I. Die deutsche Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen
Bei seinem Besuch in Deutschland hielt der Generalsekretär der Vereinten Nationen (VN), Kofi Annan, am 28. Februar 2002 vor dem Deutschen Bundestag eine Rede, in der er die konstruktive und großzügige Einstellung Deutschlands gegenüber der Weltorganisation würdigte. Er zeigte sich besonders beeindruckt davon, dass das vereinte Deutschland über die vordem bestehenden historisch bedingten Hemmungen hinausgewachsen sei und während der vergangenen zwölf Jahre bereitwillig seinen Anteil an der Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit - auch durch den Einsatz seiner Streitkräfte - übernommen habe.
Die anerkennenden Worte des Generalsekretärs galten einem VN-Mitgliedstaat, der erst relativ spät, 28 Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen, als Mitglied in die Weltorganisation aufgenommen worden war. Die frühere Bundesrepublik Deutschland war zwar schon seit 1952 am Hauptsitz der VN in New York durch einen ständigen Beobachter vertreten und bereits in den fünfziger Jahren sämtlichen VN-Sonderorganisationen beigetreten, doch kam für sie in der Periode des Ost-West-Konflikts eine Vollmitgliedschaft zunächst nicht in Betracht. Aufgrund der in den VN geltenden Aufnahmeprozeduren hätte ein Beitrittsantrag der Bundesrepublik auch eine Parallelaktion der DDR nach sich gezogen, zumal die DDR-Führung bereits im Jahre 1966 einen Aufnahmeantrag gestellt hatte. Eine Aufnahme in die VN hätte unweigerlich zu einer internationalen Anerkennung des SED-Staates geführt, was die Bonner Regierungen und die sie tragenden Parteien jahrelang unter Hinweis auf den von ihnen vertretenen Alleinvertretungsanspruch nicht hinzunehmen bereit waren.
Ein Haltungswandel in dieser Frage trat erst im Zuge der neuen Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition unter der Kanzlerschaft Willy Brandts ein. Die damalige Bundesregierung erklärte im Zusammenhang mit der von ihr verfolgten Entspannungspolitik ihre Bereitschaft, auch die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten mit der Anerkennung der Eigenstaatlichkeit der DDR auf eine neue Grundlage zu stellen. Damit war der Weg frei für eine zeitlich parallele, jedoch separate Aufnahme beider deutscher Staaten in die VN. Nach Abschluss des deutsch-deutschen Grundlagenvertrages stellten die Bundesrepublik und die DDR Beitrittsanträge und wurden sodann am 18. September 1973 - als letzte der ehemaligen "Feindstaaten" - in die Weltorganisation aufgenommen.
Während der deutschen Doppelmitgliedschaft bemühten sich Bonn und Ost-Berlin, die "querelles allemandes" von der Agenda der Vereinten Nationen nach Möglichkeit fern zu halten. Beide Staaten wirkten nach Maßgabe ihrer unterschiedlichen Interessen und Bündniszugehörigkeit in den diversen Aufgabenbereichen der VN mit. Die Bundesrepublik wurde in dieser Zeitspanne für 1977/78 und 1987/88 als nichtständiges Mitglied in den Sicherheitsrat gewählt und konnte während dieser Wahlperioden Erfahrungen über die Aufgaben und Verfahrensweisen dieses wichtigsten VN-Gremiums sammeln.
II. Neue Impulse in der VN-Politik des vereinten Deutschland
Mit der Herstellung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 begann eine neue Phase der deutschen Politik gegenüber und in den Vereinten Nationen. Am Tage der staatlichen Vereinigung richtete der damalige Außenminister, Hans-Dietrich Genscher, an den VN-Generalsekretär ein Schreiben, in dem er mitteilte, dass sich beide deutsche Staaten zu einem souveränen Staat vereinigt hätten, der fortan in der Weltorganisation unter der Bezeichnung "Deutschland" auftreten werde.
Nach Ansicht vieler Beobachter im In- und Ausland ging man davon aus, dass das vereinte Deutschland als souveräner, uneingeschränkt handlungsfähiger Staat von nun an in der Weltorganisation eine größere Rolle spielen werde. Außenminister Genscher unterstützte diese Erwartung, als er unmittelbar vor der deutschen Vereinigung, am 26. September 1990, vor der 45. VN-Generalversammlung ausführte, dass Deutschland nach der Vereinigung ein größeres Gewicht habe, sich aber der daraus erwachsenden größeren Verantwortung bewusst sei und diese auch annehmen werde.
Die Ankündigung einer aktiveren deutschen Mitarbeit im VN-System erfolgte am Anfang der neunziger Jahre zu einem Zeitpunkt, als die Weltorganisation selbst am Beginn einer neuen Aufbruchphase zu stehen schien. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, der den Sicherheitsrat jahrelang gelähmt hatte, hatte die VN eine ungeahnte Handlungsfähigkeit an den Tag gelegt, und dies sogar auf ihrem ureigensten Aufgabenfeld der Friedenssicherung. Der frühere VN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali vertrat bei der Vorlage seines vielbachteten Berichts "Agenda für den Frieden" im Juni 1992 die optimistische Ansicht, dass nach der Überwindung der Ost-West-Konfrontation die Staatengemeinschaft eine zweite Chance erhalten habe, die internationalen Beziehungen nach den Grundsätzen der VN-Charta zu gestalten.
Die damalige Reaktivierung und neue Wertschätzung der Vereinten Nationen spiegelte sich auch im Deutschen Bundestag wider. Im September 1991 wurde ein eigener Unterausschuss des Auswärtigen Ausschusses gebildet, der seitdem als wohlwollender Begleiter und parlamentarischer Impulsgeber einer intensivierten Politik gegenüber den Vereinten Nationen in Erscheinung getreten ist.
In diesen Entschließungen der Bundestagsfraktionen tauchte ein Schlüsselbegriff - fundamentale Reform der VN - auf, der in den deutschen Diskussionen über den Zustand und die Aufgaben der Vereinten Nationen und die Imperative einer verstärkten deutschen VN-Politik eine große Rolle spielte. Alle Politiker und Beobachter waren sich darin einig, dass die überlieferte Weltorganisation mitsamt ihren weit verzweigten Unterorganisationen nur dann den an sie gerichteten Anforderungen gerecht werden könne, wenn sie einer gründlichen Reform und Erneuerung unterzogen würde. Teilweise unter Bezugnahme auf die von verschiedenen Seiten vorgelegten internationalen Reformpläne, die sich zum Zeitpunkt des 50-jährigen VN-Jubiläums einer gewissen Konjunktur erfreuten,
Die zu Beginn der neunziger Jahre zu beobachtende Aufbruchstimmung gegenüber den Vereinten Nationen ebbte allerdings alsbald wieder ab, was sich auch in den Diskussionen innerhalb Deutschlands manifestierte. Auf dem Aufgabenfeld der Friedensmissionen waren bittere Rückschläge (in Somalia, Ruanda, auf dem Balkan) eingetreten, die zahlreichen Programme und Aktivitäten im Wirtschafts- und Sozialbereich bewegten sich zumeist im defizitären Rahmen des business as usual, und die allseits als notwendig erachteten Reformen kamen nur schleppend voran oder traten (wie die Reform des Sicherheitsrats) auf der Stelle.
Trotz aller - auch von deutscher Seite - vorgebrachten Kritik an der mangelhaften Reformfähigkeit der Weltorganisation hielt das vereinte Deutschland an einer konstruktiven Politik zur Unterstützung der Vereinten Nationen fest. Der neue Kurs einer gegenüber früher aktiveren deutschen Mitarbeit in der Weltorganisation setzte sich auch nach dem Regierungswechsel im Jahre 1998 unter der rot-grünen Koalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit nur leichten Akzentverschiebungen fort. In seiner ersten Rede vor der Generalversammlung im September 1999 legte Außenminister Joschka Fischer für die neue Bundesregierung ein klares Bekenntnis zur Weltorganisation und ihren Zielsetzungen ab und fügte hinzu: "Die Vereinten Nationen und ihre Mitglieder können sich darauf verlassen, dass sie bei den Bemühungen um eine Stärkung der UN keinen verlässlicheren Verbündeten haben werden als die Deutschen."
Selbstredend können aus diesen pauschalen Absichtserklärungen nur sehr allgemeine Rückschlüsse auf die Rolle Deutschlands in den Vereinten Nationen gezogen werden. Um nähere Anhaltspunkte für eine Einschätzung der tatsächlichen VN-Politik der Bundesrepublik gewinnen zu können, ist es notwendig, das Agieren Deutschlands wenigstens auf einigen wichtigen Tätigkeitsfeldern der Weltorganisation zu analysieren.
III. Schwerpunkte des deutschen Engagements innerhalb des VN-Systems
1. Beteiligung an den Friedensoperationen
Seit Beginn der neunziger Jahre stand in der deutschen VN-Politik ein Thema im Vordergrund: die zunächst höchst umstrittene Beteiligung deutscher Streitkräfte an den Friedensoperationen. Das Thema war lange Zeit tabuisiert, einer weit verbreiteten Auffassung zufolge ließ das Grundgesetz Auslandseinsätze der Bundeswehr außer zur Bündnisverteidigung nicht zu.
Die Bundesregierung ließ nach der deutschen Vereinigung erkennen, dass sie die bis dahin streng eingehaltene Zurückhaltung aufzugeben gedachte. Bundeskanzler Kohl richtete am Tag der staatlichen Vereinigung an die Regierungen aller Staaten, mit denen Deutschland diplomatische Beziehungen unterhielt, eine Botschaft, in der er erklärte, die Bundesrepublik wolle dazu beitragen, dass die Vereinten Nationen ihre unverzichtbare Rolle beim Aufbau einer friedlichen Welt und bei der Lösung der globalen Herausforderungen erfüllen könne, und er fügte hinzu: "Nach Wiedererlangen der Deutschen Einheit in voller Souveränität ist die Bundesrepublik Deutschland bereit, sich künftig an Maßnahmen der Vereinten Nationen zur Wahrung und Wiederherstellung des Friedens auch durch den Einsatz ihrer Streitkräfte zu beteiligen. Wir werden hierfür die erforderlichen innerstaatlichen Voraussetzungen schaffen."
Überblickt man die seit der deutschen Vereinigung und nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994
Im weiteren Verlauf der mit deutscher Beteiligung durchgeführten Friedensoperationen rückte immer stärker die NATO als handlungsbestimmende Organisation in den Mittelpunkt des Geschehens. Die Bundesrepublik war dabei offensichtlich darum bemüht, nach außen Seite an Seite mit ihren langjährigen NATO-Verbündeten eine solidarische Handlungsfähigkeit als gleichgestellter Partner unter Beweis zu stellen. Deutschland versuchte jedoch gleichzeitig, die Vereinten Nationen als legitimierende Entscheidungsinstanz, insbesondere den Sicherheitsrat als unersetzbaren Mandatgeber für die Durchführung militärischer Zwangsmaßnahmen, zu erhalten. Die Ausnahme bildete der Luftkrieg der NATO gegen Serbien im Jahre 1999, alle anderen Einsätze basierten auf einem Mandat des Sicherheitsrats. Die in den Friedensoperationen aufgekommene Konkurrenz zwischen der Weltorganisation und der NATO versuchte die Bundesrepublik dadurch zu überbrücken, dass sie für sich eine Art "Scharnier-Funktion" beanspruchte, welche die völkerrechtlich statuierten Kompetenzen der VN und vor allem des Sicherheitsrats mit den operativen Fähigkeiten einsatzbereiter Regionalorganisationen im Dienste einer effektiven Friedenssicherung zu verbinden trachtete. Dass damit die Gefahr einer Zurücksetzung und Marginalisierung der VN gegeben war, war jedoch nicht von der Hand zu weisen.
2. Mitarbeit im Wirtschafts- und Sozialbereich einschließlich Entwicklungszusammenarbeit
Im Wirtschafts- und Sozialbereich waren in der deutschen VN-Politik seit der deutschen Vereinigung keine so spektakulären Neuerungen eingetreten, wie dies auf dem Felde der (im engeren Sinn verstandenen) Friedenssicherung der Fall gewesen ist. In diesem zweiten Haupttätigkeitsfeld der Vereinten Nationen, das auch die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit umfasst, war Deutschland mit einer Vielzahl von VN-Unterorganisationen, Sondereinrichtungen, Fonds und Programmen konfrontiert, die allesamt entsprechend der Charta eine internationale Zusammenarbeit herbeiführen sollen, "um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ... zu fördern und zu festigen" (VN-Charta, Art. 1 Ziff. 3).
Die frühere Bundesregierung versuchte zu Beginn der neunziger Jahre ihre gesamte Entwicklungspolitik an einigen Grundzielen und Leitlinien auszurichten und diese auch ihrer Mitarbeit an der Entwicklungszusammenarbeit der VN zugrunde zu legen. Einer dieser Grundsätze lautete: "Marktwirtschaftliche Prinzipien sind der Weg zum wirtschaftlichen Erfolg".
Nach dem Regierungswechsel im Jahr 1998 suchte die Regierung der rot-grünen Koalition in ihrer Politik gegenüber den Vereinten Nationen auch im Bereich der weltweiten wirtschaftlichen und sozialpolitischen Zusammenarbeit neue Akzente zu setzen. Vor allem war es der neuen Regierung ein großes Anliegen, zwischen den herausfordernden Aufgaben der wirtschaftlichen Entwicklung und dem globalen Umweltschutz eine enge Verknüpfung herzustellen. In ihrem Koalitionsvertrag vom Oktober 1998 vereinbarten die beiden Regierungsparteien, die Entwicklungspolitik weiter auszubauen und effizienter zu gestalten. Entwicklungspolitik sei globale Strukturpolitik, bei der es darum gehe, die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse in den Entwicklungsländern zu verbessern. Die neue Bundesregierung versprach, für eine Reform und Stärkung der Entwicklungsprogramme der VN und zugleich auch für leistungsfähige Finanzierungsorganisationen einzutreten.
Einen Überblick über die öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren im Rahmen des VN-Systems gibt die Tabelle auf S. 16.
Dass Deutschland den Wünschen der Entwicklungsländer nach einer nachhaltigen Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage aufgeschlossen gegenübersteht, zeigte sich auch in der deutschen Mitarbeit zur Vorbereitung und Durchführung der im März 2002 in Monterrey (Mexiko) abgehaltenen Konferenz für Entwicklungsfinanzierung (International Conference on Financing for Development).
3. Deutsche Vorstellungen zur Reform und Erneuerung des VN-Systems
Wie schon angedeutet wurde, war Deutschland ebenso wie die meisten anderen VN-Mitgliedstaaten davon überzeugt, dass das überlieferte VN-System dringend einer gründlichen Reform und Erneuerung bedürfe, um es in die Lage zu versetzen, den an die Weltorganisation gestellten hohen Erwartungen gerecht zu werden. Deutschland hielt insbesondere drei Bereiche für unbedingt reformbedürftig: den Sicherheitsrat und die von ihm mandatierten Friedensoperationen, den organisatorisch überaus zersplitterten Wirtschafts- und Sozialbereich und auch die unzureichende Finanzverfassung der VN.
Seit Beginn der neunziger Jahre rückte in Deutschland vor allem ein Reformthema in den Mittelpunkt des Interesses. Es ging um die überfällige Erweiterung des Sicherheitsrats, dem die Mitglieder gemäß Charta die Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit übertragen haben. Es war offenkundig, dass die Zusammensetzung dieses entscheidenden Gremiums mit der privilegierten Stellung der fünf ständigen, vetoberechtigten Mitglieder (USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich) immer noch im Wesentlichen die Mächtekonstellation vom Ausgang des Zweiten Weltkriegs widerspiegelte.
Die Auseinandersetzungen über eine zeitgemäße Erweiterung des Sicherheitsrats hatten beträchtlichen Auftrieb erhalten, nachdem in einer im Dezember 1992 von der Generalversammlung einstimmig verabschiedeten Resolution (47/62) die Mitgliedstaaten aufgefordert wurden, bis zum Juni des folgenden Jahres ihre Ansichten zur künftigen Zusammensetzung des Sicherheitsrats schriftlich darzulegen. Im Vorgriff auf die sich daraufhin entwickelnde Diskussion über eine Sicherheitsratsreform hatte Außenminister Klaus Kinkel im September 1992 vor der Generalversammlung erklärt, Deutschland werde in dieser Angelegenheit nicht die Initiative ergreifen, falls aber Änderungen in der Zusammensetzung des Sicherheitsrats geplant seien, werde Deutschland seinen Wunsch nach einem ständigen Sitz vorbringen.
Als die Bundesregierung gefragt wurde, welches Erweiterungsmodell sie bei der Reform des Sicherheitsrats bevorzuge, antwortete sie mit einem Vorschlag zu einer begrenzten Erweiterung sowohl der ständigen als auch der nichtständigen Mitglieder. Nach diesem Konzept sollten drei neue ständige Sitze, je einer für Afrika, Asien, Lateinamerika und die Karibik, sowie zwei ständige Sitze für Deutschland und Japan geschaffen werden. Darüber hinaus sollte für die Ländergruppen aus den drei Entwicklungskontinenten und für Osteuropa je ein zusätzlicher nichtständiger Sitz vorgesehen werden.
Das von Deutschland favorisierte Erweiterungskonzept, an dem nach dem Regierungswechsel 1998 auch die Regierung der rot-grünen Koalition grundsätzlich festhielt, hatte große Ähnlichkeit mit einem Vorschlag, den der damalige Präsident der 51. Generalversammlung, Razali Ismail aus Malaysia im März 1997 vorgelegt hatte. Nach diesem Plan sollte der Sicherheitsrat um fünf ständige sowie um vier nichtständige auf dann insgesamt 24 Mitglieder erweitert werden, wobei die neuen ständigen Mitglieder auf das Veto-Recht verzichten und die derzeitigen Permanent Five dieses Recht nur noch in Ausnahmefällen in Anspruch nehmen sollten. Obgleich der Vorschlag Razalis den damaligen Diskussionsstand der Arbeitsgruppe kompromissbereit widerspiegelte, wurde er aus einer Reihe von Gründen nicht weiter verfolgt.
Trotz der nicht günstigen Aussichten, mit dem Bestreben nach einem ständigen Sicherheitsratssitz kurzfristig zum Erfolg zu kommen, hält auch die rot-grüne Regierungskoalition an diesem Ziel fest. Die Partei der Grünen hatte sich in dieser Frage eher halbherzig der Meinung ihres Koalitionspartners angeschlossen. Im Übrigen wären alle Bundestagsparteien auch damit einverstanden gewesen, wenn statt eines zusätzlichen ständigen Sitzes für Deutschland für die EU eine gemeinsame permanente Vertretung im Sicherheitsrat zu erreichen gewesen wäre. Da dies jedoch nicht der Fall war, verfolgte Deutschland weiterhin eine nationalstaatliche Regelung, obgleich dafür längst nicht von allen EU-Staaten die Zustimmung zu erhalten war. So bekräftigte Bundeskanzler Schröder bei dem im September 2000 von Generalsekretär Annan einberufenen Millenniumsgipfel erneut die deutsche Anwartschaft auf einen ständigen Sitz, ohne jedoch damit der Erfüllung dieses Anliegens einen wesentlichen Schritt näher gekommen zu sein.
Während in der Frage der Reform des Sicherheitsrats weiterhin Stillstand herrscht, war auf dem Felde der Friedensoperationen in letzter Zeit zumindest konzeptionell ein gewisser Fortschritt erzielt worden. Die Bundesregierung und die VN-Experten der Bundestagsfraktionen begrüßten grundsätzlich die im August 2000 von der (von Generalsekretär Annan eingesetzten) Brahimi-Kommission vorgelegten Empfehlungen zur Verbesserung der VN-Friedenseinsätze.
An den bisher nur zögerlich eingeleiteten Reformmaßnahmen im uferlosen Tätigkeitsfeld des Wirtschafts- und Sozialbereichs der VN war in Deutschland in der Vergangenheit vielfach Kritik geübt worden. Die frühere Bundesregierung räumte zwar ein, dass es in einigen dieser Tätigkeitsbereiche zu vorläufigen Reorganisationsmaßnahmen (ECOSOC, UNDP, UNCTAD, UNIDO) gekommen sei, dass aber das gesamte VN-System nach wie vor an einer unübersichtlichen Zersplitterung und vielfachen Überschneidung der aufgelegten Aktionsprogramme kranke. Deshalb begrüßte die Bundesregierung, dass die Konferenz von Monterrey über Entwicklungsfinanzierung (2002) von einem ganzheitlichen Ansatz ausgegangen war, der nicht zuletzt auch das heterogene Organisationsgefüge auf den Prüfstand stellte. Als einer der führenden Industrie- und Handelsstaaten wäre Deutschland am ehesten gefordert, tragfähige Brücken zwischen den Bretton-Woods-Organisationen (Internationaler Währungsfonds und Weltbankgruppe) und den daneben existierenden Entwicklungshilfeinstitutionen der VN zu schlagen, obgleich es in letzter Zeit eine verbesserte Kooperation zwischen den beiden Organisationsgruppen gab.
Schließlich war Deutschland als drittgrößter Beitragszahler der VN schon seit langem unzufrieden mit der prekären Finanzverfassung der Weltorganisation. Dementsprechend zeigte es in der Vergangenheit ein großes Interesse an dem Bemühen, das Finanzaufkommen und die Haushaltsordnung der VN zu verbessern und auch die Ausgabenpraxis transparenter zu gestalten. Die nach langen Auseinandersetzungen im Dezember 2000 vereinbarte Regelung, wonach die Beitragsskala zur Erhebung der Pflichtbeiträge neu festgesetzt wurde, stellte wenigstens einen kleinen (immer noch unzureichenden) Schritt in Richtung einer Überwindung der notorischen Finanzmisere der VN dar.
IV. Ausblick: Fortbestehende Verpflichtung zu einem globalen Multilateralismus
Ein zusammenfassender Rückblick auf die deutsche VN-Politik zeigt, dass die Rolle Deutschlands in den Vereinten Nationen seit der deutschen Vereinigung gegenüber früheren Phasen der deutschen Mitgliedschaft in der Weltorganisation gewachsen ist. Die Bundesregierungen bemühten sich in den vergangenen zwölf Jahren, die traditionelle außenpolitische Maxime des selbstverpflichtenden kooperativen Multilateralismus in zunehmendem Maße auch auf die Vereinten Nationen zu übertragen. Sie waren damit bereit, mehr weltpolitische Verantwortung zu übernehmen.
Die deutsche Mitarbeit im breit gefächerten Handlungsspektrum der Vereinten Nationen erstreckte sich nicht nur auf den Bereich der weltweiten Menschenrechtspolitik und auf die Unterstützung der vielfältigen Aktionsprogramme im Wirtschafts- und Sozialbereich einschließlich der Aktivitäten im globalen Umweltschutz. Darüber hinaus kam als gravierende Neuerung die Beteiligung deutscher Streitkräfte an bisher über 20 Friedensoperationen hinzu. Gerade auch in dem letztgenannten Bereich war die deutsche VN-Politik seit dem Ende des Ost-West-Konflikts und der deutschen Vereinigung von einer bemerkenswerten Kontinuität geprägt, die von den Parteien der CDU/CSU und FDP später auch von den seit 1998 regierenden Sozialdemokraten und mehrheitlich auch von Bündnis 90/Die Grünen getragen wurde.
Die Bundesregierungen und die sie tragenden Parteien hatten sich verpflichtet, für die Stärkung der Vereinten Nationen einzutreten und insoweit an der außenpolitischen Grundhaltung eines in der Weltorganisation institutionalisierten weltweiten Multilateralismus festzuhalten. Die auch vom Generalsekretär der VN gewürdigte aktivere deutsche VN-Politik zeigte sich in unterschiedlichem Maße in den zentralen Handlungsfeldern der VN, darüber hinaus auch auf Spezialgebieten, beispielsweise in der deutschen Unterstützung des Internationalen Seegerichtshofs, der seit Oktober 1996 in Hamburg seinen Sitz hat.
Die Bundesregierung und die im Bundestag vertretenen politischen Parteien erkennen unzweifelhaft die fortbestehenden Verpflichtungen zu einem globalen Multilateralismus an. Trotz aller Defizite der Weltorganisation sehen sie in den Vereinten Nationen mehr denn je eine unverzichtbare Zentralorganisation zur Förderung eines weltweiten zwischenstaatlichen und zwischengesellschaftlichen Dialogs und zugleich einen unentbehrlichen Handlungsrahmen für einen globalen Interessenausgleich zwischen ihren Mitgliedstaaten im Sinne einer friedensstiftenden Weltordnungspolitik.