterhin die so genannten dual use-Güter an den Iran. Die gegenwärtige amerikanische Iran-Politik könnte das Gegenteil bewirken und die Position der konservativen Kräfte festigen. In einer Zeit, in der im Iran ein Widerspruch zwischen den Verfechtern einer freieren Gesellschaft, die mit dem Namen Khatami verbunden wird, und den konservativen Kräften um Chamenei vertieft wird, kann die Iran-Politik der USA eher das Lager der letzteren stärken. Slogans wie "Schurkenstaaten", "Böse Staaten" und "Achse des Bösen" können daher eine differenzierte Strategie der USA und des Westens nicht ersetzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Zbigniew Brzezinski/Brent Scowcroft/Richard Murphy, Differentiated Containment, in: Foreign Affairs, (Mai/Juni 1997), S. 20 - 30.

  2. Ebd., S. 20.

  3. Vgl. ebd., S. 21.

  4. Zum vollständigen Text des Gesetztes siehe: (http://www.fas.org/irp/congress/1996).

  5. Vgl. Andrew T. Parasiliti, Putting Iraq in Perspective, in: Patrick L. Clawson, Iraq Strategy Review. Options for U.S. Policy, Washington: Institute for Near East Policy, 2000, S. 101-117.

  6. Vgl. Alon Ben-Meir, The Dual Containment Strategy is no longer viable, in: Middle East Policy, (März 1996) 3, S. 58-71.

  7. Vgl. ebd., S. 60-66.

  8. Vgl. Martin S. Indyk, U.S. Policy in the Middle East. Remarks at the Council on Foreign Relations, New York City, April 22, 1999. (http//www. State.gov/www/policy_remaks/1999/990422_indyk-mep).

  9. Vgl. Phyllis Bennis, US Policy on Iraq: the internal debate, in: The Middle East International vom 20. April 2001, S. 17-20.

  10. Vgl. The Wall Street Journal vom 15. Februar 2002.

  11. So der Washington Post-Kolumnist Richard Cohen, vgl. Washington Post vom 30. November 2001.

  12. Henry Kissinger, Phase II and Iraq, in: Washington Post vom 13. Januar 2002.

  13. (http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/01/20020129 - 11.html).

  14. (http://Whitehouse.gov/news/releases/2002/01/20020129-11.html).

  15. Vgl. Al-Hayat vom 14. April 1999.

  16. Vgl. Michel Jansen, Arab Summit: Palestine and Iraq, in: The Middle East International vom 5. April 2002, S. 7-9.

  17. Der Spiegel, Nr. 20/2002.

  18. Ebd.

  19. Vgl. Philip S. Golub, Die Bush-Administration und die Doktrin der Vorherrschaft, in: Le Monde diplomatique vom Juli 2001, S. 6 f.

  20. Paul Wolfowitz/Lewis Libby, Defense Policy Guidance 1992 - 1994, zit. in: Philip S. Golub, ebd.

  21. Vgl. das Interview des Tagesspiegels vom 26. Mai 2002 mit dem ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

  22. Vgl. das Interview mit Richard Perle, in: Der Spiegel (Anm. 17).

  23. Washington Post vom 19. Februar 2002.

  24. Anthony Cordesman, Living with Saddam: Reshaping U.S. Strategy in the Middle East, Washington: Center for Strategic and International Studies 1998, S. 6.

  25. Zum Obersten Rat der Islamischen Revolution im Irak vgl. Ferhad Ibrahim, Konfessionalismus und Politik in der arabischen Welt. Das Beispiel der irakischen Schiiten, Münster 1997.

  26. Vgl. James W. Moore, Speculating on Post-Saddam Iraq, in: Middle East Policy, VI (Februar 1999) 3, S. 27-43.

  27. Vgl. zu dieser Frage Kenneth M. Pollack, Next Stop Baghdad?, in: Foreign Affairs, (März/April 2002), S. 32-47.

  28. Vgl. ebd., S. 40.

  29. Vgl. ebd., S. 43.

  30. Vgl. Richard Allan Roth/Suzanne Maloney/Ray Takeyh/Geoffrey Kemp, U.S.Policy Towards Iran: Time for a Change?, in: Middle East Policy, VIII (March 2001) 1, S. 1-24.

  31. Vgl. Geoffrey Aronson, Die Achse des Guten, in: Le Monde Diplomatique vom 6. Mai 2002, S. 6 f.

  32. Zit. in: ebd.

Dr. phil. habil., geb. 1950 in Syrien; außerplanmäßiger Professor für politische Wissenschaft am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin.

Anschrift: Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients der Freien Universität Berlin, Ihnestr. 31, 14195 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: Fibrim@Zedat.Fu-Berlin.de

Veröffentlichungen u.a.zur Politik und Geschichte des Vorderen Orients, zuletzt: (Hrsg. zus. mit Gülistan Gürbey) The Kurdish Conflict in Turkey. Obstacles and Chances for Peace and Democracy. Münster-New York 2000; (Hrsg.) Islam und Islamismus in der Gegenwart, Erfurt 2002.