Ist in der medialen Öffentlichkeit von politischer Bildung die Rede, wird sie gerne als Allround-Problemlöser gesellschaftlicher Unwuchtsdiagnosen beschworen – sei es nun bei der Anleitung zu klimafreundlichem Verhalten oder bei der Aufklärung gegenüber den Parolen des Rechtspopulismus. Dass politische Bildung dabei von verschiedensten gesellschaftlichen Fürsprecherinnen und Fürsprechern mit unterschiedlichster Absicht zu Hilfe gerufen werden kann, verdeutlicht ihre normative Kontroversität bereits. Hinzu kommt, dass sowohl das relationale Zugehörigkeitsadjektiv politisch als auch das Kopfsubstantiv Bildung sprachlich, kulturell und historisch bedingte Begriffe mit stark variierenden Bedeutungszuschreibungen sind, die die begriffliche Unschärfe der politischen Bildung noch verstärken. Die Geschichte der Etablierung dieses Begriffes, die im Folgenden nachgezeichnet wird, spiegelt dabei auch das wechselnde Selbstverständnis der politischen Bildung in Deutschland wider. Dabei ist von besonderem Interesse, wie politisch einerseits und Bildung andererseits zur allseits akzeptierten Bezeichnung für dieses kontroverse Handlungsfeld werden konnte. Denn sowohl der starke Begriff des Politischen als auch das eher vage Konzept der Bildung waren keineswegs alternativlos.
Handlungen und Institutionen, die unter dem Banner der politischen Bildung fungieren, sind nicht in allen Gesellschaften zu finden. Ihre Funktionen lassen sich historisch in erster Linie als politische Integration der heranwachsenden Generationen – meistens im Sinne der Herrschaftssicherung – durch Sozialisation, beiläufige Gewöhnung und implizite Akzeptanz der jeweiligen Herrschaft verstehen. Mit anderen Worten: Alle gesellschaftlichen Ordnungen benötigen, um zu funktionieren, eine politische Sozialisation ihrer Angehörigen in die jeweilige Ordnung.
Staatspädagogische Erziehung
An der Schwelle zur politischen Moderne finden sich bereits erste Formulierungen einer solchen institutionalisierten Vermittlung. In vielerlei Hinsicht, nicht nur im Themenbereich der politischen Bildung, gilt der Gothaische Schulmethodus, eine staatliche Schulordnung aus dem Jahr 1642, als zukunftsweisend. Er verfügte, an Elementarschulen einen "Realienunterricht" einzuführen, der die Beschäftigung mit der Landes- und Gemeindeverfassung vorsah und in die Pflichten der Untertanen wie auch der Obrigkeit einwies.
In der Zeit der Aufklärung und einer etappenweisen Ausprägung der Schulpflicht war erstmals das ernsthafte Bemühen spürbar, eine Erziehung für alle zu institutionalisieren, die Inhalte über gesellschaftliche und politische Ordnung idealerweise nicht nur autoritativ, sondern auch in leicht verständlicher Weise vermitteln sollte. Ziel war es, die rationalisierte Loyalität der Untertanen gegenüber den absolutistisch verfassten Fürstenstaaten zu garantieren, da Gehorsam aus Vernunftgründen vom gängigen aufklärerischen Programm für wertvoller und zielführender gehalten wurde als der reine Gehorsam aus Gewohnheit. An den Elementarschulen war eine solche Unterweisung nur vereinzelt als streng ständisch unterscheidende Rechts- und Staatskunde zu finden, während an den höheren Schulen gegenwärtige Fragen im Unterricht behandelt wurden, um das zukünftige Personal der hoheitlichen Verwaltung auszubilden.
Nach 1789 versuchte Preußen, der Prägekraft der Französischen Revolution eine stark restaurative Bildungspolitik entgegenzusetzen, doch spätestens nach der Niederlage gegen Frankreich wurde in der kurzen Phase preußischer Reformen der Neuhumanismus wirkmächtig, der die Begriffszuschreibung der deutschen Bildung noch essenziell prägen sollte. Neuhumanisten stellten das Ideal umfassender Persönlichkeitsbildung in den Mittelpunkt. Um dieses zu erreichen, forderten sie, die Entwicklung der Individualität sowie das Bewusstsein menschlicher Vollkommenheit und Allseitigkeit zu fördern.
Mit der 1815 einsetzenden Restauration stand dann aber alles andere als die Individualität von Bürgern, geschweige denn von Bürgerinnen, im Zentrum staatlichen Handelns. Die in den Staaten des Deutschen Bundes überwiegend strikt restaurative Schulpolitik intendierte stattdessen eine Erziehung zum Untertan und bevorzugte somit stärker den Begriff "Erziehung" – im Sinne einer politischen und auch genderbezogenen Sozialisation – denn "Bildung". Erziehung konnte politisiert und als ihre Ziele "Tüchtigkeit" oder "Nützlichkeit", aber auch "Glück" oder "Tugend" formuliert werden.
Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 machte sich der junge Nationalstaat an die Aufgabe, den Auswirkungen der starken Industrialisierung und der sozialen Ungleichheit eine für damalige Verhältnisse vorbildliche Sozialgesetzgebung entgegenzusetzen, was letztlich aber dem Erstarken der Sozialdemokraten nicht abhalf.
1911 beschloss schließlich das preußische Kultusministerium, obligatorische Kurse für Staatsbürgerkunde an den oberen Klassen der Gymnasien, aber nur dort, einzuführen. Dringlicher wurde hingegen die politische Bildung als deutschnationales Unterrichtsprinzip. So wurde bereits 1892 der Deutschunterricht auf die "Belebung des vaterländischen Sinnes" verpflichtet, sodass er in die germanische Sagenwelt und in die Meisterwerke der nationalen Literatur einzuführen hatte.
Doch neben dieser Top-Down-Kaiser-Untertanen-Perspektive gab es unter den Intellektuellen der Kaiserzeit, wenn auch in engen Grenzen, Diskussionen über Bestimmung und Bedeutung einer staatsbürgerlichen Erziehung. Der dabei vielleicht wirkmächtigste Diskutant, der noch weit später oft zitiert wurde, war der Münchner Stadtschulrat Georg Kerschensteiner. Er wird vor allem gern als Vater der Berufsschule in Anspruch genommen und plädierte deutlich für die "Erziehung zur Staatsgesinnung", die jedoch nicht eine Demokratisierung der Gesellschaft im Blick hatte.
Weimarer Zeit: überschätzte Zäsur?
Angesichts ihres Endes wird die Weimarer Republik bis heute eher als Bedrohungsszenario denn als produktive Veränderung heraufbeschworen. Aus der Perspektive der Geschichte politischer Bildung ist dies nur bedingt nachvollziehbar. Die Zäsur von Revolution, Abdankung, Republikausrufung und Verfassungsversammlung offenbart sich auch als Sprache von Transformation und neuer Normsetzung. In nur wenigen Monaten war man dabei, unter stark veränderten Bedingungen die Diskussion um Staatsbürgertum und Schule neu aufzurollen. Die Überzeugung, dass die Untertanenmentalität den politischen Regimewechsel überdauern würde; das Unbehagen mit dem als individualistisch gesehenen 19. Jahrhundert; der offensichtliche Bedarf an politischer Stabilisierung und der Akzeptanz der neuen politischen Ordnung – alles wies auf die Notwendigkeit einer politischen Bildung hin. Ein Abgeordneter der katholischen Zentrumspartei begründete dies unmissverständlich: "Nachdem wir in der Verfassung jedem einzelnen Staatsbürger [auch den Frauen!; Anm. der Autoren] ein großes Maß von Rechten und Pflichten auf die Seele gelegt haben, ist es unbedingt nötig, daß wir ihm schon im staatsbürgerlichen Unterrichte der Schule auch den rechten Gebrauch seiner Rechte und die gewissenhafte Erfüllung seiner Pflichten klar machen."
Schließlich gelang es mit dem Artikel 148 (1) der Weimarer Verfassung, die "staatsbürgerliche Gesinnung" zum erstrebenswerten Ziel zu deklarieren, und im Artikel 148 (3), "Staatsbürgerkunde" als Lehrfach an Schulen de jure einzuführen. Dort konnte sie sich aber nur marginal durchsetzen. Folglich konnte sich wiederum eine qualifizierte Lehrerausbildung kaum ausprägen, auch wenn sich in den entsprechenden Lehrerzeitschriften eine vieldiskutierte Fachdidaktik entspann.
Auf der anderen Seite gab es aber im schulischen Bereich und in der außerschulischen Jugendbildung auch zahlreiche Versuche und Erwägungen einer demokratischen Bildung, die heute unter dem ungenauen Sammelbegriff der kontrovers diskutierten Reformpädagogik miteingeschlossen werden. Außerschulisch nahm die politische Bildung durch neue Einrichtungen der Jugendbildung und politischen Erwachsenenbildung einen immensen Aufschwung: Gewerkschaften schulten ihre Vertreter und Vertreterinnen, sich für Formen der Mitbestimmung und Selbstverwaltung einzusetzen, und Heimvolkshochschulen sowie Volkshochschulen erlebten einen großen Boom.
Trotzdem waren die für eine demokratische politische Bildung geeigneten außerschulischen Organisationen letztendlich zu schwach. Zu diesen Institutionen zählte die Berliner Hochschule für Politik, die sich bis zum Ende der Weimarer Republik mit publizistischen Aktivitäten und vielfältigen Veranstaltungen für Lehrende und Lernende für die politische Bildung einsetzte.
Dass sich eine demokratisch orientierte politische Bildung bis 1945 nicht durchsetzen konnte, war auch eine Folge der spezifischen Spannung zwischen der Politisierung der Erziehung und ihrer gleichzeitigen Objektivierung. Der historische Wandel von Kindheit und Jugend, Familie und Schule war einhergegangen mit einer irreversiblen Entgrenzung, nach der Erziehung praktisch eine lebenslange Anstrengung wurde. Diese lebenslange Erziehung konnte nun Gegenstand, Thema und Objekt professioneller Arbeit werden, die politisiert werden konnte. Während aber in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum demokratische Erziehungstheorien entwickelt worden waren, nahmen sowohl linksradikale als auch rechtsradikale Erziehungsdiktaturen Kindheit und Jugend in Anspruch und politisierten sie entschlossen.
Das "Dritte Reich" verfolgte hierbei als besonders radikale staatspädagogische Konzeption einen totalen Erziehungsanspruch auf den ganzen Menschen. Wie in keiner Epoche zuvor wurde im "totalen Erziehungsstaat" des Nationalsozialismus politische Erziehung – nicht Bildung mit ihren stärkeren Akzenten der Selbstbestimmung und Selbstaktivierung – als integraler Bestandteil allen erzieherischen, ja allen staatlichen Handelns verstanden; gerade deshalb wurde ein institutionell abgegrenzter Ort für politische Bildung in Gestalt eines besonderen Schulfaches nun als überflüssig erachtet. Die politische Bildung wurde nun vordringlich von den deutschbildenden Fächern wahrgenommen, darunter insbesondere vom Geschichtsunterricht, und im Sinne der nationalsozialistischen Unterrichtsziele angepasst.
1945: unterschätzte Zäsur?
Dass nach den Katastrophen zweier Weltkriege das staatliche Gebilde Deutschlands eines grundlegenden Neuanfangs bedurfte, war allen Besatzungsmächten klar. So ergriffen die Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges rasch Initiativen, um eine andere politische Bildung zu institutionalisieren und eine Wiederholung der Katastrophen zu verhindern, die mit der deutschen Geschichte verbunden waren.
Ein Markstein in den westlichen Besatzungszonen sollte der 1947 erschienene umfangreiche Bericht der United States Social Studies Committee to Germany werden, der empfahl, Social Studies im Sinne einer Thematisierung des menschlichen und gesellschaftlichen Zusammenlebens an den deutschen Schulen einzuführen, wobei der Akzent hierbei deutlich auf Social Education lag, die schließlich die gesamte Schule und alle Schulfächer durchdringen sollte.
Die Bundesländer, denen die Aufsicht über die Bildungspolitik oblag, taten sich zu Beginn aber mit der Einführung einer der Demokratie verpflichteten politischen Bildung in den Schulen schwer. Während einige Bundesländer diese in ihre Verfassungen aufgenommen hatten, tat es die 1949 gegründete Bundesrepublik in ihrem Grundgesetz nicht. In den ersten Jahren nach 1949 wusste man sich nicht recht zu entscheiden, ob politische Bildung nun eines eigenen Faches bedürfe oder als Unterrichtsprinzip aufgefasst werden sollte. Sowohl die erste bedeutende Konferenz zu dieser Frage 1949 als auch der erste Beschluss der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) vom 15. Juni 1950 zur politischen Bildung sind beredtes Zeugnis dieser Unschlüssigkeit:
Dass keine einheitliche Benennung für das Fach festgelegt wurde, kann wohl als der Geburtsfehler der politischen Bildung nach 1945 benannt werden, da die vielen unterschiedlichen Benennungen bis heute eine eingängige Chiffre für das Fach verhindern. Die vage begriffliche Fassung des Beschlusses brachte sogleich eine Problemstellung mit sich: Wie sollte das Schulfach denn nun heißen? Während die Befürworter der Staatsbürgerkunde sich für die Förderung einer Staatsgesinnung nach Weimarer Vorbild aussprachen, sahen sich die Anhänger und Anhängerinnen der Gemeinschaftskunde der bevorzugten Behandlung der Gemeinschaften anstelle des Staates verpflichtet. Schließlich setzte sich um 1950 der Terminus der Sozialkunde weithin durch, die die Kunde aller Bezüge zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft sein sollte. Dennoch trägt das Schulfach, je nach Bundesland in verschiedensten Schwerpunktsetzungen und teils in Fachverbünden unterrichtet, bis heute unterschiedlichste Fachbezeichnungen.
Dass sich letztlich in der Bundesrepublik der Begriff der politischen Bildung und nicht Staatsbürgerkunde durchsetzte, war auch Verweis auf das Bestreben, die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger zu fördern. Doch der Anspruch einer Mündigkeit in einer Demokratie birgt auch Widersprüche: Ohne Bildung und Wissen ist sie nicht denkbar, sie darf aber umgekehrt aus Gründen der Gleichheit auch nicht an bestimmte Grade von Bildung und Wissen gebunden werden und muss zudem die Pluralität differenter Deutungsmuster, Weltanschauungen und Lebensformen berücksichtigen.
Die Selbstverantwortung, dies zu begründen und umzusetzen, prägte nun das neue Anspruchsfeld der politischen Bildung in Abgrenzung zu früheren herrschaftssichernden staatspädagogischen Ansätzen. Insbesondere die Frage, welche Bedeutung die zur Mündigkeit unverzichtbar gehörende Kritikfähigkeit und Skepsis in der politischen Bildung haben sollte, sollte Anlass für viele Kontroversen sein. Diese Debatte war auch deshalb so spannungsreich, da sich eine Demokratie zwar einer staatspädagogisch normierten Praxis verwehren muss, andererseits aber die politische Bildung in der Bundesrepublik von Anfang normativ mit der positiven Einschränkung versehen wurde, die Mündigkeit der Bürger und Bürgerinnen innerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu fördern. Auch die Gründung der Bundeszentrale für Heimatdienst im Jahre 1952, die sich im Namen noch an ihre Vorläuferorganisation aus der Weimarer Republik anlehnte, war diesem Anspruch und Auftrag verbunden. Sie war nach vorausgegangenen Debatten um ihre institutionelle Anlage und die Konzeption staatlicher politischer Bildungsarbeit entstanden, in dessen Folge sich auch die Landeszentralen für politische Bildung konstituierten.
Die schulische politische Bildung und die dazugehörende Politikdidaktik bildeten sich nun in der Bundesrepublik im fachlichen Kontext ihrer Bezugsdisziplinen Politikwissenschaft, Soziologie, Rechtswissenschaften, Zeitgeschichte und Wirtschaftswissenschaften heraus. Jedoch unterschieden sich ihre fachlichen Schwerpunktsetzungen von Bundesland zu Bundesland zum Teil erheblich. Auf universitärer Ebene musste sich die wissenschaftliche Begründung der Politikdidaktik erst entwickeln. Nach einem mühsamen Beginn in den 1950er Jahren, in denen Rückbezüge auf die staatsbürgerliche Erziehung vor 1933 und Versuche eines Neubeginns mit einer sozialerzieherisch ausgerichteten "Partnerschaftserziehung" diskutiert worden waren, konnte sich das Fach schließlich zunehmend professionalisieren.
Der gesellschaftliche Umbruch von 1968 blieb auch für die Politikdidaktik nicht folgenlos: Sie nahm Impulse daraus durchaus auf, franste aber konzeptionell zunehmend aus. Bühnengerechter Höhepunkt dieser teils konfrontativen Polarisierung war die Diskussion um die Einführung Hessischer Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre, deren 1972 vorgelegten obersten Richtziele "Selbst- und Mitbestimmung", die sich "am Demokratiegebot des Grundgesetzes" orientierten, einen heftigen Streit um vermeintliche und tatsächliche Einseitigkeiten in Wissenschaft und Politik gleichermaßen auslösten.
Somit wurde in den 1980er Jahren eine relative Entpolarisierung der politischen Bildung in der Bundesrepublik erreicht. In der außerschulischen Jugendbildung und in der politischen Erwachsenenbildung entstand nach 1945 eine Vielzahl neuer Institutionen, die bis heute die verästelte und breit aufgestellte politische Bildung in Deutschland prägen. Einerseits offeriert ein kompliziertes Netzwerk an Institutionen, Organisationen und Trägern vielfältige Angebote der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung. Hierzu zählen beispielsweise öffentliche Einrichtungen wie die Bundeszentrale und die Landeszentralen für politische Bildung, Volkshochschulen, die kommunale Jugendhilfe wie auch die politische Bildungsarbeit der Bundeswehr, andererseits ergänzen freie Träger wie die parteinahen Stiftungen, Kirchen, Verbände, Jugendverbände und Gewerkschaften dieses Angebot.
DDR: Fortsetzung der Staatspädagogik
Die politische Bildung in der DDR blieb demgegenüber im staatspädagogischen Anspruch des Regimes verhaftet. Die SED reklamierte für sich, nicht nur die notwendigen Erfahrungen im Klassenkampf zu besitzen, sondern auch wissenschaftliche Einsichten zu haben, um eine Erziehung zur wissenschaftlich fundierten, unverrückbaren Klassenposition auf Grundlage des Marxismus-Leninismus zu ermöglichen.
In der Schule war die sozialistische Erziehung wichtigstes Unterrichtsprinzip, das sich in den Lehrplaninhalten ebenso widerspiegelte wie in der tatsächlichen Schulpraxis. Dass dabei der Staatsbürgerkunde trotz ihrer relativ geringen Stundenzahl eine zentrale Rolle für die ideologische Erziehung beigemessen wurde, erklärt sich daraus, dass das Fach gewissermaßen eine Leitfunktion für die politische Bildung auch anderer Schulfächer einnehmen sollte. Ihr Vorläufer war die Gegenwartskunde, die zunächst als Unterrichtsprinzip gedacht und häufig im Geschichtsunterricht unterrichtet wurde. Sie wurde ab 1950 auf Beschluss des III. Parteitags der SED formell als eigenes Schulfach eingeführt, das nach und nach den Staatsaufbau der DDR und Elemente des Marxismus-Leninismus als zentralen Lerngegenstand zugewiesen bekam. Die Staatsbürgerkunde trat ab 1957 an die Stelle der Gegenwartskunde und wurde zunächst ab Klasse 8, dann ab Klasse 7 mit einer bis zwei Wochenstunden unterrichtet.
Auch nach dem Schulabschluss setzte sich die sozialistische Erziehung fort: Bei der Tätigkeit in einem der Volkseigenen Betriebe (VEB) fand man sich in einer "permanenten Lerngemeinschaft im sozialistischen Wettbewerb"
Mit dem Ende der DDR 1990 endete auch der bisher letzte staatspädagogische Anspruch in der deutschen Geschichte. Sowohl das Kaiserreich als auch die nationalsozialistische Diktatur wie auch die DDR versuchten die Loyalität ihres Staatsvolks mit staatspädagogischen Mitteln zu sichern. Die beabsichtigte Qualifizierung der Lernenden zu funktionierenden Mitgliedern des Gemeinwesens stand offensichtlich im Gegensatz zur Förderung der politischen Mündigkeit, wie sie in der Bundesrepublik als Lernziel formuliert wurde.
Politisch! Bildend!
Mit der Wiedervereinigung Deutschlands wurde die Aufstellung, Positionierung und Einrichtung politischer Bildung in den neuen Ländern eine wichtige Aufgabe der politischen Bildung. Während in den 1990er Jahren der Kampf gegen den Rechtsextremismus wichtiges Thema der politischen Bildung war, wurden nach der Jahrtausendwende die Einführung von Bildungsstandards und der Einbezug empirischer Fragen der Lehr-Lern-Forschung in die politische Bildung Ausgangspunkte vieler Diskussionen und konzeptioneller wie institutioneller Veränderungen.
Unzweifelhaft hat die politische Bildung in Deutschland, die sich heute in einer großen institutionellen Pluralität präsentiert, nach 1945 einen großen Qualitätssprung machen können. Zudem gehören die sozialwissenschaftlichen Fächer heute zu den studierendenstärksten Fächern an den Universitäten überhaupt, und zahlreiche Träger der außerschulischen Jugendbildung wie auch politischen Erwachsenenbildung unterschiedlichster politischer Ausrichtung leisten politische Bildung. Dennoch steht politische Bildung in steter Gefahr der institutionellen Hintansetzung. So findet sie sich zwar in der Schule als Unterrichtsprinzip in vielen anderen Fächern wieder, insbesondere im Geschichts- und Geografieunterricht, wird aber als Fachunterricht nur am curricularen Rand angeboten.
Unbeachtet all dieser Wechsellagen, Risiken und Herausforderungen bleibt die Institutionalisierung der politischen Bildung jedoch nicht zuletzt aufgrund ihrer Teilbegriffe eine eigentümliche Geschichte. Sowohl die Ersetzung von Erziehung durch Bildung als auch die Ersetzung der Staatsbürgerlichkeit durch einen eminent demokratischen Begriff des Politischen zeugen von den Möglichkeiten belangreicher Transformationen in der Konzeption schulischer und außerschulischer Unterweisung in der Bildungsgeschichte.