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Zwischen Multilateralismus und Unilateralismus Eine Konstante amerikanischer Außenpolitik | US-Außenpolitik | bpb.de

US-Außenpolitik Editorial Das Ringen um eine neue Weltordnung Die USA und die transatlantischen Beziehungen nach dem 11. September 2001 Vom Kalten zum "Grauen Krieg" - Paradigmenwechsel in der amerikanischen Außenpolitik Zwischen Multilateralismus und Unilateralismus Eine Konstante amerikanischer Außenpolitik Irak und Iran in der Phase II des amerikanischen Krieges gegen den Terror China und die USA: Washingtons Fernostpolitik nach dem 11. September 2001

Zwischen Multilateralismus und Unilateralismus Eine Konstante amerikanischer Außenpolitik

Stefan Fröhlich

/ 23 Minuten zu lesen

Die außenpolitische Debatte in den USA wird seit Ende des Zweiten Weltkrieges von zwei Denkschulen geprägt: Multilateralismus und Unilateralismus. In der aktuellen Diskussion jedoch überwiegt ein anderer Eindruck.

I. Einleitung

Die Terrorangriffe vom 11. September 2001 haben der Welt signalisiert, dass die mit den Veränderungen der ausgehenden achtziger und frühen neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts verbundene Hoffnung auf ein friedlicheres und sichereres Zeitalter trügerisch war. Die Anschläge richteten sich nicht nur gegen die USA als mächtigstes Symbol der demokratischen Wertegemeinschaft, sondern auch gegen deren Bündnispartner als Teil dieser Gemeinschaft. Sie signalisieren, dass wir Massenvernichtungswaffen künftig nicht nur in Kategorien von Atomwaffen, sondern auch biologischer und chemischer Angriffe auf unsere Sicherheit denken müssen. Und sie zeigen, dass es absolute Sicherheit auch für die Weltmacht USA nicht geben kann: Washington hat erstmals in seiner Geschichte die Erfahrung der eigenen Verwundbarkeit machen müssen - für Europäer eine Erfahrung, die sich tief in ihr Bewusstsein eingeprägt hat und ihr außenpolitisches Handeln bestimmt. Wie haben die USA auf diese neue Herausforderung reagiert, welche Auswirkungen haben die Anschläge auf die Politik der Allianz?

Washingtons Außenpolitik wird traditionell von drei Grundprämissen bestimmt: der globalen Machtverteilung, der ihr entsprechenden Selbsteinschätzung der USA und ihrem daraus resultierenden weltweiten Führungsanspruch und -willen. Nur die USA verfügen sowohl über das militärische wie auch politische und wirtschaftliche Potenzial, das sie zur herausragenden Zentralmacht erhebt. Die sicherheitspolitische Dominanz wird dabei einzig relativiert durch die politische und ökonomische Eingebundenheit in einen multilateralen Ordnungsrahmen, dem man sich von Zeit zu Zeit entzieht oder den man zur Durchsetzung eigener Interessen instrumentalisiert; entsprechend verfolgte Washington in der Vergangenheit in Fragen der Handelspolitik stets einen weitaus flexibleren Multilateralismus als in Fragen der äußeren Sicherheit.

II. Amerikas "grand strategies"

Dieses Grundmuster amerikanischer Außenpolitik ist nicht neu und bestimmt die transatlantischen Beziehungen seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Es zeigt, dass Europa und Amerika Außenpolitik von unterschiedlichen Ausgangspunkten aus betrieben haben. Die Frage Multilateralismus und/oder Unilateralismus ist dabei, wie radikale Unilateralisten heute meinen, keine eines "entweder oder" bzw. von moralischer Überlegenheit des einen Systems über das andere, sondern eines "sowohl als auch". Die europäische Haltung ist die Konsequenz sowohl von Machtbeziehungen wie von unterschiedlichen Auffassungen über die Rolle von Macht, Gewalt und Krieg. Vor 200 Jahren, als Amerika militärisch schwach war, ist es gegen das damalige europäische Denken in den Kategorien der Staatsräson, d. h. traditioneller Machtpolitik, wie die EU heute für eine internationale Ordnung auf der Basis des Rechts eingetreten.

Dieser amerikanische Impuls hat sich bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus gehalten. Er hatte nicht nur im außenpolitischen Denken von Wilson einen bedeutenden Platz, sondern auch bei jenen Präsidenten der unmittelbaren Nachkriegszeit, die am Aufbau eben jenes institutionellen Ordnungsrahmens (GATT, NATO, UN) maßgeblich beteiligt waren, der die Weltpolitik nach wie vor bestimmt. In der Nachkriegszeit waren es zuletzt die Bush- und Clinton-Administration, die eher den Kurs eines liberalen Multilateralismus pflegten (NAFTA, APEC, WTO). Während sich in Europa jedoch durchgängig eine Staatsidee durchgesetzt hat, basierend auf Verträgen und Verhaltensregeln, die sich mehr und mehr zu einem postmodernen Konsens der Ablehnung von Gewalt gebündelt haben, sieht Washington die Welt außerhalb Europas und des eigenen Kontinents seither als eine "Hobbesianische Welt", in der sich Ordnung gegebenenfalls auch auf Durchsetzung von Gewalt gründet. Dabei hat sich im Laufe der Nachkriegszeit in den USA auch eine Auffassung durchgesetzt, nach der die Herausbildung eines genuin europäischen außenpolitischen Denkens nur möglich war, weil Amerika bereit war und sich stets vorbehalten hat, Ordnung auch durch den unilateralen Einsatz von militärischen Mitteln herzustellen.

Multilateralismus und Unilateralismus sind somit traditionell zwei Seiten ein und derselben Medaille in der amerikanischen Außenpolitik. Diese honoriert Multilateralismus und den Rechtsstaat und versucht gleichzeitig, internationales politisches Kapital für die Fälle zu bilden, in denen unilaterales Handeln unausweichlich ist. Nach den Anschlägen des vergangenen Jahres stellt sich jedoch aus der Sicht Washingtons die Frage, ob es nicht zunehmend zum Unilateralismus gezwungen wird.

III. Amerikanische Außenpolitik nach dem 11. September

Die Reaktion der Bush-Administration auf die Anschläge des vergangenen Jahres ist der Reflex auf eine neue Bewusstseinslage, die einerseits anzeigt, dass man den Krieg gegen den internationalen Terrorismus nicht allein bzw. ausschließlich mit militärischen Mitteln gewinnen kann, andererseits aus dem Bedrohungsgefühl heraus die Notwendigkeit ableitet, die eigene Abschreckungsfähigkeit auch für so genannte asymmetrische Konflikte mit allen Mitteln und eiserner Entschlossenheit wiederherzustellen. Die Rede des amerikanischen Präsidenten vor dem Kongress am 20. September 2001, unmittelbar nach den Anschlägen, markierte nach Ansicht von Beobachtern in Washington zunächst gar einen Paradigmenwechsel im amerikanischen strategischen Denken hin zu multilateraler Diplomatie auch in der Sicherheitspolitik.

Tatsächlich schmiedete Washington sofort nach den Anschlägen Allianzen auch mit nichtverbündeten Staaten, allen voran Russland, China, Pakistan, Usbekistan und Indien, von denen viele hoff(t)en, sie würden nachhaltiger wirken als die im Golfkrieg gegen Hussein erprobte Ad-hoc-Allianz. Einige Beobachter werteten die neue Anti-Terror-Koalition bereits als Instrument zur Überlagerung traditioneller regionaler Differenzen und Konflikte im transatlantischen Verhältnis - Beispiel Russland: Der Westen insgesamt solle Präsident Putins Bemühen um eine Einbindung in die strategische Allianz gegen den Terrorismus konstruktiv aufnehmen und stärken. Gleiches gilt für die Initiative und das Bemühen Chinas um eine effektive Rolle bei der Terrorismusbekämpfung. Schließlich bestehen auch in Zentral- und Südostasien sowie im Kaukasus seit dem 11. September mehr Ansatzpunkte für eine kooperative Stabilisierung der Regionen, nachdem Washington russisches Wohlverhalten bei der Einbindung vor allem Zentralasiens in seinen Anti-Terror-Einsatz mit der Anerkennung von Moskaus zentraler Rolle in der Region honoriert hat. Ohne den Zugang zum Luftraum und Stützpunkten in Pakistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan wäre der Einsatz in Afghanistan nicht möglich gewesen. Dies bestätigte auch der Bericht des Pentagon über die neue Sicherheits- und Verteidigungspolitik der USA vom 30. September 2001, indem er der "Koalitionsbildung" und dem "Multilateralismus" erstmals größeres Gewicht einräumte.

Auf der anderen Seite aber setzten die USA im Bewusstsein ihrer militärischen Stärke neben diplomatischem, polizeilichem und nachrichtendienstlichem Vorgehen von Beginn an auch auf den unilateralen Einsatz militärischer Mittel. Das schließt das energische Weiterbetreiben einer Raketenabwehr sowie umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen für die Abwehr eines möglichen Einsatzes von so genannten "schmutzigen Nuklearwaffen" (dirty bombs) durch Terroristen, die durch Zündung von waffenfähigem Uran Verseuchungskatastrophen auslösen könnten, mit ein.

Der finanzielle Aufwand für die totale und dauerhafte Mobilmachung gegen den Terrorismus ist gewaltig. Amerika lässt sich die Fähigkeit zur Verteidigung seines Territoriums, seiner Bürger und Interessen jederzeit und überall täglich nahezu eine Mrd. US-Dollar kosten. Die Steigerungsrate für den US-Verteidigungshaushalt beträgt allein für das Haushaltsjahr 2002/03 rund 48 Mrd. US-Dollar. Das Gesamtbudget wird 379 Mrd. US-Dollar betragen, bis 2007 soll es auf 451 Mrd. US-Dollar steigen. Damit ist der Haushalt des Pentagons bereits zweieinhalb Mal so hoch wie die Verteidigungsausgaben der 15 EU-Mitgliedsländer insgesamt. Selbst die Verteidigungsausgaben der zehn den USA - gemessen an den Verteidigungsausgaben - dem Rang nach folgenden Staaten (Russland, China, Japan, Großbritannien, Saudi-Arabien, Frankreich, Deutschland, Brasilien, Indien und Italien) reichen bei weitem nicht an die Größenordnung des amerikanischen Verteidigungshaushalts heran.

Darüber hinaus haben die USA innenpolitisch sofort reagiert und dabei in parteiübergreifendem Schulterschluss eigene Prinzipien über Bord geworfen, um sich als handlungsfähig zu präsentieren. Der Gesetzgebungsakt zur Terrorismusbekämpfung weitet die Kompetenzen der Bundespolizei (FBI) und des CIA aus und weist neue Bestimmungen bezüglich der Geldwäsche, Finanzierung terroristischer Aktivitäten, Landesgrenzen und des Opferausgleichs aus.

Washington hat sich bei diesen Reaktionen sowie seinen Angriffen auf Afghanistan auf das Recht der Selbstverteidigung berufen. Bestärkt wurde es dabei durch die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates vom 12. und 28. September 2001 (Resolutionen 1368 und 1373), die de facto eine Weiterentwicklung des Völkerrechts darstellen und denen zufolge Maßnahmen der individuellen und kollektiven Sicherheit nach Art. 51 der UN-Charta auch gegen terroristische Angriffe legimiert sind. Die mit der Bush-Doktrin vom bedingungslosen Kampf gegen den Terrorismus verbundene Warnung, auch gegen alle diejenigen Staaten entschlossen vorzugehen, die den Terrorismus in irgendeiner Form unterstützen, hat jedoch mittlerweile unter den Allianzpartnern die stereotypen Befürchtungen hinsichtlich neuerlicher amerikanischer Alleingänge in der Weltpolitik hervorgerufen. Verstärkt wurden diese, als Präsident Bush in seinem Bericht zur Lage der Nation vom 29. Januar 2002 unmissverständlich klar machte, im Kampf gegen den Terrorismus auch keine Rücksichten auf zögerliche Verbündete zu nehmen: "Einige Regierungen werden angesichts des Terrors zögerlich. Täuschen Sie sich nicht. Wenn Sie nicht handeln - Amerika wird es tun."

IV. Vier Gründe für amerikanischen Unilateralismus

Europäer, die angesichts dieser Warnungen und der amerikanischen Anti-Terrorismus-Strategie nunmehr, da der Anti-Terror-Krieg in seine zweite Phase getreten ist, die Solidarität mit Washington zunehmend in Frage stellen, sollten allerdings zweierlei zur Kenntnis nehmen: Erstens, die Bush-Administration neigte in den Wochen nach dem 11. September keineswegs zum Schnellschuss, sondern schmiedete sehr sorgfältig eine weltumspannende Koalition gegen den Terrorismus. Zweitens, Amerika kann wenigstens vier gute Gründe für sein teilweise unilaterales Vorgehen gegen den Terrorismus ins Feld führen:

1. Diejenigen, die im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus gar von einem Bedeutungsverlust der NATO sprechen, sollten zunächst anerkennen, dass das Bündnis mit seinem Beschluss vom 12. September den Bündnisfall auf eine Situation bezogen hat, die völlig verschieden ist von der, die bei der Gründung der NATO für denkbar gehalten wurde. Washington führte nach der Feststellung des Bündnisfalles den Einsatz in Afghanistan weitgehend ohne die NATO mit einer Koalition von Handlungswilligen durch. Aus politisch-strategischen Gründen wäre eine stärkere Rolle der NATO sicherlich schon deshalb wünschenswert gewesen, weil auf diese Weise die europäischen Restriktionen für NATO-Einsätze hinfällig geworden wären. Die NATO wäre jenseits der europäischen Peripherie als Verteidigungs-, Gestaltungs- und Ordnungsmacht tätig geworden und hätte damit jenem seit dem Washingtoner NATO-Gipfel 1999 beständig geäußerten Wunsch der Amerikaner entsprochen, wonach die Europäer auch außerhalb Europas gemeinsam mit den Amerikanern zur Sicherung ihrer Interessen handlungs- und einsatzfähig werden sollten. Es war aber plausibel, dass die Führung von Anfang an nicht in den integrierten Stäben der NATO lag, sondern allein und ausschließlich bei den Amerikanern, denn Amerika ist angegriffen worden und beanspruchte deswegen zu Recht die Führungsrolle in diesem Krieg.

2. Dass Washington es vorzieht, beim Feldzug gegen den Terrorismus notfalls allein zu handeln, hat auch etwas mit den strukturellen Problemen der Europäer bei der Entwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und den daraus resultierenden unzureichenden militärischen Fähigkeiten zur Durchführung größerer Einsätze zu tun. Die Defizite hier sind hinreichend bekannt. Die von den Europäern geforderte Partnerschaft und Einbindung Washingtons setzt auch voraus, dass die europäischen Verbündeten der USA als Partner handlungsrelevant bleiben, das heißt sie müssen nicht nur über diplomatische, polizeiliche und nachrichtendienstliche, sondern auch über die entsprechenden militärischen Fähigkeiten verfügen, um den neuen sicherheitspolitischen Gefahren begegnen zu können. Dies ist das wichtigste Ziel der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Und dies muss auch eines der wichtigsten Ziele der Überprüfung des europäischen sicherheitspolitischen Instrumentariums nach dem 11. September sein. Im Bündnis besteht längst ein Ungleichgewicht, das es für Washington immer schwieriger macht, Verbündete zu finden, wenn es Verbündete braucht. Schon heute können die Amerikaner in vielen Fällen auf Grund der technologischen Lücke mit den Europäern gar nicht mehr gemeinsam operieren, ja ihre Fähigkeit zur Bewältigung einer Krise kann dadurch sogar eingeschränkt werden - dies ist die eigentliche Bedrohung für das Bündnis. Die EU muss daher Investitionen tätigen, die zur Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten notwendig sind. Dies gilt gleichermaßen in den Bereichen Führung und Aufklärung, für die Entwicklung abstandsfähiger Präzisionswaffen sowie zur Verbesserung der strategischen Mobilität (Lufttransportfähigkeit). Mit anderen Worten: Die viel beklagte mangelnde amerikanische Bereitschaft zu engeren Konsultationen und zum Interessenausgleich, verbunden mit der Forderung einer weiteren Öffnung der amerikanischen Märkte zur Rüstungsbeschaffung durch Gewährung von Exportlizenzen, ist nicht zuletzt der Reflex Washingtons auf die europäischen Defizite bei der Herausbildung einer wirklich effektiven Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

3. Belastet werden das Bündnis wie die breite Anti-Terror-Allianz auch durch die unterschiedlichen Bedrohungsvorstellungen und ihren daraus resultierenden Antworten. Zuletzt hat der Besuch des US-Präsidenten in Berlin im Mai deutlich gemacht, dass man nach Washingtoner Lesart der Bedrohung durch den transnationalen Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen nicht durch Beschwichtigungspolitik, Verdrängen oder Bagatellisieren ausweichen kann. Für Washington stellen die die Auseinandersetzungen mit dem Terrorismus begleitenden Spannungen zwischen Pakistan und Indien, die durchaus die Gefahr eines regionalen militärischen Konflikts in Südwestasien bergen, eine ebenso reale Bedrohung dar wie der weiter eskalierende Nahostkonflikt, die aktive Unterstützung des internationalen Terrorismus durch den Iran oder Syrien, das Thema Massenvernichtungswaffen in Verbrecher- oder Terroristenhand oder aber die Spannungen in Zentralasien, wo nicht wenige Beobachter in Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan die künftigen Schlachtfelder mit globaler Bedeutung sehen. Das zeigen die umfassende militärische Präsenz der USA in den einstigen Sowjetrepubliken, die mittlerweile über eine Entfernung von dreitausend Kilometern reicht - von dem an China grenzenden Kirgistan bis nach Georgien am Schwarzen Meer -, die erhöhte Alarmbereitschaft in der Nahostkrise sowie die neuen Formen internationaler militärischer Kooperation zum Zwecke der Terrorbekämpfung u. a. auf den Philippinen, mit dem Jemen oder mit Georgien.

Washington erwartet daher im Gegenzug für bedächtiges und multilaterales Handeln eine weitere Annäherung der Sichtweisen darüber, ob und woher die Gefahren drohen, auch wenn es sich wohl keine Illusion über deren Fliehkräfte im Falle eines neuerlichen militärischen Schwures macht. Schon auf dem Washingtoner Gipfel 1999 strebten die USA an, die Allianz künftig auch als Instrument für Aufgaben außerhalb Europas auszurichten. Die damalige Verständigung auf die "Peripherie Europas" stellt lediglich einen vagen Reichweitenkompromiss im Neuen Strategischen Konzept der NATO dar. Dass die Europäer wohl auch noch auf längere Sicht nicht in der Lage sein werden, Krisenmanagement in größerem Umfang durchzuführen, ändert nichts daran, dass Washington eine Beteiligung Europas an einer strategischen Partnerschaft in den betroffenen Regionen gerade nach den Anschlägen vom 11. September weiter einfordert.

Eine solche Partnerschaft impliziert, dass der Westen nicht - vermeintlich gleichmütig - ignoriert, wenn ein Diktator vom Schlage Saddam Husseins nach nuklearen, biologischen oder chemischen Waffen greift. Andernfalls ist Amerika entschlossen, notfalls allein zu handeln. Jedenfalls schließt die Bush-Doktrin auch Präventivschläge zur Verhinderung von terroristischen Anschlägen nicht aus. Diese Androhung richtet sich nicht nur gegen Staaten, die Terroristen Unterschlupf gewähren, sondern schließt auch solche Staaten mit ein, welche die Unterstützung der USA gegen den internationalen Terrorismus ablehnen und über Massenvernichtungswaffen verfügen. Eben in diesem Zusammenhang brandmarkte Bush in seinem erwähnten Bericht zur Lage der Nation den Irak, Iran und Nordkorea als "Achse des Bösen" .

Bislang ist es nur bei der Androhung von Präventivschlägen geblieben, und auch der anstelle des Oil for Food-Programms verabredete neue Sanktionsmechanismus gegenüber dem Irak lässt erkennen, dass Washington eine politische Lösung bzw. ein multilaterales Vorgehen gegen das Regime in Bagdad allemal bevorzugen würde. Sollten sich aber die Anzeichen dafür verdichten, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfügt, wird in den USA der Druck steigen, auf einen Regimewechsel - wenn nötig auch mit Hilfe einer militärischen Intervention - hinzuwirken. Der notwendige innenpolitische Rückhalt in der öffentlichen Meinung wie auch in beiden politischen Lagern für eine - falls erforderlich - auch ohne internationale Unterstützung durchgeführte Militärintervention mit dem Ziel eines Regimewechsels im Irak ist jedenfalls vorhanden.

4. Ganz abgesehen davon, dass es zum Selbstverständnis der Weltmacht USA gehört, zur Durchsetzung ihres politischen Willens notfalls auch militärische Alleingänge vorzubereiten und durchzuführen - selbst wenn die UN Washington dabei erklärtermaßen nicht unterstützen -, beruft sich die Bush-Administration zur Legitimation ihres Feldzuges gegen den Terrorismus nicht zuletzt auf die UN-Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001), auf Artikel 51 der Satzung der UN sowie Artikel 5 des NATO-Vertrages. Zwar entspricht es der sicherheitspolitischen Kultur der USA, auf die Entscheidungsfreiheit, auf die Prüfung des Falles im Lichte der eigenen Interessen und gegebenenfalls auch auf die Blockade kollektiver Maßnahmen keinesfalls zu verzichten; grundsätzlich gilt, was im "National Security Strategy"-Bericht aus dem Jahre 1994 auf Druck der republikanischen Opposition Eingang gefunden hat, wonach im Falle der Bedrohung vitaler amerikanischer Interessen unilaterales Handeln explizit an erster Stelle steht (an zweiter Stelle folgt allianzpolitisches und erst an dritter Stelle multilaterales Handeln). Ebenso aber bieten die UN jenen Rahmen, der es dem amerikanischen Präsidenten ermöglicht, den grundsätzlich antimilitärischen liberalen Reflex der Gesellschaft gegenüber einer stehenden Armee und einem starken, letztlich global einzigartigen Militärpotenzial zu entschärfen und zu kanalisieren. Im Prozess der Legitimationsbeschaffung einer Beteiligung von US-Truppen an Konflikten und Kriegen hatten die UN in der Begründungsrhetorik amerikanischer Regierungen somit stets einen zentralen Platz, zumal sie verhandlungspolitisch für Washington bislang ohnehin nur in macht- und sicherheitspolitisch peripheren Problemzonen agier(t)en.

Europa und die Welt sollten daher die amerikanische Bereitschaft zu einem multilateralen Vorgehen nicht bloß als leere Worthülse abtun und sich von dem Klischee lösen, das Thema Massenvernichtungswaffen in Terroristenhand sei eine amerikanische Obsession und der Präsident ein unverbesserlicher Unilateralist, auch wenn die ersten sechs Monaten seiner Amtszeit exakt dieses Image suggerierten. Sie sollten jedoch den mit den Anschlägen vom 11. September verbundenen kollektiven Mentalitäts- und Bewusstseinswandel in den USA auch nicht überschätzen. Die amerikanische Regierung weiß, dass militärische Vergeltung allein nicht ausreicht, um vor terroristischen Angriffen sicher zu sein. Sie verschließt sich auch nicht, wie einige unverbesserliche Unilateralisten wie Charles Krauthammer, Robert Kagan oder William Kristol dies bereits vor dem 11. September vorgeschlagen haben, einem umfassenden politischen, ökonomischen sowie interkulturellen Ansatz, um dem Terrorismus auf Dauer den Boden entziehen zu können. Bush selbst hat mehrfach betont, dass die Herausforderung des internationalen Terrorismus eine umfassende Antwort erfordert - eine, die dem vor allem auf nicht-militärische Instrumente setzenden Zivilmacht-Konzept Europas weit eher entspricht; er hat deshalb auch die Vorwürfe aus dem Lager der Unilateralisten, welche die europäische Antwort als "selbstmörderisch" (Krauthammer) qualifiziert und die bedingungslose Mobilmachung der eigenen Kräfte gefordert haben, als unangemessene Verkürzung auf ein ausschließlich militärisches Vorgehen kritisiert.

Auf der anderen Seite erscheint ein ausschließlich auf politische Einbindung des "Gegners" setzender Ansatz mit den Instrumenten des interkulturellen Dialoges, von Sanktionen und Wirtschaftshilfe auch in der amerikanischen Öffentlichkeit eher als Appeasement denn als geeignete Gegenstrategie. Umgekehrt nämlich wird die Gefahr einer Auseinandersetzung mit dem Islam in den USA keinesfalls ausgeschlossen. Die Bush-Administration hat sich bislang zwar geweigert, allein auf die Theorie eines von außen gesteuerten Bio-Terrorismus zu setzen, und bevorzugt wie erwähnt ein multilaterales Vorgehen auch gegen den Irak. Sie weist aber auch darauf hin, dass fünf von sieben Staaten, die das US State Department als den internationalen Terrorismus unterstützende Regime auflistet, islamisch sind, und dass gleiches für die Mehrheit von mit dem Terrorismus in Berührung stehenden ausländischen Organisationen gilt. Darüber hinaus sieht sie die Ursachen für die Angriffe vom 11. September in erster Linie im Scheitern des Projekts der arabischen Modernisierung im 20. Jahrhundert, welches traumatische Spuren in der Region und im Islam hinterlassen hat. Das islamisch-arabische Denken fand bis auf wenige Ausnahmen nicht aus der Defensive hin zu einer selbstkritischen Position. Stattdessen, so die amerikanische Lesart, wird die westliche Moderne attackiert, als trage sie die Hauptschuld an diesem Komplex, an diesem zutiefst auch innerislamischen Problem.

V. Bleibt der Multilateralismus auf der Strecke? Amerikas neuer Pragmatismus

Diese scheinbar ambivalente Haltung der US-Administration entspricht der Erkenntnis, dass Amerika einerseits stark genug ist, in bestimmten Situationen allein zu handeln - nicht zuletzt aus dem Reflex der "indispensable power" heraus, die globale Stabilität projiziert, seine Macht andererseits nicht grenzenlos ist und langfristig die Kosten des Multilateralismus und zusätzlichen Management-, Abstimmungs- und Koordinationsbedarfs durch Stabilitätsvorteile aufgewogen werden. Mit anderen Worten: Amerikas grand strategy besteht unter der gegenwärtigen Administration darin, von Fall zu Fall über den geeignetsten Rahmen für amerikanisches Engagement zu entscheiden - allerdings mit einer erkennbaren Neigung unter Teilen der Administration, im Unterschied zu den beiden Vorgänger-Administrationen, zu einem selektiven Unilateralismus.

Die deutlichsten Anzeichen dafür sind jene bekannten Differenzen im transatlantischen Verhältnis, die vorübergehend durch die Ereignisse des vergangenen Jahres überlagert wurden, jetzt aber erneut auftauchen. Reizwörter wie "internationaler Klimaschutz" (Kyoto-Protokoll), "genveränderte Produkte", "Raketenabwehr", "Internationaler Strafgerichtshof", "Landminenkonvention" oder "Biologische Waffen-Konvention" erregten die Gemüter auf beiden Seiten des Atlantiks vor dem 11. September und sie werden es auch künftig tun. Europa reagiert zunehmend empfindlicher auf Nachrichten aus Washington, sei es in Bezug auf die unlängst beschlossenen Schutzzölle auf Stahl; sei es in der Frage der Verweigerung einer Ächtung von Anti-Personen-Minen und des Einsatzes für den Stopp von Atomtests; oder aber sei es in Bezug auf die Lossagung der Administration von Clintons Unterschrift unter den Vertrag über den Internationalen Strafgerichtshof als vorläufiger Höhepunkt einer Reihe von amerikanischen Alleingängen. Selbst wenn die Vorzüge in dem einen oder anderen Punkt nicht nur aus amerikanischer Sicht zweifelhaft sein mögen, die prinzipielle Ablehnung in allen Fällen signalisiert den Europäern die insgesamt kritische Haltung der Administration in Bezug auf einen verstärkten Multilateralismus.

Vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik zeigt sich unverändert nicht nur ein unterschiedliches Verhältnis zu internationalen Organisationen, sondern auch die grundsätzlich andersartige Vorstellung von der Notwendigkeit der Entwicklung einer über die Abschreckungsfähigkeit hinausreichenden Verteidigungskapazität. Die derzeitige Strategie betrifft nicht nur die innere Sicherheit, der mit dem Ziel des Schutzes aller Standorte und strategischen Einrichtungen auf dem nationalen Territorium ("homeland defense") offenkundig eine höhere Priorität eingeräumt wird, sondern enthält erstmals auch eine explizit "offensive" Komponente. Nationale Raketenabwehr und erhöhte Präsenz vor Ort, verbunden mit einer verbesserten Streitkräfteprojektion nicht von den traditionellen Stützpunkten in Europa, Asien oder Nahost, sondern von amerikanischem Territorium, lauten die beiden Extreme des strategischen Spektrums Washingtons, das höchstentwickelte Technologien in den Bereichen Information, Aufklärung, Kommunikation und Führung sowie strategische Mobilität bzw. Einsatzfähigkeit amerikanischer Bodentruppen vor Ort verbindet. Galt im Kosovo-Krieg noch das Prinzip Gegenschlag und Bestrafung, so impliziert das neue Konzept auch Präventivangriffe. Damit verbunden ist eine bestimmte Rollenverteilung, wie sie bereits im Kosovo-Konflikt zu beobachten war, zwischen den USA, lokalen Akteuren und Verbündeten: Lokale Streitkräfte übernehmen einen nicht unerheblichen Teil bei den Bodeneinsätzen, während die Europäer vor allem einen Beitrag zur Friedenswahrung und Friedensschaffung leisten sollen.

Diese Art "burden-sharing" zeigt den Verbündeten, wo sie stehen und welche Rolle ihnen Washington zuweist. In der Raktenabwehrfrage sah sich die Bush-Administration vor dem 11. September auf Grund der Sorgen der Europäer zwar noch veranlasst, die nationale Abwehr zugunsten eines weltweiten Schutzsystems der Alliierten, in das ausdrücklich auch Russland integriert werden sollte, in den Hintergrund zu stellen. Danach aber schien aus Sicht der amerikanischen Strategen die Konzentration auf die nationale Verteidigung wieder legitim. Abgesehen davon wird das neue Sicherheitsverständnis auch auf die Verbündeten übertragen, die entsprechend der Qualität und des Umfangs ihrer militärischen Ressourcen und abhängig von ihrer sonstigen Unterstützung bzw. Kritik an Washington entweder als mehr oder weniger nützlich oder als Trittbrettfahrer eingestuft werden. Keiner hat diesen neuen Pragmatismus und die Flexibilität in der Sicherheitspolitik deutlicher formuliert als der Stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, als er in München ankündigte, dass künftig "die Mission die Koalition bestimmen muss und nicht andersherum" . Dies ist nicht etwa Ausdruck eines "ungezügelten Unilateralismus" . Es ist die nüchterne Erkenntnis in die Grenzen auch des Bündnisses bei der Bekämpfung des Terrorismus und die Notwendigkeit flexibler Ad-hoc-Allianzen.

Auf der anderen Seite nämlich wächst der Druck auf die Administration zu einem kooperativeren Führungsstil nicht zuletzt aus der Einsicht, dass die transatlantische Solidargemeinschaft nur stabil bleiben kann, wenn Washington zu engen Konsultationen bereit und zum Interessenausgleich fähig ist. Außenminister Powell hat dies fünf Wochen nach den Anschlägen eindringlich bestätigt, indem er betonte, dass vor allem die gemeinsame Auswertung von Nachrichten und der Austausch von Informationen durch die Geheimdienste, die verstärkte Zusammenarbeit bei grenzüberschreitender Kriminalität und Migration sowie die Überwachung und das Austrocknen der Finanzquellen des internationalen Terrorismus den Erfolg bei dessen Bekämpfung ausmachen. Dazu, so Powell, "brauche man Koalitionen" .

Je deutlicher somit die Kosten des amerikanischen Unilateralismus zum Tragen kommen, desto stärker werden der amerikanischen Öffentlichkeit die Vorteile des Multilateralismus bewusst; selbst Neorealisten betonen, dass die institutionelle Einbindung letztlich auch die Akzeptanz unilateralen Handelns und amerikanischer Hegemonieansprüche nur erhöht. Im Übrigen hat die Bereitschaft der Öffentlichkeit, Amerikas globalen Führungsanspruch durch die Omnipräsenz amerikanischer Streitkräfte zu unterstreichen, in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen. In Fragen der NATO-Erweiterung, der Sicherheit auf dem Balkan, der NATO-Zusammenarbeit mit Russland oder aber in der Frage der Raketenabwehr kann Washington Europa nur zum eigenen Nachteil auf Dauer ignorieren. Globale Herausforderungen wie der Umweltschutz, die Migrations- und Flüchtlingsproblematik, die Gesundheitspolitik oder eben der Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen lassen sich nur mit Europa und in einem institutionellen Ordnungsrahmen lösen.

Wahrscheinlich wird diese Erkenntnis in dem Maße wachsen, wie Amerika auch die Grenzen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verspürt. Die Tatsache, dass die US-Wirtschaft in den letzten zehn Jahren so boomte, trug sicherlich mit bei zu der Neigung von Alleingängen und gab umgekehrt Anlass zu heftiger Kritik nicht nur der Europäer an der Art und Weise, wie Washington seine Interessen verfolgte. Der Wettbewerb im transatlantischen Verhältnis fand in den letzten Jahren verstärkt als Konsequenz des unterschiedlichen Umgangs mit den Folgen der Globalisierung statt, aus der die USA dank eines atemberaubenden Investitionsbooms als der klare Sieger hervorgegangen sind. Europa und Amerika unterscheiden sich strukturell mehr denn je: Die weniger restriktive Geldpolitik, der geringere Aktienbesitz europäischer Verbraucher, der daher hier nicht so stark auf das Konsumverhalten durchschlägt wie in den USA, die geringere Verschuldung, die derzeit mehr Spielraum für Steuersenkungen lässt - all dies sind Ausflüsse unterschiedlicher Ordnungspolitiken, nach denen die USA und die Europäer ihre Wirtschafts- und Sozialsysteme im globalen Wettbewerb organisieren. Wer dabei den Erfolg auf seiner Seite sieht, erhebt - wie Washington - nicht nur den Anspruch auf Alleingänge im nationalen Interesse, sondern auch auf Durchsetzung der eigenen Philosophie.

Deutlich wird dies auch im Zusammenhang mit der Außenwirtschaftspolitik des Landes. Die derzeitigen Diskussionen auf beiden Seiten des Atlantiks kreisen hier um Fragen nach der amerikanischer Dominanz des IWF und der Weltbank, freiem versus geregeltem Kapitalverkehr, festen oder flexiblen Wechselkursen, Dollarisierung bzw. Schaffung von Abhängigkeiten durch ungezügelte Kapitalflut versus nachhaltige Unterstützung der Anpassungskurse in den betroffenen Ländern, US-geprägter Globalisierung versus Anerkennung globaler wirtschaftlicher Diversität.

Nach den Anschlägen vom 11. September dürfte die Tendenz zu Alleingängen in den USA durch verschärfte Kontrollmechanismen für den internationalen Handel noch zunehmen. Unter dem Strich aber gilt, dass es auf wirtschaftspolitischer Ebene im transatlantischen Verhältnis Ebenbürtigkeit und somit einen Zwang zu kooperativem Verhalten auf beiden Seiten gibt. Europa und Amerika sind die entscheidenden Gestaltungsmächte der Weltwirtschaft, die beiden einzigen wirtschaftlichen Supermächte. Befürworter eines wirtschaftlichen "Neo-Atlantizismus" wie der Wirtschaftsexperte Fred Bergsten haben deshalb bereits die Einrichtung eines informellen G-2 Steering Committee für die Weltwirtschaft angeregt, dass sich um deren bessere Koordinierung bemüht, anstatt sich in permanenten Handelskonflikten aufzureiben. Jedenfalls liegt in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Europas Schlüssel für eine konstruktive Rolle im transatlantischen Verhältnis, die Washington auch zukünftig zu einem flexiblen Multilateralismus zwingt. In der Außen- und Sicherheitspolitik hingegen werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass Washington zwar die Notwendigkeit erkennt, in bestimmten Fällen im multilateralen Rahmen zu handeln; dies gilt für die die innere und "weiche" Sicherheit betreffenden Fragen - nicht zuletzt aus taktischen Gründen, da es nur so eine faire Lastenteilung im Bündnis einklagen kann und weil es die Öffentlichkeit mehrheitlich unverändert so wünscht. Ansonsten aber gilt für Fragen der äußeren Sicherheit ein neuer Pragmatismus, der auch von einer europakritischen Haltung gespeist wird, der jedoch vor allem Ausdruck einer veränderten Sicherheits- und Bedrohungslage nach dem 11. September ist, die es Washington angezeigt erscheinen lässt, je nachdem unilateral oder stärker im Rahmen von Ad-hoc-Bündnissen zu handeln. Insofern bestimmt Europas Gestaltungskraft in diesen Fragen mehr denn je den Grad amerikanischen Unilateralismus.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Mary Cooper, Weapons of Mass Destruction: Can the US protect itself?, in: CQ Researcher, 12 (8. März 2002) 9, S. 193-215.

  2. Vgl. Robert Kagan, Power and Weakness, in: Policy Review, 113 (June/July 2002) (http://www.policyreview.org/JUN02/kagan.html).

  3. Vgl. James A. Baker, The Politics of Diplomacy: Revolution, War and Peace 1989-1992, New York 1995, S. 605 f.

  4. Vgl. John Ikenberry, American Grand Strategy in the Age of Terror, in: Survival, 43 (Winter 2001 - 02) 4, S. 19-34.

  5. Vgl. Jeffrey Gedmin, Collecting the Anti-Terror Coalition, in: Policy Review, 109 (Okt./Nov. 2001), S. 15 ff.

  6. Vgl. David Masci, The Future of US-Russia Relations: Can the two countries become allies?, in: CQ Researcher, 12 (January 18, 2002) 2, S. 25-47.

  7. Vgl. US Department of Defense, Quadrennial Defense Review Report, Washington, September 30, 2001.

  8. Vgl. Carl Levin, A Debate Deferred: Missile Defense after the September 11 attacks, in: Arms Control Today, 31 (November 2001) 9 (http://www.armscontrol.org/act/2001_11/levinnov01.asp).

  9. Vgl. Nicole Gnesotto, Übermilitarisierung amerikanischer Außenpolitik. Unilateralismus als Folge europäischer Schwäche?, in: Internationale Politik, 57 (April 2002) 4, S. 43-48.

  10. Vgl. Zur Bush-Doktrin New York Times vom 19. September 2001.

  11. Vgl. den Text der Rede unter: (http://www.white house.gov/news/releases/2002/01/20020129 - 11.html).

  12. Vgl. Philip Gordon, NATO after 11 September, in: Survival, 43 (Winter 2001) 4, S. 89-106.

  13. Vgl. John Van Oudenaren, E Pluribus Confusio. Living with the EU"s Structural Incoherence, in: The National Interest, 65 (Fall 2001), S. 23-36.

  14. Vgl. Martin Walker, Post 9/11: The European Dimension, in: World Policy Journal, 18 (Winter 2001/2002) 4, S. 1-10.

  15. Vgl. Paul Dibb, The Future of International Coalitions: How useful? How manageable?, in: The Washington Quarterly, 25 (Spring 2002) 2, S. 131-144.

  16. Vgl. die Rede des Präsidenten vor dem Deutschen Bundestag am 23. Mai 2002, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 25. Mai 2002, S. 11.

  17. Vgl. hierzu die jüngst erschienene Studie des pakistanischen Journalisten Ahmed Rashid, Heiliger Krieg am Hindukusch. Der Kampf um Macht und Glauben in Zentralasien, München 2002.

  18. Vgl. Svante Cornell/Regine Spector, Central Asia: More than Islamic Extremists, in: The Washington Quarterly, 25 (Winter 2002) 1, S. 193-206; Augustus Richard Norton, America"s Approach to the Middle East: Legacies, Questions and Possibilities, in: Current History, 101 (January 2002) 651, S. 3-8.

  19. G. W. Bush (Anm. 11).

  20. Vgl. William Donaher/Ross DeBlois, Is the Current UN and US Policy Toward Iraq effective?, in: Parameters, 31 (Winter 2001/02) 4, S. 112-125.

  21. Vgl. Kenneth Pollack, Next Stop Bagdad?, in: Foreign Affairs, 81 (March/April 2002) 2, S. 32 ff.

  22. Vgl. New York Times vom 12. Oktober 2000; Roger Cohen, Arrogant or Humble? Bush encounters Europeans Hostility, in: International Herald Tribune vom 7. Mai 2001.

  23. Vgl. Charles Krauthammer, The New Unilateralism, in: Washington Post vom 8. Juni 2001; Robert Kagan/William Kristol, The Present Danger, in: The National Interest, 65 (Spring 2000), S. 67 ff.

  24. Vgl. Samuel Huntington, The Age of Muslim Wars, in: Newsweek, Issues 2002, Special Edition (December 2001-February 2002), S. 8 - 13.

  25. Vgl. Graham Fuller, The Future of Political Islam, in: Foreign Affairs, 81 (March/April 2002) 2, S. 48 ff.

  26. So Secretary of State Colin Powell und Secretary of Defense Donald Rumsfeld in verschieden Äußerungen, zit. in: New York Times vom 12. Oktober 2000 und vom 9. Mai 2001; vgl. auch International Herald Tribune vom 7. Mai 2001.

  27. Vgl. Stephen Walt, Beyond Bin Laden, in: International Security, 26 (Winter 2001/02) 3, S. 56 - 78.

  28. Vgl. Thom Shanker, White House says the US is Not a Loner, just Choosy, in: New York Times vom 31. Juli 2001.

  29. Vgl. James Kitfield, Pox Americana?, in: National Journal, 34 (April 2002) 14, S. 982 - 987.

  30. Vgl. Gerard Baker, Bush Heralds Era of US Self-Interest, in: International Herald Tribune vom 24. April 2001.

  31. Vgl. die Rede des Stellvertretenden Verteidigungsministers Paul Wolfowitz auf der 38. Konferenz für Sicherheitspolitik am 2. Februar 2002 in München, in: Internationale Politik, 57 (April 2002) 4, S. 99-104.

  32. Vgl. dazu Department of Defense (Anm. 7).

  33. P. Wolfowitz (Anm. 31), S. 101.

  34. N. Gnesotto (Anm. 9), S. 46.

  35. Außenminister Powell, National Public Radio Interview vom 27. Oktober 2001, zit. in: J. Ikenberry (Anm. 4), S. 27.

  36. Vgl. Joshua Muravchik, in: Commentary, (January 2000), S. 41.

  37. Vgl. Charles A. Kupchan, After Pax Americana: Benign Power, Regional Integration, and the Sources of stable Multipolarity, in: International Security, 23 (Fall 1998) 3, S. 40-79; ders., Fractured US Resolve, in: The Washington Post, Outlook Section vom 13. Juni 1999, B1, B4.

  38. Vgl. New World Coming: American Security in the 21st Century, Washington, DC: US Commission on National Security/21st Century, 1999; Roadmap for National Security: Imperative for Change, Washington, DC: Commission on National Security/21st Century, 2001.

  39. Vgl. Stefan Fröhlich, Die transatlantische Wirtschaftsgemeinschaft: Partner auf Gedeih und Verderb, in: Internationale Politik, 57 (April 2002) 4, S. 31-36.

  40. Vgl. hierzu die kritische Darstellung von Chalmers Johnson, Blowback. The Costs of the American Empire, New York 2000.

  41. Vgl. Stephen Flynn, America the Vulnerable, in: Foreign Affairs, 81 (January/February 2002) 1, S. 60 ff.

  42. Vgl. St. Fröhlich (Anm. 39).

  43. Vgl. Fred Bergsten, The Transatlantic Century, in: Washington Post vom 25. April 2002.

M.A., Dr. phil. habil., geb. 1958; Studium der Politikwissenschaft, Anglistik und Hispanistik in Bonn, Paris, Philadelphia und Washington; zurzeit Programmdirektor des Postgraduiertenkollegs "European Studies" am Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) der Universität Bonn und Privatdozent am Bonner Seminar für Politische Wissenschaft.

Anschrift: Universität Bonn, Lennéstr. 27, 53113 Bonn.
E-Mail: E-Mail Link: s.froehlich@uni-bonn.de

Veröffentlichungen u.a.: Amerikanische Geopolitik von den Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Landsberg 1998; Auf den Kanzler kommt es an. Außenpolitik in der Ära Kohl zwischen 1982 und 1989, Paderborn 2001.