I. Einleitung
Global denken - lokal handeln! Prägnanter als mit diesem Leitsatz der Umweltbewegung lässt sich die Kernidee der Lokalen Agenda 21 (LA 21) kaum beschreiben. Auch auf der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro 1992 wurde die Bedeutung dieses Prinzips erkannt: Man räumte den Kommunen als kleinster politischer Organisationseinheit eine wichtige Funktion bei der Implementierung der in der Agenda 21 enthaltenen Ziele ein. Wichtigstes Element sollte hierbei die Erstellung einer LA 21 in den Kommunen sein. Seit Rio sind zehn Jahre vergangen, und im September 2002 wird in Johannesburg kritische Bilanz gezogen werden: War der Beschluss mehr als nur ein Lippenbekenntnis? Auch für Deutschland stellt sich die Frage, inwieweit es den Kommunen gelungen ist, das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung in ihrer Politik zu verankern. Kann Deutschland im weltweiten Vergleich eine Vorreiterrolle für sich in Anspruch nehmen? Die Beantwortung dieser Fragen steht im Mittelpunkt des Beitrages.
II. Agenda 21 und nachhaltige Entwicklung
Das von 179 Staaten verabschiedete Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert "Agenda 21"
Das Leitprinzip der Agenda 21 ist die Idee einer "nachhaltigen" oder "dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung" (sustainable development). Das ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammende Prinzip, nur so viel Holz zu schlagen, wie jährlich nachwächst, wurde erstmals 1980 in der World Conservation Strategy von WWF und IUCN
Diese vage Definition liefert bis heute großen Interpretationsspielraum dafür, was nachhaltige Entwicklung eigentlich ist. "But two crucial questions remain unanswered: ,What needs?, And ,whose needs?, ... Are the needs in question those of the global consumer class or those of the enormous number of have-nots?", fragte z. B. Wolfgang Sachs.
Das Konstrukt Nachhaltigkeit stellt sich somit als schwierig zu beschreiben und zu vermitteln dar. Das am weitesten verbreitete Verständnis einer Politik zur Nachhaltigkeit wird als "Nachhaltigkeits-Dreieck" bezeichnet: Es erkennt die Interdependenz sozialer, ökonomischer und ökologischer Fragen an und hat zum Ziel, diese Aspekte gemeinsam in die politische Entscheidungsfindung zu integrieren. Hierbei sind sowohl intragenerationelle (Nord-Süd-Konflikt, Verteilungsgerechtigkeit) als auch intergenerationelle (Berücksichtigung zukünftiger Generationen) Aspekte zu berücksichtigen. Es handelt sich somit um einen langfristigen und übergreifenden Politikansatz.
Die durch die inhaltliche Komplexität begründete schwierige Vermittelbarkeit des Begriffs Nachhaltigkeit schlägt sich auch in einer mangelnden Resonanz in der Bevölkerung nieder. Sechs Jahre nach Rio gaben nur 15 Prozent der Befragten der Studie "Umweltbewusstsein in Deutschland 1998" an, sie hätten "von dem Begriff der nachhaltigen Entwicklung schon gehört"
III. Lokale Agenda 21
Das Kapitel 28 der Agenda 21 erteilt unter dem Titel "Initiativen der Kommunen zur Unterstützung der Agenda 21" einen Handlungsauftrag an die Gemeinden.
Den Kommunen wird die im Handlungsauftrag angesprochene Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Agenda 21 nicht ohne Grund zuteil: Nirgendwo übt das Volk seine Macht so unmittelbar aus wie in der Gemeinde, der "Schule der Demokratie."
IV. Merkmale und Struktur eines LA-21-Prozesses
Grundlegend stellt sich in Anbetracht der Vielfalt an Konzepten und Ideen die Frage, nach einem idealen LA-21-Prozess. Letztendlich bleibt nur eine Antwortmöglichkeit: Es gibt ihn nicht! Durch die Heterogenität der politischen Konstellationen, der unterschiedlichen administrativen und gesellschaftlichen Strukturen und lokal abhängiger Handlungs- und Problemfelder ist die Anwendung einer bis ins Detail standardisierten Vorgehensweise kaum möglich. "Der Weg ist das Ziel", lautet vielerorts der Leitsatz für die LA-21-Prozesse. Trotz aller Unterschiede lassen sich aber einige grundsätzliche Vorgehens- und Verfahrensweisen aufzeigen.
Prinzipiell ähnelt die Struktur eines LA-21-Prozesses der Vorstellung des klassischen Projektmanagements.
Grundvoraussetzung in einem LA-21-Prozess ist die Beteiligung einer Kommunalverwaltung.
Typische Eigenschaften einer LA 21 sind somit:
- Ein LA-21-Prozess beinhaltet die Beteiligung einer Kommunalverwaltung.
- Ein wesentliches Element des LA-21-Prozesses ist die Beteiligung der Bevölkerung, insbesondere von Frauen und Jugendlichen, der Nicht-Regierungsorganisationen (NROs) sowie der Privatwirtschaft (sog. Stakeholder- oder Anspruchsgruppenbeteiligung).
- Ein LA-21-Prozess ist ein langfristiger Planungsprozess, der einen integrativen Ansatz ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte verfolgt und ein im Konsens aller Beteiligten erzieltes Handlungsprogramm zum Ziel hat, das sich am Leitprinzip einer nachhaltigen Entwicklung orientiert.
- Ein LA-21-Prozess ist ein gegenseitiger Lernprozess für alle Beteiligten; zum Ausdruck kommt ein neues Politikverständnis, das auf den Prinzipien der Kooperation und der Konsensorientierung beruht.
- Ziel des Prozesses ist ein langfristiges Handlungsprogramm, das qualitative, langfristige Ziele enthalten muss.
- Das Handlungsprogramm einer LA 21 bedarf einer kontinuierlichen Überprüfung der Zielbestimmungen mittels Indikatoren und muss fortlaufend den Ergebnissen des Monitoring-Prozesses angepasst werden.
Diese Eigenschaften unterscheiden einen LA-21-Prozess von der herkömmlichen Kommunalpolitik. Obwohl der Zugang zu Themen der nachhaltigen Entwicklung in Mitteleuropa meist über ökologische Problemkonstellationen erfolgt, ist ein LA-21-Prozess nicht als bloße Erweiterung von Umweltpolitik zu verstehen: Vielerorts "wird die Lokale Agenda 21 auf fast allen gesellschaftlichen Ebenen als ein Programm zur Fortführung der Umweltpolitik mit anderen Methoden betrachtet"
Die Hauptunterschiede liegen in der Betonung des langfristigen Ansatzes und in der integrativen Behandlung aller Politikfelder. Natürlich können sich dabei Elemente der bisherigen Kommunalpolitik als nachhaltig erweisen, ohne dass dieses Ziel in der Vergangenheit explizit verfolgt wurde. Die Beteiligung der Bevölkerung ist von großer Bedeutung. Die Bürger werden als gleichwertige Verhandlungspartner beim Dialog innerhalb der Kommune angesehen, was von der örtlichen Politik und Verwaltung eine echte Bereitschaft zum Dialog und zur Kooperation erfordert. Hierbei ist die Frage der Vorgehensweise von entscheidender Bedeutung: Entweder man entscheidet sich für einen relativ straff organisierten Prozess, in dem die Verwaltung eine federführende, aktive Rolle einnimmt (top down), oder aber man reagiert eher passiv, überlässt den Agenda-Prozess seiner eigenen Dynamik und lässt den Einwohnern freie Hand (bottom up). Eine Mischung beider Ansätze ist möglich. Hilfestellung können hierbei externe Moderatoren oder die oben bereits erwähnten Leitfäden und Handbücher geben.
Ein ideal verlaufender LA-21-Prozess lässt sich trotz aller Standardisierungsprobleme in vier verschiedene Phasen unterteilen:
1. Initialphase: Mit der Institutionalisierung durch Ratsbeschluss o. ä. werden formale Regeln für den Prozessablauf sowie die Arbeitsschwerpunkte festgelegt.
2. Arbeitsphase: Beteiligung der Bevölkerung am Agenda-Prozess, Entwurf und Erstellung des Handlungsprogramms.
3. Implementationsphase: Verabschiedung des Handlungsprogramms durch den Rat, Festlegung verbindlicher Ziele und von Indikatoren zur Überprüfung.
4. Evaluationsphase: Kontinuierliche Überprüfung des Status der Umsetzung, bei Nichterreichen Gegenmaßnahmen einleiten. Anpassung und Fortschreibung des Handlungsprogramms.
In der Praxis lassen sich diese vier Phasen nicht immer voneinander trennen. Es sei auch darauf hingewiesen, dass der Agenda-Prozess mit der vierten Phase nicht endet, sondern ein fortlaufender Prozess ist.
V. Chancen und Hemmnisse eines Lokale-Agenda-21-Prozesses
Durch die Offenheit des LA-21-Prozesses ist sein Verlauf in der Praxis mit einer Reihe von Problemen behaftet, die sich entscheidend auf die Zeitdauer, die Zielrichtung und die Ergebnisse auswirken können.
Die Chancen eines Agenda-Prozesses liegen auf der Hand: Akteurs- und Veränderungspotenzial können gebündelt und vielseitige Interessen berücksichtigt werden. Dies ermöglicht ein gemeinsames Handeln. Ungewollten Entwicklungen und Konflikten kann frühzeitig durch langfristig angelegte Planung entgegengewirkt werden.
Aus dem mehrjährigen Erfahrungsschatz der Kommunen mit LA-21-Prozessen lassen sich auch die auftretenden Probleme identifizieren:
- Die inhaltliche Reduktion des Ansatzes der nachhaltigen Entwicklung auf den Umweltaspekt. Dieses Problem ist insbesondere ein Phänomen in westlichen Industriestaaten.
- Die Überforderung der Akteure in einem Agenda-Prozess aufgrund der hohen Komplexität der Thematik und mangelnder Erfahrung.
- Die fehlende Unterstützung (materiell und ideell) durch Politik und Verwaltung.
- Die Neigung zu blindem Aktionismus und zum "muddling through" beim unsystematischen Vorgehen ("Durchwurschteln").
- Die mangelnde Bereitschaft zur Überwindung von Spannungsfeldern, wie z. B. zwischen Ökologie und Ökonomie, bei den einzelnen Beteiligten.
- Die Konkurrenz der Agenda-Foren (Runde Tische etc.) zu den herkömmlichen, etablierten Institutionen der demokratischen Ordnung (z. B. Rat und Verwaltung).
- Die mangelnde Wahrnehmung von Bürgerinteressen seitens der Verwaltung sowie die unterschiedliche Qualität von Bürgerbeteiligung.
- Die Freiwilligkeit der Teilnahme und die damit verbundene hohe Fluktuation der Teilnehmenden.
- Die mangelnde Verbindlichkeit und der mangelnde Wille zur Umsetzung des verabschiedeten Handlungsprogramms.
Vielen dieser Probleme kann bereits im Vorfeld durch eine umsichtige Organisation begegnet werden. So kann z.B. die Entwicklung von Leitbildern dazu beitragen, der Überforderung der Akteure vorzubeugen und gleichzeitig die globalen Aspekte der Agenda 21 auf den lokalen Bereich zu projizieren.
Für eine erfolgreiche Gestaltung eines LA-21-Prozesses ist die Beachtung dieser potenziellen Risiken von entscheidender Bedeutung.
VI. Zum Stand der Lokale-Agenda-21-Aktivitäten in Deutschland
In Deutschland sind, wie in vielen anderen Ländern auch, die Aktivitäten zur Umsetzung der Agenda 21 nur sehr zögerlich in Gang gekommen. In den meisten Fällen wurde damit erst nach 1996 begonnen - dem Zeitpunkt, zu dem diese Bemühungen nach den Vorgaben der Agenda 21 bereits zum Abschluss hätten kommen sollen. Erst seit Ende der neunziger Jahre ist es zu einem regelrechten "Boom" bei den Agenda-Aktivitäten der deutschen Kommunen gekommen (vgl. Abbildung).
Bis Mai 2002 gab es in Deutschland 2 297 kommunale Beschlüsse zur lokalen Agenda 21, dies entsprach 16,2 Prozent aller deutschen Gemeinden.
Die Aussagekraft der Zahlen ist allerdings begrenzt. Ein Beschluss zur LA 21 allein sagt noch nichts darüber aus, ob eine Gemeinde nun wirklich einen Agenda-Prozess vorantreibt und wie weit der Prozess fortgeschritten ist. Wichtiger ist eine Qualitätsanalyse der einzelnen Agenda-Prozesse, die aber immense Schwierigkeiten in sich birgt, da hier auf qualitative Erhebungsmethoden zurückgegriffen werden muss.
Internationale Vergleiche lassen einige Schlüsse für die deutsche LA-21-Bilanz zu, auch wenn eine große Gefahr besteht, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, denn die politische Ebene "Kommune" ähnelt in vielen Bereichen der Welt bei weitem nicht dem deutschen Bild, selbst innerhalb Europas bestehen gewaltige Unterschiede bei Kommunalverfassung, Kompetenzzuschnitt, Organisationsgrad oder Finanzausstattung. Auch das zu Tage gelegte Verständnis eines LA-21-Prozesses divergiert stark. Ein Blick auf die von ICLEI 2002 erhobenen Zahlen verdeutlicht das gemischte Bild, sobald man absolute und relative Kriterien ansetzt:
- Weltweit hatten im Dezember 2001 6 416 Kommunalverwaltungen Aktivitäten zur Lokalen Agenda 21 unternommen, aus Deutschland waren zu diesem Zeitpunkt 2 042 Agenda-Prozesse gemeldet, die den Kriterien von ICLEI entsprachen. Dies bedeutet, dass 31,8 Prozent aller LA-21-Prozesse weltweit in Deutschland stattfinden!
- 16,2 Prozent aller Kommunen in Deutschland hatten im Mai 2002 einen Beschluss zur LA 21 gefasst. In Großbritannien liefen Agenda-Prozesse zum gleichen Zeitpunkt in über 90 Prozent der Kommunen. Am besten schneidet der skandinavische Raum ab: Norwegen erreicht 99 Prozent, Finnland und Schweden sogar 100 Prozent!Vgl. CEMR, Survey on the State of Progress in the Implementation of Local Agenda 21 in Europe, o. O. 1996; ICLEI (Anm. 19). In diesem Licht erscheinen die deutschen Anstrengungen allenfalls bescheiden.
- Weltweit lässt sich für die LA 21 ein Aufwärtstrend konstatieren: Zwischen der ersten ICLEI-Umfrage 1997 und der aktuellen Umfrage von 2002 stieg die Zahl der LA-21-Prozesse von über 1 800 Kommunen in 64 Ländern auf 6 416 Kommunen in 113 Ländern.
- In Ländern, in denen nationale LA-21-Kampagnen laufen, ist die Beteiligung der Kommunen höher als in Ländern ohne entsprechende Kampagne.
- Bis heute sucht man in Deutschland vergeblich nach einem vom Rat verabschiedeten Handlungsprogramm, das die gesamte Bandbreite einer nachhaltigen Entwicklung beinhaltet, auch politisch "harte" Themen behandelt und dessen Umsetzung im Gange ist (Implementations- oder Evaluationsphase).
VII. Herausforderungen für LA-21-Prozesse in Deutschland
Eine qualitative Untersuchung von drei deutschen LA-21-Prozessen (Hamburg, Hannover, Bremen)
1. Der marginale Bekanntheitsgrad der Agenda 21 und nachhaltiger Entwicklung hemmt die LA-21-Prozesse. Nachhaltige Entwicklung ist zudem ein wenig medienwirksames Thema, sodass sich die Vermittlung in der Öffentlichkeit als äußerst schwierig darstellt.
2. Ein erfolgreicher LA-21-Prozess erfordert eine politische Legitimation. Ein LA-21-Prozess muss zu Beginn politisch legitimiert werden, um in das Bewusstsein der Akteure der Lokalpolitik zu gelangen und um die Bedeutung des Handlungsauftrages der Agenda 21 hervorzuheben. Gleichzeitig wird so verhindert, dass der LA-21-Prozess als außerparlamentarische Bewegung ohne Legitimation durch die Wähler in die Bedeutungslosigkeit fällt. Fehlende politische Unterstützung wird häufig als Ursache für das Scheitern von LA-21-Prozessen genannt.
3. Ein erfolgreicher LA-21-Prozess erfordert institutionelle Stabilität. Die Institutionalisierung kann durch Einrichtung der entsprechenden Infrastruktur (Agenda-Büro, Lenkungsgruppe, o. ä.) erfolgen. Die den Prozess begleitende Institution muss unabhängig von politischen Gremien sein und unabhängige Positionen gegenüber der Verwaltung einnehmen dürfen.
4. Ein erfolgreicher LA-21-Prozess erfordert neue und kontinuierliche Formen der Partizipation. Zur Konsolidierung des Prozesses ist eine kontinuierliche Beteiligung der Bürger notwendig, damit ein Interesse am Prozess erhalten bleibt. Eine Beteiligung muss über die bereits etablierten Formen der Partizipation hinausgehen und einen echten Dialog zwischen der Kommune und ihren Bürgern ermöglichen. Dabei sind die Bürger als gleichberechtigte Kooperations- und Verhandlungspartner zu behandeln. Die Motivation für eine Teilnahme am politischen Willensbildungsprozess durch herkömmliche Verfahren erweist sich als schwierig, sodass die Kommunen gefordert sind, neue Wege zu beschreiten.
5. Die deutsche Parteiendemokratie behindert LA-21-Prozesse und echte Beteiligung. In Deutschland wird die Kommunalpolitik überall durch die politischen Parteien beherrscht. Der Wettbewerb zwischen den einzelnen Parteien (kompetitiver Politikstil) führt dazu, dass Themen politisiert werden, ohne dass es sachliche Gründe dafür gibt. Die gerade in Großstädten viel zu großen und unüberschaubaren Parlamente arbeiten im Gegensatz zu viel kleineren Pendants (z.B. in den USA) sehr viel langsamer und verhindern effiziente Politik. Viele Entscheidungen unterliegen dem Fraktionszwang. In den USA ist ein direkterer Zugang zur Politik möglich. Dazu tragen insbesondere die dort eingesetzten Fachausschüsse und Expertengremien bei. Diese auch in Deutschland einzurichten wäre eine wirkliche Bereicherung der politischen Landschaft, da in deutschen Ausschüssen bislang externe Mitglieder höchstens beratendes Stimmrecht haben. Die Einrichtung solcher Sachverständigenausschüsse stellt neben einer weiteren Partizipationsform auch die Anerkennung externen Wissens sicher.
6. Die Fachämterstruktur der Verwaltungen begünstigt isolierte und verhindert integrierte Entscheidungen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der LA 21 und nachhaltiger Entwicklung kann nur in Verbindung mit einer Neubewertung der Verwaltungsstruktur und des Verwaltungshandelns erfolgen. Integrierte Entscheidungen erfordern auch ein integriertes Verwaltungshandeln, das auch durch das Umlaufverfahren bisher kaum gewährleistet ist. In vielen Fällen liegt die Zuständigkeit für Agenda-Fragen bei den Umweltämtern, die über nur wenige Kompetenzen verfügen. Eine Ansiedlung in den Stadtplanungsämtern erscheint als eine sinnvollere Alternative, weil in dieser Position wirtschaftliche, soziale und ökologische Interessen am besten vereint werden können.
7. In der Verwaltung ist die Einführung von Leitbildern, Managementstrukturen und Erfolgskontrollen notwendig. Mit den in den Agenda-Prozessen gewonnenen Erfahrungen erscheint es notwendig, die Bedeutung von Leitbildern, Managementstrukturen und Erfolgskontrollen auch in der Verwaltung noch einmal hervorzuheben. Kaum eine politische Maßnahme wird heute auf ihren Erfolg hin überprüft. Gerade im Zeitalter immer knapper werdender kommunaler Haushaltsmittel müssen eine langfristige Folgenabschätzung und eine Erfolgskontrolle anhand eines Leitbildes und unabhängiger Mechanismen gewährleistet sein.
8. Die lokalen Problemkonstellationen haben entscheidenden Einfluss auf die Konsolidierung, Erfolg oder Misserfolg von LA-21-Prozessen. Eine problemorientierte Vorgehensweise bei den LA-21-Prozessen erscheint sinnvoll, da die Motivation der Beteiligten hierdurch gesteigert werden kann.
VIII. Fazit
Verglichen mit den Maßstäben, die die Agenda 21 1992 anlegte, fällt die Bilanz nicht nur für die deutschen, sondern auch für die weltweiten LA-21-Prozesse ernüchternd aus. Weder eine Aufbruchstimmung, eine Mobilisierung der Massen noch ein einigermaßen adäquates Zeitziel wurden erreicht. Allerdings kann der Handlungsauftrag aus Kapitel 28 der Agenda 21 nicht als realistischer Maßstab angesetzt werden. Zum Zeitpunkt der Verabschiedung war die LA 21 nicht mehr als ein theoretisches Konzept auf dem Papier, zu dem es keine Erfahrungen gab. Niemand konnte vorausahnen, wie lange es dauern würde, das Konzept der Nachhaltigkeit in die Gesellschaft zu tragen.
Als Schlussfolgerung ist eine differenzierte Betrachtung ratsam, die das bisher Erreichte anerkennt, aber gleichzeitig konstatiert, dass es noch viel zu tun gibt. Obwohl die LA 21 insgesamt in Bezug auf Reichweite und Erfolge klar hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückgeblieben ist, hat die Agenda-Bewegung inzwischen weltweit Resonanz gefunden. Bisher ist die kritische Masse noch nicht erreicht. Diese zu erreichen, muss das Ziel für die nächsten fünf Jahre sein. Noch sind LA-21-Prozesse eher Kür als Pflicht, vielerorts werden wirkliche Konfliktthemen (z. B. kommunale Finanzen, langfristige Stadtentwicklung, Integration bzw. Stärkung von Minderheiten etc.) nicht in den Agenda-Prozessen behandelt. Der Ansatz, das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung auf kommunaler Ebene zu implementieren, birgt ein enormes Potenzial in sich, das aber von den Kommunen entsprechend abgerufen und umgesetzt werden muss. Nach wie vor dominieren kurzfristige, sektorale Handlungsprogramme die Politik.
Hinderlich für die Aktivierung dieses Potenzials sind eine Reihe von Gründen, die in den Abschnitten V und VII dargelegt werden. Diese Probleme stellen die Aufgaben in der Zukunft dar. Sicherlich konnten auch die rasante Globalisierung und der Beginn des Internetzeitalters 1992 nicht vorausgesehen werden. Diese neuen Randbedingungen sollten letztendlich noch mehr Ansporn sein, LA-21-Prozesse weiter voranzutreiben, da sie bei intelligenter Nutzung weitere Chancen, z. B. für die Bürgerbeteiligung, darstellen können.
Seit Jahren wird in Deutschland über notwendige Reformen der Verwaltung diskutiert. Das Momentum der LA-21-Prozesse hätte ausgenutzt werden können, diese Bestrebungen entscheidend voranzutreiben, zeigt ein erfolgreicher LA-21-Prozess einer Verwaltung doch klare Möglichkeiten, wie man sich reformieren kann: durch erweiterte Beteiligung und Transparenz. Sollte es gelingen, den Begriff der Nachhaltigkeit endgültig auf seine drei Dimensionen zu erweitern, muss auch diese Thematik wieder in den Mittelpunkt der Debatte gerückt werden. Gerade für Kommunen kommt der langfristigen Planung mit integrierten Entscheidungen im Zuge immer knapper werdender finanzieller Ressourcen eine große Bedeutung zu. Aus einer historischen Perspektive betrachtet, hätte die Agenda 21 fünf Jahre früher kommen müssen: Man stelle sich einmal vor, der Ansatz der integrativen Politik durch breite Bürgerbeteiligung hätte seinen Niederschlag in der Diskussion um die Reform des Grundgesetzes nach der Wiedervereinigung gefunden. Hier hätte eine echte Chance bestanden, grundlegende Reformen des politischen Systems in Deutschland durchzuführen. Eine höchst spekulative These, die aber nicht ganz unrealistisch erscheint.
Im internationalen Vergleich ergibt sich ein gemischtes Bild: Deutschland schneidet in absoluten Zahlen hervorragend ab, dies wird aber dadurch relativiert, dass nur ein Sechstel aller Kommunen bisher die Notwendigkeit für eine LA 21 erkannt hat. Es bleibt die vage Hoffnung, dass die LA 21 durch die Johannesburg-Konferenz und in Deutschland durch die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung einen weiteren Schub erhält.