Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Osloer Friedensprozess als ein Weg zum Frieden? | Gewalt und Gegengewalt im "Heiligen Land" | bpb.de

Gewalt und Gegengewalt im "Heiligen Land" Editorial Endlos nach der "Endlösung": Deutsche und Juden Keine Lösung durch Gewalt Der Osloer Friedensprozess als ein Weg zum Frieden? Eine Mauer wird errichtet Das besetzte Palästina zwischen Macht und Gerechtigkeit

Der Osloer Friedensprozess als ein Weg zum Frieden?

Abdallah Frangi

/ 23 Minuten zu lesen

Die Palästinenser hatten große Hoffnungen in den Friedensprozess gesetzt. Die einzelnen Etappen zeigen, dass Israel nicht von weiterer Inbesitznahme palästinensischen Landes ablässt.

I. Der 11. September 2001 und der Nahostkonflikt

Die Anschläge in New York City und Washington am 11. September 2001 haben die Agenda in den internationalen Beziehungen von Grund auf verändert. Seither gilt die Bekämpfung des "internationalen Terrorismus" in all seinen Facetten als wichtigste Aufgabe internationaler Politik. Soziale Gerechtigkeit, Freiheit von Unterdrückung und Ausbeutung sowie das Recht auf Selbstbestimmung sind in den Hintergrund getreten. Militärische Sicherheit wurde zur dominanten Größe internationaler Politik. Die USA als einzige Supermacht bestimmen weltweit die Themen der politischen Agenda. Sie definieren, wer als Terrorist zu gelten hat und wer nicht. Wie sagte US-Präsident George W. Bush nach dem 11. September: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!

Einer der ersten Staaten, die sich der von den USA ins Leben gerufenen "Anti-Terror-Allianz" anschließen wollten, war Israel. Endlich, so schien es, verstanden die anderen Staaten das Anliegen Israels, den Widerstandskampf eines von militärischer Okkupation strangulierten Volkes als "Terrorismus" zu sehen. Die Enttäuschung der israelischen Politiker war groß, als die USA die Mitgliedschaft des Landes in dieser Allianz nicht wünschten. Seither kann Israel aber mit Billigung der USA in den palästinensischen Autonomiegebieten nach Gutdünken schalten und walten. Darüber hinaus werden seltsamerweise schwerste Menschenrechtsverletzungen von der internationalen Staatengemeinschaft stillschweigend akzeptiert.

Der von US-Präsident George W. Bush ausgerufene "Krieg gegen den Terrorismus" hat die berechtigten Anliegen des palästinensischen Volkes völlig in den Hintergrund treten lassen. Unser legitimer Widerstand gegen militärische Besatzung wird ausschließlich in der Begrifflichkeit des Terrorismus gesehen und vermittelt. In seiner jüngsten Nahostrede hat Präsident Bush der palästinensischen Führung die Unterstützung des Terrorismus unterstellt. Kein Mitglied von Präsident Arafats Regierung hat jemals die Selbstmordattentate gerechtfertigt oder verteidigt. Auch haben sich jüngst 55 palästinensische Persönlichkeiten in einem Schreiben an die Autonomiebehörde gewandt und gefordert, alles zu tun, um diese Attentate zu verhindern, da sie weder politisch noch moralisch zu rechtfertigen seien. Dass es ein legitimes Recht auf Widerstand gegen eine 35-jährige Militärbesatzung gibt, ist völkerrechtlich und naturrechtlich jedoch verbrieft. Dazu schrieb der Soziologieprofessor an der Hebräischen Universität in Jerusalem, Baruch Kimmerling, am 27. März 2001 in der Tageszeitung "Ha'aretz" Folgendes: "Since 1967, millions of Palestinians have been under a military occupation, without any civil rights with, and most lacking even the most basic human rights. The continuing circumstances of occupation and repression give them, by any measure, the right to resist that occupation with any means at their disposal and to rise up in violence against that occupation. This is a moral right inherent to natural law and international law." Dieses Widerstandsrecht werde noch durch die Vierte Genfer Konvention bestärkt, da sie einen Bevölkerungstransfer des Besatzers in besetzte Gebiete untersagt.

Ein Teil der Politiker des Westens tut aus historischen Gründen (Holocaust) nichts gegen die Strangulierung des palästinensischen Volkes durch Israel. Dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Volk auf brutalste Weise seiner Rechte beraubt wird und die aufgeklärte Weltöffentlichkeit dazu schweigt, ist der wirkliche Skandal. Die Schuld- und Verantwortungsfrage wird dabei auf den Kopf gestellt. Von den Unterdrückten erwartet man die Akzeptierung der Bedingungen der Unterdrücker! Eine solche "Logik" hat es in der modernen Kolonialgeschichte bisher nicht gegeben.

Ich gehörte trotz heftigster Kritik in Deutschland zu den vehementesten Verfechtern des Friedensprozesses und sehe auch heute noch den eingeschlagenen Weg, der in den Osloer Abkommen vorgezeichnet worden ist, als alternativlos. Israel hat aber unsere Hoffnungen und Sehnsüchte nach einem eigenen Staat im Laufe des Friedensprozesses immer wieder u. a. durch die Fortsetzung des Siedlungsbaues und der Schaffung eines separaten Straßensystems enttäuscht. Die palästinensische Führung wurde getäuscht. Im Folgenden möchte ich auf einige Stationen des Friedensprozesses eingehen und mich dann mit dem "großzügigen Angebot" Ehud Baraks von Camp David auseinandersetzen. Abschließend werde ich auf die Nahostrede von George W. Bush eingehen und mögliche Lösungswege aus der Sackgasse aufzeigen.

II. Der Friedensprozess als Fortsetzung der Okkupation?

Die Euphorie und die Hoffnungen vieler Palästinenser waren schier grenzenlos, als am 13. September 1993 das Osloer Abkommen zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO) vor dem Weißen Haus in Washington unter der Schirmherrschaft Präsident Clintons unterzeichnet worden ist. Das Abkommen, das der israelische Außenminister Shimon Peres und der Verhandlungsführer der PLO, Mahmoud Abbas (Abu Mazen), unterzeichnet haben, klang hölzern: "Prinzipienerklärung über vorübergehende Selbstverwaltung"; aber es war das erste Abkommen, das der geschundenen Region den Frieden bringen sollte. Beide Seiten erklärten sich darin bereit, den Konflikt in Zukunft durch Verhandlungen zu lösen. Der Weg hin zur Unterzeichnung des Abkommens war dornenreich. Er begann mit der Friedenskonferenz von Madrid am 31. Oktober 1991, die nur wegen der tief greifenden Veränderungen im internationalen System möglich war. In der Folge der Madrider Konferenz trafen sich von 1991 bis 1993 die israelische und die palästinensische Verhandlungsdelegation in Washington zu zehn ergebnislosen Verhandlungsrunden. Der damalige israelische Ministerpräsident Yitzhak Shamir erklärte nach seiner Abwahl im Juni 1992, dass er noch zehn Jahre mit den Palästinensern in Washington verhandelt hätte, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.

Das Osloer Vertragswerk umfasst die "Prinzipienerklärung über vorübergehende Selbstverwaltung" vom 13. September 1993 sowie das "Protokoll über die wirtschaftlichen Beziehungen", das am 29. April 1994 in Paris unterzeichnet worden ist und das Bestandteil des "Gaza-Jericho-Abkommens" vom 4. Mai 1994 ist. Das "Wirtschaftsprotokoll" wurde auch unverändert in das "Interimsabkommen über die Westbank und den Gaza-Streifen" vom 28. September 1995 integriert. Benjamin Netanyahu schloss das Hebron-Protokoll vom 15. Januar 1997 und das Wye-Memorandum vom 23. Oktober 1998 ab. Ehud Barak handelte das Sharm-el-Sheikh-Memorandum vom 4. September 1999 aus und wollte vom 11. bis 25. Juli 2000 in Camp David einen Statusendvertrag mit uns Palästinensern aushandeln.

Die wichtigsten Punkte der "Prinzipienerklärung" sind:

- Rückzug der israelischen Armee aus dem Gaza-Streifen und Jericho (Art. XIV).

- Gründung einer palästinensischen Behörde (Art I), der im Wesentlichen fünf Kompetenzbereiche übertragen werden: Erziehung und Kultur, Gesundheit, Sozialwesen, direkte Besteuerung und Tourismus (Art. VI).

- Wahl eines palästinensischen Rates durch die Bevölkerung der Gebiete einschließlich Ost-Jerusalems, der dann an die Stelle der palästinensischen Behörde treten soll (Art. III).

- Ausdehnung des Gebietes, in dem der Rat die zivilen Befugnisse hat und für die Sicherheit von Palästinensern verantwortlich ist (Art. VII).

Die Sicherheit der Grenzen, die Außenbeziehungen, die Sicherheit und die öffentliche Ordnung in den jüdischen Siedlungen und für deren Bewohner sowie den ungehinderten Transit auf den Straßen behält sich Israel vor. Dies gilt auch für alle Folgeverhandlungen. Ausgeklammert und auf die Statusendverhandlungen verschoben werden die Komplexe Jerusalem, Flüchtlinge, Siedlungen, Sicherheitsarrangements, Grenzen, Außenbeziehungen und "andere Fragen von gemeinsamem Interesse" (Art. V).

Im "Gaza-Jericho-Abkommen" wurden der Rückzug der israelischen Armee aus den genannten Gebieten (Gaza-Streifen und Jericho) sowie die Übertragung von zivilen Befugnissen an die palästinensische Behörde geregelt. Durch die in diesem Zusammenhang abgeschlossene Vereinbarung über "Vorbereitende Übertragung von Befugnissen und Verantwortlichkeiten" vom 29. August 1994 wurden die in der "Prinzipienerklärung" genannten fünf Bereiche formell auf die palästinensische Behörde übertragen.

Das "Interimsabkommen" vom 28. September 1995 regelt die gesamte Übergangsperiode in der Westbank und dem Gaza-Streifen. Das Abkommen schuf in der Westbank eine Art "Inselreich", das durch Umgehungsstraßen die jüdischen Siedlungen von den palästinensischen Zentren trennt. Konkret wirkte es sich folgendermaßen aus:

Die Zone A umfasst die Städte Jenin, Nablus, Tulkarem, Kalkiliya, Ramallah und Bethlehem und macht 3,5 Prozent des gesamten palästinensischen Gebietes aus. In dieser Zone können die Palästinenser ihre Zivilangelegenheiten eigenständig regeln, und ihre Polizei hat das alleinige Sagen.

In der Zone B liegen die 420 Kleinstädte und Dörfer. Hier geht die Zivilverwaltung an die Palästinenser über. Es werden dort 25 palästinensische Polizeistationen errichtet. Die übergreifende Verantwortung und Sicherheit bleibt bei Israel, nur was ausschließlich uns Palästinenser betrifft, kann von unserer Polizei alleine geregelt werden.

In der Zone C, sie macht 73 Prozent der Westbank aus, bleibt alles beim Alten. Hier liegen die Siedlungen, und diesen Großteil der Westbank betrachtet Israel sowieso als eigenes Staatsland. Nach diesem Konzept kann jede Autonomieinsel einzeln abgeriegelt werden. Dies stellte somit eine wesentliche Verschlechterung gegenüber dem Zustand vor dem Abkommen dar, als sich die Menschen wenigstens frei in der nach außen oft abgeriegelten Westbank bewegen konnten.

Des Weiteren zieht sich zwar die Militärverwaltung aus den Bevölkerungszentren zurück, behält aber alle ihre Vollmachten. Die bestehenden Gesetze und Militärverordnungen bleiben in Kraft und müssen von unserer Autonomiebehörde umgesetzt werden. Sie können nur mit Zustimmung Israels geändert werden. Die palästinensische Behörde kann nur im zivilen Bereich freier agieren, alle anderen Bereiche sind durch ein engmaschiges Kontroll- und Veto-System an die israelische Zustimmung gebunden. Deutlich wird dies im Sicherheitsbereich, der besonders restriktiv für die Palästinenser ist. Auch im wirtschaftlichen Bereich gibt es eine enge Anbindung der palästinensischen Wirtschaft an die israelische, und die Palästinenser können über größere Projekte nicht eigenständig befinden. Es wurde keine Siedlung aufgelöst. Sie sind exterritorial. Die Armee blieb überall präsent, und an der De-facto-Kontrolle Israels über alle Lebensbereiche der Palästinenser hat sich nicht viel geändert. Während der Hochphase des "Friedensprozesses" wurde der Weltöffentlichkeit der Eindruck vermittelt, als seien die israelischen Soldaten abgezogen. Kein einziger Soldat hatte jedoch die Autonomiegebiete verlassen. Das System der Kontrolle und der Besetzung wurde vielmehr von Abkommen zu Abkommen enger gezogen.

Auch im Hebron-Protokoll, das die Netanyahu-Regierung unterzeichnet hat, kam es nur zu einer Umgruppierung der Truppen in Hebron und zu keinem Abzug. Fast 2 000 israelische Soldaten bewachen jetzt 450 radikale Siedler. Das Protokoll teilte die Stadt Hebron in eine H-1-Zone, in der zirka 100 000 Palästinenser unter palästinensischer Souveränität leben, und eine H-2-Zone, in der 450 fundamentalistische jüdische Siedler und zirka 20 000 Palästinenser unter direkter Besatzung Israels wohnen.

Mit dem Hebron-Protokoll ging ein Brief des ehemaligen amerikanischen Außenministers Warren Christopher einher, in dem er Israel weitreichende Sicherheitsgarantien machte und es dem Land freistellte, unilateral über den weiteren Rückzug aus der Westbank, die in drei Etappen bis August 1998 abgeschlossen sein sollte, gemäß der israelischen Sicherheitslage zu entscheiden. Seitdem hat Netanyahu alles getan, um den Status quo zugunsten Israels zu verändern. Dies war auch die Politik Rabins, der in seiner vierjährigen Amtszeit die Zahl der Siedler verdoppelt und Milliarden von Shekel in die Siedlungen und ein separates Straßensystem investiert hat. Hinter dieser Leistung wollte Netanyahu nicht zurückstehen.

Das Wye-Memorandum vom 23. Oktober 1998 steht in der Tradition der bereits unterzeichneten Abkommen. Es stellte keinen "Durchbruch" im israelisch-palästinensischen Friedensprozess dar, sondern schränkte die Rechte der Palästinenser weiter ein. Das Wye-Memorandum enthielt prinzipiell nichts, was nicht schon im Interimsabkommen vom 28. September 1995 vereinbart worden wäre. Es ist ein weiteres Umsetzungsabkommen des Interimsabkommens, aber es enthält einige für die Palästinenser nur schwer zu erfüllende Auflagen. Den Schwerpunkt bilden die Ausführungen über Sicherheit, die 60 Prozent des Abkommens umfassen, und die Einhaltung des Prinzips der Gegenseitigkeit.

Neben den Ausführungen über die Sicherheit ging es um die weitere Truppenverlegung, die sich in drei Phasen vollziehen und spätestens nach zwölf Wochen abgeschlossen sein sollte. Diese Verlegung wurde jedoch niemals vollzogen. Hätte sie stattgefunden, hätten wir Palästinenser 18,2 Prozent unseres Landes in der Westbank und im Gazastreifen unter unserer alleinigen Kontrolle gehabt (Zone A), und in 21,8 Prozent hätte es eine gemischte Kontrolle gegeben (Zone B). Arafat stimmte dem israelischen Vorschlag zu, drei Prozent des übereigneten Gebietes als "grüne Zone" zu deklarieren. Dort dürfen die Palästinenser nicht bauen, und Israel hat das Sagen in Sicherheitsfragen. Damit wurde ein weiterer territorialer Spaltpilz geschaffen, den man in der letzten Phase der Verhandlungen jederzeit aktivieren kann. Die Rückzugsphase hing aber von der Einhaltung der Formel "Sicherheit/Gegenseitigkeit" ab. Hiermit war den Israelis und den USA ein Instrument an die Hand gegeben, mit dem jede Maßnahme Arafats als unzureichend abqualifiziert werden konnte, was dann auch durch Netanyahu geschehen ist. Des Weiteren musste die PLO-Charta zum zweiten Mal außer Kraft gesetzt werden. Dem Memorandum wurde ein Zeitplan beigefügt, der aber wie die anderen Zeitpläne nie eingehalten wurde.

Auch das Sharm-el-Sheikh-Memorandum (Wye II) vom 4. September 1999 stellte sich als eine weitere Etappe auf dem Weg der Desillusionierung der Palästinenser mit einer von der Arbeitspartei unter Ehud Barak geführten Regierung heraus. Vor ihrem ersten Treffen erläuterte der israelische Ministerpräsident in einem Interview mit der israelischen Zeitung "Ha'aretz" seine Vorstellungen von der Zukunft: Für sein Land sei ein Frieden zwischen dem "Zionismus und den Arabern" wichtiger als Frieden mit den Palästinensern. "Die Palästinenser sind die Ursache für die Fortdauer des Konfliktes, aber sie sind auch der schwächste von allen Gegnern ... Sie stellen keinerlei militärische Bedrohung für Israel dar." Auf dem Golan gebe es ein "wunderbares und wichtiges Siedlungsexperiment", durch Kompromisse könne man mit Syrien Frieden schließen. Die Westbank "ist die Wiege unserer Geschichte". "Es ist unmöglich, Frieden mit den Palästinensern und der Siedlung Beit El zu schließen. Ofra liegt in der unmittelbaren Nähe eines der wichtigsten strategischen Punkte, und die Siedlung Ariel ist Ariel." Die Palästinenser hätten Jenin, Nablus, Ramallah, Hebron und Bethlehem.

Bei ihrer ersten Begegnung am 11. Juli 1999 machte Barak seinem "lieben Freund und Partner" Arafat klar, dass er keinen "Neuanfang" in den Beziehungen zu den Palästinensern anstrebe. Er lehnte es ab, die unter Netanyahu gegründeten 42 Siedlungen aufzulösen. Er deklarierte nur sieben davon als illegal und ließ letztendlich nur vier davon räumen. Seinen Vorschlag, das Wye-Memorandum zu umgehen und gleich mit den Statusendverhandlungen zu beginnen, wies Arafat zurück. Dieses Treffen wurde von uns Palästinensern als "Desaster", von den beteiligten Israelis als "Holocaust" bezeichnet! Als der PLO-Chef den bei ihrem zweiten Treffen angebotenen Terminplan zur Umsetzung des Wye-Memorandums ablehnte, setzte ihn Barak mit dem Hinweis auf ein mögliches Abkommen zwischen Syrien und Israel unter Druck.

Um Zeit zu gewinnen, unterzeichneten beide Seiten am 4. September 1999 das Sharm-el-Sheikh-Memorandum. Darin bekräftigten sie den Willen, bei den Statusendverhandlungen die UN-Resolutionen 242 und 338 zu realisieren, und einigten sich darauf, bis zum 13. September 1999 Verhandlungen über ein Rahmenabkommen aufzunehmen, das im Februar 2000 vorliegen sollte. Den Kern des Abkommens sollte eine Vereinbarung über die Bestandteile des Statusendvertrages bilden, dessen Abschluss für Mitte September 2000 vorgesehen war. Beide Seiten verpflichteten sich, keine einseitigen Maßnahmen zu ergreifen, die den Status quo verändern. Dies stand auch in früheren Abkommen, wurde aber von den Israelis durch den Bau von Siedlungen und eines separaten Straßensystems nur für die Siedler auf palästinensischem Boden permanent unterlaufen.

Am 8. November 1999 begannen im Grand Park Hotel in Ramallah endlich die offiziellen Gespräche über das Statusendabkommen. Israel wollte lediglich ein Rahmenabkommen aushandeln, in dem alle kritischen Fragen fixiert werden sollten, über die keine Einigung erzielt werden konnte. Barak erklärte vorher, der Siedlungsbau werde weitergehen, und die UN-Resolution 242 sei nicht anwendbar. Er gab den Unterhändlern folgende Instruktionen mit auf den Weg: Das Rahmenabkommen soll den Konflikt zwischen den beiden Völkern beenden und zu einer Trennung zwischen Israel und dem palästinensischen "Gebilde" führen, das nach dem Abschluss eines Statusendvertrages entstehen soll. Diese Verhandlungen endeten in einer Sackgasse.

Fortan galt das Zauberwort Camp David. Clinton und Barak wollten einen Erfolg um jeden Preis. Der US-Präsident schickte Dennis Ross, Außenministerin Madeleine Albright sowie Sicherheitsberater Sandy Berger in den Nahen Osten. Arafat betonte bei dem Gespräch, dass die Bedingungen für ein Gipfeltreffen noch nicht reif seien, da weder in den bilateralen Gesprächen in Eilat noch in Oslo etwas erreicht worden sei. Nachdem sich Albright mit Barak getroffen hatte, war sie davon überzeugt, dass Israel ein weitreichendes Angebot unterbreiten würde und ein Gipfeltreffen erfolgreich sein könnte. Clinton wollte den Friedensprozess vor einem totalen Kollaps bewahren und als Mann, der den längsten Konflikt des 20. Jahrhunderts gelöst hat, in die Geschichte eingehen. Er lud die Kontrahenten am 5. Juli zu einem Gipfeltreffen in Camp David ein, das vom 11. Juli bis 25. Juli 2000 dauerte. Barak hatte diesen Tagungsort vorgeschlagen; dort war 1978 ein Abkommen zwischen Israel und Ägypten unterzeichnet worden, das zur Räumung der besetzten Sinai-Halbinsel geführt hatte.

Von September 1993 bis Juli 2000 waren sieben Jahre vergangen, ohne dass die Vereinbarungen der Prinzipienerklärung von Oslo umgesetzt wurden. Die Motive und Zielsetzungen einer solchen Verzögerungstaktik beschreibt Jeff Halper, israelischer Dozent an der Ben-Gurion Universität in Beer Sheva, außergewöhnlich kritisch:

"Zuerst einmal schaffst Du große Erwartungen. Hände schütteln auf dem Rasen im Weißen Haus. Friedensrhetorik (Nie wieder Krieg. Nie wieder Blutvergießen). Wahlen, und gib ihnen eine eigene Flagge. Dann Geheimtreffen, Dinners, Rückzüge, Friedensverhandlungen, Zwischenbegegnungen, Versprechungen, vor den hungrigen Augen erscheinen schon die verführerischen Vergünstigungen. Mehr Händeschütteln, mehr ,Gesten'. Dann beginnst Du, das Rahmenwerk für den Frieden aufzubauen, das Dir endgültig die Oberherrschaft über die Verhandlungen sichert. Hol das Internationale Recht hervor, Menschenrechtsvereinbarungen, UN-Resolutionen, und damit alles richtig läuft, suchst Du Dir als Verbündeten die stärkste Macht der Welt, diejenige, die Dich mit all Deinen Waffen versorgt, und erklärst sie zum Vermittler. Dann, während Du über den Frieden verhandelst, in Oslo, Washington, Paris, Kairo, Wye Plantation, Stockholm, Amman, Camp David, Sharm, baust Du die ,Fakten' auf dem Boden selbst zusammen, die Dir Deine weitere Kontrolle garantieren, und setzt die Vorbedingungen für die Verhandlungen fest. Du nutzt die sieben Jahre gut aus, die Dir seit der Unterschrift des Osloer Abkommens zur Verfügung stehen ... Als Nächstes wartest Du nur darauf, dass Deine Besetzung irreversibel und allumfassend geworden ist, nachdem Du beide Ökonomien verschmolzen und unter Deine Kontrolle gebracht hast, die Stromversorgung, die Autobahnen und die städtische Infrastruktur, bis Du die Ökonomie und Gesellschaft Deines Partners komplett durch Deine eigene aufgesaugt hast. Dann verkündest Du, dass Dein Friedenskonzept ,Trennung' lautet, und Du riegelst Deine Nachbarn in kleinen Inseln voneinander ab, nimmst Ihnen alle Hoffnungen, die sie für eine bessere Zukunft bisher gehegt hatten, für ein richtiges Land und eine eigene Identität. Du ziehst die Kontrolle noch enger, begrenzt ihren Lebensraum noch mehr, demütigst und terrorisierst sie weiter - bis endlich der Aufstand losgeht."

III. Der Mythos von Camp David

Camp David 2000 wird permanent weltweit von allen pro-israelischen Gruppierungen als Nachweis angeführt, dass wir Palästinenser keinen wirklichen Frieden wollen. Es wird immer wieder auf die großzügigen Angebote von Barak hingewiesen, um zu dokumentieren, dass die eigentlich friedenswillige Seite die israelische sei und nicht die palästinensische. In Camp David seien weitreichende Konzessionen an die palästinensische Seite gemacht worden. Anstatt das Angebot anzunehmen, habe man die zweite Intifada begonnen. Dies zeige, behaupten weiterhin die Israelis, dass die Palästinenser nicht an einem palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 interessiert seien und dass das alleinige Ziel der Palästinenser die Vertreibung der Israelis sei. Michel Friedmann vom Zentralrat der Juden in Deutschland formulierte es in einer Sendung des Nachrichtensenders n-tv Anfang April 2002 wie folgt: "Sie wollen uns (sic!), wie schon angekündigt, ins Meer treiben."

Was beinhaltete Baraks "großzügiges Angebot" in Wirklichkeit? Der Palästinenserstaat sollte nach diesem Angebot in der Westbank aus drei Landstücken bestehen, die durch einen Korridor miteinander verbunden gewesen wären; die Kontrolle dieser Korridore und die Außengrenzkontrollen (zu Ägypten und Jordanien) hätten bei Israel gelegen. Die Bevölkerung hätte sich im Alltag der Besatzungsmacht weiter fügen müssen; de facto hätte sich nur etwas Kosmetisches geändert. Zehn Prozent der Westbank wären von Israel annektiert worden. Weitere zehn bis zwölf Prozent, die den Jordangraben ausmachen, wollte Israel für 100 Jahre pachten. Israel hätte einen territorialen Zugang zu den Siedlern in Hebron und Kiryat Arba erhalten. Es gab keinerlei Zugeständnisse seitens Israels in der Flüchtlingsfrage. Besonders heikel war hingegen der Status von Jerusalem. In dieser Frage nahm die israelische Delegation eine Haltung ein, die der der extremsten jüdischen Siedler entsprach. Gilad Sher, persönlicher Referent Baraks, bestätigt dies in seinem Buch "Zum Greifen nah - die israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen", in dem er bestätigt, dass man in Bezug auf Jerusalem am liebsten jedes Mal den "Jesha-Council" (Siedlerrat) konsultiert hätte. Insbesondere Israels Haltung in Bezug auf den Haram el-Sharif (Terrain der Al-Aqsa-Moschee) erregte das Misstrauen der Palästinenser. Die plötzliche israelische Forderung, dass Juden auf dem Haram el-Sharif beten können sollten, führte zur strikten Zurückweisung durch die Palästinenser. Selbst israelische Rabbiner erhoben nicht solch eine Forderung.

An dieser Stelle möchte ich den Ministerpräsidenten Barak nach seiner Rückkehr vom Gipfel in Camp David am 26. Juli 2000 zitieren: "Ich habe mich aufgemacht, zu versuchen, Jerusalem - unsere Hauptstadt - zu stärken, sie zu vergrößern und sie für kommende Generationen mit einer starken jüdischen Mehrheit zu stützen. Ich habe mich aufgemacht zu versuchen, dafür zu sorgen, dass eine Mehrheit der Siedler in Judäa und Samaria zum ersten Mal unter israelischer Souveränität leben würde." Diese Worte gehören auch zu seinem großzügigen Angebot.

Amerikanische Rechtsexperten schlugen folgende "Lösung" vor: Erstens sollte ein internationales Komitee - bestehend aus dem UN-Sicherheitsrat und Marokko - dem Palästinenserstaat die "Aufsicht" (custody) über den Haram el-Sharif (Al-Aqsa Moschee) geben, wohingegen die Souveränität bei Israel liegen sollte. In einem anderen Vorschlag sprachen die USA von einer "vertikalen Souveränität" über die Oberfläche des Areals, auf dem der Haram el-Sharif liege, aber Israel würde die Souveränität darunter erhalten. Als diese "Vorschläge" von palästinensischer Seite verworfen wurden, kamen die Experten schließlich auf ihren Vorschlag von der "custodial"-Souveränität für die Palästinenser und die "residual"-Souveränität für Israel zurück. Auf die Frage, was denn dies konkret bedeute, entgegneten die "Experten": israelische Souveränität. Weiter sollte die Stadt fragmentiert und geteilt werden.

Verschiedene Systeme sollten für verschiedene Stadtteile gelten: Regeln, die für das christliche Viertel gelten sollten, würden nicht für das arabische Wadi al-Joz gelten; was für Suwwana zutraf, konnte nicht auf das armenische Viertel angewandt werden. Die USA schlugen ihr und das israelische Verständnis von Souveränität für das muslimische und das christliche Viertel vor, wohingegen Israels Souveränität sich auf das armenische und jüdische Viertel sowie auf die Klagemauer beziehen sollte. Alles in allem sollte sich die palästinensische "Souveränität" auf die Teile Ost-Jerusalems beschränken, die nicht Teil von Jerusalem von 1967 waren. Ihre so genannte Hauptstadt "Ost-Jerusalem" hätte letztendlich aus drei Dörfern bestanden (Abu Dis, Al-Eisaria, Sauwahra), die nicht zu Ost-Jerusalem in den Stadtgrenzen von 1967 gehört hatten. Ein "special regime" (besonderes Verfahren) sollte für die Altstadt angewandt werden, jedoch erst später; dort sollte auch Arafats "sovereign compound" (souveränes umzäuntes Gelände) für seine Verwaltung liegen. Diese fabrizierte Lösung wollten Israel und die USA partout den Palästinensern aufzwingen, versehen mit der "goldenen Unterschrift", die das "Ende des Konfliktes" hätte besiegeln sollen.

Barak und Arafat waren zwar in Camp David 15 Tage zusammen, haben aber persönlich nur eine Stunde miteinander geredet. Jossi Beilin, damals Baraks Justizminister, hat berichtet, dass das israelische Verhandlungsteam auf Anweisung Baraks den Palästinensern niemals Karten oder etwas Schriftliches unterbreitet habe. Für die Palästinenser gab es immer nur die Wahl zwischen Annahme der Vorschläge oder deren Ablehnung. Auch seien die amerikanischen Vorschläge jedesmal mit der israelischen Delegation besprochen worden, bevor sie den Palästinensern von den USA unterbreitet wurden. Auch waren die Israelis über die später formulierten Clinton-"Minutes" bereits vier Wochen vorher unterrichtet. Barak hatte allen Stillschweigen verordnet. Beilin kritisierte Barak dahingehend, dass es diesem nicht gelungen sei, einen persönlichen Draht zu Arafat zu entwickeln, obwohl dieser auf ihn zugegangen sei. Das Scheitern der Verhandlungen wurde von Clinton und Barak zu Unrecht Präsident Arafat angelastet.

Danach kam es zu einem politischen Stillstand, bis Ariel Sharon am 28. September 2000 in Begleitung von 1 000 Polizisten und mit Genehmigung Ehud Baraks israelische "Souveränität" über den Haram el-Sharif demonstrierte. Tags darauf schossen israelische Streitkräfte auf demonstrierende Palästinenser in Jerusalem. Es gab 29 tote und über 100 verletzte Palästinenser. Damit kam es zum Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada, die bis heute über 1 800 palästinensische Todesopfer gefordert hat. Über 35 000 Palästinenser wurden bis jetzt verletzt, und auch auf israelischer Seite gab es 500 Tote und hunderte Verletzte.

IV. Die Taba-Verhandlungen vom Januar 2001

Wenn die Verhandlungsergebnisse von Taba am Roten Meer weitreichender waren als das "großzügigste Angebot" von Camp David, so war Camp David ein unaufrichtiger Machtpoker seitens des israelischen Ministerpräsidenten Barak und US-Präsident Clinton. Was boten die Israelis den Palästinensern im ägyptischen Badeort an, um den "Friedensprozess" zu retten?

In dem israelischen Dokument standen für palästinensische Leser unglaubliche Dinge: "Obwohl der im Entstehen begriffene Staat Israel die Resolution 181 der UN-Vollversammlung vom November 1947 (die den Vorschlag einer Teilung Palästinas in einen jüdischen und arabischen Staat vorsah) akzeptiert hatte, wurde er in das Blutvergießen und den Krieg von 1948/49 verwickelt, der für beide Seiten Leiden und Opfer mit sich brachte, darunter den Verlust von Heimat und Eigentum für jene Teile der palästinensischen Zivilbevölkerung, die zu Flüchtlingen wurden ... Konsequenz einer gerechten Regelung des Flüchtlingsproblems, in Übereinstimmung mit der Resolution 242 des UN-Sicherheitsrates, muss die Umsetzung der Resolution 194 der UN-Generalversammlung sein." Israel hatte erstmals eine Mitverantwortung für die palästinensische Tragödie anerkannt. Ein großartiger und mutiger Schritt!

Was beinhalteten nun die Vereinbarungen von Taba konkret? Es kam zu einer Annäherung zwischen beiden Positionen, die vorher noch nie erreicht worden war. In der gemeinsamen Abschlusserklärung gestanden sich beide Seiten zu, dass man einem Friedensvertrag noch nie so nahe gewesen sei. Beide Seiten hatten sich darauf geeinigt, von der UN-Sicherheitsratsresolution 242 als Grundlage für die endgültige Festlegung der Grenzen vom 4. Juni 1967 (Waffenstillstandlinie) auszugehen. Konkret boten die Israelis den Palästinensern an:

94 Prozent der Westbank sollten zurückgegeben werden; um die restlichen sechs Prozent zu kompensieren, wollte Israel das Äquivalent von drei Prozent an israelischem Territorium abtreten; die restlichen drei Prozent sollten mit dem Korridor zwischen der Westbank und dem Gaza-Streifen abgegolten werden. Dieser Korridor sollte aber palästinensischer Souveränität unterstehen. Im Unterschied zum Camp David-Vorschlag verzichtet Israel auf das Jordantal, Shilo, den Ostteil von Ariel und auf einige isoliert gelegene Siedlungen wie Beit El und Kedumim sowie auf Gebiete im Norden der Siedlung von Mode'in. Ferner war man zur Auflösung der jüdischen Siedlungen im Herzen Hebrons und Kiriat Arbas bereit. Die Palästinenser bestanden jedoch auf einer Eins-zu-eins-Rückgabe der Gebiete.

Beide Seiten waren sich ebenfalls darin einig, dass Jerusalem ungeteilt bleiben und die Hauptstadt beider Staaten bilden sollte. Der Clinton-Plan wurde dafür als Grundlage genommen: Demzufolge sollten die jüdischen Viertel an Israel, die arabischen an die Palästinenser gehen. Die Palästinenser forderten die Souveränität über den Haram el-Sharif, wohingegen die Israelis die Hoheitsrechte über die Klagemauer beanspruchten. Diskutiert wurde auch, ob man den gesamten Komplex nicht unter die Oberaufsicht Marokkos stellen sollte. Auch im Bereich der Sicherheit stimmten die Palästinenser einem entmilitarisierten Staat zu. Beide Seiten wollten internationale Beobachter an ihren Grenzen akzeptieren.

Die Frage der Rückkehr der Flüchtlinge erwies sich als ein großes Problem. Fünf Alternativen wollte man den Flüchtlingen anbieten: Rückkehr nach Israel, Rückkehr in die an die Palästinenser abgetretenen Gebiete, Rückkehr in den neuen Palästinenserstaat, Ansiedlung im jeweiligen Aufenthaltsland sowie Ausreise in ein Drittland. Die Palästinenser gestanden Israel sogar zu, die Letztentscheidung über die Rückkehr der Flüchtlinge nach Israel zu haben. Israel erklärte sich bereit, innerhalb von fünf Jahren im Rahmen der Familienzusammenführung 40 000 Flüchtlinge aufzunehmen. Die PLO wollte jedoch 100 000. Ebenso stimmten beide Seiten in der Schaffung eines internationalen Hilfsfonds und der Entschädigung der Flüchtlinge überein. Die Entschädigung der Palästinenser und der jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Ländern nach Israel sollte entkoppelt werden.

Die Taba-Vereinbarungen waren äußerst mutig, aber die Zeit war leider abgelaufen. Ariel Sharon stand ante portas. Was seit seiner Wahl zum israelischen Ministerpräsidenten am 6. Februar 2001 geschehen ist, bedeutet für uns Palästinenser die Fortsetzung der "Katastrophe" (al-Naqba) von 1948. Gibt es aus der augenblicklichen verfahrenen Situation dennoch einen Ausweg?

V. Bushs Nahostplan als Lösung des Nahostkonfliktes?

An die jüngste Rede des amerikanischen Präsidenten Bush knüpfte die Autonomiebehörde große Hoffnungen; sie und die Palästinenser sind maßlos enttäuscht worden. Die Rede bietet für mein Volk keinerlei Perspektive; sie enthält vielmehr bösartige Behauptungen, die jeder Grundlage entbehren. Bush hat die Palästinenser aufgefordert, sich "eine neue Führung zu wählen, die nicht durch Terror kompromittiert" ist. Er ging sogar noch weiter: "Heute ermutigt die palästinensische Autorität Terror, anstatt ihm zu widerstehen." Nur "wenn das palästinensische Volk sich eine neue Führung gewählt hat, neue Institutionen und neue Sicherheitsvereinbarungen mit ihren Nachbarn vereinbart hat, werden die USA die Gründung eines palästinensischen Staates, dessen Grenzen und gewisse Aspekte seiner Souveränität vorläufig sein werden, bis sie als Teil eines Endabkommens im Nahen Osten gelöst sein werden, unterstützen".

Alle Einzelheiten wie endgültige Grenzen, die Hauptstadtfrage und andere Aspekte staatlicher Souveränität sollen als Teil eines endgültigen Abkommens zwischen den Parteien ausgehandelt werden. Was dies im Einzelnen bedeutet, haben die letzten acht Jahre gezeigt. Die Rede des US-amerikanischen Präsidenten ist einseitig zugunsten von Israel ausgefallen. Bush erklärte nicht, wie der palästinensische Staat aussehen sollte. Er erwähnte auch nicht die Rolle des Quartetts bestehend aus den USA, der Europäischen Union, Russland und der UNO. Aus Bushs Rede kann nichts Positives entstehen; sie hätte auch von Ariel Sharon gehalten werden können. Der Chefredakteur der Wochenzeitung "Freitag" schreibt völlig zu Recht: "Die Souveränität der Seychellen wäre gigantisch im Vergleich zu den Spielräumen eines solchen Staates Palästina." Gibt es für uns Palästinenser einen Ausweg aus diesem Dilemma?

Eine Wende zum Besseren ist nur dann zu erwarten, wenn Israel eine Kehrtwendung in Richtung eines "gerechten Friedens" vollzieht. Dies beinhaltet die Anerkennung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes auf einen eigenen Staat - und nicht einiger Bantustans -, das Ende der Landenteignungen und der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschen, das Ende der Häuserzerstörungen, den Siedlungsstopp, die Freilassung aller Gefangenen, das Rückkehrrecht der Flüchtlinge in ihren eigenen Staat, die Anerkennung Ost-Jerusalems als die Hauptstadt eines unabhängigen Staates, das Ende der Abriegelung und der Kollektivstrafen, das Ende des Krieges gegen das palästinensische Volk und die Anerkennung der Menschenrechte meines Volkes.

Ich bin allerdings der Meinung, dass die israelische Regierung jetzt leider hierzu nicht gewillt ist. Das bedeutet, dass wir, beide Seiten, Israelis und Palästinenser, nicht mehr im Stande sind, allein zu einer politischen Lösung zu gelangen. Daher ist es entscheidend, dass die Vereinigten Staaten, die Europäische Union, Russland und die Vereinten Nationen bei den weiteren Friedensbemühungen eng zusammenarbeiten und so schnell wie möglich eine internationale Konferenz einberufen, an der sich auch die arabischen Staaten, einschließlich Syrien und Libanon, beteiligen. Im Grunde genommen muss sich die Arbeit darauf konzentrieren, eine Friedensperspektive für die gesamte Region zu entwickeln. Nur so kann man Besatzung, Terror und Gewalt beenden. Es ist dringend nötig, dass die Menschen in Israel und Palästina endlich ein Leben ohne Angst und Not führen. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Palästinenser einen lebensfähigen und gleichberechtigten Staat neben Israel gründen können und die israelischen Streitkräfte sich auch von den 1967 besetzten Gebieten in Syrien und dem Libanon zurückziehen.

Nach acht Jahren "Friedensprozess" ist von unseren Hoffnungen und Träumen nichts geblieben. Israel hat es versäumt, die historische Chance zu nutzen und einen gerechten Frieden mit dem palästinensischen Volk zu schließen und sich zugleich in den Nahen Osten als Partner zu integrieren. Die gesamte arabische Welt hat dem Land in Form des Planes des saudi-arabischen Kronprinzen Abdallah auf dem Arabischen Gipfeltreffen von Beirut Ende März 2002 die Hand zur Aussöhnung gereicht. Stattdessen setzt Israel weiter auf Hegemonie, Dominanz und Unterdrückung des palästinensischen Volkes. Ministerpräsident Sharon hat Israel in keinen Hort des Friedens verwandelt, sondern mit dem Mauerbau nach dem abschreckenden Beispiel der Berliner Mauer den Grundstein für weitere Trennung und Gewalt gelegt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Neben der Israelin Felicia Langer, die seit 1990 in Tübingen lebt und in Israel als erste zahlreiche Palästinenser gegen Menschenrechtsverletzungen vor israelischen Militärgerichten verteidigt hat, gehört Ludwig Watzal zu den einzigen in Deutschland, die den Friedensprozess von Anfang an sehr kritisch begleitet haben. Ich habe die Kritik beider in der Form jedoch nie geteilt. Vgl. Felicia Langer, Quo vadis Israel? Die neue Intifada der Palästinenser, Göttingen 2001; Ludwig Watzal, Feinde des Friedens. Der endlose Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, Berlin 2002². Weitere kritische Artikel unter: (www.watzal.com).

  2. Jeff Halper, How to start an uprising, in: News from within, XVI (Novembner 2000) 8, S. 16 f.

  3. Vgl. die ausführliche Kritik zu Camp David von Ludwig Watzal, Der Mythos von Camp David, in: Neue Zürcher Zeitung vom 22. 6. 2002. Vgl. auch Uri Avnery, Politicus interruptus. Die acht Fakten von Barak und andere Lügen (http: //www.palaestina.org/doc/news/politikus-interruptus.html).

  4. Vgl. zu den Einzelheiten der Taba-Verhandlungen: Special Document File. The Taba Negotiations (January 2001), in: Journal of Palestine Studies, XXXI (Spring 2002) 3, S. 79-89; ebenso Ludwig Watzal, Der Mythos von Camp David, in: Freitag vom 28. 6. 2002.

  5. Lutz Herden, Bush cancelt Arafat, in: Freitag vom 28. 6. 2002.

geb. 1943 in Beer Sheba/Palästina; seit 1970 PLO-Vertreter bei der Liga der arabischen Staaten in Bonn; seit 1993 Leiter der Generaldelegation Palästina (Botschaft) in Deutschland.

Anschrift: Generaldelegation Palästina, August-Bier-Str. 33, 53129 Bonn.
E-Mail: palaestina@t-online.de

Veröffentlichungen u.a.: PLO und Palästina. Vergangenheit und Gegenwart, Frankfurt/M. 1982.