Einleitung
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und das Pentagon bei Washington haben für immer den Blick der USA auf sich selbst und die Welt verändert. Der erste ernsthafte Angriff auf das amerikanische Festland, seit die Briten 1812 das Weiße Haus niederbrannten, hat die amerikanische Bevölkerung tief getroffen und zugleich geeint wie kein anderes Ereignis seit der japanischen Attacke auf die amerikanische Pazifikflotte in Pearl Harbor. Diese führte bekanntlich zum aktiven Eingreifen der USA in den Zweiten Weltkrieg. Allerdings waren Japan und die USA zu diesem Zeitpunkt bereits seit einiger Zeit auf Konfrontationskurs.
Der Terrorismus ist quasi über Nacht zur neuen großen Gefahr geworden, welche die amerikanische Sicherheitsdebatte dominiert und ohne Zweifel auch für die nächste Zeit beherrschen wird. Hatten bis zum 11. September innenpolitische Themen wie Bildungsreform und Steuersenkungen die politische Agenda der erst im Januar 2001 ins Amt gekommenen Bush-Administration bestimmt, rückten an diesem Tag schlagartig der Kampf gegen den internationalen Terrorismus und die Landesverteidigung ("homeland defense") in den Vordergrund.
Wird die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zum neuen organisatorischen Prinzip der amerikanischen Politik? Stehen wir vor einer neuen Polarisierung: Barbaren gegen die zivilisierte Welt, oder vor einem "Kampf der Kulturen", wie von Samuel Huntington prognostiziert?
In den USA zweifelt kaum jemand daran, dass die größte Bedrohung für das Land vom Terrorismus ausgeht. So sollte es nicht überraschen, dass Präsident Bush in seiner Rede vom 20. September 2001 vor beiden Häusern des Kongresses dem internationalen Terrorismus den Kampf ansagte: "Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit Al Qaida, aber er endet nicht dort. Er wird nicht enden, bevor nicht jede Terrorgruppe mit globaler Reichweite aufgespürt, aufgebracht und besiegt ist."
I. Die amerikanische "Hypermacht"
Auch wenn für die USA mit dem 11. September die "post-cold-war"-Ära zu Ende gegangen ist, wovon nicht nur Außenminister Colin Powell überzeugt ist, waren viele Entwicklungen, die heute zu beobachten sind, naturgemäß bereits in der vergangenen Dekade angelegt. Das Jahrzehnt vom Ende der Sowjetunion am 25. Dezember 1991 bis zum 11. September 2001 könnte vielleicht auch einmal analog zu der Zeit zwischen 1919 und 1939 als "Zwischenkriegszeit" in die Geschichte eingehen.
Als mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem Zusammenbruch der Sowjetunion Ende 1991 der Kalte Krieg zu Ende ging, standen die USA im Zenit ihrer Macht. Weit und breit war kein militärischer und ökonomischer Rivale in Sicht. Auch kulturell übten die USA weltweit eine einzigartige Anziehungskraft aus. Der Golfkrieg zu Beginn der neunziger Jahre war ein überwältigender Erfolg, und der Kosovo-Krieg gegen Serbien wurde ohne jegliche eigene Verluste gewonnen. In jedem Jahr seit 1992 haben die USA allein mehr als 35 Prozent der weltweiten Militärausgaben getätigt. Damit war der US-Verteidigungshaushalt größer als die Militärhaushalte der nächsten sechs Staaten zusammengenommen - und vier dieser Staaten waren zudem enge US-Alliierte. Es gab auch keinen Grund, von einem bevorstehenden Zusammenstoß mit dem wirtschaftlich erfolgreichen und politisch aufstrebenden China auszugehen, solange das Taiwanproblem unter Kontrolle gehalten wurde.
Zudem war das vergangene Jahrzehnt in den USA durch einen beispiellosen Wirtschaftsboom geprägt, während zugleich die Idee eines "pazifischen Jahrhunderts" und die ökonomische Herausforderung durch Japan auf der Basis einer angeblich effizienteren Form des Kapitalismus in sich zusammenbrachen.
Mit dem Untergang des Kommunismus fiel auch die einzige alternative Ideologie der Modernisierung weg. Westlich definierte moderne, kleinbürgerlich-kapitalistische und demokratische Werte schienen unaufhaltsam,
Zu Beginn des neuen Jahrtausends schienen die USA endgültig zum neuen Rom aufgestiegen zu sein: unbezwingbar und unverwundbar. Für den französischen Außenminister Vedrine waren die USA zu Beginn des neuen Jahrtausends zur "Hypermacht"
II. Neuorientierung der US-Außenpolitik
Die Ereignisse vom 11. September haben der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik eine neue, eindeutige Richtung und "Mission"
Der offizielle Bericht einer von zwei prominenten, ehemaligen Senatoren geleiteten Kommission hatte 1999 davor gewarnt, dass Amerikas militärische Überlegenheit die USA nicht vor einem Angriff auf das eigene Territorium bewahren könne: "Es ist wahrscheinlich", so der Bericht, "dass Amerikaner auf amerikanischem Boden sterben werden, möglicherweise in großer Zahl."
1. "Grauer Krieg"
Der Terrorismus ist für die amerikanische Außenpolitik zu einer strategischen Herausforderung geworden. Die Terrorangriffe waren u. a. Folge der tiefen Veränderungen, die insbesondere durch die Globalisierung hervorgerufen wurden. Die technologische Revolution in den Bereichen Information und Kommunikation hat in bestimmten Bereichen zu einer Machtverschiebung von Regierungen und Staaten hin zu Individuen und Gruppen geführt. Globalisierung führt damit tendenziell zur Privatisierung von Macht, und Terrorismus ist nichts anderes als die Privatisierung des Krieges.
Präsident Bush hat zurecht davor gewarnt, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus lang, oftmals nicht wahrnehmbar und ohne klares Ende sein werde. Weder die USA, deren militärische Überlegenheit ohne historische Parallele ist, noch die NATO waren (und sind) in der Lage, derartige Angriffe abzuschrecken, weil die Attentäter keine Furcht um ihr Land haben mussten. Ein massiver Vergeltungsschlag ist geradezu Teil ihrer Strategie. In der Auseinandersetzung mit dem Terror gibt es kein Gleichgewicht des Schreckens. Es gibt ein Ungleichgewicht des Terrors, das sich allein militärisch nicht ausgleichen lässt. Die Terroristen haben Instrumente der offenen Gesellschaft gegen sie gekehrt und mit einer hohen logistischen Effizienz das World Trade Center und Teile des Pentagons als Symbole amerikanischer und westlicher Macht zerstören können.
War der Kalte Krieg durch das Gegeneinander zweier konventionell und nuklear hochgerüsteter Blöcke gekennzeichnet, ist der "Graue Krieg" ein heißer und vor allem asymmetrischer Krieg ohne Fronten, Armeen und Regeln. Hier stehen sich einerseits die hochgerüsteten USA bzw. der Westen und ein Gegner gegenüber, der nur schemenhaft bekannt und lokalisierbar ist. Seine Stärken erwachsen aus den Schwächen des Westens und seiner offenen Gesellschaft. Er zielt auf Zerstörung und würde auch vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen nicht zurückschrecken, sollte er ihrer habhaft werden. Dennoch versucht er seine Ziele nicht allein durch die Taten selbst, sondern durch die Reaktionen der anderen Seite darauf zu erzielen (z. B. den Abzug der amerikanischen Truppen aus Saudi Arabien).
Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus wird unterschiedliche Phasen durchlaufen mit verschiedenen, möglicherweise wechselnden Frontstellungen. Zuallererst und neu für die USA hat die Bush-Administration damit begonnen, eine robuste Landesverteidigung ("homeland defense") aufzubauen. Dieses wird erhebliche finanzielle Ressourcen und Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Neben Investitionen in militärischer "hardware" zur Erhaltung der technologischen Überlegenheit werden klassische, aber bisher vernachlässigte Aufgaben des Zivilschutzes treten. Neben der Raketenabwehr haben andere Bereiche wie die ABC-Gefahrenabwehr und die Eindämmung von Proliferation von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen (vor allem Raketen und Cruise Missiles) einen neuen, höheren Stellenwert erhalten.
Daneben wird auf Dauer eine breite internationale Koalition nötig sein, um die weitverzweigten terroristischen Netzwerke zerstören zu können. Eine enge Kooperation ist notwendig beim Austausch von Informationen über terroristische Aktivitäten, für eine schärfere Kontrolle von Waffen-, Technologie- und Geldflüssen; für die Isolierung von Staaten, die Terroristen unterstützen oder dulden, sowie für militärische Aktionen.
Im "Grauen Krieg" kommt es aber noch mehr als im Kalten Krieg auf die Stabilisierung der inneren Verhältnisse an, um die Brutstätten des Terrorismus zu isolieren und auszumerzen. Dazu gehören verstärkte Anstrengungen, um weltweit, und insbesondere im Nahen Osten, Lösungen für die dortigen Konflikte zu finden. Ganz generell gehört dazu auch die Förderung von Demokratie und Entwicklung insbesondere in Regionen wie Zentralasien, großen Teilen der arabischen Welt und Nordafrika, wo Unterdrückung, Armut und eine gescheiterte Modernisierung die Stabilität untergraben.
2. Von der "Truman-" zur "Bush-Doktrin"
Ein Erdbeben der Stärke des 11. September ist in der Lage, die tektonischen Platten der internationalen Politik zu verschieben. Seit dem Untergang der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges ist das internationale System in Bewegung. Die von Präsident Bush Senior Anfang der neunziger Jahre verkündete neue Weltordnung gibt es noch nicht. Der 11. September könnte allerdings zu einem Ende dieses Transformationsprozesses führen. Einiges spricht dafür, dass wir uns nicht nur in einer Zeit neuer großer Gefahren befinden, sondern auch in einer neuen historischen Epoche, welche die Zukunft maßgeblich formen wird - vergleichbar etwa mit den Jahren 1945 bis 1947, als es unter amerikanischer Führung gelang, eine Reihe von ehemals totalitären Staaten dauerhaft im freien und demokratischen Westen zu verankern. Darunter die beiden Hauptgegner der USA während des Zweiten Weltkriegs: Deutschland und Japan.
Es gibt deutliche Anzeichen für einen Paradigmenwechsel, vergleichbar mit dem Beginn des Kalten Krieges Ende der vierziger Jahre. Diese Fokussierung der amerikanischen Außenpolitik auf den Kampf gegen die Sowjetunion führte zu den Allianzen, die wie die NATO in Europa sowie ANZUS
Der Kalte Krieg begann langsam und kaum wahrnehmbar für die breitere Öffentlichkeit, als Präsident Truman im März 1947 seine historische Rede vor beiden Häusern des Kongresses hielt. Weder US-Truppen in Übersee geschweige denn das amerikanische Festland waren Ziel eines Angriffs gewesen. Auf der politischen Agenda standen die Demobilisierung nach dem Krieg und das Bemühen, eine Entwicklung, wie sie in den zwanziger Jahren zur Weltwirtschaftskrise geführt hatte, zu verhindern.
Der "Graue Krieg" hingegen begann mit einem katastrophalen Angriff. Anders als Harry Truman musste Präsident Bush die amerikanische Bevölkerung nicht mühselig auf die neue Herausforderung einstimmen. Er stand unter dem öffentlichen Druck, und nicht nur der notorischen Falken, die De-facto-Kriegserklärung der Terroristen anzunehmen. Einiges deutet darauf hin, dass nunmehr der Kampf gegen den Terrorismus zum neuen organisatorischen Prinzip der amerikanischen Politik wird.
Ähnlich dem jahrzehntelangen Kampf gegen den expansiven sowjetischen Kommunismus dürfte auch der bevorstehende Kampf eine langwierige und komplexe Auseinandersetzung werden, ohne klare Vorstellung davon, wie dieser Kampf gewonnen werden kann. Militärisch erfolgreiche Operationen wie in Afghanistan können nicht mehr als Etappensiege sein, da sich allein das Terrornetzwerk von Osama Bin Laden über mehrere Kontinente erstreckt und davon ausgegangen werden muss, dass andere, sollten er und seine Gruppe eliminiert werden, sein blutiges Erbe antreten werden.
Ähnlich Truman stand und steht Präsident Bush vor der Herausforderung, dauerhaft die Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung für einen Konflikt von unbekannter Dauer, Kosten und Risiken zu mobilisieren. Auch heute ist der Gegner weitgehend abstrakt: Terrorismus anstelle von Kommunismus. Wie zu Beginn des Kalten Krieges wurde zunächst der mühevolle, aber erfolgreiche Versuch unternommen, eine breite internationale Koalition gegen den Terrorismus zu schmieden. Wie Präsident Truman 1947 vor dem Kongress zur "Unterstützung von freiheitsliebenden Völkern gegen ihre Unterdrückung durch bewaffnete Minderheiten und gegen äußeren Druck" aufrief und damit die containment-Strategie gegen den sowjetischen Kommunismus ankündigte, so forderte Präsident Bush an gleicher Stätte die Welt auf, gemeinsam mit den USA den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, was von einigen schon zur "Bush-Doktrin" erhoben wurde.
Die neue Doktrin besteht aus folgenden Schlüsselelementen:
- Ziel ist die Bekämpfung des Terrorismus - nicht eine Religion oder Ideologie.
- Der Terrorismus wird als international, nicht nur als transnational definiert, d. h. Terroristen werden mit spezifischen Staaten in Verbindung gebracht, von denen sie Unterstützung oder Unterschlupf erhalten.
- Die Front verläuft überall, im In- wie im Ausland ("homeland-defense" erhält einen hohen Stellenwert).
- Alle Staaten erhalten die strategische Wahl: "either with us, or with the terrorists"
Damit wird auch den Staaten, die nicht zu den US-Alliierten gehören, die Chance gegeben, sich in die Koalition gegen den Terror einzureihen - einschließlich der Staaten, die - wie z. B. Pakistan - in der Vergangenheit Terrorismus begünstigt haben.
Noch am Tag der Anschläge wandte sich die amerikanische Regierung an die Vereinten Nationen und die NATO, um sich der internationalen Solidarität zu versichern. Schon am 12. September beschlossen der VN-Sicherheitsrat wie auch die Generalversammlung entsprechende Resolutionen, und die NATO stellte erstmals in ihrer Geschichte den Bündnisfall fest. Die Attacken wurden zum Angriff gegen die USA im Sinne von Artikel 5 des NATO-Vertrages erklärt. Damit wurde auch der Kampf gegen den internationalen Terrorismus mit der sicherheitspolitischen Bedrohung in Beziehung gebracht, für welche die NATO ursprünglich gegründet worden war.
III. Innenpolitische Auswirkungen
1. Sicherheit versus Freiheit?
Der neue "Graue Krieg" führt wie der Kalte Krieg auch zu neuen Frontlinien im Innern der vom Terrorismus bedrohten Gesellschaften. Nicht nur die globalen Märkte und grenzüberschreitende Aktivitäten werden als Gefahrenquellen ausgemacht, sondern auch Geldströme und die moderne Kommunikation, welche die Attentäter des 11. September für ihre atavistischen Ziele genutzt haben. Angesichts des drastisch veränderten innenpolitischen Klimas und der damit zu begründenden Bereitschaft einer großen Mehrheit des US-Kongresses, der Exekutive in Rekordzeit und ohne übliche Ausschussanhörungen weitgehende Vollmachten zur Terrorbekämpfung einzuräumen, sieht nicht nur das rechts-liberale ("libertäre") Cato-Institut eine Gefährdung der bürgerlichen Freiheitsrechte und einen Angriff auf die Verfassung.
2. Primat der Außen- und Sicherheitspolitik
Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik immer stärker "domestiziert". 1992 gewann Bill Clinton die Präsidentschaftswahlen gegen den Außenpolitiker Bush auf der Basis einer ausschließlich innen- und wirtschaftspolitischen Agenda ("It's the economy, stupid"), und in der Folgezeit gelang es dem Kongress und einigen Abgeordneten immer häufiger, der US-Außenpolitik ihren individuellen innenpolitischen Stempel aufzudrücken. Nationale Interessen hatten immer öfter das Nachsehen gegenüber Partikularinteressen. So bestimmte eine kleine Gruppe religiös-konservativer Abgeordneter die amerikanische Politik gegenüber dem Sudan, ein Abgeordneter aus Florida die Politik gegenüber Kuba und ein dritter aus Kalifornien die Politik gegenüber Armenien. In Abwesenheit eines wirklichen öffentlichen Interesses an Außenpolitik und in Ermangelung eines nationalen Konsenses über außenpolitische Ziele wurde diese "Privatisierung" großer Teile der US-Außenpolitik durch spezifische Interessen von Abgeordneten, Wirtschaftslobbyisten oder Ideologen unterschiedlicher Couleur möglich. Dieses wurde insbesondere an der US-Sanktionspolitik deutlich: Die Hälfte der über 120 unilateralen Sanktionen, die von den USA seit dem Ersten Weltkrieg verhängt wurden, wurden zwischen 1993 und 1998 vom Kongress beschlossen.
Seit dem 11. September ist nun ein gewisser Rückzug des Kongresses aus der Außenpolitik und ihre "Re-Nationalisierung" zu beobachten. So hat der Kongress noch im Herbst ein Freihandelsabkommen mit Jordanien, einem wichtigen Verbündeten der USA im Nahen Osten, gebilligt, das über ein Jahr lang im Senat blockiert worden war. Das Repräsentantenhaus beeilte sich, den Weg freizumachen, um längst fällige Altschulden der USA an die Vereinten Nationen zu begleichen. Diese Renationalisierung der amerikanischen Außenpolitik ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich ein umfassender Paradigmenwechsel ankündigt. Das Pendel der Macht, das sich in den letzten zehn Jahren in Richtung Kongress bewegt hatte, schlägt wieder in Richtung Administration zurück. Nach jahrelangen Kürzungen hat Präsident Bush eine signifikante Erhöhung der Budgetmittel für Entwicklungs- und andere Auslandshilfe angekündigt. Die außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen werden wieder im Weißen Haus, im Außenministerium und im Pentagon getroffen. Der für den Kalten Krieg charakteristische Primat der Außen- und Sicherheitspolitik scheint auch für den "Grauen Krieg" gültig zu sein. Der Präsident ist in Krisen- und Kriegszeiten am stärksten, wie schon Alexander Hamilton, einer der Gründerväter der USA, feststellte: "It is of the nature of war to increase the executive of the expense of the legislative authority."
Während die überparteiliche Kooperation der ersten Wochen nach dem Anschlag in Anbetracht der diesjährigen Kongresswahlen nicht lange angehalten hat, gibt es nach wie vor einen parteiübergreifenden Konsens hinsichtlich der Außen- und Sicherheitspolitik. Angesichts der nach wie vor hohen Popularität des Präsidenten und der hohen Zustimmungsraten für seine Außenpolitik beschränkt sich die Opposition darauf, ihn mit innenpolitischen Themen anzugreifen.
IV. Eine neue globale "Heilige Allianz" gegen den Terror?
In seiner "State of the Union"-Rede vom 29. Januar 2002 erklärte Präsident Bush: "Eine gemeinsame Gefahr lässt alte Rivalitäten verschwinden. Amerika arbeitet mit Russland, China und Indien zusammen wie nie zuvor." Nach dem 11. September gelang es den USA sehr schnell, eine breite und heterogene Koalition gegen den internationalen Terrorismus zu schmieden. Nie zuvor in der Weltgeschichte haben sich so viele Länder gegen eine gemeinsame Bedrohung zusammengefunden. Aber es ist in erster Linie eine Koalition von Staaten zum Schutz von Staaten. Sie richtet sich gegen Terroristen, die von einigen ihrer Mitglieder als Revolutionäre bzw. Separatisten verstanden werden.
Erinnerungen an die antirevolutionäre Heilige Allianz von 1815 werden wach, mit der die konservativen Mächte Europas - angeführt vom Österreicher Fürst Metternich und Zar Nikolaus I von Russland - ein Bollwerk gegen den revolutionären Geist der Zeit zu errichten trachteten, der nach der Französischen Revolution weite Teile Europas in Aufruhr versetzt hatte. Die Koalition gegen den Terrorismus ist auch eine Polizei-Koalition, der gegenseitige Informationsaustausch ein wichtiges Element. Sie richtet sich wie die Allianz von 1815 nicht gegen Staaten, es sei denn, diese unterstützen den (internationalen) Terrorismus.
Wie in Zeiten des Kalten Krieges haben einige Mitglieder insbesondere auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion bereits damit begonnen, ihre Mitgliedschaft in der Koalition als "carte blanche" zur Unterdrückung islamistischer und anderer Oppositionsgruppen zu betrachten.
Die Bush-Administration ist sich dieser Gefahr durchaus bewusst. So umschreibt Präsident Bush seine Vision für eine neue Weltordnung als "balance of power that favors freedom". Und seine nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sieht eine Weltordnung, die nicht von Großmachtrivalitäten geprägt ist, sondern in der gemeinsame Interessen das Interesse an Konflikten zurückdrängen: "Der 11. September und die Zeit danach haben die fundamentale Spaltung zwischen den Mächten des Chaos und den Mächten der Ordnung sichtbar gemacht. Und alle großen Mächte der Welt stehen eindeutig auf der selben Seite dieser Trennungslinie. Und sie handeln danach."
Eine Koalition ist zwar eine Kooperation auf Zeit, keine dauerhafte Allianz, doch dürfte die einigende Gefahr so bald nicht gebannt werden. Die USA dürften auch abwägen, ob sie die einmalige Kooperation aller großen Mächte und die damit verbundene beachtliche Reduktion von Spannungen insbesondere im Verhältnis zu Russland und China durch unbedachte und unabgestimmte Aktionen gegen den Irak aufs Spiel setzen wollen.
1. Europa: Der verlässliche, aber kritische Partner
Das Ende des Sowjetkommunismus und des Kalten Krieges, eine dank fortschreitender Integration selbstbewusstere EU sowie innenpolitische Veränderungen in den USA hatten in den neunziger Jahren die transatlantischen Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung vieler unterhöhlt. Der 11. September und die folgende europaweite Solidarität, die in den USA mit Dankbarkeit zur Kenntnis genommen wurde, zeigt, dass das transatlantische Fundament noch intakt ist.
Die in den ersten acht Monaten ihrer Amtszeit zum Unilateralismus neigende Bush-Administration hat inzwischen erkannt, dass auch die einzig verbliebene Supermacht angesichts der neuen Gefahren die enge Kooperation ihrer Partner braucht. Die neue Formel lautet allerdings: Multilateralismus à la carte - Kooperation nur da wo nötig und nicht, wie während der Clinton-Administration, da wo möglich. Allerdings bietet nur der euroatlantische Raum der amerikanischen Weltmacht eine solide Basis für ihre Politik und Strategie der internationalen Krisen- und Konfliktbeherrschung. Die Erwartung der Amerikaner an die Europäer ist heute nicht geringer, als während des Kalten Krieges - und umgekehrt. Europäische Kritik wird natürlich nicht von allen in Washington begrüßt. Es gibt gleichwohl eine beachtliche Zahl von Stimmen, auch aus dem Umfeld der Republikaner, die auf Europa als wichtiges Korrektiv amerikanischer Außenpolitik setzen. Je stärker Europa dabei mit einer Stimme spricht und den Worten Taten folgen lässt, desto stärker wird es auch wieder wahr- und ernstgenommen. Die transatlantische Gemeinschaft, symbolisiert auch durch die NATO, ist trotz aller Unkenrufe so vital, dass sie aus den geopolitischen Verschiebungen, die dem Paradigmenwechsel folgen werden, erneut als konstante Größe für die amerikanische und europäische Außen- und Sicherheitspolitik hervorgehen wird.
2. Russland: Der neue Partner
Der 11. September hat die Möglichkeit einer strategischen russisch-amerikanischen Annäherung und einer dauerhaften Verankerung Russlands im Westen eröffnet. Zum ersten Mal stehen die USA, Russland und Europa auf der gleichen Seite gegen eine gemeinsame Bedrohung. Die USA haben erkannt, dass Russland in der Lage ist, weit über den Afghanistan-Krieg hinaus einen substanziellen Beitrag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu leisten. Die Gründung einer dauerhaften strategischen Koalition von Vancouver bis Wladiwostok - eine Vision des letzten sowjetischen Präsidenten Michael Gorbatschow - erscheint möglich.
Allerdings mahnen die Erfahrungen der vergangenen Dekade zur Vorsicht. Fehlende Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten kann sehr schnell zu Rückschlägen führen. Nachdem die Sowjetunion mit dem Westen bei der Wiedervereinigung Deutschlands und Europas sowie im Golf-Krieg kooperierte, führte die erste Runde der NATO-Osterweiterung und die geringer als erwartete und vielfach erfolglose wirtschaftliche Unterstützung zu einer erneuten Entfremdung Russlands vom Westen, die während des Kosovokonflikts und während des russischen Krieges in Tschetschenien noch verstärkt wurde.
3. Indien: Der zukünftige Partner
Die demographisch größte Demokratie der Welt und die demokratische Führungsmacht des Westens hatten bis weit in die achtziger Jahre hinein ein sehr schwieriges, von Misstrauen und Vernachlässigung ("neglect") geprägtes Verhältnis zu einander.
Südasien wird auch nach einer Beendigung der amerikanischen Militäraktionen in Afghanistan prominent auf der außen- und sicherheitspolitischen Agenda Washingtons bleiben. Die Annäherung an Indien dürfte sich weiter vertiefen. Die Divergenzen zwischen Washington und Delhi über Pakistan, Kashmir und die Bekämpfung des Terrorismus werden allerdings sobald nicht auszuräumen sein. Es kann aber mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die USA auch in Zukunft an der von der Clinton-Administration initiierten "India-first"-Strategie festhalten werden, ohne aber auf eine "India-only"-Politik einzuschwenken. Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Indischen Union stehen inzwischen auf einem soliden Fundament gemeinsamer demokratischer Werte. Sie sind geprägt durch gemeinsame Interessen in vielen Bereichen sowie wachsenden strategischen, ökonomischen, kulturellen und auch persönlichen Verbindungen zwischen beiden Ländern. Der Weg Washingtons und Delhis zu "natural allies" ist ohne Zweifel beschritten.
4. China: Der mögliche Partner
Noch im Frühjahr 2001 betrachtete die gerade ins Amt gekommene Bush-Administration China als "strategischen Konkurrenten", und die offizielle chinesische Presse kritisierte die USA als Hegemon, der den Aufstieg Chinas zu verhindern trachte. Nach dem 11. September hat sich Peking ohne Zögern in die Koalition gegen den internationalen Terrorismus eingereiht, die USA im VN-Sicherheitsrat unterstützt und - entgegen eigener Überzeugungen - der amerikanischen Intervention in Afghanistan nicht widersprochen. Peking hat Washington einschlägiges Geheimdienstmaterial zur Verfügung gestellt und Pakistan, seinen Protegé in Südasien, zur Kooperation angehalten. Während der Eskalation zwischen Indien und Pakistan, nach dem Angriff islamistischer Terroristen auf das indische Parlament in Delhi, hat Peking Islamabad zur Zurückhaltung aufgefordert, während die USA ihren Einfluss auf Indien geltend machen.
Peking braucht intakte Beziehungen zu den USA aufgrund seiner großen Abhängigkeit vom amerikanischen Markt. Eine engere Kooperation lag daher eindeutig im chinesischen Interesse, da der Einflussgewinn der USA in Asien nach dem 11. September ohnehin nicht zu verhindern war. Der Westschwenk Putins nur wenige Wochen nach der Unterzeichnung eines neuen russisch-chinesischen Freundschaftsvertrages, die starke amerikanische Präsenz in Zentralasien, die verstärkte Kooperation Washingtons mit mehreren ASEAN-Staaten und die erweiterte Rolle Japans dürften allerdings nicht nur von den Falken in Peking mit Unbehagen verfolgt werden, die fest an einer Eindämmungs- und Umzingelungspolitik Washingtons gegenüber China glauben. Trotz dieser neuen Kooperation ist es wenig wahrscheinlich, dass hieraus eine breite und dauerhafte Partnerschaft entsteht. Zu groß sind die Unterschiede in den Gesellschaftssystemen und die Rivalität der beiden in Ostasien.
V. Perspektiven: Eine neue Pax Americana?
Der Kalte Krieg führte zu einer Reihe weitsichtiger amerikanischer Politiken. Es wurden nicht nur militärische Allianzen gegen den Kommunismus geschmiedet, sondern auch die Kriegsgegner Deutschland und Japan stabilisiert und wiederaufgebaut. Mit dem beispiellosen Marshallplan wurde die Wirtschaft ganz Westeuropas wiederbelebt, der Grundstein für die (west)-europäische Integration gelegt und ein dem Kommunismus überlegenes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell geschaffen. Vieles deutet daraufhin, dass Macht und Einfluss der USA im und durch den "Grauen Krieg" noch weiter wachsen werden; ähnlich wie die globale Auseinandersetzung mit dem Kommunismus während des Kalten Krieges zu einer Ausweitung des amerikanischen Einflusses nach 1947 führte.
Der schnelle Erfolg in Afghanistan, wo mit dem Taliban-Regime zumindest der offensichtlichste Unterstützer des internationalen Terrorismus von der Macht verdrängt wurde, hat offensichtlich seinen Eindruck auf andere, bzw. potenzielle Unterstützer nicht verfehlt. Die USA verfügen heute über Militärbasen in Zentralasien, das ehemals Teil der Sowjetunion war und über wichtige Energieressourcen verfügt. Länder wie Pakistan, aber auch Indonesien und die Philippinen, wurden erfolgreich von Washington dazu angehalten, stärker gegen den einheimischen militanten Islamismus vorzugehen.
Die während des Kosovo-Krieges offenbar gewordene militärtechnologische Überlegenheit der USA gegenüber dem Rest der Welt, einschließlich der ökonomisch vergleichbar starken europäischen NATO-Partner, wird als Folge des 11. September noch größer werden. So wurde der US-Verteidigungshaushalt für 2002 in Höhe von 328 Mrd. US-Dollar um weitere 36 Milliarden aufgestockt und um 48 Mrd. für 2003 - ein Anstieg von 15 Prozent und damit der größte seit 20 Jahren.
Angesichts dieses weiteren Machtzuwachses der "Hypermacht" droht die Gefahr eines sich selbst überschätzenden Triumphalismus.