Einleitung
Gender Mainstreaming gerät in der geschlechterpolitischen Diskussion seit einigen Jahren mehr und mehr zum Zauberwort. Das Konzept soll neuen Schwung in die Realisierung der Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern bringen, ihm werden beachtliche Potenziale zur Neugestaltung des Geschlechterverhältnisses zugeschrieben. Kann Gender Mainstreaming diese Erwartungen erfüllen? Wo liegen dabei die Neuerungen gegenüber der bisherigen Gleichstellungspolitik? Zur Beantwortung dieser Frage sollen im Folgenden zentrale Strukturmerkmale des Gender-Mainstreaming-Konzepts sowie einige good practice-Beispiele vorgestellt werden.
I. Chancengleichheit als Querschnittsaufgabe
Gender Mainstreaming "... bedeutet die (Re-) Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Bewertung des Politikprozesses mit dem Ziel der Integration der Perspektive der Gleichstellung der Geschlechter in allen Politiken, auf allen Ebenen und allen Stufen von allen politischen Akteuren"
Über die Perspektive der Verankerung von Fragen der Gleichstellung von Frauen und Männern als Querschnittsaufgabe im Sinne von Gender Mainstreaming wurde auf internationaler Ebene bereits auf der ersten Frauenkonferenz im Jahr 1985 in Nairobi diskutiert, sie findet sich im weiteren Verlauf der achtziger Jahre dann im entwicklungspolitischen Kontext
Auch Organisationen wie die Weltbank oder die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) wenden das Gender-Mainstreaming-Prinzip an; in der Bundesrepublik Deutschland findet sich Geschlechterdemokratie als Querschnittsperspektive in der Heinrich-Böll-Stiftung und in der Gewerkschaft ver.di, welche sich in ihrer Satzung dem Ziel der Geschlechterdemokratie und dem Gender-Mainstreaming-Ansatz verpflichtet. Per Kabinettsbeschluss hat sich auch die Bundesregierung im Juli 1999 auf die Querschnittsintegration der Chancengleichheit von Frauen und Männern mittels des Gender-Mainstreaming-Prinzips festgelegt,
Wohl am weitesten fortgeschritten bei der Integration der Perspektive der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Umsetzung von Gender Mainstreaming sind auf nationaler Ebene die skandinavischen Staaten. Bereits im Jahr 1994 hat sich Schweden dem Gender-Mainstreaming-Ansatz verpflichtet, in Finnland startete 1998 ein entsprechendes Projekt, Norwegen begann 1996 mit der Implementation. Auch der Nordische Rat orientierte sich in seinem Programm für Chancengleichheit für die Jahre 1995 bis 2000 bereits am Gender-Mainstreaming-Konzept.
II. Gender Mainstreaming als Gestaltung von Geschlechterverhältnissen
Sieht man sich die Definition von Gender Mainstreaming an, wird noch eine weitere Neuerung gegenüber der bisherigen Gleichstellungspolitik deutlich. Soll die Perspektive der Chancengleichheit in allen Dimensionen politischen und organisationalen Handelns von allen Akteuren berücksichtigt werden, werden zwangsläufig auch Männer zu geschlechterpolitischen Akteuren.
Auch in dieser Hinsicht sind die skandinavischen Staaten beispielgebend. Während Geschlechterpolitik in der Bundesrepublik in der Vergangenheit weitgehend Frauenpolitik war, sind Männer in Schweden schon seit den achtziger Jahren in die Gleichstellungspolitik eingebunden - und so etwa maßgeblich an der Konzeptionalisierung des so genannten Pappa-Monats beteiligt.
Hinter dieser politischen Ausrichtung steht die allgemeine Erkenntnis, dass das Geschlechterverhältnis im Ganzen nur verändert werden kann, wenn an seinen beiden Polen zugleich angesetzt wird. So wird eine Erhöhung des Anteils von vollerwerbstätigen Frauen nur dann möglich sein, wenn gleichzeitig Männer verstärkt familiale Betreuungsaufgaben übernehmen. Werden ausschließlich Frauen als das zu Verändernde begriffen und wird Gleichstellungspolitik entsprechend als Frauenpolitik konzipiert, werden Männer weitgehend im Zustand der Geschlechtslosigkeit belassen und bleiben auf diese Weise implizit der Mensch, das Maß aller Dinge.
Gender Mainstreaming als Ansatz zur Gestaltung des Geschlechterverhältnisses findet sich exemplarisch in einem Gender-Mainstreaming-Projekt in der dänischen Kommune Ringstedt, welches auf die Veränderung der internen Personalpolitik zielt und dabei drei Ziele verfolgt:
1. die Erhöhung der Anzahl der Frauen in Bereichen, die von Männern dominiert werden;
2. die Erhöhung der Zahl von Frauen in leitenden Positionen (in dem Fall, dass mehr Frauen in leitenden Positionen sind, Erhöhung der Zahl der Männer);
3. die Erhöhung der Zahl der Männer in Bereichen, die von Frauen dominiert werden.
Das Projekt konzentriert sich auf die Stellenanforderungen und auf die geschlechtsspezifische Ausgewogenheit in den Gremien, welche über Einstellungsvorgänge entscheiden. Hier wurde Informationsmaterial über Gender-Fragen für die BewerberInnen und für die EntscheiderInnen entwickelt; mit dem Ziel, die Zahl der Männer in den Kindertageseinrichtungen zu erhöhen, wurden die betreffenden Stellenausschreibungen geändert. Nicht mehr die genaue Beschreibung der Tätigkeit, sondern die genaue Darstellung der Anforderungen und Aufgaben wurde in den Vordergrund gerückt. Innerhalb von sechs Monaten erhöhte sich die Zahl der männlichen Bewerber für diesen Bereich.
Ein ähnliches Beispiel der Gestaltung von Geschlechterverhältnissen findet sich bei der Deutschen Lufthansa. Dort wurde im Jahr 1994 die Betriebsvereinbarung Chancengleichheit abgeschlossen. Ziel der aufgelegten Maßnahmen ist unter anderem die Förderung von Frauen in so genannten "Männerdomänen", zugleich aber auch die Förderung von Männern in so genannten "Frauenbereichen".
Angeboten werden bei der Lufthansa zudem zahlreiche familienorientierte Maßnahmen, die Frauen und Männer zugleich ansprechen. Demgegenüber richtet sich die überwiegende Anzahl der Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den meisten Unternehmen und Behörden fast ausnahmslos an Frauen.
III. Gender Mainstreaming als Organisationsentwicklung
Zur Analyse der Gender-Dimension in Organisationen und zur Entwicklung adäquater Maßnahmen ist - wie beispielsweise Erfahrungen der Umsetzung von Gender Mainstreaming in der Weltbank zeigen
So sind Organisationen nicht nur in ihren Führungspositionen weitgehend quantitativ von Männern dominiert, sie sind vor allem strukturell reproduktionsvergessen, d. h., sie grenzen die Erledigung von als weiblich konnotierten Vor- und Fürsorgetätigkeiten - beispielsweise Kochen, Waschen, Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen - aus ihrem Kontext aus.
Aus dem mit dem Gender-Begriff verbundenen Verständnis von Geschlechterhierarchie ergibt sich nun ein doppelter Ansatz von Gender Mainstreaming. Dieser zielt zum einen auf die Gleichstellung von Frauen und Männern in dem Sinne, dass Frauen dieselben Chancen, Rechte und Pflichten in allen Bereichen erhalten sollen. Orientiert an der Gender-Dimension von Geschlecht ist Gleichstellung jedoch "... nicht gleichbedeutend mit Gleichheit, mit der Verallgemeinerung von Männern, ihrem Lebensentwurf und ihren Lebensbedingungen als die Norm"
Schaubild 1: Gender Mainstreaming
Diese Herangehensweise zeigt sich beispielsweise in einem Gender-Mainstreaming-Projekt des finnischen Arbeitsministeriums. Frauen arbeiten in Finnland überwiegend im öffentlichen Sektor, dagegen fehlen Arbeitskräfte vor allem in der informationstechnologischen Industrie, die den Wachstumsmotor der finnischen Volkswirtschaft darstellt. Vor diesem Hintergrund wird vom Arbeitsministerium nun die Arbeitsplatzkultur in dieser Branche unter anderem mit dem Ziel analysiert, diese für Frauen attraktiver zu gestalten. Kooperationspartner sind dabei Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Weiterhin werden Trainingsprogramme für so genannte "equality consultants" entwickelt, die in Privatunternehmen eingesetzt werden und dort Gleichstellungsstrategien unterstützen.
Für die Implementation von Gender Mainstreaming in Organisationen existiert keine "goldene Regel"; die Anlage dieses Prozesses ist abhängig von der jeweiligen Organisationskultur. Allerdings können auf der Basis bisheriger Erfahrungen einige grundlegende Bausteine für eine erfolgreiche Umsetzung von Gender Mainstreaming benannt werden, wobei der politische Wille der Spitze einer Organisation unbedingte Voraussetzung ist.
Schaubild 2: Implementation von Gender Mainstreaming
Zur weiteren Unterstützung der Umsetzung von Gender Mainstreaming in Organisationen wurde in Schweden das Instrument der Flying Experts entwickelt. Als Flying Experts werden Gender-ExpertInnen bezeichnet, welche für einen begrenzten Zeitraum ausgewählten Akteuren Hilfestellung geben und beispielsweise Daten aus der Geschlechterforschung entsprechend aufbereiten. Gerade die Durchführung von Gender-Analysen, d. h. Analyse und Abbildung der Geschlechterverhältnisse in der betreffenden Organisation, hat nicht zu unterschätzende Effekte auf die Bewusstseinsbildung bei den MitarbeiterInnen und Führungskräften und bildet zugleich eine wesentliche Voraussetzung für die Formulierung der geschlechtspolitischen Zielsetzungen.
Neben der Herstellung von Gender-Kompetenz ist die Festlegung von Verantwortlichkeit ein weiterer zentraler Baustein für die Umsetzung von Gender Mainstreaming. Hier gehen die Institutionalisierungsformen von Arbeits- und Kommissionsgruppen - etwa auf der Ebene der Bundesregierung oder der Europäischen Kommmission - bis zu Gender-Beauftragten, welche sich beispielsweise in der Gewerkschaft ver.di finden lassen. Jenseits dieser unterschiedlichen Formen ist von Bedeutung, dass in entsprechenden Gremien auf eine geschlechtsheterogene Zusammensetzung geachtet wird.
IV. Gender Mainstreaming als Modernisierung von Organisationen
Nicht nur rechtliche Vorgaben verpflichten zur Umsetzung von Gender Mainstreaming, für die Umsetzung von Gender Mainstreaming spricht vor allem, dass hiermit beträchtliche Innovations-, Effektivitäts- und Kreativitätspotenziale entfaltet werden können.
Eine Veränderung organisatorischer Strukturen mit dem Ziel der Gleichwertigkeit weiblich und männlich konnotierter Kompetenzen und Lebensmuster verbunden mit einem Abbau geschlechtsspezifischer Stereotype und Erwartungshaltungen ermöglicht es einer Organisation, ihre MitarbeiterInnen gemäß ihren Leistungspotenzialen optimal einzusetzen; innerorganisatorische Kommunikationsprozesse werden entscheidend verbessert, Fehlzeiten verringert.
Zwar sind (geschlechts-) homogene (Arbeits-) Gruppen - beispielsweise Männer aus nur einem Kulturkreis - in der Entscheidungsfindung schneller, heterogen zusammengesetzte Gruppen arbeiten, wenn sie entsprechend geleitet werden, jedoch kreativer und kommen zu tragfähigeren Problemlösungsansätzen.
Allgemein wird zukünftig von einer Verknappung des Arbeitskräfteangebots bei Fach- und Führungskräften ausgegangen. Zudem lassen sich bei dieser Personengruppe Bedürfnislagen hinsichtlich einer veränderten Balancierung von Erwerbsarbeit sowie Freizeit und Familie erkennen. Gender-Mainstreaming-Strategien, die auf einen entsprechenden Umbau von Karrieremustern zielen, stellen vor diesem Hintergrund einen nicht zu unterschätzenden Konkurrenzvorteil bei der Anwerbung geeigneten Personals dar.
Schaubild 3: Modernisierung von Organisationen
Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass Gender Mainstreaming einen wichtigen Beitrag leisten kann zur Modernisierung von Organisationen, zur Optimierung ihrer Humanressourcen und zur Optimierung ihres Outputs.
V. Gender Mainstreaming als Beitrag zum Managing Diversity
Um diese Modernisierungspotenziale vollkommen ausschöpfen zu können, nimmt das Gender-Mainstreaming-Konzept auch Abstand von der Vorstellung homogener Geschlechtergruppen. Denn neben der Geschlechterdifferenz existieren in der Gesellschaft noch andere Unterstreichungsmechanismen - etwa Hautfarbe, Herkunft, Alter. Auch diese Differenzierungsmuster begründen Diskriminierungstatbestände und bestimmen den Zugang zu Gestaltungsressourcen, wobei sie sich in ihren Effekten überlagern und verstärken.
Unter Berücksichtigung dieser multidimensionalen Diskriminierungsstrukturen wird als umfassendes Ziel von Chancengleichheit zunehmend Diversity formuliert - gemeint ist damit die Gleichwertigkeit von Differenz, die Beseitigung aller Ungleichheiten beim Zugang zu Gestaltungsressourcen.
Auch die bundesdeutsche Gesellschaft ist eine vielfach differenzierte Gesellschaft, im Kontext der Globalisierung dürften in absehbarer Zeit vor allem kulturelle Unterschiede als Strukturierungsfaktor innerhalb und außerhalb von Organisationen noch an Bedeutung gewinnen. Mit ihren Erfahrungen hinsichtlich einer der zentralen Differenzen und eines der zentralen Diskriminierungsmerkmale kann Geschlechterpolitik hier einen wichtigen Beitrag leisten zur Entwicklung von umfassenden Diversity-Konzepten. Dabei stellt sich die Aufgabe, zukünftig nicht nur die unterschiedlichen Lebenslagen von Frauen im Vergleich zu Männern und vice versa, sondern zugleich die jeweils unterschiedlichen Lebenslagen sowohl von Frauen als auch von Männern zum Ausgangspunkt ihrer Maßnahmen zu machen.
Gender-Trainings werden angereichert mit Elementen aus Diversity-Trainings, Gender-Analysen werden zu umfassenden Diversity-Analysen, Gender-Kompetenz wird verknüpft mit interkultureller Kompetenz. Gender Mainstreaming wird auf diese Weise zum Wegbereiter von Managing Diversity: "Strukturell gesehen müssen wir darauf hinarbeiten, Arbeit und Familienleben so zu organisieren, dass Zuständigkeiten und Entgelt absolut unparteiisch an Menschen mit verschiedenen sozialen Merkmalen, die unterschiedliche Aufgaben erfüllen, verteilt werden ... Um wirkliche Gleichheit herzustellen, müssten allerdings auch die Arbeitsplätze nach dem gleichen Prinzip organisiert werden: Gleichwertigkeit für eine Vielfalt unterschiedlicher Tätigkeiten."
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