I. Einführung
Obwohl es keinen Bereich der Medienwirkungsforschung gibt, zu dem mehr Studien vorliegen, ist die Publikationsflut zur Thematik "Medien und Gewalt"
Allerdings sind in der Forschung in den letzten Jahrzehnten durchaus Fortschritte erzielt worden. Aufgrund der inzwischen vorliegenden Befunde besteht heute Konsens darüber, dass Mediengewalt negative Effekte haben kann, wobei allerdings nicht von einem simplen Ursache-Wirkung-Zusammenhang ausgegangen werden darf und nicht die relativ wenig gefährdete Gesamtbevölkerung betrachtet werden muss, sondern vielmehr bestimmte Problemgruppen im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen sollten.
Die Komplexität der Forschungsbefunde und die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Mediengewalt und realer Gewalt ist der Öffentlichkeit allerdings nur schwer zu vermitteln. Nicht zuletzt dadurch, dass jeder täglich mit Massenmedien umgeht, bestehen in Bezug auf deren Wirkungen fest verankerte populärwissenschaftliche Vorstellungen, zu deren Verbreitung die Massenmedien selbst beitragen.
Die Medienwirkungsforschung ist ein gutes Beispiel für die Anwendung einer so genannten "Do It Yourself Social Science" (DYSS), bei der als Faustregel gilt: Je simpler eine These aussieht, desto attraktiver und erfolgreicher ist sie für Außenstehende. Auf diese Weise ist die Annahme, Mediengewalt führe in aller Regel zu gesteigerter Aggressivität, schon fast zur kulturellen Selbstverständlichkeit geworden. In der Propagierung solch einfacher Kausalzusammenhänge liegt eine in der öffentlichen Diskussion bislang wenig beachtete Gefahr: Verhaltensauffälligen oder delinquenten Jugendlichen kann ein willkommenes Argument zur Rationalisierung bzw. Rechtfertigung ihrer Tat und zur Abwälzung von Verantwortung geliefert werden.
Bei aller Kritik an der öffentlichen Medien-und-Gewalt-Debatte ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass Forschungsbefunde oft nicht zufrieden stellend kommuniziert werden. Noch immer trifft der von Peter Glotz
Um eine differenziertere Einschätzung der Gefährlichkeit medialer Gewaltdarstellungen zu ermöglichen, werden im Folgenden Thesen und Befunde zur Wirkung von Mediengewalt vorgestellt.
II. Ausgewählte Thesen zur Wirkung von Gewaltdarstellungen
Anhänger der Katharsisthese gehen von der Existenz eines angeborenen Aggressionstriebes aus. Sie behaupten, durch das dynamische Mitvollziehen von an fiktiven Modellen beobachteten Gewaltakten in der Phantasie werde der Drang des Rezipienten abnehmen, selbst aggressives Verhalten zu zeigen. Die Katharsisthese, die sich bis auf Aristoteles zurückführen lässt, kann als widerlegt angesehen werden. In einer jüngeren Studie von Jürgen Grimm konnte allerdings im Hinblick auf Gewaltdarstellungen in den Kampfsportfilmen "Rambo" und "Savage Street" zumindest kurzfristig eine Aggressionsminderung nachgewiesen werden.
Eine Variante der Katharsisthese stellt die These der kognitiven Unterstützung dar. Diese besagt, dass die Fähigkeit zur Phantasietätigkeit es ermögliche, den unmittelbaren Ausdruck von Impulsen zu kontrollieren. Für Individuen mit geringen kognitiven Fähigkeiten und einer schwach entwickelten Phantasie sei das Fernsehen eine wichtige Quelle für phantasieanregendes Material, durch das die Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse eine kognitive Unterstützung erfahre. Auch für diese These gibt es keine überzeugenden empirischen Befunde.
Die Habitualisierungsthese basiert auf der empirisch gesicherten Annahme, dass ein einzelner Film kaum in der Lage ist, Einstellungen oder sogar Persönlichkeitsstrukturen dauerhaft zu verändern. Stattdessen werden langfristige, kumulative Effekte betont. Der Habitualisierungsthese zufolge nimmt die Sensibilität gegenüber Gewalt durch den ständigen Konsum von Fernsehgewalt ab, bis Aggression schließlich als normales Alltagsverhalten betrachtet wird. Die Problematik der Habitualisierungsthese liegt darin, dass in den entsprechenden Studien die wiederholte Betrachtung von Fernsehgewalt sehr unterschiedlich verstanden und operationalisiert wird. Die Befunde müssen als bruchstückhaft, zusammenhanglos und widersprüchlich bezeichnet werden. Dies zeigte etwa eine Meta-Analyse der zur Habitualisierungsthese vorliegenden Forschungsbefunde, in der insgesamt 30 Studien zu dieser Thematik für den Zeitraum 1983 bis 1992 identifiziert wurden. Die Analyse kam zu dem Schluss, dass die Habitualisierungsthese noch der empirischen Untersuchung bedarf
Langfristige Medienwirkungen stehen auch im Mittelpunkt der so genannten Kultivationsthese. Diese beruht auf der Annahme, dass häufig und über einen längeren Zeitraum hinweg angesehene Gewaltdarstellungen in Unterhaltungsprogrammen v. a. die Vorstellungen der Vielseher von der Realität beeinflussen, sie die Häufigkeit von Verbrechen überschätzen lassen und die Furcht vor Verbrechen steigern. Stärker als bei Rezipienten, die wenig fernsehen, übernähmen Vielseher das Realitätsbild, das ihnen das Fernsehen biete und in dem Kriminalität überrepräsentiert sei. Auch diese These ist nicht unumstritten.
Die eher simple Suggestionsthese, die besagt, dass die Beobachtung von Mediengewalt beim Rezipienten zu einer Nachahmungstat führe, wird in der wissenschaftlichen Literatur nicht mehr vertreten. Eine Reihe von Studien stützt jedoch die These, dass für bestimmte Rezipienten das Konzept der Suggestion unter bestimmten Bedingungen zur Erklärung von in der natürlichen Umgebung auftretenden Effekten von Mediengewalt geeignet ist. So stieg die Selbstmordziffer nach der Veröffentlichung von Berichten über Selbstmorde (z. B. von Marilyn Monroe) an.
Die Vertreter der "Excitation-Transfer"-These gehen davon aus, dass Medieninhalte (Gewalt, aber auch Erotik, Humor usw.) unspezifische emotionale Erregungszustände beim Rezipienten auslösen können, die ein "Triebpotenzial" bilden. Welches Verhalten daraus resultiert, hängt von Situationsfaktoren ab und steht mit der Qualität des gesehenen Inhalts in keinerlei Zusammenhang. Die These besagt lediglich, dass residuale, d. h. noch nicht abgebaute Erregung in Situationen, die zu der die Erregung bewirkenden Situation keinerlei Beziehung aufweisen müssen, zu intensiverem Verhalten führt ("Transfer of Excitation"). Bei einer entsprechenden situationsbedingten Motivation könnten erotische Medieninhalte ebenso gewalttätiges Verhalten fördern, wie gewalthaltige Inhalte in der Lage wären, prosoziale Handlungen zu unterstützen.
Der Erregungszustand des Individuums und Situationsfaktoren spielen auch bei der Stimulationsthese eine Rolle. Dieser Ansatz ist insbesondere mit dem Namen Leonard Berkowitz
Zur Einordnung der mittel- und langfristigen Wirkungsbefunde der Medien-und-Gewalt-Forschung scheinen lerntheoretische Überlegungen am besten geeignet zu sein. Vertreter der Lerntheorie sind davon überzeugt, dass sich Verhalten aus einer ständigen Wechselwirkung von Persönlichkeits- und Umweltfaktoren ergibt und keiner dieser beiden Bereiche isoliert betrachtet werden kann. Albert Bandura
Insgesamt werden im Rahmen der Lerntheorie neben den Merkmalen von Medieninhalten (z. B. Stellenwert, Deutlichkeit, Nachvollziehbarkeit von Gewalt, Effizienz, Rechtfertigung, Belohnung von Gewalt) die Eigenschaften des Beobachters (z. B. Wahrnehmungsfähigkeiten, Erregungsniveau, Charaktereigenschaften, Interessen, frühere Erfahrungen, wie z. B. Bekräftigung erworbener Verhaltensmuster) sowie die situativen Bedingungen (z. B. Sozialisation, Normen und Verhaltensweisen in der familiären Umwelt und in den Bezugsgruppen, d. h. Peergroups) als Einflussfaktoren bei der Wirkung von Mediengewalt einbezogen. Dabei berücksichtigt die Lerntheorie, dass Handeln durch Denken kontrolliert wird und verschiedene Beobachter identische Inhalte unterschiedlich wahrnehmen und daraus auch unterschiedliche Verhaltenskonsequenzen ableiten können. So gesehen ist auch der Befund, dass Kinder, die keine Präferenz für brutale Medieninhalte besitzen, selbst nach langem Kontakt mit Mediengewalt keinerlei Neigung zeigen, dieses Verhalten nachzuahmen,
Angesichts der vorangegangenen Überlegungen sowie des Tatbestandes, dass das Fernsehen nur einer von vielen die Persönlichkeitsentwicklung beeinflussenden Faktoren ist, wäre in Feldstudien ein relativ schwacher positiver Zusammenhang zwischen dem Konsum von Fernsehgewalt und der späteren Aggressivität zu erwarten. Betrachtet man die in den verschiedenen Ländern durchgeführten Studien, dann ergibt sich genau dieses Muster. Während die einzelnen Korrelationskoeffizienten jeweils für sich nicht kausal interpretierbar sind, spricht das Gesamtmuster der Befunde für einen Einfluss des Fernsehens auf spätere Aggressivität. Die Resultate der Feldstudien entsprechen auch von der Stärke her den Erwartungen, die aufgrund lerntheoretischer Überlegungen gehegt werden. Die Koeffizienten variieren ungefähr zwischen 0,1 und 0,2, d. h., etwa zwischen ein und vier Prozent des späteren aggressiven Verhaltens wird in den Feldstudien durch den vorherigen Konsum von Fernsehgewalt erklärt. Allerdings hat es sich durchgesetzt, Korrelationskoeffizienten, deren Stärke geringer als 0,2 ist, als unbedeutend und uninterpretierbar zu betrachten. Der Einwand, dass die Werte zu schwach sind, berücksichtigt aber nicht, dass eine im Schnitt recht schwache Beziehung für alle Probanden eines Samples für einige Personen bzw. Personengruppen einen durchaus starken Zusammenhang bedeuten kann. So scheint bei bestimmten Rezipienten ein sich selbst verstärkender Prozess in dem Sinne vorzuliegen, dass der Konsum violenter Medieninhalte die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens, aggressiver Einstellungen und/oder Phantasien erhöht. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass violente Medieninhalte als attraktiv angesehen werden, was wiederum die Zuwendung zu aggressiven Medieninhalten fördern kann. Zu den Faktoren, die einen derartigen Prozess begünstigen, gehören u. a. niedriges Selbstbewusstsein und soziale Isolation, die mit erhöhtem Fernsehkonsum verbunden ist.
Von entscheidender Bedeutung hinsichtlich möglicher negativer Effekte von Mediengewalt auf Kinder und Jugendliche ist aber die familiäre Situation: Kinder aus intakten Familien sind wenig gefährdet, weil genügend kompensierende Einflüsse vorhanden sind. Auch für das Erlernen von Aggression gilt, dass zunächst erstens die unmittelbare familiäre Umwelt sowie zweitens die Subkultur bzw. die Gesellschaft, in der man lebt, die Quellen sind, aus denen aggressives Verhalten erlernt wird. Erst an dritter Stelle treten dann die massenmedial angebotenen aggressiven Modelle hinzu. Es scheint so zu sein, dass Gewaltdarstellungen auf die Mehrheit der Betrachter keine oder nur schwache Effekte haben, aber bei bestimmten Problemgruppen womöglich starke Wirkungen zeigen.
III. Aktuelle Forschungsansätze
Die Schwierigkeit für die Forschung liegt darin, herauszufinden, wie man solche Problemgruppen erreicht. Einen ersten Schritt stellte eine Befragung von klinischen Psychologen und Psychiatern dar.
Ein zentraler Befund der Studie bestand darin, dass die Befragten einen engen Zusammenhang zwischen der häuslichen Situation und dem Gewaltfilmkonsum herstellten. Sie betonten die Bedeutung des Vorbilds der Eltern, und zwar sowohl in Bezug auf deren Fernseh- und Videokonsum als auch auf deren Aggressivität. Am häufigsten wurde ein Zusammenhang zwischen vernachlässigendem Erziehungsstil und Gewaltfilmkonsum der Kinder erwähnt. Die Experten nannten Fernseh- oder Gewaltfilmkonsum jedoch in keinem Fall als Alleinverursacher einer Verhaltensauffälligkeit, sondern führten diesen Faktor immer nur im Zusammenhang mit anderen Problemen auf. Trotzdem waren die Psychologen und Psychiater bei fast jeder Fragestellung bereit, den Gewaltfilmen eine negative, verursachende Rolle zuzugestehen: Gewaltfilme bewirken demnach Aggressivität, prägen Rollenverhalten und nehmen negativen Einfluss auf die Schulleistungen.
Eine weitere Expertengruppe, von der aufgrund ihrer Erfahrungen mit straffälligen Jugendlichen anzunehmen ist, dass sie Aussagen über mögliche Zusammenhänge zwischen Medienkonsum und gewalttätigem Verhalten treffen kann, sind Richter und Staatsanwälte. Eine Befragung dieser Berufsgruppe in Nordrhein-Westfalen
Wie wenig geeignet das Denken in simplen Ursache-Wirkungs-Schemata zur Erklärung der Wirkung von Mediengewalt ist, zeigen auch die Befunde einer umfassenden, methodisch ausgesprochen sauber durchgeführten Untersuchungsreihe von Jürgen Grimm,
Angesichts der komplizierten Beziehung zwischen Mediengewalt und Aggressivität kommt in der Forschung immer häufiger ein qualitativer Ansatz zur Anwendung. So befragte Annette Hill 20 männliche und 16 weibliche Versuchspersonen, die über 18 Jahre alt waren und Filme wie "Pulp Fiction" und "Natural Born Killers" gesehen hatten. Die Autorin kam zu dem Schluss, ihre Befunde seien schwierig zusammenzufassen und fast unmöglich zu verallgemeinern.
Auch Christel Hopf
Thomas Döbler, Birgit Stark und Michael Schenk
Thomas Döbler u. a. führten auch eine quantitative Studie mit 200 männlichen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren im Großraum Stuttgart durch, wobei eine Risiko- (Jugendliche mit hoher Gewaltneigung) und eine Vergleichsgruppe (geringe Gewaltneigung) unterschieden wurden. Fernsehen und Videokonsum nahmen einen zentralen Stellenwert im Leben der Jugendlichen ein, wobei Action-, Ghetto-/Rapfilme und Psychothriller am beliebtesten waren. Der Konsum von Horrorfilmen wurde mit dem gemeinsamen Erleben mit Freunden begründet. Die Jugendlichen der Risikogruppe besaßen ein vergleichsweise niedriges Bildungsniveau und waren häufig arbeitslos. Auch wiesen sie einen höheren Fernsehkonsum mit einer Präferenz für Gewaltfilme auf, der mit dem Motiv der Wirklichkeitsflucht begründet wurde. Döbler u. a. schlussfolgerten, dass die Rezeption von Mediengewalt und die Wirkung auf die eigene Gewaltbereitschaft besonders durch das soziale Umfeld (v. a. Alkohol- und anderer Drogenkonsum) begünstigt werde.
Zur differenzierteren Betrachtung der Wirkung von Mediengewalt gehört auch die Berücksichtigung von Geschlechtsunterschieden. Jutta Röser ging in ihrer im Jahr 2000 veröffentlichten qualitativen Studie
Abschließend sei auf eine Studie verwiesen, die den Zusammenhang zwischen Mediengewalt und realem Aggressionsverhalten über einen längeren Zeitraum untersucht und in jüngster Zeit für viel öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt hat. Jeffrey G. Johnson u. a. haben in dieser Untersuchung 707 Kinder über 17 Jahre hinweg beobachtet.
IV. Berichterstattung über reale Gewalt
Die bisher dargestellten Untersuchungen bzw. Thesen bezogen sich u. a. auf fiktive Gewalt in den Medien. Auch wenn Studien, die sich mit Berichten über reale Gewalt befassen, eher selten sind, dürfen die Wirkungen dieser Art violenter Medieninhalte nicht übersehen werden. Die wichtigsten Befunde zu dieser Thematik werden im Folgenden thesenartig zusammengefasst:
1. Gewalt und Verbrechen besitzen als Abweichung von der Norm einen besonderen Aufmerksamkeitswert und haben damit eine besonders große Chance, als Nachricht veröffentlicht zu werden. (Bad news are good news.)
2. Bei der Berichterstattung über Gewalt kommt es zu einer Realitätsverzerrung in dem Sinne, dass z. B. überproportional häufig über schwere Verbrechen wie Morde berichtet wird.
3. Nachrichten über Gewalt und Verbrechen werden intensiv konsumiert.
4. Allein die Anwesenheit von Fernsehjournalisten kann Menschen dazu bewegen, sich durch außergewöhnliche Aktionen (z. B. Gewalt) in Szene zu setzen. Medienaufmerksamkeit kann als Belohnung wirken. Dies gilt sowohl für die Berichterstattung über Demonstrationen als auch über Zuschauerkrawalle bei Sportveranstaltungen. Gewalttätern (auch Terroristen) sollte deshalb in den Massenmedien kein Forum gegeben werden.
5. Individuen und gesellschaftliche Gruppierungen, die keinen routinemäßigen Zugang zum Nachrichtennetz haben, versuchen immer häufiger durch Pseudo-Events, also speziell für die Medienberichterstattung inszenierte Ereignisse (z. B. Demonstrationen, Gewalttaten etc.), Überraschung bei den Journalisten auszulösen, damit über sie berichtet wird.
6. Werden bei der Berichterstattung über Demonstrationen die gewaltsamen Aspekte zu stark herausgestellt, kann die demokratische Demonstrationskultur gefährdet werden. Friedfertige Personen werden von der Teilnahme abgeschreckt und violente Personen angezogen (dies gilt analog für Berichte über Sportveranstaltungen, wie z. B. über randalierende Hooligans). Die bildliche Darstellung von gewalttätigen Demonstrationen im Fernsehen kann ferner polarisierend wirken, d. h., die Positionen der (Anhänger der) Demonstranten und der gegen sie vorgehenden Polizei können extremer werden und damit u. U. konfliktverschärfend wirken.
7. Massive Kritik an staatlicher Gewaltanwendung kann als Legitimationsgrundlage für die Anwendung von Gegengewalt dienen.
8. Berichterstattung über fremdenfeindliche Gewaltakte hat (zumindest in Deutschland) weitere Straftaten stimuliert.
9. Zur Wirkung des Reality-TV (Sendungen, bei denen der Informationswert eines Ereignisses zugunsten des Nervenkitzels bzw. Voyeurismus zurücktritt) liegen kaum Untersuchungen vor. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Formen des Reality-TV (z. B. nachgestellte Hilfeleistungen) durchaus positive Effekte haben können.
10. Zur sekundären Viktimisierung, d. h. zu den Folgen der Medienberichterstattung über ein Verbrechen für das Opfer, liegen erst wenige Studien vor. Diese zeigen, dass zum einen die journalistische Qualität der Berichte häufig ungenügend ist, zum anderen jedoch in einigen Fällen auch durchaus positive Konsequenzen für das Opfer auftreten können (z. B. bei der Verarbeitung des Geschehenen). Besonders negativ ist die Berichterstattung für die Opfer von Vergewaltigungen.
11. Berichterstattung über Gewalt kann zu größerer Zufriedenheit mit der eigenen Situation führen, wenn sich die Gewalt in weiter Ferne ereignet.
12. Berichterstattung über Gewalt ist notwendig, um ein gesellschaftliches Problembewusstsein herzustellen. In vielen Situationen ist es für Journalisten allerdings extrem schwierig, die Konsequenzen der Berichterstattung abzuschätzen. Das Entscheidungsdilemma zwischen Informationspflicht und möglichen negativen Auswirkungen der Berichterstattung kann auch mit Hilfe der Wirkungsforschung nicht endgültig gelöst werden. So kann z. B. die Berichterstattung über die Schändung jüdischer Friedhöfe zu Nachahmungstaten führen, aber auch eine Mobilisierung der öffentlichen Meinung gegen solche Delikte und eine Diskussion darüber bewirken, wie diese verhindert werden können.
V. Ausblick
Angesichts spektakulärer Verbrechen, bei denen die Vermutung besteht, dass Mediengewalt ein auslösender Faktor gewesen sein könnte, kommt in der Öffentlichkeit immer wieder eine Diskussion in Gang, in deren Verlauf eine stark vereinfachende Argumentation erfolgt und die Massenmedien als hauptverantwortlich für die Gewalt in der Gesellschaft betrachtet werden. Forschungsergebnisse, die auf differenziertere Zusammenhänge verweisen, werden dabei kaum zur Kenntnis genommen. Von Politikern werden übertriebene Ängste und monokausale Schuldzuweisungen zumeist schnell aufgegriffen und ohne Kenntnis wissenschaftlicher Forschungsbefunde zur eigenen Profilierung eingesetzt. Eine solche Entwicklung war zuletzt sehr deutlich nach dem Amoklauf in Erfurt im Frühjahr dieses Jahres zu beobachten.
In Bezug auf die Nachahmung von Medieninhalten gelangte die "Gewaltkommission" 1990 zu dem Resümee: "Da Gewaltdarstellungen nur bei wenigen Beobachtern eine direkte gewaltauslösende Wirkung haben, sind Nachahmungstaten oft ohnehin gewaltorientierter Menschen wohl nicht das eigentliche Problem der Gewalt in den Medien."
Bemühungen, über Aufrufe zum Verzicht auf Werbung in Gewaltsendungen Einfluss auf die Programmgestaltung auszuüben, wie dies etwa jüngst der niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer durch Briefe an 60 Unternehmen versuchte,
Andere Maßnahmen setzten stärker beim Rezipienten an. Dazu gehört etwa der so genannte "Violence Chip", mit dem in den USA seit 1998 jedes neue Fernsehgerät ausgestattet sein muss und dessen Einführung auch Auswirkungen auf die europäische Jugendschutzdiskussion hatte.
Hilfsmittel wie der V-Chip oder die Kennzeichnung von Sendungen bringen die Schwierigkeit mit sich, dass der Reiz des Verbotenen die entsprechenden Sendungen für Kinder und Jugendliche oft noch attraktiver macht. Außerdem ist ihre Wirkung von ihrer tatsächlichen Nutzung und vom Problembewusstsein der Eltern abhängig. Gerade in Problemgruppen dürften diese Instrumente keine Anwendung finden.
Das gleiche Dilemma gilt für medienpädagogische Bemühungen, die Kinder im Umgang mit Mediengewalt anzuleiten. Forschungsbefunde zeigen, dass durch Gespräche über Gewaltsendungen, in denen etwa gewalttätiges Verhalten geächtet und auf alternative Möglichkeiten der Konfliktlösung hingewiesen wird, gute Erfolge im Sinne einer Aggressivitätsreduktion möglich sind.