I. Einleitung
Bei der Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben nimmt Deutschland in Europa nur einen Platz im Mittelfeld ein. Die Frauenerwerbsquote, d. h. der Anteil der erwerbstätigen und der arbeitslosen Frauen an den Frauen zwischen 15 und 64 Jahren, betrug im Jahre 2000 64,8 Prozent.
Aber auch wenn Frauen in Deutschland einer Erwerbsarbeit nachgehen, sind die Bedingungen ihrer Teilnahme am Erwerbsleben im Durchschnitt erheblich nachteiliger ausgestaltet als die von Männern. Teilzeitarbeit, häufig mit geringer Stundenzahl, geringeres Entgelt für gleiche oder gleichartige Arbeit, Einsatz unterhalb der erworbenen Qualifikation, geringe Aufstiegsmöglichkeiten, vielfältige Arbeitsplatzrisiken und nicht selten die sexuelle Belästigung - dies sind Kennzeichen weiblicher Arbeitsmarktteilhabe, von den Sicherungsnachteilen bei Alleinerziehenden, Geschiedenen und im Alter ganz zu schweigen.
Der europäische Vergleich zeigt jedoch, dass Deutschland mit seinem unbefriedigenden Stand der faktischen Gleichstellung nicht allein am Pranger steht, denn auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union - auszunehmen sind hier nur die skandinavischen Staaten - erreichen die Quantität und Qualität der weiblichen Berufs- und Erwerbsteilhabe bei weitem nicht den Zustand, den man als verwirklichte Chancengleichheit von Frauen und Männern oder gar als Gleichheit der sozialen Ergebnisse bezeichnen könnte. So betrug im Jahre 2000 die Beschäftigungsrate von Frauen in der EU nur 54 Prozent, während Männer einen Wert von 72,5 Prozent aufwiesen. Die Arbeitslosenquote der Frauen belief sich auf 9,3 Prozent, die der Männer betrug dagegen nur 6,8 Prozent. Auch europaweit verdienen Frauen weniger als Männer, im Jahre 1998 waren es durchschnittlich nur 84 Prozent des männlichen Stundenlohns.
Das hier gezeichnete düstere Bild sollte jedoch nicht den Blick auf die Fortschritte verstellen, die in den letzten dreißig Jahren zu verzeichnen waren, sowohl in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft als auch in der Bundesrepublik Deutschland. Es handelt sich in erster Linie um Rechtsfortschritte. So wurden in dieser Zeitspanne auf der Ebene der Rechtsnormen hier wie dort gravierende Ungleichbehandlungen und Diskriminierungen abgebaut, die Reformen stellten weitgehend formale Chancengleichheit für Frauen in den Rechtsordnungen her. Ein wesentlicher Motor des Fortschritts war und ist die supranationale Rechtsentwicklung in der Europäischen Gemeinschaft bzw. Union,
Im Folgenden sollen daher einige Eckpunkte der europäischen Rechtsentwicklung im Arbeitsrecht und ihre Einflusswirkung auf die bundesdeutsche Situation dargestellt werden, anschließend wird den Fragen nachgegangen, warum der Prozess der Gleichstellung durch Recht dennoch so langwierig verläuft und welche Potenziale des europäischen Rechts noch besser ausgeschöpft werden könnten.
II. Die Anfänge der Schaffung europäischer Rechtsnormen zur Förderung von Chancengleichheit
Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für gleiches Entgelt bei gleicher Arbeit für Männer und Frauen zu sorgen, war bereits in Artikel 119 des EWG-Vertrags von 1957 enthalten, hätte also schon in der anfänglichen Wirtschaftsgemeinschaft der sechs Mitgliedstaaten seine Wirkung entfalten müssen. Tatsächlich aber führte die Bestimmung lange ein Schattendasein.
Bewegung kam zu Beginn der siebziger Jahre auf, als die belgische Stewardess Gabrielle Defrenne ihren gerichtlichen Feldzug gegen die allseitige Diskriminierung von Frauen im Arbeitsleben aufnahm. Der Stewardess sind insgesamt drei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zu verdanken. Obwohl Gabrielle Defrenne damit in die Rechtsgeschichte einging, hat sie zwei ihrer drei Prozesse vor dem Europäischen Gerichtshof verloren, denn die Normen, die derlei Diskriminierung formalrechtlich verbieten, wurden erst später geschaffen. Die für Defrenne geltende Regelung, dass sie als Stewardess altersbedingt einige Jahre früher aus dem aktiven Flugdienst ausscheiden musste als ihre männlichen Kollegen, konnte noch nicht durch europäisches Recht außer Kraft gesetzt werden. So verlor Defrenne ihren ersten Rechtsstreit gegen die belgische Fluggesellschaft "Sabena", die entsprechende Vorlage beim Europäischen Gerichtshof wurde 1971 abschlägig beschieden.
Zusammen mit der Unzufriedenheit und dem Protest der damals fast weltweiten Frauenbewegung rüttelten die Rechtsfragen der Stewardess aber die Europäische Kommission wach, die schließlich mehrere Richtlinien vorbereitete. Die ersten und wichtigsten waren die Richtlinien zur Entgeltgleichheit (75/117/EWG) und zur Gleichheit der Zugangs- und Arbeitsbedingungen (76/207/EWG). Beschlossen werden mussten sie vom Ministerrat der (damaligen) Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Obwohl dort Einstimmigkeit erforderlich war und die konkreten Richtlinienentwürfe von den Mitgliedstaaten erhebliche Veränderungen ihrer arbeitsrechtlichen Gesetze verlangten, beschloss sie der Ministerrat tatsächlich Mitte der siebziger Jahre. Später wurde die Konsensfindung schwieriger, das führte zur Verzögerung und Verwässerung weiterer Direktiven.
Bis heute gibt es insgesamt neun eigenständige Richtlinien zur Verwirklichung der Chancengleichheit der Geschlechter, Teil- und Änderungsdirektiven nicht mitgezählt. Auf die beiden bereits genannten Richtlinien folgten weitere zur Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit (79/7/EWG) und zur Gleichbehandlung in den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (86/378/EWG). In den achtziger und neunziger Jahren wurden Direktiven zu spezielleren Materien verabschiedet, so z. B. zur Gleichbehandlung bei der Erwerbstätigkeit in der Landwirtschaft, zum Gesundheitsschutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen und Wöchnerinnen, zum Elternurlaub, zur Beweislast bei Diskriminierung und zur Teilzeitarbeit. Seit Juni 2002 steht eine wesentliche Reform der alten "Gleichbehandlungsrichtlinie" 76/207/EWG "in letzter Lesung" zur Beschlussfassung im Europäischen Parlament und im Ministerrat an,
Richtlinien sind als "sekundärrechtliche" Gemeinschaftsnormen für die Mitgliedstaaten verbindlich, aber - im Gegensatz zu Europäischen Verordnungen - nicht unmittelbar wirksam gegenüber den Gemeinschaftsbürgerinnen und -bürgern. Sie müssen vielmehr - von Ausnahmen abgesehen - erst in nationales Recht umgesetzt werden; hinsichtlich des "Wie" der Umsetzung verfügen die Staaten über Gestaltungsspielraum (vgl. Art. 249 EGV); allerdings soll das europarechtliche Ziel so gut wie möglich erreicht werden.
Mit dem Vertrag von Amsterdam von 1997, der am 1. Mai 1999 in Kraft trat, wurde auch das europäische Primärrecht (EG-Vertrag) verbessert.
Auch der Rechtserstreitungsprozess "von unten", den die Stewardess Defrenne beispielgebend begonnen hatte, wurde bis heute von zahlreichen Musterklägerinnen und etlichen Klägern fortgesetzt. Zwar können Betroffene nicht selbst den Europäischen Gerichtshof anrufen, es besteht jedoch die Möglichkeit, dass nationale Gerichte prozessentscheidende Rechtsfragen dem Gerichtshof mit Sitz in Luxemburg zur "Vorabentscheidung" vorlegen; letztinstanzliche Gerichte müssen dies bei relevanten Zweifeln sogar tun (vgl. Art. 234 EGV). Auf diese Weise entwickelte sich der Europäische Gerichtshof, obwohl ihm bis zum Jahre 1999 keine weibliche Richterin angehörte, zu einem wesentlichen institutionellen Motor der rechtlichen Gleichstellungsentwicklung.
III. Schaffung von Rechtsansprüchen gegen Diskriminierung durch die europäische Rechtsentwicklung
So wie der Normierungsprozess 1957 mit dem Gebot der Entgeltgleichheit begann (s. o.), so erzielten Frauen mit der Entgeltmaterie die ersten und vermutlich auch die meisten Erfolge beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser entschied beispielsweise, dass sich die Vergleichsbetrachtung, die zur Realisierung des Gebots der Entgeltgleichheit erforderlich ist, nicht nur auf Tätigkeiten erstrecke, welche die Vergleichspersonen zeitlich parallel verrichten, vielmehr kann sich eine Arbeitnehmerin ebenso mit ihrem Vorgänger auf dem konkreten Arbeitsplatz vergleichen und, wenn ihm ein höheres Entgelt gezahlt wurde, die Differenz fordern.
Vor allem aber entwickelte der Gerichtshof die Rechtsfigur der "mittelbaren Diskriminierung" sowie ein Instrumentarium, um sie aufspüren und dagegen vorgehen zu können. Mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine geschlechtsneutrale Regelung ein Geschlecht in größerem Umfang nachteilig betrifft, d. h., wenn die Anwendungsergebnisse von Frauen und Männern bei einer Gegenüberstellung von Vergleichsgruppen wesentlich voneinander abweichen, ohne dass dies sachlich und ohne Zuhilfenahme von Geschlechterstereotypen gerechtfertigt werden kann.
Zum ersten Mal, wenn auch nur andeutungsweise, wurde mittelbare Diskriminierung im Geschlechterverhältnis - bei wirtschaftsrechtlichen Sachverhalten war die Argumentationsfigur schon länger anerkannt - durch eine Entscheidung des EUGH im Jahre 1981 als solche identifiziert und als Verstoß gegen Art. 119 angeprangert.
So stellte der Gerichtshof z. B. die Unzulässigkeit des Ausschlusses von Teilzeitbeschäftigten aus der betrieblichen Altersversorgung fest:
Die Aufzählung von Entscheidungen zur mittelbaren Diskriminierung bedeutet nicht, dass es in den letzten zwei Jahrzehnten keine Fälle von unmittelbarer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts mehr gegeben hätte. Dennoch verwundert es, wie lange sich unmittelbar diskriminierende Bestimmungen halten konnten, z. B. verwarf das deutsche Bundesarbeitsgericht erst 1985 eine "Ehefrauenzulage" in der damaligen Westberliner Metallindustrie. Sie galt nur für Arbeitnehmer mit Ehefrauen, nicht für weibliche Arbeitskräfte mit Ehemännern.
Ebenfalls in die Kategorie der unmittelbaren Benachteiligung aufgrund des Geschlechts fällt die nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland häufig praktizierte Option des Arbeitgebers, Frauen beim Einstellungsgespräch nach einer bestehenden Schwangerschaft zu fragen sowie den Vertrag später wegen "arglistiger Täuschung" anzufechten, wenn die Frage wahrheitswidrig verneint wurde. Zur Erfüllung der Direktive 76/207/EWG war den Mitgliedstaaten vom EuGH aufgegeben worden, im Zuge der Bekämpfung von Diskriminierung auch die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft beim Zugang zum Arbeitsverhältnis oder bei Beförderungen zu untersagen. Allerdings musste der Gerichtshof der Gemeinschaft immer wieder angerufen werden,
In einer Art Ping-Pong-Spiel zwischen den nationalen Gesetzgebungen und dem EuGH konnte das Arbeitsrecht einzelner Mitgliedstaaten nach und nach korrigiert werden. Allerdings vollzog sich dieser Prozess meist sehr mühsam, so gab sich etwa die bundesdeutsche Gesetzgebung recht widerspenstig. Bei Inkrafttreten im Jahre 1980 enthielt das widerwillig geschaffene arbeitsrechtliche Diskriminierungsverbot (§ 611a BGB) eine geradezu lächerlich geringe Schadenersatzsanktion und wurde deshalb als "Portoparagraf" verhöhnt. Eine diskriminierte Bewerberin konnte nämlich allenfalls die Erstattung der Kosten für ihre vergebliche Bewerbung verlangen. 1994 kam es zwar zu einer Reform des Gesetzestextes, aber statt das Verbot zu effektivieren, führte die Gesetzgebung sogar neue Obergrenzen für die Schadensersatz- und Entschädigungsleistungen ein. Diese lagen unter den Beträgen, die deutsche Arbeitsgerichte in den Jahren zuvor festgesetzt hatten.
Erwartungsgemäß gab es aber auch Rückschläge. Enttäuschungen bereiteten der Frauenöffentlichkeit und ihrer Lobby einige Entscheidungen des EuGH in den neunziger Jahren, z. B. jenes Urteil, mit dem der Anspruch auf Überstundenzuschläge bei Überschreiten der regelmäßigen Stundenzahl im Fall von Teilzeitarbeitsplätzen abgelehnt wurde,
Als besonders kritikwürdig gilt jedoch das Urteil des EuGH im Fall Eckart Kalanke, mit dem 1995 die Quotenvorschrift im deutschen Bundesland Bremen als Verstoß gegen die "Gleichbehandlungsrichtlinie" (76/207/EWG) gewertet wurde.
Festzuhalten ist, dass die europäischen Richtlinien und der Europäische Gerichtshof eine bedeutende Rolle beim Abbau von Diskriminierung und bei der schrittweisen Verwirklichung von Geschlechtergleichheit in den nationalen Rechtsordnungen gespielt haben. Der Maßstab der "Gleichbehandlung", der unmittelbare Benachteiligung verbietet, und die Aufdeckung von "mittelbarer Diskriminierung" haben die Nationalstaaten gezwungen, traditionell geschlechtsspezifisch wirkende Regelungen ihrer Rechtsordnungen in Richtung auf mehr Egalität umzugestalten.
IV. Das Recht ist der Praxis in den Mitgliedstaaten noch immer voraus
Während die Rechtsordnungen dank supranationaler Anstöße einen erheblichen Sprung nach vorne gemacht haben, ist die Praxis des Gleichstellungsrechts in den Mitgliedstaaten nicht selten ernüchternd. Entsprechende Ergebnisse förderte ein mehrjähriges vergleichendes Forschungsprojekt zutage, das sich mit der Existenz und Nutzung von geschlechterrelevanten Gleichheitsrechten in zwölf Mitgliedstaaten befasst hatte; der Abschluss-
bericht erschien 1995.
Als positiv konnte im Bericht der WissenschaftlerInnen festgestellt werden, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung alle Mitgliedstaaten grundlegende Gleichstellungsnormen und -prinzipien in ihr Recht aufgenommen hatten, wenn auch oftmals erst notgedrungen als Anpassungsleistung an das europäische Recht oder um die Aufnahmekriterien zu erfüllen. Aus dieser Rechtssetzung "von außen" resultierte aber ein "information gap", d. h. eine Lücke der Informiertheit: Denn das relativ frauenfreundliche Recht war nur zu kleinen Teilen das Produkt von nationalen Kampagnen oder der Erfolg von Bewegungen. Folglich sind Frauen "an der Basis" häufig nicht in der Lage, Besitz von diesen Normen zu ergreifen, und nehmen überhaupt wenig Notiz davon. Nach Ansicht der BerichtsautorInnen ist die Aufmerksamkeit für die geschlechtlichen Gleichheitsbestimmungen zwar im Zeitverlauf gewachsen, dennoch wurde sie etwa in Spanien, Luxemburg und Portugal als noch ziemlich gering befunden. Positive Beispiele sahen die ExpertInnen dagegen in Dänemark und den Niederlanden, weil dort schon im Untersuchungszeitraum eine vergleichsweise hohe Aufmerksamkeit für Geschlechterfragen existierte und sich ein Trend der Regierungsaktivitäten abzeichnete, den Schwerpunkt von der Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt hin zu Maßnahmen zu verlagern, die ein besseres Vereinbaren von Erwerbs- und Familienarbeit gewährleisten.
Für Deutschland wurde positiv hervorgehoben, dass die meisten Bundesländer - inzwischen sind es alle Bundesländer und die Bundesverwaltung - Gleichstellungsstellen und -beauftragte etabliert hätten. Die nationalen ExpertInnenberichte spiegelten die große Bandbreite von unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der einzelnen Mitgliedstaaten wider. Dabei wird deutlich, wie wichtig Regierungsinitiativen für das Ausmaß und die Qualität der Umsetzung von europäischen Rechtsimpulsen sind und dass korporatistische Akteure, d. h. Gewerkschaften und Arbeitgeber(verbände), eine zentrale Rolle spielen.
Der Bericht betont, dass das Vorhandensein von Diskriminierung noch nicht notwendigerweise zu einem Handeln der Betroffenen führe, das gegen die Benachteiligung vorgeht, im Gegenteil. Gerade die Beschäftigten in den prekärsten Arbeitsverhältnissen sind am wenigsten in der Lage, sich zu wehren. Dies zeige sich, so die ExpertInnen, beispielsweise bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, wo die Dunkelziffer der Fälle enorm hoch sei. Auch Diskriminierung im Zusammenhang mit Schwangerschaft sei in vielen Mitgliedstaaten ein großes Problem - trotz der konsequenten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.
Der Rechtsgebrauch im Einzelfall, d. h. das Einfordern und Einklagen von Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung, wurde als extrem unterschiedlich bewertet. Die Zahlen reichten von 1 300 Fällen, verzeichnet für die "industrial tribunals" in Großbritannien, bis zu bloßen vier Fällen in Luxemburg für den Zeitraum von 1990 bis 1994. Für die neuen Bundesländer in Deutschland wurde trotz zahlreicher, allgemein bekannter Nachteile für Frauen keinerlei Rechtserstreitung (englisch: "litigation") in Bezug auf Gleichstellungsnormen registriert. Im Vergleich zu anderen Materien des Arbeitsrechts sind geschlechterrechtliche Streitigkeiten ohnehin in allen Mitgliedstaaten nur gering vertreten. Deutschland insgesamt wies hier eine "zu vernachlässigende" Fallzahl auf, die in dem zusammenfassenden Bericht nicht näher konkretisiert wurde. Bei den wenigen Fällen sei es hauptsächlich um Entgeltaspekte von Teilzeitbeschäftigten gegangen.
Erwartungsgemäß sind es - abgesehen von den Anwendungsfällen der Quote - überall hauptsächlich Frauen, die vor Gericht gehen. Meist betreffen ihre Klageanträge zwar kollektive Vereinbarungen - in Deutschland sind dies Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen -, die Klägerinnen müssen ihr Recht jedoch ganz überwiegend als Individuen suchen. Denn Gruppenklagen oder Musterprozesse, geführt von Interessenorganisationen ("equality agencies"), sind kaum - in Deutschland bislang gar nicht - zugelassen. Die Ergebnisse der Rechtsstreite befriedigen nach Einschätzung der BerichtsautorInnen daher wenig. Generell sei die Rate gütlicher Einigungen bei geschlechterrechtlichen Diskriminierungsfällen bedenklich niedriger als bei anderen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten. Die Ergebnisse erweckten nach Ansicht der BerichtsautorInnen den Eindruck, dass die Geschlechtermaterie als Prinzipienfrage aufgefasst werde und dass sich die Parteien - gemeint sind hier wohl vor allem die Arbeitgeber - immer dann, wenn es ihrer Meinung nach ums Prinzip geht, einer einzelfallbezogenen Einigung häufiger als sonst verweigerten.
V. "Mittelbare Diskriminierung" - eine Rechtsfigur mit großem Potenzial
Die geringe Aufmerksamkeit für die Durchsetzung der geltenden Rechtsstandards von Seiten aller Beteiligten mag auch einer von mehreren Gründen gewesen sein, weshalb auf europäischer Ebene die Rahmenstrategie des Gender Mainstreaming
Ungeachtet dieser ohnehin nur bescheidenen Lichtblicke betrachten nicht wenige feministische oder frauenpolitisch engagierte Akteurinnen die europäische Einigung aus kritischer Perspektive, allzu neoliberal geprägt erscheinen ihnen die Motive und Handlungsstrategien für das "Projekt Europa" und allzu "männlich" die Herrschaftsstrukturen des "Euro-Clubs".
Immerhin stellen die thematisch einschlägigen europäischen Stellungnahmen, Berichte und Beschlüsse europäischer Organe heraus, dass es Frauen sind, denen auf dem Arbeitsmarkt, in der Politik und in anderen Bereichen der Gesellschaft gleiche Teilhabechancen vorenthalten werden. So wird anerkannt, dass es zur Integration von Frauen ins Erwerbsleben spezifischer Regelungen und Unterstützungen bedarf, weil Frauen in der Praxis die familiäre Hauptlast fast allein tragen. Richtlinien aus den neunziger Jahren - z. B. über schwangere und stillende Mütter am Arbeitsplatz oder zur Teilzeitarbeit - versuchen hier Mindestschutz- und Förderungsbedingungen einzuführen, die es Frauen erlauben, stärker am Erwerbsprozess teilzunehmen. Insoweit zielen die normativen Handhaben in erster Linie auf den Abbau von traditionellen Hindernissen für Frauenerwerbstätigkeit.
Trotz dieser begrenzten Zielsetzung verkörpert die EG-Gesetzgebung - verglichen mit den herkömmlichen Rechtssetzungen der meisten Mitgliedstaaten - "neue Einsichten und einen neuen Geist"
In der Vergangenheit konnte so die Rechtsposition von Teilzeitbeschäftigten aufgewertet werden. Ein weiteres, bisher kaum erprobtes Anwendungsfeld ist das Recht auf "gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit". Hier geht es darum, die Vergleichbarkeit von Tätigkeiten zu systematisieren und die bislang vorherrschende Geringschätzung typisch weiblicher Arbeit im Zuge der Arbeitsbewertung und entgeltlichen Eingruppierung zu korrigieren. Schwierigkeiten bestehen darin, ein geschlechtergerechtes Arbeitsbewertungssystem zu entwickeln und den Vergleich "gleichwertiger" Tätigkeiten auch über die Grenzen eines Unternehmens und eines Tarifvertrags hinaus auszudehnen.
In dieser Frage, d. h. beim Anpacken der strukturellen Entgeltdiskriminierung, zeigen sich im internationalen Vergleich große Unterschiede. In Deutschland ist die strategische Aufmerksamkeit für die Probleme der Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern sowie für die Entgeltgleichheit bei gleichwertiger Arbeit eher als gering einzuschätzen. Hinsichtlich der Strategie zur Erreichung von gleichem Entgelt zeichnet sich international eine Abkehr von dem älteren klagezentrierten Ansatz ab und eine Hinwendung zu dem neueren Konzept von "pay equity", das stärker auf Verfahrensaspekte zur Verwirklichung von Entgeltgerechtigkeit ausgerichtet ist. Schritte in diese Richtung in Form von Verfahrensgesetzen mit Berichts- und Evaluationspflichten für Staaten und Arbeitgeber sind in Skandinavien und ansatzweise auch Frankreich zu verzeichnen, ansonsten vor allem in Kanada und den USA. Sie beruhen auf der Erkenntnis, dass die klagezentrierte Strategie wegen ihrer individuellen und punktuellen Vorgehensweise unbefriedigende Ergebnisse erbringt und daher "pro-aktive" Maßnahmen bessere Erfolgschancen haben.
VI. Ausblick
Mit der aktuellen Novellierung der Gleichbehandlungsrichtlinie von 1976, welche die Mitgliedstaaten zwingt, binnen drei Jahren nach Inkrafttreten das jeweilige nationale Recht anzupassen, legt die europäische Rechtssetzung erneut Gewicht auf die Gleichbehandlung im Arbeitsrecht. Zwar fordert die neue Direktive keine tief greifenden Reformen von den Mitgliedstaaten, aber sie verlangt ihnen Anstrengungen zur Effektivierung des vorhandenen Diskriminierungsschutzes ab. Zusätzlich zu den bisherigen Inhalten der Richtlinie 76/207/EWG wurden (in die Endfassung des Entwurfs) weitere Punkte aufgenommen, z. B. wird nun die sexuelle Belästigung ausdrücklich als Diskriminierung definiert, effektive Präventivmaßnahmen sollen obligatorisch sein. Zur Verbesserung des Rechtsschutzes gegen Diskriminierungen müssen die Staaten ein Verbandsklagerecht und mindestens eine unabhängige nationale "Stelle" (Behörde) schaffen, welche die Verwirklichung der Gleichbehandlung fördert, analysiert, beobachtet und unterstützt. Ferner muss dafür gesorgt werden, dass die Sanktionen, insbesondere auch die Schadensersatzleistungen an die Opfer, wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. Die Arbeitgeber sollen dazu angehalten werden, die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz "in geplanter und systematischer Weise zu fördern". Hier wurde nur eine recht milde Form der Verpflichtung für die Privatwirtschaft festgeschrieben. Sie enthält auch die Maßgabe, dass der Arbeitgeber seine Beschäftigten und die Arbeitnehmervertretungen regelmäßig über den Stand der Gleichbehandlung im Betrieb informieren muss, etwa durch Statistiken und Berichte über verbessernde Maßnahmen.
Der letztgenannte Punkt spricht die Gleichstellung in der Privatwirtschaft an. In diesem Bereich ist - das gilt ganz besonders für Deutschland - das Potenzial des europäischen Gleichstellungsrechts noch lange nicht ausgeschöpft. Bekanntlich scheiterte der ursprüngliche Plan der rot-grünen Bundesregierung, ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft zu schaffen, im Jahre 2001 an Bundeskanzler Gerhard Schröder, der sich mit vagen Zusicherungen von Spitzenvertretern der Unternehmerverbände begnügte, die Wirtschaft wolle Frauen freiwillig fördern. Tatsächlich sind sich arbeitsrechtliche ExpertInnen und Frauen-LobbyistInnen weitgehend einig darüber, dass Freiwilligkeit allein kaum zu spürbaren allgemeinen Verbesserungen führen werde, und fordern daher weiterhin ein Gleichstellungsgesetz.