I. "Nachhaltigkeit" - ein politisches Streitobjekt
Die Bezeichnung "Nachhaltigkeit" bringt zusammen, was eigentlich politische Fliehkraft hat. Nachhaltigkeit ist ein politisches Streitthema der Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik.
Den Begriff sustainable development (nachhaltige Entwicklung) hat die Brundtland-Kommission 1987
Indessen umfasst Nachhaltigkeit aber mehr. Vor allem ist sie längst auch ein Trend der Unternehmenspolitik.
Nachhaltigkeit erschöpft sich nicht in der Effizienzsteigerung und darin, neue Windenergiesysteme aufzubauen, Energie aus Biomasse zu gewinnen, Kohlendioxid einzusparen, gesunde Nahrungsmittel herzustellen, umweltgerechte Mobilitätsangebote zu entwickeln und das genetische Potenzial der Natur zu erhalten. So wichtig das alles ist - und so ungelöst viele dieser Aufgaben noch sind -, so klar ist auch, dass bisher alle Umweltentlastung mittels technischer Effizienzgewinne von der mengenmäßigen Steigerung von Produktion und Konsum überkompensiert worden sind. Das Beispiel der Kohlendioxid-Emission des Automobilverkehrs steht für viele. Zu fragen ist also nach tiefer liegenden Triebkräften und Entwicklungschancen unseres Umgangs mit den natürlichen Lebensgrundlagen und den Zukunftsoptionen künftiger Generationen.
Die den innenpolitischen Diskurs aktuell beherrschenden Themen - Bildungspolitik, Arbeitsmarkt, Sozialreform - messen der Nachhaltigkeit bestenfalls den Stellenwert einer Randnotiz im diskursiven Background zu. Das ist einerseits verständlich, andererseits aber falsch. Verständlich ist es, wenn die "Kernkompetenz" der Nachhaltigkeit nur in umweltbezogenen Fragestellungen gesehen wird. Falsch ist es, wenn übersehen wird, dass hier längst zivilgesellschaftliche Denk-, Streit- und Legitimationsprozesse laufen, die über die "Kernkompetenz Umwelt" hinausgehen und Beiträge zur Familien-, Sozial-, Städtebau- und Bildungspolitik
Diese Beiträge zur Nachhaltigkeit sind kein allgemeines Modernisierungsprogramm, weil "Modernisierung" üblicherweise technokratisch und zeitgeistig verkürzt wird. Diese Beiträge streben dagegen an, neue Bindungen zwischen technischen und sozialen Innovationen zu fördern und nach den strukturbildenden politischen Grundlagen zu fragen. Hierbei gerät zunehmend die Globalisierung in den Fokus der Nachhaltigkeitspolitik. Bezeichnenderweise hat der Begriff Globalisierung seinen Siegeszug zum gleichen Zeitpunkt angetreten, da der Weltgipfel in Rio 1992 die Nachhaltigkeit als Leitbegriff für die ökologische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung propagierte. Mit dem Aufkommen von Internet, e-commerce, dem globalen Wettbewerb um die größte Absenkung der Unternehmensbesteuerung sowie der Beschleunigung und Zunahme von ubiquitären Finanztransfers fällt die Leistungsbilanz der Globalisierung allerdings wesentlich machtvoller aus als diejenige der Nachhaltigkeit mit ihren ersten Gehversuchen in internationalen Umweltkonventionen.
II. Episode oder Epoche
Den Impetus der UN-Weltkonferenz über Umwelt und Entwicklung
Im April hat das Bundeskabinett die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie
Die Nachhaltigkeitsstrategie hebt die politische Integrationsleistung gegenüber der heutigen Fach- und Ressortpolitik hervor. Während diese oft fragmentierte Ziele verfolgen, fordert Nachhaltigkeitspolitik den Blick auf den Zusammenhang von wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Zielstellungen.
Die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie stellt die Nachhaltigkeitspolitik auf einen neuen Stand. Die Strategie integriert Perspektiven zur Ökologie mit denen zur Haushalts-, Bildungs- und Familienpolitik, um nur Beispiele zu nennen. Die Strategie lässt keinen Zweifel daran, dass unsere Produktions- und Lebensweise in Deutschland noch lange nicht umweltgerecht und zukunftsfähig ist. Für die Jahre 2010 und 2020 zeigt die Strategie an 21 Indikatoren die Richtung, in die es gehen soll, auf. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat seine Erwartung deutlich gemacht, dass die Bundesregierung die Strategie in einem Regierungsprogramm umsetzt. Beispielhaft wird die Stoßrichtung der Strategie deutlich am Ziel, den Zuwachs an Siedlungsflächen von jetzt 130 auf 30 ha/Tag im Jahr 2020 zu begrenzen. Erneuerbare Energien sollen bis 2050 rund 50 Prozent des Energieverbrauches in Deutschland decken. Die Ganztagsbetreuungsquote in den alten Ländern soll von jetzt im einstelligen Bereich auf 30 Prozent gesteigert werden. Die Energieproduktivität soll bis 2020 verdoppelt werden. Der Anteil von Forschungsausgaben am Bruttosozialprodukt soll von jetzt 2,46 auf drei Prozent im Jahr 2010 gesteigert werden. Die Quote der 25-Jährigen ohne Berufsabschluss bzw. ohne Hochschulreife soll bis 2010 auf vier Prozent gesenkt, die Studienanfängerquote soll von jetzt 30 auf 40 Prozent in 2010 gesteigert werden. Die herausgegriffenen Beispiele verdeutlichen, dass die Strategie kein alleiniges Umweltprogramm ist. Tatsächlich liegt keines der vertieft behandelten Themen im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich des Bundesumweltministeriums. Aber auch die Ziele zur sozialen Lebensqualität und Bildung haben eine hohe Affinität zu Umwelt- und Zukunftsfragen. Dies betrifft insbesondere die auch aus Umweltsicht anzustrebende Veränderung der Lebens- und Konsumstile der Menschen.
Von übergreifender politischer Bedeutung dürfte sein, dass die Nachhaltigkeitspolitik nunmehr mit messbaren Größen etabliert und überprüfbar ist. Die eingeführte Berichterstattungspflicht spricht neben der statistischen Fortschreibung der Indikatoren richtigerweise auch die politische Justierung ("Sind wir auf dem richtigen Weg?") an. Das Monitoring ist also sowohl als detailreiche Beschreibung des state-of-the-art als auch als politische Standortbestimmung mit dem Ziel der Fokussierung auf neue Schwerpunkte und politische Ansätze angelegt. Bei einer entsprechenden Ausgestaltung könnte dies zu einer strukturierten Netzwerkbildung der Nachhaltigkeitspolitik auf allen gesellschaftlichen Ebenen, nicht nur in der Politik der Bundesregierung, sondern auch mit Blick auf die vielfältigen Aktivitäten der Bundesländer
Der Nachhaltigkeitsrat bewertet die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie als einen positiven und weiterführenden Schritt. Er hatte im Vorfeld dafür plädiert, die Strategie mit quantifizierten Zielen und Indikatoren zu konkretisieren und so zu einem modernen Politikmanagement zu kommen. Ferner hatte er angeraten, die Verantwortung Deutschlands für die globale Entwicklung zu betonen und mit der Nachhaltigkeitsstrategie einen Politikprozess in Gang zu setzen, ein Monitoring einzuführen und auf Bundesebene politische Schwerpunkte zu setzen. Der Nachhaltigkeitsrat hat sich allerdings nicht mit allen seinen Vorschlägen zu den Indikatoren und Schwerpunktthemen durchgesetzt, insbesondere erscheint ihm die industrie- und innovationspolitische Perspektive zu wenig ausgeprägt, und die Ziele und Anreize zum Ressourcenschutz knüpften nicht an die nach Ansicht der Rates erforderlichen Perspektiven an.
III. Was ist Zukunftsfähigkeit und was nicht?
Eine negative Antwort erscheint leichter als eine positive. Was als nicht zukunftsfähig gilt, stellt im Vorfeld der UN-Weltkonferenz in Johannesburg eine lange Bilanzliste dar: Der weltweite Verlust an Tier- und Pflanzenarten schreitet fort, Bodenzerstörung und Wüstenbildung nehmen zu, die Emission klimaschädlicher Gase steigt, Infektionskrankheiten breiten sich im Weltmaßstab aus. Die wirtschaftliche Kluft zwischen industriell geprägten Ländern und den Entwicklungsländern hat sich noch vertieft. Der Energiekonsum ist extrem ungleich verteilt, die Welternährungslage ist kritisch. Für rund 800 Millionen Menschen ist es heute noch ein unerreichbarer Luxus, sich satt zu essen. Die reichen Industrienationen sind weit von dem Ziel entfernt, mit 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts Entwicklungspolitik zu machen. Bewaffnete Konflikte um Land, Rohstoffe, Wasser und Nahrung nehmen zu. 15 Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen 56 Prozent des gesamten Weltkonsums, während die ärmsten 40 Prozent der Weltbevölkerung sich zehn Prozent der Konsummenge teilen.
Gemessen am weltweiten Ausmaß von Armut und Umweltproblemen ist die Welt noch weit von einer nachhaltigen Entwicklung entfernt. Die ungleiche Verteilung des Ressourcen-Konsums kann schlechterdings nicht als zukunftsfähig gelten. Armut und Ungerechtigkeit sind eine Ursache von Krieg und Umweltzerstörung. Allerdings würde - um einem Missverständnis vorzubeugen - eine Gleichverteilung des Ressourcenkonsums unter Umweltgesichtspunkten die gleichen Fragen aufwerfen nach dem Erhalt der Biodiversität, nach dem Überleben von Fischbeständen, nach dem Klimawandel und nach dem Erhalt natürlicher Ressourcen für eine ökologisch tragfähige Welternährung. Der Emission von Treibhausgasen kommt eine Schlüsselfunktion für den Naturverbrauch zu. Die wissenschaftliche Beurteilung des Klimawandels schließt auf die Notwendigkeit einer Halbierung der derzeitigen Kohlendioxidemissionen (des Naturverbrauches).
Im internationalen Umweltranking belegt Deutschland nur den 54. Platz,
Auch die Entwicklung der technischen und sozialen Infrastruktur wirft eine Reihe von Zukunftsfragen auf. Zum Beispiel weisen Technologietrends deutlich auf die Zukunft der Brennstoffzellen-Technik hin: Welche öffentliche und privatwirtschaftliche Infrastrukturpolitik aber brauchen wir für das virtuelle Kraftwerk aus stationären, dezentralen Brennstoffzellen? Der Einsatz von Brennstoffzellen im Verkehrsbereich wird zunächst vorwiegend auf fossilen Energieträgern gegründet sein. Für den perspektivischen Einsatz von erneuerbaren Energien der Wasserstoffwirtschaft sind ein langer Vorlauf und die Schaffung von Infrastrukturen erforderlich. Gesetzliche Anforderungen an den Schadstoffausstoß können die Entwicklung von Technologie und Infrastruktur fördern. Soll die Schaffung eines Tankstellennetzes für die Brennstoffzelle dem Markt überlassen werden? Hat der Markt die richtigen Signale?
Energiepolitiker bilanzieren für das Jahr 2010 ein Defizit von rund 40 000 Megawatt Energie aus dem Wegfall veralteter fossiler Kraftwerke. Welche Art von Kraftwerken werden wir in Zukunft bauen? Liegt die Lösung überhaupt im Neubau von Kraftwerken oder eher in der Einsparung von Energie durch verstärkte Einführung noch effizienterer Nutzungsformen?
Wie kann eine aktive Nachhaltigkeitspolitik auf der Ebene der Kommunalpolitik sichergestellt werden, und wie können neue Finanzierungselemente zum Beispiel des privatwirtschaftlichen community financing gemeinsam mit neuen partizipativen Strukturen in die Zukunft einer nachhaltigen Gemeindepolitik eingehen?
Das Beispiel der Verkehrspolitik macht exemplarisch den Trend der Immunisierung gegen die politische Einflussnahme deutlich. Die verkehrspolitischen Partei- und Regierungsprogramme der letzten Jahrzehnte unterscheiden sich nicht wesentlich in den Zielen, absehbare Infarktsituationen des Straßenverkehrs zu vermeiden, die Güterverkehrsleistung der Bahn zu erhöhen, den öffentlichen Verkehr zu entwickeln etc. Eingeräumt wird angesichts der Verkehrsprognosen aber auch regelmäßig, dass man diesen Zielen nicht wesentlich näher gekommen ist. Eine ähnliche Immunität gibt es auch in anderen Bereichen. So ist trotz vielfältiger guter Vorsätze der Trend ungebrochen, zunehmend mehr Siedlungsfläche in Anspruch zu nehmen - auf Kosten der landwirtschaftlich genutzten Flächen. In der Landwirtschaft ist ihrerseits entgegen milliardenschwerer agrarsozialer Förderung der Trend ungebrochen, dass Landwirte keinen Hofnachfolger finden und ihren Hof aufgeben. All dies sind Beispiele für Entwicklungen, die mindestens unerwünscht sind und gegen den mehr oder weniger ausgeprägten politischen Willen stattfinden - vielleicht, weil die eigentlich treibenden Kräfte dieser Entwicklungen sich einer nach Legislaturperioden organisierten Politik entziehen und in der nach Administrationen und Disziplinen fragmentierten Politik eine Fokussierung auf lange Wellen und säkulare Trends kaum Chancen hat? Solche Trends kämen erst in Sicht, wenn zum Beispiel Lebensstile zwischen Individualisierung, persönlicher Entfaltung, lebenslangem Lernen und neuen Erwartungen an Orientierungen oder - andere Beispiele - die soziale Lebensqualität der Menschen, die Perspektiven europäischer Integration, die Infrastrukturdynamik in den Blick genommen würden.
Nachhaltigkeit ist eine Integrationspolitik, weil es um die Orientierung der Ressortpolitik an übergeordneten politischen Zielen geht. Integrationspolitiken begegnen in der politischen Umsetzung oft abwehrenden Vorbehalten und einem Ideologieverdacht. Es erscheint aus Sicht der Fachpolitik - sei es der Verkehrs-, Agrar- oder Sozial- und Wirtschaftspolitik mit ihren vermeintlichen Sachargumenten - so als würden sich die Nachhaltigkeit mit einer von außen gesetzten Ideologie und Definitionsmacht aufdrängen. Integrationspolitik wird oft als "kopflastig und aufgesetzt" angesehen und ein Verlust an Einfluss, Diskursmacht und politischer Präsenz befürchtet. Dabei kann sie durchaus auch Gegenteiliges bedeuten, nämlich eine Steigerung von politischer Aufmerksamkeit. Im Trend der Medialisierung ist Aufmerksamkeit eine Währung, die in politisches Kapital umgewandelt werden kann.
IV. Kommunikation und Aufmerksamkeit
Zu Recht gehört die Kommunikation der Ziele und Anliegen einer nachhaltigen Entwicklung zu den wichtigsten Aufgaben der Nachhaltigkeitspolitik. Denn wie sollen in einer demokratischen Gesellschaft sonst kollektiv bindende Auffassungen und Entscheidungen über Langfristthemen zustande kommen, zusätzlich zu den bewährten Formen der politischen Meinungsbildung und diese ergänzend? Zu kommunizieren ist vor allem zweierlei: Zum einen die primäre Problemeinsicht in das "So wie es geht, geht es nicht (mehr lange)" hinsichtlich der globalen Ungleichgewichtigkeit von Zukunftschancen und der Nutzung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, meist sogar zunächst: von Überlebenschancen der Menschen. Zum anderen stellt auch die Vermittlung neuer Politikformen hohe Anforderungen. Nachhaltigkeitspolitik rückt die gemeinsamen Handlungschancen in den Vordergrund, soll Freiwilligkeit und selbstständige Übernahme von Verantwortung anregen und mit der Anerkennung individuellen Bemühens als einer gesellschaftlichen und nicht vorrangig monetären Größe arbeiten. Vor diesem Hintergrund ist die Kommunikation des Anliegens der nachhaltigen Entwicklung nicht als werblich-gekaufte Kommunikationsmaßnahme denkbar, weil sie sich in der Endlosigkeit der kommerziellen Werbewelt verlöre. Vielmehr muss sie als eine politische Kommunikation um Inhalte, Handlungschancen und Verantwortung aufgefasst werden.
Die Einstellung vieler Menschen gegenüber der Nachhaltigkeit ähnelt der, die sie dem Staat gegenüber haben und die sich mit einem Schlagwort beleuchten lässt: Von ihr/ihm wird alles erwartet, aber nicht viel gehalten. Gegenüber "Nachhaltigkeit" als politischem Begriff wird Skepsis angemeldet. Zuviel werde versprochen, zu wenig erkennbar getan. Der Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeits- und Staatsverständnis ist nicht zufällig, da das vorherrschende Verständnis beim Thema Nachhaltigkeit immer noch überwiegend auf die Handlungskompetenz des Staates abstellt und noch kaum die zivilgesellschaftliche Dimension sieht. Hier liegt ein großer Gestaltungsspielraum für bürgerschaftliches Engagement. Skepsis gegenüber dem Begriff Nachhaltigkeit signalisieren auch wissenschaftliche Beiträge, die den Begriff Nachhaltigkeit mit kritischem Unterton diskutieren.
Nachhaltigkeitskommunikation trifft auf ein höchst uneinheitliches Publikum, das nicht in einer gemeinsamen Weise mit einer Idee, einem Begriffsinhalt angesprochen werden kann. Die Vielfalt der special interest-Magazine am Medienmarkt signalisiert, dass sich die Publikumsansprache zunehmend auf diese Spezial-"Welten" bezieht und dass eine landesweit durchgängige Agenda nur bei wenigen und kurzfristig aktuellen Themen wie Lebensmittelskandalen, Kriegen und personalisierten Themen greift. Globale Meinungsumfragen helfen heute letztlich nur noch bei Wahlkämpfen, und auch darüber kann man sicher streiten. Kommunikationsdefizite werden auch bei anderen, nicht minder zentralen Gesellschaftsthemen festgestellt, wie zum Beispiel dem bürgerschaftlichen Engagement, der Bürgergesellschaft und Demokratie, allerdings ohne dass hier die Leitbegriffe in Frage gestellt würden. Der Leitbegriff Nachhaltigkeit ist zwar sperrig, aber echt - denn er ist authentisches Ergebnis der Fortentwicklung von Umwelt- und Entwicklungspolitik; er ist zwar eine schlechte Übersetzung, aber international anschlussfähig - denn man versteht sich in der Welt, wenn man von sustainability spricht; er ist zwar unsinnlich, aber zutreffend - denn er beschreibt den Kern des Anliegens, Armut zu bekämpfen, die Umwelt zu bewahren, dem Umweltraubbau entgegenzuwirken und die Lebenschancen zukünftiger Generationen zu erhalten. Partizipative Diskussionsformen in Nachhaltigkeitsprozessen erscheinen sicherlich zunächst als etwas Widerständiges und Umständliches, das seinen Zweck erst langfristig zu erreichen vermag. Ihre Anwendung setzt auch ein gewisses Verständnis und eine Einübung voraus.
Ein kurzfristiges Umschwenken auf partizipative Verfahren, etwa weil dies bei leeren öffentlichen Kassen momentan opportun erscheint, ist kaum Erfolg versprechend; sie sind nicht als Mittel zum Zweck einzusetzen, ansonsten sind unveränderte Politikinhalte "besser" durchzusetzen. Beispiele aus Dänemark, den Niederlanden und Großbritannien zeigen,
Für eines der Kommunikationsprojekte des Nachhaltigkeitsrates wurden, ausgehend von einem Beteiligungswettbewerb und der Durchführung von Schreibwerkstätten, mehrere hundert Schülerinnen und Schüler im Alter von ca. 15 bis 18 Jahren eingeladen, ihre Vorstellungen, Wünsche und Anregungen zur nachhaltigen Entwicklung in literarischer Form zu präsentieren.
Bildungspolitische Beiträge für eine nachhaltige Entwicklung sollten auch die demographische Entwicklung reflektieren. Zu erwarten sind Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Entwicklung der Lebensstile der Menschen, auf die soziale Infrastruktur, auf ihre Anforderungen an das soziale Lernen und an die Beschäftigung im Dritten Lebensabschnitt, auf Lebensgewohnheiten in der städtischen Umwelt, auf die sozialen Leistungen und die - wenn man so will - Sozialkultur der Gesellschaft. Die Menschen werden Bildung in die eigenen Hände nehmen müssen, so erforderlich, wichtig und gut auch die Anstrengungen der Lehrer, Bildungspolitiker und der freien Einrichtungen mit ihren Programmen für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung sind.
Nachhaltigkeit spricht neben technischen und naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten mit sozialwissenschaftlichen Fragestellungen
V. Von den Grenzen des Wachstums zur Nachhaltigkeit
In der Vergangenheit wurde "Entwicklung" in Europa vorwiegend verstanden als eine fortwährende, eigenständig vorantreibende Entwicklung. Die Entwicklung wurde als etwas verstanden, dessen "Ob" gleichsam außerhalb der gesellschaftlichen Einflussnahme war und dessen "Wie" es im Sinne von Verteilungskämpfen sowie von Auseinandersetzungen um Rechte und politische Mitsprache zu gestalten galt. Nach Zukunftsfähigkeit im heutigen Verständnis des Wortes wurde nicht gefragt. Dem Entwicklungs-Fortschritt wurde zugetraut, die Probleme, die er mit der Industrie, Technik und Wissenschaft schafft, im jeweils nächsten Schritt auch gleich selbst zu lösen. Der erste Bruch dieses Verständnisses kam 1972 mit dem Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums und mit der ersten globalen Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Stockholm.
Sie brachten die Frage nach den natürlichen Ressourcen, ihrer dauerhaften Nutzbarkeit und den Umwelteffekten ihrer Nutzung ins Blickfeld und gaben den Anstoß für vielfältige weitere empirische Untersuchungen und Debatten. Es war ein Erfolg der Wachstumskritik, dass sie einen Denkprozess angestoßen hat, in dessen Ergebnis sie in Teilen widerlegt worden ist. Der Raumschiffschock (die ersten Bilder der Erde als Raumschiff prägten die Zeit) führte zu Unheilsprophetien und Beschwichtigungen, vor allem aber zu neuen empirischen Erkenntnissen über Stoffströme, Naturphänomene und die Nutzbarkeit natürlicher Ressourcen und damit zur erheblichen Ausweitung und Aufwertung des naturwissenschaftlichen Verständnisses der globalen Ökologie. Auf internationaler Ebene waren wesentliche nachfolgende Etappen durch den Brundtland-Report 1987 und seine Anregung, einen Weltgipfel zu Umwelt und Entwicklung durchzuführen und damit den Einstieg in die globale Politik zu finden, gekennzeichnet. Dies legte den Grundstein für die Einsicht, dass die globale Umwelt- und Entwicklungspolitik auf ihrem Weg zu einer Nachhaltigkeitspolitik politische und institutionelle Erneuerungen anstreben muss.
Einen Motor für solche Innovationsstrategien stellen die nationalen Nachhaltigkeitsstrategien dar, sofern sie, wie die jüngsten Beispiele aus Großbritannien und Frankreich, einen Trend in Richtung der thematischen Breite, der Einführung von quantifizierten Selbstverpflichtungen der Regierungen und schließlich hinsichtlich der partizipativen Verfahren setzen. Großbritannien ist eines der ersten europäischen Länder, das eine Nachhaltigkeitsstrategie vorlegte; es ist der Trendsetter im Hinblick auf die regelmäßige Berichterstattung. Großbritannien hat die Nachhaltigkeit zur "Chefsache" gemacht; es verfolgt einen breiten Ansatz, der konkrete quantifizierte Ziele für Umweltfragen und z. B. Kriminalität, Ausbildungsniveau und Wirtschaftsdaten umfasst. Die britische Regierung hat kürzlich den zweiten Jahresbericht zur nachhaltigen Entwicklung veröffentlicht, der die 15 Indikatoren und die Prinzipien der 1999 beschlossenen Nachhaltigkeitsstrategie bilanziert. Jeder Indikator ist mit einer Zielvereinbarung der öffentlichen Verwaltung (einem public service agreement target) verbunden.
Frankreich hat im März 2002 seine Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt.
Beide Länder-Beispiele zeigen modernes Regierungshandeln für eine nachhaltige Entwicklung auf, das allerdings nur so lange modern bleibt, wie es seine eigene Dynamik und Fortsetzung vorantreibt und Betroffene zu Akteuren macht. Dies gilt auch für die deutsche Nachhaltigkeitspolitik.