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Irdische Geschichte einer heiligen Stadt | Jerusalem | bpb.de

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Irdische Geschichte einer heiligen Stadt

Gil Yaron

/ 19 Minuten zu lesen

Jerusalem gilt als eine der ältesten Städte der Welt. Von der Steinzeit bis heute hat die Stadt zahlreiche unterschiedliche Herrscher und wechselnde demografische Konstellationen erlebt. Die Kenntnis ihrer Geschichte ist für das Verständnis ihrer Gegenwart unerlässlich.

Knapp tausend Jahre nachdem der Papst mit dem Schlachtruf "Deus lo vult" ("Gott will es") Massen aus Europa in den Kreuzzug gen Osten schickte, um Jerusalem zu befreien, stand die Stadt im Winter 2017/18 wieder im Mittelpunkt des Weltgeschehens. Als US-Präsident Donald Trump am 6. Dezember 2017 Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannte, weckte er Ängste vor einem neuen Religionskrieg um die Heilige Stadt. Die palästinensische Autonomiebehörde brach ihre Kontakte zu den USA ab, einem ihrer wichtigsten Geldgeber. Die radikalislamische Hamas rief zu einer neuen Intifada auf. Auch die übrige islamische Welt reagierte mit Empörung, denn für sie gilt Jerusalem als einziger Ort, der ob seiner Vergangenheit als Hauptstadt eines Palästinenserstaates fungieren kann.

Aber auch Israel verweist auf historische Wurzeln in der Stadt und bezeichnet Jerusalem als "einzige, ewige und unteilbare Hauptstadt des jüdischen Volkes". Kein Wunder also, dass Unterhändler beider Seiten sich oft in vielen Punkten näherkamen, außer in der Frage Jerusalems. Viele betrachten sie deshalb als heikelstes und "größtes Hindernis" auf einem Weg zu einer friedlichen Einigung. Wer diesen Konflikt ergründen will, muss also die Bedeutung dieser Stadt kennen. Und das geht nicht ohne ein klares Verständnis ihrer komplexen Geschichte.

Steinzeit und israelitische Königreiche

Jerusalem gilt als eine der ältesten Städte der Welt. Überreste imposanter Bauten belegen eine erste Besiedlung des heutigen Stadtgebietes in der Kupferzeit vor etwa 7000 Jahren. Archäologen datierten Tonscherben aus der Umgebung der Gihon-Quelle auf das Jahr 4500 bis 3500 v. Chr. und fanden so Anzeichen der ersten Besiedlung des heutigen Stadtkerns. Überreste einer 3700 Jahre alten, bis zu acht Meter hohen Steinmauer aus vier bis fünf Tonnen schweren Quadern belegen die Existenz einer bewehrten kanaanäischen Stadt nahe der Quelle.

Im zweiten Jahrtausend v. Chr. dehnte Ägyptens Einfluss sich bis Kanaan aus. Tontafeln aus dem ägyptischen Tel el-Amarna belegen, dass Jerusalem in dieser Zeit von ägyptischen Vasallen regiert wurde, wie dem Statthalter Abdi-Chepa, dessen Briefe an Pharao Amenhotep III. und dessen Sohn Echnaton erhalten blieben. Eine fatale Kombination von Klimawandel, Misswirtschaft und Völkerwanderung führte ab 1200 v. Chr. jedoch zum Zusammenbruch der damals herrschenden Weltordnung. Ägypten zog sich zurück, andere Imperien zerfielen.

Im darauf folgenden Chaos wurde Jerusalem wiederholt belagert, erobert und geplündert. Das Machtvakuum ließ Raum für die Entstehung neuer politischer Strukturen und Kulturen wie die der Israeliten. Laut der hebräischen Bibel, deren Historizität umstritten ist, einte König David etwa 1000 v. Chr. zwölf israelitische Stämme unter seiner Herrschaft, eroberte Jerusalem vom kanaanäischen Stamm der Jebusiter und machte die Stadt zum politischen Zentrum seines Reiches. Sein Nachfolger Salomon machte sie zum spirituellen Zentrum des Stammbundes und errichtete hier einen Tempel.

Keine archäologischen Funde beweisen die Existenz Davids oder seines Nachfolgers Salomon direkt, obgleich eine Stele aus Tel Dan nahelegt, dass ein Königshaus David mit Sitz in Jerusalem im 8. Jahrhundert v. Chr. tatsächlich existierte. Manche Forscher halten David und Salomon deshalb für später geschaffene Mythen und glauben, das Jerusalem des 10. Jahrhunderts v. Chr. sei ein unbedeutendes Dorf am Rande der Weltgeschichte gewesen. Andere sehen in Überresten bedeutender Bauten aus dieser Zeit Beweise für die Existenz eines mächtigen, zentral von Jerusalem aus regierten Königreiches.

Unumstritten ist, dass im 9. Jahrhundert v. Chr. zwei israelitische Königreiche existierten: das reiche, mächtige Israel im Norden und das ärmere Judäa im Süden. Erst die Zerstörung des Nordreiches im Jahr 722 v. Chr. durch die Assyrer machte Jerusalem zur Hauptstadt aller israelitischen Stämme. Eine Flüchtlingswelle aus dem Norden bescherte der Stadt einen massiven Aufschwung. Es war das einzige Mal in der Geschichte, dass die israelitische Gemeinde in Jerusalem die größte der Welt war. Von Juden zu sprechen, wäre aber noch falsch: Ein großer Teil der Bevölkerung praktizierte heidnische polytheistische Riten.

Beginn des Judentums, Exil und römische Provinz

Die Grundlagen für das Judentum als abstrakte monotheistische Staatsreligion wurden von König Josiah im 7. Jahrhundert v. Chr. mit Tempelreformen gelegt. Seine Priester begannen, die Bibel zu redigieren und etablierten die Überzeugung, Jerusalem sei einziger Sitz des einen Gottes, der das Königshaus David und das Volk der Juden auserkoren habe. Jerusalem wurde nationalreligiöser Fixpunkt und Wallfahrtsort.

Doch als die damaligen Großmächte wieder erstarkten, war es mit Jerusalems Unabhängigkeit vorbei. Im Jahr 586 v. Chr. eroberten die Babylonier die Stadt, zerstörten den ersten Tempel und verschleppten die Elite ins Exil. Die persischen Achämeniden besiegten Babylon 50 Jahre später, und ihr Schah Kyros gestattete einer jüdischen Gesandtschaft 539 v. Chr., nach Jerusalem zurückzukehren. Bis zur Neuerrichtung des Tempels dauerte es aber wahrscheinlich, bis der Exilarch Serubbabel, der Anführer der jüdischen Diaspora in Babylon, 520 v. Chr. zu diesem Zweck nach Jerusalem entsandt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Jerusalem wohl ein unbefestigtes Dorf mit bloß 1000 Einwohnern. Das änderte sich erst, als der persische Großkönig Artaxerxes I. 445 v. Chr. seinen jüdischen Vertrauensmann Nehemia damit beauftragte, die Südwestflanke seines Reiches gegen Ägypten zu sichern und die Stadt aufzubauen. Nehemia baute eine Stadtmauer und siedelte Teile der Landbevölkerung in die Stadt um.

In der Schlacht von Gaugamela 331 v. Chr. zerstörte Alexander der Große schließlich das persische Reich; doch nach seinem Tod 323 v. Chr. zerfiel auch seines. Anschließend kämpften Ptolemäer und Seleukiden um die Vormacht. Zugleich wurden immer größere Teile der jüdischen Bevölkerung hellenisiert. Als der Seleukidenherrscher Antiochus IV. Epiphanes sich anschickte, den Tempel in Jerusalem zu entweihen, starteten die Makkabäer 167 v. Chr. eine Revolte, an deren Ende Judäa 164 v. Chr. unabhängig wurde. Nun herrschten die Hasmonäer in Jerusalem. Doch ihre Herrschaft war von ständigem Erbstreit gekennzeichnet, der das Land schwächte und letztlich dazu führte, dass es zu einer römischen Provinz wurde.

Der römische Senat ernannte den Idumäer Herodes zum König Judäas. Um seine Unbeliebtheit im Volk wettzumachen, erwies er sich während seiner Herrschaft bis zum Jahre 4 v. Chr. als einer der größten Bauherren in der Geschichte Jerusalems. Seine gigantischen Bauwerke machten es laut Plinius dem Älteren zur "berühmtesten Stadt im Morgenland", vor allem dank des erweiterten zweiten Tempels, auf dessen Vorhof 300.000 Menschen Platz fanden. Die Stützmauer dieses Vorhofs steht bis heute. Der südliche Teil der Westmauer ist als "Klagemauer" bekannt und gilt Juden als heiliger Ort.

Im Jahr 66 n. Chr. erhoben die Juden sich gegen Rom. Der Kampf mündete in einer Niederlage und der Zerstörung des zweiten Tempels im Jahr 70. Als Kaiser Hadrian später die Stadt Aelia Capitolina an der Stelle Jerusalems errichtete und auf dem Tempelberg einen heidnischen Tempel errichten wollte, rebellierten die Juden unter Simon bar Kochba ab dem Jahr 132 erneut. Im darauf folgenden Krieg wurde fast die gesamte jüdische Gemeinde Judäas ausgelöscht. Römische Kartografen nannten Judäa fortan Palästina, um jedes Andenken an Juden auszumerzen.

Die Ausmaße Aelia Capitolinas sind umstritten. Einst wurde angenommen, dass es sich um eine kleine, unbedeutende Kolonie mit maximal 10.000 Einwohnern handelte. Neuere Ausgrabungen deuten indes auf eine größere Stadt hin, die dem Grundriss der heutigen Altstadt entsprach. Juden durften hier nicht mehr leben. Auch Christen war dies eine Zeit lang verboten.

Konstantinische Wende und islamisches Jerusalem

Globale Bedeutung erhielt Jerusalem wieder mit der "konstantinischen Wende", die dem Christentum den Weg bahnte. Kaiser Konstantins Toleranzedikt von Mailand im Jahr 313 und der Besuch der Kaisermutter Helena 326 etablierten das Christentum als dominante Religion der Stadt. Konstantin verschönerte sie mit gewaltigen Bauprojekten, allen voran der Grabeskirche, eines der größten Bauwerke ihrer Zeit. Genau wie Josiah den Tempelkult als identitätsstiftendes Element instrumentalisiert hatte, nutzte Konstantin den neuen Glauben, um sich an die Spitze einer neuen religiös-politischen Hierarchie zu stellen.

Dies bedeutete für Jerusalem einen Boom. Die nach Jerusalem verbannte oströmische Kaiserin Eudokia friedete die Stadt im 5. Jahrhundert mit einer neuen Mauer ein, und unter der Herrschaft des letzten Latein sprechenden Kaisers Justinian wurde sie im 6. Jahrhundert auch zu einem wichtigen religiösen Zentrum. Unter den vielen Gotteshäusern, die Justinian errichten ließ, war auch die Nea Kirche, die den Tempelberg überragen sollte. Jerusalem hatte zur Blütezeit der byzantinischen Herrschaft wohl 100.000 Einwohner. Im Umkreis von Kilometern entstanden Klöster und Dörfer auf terrassierten Hügeln, um jährlich Zehntausende Pilger zu ernähren. Doch Byzanz konnte Jerusalem auf Dauer nicht halten. In den Jahren 614 bis 629 eroberten die Sasaniden aus Persien die Stadt, brannten die Grabeskirche nieder, stahlen das heilige Kreuz und ließen dort kurzzeitig Juden herrschen.

Zwar eroberte der byzantinische Kaiser Herakleios die Stadt 629 erneut und brachte das heilige Kreuz zurück, doch sein Sieg war von kurzer Dauer. Schon bald überrollten die Muslime Asien, Afrika und Teile Europas. Jerusalem wurde 637 vom Kalifen Umar ibn al-Khattab erobert. Ein neues, islamisches Zeitalter hatte begonnen. Nach der Ermordung des dritten Kalifen, Uthman ibn Affan, wurde Ali ibn Abi Talib, Cousin und Schwiegersohn des Propheten Mohammed, zum Führer der Gläubigen. Eine Gruppe um den Gouverneur von Syrien und Ägypten, Muawiyah, forderte von Ali, Rache zu üben. Als der sich weigerte, rebellierte Muawiyah. 661 wurde Ali während des Morgengebets in einer Moschee in Kufa (heute Irak) ermordet. Muawiyah ergriff die Macht als Kalif. Er versammelte muslimische Adlige in Jerusalem, wo sie ihm die Treue schworen.

So wurde der Islam auf dem Tempelberg gespalten: Die Anhänger Alis glauben bis heute, dass nur seine Nachkommen Mohammed vertreten dürfen. Sie sind die "Partei Alis" – Schi’at Ali, oder kurz: Schiiten. Die Mehrheit der Muslime hingegen folgte der Partei Muawiyahs und ist heute als Sunniten bekannt. Muawiyah verwandelte Jerusalem in ein Zentrum seines Reiches, wohl auch, weil er aufgrund des innerislamischen Bürgerkriegs Mekka und Medina nicht beherrschte.

Die Herrscher der von Muawiyah begründeten Umayyaden-Dynastie bauten die Stadt weiter aus. Auf dem Tempelberg entstanden zwei der wichtigsten Sakralbauten des Islam: Der Felsendom im Jahr 691 und die al-Aqsa-Moschee 717. Um dieselbe Zeit erwog Kalif Sulaiman gar, Jerusalem zu seiner Hauptstadt zu machen. Mit der Machtübernahme der Abbasiden-Dynastie im Jahr 750 verlor Jerusalem jedoch wieder an Bedeutung. Ihre Kalifen verlegten ihre Hauptstadt nach Bagdad und schoben Mekka und Medina wieder in den Vordergrund. Ihre zentrale Rolle im Islam erhielt Jerusalem wohl erst infolge der Kreuzzüge.

Diese waren wohl, ähnlich wie der Kollaps der Bronzezeit, unter anderem eine Folge globalen Klimawandels. Während in Europa eine Wärmeperiode einsetzte, die ein explosionsartiges Bevölkerungswachstum zur Folge hatte, litten der Nahe und Mittlere Osten unter Kälte- und Dürreperioden mit Hungerkatastrophen. So fiel den Kreuzrittern die Eroberung Jerusalems 1099 verhältnismäßig leicht, war die muslimische Welt doch geschwächt und gespalten. Der Fall der Stadt schlug anfangs keine hohen Wellen. Zum Politikum wurde die Stadt erst ein halbes Jahrhundert später, als die Atabegs von Aleppo eine Landverbindung zu ihrem Teilreich in Ägypten schaffen wollten. Das Königreich der Kreuzritter war dabei ein strategisches Hindernis. Also erhoben sie die Befreiung von al-Quds zur religiösen Pflicht. Jerusalem wurde zum "Nabel der Welt". Es blieb indes Saladin, dem Sultan von Ägypten und Syrien, vorbehalten, Jerusalem 1187 für die Muslime zurückzuerobern.

Die Stadt fiel bald darauf in die Hände der Mamluken – Kriegssklaven, die von den Abbasiden aus Osteuropa oder Zentralasien verschleppt worden waren. Während Jerusalem unter dem Sultan Baibars zur politischen Peripherie wurde – 1267 lebten nur noch rund 2.000 Menschen dort, darunter 300 Christen und nur zwei Juden –, blieb die Stadt unter späteren Mamlukensultanen ein religiöses Zentrum, in dem prachtvolle Koranschulen, Bäder und Moscheen entstanden. Sie vergoldeten 1317 die Kuppel des Felsendoms und verschönerten das Areal mit Springbrunnen und Torbögen. Minarette sprossen in den Himmel. Trotz dieser Bauaktivität blieb die politische Bedeutung Jerusalems überschaubar. Die Stadt hatte wahrscheinlich kaum noch 10.000 Einwohner, und ihre wichtigste Einnahmequelle waren christliche Pilger, die manchmal für Lösegeld entführt wurden.

Osmanisches Reich

Nach seinem Sieg über die Mamluken zog 1516 Sultan Selim I. in Jerusalem ein. Bis auf kurze Ausnahmen sollten die Osmanen Jerusalem 400 Jahre lang beherrschen. Sie machten die Stadt zur Bezirkshauptstadt. Vier Jahre später, ab 1520, prägte Sulaiman der Prächtige als neuer Sultan das heutige Stadtbild vor allem durch die Errichtung der Stadtmauer. Trotz derartiger Investitionen diente Palästina den Osmanen hauptsächlich als Korridor für den Hadsch, die islamische Pilgerfahrt, von Damaskus nach Mekka. So verwandelte die Stadt sich in das verlassene, heruntergekommene Bergdorf, das europäische Besucher im 19. Jahrhundert mit Abscheu beschrieben. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebten in ganz Palästina wohl kaum mehr als 250.000 Menschen. Jerusalem hatte laut einer Schätzung des englischen Malers William Turner 1815 nur 26.000 Einwohner.

Der Einmarsch ägyptischer Truppen des ehemaligen osmanischen Vasallen Muhammad Ali 1831 gab den Startschuss für die Modernisierung Palästinas. Die von Ali eingeführten Reformen modernisierten nicht nur das Militär und das Steuerwesen, sondern brachten auch europäische Experten und westliche Ideen in den Nahen Osten. Die Osmanen konnten Jerusalem nur dank britischer Hilfe 1839 zurückerobern; Alis Reformen konnten sie jedoch nicht in allen Fällen wieder rückgängig machen. So wurde Jerusalem nach Istanbul wahrscheinlich zur zweiten Stadt im Osmanischen Reich, in der Vertreter verschiedener Bevölkerungsgruppen in einem gewählten Stadtrat vertreten waren.

Die Einwanderung europäischer Missionare und die osmanische Landreform 1858 trugen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Entwicklung des Landes und Jerusalems bei. Auch strömten immer mehr Pilger in das Land, nach 1870 an die 20.000 pro Jahr. Für sie wurde 1868 die Bergstraße nach Jaffa, der Hafenstadt Jerusalems, befestigt; 1892 zischte die erste Eisenbahn Asiens die Bergstrecke hinauf. Vor Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 zählte der osmanische Zensus für Palästina 722.000 Einwohner, davon 83 Prozent Muslime, elf Prozent Christen und fünf Prozent Juden. In Jerusalem bildeten die Juden laut einem osmanischen Zensus 1905 mit 13.300 von insgesamt 32.400 Personen die größte Bevölkerungsgruppe.

Erster Weltkrieg und Mandatszeit

Der Sieg der Briten im Ersten Weltkrieg mit der Eroberung Palästinas 1917 legte den Grundstein für den israelisch-palästinensischen Konflikt. Im Laufe des Krieges machte London vielerlei Versprechungen an potenzielle Verbündete, obschon diese sich gegenseitig widersprachen. Sir Henry McMahon, britischer Oberkommissar in Kairo, versprach dem Scharifen Hussein bin Ali, Anführer des späteren arabischen Aufstands, in einer Korrespondenz 1915/16 ein haschemitisches Königreich in "Groß-Syrien". Die Briten wollten eine Rebellion und bauten auf gute Beziehungen zum künftigen Herrscher Mekkas, um so Einfluss auf Millionen Muslime in der Kronkolonie Indien zu nehmen.

Zur selben Zeit arbeitete der britische Diplomat Mark Sykes einen Geheimvertrag mit den Franzosen aus. Gemeinsam mit François Georges-Picot, dem französischen Generalkonsul in Beirut, verfasste er 1916 das nach ihnen benannte Abkommen, das den Nahen Osten unter den Großmächten aufteilte. Ein Jahr später versprachen die Briten in der sogenannten Balfour-Deklaration der Zionistischen Weltorganisation die Errichtung einer "nationalen Heimstätte" in Palästina. Jenseits religiöser oder romantischer Beweggründe wollten sie so ein vermeintliches "Weltjudentum" und die machtvolle jüdische Lobby in den USA für sich gewinnen. Zudem versprach man sich von einem britischen Protektorat über ein jüdisches Palästina eine Machtbasis nahe dem Suezkanal. Indem die Briten Jerusalem sowohl den Arabern, als auch den Zionisten und zugleich sich selbst versprachen, verwandelten sie die verschlafene kleine Bergstadt in einen Brennpunkt internationaler Konflikte.

Im Juni 1922 erhielten die Briten vom Völkerbund das Mandat für Palästina. Ihre Herrschaft und die Zuwanderung Hunderttausender zionistischer Juden, die die Fundamente für die Gründung eines unabhängigen Staates legten, bescherten dem Land einen wirtschaftlichen Aufschwung. Das zog auch Zuwanderung aus dem arabischen Umland nach sich.

Zwar war es schon bei der ersten jüdischen Einwanderungswelle 1882 zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen, doch waren deren Hintergründe lokaler Natur gewesen. Mit dem britischen Mandat und dem ausdrücklichen Plan der Errichtung einer "nationalen Heimstätte" für die Juden wuchs jedoch der Unmut der arabischen Bevölkerung. So wurden 1920 bei den Unruhen während des alljährlichen Nabi-Musa-Festes fünf Juden und vier Araber getötet, zudem wurden 216 Juden und 23 Araber verletzt. Es war der erste Zusammenstoß der nationalen Befreiungsbewegungen von Juden und Palästinensern.

Angesichts der anhaltenden Einwanderung zionistischer Juden radikalisierte sich der palästinensische Widerstand. 1929 kam es erneut zu gewaltsamen Ausschreitungen, die sich – wie schon neun Jahre zuvor – am Gerücht entzündeten, die Juden wollten den Tempelberg an sich reißen. In den einwöchigen Unruhen wurden mindestens 133 Juden von Arabern getötet, zudem verloren 116 Araber ihr Leben, ein Großteil davon durch britische Polizisten. Die 800 Jahre alte jüdische Gemeinde von Hebron, eine der ältesten im Land, wurde ausgelöscht. Nur sieben Jahre später rief der Großmufti von Jerusalem, Hadsch Amin al-Husseini, zu einem Generalstreik auf. Dieser mündete bald in einen weiteren Aufstand gegen die Briten und die jüdische Einwanderung, der bis 1939 andauerte. Vor dem Hintergrund eines drohenden neuen Krieges gegen Nazi-Deutschland gingen die Briten mit äußerster Gewalt vor, um den Widerstand zu brechen. Insgesamt kamen in diesen Jahren Hunderte Briten und Juden und mehrere Tausend Araber ums Leben.

Der Aufstand hatte letztlich drei Folgen: Erstens wurde die arabische Bevölkerung radikalisiert und ihre potenzielle Führungsschicht von den Briten erheblich geschwächt, was sich im ersten arabisch-israelischen Krieg zehn Jahre später verheerend auswirkte. Zweitens wurde die jüdische Einwanderung drastisch eingeschränkt, was die Zionisten gegen die Briten aufbrachte. Und drittens richteten die Briten die sogenannte Peel-Kommission ein. Diese schlug erstmals die Teilung des Landes in einen jüdischen und einen arabischen Staat vor und entwickelte die Idee, Jerusalem keiner der beiden Streitparteien zuzuschlagen, sondern für unbegrenzte Zeit einem britischen Mandat zu unterstellen. Die jüdische Seite sah die Vorschläge der Kommission als Verhandlungsbasis, die arabische Seite lehnte sie kategorisch ab.

Staatsgründung und Kriege

Während des Zweiten Weltkrieges herrschte in Jerusalem gespannte Ruhe, doch nach der Kapitulation Deutschlands wurde ein Zusammenstoß zwischen Juden und Arabern unvermeidlich. Juden drängten nach dem Holocaust aus Europa nach Palästina, die Araber wollten dies verhindern. Die Spannungen nahmen zu, die Lage wurde für London untragbar. Im November 1947 beschlossen die Vereinten Nationen mit der Resolution 181 die Teilung Palästinas in zwei Staaten und erklärten Jerusalem zu einem "Corpus separatum". Die jüdische Führung akzeptierte den Plan, die arabische lehnte ihn ab. Großbritannien beendete sein Mandat am 14. Mai 1948, und Israel verkündete seine Unabhängigkeit.

Daraufhin marschierten fünf arabische Staaten ein, um den jungen Staat auszulöschen, wurden aber zurückgeschlagen. Israel machte dabei bedeutende Gebietsgewinne und kontrollierte nun 78 Prozent des Mandatsgebiets. Einzig in Jerusalem eroberte die jordanische Legion den Ostteil der Stadt, darunter die Altstadt und den Ölberg. Die Juden verloren das jüdische Viertel in der Altstadt und den Zugang zur Klagemauer. Die arabischen Verluste waren allerdings weitaus höher: Rund 700.000 Palästinenser verloren ihre Heimat, wurden entweder vertrieben oder flohen. Jerusalem war nun für 20 Jahre eine entlang ethnischer Linien geteilte Stadt, durch die sich ein Todesstreifen zog. Israel stellte rasch klar, dass es Jerusalem als seine Hauptstadt betrachtete, und verlegte Parlament, Ministerien, den Sitz des Ministerpräsidenten, des Staatspräsidenten und des Obersten Gerichtshofes in den Westteil der Stadt. Bis zu Trumps Verkündung im Dezember 2017 wurde dies aber von keinem Staat der Welt anerkannt. Die Jordanier behandelten ihren Teil Jerusalems indes eher stiefmütterlich.

Im Juni 1967 griff Israel zum Präventivschlag, um einer ägyptischen Invasion zuvorzukommen. Jordanien trat an Kairos Seite in den Krieg ein und eröffnete in Jerusalem eine zweite Front. Innerhalb von sechs Tagen besiegte Israel mehrere arabische Armeen und eroberte die Sinai-Halbinsel, das Westjordanland, den Gazastreifen und die Golanhöhen. Emotional am bedeutendsten war aber die Eroberung der Altstadt mit der Klagemauer.

Jerusalem wurde unter israelischer Herrschaft vereint, die Stadtgrenzen nur wenige Tage nach dem Krieg auf Kosten 28 umliegender Dörfer ausgedehnt. War Israel andernorts zu territorialen Kompromissen bereit – den Sinai räumte es für Frieden mit Ägypten, den Gazastreifen 2005 –, machte die Regierung in Jerusalem klar, dass die Stadt nie wieder geteilt werden würde. Der Ostteil wurde zwar erst 1980 förmlich annektiert, doch man begann sofort, Israelis jenseits der "grünen Linie", die die Waffenstillstandslinie zu Jordanien markiert hatte, massiv anzusiedeln, um die Mehrheit in der Stadt zu behalten. Zugleich behinderten die Behörden das Wachstum der arabischen Bevölkerung mit bürokratischen Mitteln. Erfolgreich war diese Strategie nicht: Stellten Palästinenser 1967 rund ein Viertel der Stadtbewohner, waren 2015 bereits 37 Prozent ihrer insgesamt 865.700 Einwohner arabisch.

Kurz vor dem Sechstagekrieg wurde in Jerusalem die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) gegründet. Ursprünglich als Instrument ägyptischer Außenpolitik konzipiert, führte das Trauma der arabischen Niederlage zu einem Sinneswandel. Anfangs machte sie hauptsächlich als Terrororganisation auf sich aufmerksam. Dennoch wurde die PLO unter Yassir Arafats Führung in den 1970er Jahren von immer mehr Staaten als legitime Vertreterin der Palästinenser anerkannt. Dennoch konnte sie keine diplomatischen Fortschritte vorweisen und wurde 1982 im zweiten Libanonkrieg von Israel bis nach Tunis vertrieben. Die Palästinenser in den besetzten Gebieten begannen daraufhin 1987 die erste Intifada. Die ausufernde Gewalt verdeutlichte den Bewohnern Jerusalems, dass die Stadt geteilt bleiben würde: Juden mieden den arabischen Ostteil, Araber den jüdischen Westteil.

Gescheiterter Friedensprozess

Doch die Intifada bereitete auch dem Friedensprozess den Weg. Sie machte Israels Führung klar, dass sie die Besatzung eines Tages beenden muss, wenn sie Israels jüdischen und demokratischen Charakter erhalten möchte. Eine massive jüdische Einwanderungswelle aus der zusammengebrochenen Sowjetunion erzeugte zugleich bei der PLO Druck, eine ausgehandelte Lösung zu finden, bevor Israel zu stark wurde. Das Resultat war der Osloer Friedensprozess. Israel und die PLO erkannten sich 1993 gegenseitig an und nahmen Verhandlungen über eine Endstatuslösung auf. Dabei erwies sich Jerusalem als einer der größten Stolpersteine.

Nach der Ermordung des Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin durch einen israelischen Extremisten im November 1995 führte der Kandidat des rechten Lagers, Benjamin Netanyahu, unter anderem mit der Drohung Wahlkampf, sein Kontrahent Shimon Peres werde Jerusalem teilen. Die Angst vor einer solchen Teilung, gekoppelt mit einer Reihe schwerer Attentate durch Palästinenser, entschied die Wahl schließlich zu Netanyahus Gunsten. Dieser legte daraufhin den Friedensprozess auf Eis.

Sein Nachfolger Ehud Barak versuchte im Jahr 2000, in Camp David eine Lösung mit Arafat auszuhandeln, was ihm jedoch nicht gelang. Wieder war Jerusalem, insbesondere der Tempelberg, das größte Hindernis. Als bekannt wurde, dass Barak über die Zukunft Jerusalems verhandeln wollte, zerbrach seine Regierung. Arafat selbst war zu keinerlei Zugeständnissen bereit und weigerte sich, jede jüdische Bindung an die Stadt anzuerkennen. Es folgten die zweite Intifada, eine andauernde Terrorkampagne und letztlich der komplette Zusammenbruch von Verhandlungen. Zahlreiche Attentate, vor allem in Jerusalem, führten bei Israels Premier Ariel Sharon schließlich zu der Überzeugung, dass ein Bollwerk gegen das Eindringen von Terroristen gebaut werden müsse. So entstand in Jerusalem eine Mauer.

Sharon erlitt 2006 eine Gehirnblutung, und Ehud Olmert übernahm sein Amt. Dieser belebte die Verhandlungen mit Mahmud Abbas, dem Nachfolger Arafats, und machte diesem 2008 das bislang weitreichendste Angebot: Die Räumung fast des kompletten Westjordanlands und eine Teilung Jerusalems, in deren Rahmen die Altstadt unter internationale Aufsicht kommen sollte. Abbas lehnte ab. Kurz darauf trat Olmert wegen eines Korruptionsskandals zurück, Netanyahu gewann 2009 erneut die Wahlen. Unter ihm und Abbas endeten die Friedensgespräche.

Die Lage ist seither immer komplizierter geworden. Die palästinensische Gesellschaft ist scheinbar unwiderruflich gespalten, seit 2006 herrscht die radikalislamische Hamas in Gaza. Sie lehnt jeden ausgehandelten Kompromiss mit Israel ab. Die Legitimität von Abbas Herrschaft ist fünf Jahre nach Ablauf seiner legalen Amtszeit indes mehr als fraglich. Nur eine Konstante ist geblieben: Die Palästinenser fordern weiterhin den Ostteil der Stadt, einschließlich der Altstadt und des Tempelberges, als Hauptstadt für ihren Staat. Und Israels Regierungen unter Netanyahu bauen die jüdische Präsenz im Ostteil Jerusalems immer weiter aus. Eine Aufteilung der Stadt – und somit eine Einigung, die von beiden Seiten getragen wird – wird so immer unwahrscheinlicher.

ist promovierter Arzt, Journalist und Buchautor. Seit 2014 ist er Nahost-Korrespondent der "Welt".