Einleitung
Anfang des vergangenen Jahres lud der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und Fachleute zu den "Globalen Konsultationen zum internationalen Schutz" ein. Es handelte sich dabei um eine Serie von Konferenzen zum 50-jährigen Jubiläum der Arbeitsgrundlage der Organisation, der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Die Beratungen sollen im Laufe des Jahres 2002 mit einer "Agenda für den Flüchtlingsschutz" abgeschlossen werden.
Im Hintergrund der Konsultationen stand die scharfe Kritik, die einige einflussreiche Regierungen in den letzten Jahren an der GFK geäußert hatten. Sie vertraten die Auffassung, die Konvention sei überholt und biete kein geeignetes Instrumentarium für die Flüchtlingsprobleme des 21. Jahrhunderts. Ein umso bemerkenswerteres Zwischenergebnis der Konsultationen war es, dass Vertreter von 129 der insgesamt 142 Unterzeichnerstaaten der GFK und des Zusatzprotokolls von 1967 im Dezember 2001 in Genf erklärten, ihren Verpflichtungen aus der GFK umfassend und wirkungsvoll nachkommen zu wollen. Sie bestätigten zudem den UNHCR als die einzige Institution mit einem Mandat für den internationalen Schutz von Flüchtlingen und forderten alle Regierungen auf, die Zusammenarbeit mit dem UNHCR zu intensivieren. Trotz dieser politischen Unterstützung für die GFK und den UNHCR haben die bisherigen Konsultationen deutlich gemacht, dass es bei allen Akteuren eine tief gehende Verunsicherung hinsichtlich der Zukunft des Flüchtlingsschutzes im Rahmen der Vereinten Nationen (VN) gibt.
Im Folgenden werden - ausgehend von einigen Kennziffern zur derzeitigen Flüchtlingsproblematik - das System des VN-Flüchtlingsschutzes umrissen, die Entwicklung der internationalen Flüchtlingsproblematik und der Beitrag des UNHCR zu ihrer Bewältigung analysiert, die Problemfelder des internationalen Flüchtlingsschutzes aufgezeigt und einige Reformvorschläge formuliert.
I. Die weltweite Flüchtlingsproblematik in Zahlen
Ende des Jahres 2001 war der UNHCR für den Schutz oder die Versorgung von 19,8 Millionen Menschen zuständig. Darunter befanden sich 12 Millionen als Flüchtlinge anerkannte oder mit einem humanitären Bleiberecht in anderen Ländern aufgenommene Menschen, 926 000 Asylbewerber, 463 000 in ihr Heimatland zurückgekehrte und noch befristet vom UNHCR betreute Flüchtlinge, 5 Millionen Binnenflüchtlinge, also innerhalb ihres Heimatlandes vertriebene Menschen, und 240 000 zurückgekehrte Binnenflüchtlinge.
Von den weltweiten Flüchtlingen lebte Ende 2001 etwa die Hälfte in Asien, ein Viertel in Europa und ein Fünftel in Afrika. Die wichtigsten Aufnahmeländer waren Pakistan mit 2,2 Millionen, Iran mit 1,9 Millionen, Deutschland mit 900 000 und Tansania mit 670 000 Flüchtlingen. Dabei handelte es sich vor allem um afghanische (3,8 Millionen), burundische (550 000) und irakische (530 000) Flüchtlinge. Insgesamt wurde etwa eine Hälfte der 12 Millionen Flüchtlinge vom UNHCR rechtlich betreut und die andere Hälfte materiell versorgt, wobei in Asien und Afrika 70 Prozent, in Amerika 46 Prozent und in Europa 19 Prozent der Flüchtlinge materiell unterstützt wurden. Im Jahr 2001 gab es etwa 600 000 neue Flüchtlinge, 380 000 Flüchtlinge kehrten freiwillig in ihre Heimatländer zurück, und 35 000 Flüchtlinge wurden in anderen Ländern angesiedelt.
Zwei miteinander verbundene Trends kennzeichnen die mittelfristige Entwicklung der Fluchtbewegungen: Während die Zahl der Flüchtlinge seit dem historischen Höchststand von 18 Millionen Menschen im Jahr 1992 deutlich abgenommen hat, ist die Zahl der Binnenvertriebenen stark gestiegen. Derzeit leben von den weltweit 25 Millionen geschätzten Binnenflüchtlingen in Afrika 10, in Asien und Europa 5 und in Amerika 2 Millionen Menschen.
II. Die Akteure des internationalen Flüchtlingsschutzes
Die VN sind der wichtigste Akteur des internationalen Flüchtlingsschutzes, und viele ihrer Sonderorganisationen, Spezialorgane, Programme, funktionalen Kommissionen und Vertragsorgane sind in diesem Bereich tätig. Sie leisten Beiträge zur Frühwarnung, Prävention und zur Nothilfe bei Massenfluchtbewegungen, zur langfristigen Hilfe, zum Flüchtlingsschutz und zur Konfliktnachbearbeitung.
Neben dem UNHCR, dessen Entwicklung unten ausführlicher beschrieben wird, sind vor allem das "Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten" (OCHA), der Hochkommissar für Menschenrechte (UNHCHR), das VN-Entwicklungsprogramm (UNDP), das Kinderhilfswerk (UNICEF), das Welternährungsprogramm (WFP) und das Department for Peace-Keeping Operations (DPKO) für Flüchtlinge und Vertriebene zuständig.
Das 1997 aus dem Department of Humanitarian Affairs (DHA) hervorgegangene OCHA steht unter der Leitung des Untergeneralsekretärs für humanitäre Angelegenheiten, der gleichzeitig Nothilfekoordinator (Emergency Relief Coordinator, ERC) und Vorsitzender des alle wichtigen humanitären Organisationen umfassenden Interagency Standing Committee (IASC) ist. Ein wichtiges Arbeitsmittel von OCHA ist der "Consolidated Appeal for Emergencies", bei dem es sich um einen jährlichen gemeinsamen Aufruf zur Finanzierung von Hilfen für die jeweils wichtigsten humanitären Katastrophen handelt. OCHA und ERC werden durch humanitäre Koordinatoren unterstützt, die in einer Reihe von Ländern dauerhaft anwesend sind.
Im Dezember 1993 wurde das Amt des UNHCHR eingerichtet. Die Aufgabe des Hochkommissars, die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen und ihre Entwicklung zu fördern, bezieht sich auch auf Flüchtlinge und Vertriebene. Das Amt, dem seit 1997 Mary Robinson vorsteht, unterstützt die Arbeit des 1992 ernannten Beauftragten des VN-Generalsekretärs für Binnenflüchtlinge. Dessen Aufgaben bestehen in der Beobachtung von Binnenfluchtbewegungen, in der Vorbereitung von Hilfsoperationen durch Verhandlungen mit den Regierungen der betreffenden Länder und in der Entwicklung allgemeiner Prinzipien und Rechtsgrundlagen zum Schutz der Vertriebenen. Der derzeitige Beauftragte, Francis M. Deng, hat inzwischen erste "Guiding Principles on Internal Displacement"
UNDP steuert und koordiniert weltweit Entwicklungsprojekte und ist in den meisten Entwicklungsländern mit eigenen Büros vertreten, deren Leiter häufig als "Resident Representatives" die Arbeit anderer VN-Organisationen in dem betreffenden Land koordinieren. UNDP ist in zahlreichen Flüchtlingskatastrophen aktiv und trägt mit seinen Maßnahmen zum Wiederaufbau von Infrastruktur, zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Armutsbekämpfung und damit zur langfristigen Bewältigung von Flüchtlingskrisen bei.
Das Mandat von UNICEF erstreckt sich seit 1992 auch auf die Nothilfe für geflüchtete und vertriebene Kinder und Frauen, die in vielen Flüchtlingssituationen zu den am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen gehören. Neben zahlreichen Initiativen zur Verbesserung ihres rechtlichen Schutzes ist UNICEF auch als operative Nothilfeorganisation tätig.
Das WFP hat in Bezug auf Flüchtlingskrisen die Aufgabe, Nahrungsmittel zu liefern, die Ernährungssituation der Flüchtlinge zu verbessern und deren Fähigkeiten zur Überlebenssicherung u. a. durch die Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsprogrammen zu verbessern.
Im letzten Jahrzehnt hat das DPKO, das im VN-Sekretariat für die Planung und Durchführung von Friedensmissionen zuständig ist, an Bedeutung für die Koordinierung der humanitären Hilfe in Massenfluchtsituationen gewonnen. Angesichts der gewachsenen Komplexität von Flüchtlingskatastrophen und des größeren Umfangs der Hilfsoperationen ist die Zusammenarbeit der Hilfsorganisationen mit militärischen Institutionen immer wichtiger geworden.
Neben den genannten sind noch viele andere internationale Organisationen in der Flüchtlingshilfe aktiv, beispielsweise die International Organisation for Migration (IOM), die im Auftrag von Regierungen unter anderem Repatriierungshilfe leistet, das Internationale Rote Kreuz, das Nothilfe insbesondere in komplexen humanitären Katastrophen leistet und durch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) völkerrechtliche Standards zum Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten entwickelt hat. Wichtige Akteure sind auch regionale Organisationen wie die EU, die inzwischen zu einem der wichtigsten Geldgeber in der internationalen humanitären Hilfe geworden ist und mit dem Amt für Humanitäre Hilfe (ECHO) eine entsprechende Verwaltung aufgebaut hat, oder die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), die zur politischen Lösung von Flüchtlingskrisen und zur Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs beigetragen hat, sowie viele internationale Nichtregierungsorganisationen (NRO), die humanitäre Hilfe in Flüchtlingskrisen leisten, wie etwa Médecins sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen).
III. Die internationale Flüchtlingsproblematik und der UNHCR
Innerhalb des VN-Flüchtlingsschutzes spielt der UNHCR die wichtigste Rolle. Bei seiner Gründung konnten die Staaten auf fast 30-jährige Erfahrungen mit internationalen Zuständigkeiten für die Flüchtlingshilfe aufbauen.
Der UNHCR wurde im Dezember 1949 zunächst nur für drei Jahre eingerichtet. Er sollte lediglich eine administrative Grundfinanzierung durch die VN erhalten und seine Arbeit ansonsten durch freiwillige Zuwendungen der Staaten finanzieren. Sein Mandat wurde als "unpolitisch und humanitär" definiert, ohne dass präzisiert wurde, was darunter zu verstehen ist. Zeitgleich wurde das VN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNWRA) gegründet, das sich um die bei der Gründung des israelischen Staates aus ihrer Heimat vertriebenen Palästinenser kümmern und in ihren Gebieten Entwicklungsprojekte durchführen sollte.
Sowohl die Statuten des UNHCR als auch die im Juli 1951 verabschiedete und 1954 in Kraft getretene GFK waren auf den zentralen Begriff der "individuellen Verfolgung" ausgerichtet. Diese von den westlichen Staaten durchgesetzte Definition des Flüchtlings war eine politische Festlegung, die sowohl die Verfolgungen während des Zweiten Weltkrieges als auch den Ost-West-Konflikt reflektierte: Unter diese Definition fielen politische Flüchtlinge aus den kommunistischen Staaten ebenso wie Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten.
In den fünfziger Jahren war der internationale Flüchtlingsschutz vom Kalten Krieg geprägt. Die vom UNHCR betreuten Flüchtlinge stammten fast ausschließlich aus kommunistischen Staaten, und für die westlichen Staaten war die Aufnahme dieser Flüchtlinge ein Beitrag zur Eindämmung des Kommunismus. Die Ungarnkrise von 1956 und die Hilfe des UNHCR bei der dauerhaften Ansiedlung und der Rückkehr der 200 000 geflüchteten Ungarn war die erste große operative Leistung der Organisation. Das Ansehen des Amtes stieg, und seine organisatorische und finanzielle Ausstattung verbesserte sich erheblich. 1957 dehnte der UNHCR seine Hilfsleistungen erstmals auf außereuropäische Gebiete aus und unterstützte nach Hongkong geflohene Chinesen sowie algerische Flüchtlinge in Marokko und Tunesien.
Diese Internationalisierung der Arbeit des UNHCR setzte sich in den sechziger und siebziger Jahren fort. Der Hintergrund war die Entkolonialisierung und die Einbeziehung Afrikas und Asiens in die globale Konfrontation der Machtblöcke. Die Unabhängigkeitskriege und die damit verbundenen Massenfluchtbewegungen wurden von den westlichen Staaten als Sicherheitsrisiko gesehen, da sie den Ostblockstaaten die Ausdehnung ihres Einflusses ermöglichen konnten. Die Bewältigung von Flüchtlingskrisen wurde ein strategisches Ziel der westlichen Staaten. In diesem Zeitraum entwickelte sich der UNHCR zu einer weltweit tätigen humanitären Organisation und engagierte sich erstmals für Menschen auch in "flüchtlingsähnlichen Situationen". In der Krise nach der Erklärung der Unabhängigkeit der Volksrepublik Bangladesh von Pakistan im Jahr 1971, in deren Verlauf bis zum Jahresende mehr als zehn Millionen Menschen nach Indien flohen, koordinierte der UNHCR im Auftrag des VN-Generalsekretärs als so genannte "lead agency" die internationale humanitäre Hilfe. Gleichzeitig war der UNHCR in den westlichen Industriestaaten aber auch die unbestrittene Autorität in Fragen des Flüchtlingsschutzes und beriet die Regierungen in asylrechtlichen Fragen.
In den achtziger Jahren wurden Flüchtlinge immer stärker in die Stellvertreterkriege in Asien, Afrika und Lateinamerika einbezogen. Einige Konfliktparteien rekrutierten Kämpfer unter den in die Nachbarländer Geflüchteten und nutzten die Flüchtlingslager als militärische Nachschubbasen oder Rückzugsgebiete. Viele Flüchtlingssituationen verstetigten sich ohne Aussicht auf baldige Beendigung, und der Unterhalt der Lager nahm erhebliche Finanzmittel und organisatorische Kapazitäten in Anspruch. Gleichzeitig nahm die Zahl der Flüchtlinge, die in den westlichen Staaten Zuflucht suchten, kontinuierlich zu. Die Einschätzung des UNHCR durch die westlichen Regierungen begann sich zu verändern: Sie werteten die Arbeit des Amtes zunehmend als ungeeignet zur Lösung von Flüchtlingskrisen. Als Folge bemühten die Regierungen sich selbst auf bi- und multilateraler Ebene um eine Bewältigung der Flüchtlingsprobleme und nahmen dabei immer weniger Rücksicht auf Forderungen und Positionen des Amtes.
Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes veränderte sich die Wahrnehmung der Flüchtlinge in zweifacher Hinsicht: Zum einen wurden Flüchtlinge nicht mehr als strategisches Instrument im Machtkampf der politischen Blöcke betrachtet, sondern zunehmend als Belastung empfunden. Zum anderen schürten die Massenfluchtbewegungen der neunziger Jahre die Furcht vor politischer Destabilisierung und wurden ein Thema sicherheitspolitischer Debatten. In diesen Jahren autorisierte der VN-Sicherheitsrat erstmals humanitäre Interventionen, etwa im Nordirak, in Somalia, im ehemaligen Jugoslawien und in Haiti, um Fluchtbewegungen zu verhindern.
Unter der Leitung von Sadako Ogata ab 1991 beschleunigte sich die Entwicklung des UNHCR zu einer in pragmatischer Weise Nothilfe leistenden humanitären Organisation erheblich, und das Amt griff in einer Weise in die internen Angelegenheiten der von Flüchtlingskatastrophen betroffenen Staaten ein, die während des Kalten Krieges undenkbar gewesen wäre.
So nahm die Hochkommissarin mehrfach militärische Unterstützung in Anspruch, um die immensen logistischen Aufgaben bewältigen zu können. Zudem dehnte sie ihre Hilfe auf immer mehr Bevölkerungsgruppen aus, insbesondere auf Binnenvertriebene und auf allgemein durch bewaffnete Konflikte bedrohte Menschen. Innerhalb von sechs Jahre stieg die Zahl der Menschen, für die der UNHCR zuständig war, von 15 auf 26 Millionen im Jahr 1997.
Die Industriestaaten entwickelten als Reaktion auf diese Zunahme immer restriktivere Maßnahmen, um die Zuwanderung neuer Asylbewerber zu verhindern. In diesem Zusammenhang wurden auch neue Schutzmechanismen, wie beispielsweise der befristete Schutz von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen oder die Unterbringung in so genannten Schutzzonen in den Herkunftsgebieten, u.a. im Nordirak oder in Bosnien, erprobt. Vom UNHCR verlangten die Industriestaaten größere Anstrengungen bei der Rückkehrförderung. Die Hochkommissarin kam diesen Wünschen auch nach, was unter anderem in der Abkehr von dem traditionellen Grundsatz, dass die Rückkehr von Flüchtlingen immer freiwillig zu erfolgen habe, deutlich wurde. Nun ging der UNHCR dazu über, die organisierte Rückkehr auch dann zu unterstützen, wenn die Bedingungen lediglich eine sichere Rückkehr erlaubten.
IV. Problemfelder des Flüchtlingsschutzes
Ein Grundproblem des gegenwärtigen Flüchtlingsschutzes ist, dass die VN-Flüchtlingshilfe grundsätzlich unpolitisch und rein humanitär sein soll. Wie der Überblick gezeigt hat, war dies aber weder in der Vergangenheit der Fall, noch ist es für die Gegenwart zutreffend: Bis in die achtziger Jahre hinein war der Flüchtlingsschutz immer auch ein Instrument im Kampf der politischen Systeme; und auch in der Gegenwart weigern sich Staaten oft genug, humanitäre Hilfe zuzulassen, weil sie es als Eingriff in ihre nationale Souveränität verstehen, wenn internationale Organisationen in ihrem Land tätig werden. Zudem ist die Arbeit der VN-Organisationen auch deshalb in hohem Grad politisch, weil sie Flüchtlingen und vor allem Binnenvertriebenen nur dann Hilfe zukommen lassen können, wenn sie mit den jeweiligen Machthabern verhandeln - mögen diese auch noch so offensichtlich Menschenrechtsverletzungen begangen haben und die eigentliche Ursache für Fluchtbewegungen sein.
Zur Politisierung der Flüchtlingshilfe trägt bei, dass die VN-Organisationen in hohem Maße von den Geld gebenden Regierungen abhängig sind. Der UNHCR beispielsweise wird fast ausschließlich von den USA, Japan und der EU beziehungsweise ihren Mitgliedstaaten finanziert. Dabei sind die Regierungen bei ihrer Mittelzuweisung in den letzten Jahren immer selektiver geworden. Dies wird darin deutlich, dass immer größere Anteile des UNHCR-Budgets "ear-marked" sind, also an eine Verwendung für bestimmte Zwecke oder Flüchtlingskatastrophen gebunden werden.
Beide Entwicklungen - die politische Instrumentalisierung und die Abhängigkeit von strategischen Zielen der Geldgeber - tragen zu dem dritten Hauptproblem bei: Der UNHCR ist in den vergangenen Jahren immer weniger seiner Hauptaufgabe, Flüchtlingen Schutz zu gewähren, nachgekommen. Für die Führung des Amtes hatte es Priorität, den geldgebenden Regierungen zu beweisen, dass die Organisation in der Lage ist, komplexe humanitäre Katastrophen zu bewältigen und die damit verbundenen Flüchtlingsprobleme einzudämmen. Weniger wichtig war es, Erfolge beim Erhalt oder bei der Weiterentwicklung des rechtlichen Flüchtlingsschutzes zu erzielen. Das Eigeninteresse des UNHCR an einer politischen Aufwertung und am institutionellen Wachstum ist verständlich, hat aber die Abhängigkeit von den Geldgebern verstärkt. Diese wurde auch daran deutlich, dass das Amt in den neunziger Jahren oft nur äußerst zurückhaltend Kritik an Verschärfungen des Asylrechts in den Geberländern geäußert hat, mit denen diese auf vorgeblichen und tatsächlichen Missbrauch des Asylrechts reagiert haben. Die Hintanstellung des Schutzaspektes hat zur gegenwärtigen Krise des Asylrechts beigetragen.
Das schnelle Wachstum des UNHCR und die Ausweitung seiner Tätigkeit ohne eine entsprechende Erweiterung oder Veränderung seines Mandats sowie die oft unzureichend organisierte und koordinierte Zusammenarbeit mit anderen VN-Institutionen und mit NRO haben dazu beigetragen, dass in den letzten Jahren einige humanitäre Hilfsaktionen im Hinblick auf den Schutz der Flüchtlinge nicht optimal verlaufen sind oder den Flüchtlingen sogar geschadet haben, wie etwa übereilte Rückführungen in noch unsichere Gebiete.
V. Die Zukunft des internationalen Flüchtlingsschutzes
Die grundsätzliche Frage bezüglich des künftigen Flüchtlingsschutzes lautet: Soll es auch weiterhin eine VN-Organisation geben, deren Hauptzweck die Überwachung und Förderung des internationalen Flüchtlingsschutzes ist und die hierfür ein eindeutiges und alleiniges Mandat hat? Oder soll stattdessen eine Organisation geschaffen werden, deren primäre Aufgabe die materielle Hilfe in komplexen humanitären Katastrophen ist und die mit den dafür nötigen Kapazitäten und einem entsprechenden Mandat ausgestattet wird, für die dann aber der Flüchtlingsschutz eine nebensächliche Aufgabe ist?
Für die zweite Perspektive würde sprechen, dass Geberländer eher bereit sind, solchen Organisationen finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, die einen substanziellen Beitrag zur Lösung ihrer Probleme leisten. Die grundsätzliche Fähigkeit dazu hat der UNHCR im letzten Jahrzehnt bewiesen. Dagegen steht, dass es zahlreiche andere VN-Organisationen und NRO gibt, die humanitäre Hilfe in komplexen Katastrophen leisten können und die diese eventuell sogar effizienter erbringen können, weil sie hinsichtlich des Personals und der Organisation flexibler sind und weil bei ihnen keine Spannungen zwischen dem Mandat und der praktischen Tätigkeit entstehen.
Für die erste Perspektive - die Rückbesinnung auf den Flüchtlingsschutz - spricht, dass es keine andere internationale Organisation gibt, die über einer dem UNHCR vergleichbare personelle und institutionelle Expertise für den Flüchtlingsschutz verfügt. Der UNHCR wäre bei einer Konzentration auf seine Kernkompetenz besser in der Lage, seine Anliegen gegenüber Regierungen und anderen Akteuren zu vertreten, weil das Amt dann weniger Rücksicht auf deren politische und strategische Interessen nehmen müsste.
Daher geht es bei der Zukunft des Flüchtlingsschutzes im Grunde um die Frage, ob die internationale Gemeinschaft überhaupt noch eine institutionelle Zuständigkeit für Flüchtlinge haben will. Das Problem ist, dass spätestens seit Ende des Kalten Krieges eine Tendenz vorherrscht, Flüchtlinge vornehmlich unter Sicherheits- und Kontrollaspekten zu betrachten. Flüchtlinge und Asylbewerber werden in erster Linie als Bedrohung der nationalen, regionalen und internationalen Sicherheit verstanden:
Dabei wird häufig nicht nur ignoriert, dass der individuelle Flüchtlingsschutz eine der wichtigsten zivilisatorischen Errungenschaften und für alle demokratischen Gemeinwesen konstitutiv ist, sondern auch, dass es inzwischen zahlreiche völkerrechtliche und völkergewohnheitsrechtliche Verankerungen des Flüchtlingsschutzes gibt, an die sich Staaten zu halten haben. Hierzu gehören neben der GFK insbesondere die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, die Antifolter-Konvention der VN und die VN-Kinderrechtskonvention. So ist es inzwischen im internationalen Recht unbestritten, dass der Flüchtlingsschutz ein universelles Prinzip ist, dass Flüchtlinge Menschenrechte haben, dass zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft Verfahren notwendig sind, dass sich der Flüchtlingsschutz sowohl auf Individuen als auch auf Gruppenangehörige erstrecken muss und dass sich das Nicht-Zurückweisungsgebot in Länder, in denen Verfolgung droht, sowohl auf schon im Aufnahmeland Befindliche als auch auf an der Grenze um Asyl Nachsuchende erstrecken muss.
Eine Rückbesinnung des UNHCR auf seine traditionellen Kernaufgaben wäre allerdings nicht ausreichend. Es müssen vielmehr grundsätzliche Veränderungen am Mandat und an der Arbeitsweise der Organisation vorgenommen werden, damit der veränderten Flüchtlingsproblematik Rechnung getragen werden kann:
Erstens müssen, durch entsprechende Ergänzungen der GFK und des UNHCR-Statuts, die Schutzlücken für geschlechtsspezifisch und nichtstaatlich Verfolgte und für Binnenvertriebene geschlossen werden. Zweitens muss sich das Amt stärker um menschenrechtlich unbedenkliche Mindeststandards für den subsidiären Schutz von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge außerhalb von Asylverfahren bemühen sowie regionale und internationale Vorkehrungen für die Aufnahme solcher Flüchtlinge und für eine entsprechende Lastenteilung fördern. Drittens muss der UNHCR die Entwicklung von Verfahren vorantreiben, die Flüchtlingen vor ihrer Ausreise aus dem Heimatland Schutz bieten können, etwa durch die Einrichtung von entsprechenden UNHCR-Büros, die für eine geregeltes und sicheres Verlassen des Landes sorgen. Die bisherigen Versuche in Kuba oder Vietnam haben zwiespältige Ergebnisse erbracht. Viertens müssen die bereits in Südostasien, Haiti und im Kosovo angewendeten Verfahren für den Schutz von Flüchtlingen in der Herkunftsregion verbessert werden.
Man darf gespannt sein, inwieweit sich der ja auch vom UNHCR selbst erkannte Reformbedarf in den "Globalen Konsultationen" und in der angekündigten "Agenda für den Flüchtlingsschutz" niederschlagen wird und welchen Kurs die Organisation mit ihrem für den internationalen Flüchtlingsschutz so einzigartigen und wertvollen Reservoir an institutionellem Wissen und humanitärem Engagement ihrer Mitarbeiter einschlagen wird.