Die Forschung über die Weimarer Republik hat längst einen eindrucksvollen, fast schon furchteinflößenden Umfang erreicht: über 7.200 Titel verzeichnet die Deutsche Nationalbibliothek. Neben unzähligen Studien zu einzelnen Themenkomplexen gibt es große oder kompakte Gesamtdarstellungen, in denen der erreichte Forschungsstand aufbereitet wird.
Das kann jedoch nicht geschehen. Das bedeutet nicht, dass historische Forschungsergebnisse beliebig sind; sie müssen vom Ansatz her und in der Durchführung – durch plausible Fragestellung, umfassende Erörterung aller erreichbaren Quellen und der bereits vorliegenden Literatur sowie überzeugende Schlussfolgerungen – der Überprüfung der Fachwelt standhalten. Aber Historiker und Historikerinnen rekonstruieren Geschichte als Ausschnitt aus der unendlichen Fülle vergangenen Geschehens. Sie sind dabei Kinder ihrer Zeit und werden bei der Auswahl und dem Zuschnitt der Themen, bei ihren Deutungen und Urteilen unausweichlich von ihren soziokulturellen Prägungen, ihren Erfahrungen und den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Gegenwart mitbestimmt.
Die Geschichtswissenschaft ist also in der glücklichen Lage, dass ihre Arbeit niemals endet, weil jede Zeit neue Fragen stellt, andere Themen ins Zentrum rückt und die Perspektive verändert, sodass sich auch bei gesicherten Fakten die Interpretation wandeln kann. Diese Interdependenz von "Zeitgeist" und Forschungsentwicklung tritt bei der Weimarer Republik besonders klar zutage.
Ursachen für das Scheitern
Die erste deutsche Demokratie hatte nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden deutschen Staaten keinen guten Ruf: Nach der offiziellen Deutung der DDR blieb sie, weil eine echte sozialistische Revolution versäumt worden war, ein ungerechter bürgerlich-liberaler Klassenstaat. Auch in der Bundesrepublik wurde sie nicht als positives Vorbild gewürdigt, sondern galt hauptsächlich als warnendes Beispiel für Versäumnisse und Fehler, die sich nicht wiederholen durften, wenn die zweite deutsche Demokratie Erfolg haben sollte. Die Abgrenzung stand im Vordergrund: "Bonn ist nicht Weimar." Die Revolution von 1918/19 oder die Unterzeichnung der Weimarer Verfassung am 11. August 1919 gehörten deshalb nicht zu den gefeierten Jubiläen, genau wie Weimar als Erinnerungsort der Demokratie bisher in der Öffentlichkeit und in der politischen Bildung wenig Beachtung fand.
Auch die historische Erforschung der Weimarer Republik war lange von der Erinnerung an ihren Untergang nach nur 14 Jahren und die fürchterlichen Schrecken der nachfolgenden Diktatur überschattet. Schon in den ersten im Exil oder in der inneren Emigration entstandenen Studien von ehemaligen Weimarer Politikern (Frauen waren nicht unter diesen Autoren) stand die Frage nach den Gründen für ihr Scheitern im Zentrum. In den ersten rein wissenschaftlichen historischen oder politologischen Untersuchungen ging es ab Mitte der 1950er Jahre ebenfalls vor allem um die Ursachen für den Aufstieg des Nationalsozialismus und die Zerstörung der Demokratie.
Bezeichnenderweise bezog sich die erste große zeitgeschichtliche Kontroverse zwischen den Historikern Werner Conze und Karl Dietrich Bracher auf die Funktionsfähigkeit des Parteienstaates und die Rolle des Reichskanzlers Heinrich Brüning beim Übergang von der parlamentarischen Regierungsweise zum ganz und gar von den Notrechten des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg abhängigen Regime der Jahre 1930 bis 1932.
Versäumnisse in der Revolution?
Brachers Erklärung lenkte den Blick auf mögliche Versäumnisse während der Revolution. Die intensive Forschung über die Umbruchphase, die sich ab Beginn der 1960er Jahre entwickelte, stand damit von vornherein unter dem negativen Vorzeichen, verhängnisvolle Defizite zu entdecken, statt auch die positiven Neuansätze zu betonen. Die zuvor fast unbestritten herrschende These, dass es im Winter 1918/19 nur die Wahl zwischen einer Rätediktatur nach russisch-bolschewistischem Vorbild oder der Errichtung und Sicherung einer parlamentarischen Demokratie durch ein Zweckbündnis von Sozialdemokraten und konservativen Kräften gegeben habe,
Die zur Macht gelangten Sozialdemokraten waren bei den schwierigen Tagesaufgaben auf die Kompetenz der Fachleute angewiesen, aber die Fachleute brauchten auch die Arbeiter- und Soldatenräte und die SPD. Nach dem Bankrott des alten Staates, der im Krieg durch seine rücksichtslose Überforderung der militärischen, wirtschaftlichen, physischen und psychischen Kräfte des deutschen Volkes allen Kredit verloren hatte, besaßen nur die Räte noch genügend Autorität, um Anordnungen durchzusetzen. Diese gegenseitige Abhängigkeit von Unternehmern und Gewerkschaften, Behörden und Räten war der Grund für ihre pragmatische Zusammenarbeit in den Tagen des Umbruchs; sogar beim Militär fand sie regional und auf Reichsebene statt.
Auch die Frage, wieviel Widerstand eine weniger auf Ausgleich und Integration bedachte Politik im Bürgertum und bei der Landbevölkerung hervorgerufen hätte, ist weiterhin offen. Der Historiker Conan Fischer hat der vorsichtigen Politik der SPD in der Revolution ein gutes Zeugnis ausgestellt, weil ihm zufolge nur so die Stabilisierung der Republik gelingen konnte.
Kriegserfahrungen und Gewalt
Unentschiedene Forschungskontroversen gibt es auch in Bezug auf die zweite, Ende Dezember 1918 beginnende Phase der Revolution. Ihre Signatur war die Eskalation gewalttätiger politischer Konflikte zum regionalen Bürgerkrieg; soweit herrscht Einigkeit. Aber für ihr Ende werden unterschiedliche Termine zwischen Anfang Mai 1919 und März 1921 oder sogar November 1923 diskutiert. Das fürchterliche Ausmaß der Gewalt im Innern wird in jüngsten Arbeiten stark hervorgehoben.
Die Ursache für die Gewalt sehen viele Forscher und einige Forscherinnen im Anschluss an den Historiker George Mosse in der nachwirkenden Brutalisierung der Soldaten durch den Krieg.
Je mehr die Geschichtswissenschaft den mentalen und kulturellen Auswirkungen des Ersten Weltkriegs nachspürte, desto umfassender stellten sie sich dar, nicht nur in der Gewaltakzeptanz, sondern in der Auffassung der Politik als Kampf, in der Betonung militanter Männlichkeit auf Wahlplakaten, in sprachlichen Vorlieben, in der Modellierung des Sportlers nach dem Vorbild des Soldaten, in der Sehnsucht nach "Volksgemeinschaft" und klarer Führung, in der Freude an Uniformen und militärähnlichen Aufmärschen, kurz: in einem lagerübergreifenden "bellizistischen", am Krieg orientierten Grundkonsens (Bergien) oder noch weitergehend: in einer durchgreifenden Militarisierung der gesamten Gesellschaft und politischen Kultur der Weimarer Republik (Fritzsche).
Diese Zuspitzung ist allerdings auf entschiedenen Widerspruch gestoßen. Von den rund acht Millionen ehemaligen Soldaten schloss sich nur ein kleiner Teil den paramilitärischen Organisationen an; die meisten zogen ziviles Leben und Denken durchaus vor. Die größten Kriegsopferverbände standen der Sozialdemokratie nahe und waren pazifistisch eingestellt. Der Gefallenenkult der Republikaner kam ohne Revanchegedanken aus und unterschied sich inhaltlich deutlich vom Gedenken der Nationalkonservativen und Rechtsradikalen. Der zum Schutz der Republik gegründete Wehrverband "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold", mindestens dreimal so groß wie der rechte "Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten", übernahm von den Konkurrenten zwar die militärische Propagandaform der Parade in Uniform, aber das geschah eher widerwillig, um ihnen nicht die Straße zu überlassen. Der Kampf um den öffentlichen Raum forderte am Ende der Weimarer Republik wieder einige hundert Tote; aber es war kein Bürgerkrieg wie in den Jahren 1919 bis 1921 mit mehreren Tausend Toten.
Währungs- und Wirtschaftskrisen
Zur Forschung gehören die Korrektur von Thesen und für sicher gehaltenen Erkenntnissen wie auch die oft daraus resultierenden Debatten. Zwei wichtige Kontroversen seien noch erwähnt.
Die sich anfangs langsam und dann immer rasanter beschleunigende Inflation der Jahre 1918 bis 1923 wurde von Historikern und Historikerinnen lange zu den fatalen, die Weimarer Republik destabilisierenden Entwicklungen gerechnet. Dagegen betonten Wirtschaftswissenschaftler die günstigen Auswirkungen der Geldentwertung für den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach dem Krieg und ihre Wiedereingliederung in die Weltwirtschaft. Angesichts der verheerenden sozialen, sozialpsychischen und politischen Folgen des Währungschaos fiel es der historischen Zunft schwer, dieses Argument zu akzeptieren. Inzwischen scheint sich eine vermittelnde Sicht durchzusetzen: Bis zum Beginn der Hyperinflation im Juli 1922 überwogen die günstigen Effekte; dann aber brachte das Währungsversagen Wirtschaft, Staat und Gesellschaft an den Rand des Zusammenbruchs.
Die andere Kontroverse entwickelte sich in den 1980er Jahren und betraf wieder, wie dreißig Jahre zuvor der Conze/Bracher-Disput, unmittelbar das Scheitern der Weimarer Republik. Von der Geschichtswissenschaft war Brünings harte Spar- und Deflationspolitik zunächst für sachgerecht und mutig gehalten worden; dann aber hatte sie sich die völlig andere Bewertung der keynesianischen Schule der Wirtschaftswissenschaft zu eigen gemacht, dass diese Politik durch ihre verheerenden prozyklischen Wirkungen Deutschland tiefer in die Wirtschaftskrise gestoßen, viele Menschen in Elend, Verzweiflung und politischen Radikalismus getrieben und so zum Untergang der Republik beigetragen habe.
Ein Konsens schien erreicht, bis 1979 ein anderer Wirtschaftshistoriker, Knut Borchardt, widersprach und in den folgenden Jahren zusammen mit seinen Schülern in zahlreichen Arbeiten die These untermauerte: Wegen der schlechten Finanzlage des Staates, des überhöhten Lohnniveaus, der Beschränkung der geldpolitischen Souveränität durch die Reparationspflichten, wegen wirtschaftstheoretischer Defizite und der verbreiteten Inflationsfurcht der Deutschen sei Brünings Politik die einzig mögliche gewesen.
Krise der Moderne?
Die unvereinbaren Meinungen blieben nebeneinander stehen. Auch andere offene Fragen wurden nicht geklärt; es gab und gibt weiterhin große Wissenslücken, einige sind in meinem Buch von 2008 genannt.
Kultur wird dabei im weitesten Sinn als Gesamtheit der kreativen Leistungen einer Gesellschaft verstanden: Neben den Hervorbringungen der "Hochkultur" und der "Massenkultur" umfasst sie auch die intellektuelle, mentale und emotionale Verarbeitung von Erfahrungen, ihre sprachliche und bildhafte Präsentation, Werte, Symbole und Mythen, kurz: die subjektive Wahrnehmung und Deutung von Zeit und Umwelt. Die untersuchten Fragen entsprechen zum Teil der im Anschluss an die französische Annales-Schule entwickelten "Mentalitätsgeschichte" der 1970er und 1980er Jahre, die das politische Verhalten von sozialen Gruppen zu verstehen versuchte. Ihre Ergebnisse werden jedoch wenig rezipiert. Das mag daran liegen, dass die Mentalitätsgeschichte gerne einzelne Regionen exemplarisch untersuchte, während die "neue Kulturgeschichte" zum großen Überblick tendiert und sogar den transnationalen Vergleich anstrebt.
Die historische Forschung neigt dazu, auf der Suche nach der Vorgeschichte und den Voraussetzungen von Entwicklungen immer weiter zurückzugehen. Bei der Analyse subjektiver Faktoren ist das in besonderem Maß der Fall. Schon die Annales-Schule hatte Mentalitäten der "longue durée", den sehr langsamen, über Epochengrenzen hinwegreichenden Wandlungen von "langer Dauer", zugerechnet. Arbeiten zur "politischen Sozialgeschichte" von gesellschaftlichen Gruppen in der Weimarer Epoche setzten deshalb bereits oft mit 1914 ein. Auch von der "neuen Kulturgeschichte" wird aus ähnlichem Grund die zeitliche Eingrenzung der Weimarer Republik sowohl bei Spezialstudien als auch bei Gesamtdarstellungen zunehmend infrage gestellt.
Meistens wird dann 1914 als Ausgangspunkt gewählt.
Die "neue Kulturgeschichte" bezieht sich bei ihren Weimar-Arbeiten sehr stark auf Detlev Peukerts Synthese von 1987. Er erprobte darin die Methode der "historischen Anthropologie",
Diese Perspektive wird in vielen kulturgeschichtlichen Detailstudien geteilt. Seit einiger Zeit gibt es aber Widerspruch: Der Haupteinwand richtet sich gegen das Krisen-Narrativ. Damit werde ein in der Zeit allgegenwärtiger Begriff als Leitfrage für die Untersuchung der Weimarer Republik übernommen und übersehen, dass er nicht die Situation selbst, sondern ihre Wahrnehmung und Deutung vor dem Hintergrund eines "enormen Erwartungsüberschusses" bezeichnete. Außerdem sei "Krise" zeitgenössisch als eine Problemlage mit offenem Ausgang verstanden worden.
Andere halten deshalb die Beschreibung Weimars als "Laboratorium der Moderne" für zutreffender.
Neue positive Deutungen
Inzwischen zeigt sich eine Tendenz, die Betrachtung der Weimarer Republik vom Ende her unter dem Aspekt der Krise und des Scheiterns nicht nur theoretisch zu verwerfen, sondern ihre Chancen und gelungenen Anstrengungen durch empirische Arbeiten zu belegen. Die 2016 in Jena errichtete Forschungsstelle Weimarer Republik hat sich in besonderer Weise diesem Bemühen verschrieben.
Nur wenige Ergebnisse können hier erwähnt werden: Die Rede von der "Demokratie ohne Demokraten" oder "Republik ohne Republikaner" erweist sich als falsch. Die neue Ordnung wurzelte in einer demokratischen Tradition; es gab 1918/19 eine verbreitete demokratische Aufbruchstimmung,
Fazit und eine Erklärung für Weimars Ende
Durch die intensive Forschung wird das Bild der Weimarer Republik immer differenzierter. Die widersprüchlichen Entwicklungen in der "gespaltenen Republik" werden noch deutlicher; aber das stellt sich nicht mehr nur als Schwäche dar, sondern lässt Chancen aufscheinen. Bei jeder neuen Sondierung tauchen auch neue Fragen auf, sodass es wenig Sinn ergibt, Desiderata aufzulisten. Nachdem die Kulturgeschichte eine Zeitlang die Forschung dominiert hat, gibt es Anzeichen, dass sich auch die Politik- und Rechtsgeschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte wieder stärker Weimar zuwenden. Biografien, die zur Zeit der Hegemonie der "Strukturgeschichte" fast verpönt waren, boomen; prominente und weniger prominente Menschen aus den verschiedensten Bereichen, darunter zunehmend auch Frauen, finden Interesse.
Eine Integration der verschiedenen Forschungsansätze zu einer neuen Gesamtdarstellung ist nicht in Sicht. In politik- und sozialgeschichtlich orientierten Studien wird die "neue Kulturgeschichte" meistens nur marginal behandelt, und bei Arbeiten dieser Forschungsrichtung kommen Staat, Wirtschaft und Soziales zu kurz.
Je stärker die günstigen Entwicklungen und unter äußerst schwierigen Bedingungen vollbrachten Leistungen der Weimarer Demokratie herausgearbeitet werden, desto brisanter wird erneut die Frage, warum sie dennoch nach 14 Jahren unterging. Ein Vergleich der schweren Krisen von 1923 und 1931/32 kann bei der Beantwortung helfen.
Sein Nachfolger Paul von Hindenburg handelte in der Weltwirtschaftskrise ab 1930 ganz anders: Er nutzte den Artikel 48 der Verfassung, um die stärkste Partei, die SPD, von der Regierung fernzuhalten und einem nur von ihm abhängigen Reichskanzler die Möglichkeit zu geben, ohne Rücksicht auf das Parlament und die wachsende Verelendung und Radikalisierung der Gesellschaft eine rigorose, krisenverschärfende Sparpolitik durchzuhalten. Das Ziel war die Revision des Versailler Vertrags und der Weimarer Verfassung.