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Gewalt in der Gesellschaft Editorial Gewalt und Gesellschaft Gewalt in modernen Gesellschaften - zwischen Ausblendung und Dramatisierung Jugendgewalt und Gesellschaft Die Innenseite der der Globalisierung Gewalttätig durch Medien? Veränderung der Schulkultur als Ansatz schulischer Gewaltprävention

Gewalttätig durch Medien?

Michael Kunczik  Astrid Zipfel  Astrid Michael / Zipfel Kunczik

/ 26 Minuten zu lesen

Der Beitrag enthält eine Kurzdarstellung des Untersuchungsstandes zur Gewalt in der Schule. Ebenso findet sich eine Bilanzierung eigener Studien, die seit 1993 in Ost- und Westdeutschland durchgeführt worden sind.

I. Einführung

Obwohl es keinen Bereich der Medienwirkungsforschung gibt, zu dem mehr Studien vorliegen, ist die Publikationsflut zur Thematik "Medien und Gewalt" ungebrochen. Schätzungen gehen von inzwischen über 5 000 Untersuchungen zu diesem Problem aus, wobei die Quantität der Veröffentlichungen jedoch wenig über die Qualität der Forschungsergebnisse aussagt.

Allerdings sind in der Forschung in den letzten Jahrzehnten durchaus Fortschritte erzielt worden. Aufgrund der inzwischen vorliegenden Befunde besteht heute Konsens darüber, dass Mediengewalt negative Effekte haben kann, wobei allerdings nicht von einem simplen Ursache-Wirkung-Zusammenhang ausgegangen werden darf und nicht die relativ wenig gefährdete Gesamtbevölkerung betrachtet werden muss, sondern vielmehr bestimmte Problemgruppen im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen sollten.

Die Komplexität der Forschungsbefunde und die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Mediengewalt und realer Gewalt ist der Öffentlichkeit allerdings nur schwer zu vermitteln. Nicht zuletzt dadurch, dass jeder täglich mit Massenmedien umgeht, bestehen in Bezug auf deren Wirkungen fest verankerte populärwissenschaftliche Vorstellungen, zu deren Verbreitung die Massenmedien selbst beitragen.

Die Medienwirkungsforschung ist ein gutes Beispiel für die Anwendung einer so genannten "Do It Yourself Social Science" (DYSS), bei der als Faustregel gilt: Je simpler eine These aussieht, desto attraktiver und erfolgreicher ist sie für Außenstehende. Auf diese Weise ist die Annahme, Mediengewalt führe in aller Regel zu gesteigerter Aggressivität, schon fast zur kulturellen Selbstverständlichkeit geworden. In der Propagierung solch einfacher Kausalzusammenhänge liegt eine in der öffentlichen Diskussion bislang wenig beachtete Gefahr: Verhaltensauffälligen oder delinquenten Jugendlichen kann ein willkommenes Argument zur Rationalisierung bzw. Rechtfertigung ihrer Tat und zur Abwälzung von Verantwortung geliefert werden.

Bei aller Kritik an der öffentlichen Medien-und-Gewalt-Debatte ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass Forschungsbefunde oft nicht zufrieden stellend kommuniziert werden. Noch immer trifft der von Peter Glotz gegen die Kommunikationswissenschaft erhobene Vorwurf zu, dass sie im Umgang mit der Öffentlichkeit häufig unfähig sei. Die seriöse Forschung gebe sich versonnen Detailstudien hin und überlasse das Feld der öffentlichen Meinung Autoren wie Neil Postman und Marie Winn, deren Bücher (z. B. "Das Verschwinden der Kindheit" oder "Wir amüsieren uns zu Tode" von Postman bzw. "Die Droge im Wohnzimmer" von Winn) sich durch simple, monokausale Erklärungsansätze und eine überpointierte Darstellung auszeichnen. Diese Publikationen sind aber von wissenschaftlicher Warte aus nur insofern interessant, als ihre hohe Popularität einen Indikator für weit verbreitete kollektive Ängste hinsichtlich möglicher negativer Wirkungen des Fernsehens darstellt.

Um eine differenziertere Einschätzung der Gefährlichkeit medialer Gewaltdarstellungen zu ermöglichen, werden im Folgenden Thesen und Befunde zur Wirkung von Mediengewalt vorgestellt.

II. Ausgewählte Thesen zur Wirkung von Gewaltdarstellungen

Anhänger der Katharsisthese gehen von der Existenz eines angeborenen Aggressionstriebes aus. Sie behaupten, durch das dynamische Mitvollziehen von an fiktiven Modellen beobachteten Gewaltakten in der Phantasie werde der Drang des Rezipienten abnehmen, selbst aggressives Verhalten zu zeigen. Die Katharsisthese, die sich bis auf Aristoteles zurückführen lässt, kann als widerlegt angesehen werden. In einer jüngeren Studie von Jürgen Grimm konnte allerdings im Hinblick auf Gewaltdarstellungen in den Kampfsportfilmen "Rambo" und "Savage Street" zumindest kurzfristig eine Aggressionsminderung nachgewiesen werden. Diese Aggressionsminderung war nicht mit Hilfe der Konzepte Furcht/Angst im Sinne der so genannten Inhibitionsthese zu erklären, der zufolge das Betrachten von Gewaltdarstellungen Aggressionshemmungen auslöst.

Eine Variante der Katharsisthese stellt die These der kognitiven Unterstützung dar. Diese besagt, dass die Fähigkeit zur Phantasietätigkeit es ermögliche, den unmittelbaren Ausdruck von Impulsen zu kontrollieren. Für Individuen mit geringen kognitiven Fähigkeiten und einer schwach entwickelten Phantasie sei das Fernsehen eine wichtige Quelle für phantasieanregendes Material, durch das die Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse eine kognitive Unterstützung erfahre. Auch für diese These gibt es keine überzeugenden empirischen Befunde.

Die Habitualisierungsthese basiert auf der empirisch gesicherten Annahme, dass ein einzelner Film kaum in der Lage ist, Einstellungen oder sogar Persönlichkeitsstrukturen dauerhaft zu verändern. Stattdessen werden langfristige, kumulative Effekte betont. Der Habitualisierungsthese zufolge nimmt die Sensibilität gegenüber Gewalt durch den ständigen Konsum von Fernsehgewalt ab, bis Aggression schließlich als normales Alltagsverhalten betrachtet wird. Die Problematik der Habitualisierungsthese liegt darin, dass in den entsprechenden Studien die wiederholte Betrachtung von Fernsehgewalt sehr unterschiedlich verstanden und operationalisiert wird. Die Befunde müssen als bruchstückhaft, zusammenhanglos und widersprüchlich bezeichnet werden. Dies zeigte etwa eine Meta-Analyse der zur Habitualisierungsthese vorliegenden Forschungsbefunde, in der insgesamt 30 Studien zu dieser Thematik für den Zeitraum 1983 bis 1992 identifiziert wurden. Die Analyse kam zu dem Schluss, dass die Habitualisierungsthese noch der empirischen Untersuchung bedarf - ein Urteil, das auch heute noch gültig ist.

Langfristige Medienwirkungen stehen auch im Mittelpunkt der so genannten Kultivationsthese. Diese beruht auf der Annahme, dass häufig und über einen längeren Zeitraum hinweg angesehene Gewaltdarstellungen in Unterhaltungsprogrammen v. a. die Vorstellungen der Vielseher von der Realität beeinflussen, sie die Häufigkeit von Verbrechen überschätzen lassen und die Furcht vor Verbrechen steigern. Stärker als bei Rezipienten, die wenig fernsehen, übernähmen Vielseher das Realitätsbild, das ihnen das Fernsehen biete und in dem Kriminalität überrepräsentiert sei. Auch diese These ist nicht unumstritten. So wäre zu prüfen, ob das Fernsehen die Rezipienten tatsächlich furchtsamer macht oder sich nicht eher furchtsame Rezipienten stärker dem Fernsehen zuwenden. Auch sagt der hohe Medienkonsum noch nichts über die Art der konsumierten Inhalte aus, und der mit Vielsehen evtl. einhergehende Abstumpfungseffekt könnte die Wirkung mindern.

Die eher simple Suggestionsthese, die besagt, dass die Beobachtung von Mediengewalt beim Rezipienten zu einer Nachahmungstat führe, wird in der wissenschaftlichen Literatur nicht mehr vertreten. Eine Reihe von Studien stützt jedoch die These, dass für bestimmte Rezipienten das Konzept der Suggestion unter bestimmten Bedingungen zur Erklärung von in der natürlichen Umgebung auftretenden Effekten von Mediengewalt geeignet ist. So stieg die Selbstmordziffer nach der Veröffentlichung von Berichten über Selbstmorde (z. B. von Marilyn Monroe) an. In Anlehnung an Goethes Werk Die Leiden des jungen Werther, das wegen befürchteter Nachahmungstaten (Selbstmord) in einigen Ländern verboten war, wird hier vom "Werther-Effekt" gesprochen. Auch in Deutschland gibt es Befunde, die für eine Nachahmung von im Fernsehen gezeigtem fiktivem Selbstmord sprechen.

Die Vertreter der "Excitation-Transfer"-These gehen davon aus, dass Medieninhalte (Gewalt, aber auch Erotik, Humor usw.) unspezifische emotionale Erregungszustände beim Rezipienten auslösen können, die ein "Triebpotenzial" bilden. Welches Verhalten daraus resultiert, hängt von Situationsfaktoren ab und steht mit der Qualität des gesehenen Inhalts in keinerlei Zusammenhang. Die These besagt lediglich, dass residuale, d. h. noch nicht abgebaute Erregung in Situationen, die zu der die Erregung bewirkenden Situation keinerlei Beziehung aufweisen müssen, zu intensiverem Verhalten führt ("Transfer of Excitation"). Bei einer entsprechenden situationsbedingten Motivation könnten erotische Medieninhalte ebenso gewalttätiges Verhalten fördern, wie gewalthaltige Inhalte in der Lage wären, prosoziale Handlungen zu unterstützen.

Der Erregungszustand des Individuums und Situationsfaktoren spielen auch bei der Stimulationsthese eine Rolle. Dieser Ansatz ist insbesondere mit dem Namen Leonard Berkowitz verbunden. Berkowitz zieht aus seinen Experimenten den Schluss, das Betrachten bestimmter (z. B. als gerechtfertigt gezeigter) Gewalt führe unter bestimmten Bedingungen zu einer Zunahme aggressiven Verhaltens. Zu diesen Bedingungen gehören persönlichkeitsspezifische und situative Faktoren. Bei den persönlichkeitsspezifischen Faktoren handelt es sich v. a. um durch Frustration bewirkte emotionale Erregung. Unter situativen Bedingungen versteht Berkowitz z. B. aggressionsauslösende Hinweisreize, die entweder mit gegenwärtigen Ärgernissen oder vergangenen Erlebnissen assoziiert werden oder grundsätzlich aggressionsauslösend wirkten, wie z. B. Waffen. Nach Berkowitz schafft ein durch Frustration bewirkter Zustand emotionaler Erregung eine Disposition für Aggression bzw. ein Handlungspotenzial, bei dem die Gewaltdarstellung, insbesondere wenn sie Ähnlichkeiten zur realen Situation der Person aufweist, aggressives Verhalten auslöst. Abgesehen davon, dass sich die Aussagen von Berkowitz nur auf sehr kurzfristige Medienwirkungen beziehen, können seine Experimente aufgrund diverser methodischer Mängel nicht als Beweis für einen Stimulationsmechanismus gewertet werden. Auch andere Studien konnten diese These nicht eindeutig nachweisen.

Zur Einordnung der mittel- und langfristigen Wirkungsbefunde der Medien-und-Gewalt-Forschung scheinen lerntheoretische Überlegungen am besten geeignet zu sein. Vertreter der Lerntheorie sind davon überzeugt, dass sich Verhalten aus einer ständigen Wechselwirkung von Persönlichkeits- und Umweltfaktoren ergibt und keiner dieser beiden Bereiche isoliert betrachtet werden kann. Albert Bandura geht in seiner Theorie des Beobachtungslernens davon aus, dass sich Menschen, indem sie (in der Realität oder in den Medien) das Verhalten anderer Personen verfolgen, Handlungsmuster aneignen ("Lernen am Modell"). Ein zentraler Aspekt der Lerntheorie besteht jedoch in der Annahme, dass der reine Tatbestand des Erlernens von Verhaltensweisen noch nichts über deren tatsächliche Ausführung sagt. Die Lerntheorie nimmt an, dass der Mensch in der Lage ist, die Ausübung einer Handlung von deren vermutlichen Konsequenzen abhängig zu machen. Normalerweise unterliegt gewalttätiges Verhaltenspotenzial Hemmungen, d. h. regulativen Mechanismen wie sozialen Normen, Furcht vor Bestrafung und Vergeltung, Schuldgefühlen und Angst, die verhindern, dass Aggression zu Tage tritt. Ob aus den latenten Handlungsmodellen manifestes Verhalten resultiert, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Hierzu zählen neben der Ähnlichkeit der Situation und dem Vorhandensein der entsprechenden Mittel für eine Imitation (z. B. Besitz von Waffen) in erster Linie die Konsequenzen eines solchen Verhaltens (Erfolg bzw. Misserfolg, Belohnung bzw. Bestrafung usw.) sowohl für das Modell als auch für den Beobachter. Erfolg des Modellverhaltens ist als stellvertretende Bekräftigung des Beobachters zu verstehen.

Insgesamt werden im Rahmen der Lerntheorie neben den Merkmalen von Medieninhalten (z. B. Stellenwert, Deutlichkeit, Nachvollziehbarkeit von Gewalt, Effizienz, Rechtfertigung, Belohnung von Gewalt) die Eigenschaften des Beobachters (z. B. Wahrnehmungsfähigkeiten, Erregungsniveau, Charaktereigenschaften, Interessen, frühere Erfahrungen, wie z. B. Bekräftigung erworbener Verhaltensmuster) sowie die situativen Bedingungen (z. B. Sozialisation, Normen und Verhaltensweisen in der familiären Umwelt und in den Bezugsgruppen, d. h. Peergroups) als Einflussfaktoren bei der Wirkung von Mediengewalt einbezogen. Dabei berücksichtigt die Lerntheorie, dass Handeln durch Denken kontrolliert wird und verschiedene Beobachter identische Inhalte unterschiedlich wahrnehmen und daraus auch unterschiedliche Verhaltenskonsequenzen ableiten können. So gesehen ist auch der Befund, dass Kinder, die keine Präferenz für brutale Medieninhalte besitzen, selbst nach langem Kontakt mit Mediengewalt keinerlei Neigung zeigen, dieses Verhalten nachzuahmen, kein Widerspruch zur Lerntheorie.

Angesichts der vorangegangenen Überlegungen sowie des Tatbestandes, dass das Fernsehen nur einer von vielen die Persönlichkeitsentwicklung beeinflussenden Faktoren ist, wäre in Feldstudien ein relativ schwacher positiver Zusammenhang zwischen dem Konsum von Fernsehgewalt und der späteren Aggressivität zu erwarten. Betrachtet man die in den verschiedenen Ländern durchgeführten Studien, dann ergibt sich genau dieses Muster. Während die einzelnen Korrelationskoeffizienten jeweils für sich nicht kausal interpretierbar sind, spricht das Gesamtmuster der Befunde für einen Einfluss des Fernsehens auf spätere Aggressivität. Die Resultate der Feldstudien entsprechen auch von der Stärke her den Erwartungen, die aufgrund lerntheoretischer Überlegungen gehegt werden. Die Koeffizienten variieren ungefähr zwischen 0,1 und 0,2, d. h., etwa zwischen ein und vier Prozent des späteren aggressiven Verhaltens wird in den Feldstudien durch den vorherigen Konsum von Fernsehgewalt erklärt. Allerdings hat es sich durchgesetzt, Korrelationskoeffizienten, deren Stärke geringer als 0,2 ist, als unbedeutend und uninterpretierbar zu betrachten. Der Einwand, dass die Werte zu schwach sind, berücksichtigt aber nicht, dass eine im Schnitt recht schwache Beziehung für alle Probanden eines Samples für einige Personen bzw. Personengruppen einen durchaus starken Zusammenhang bedeuten kann. So scheint bei bestimmten Rezipienten ein sich selbst verstärkender Prozess in dem Sinne vorzuliegen, dass der Konsum violenter Medieninhalte die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens, aggressiver Einstellungen und/oder Phantasien erhöht. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass violente Medieninhalte als attraktiv angesehen werden, was wiederum die Zuwendung zu aggressiven Medieninhalten fördern kann. Zu den Faktoren, die einen derartigen Prozess begünstigen, gehören u. a. niedriges Selbstbewusstsein und soziale Isolation, die mit erhöhtem Fernsehkonsum verbunden ist.

Von entscheidender Bedeutung hinsichtlich möglicher negativer Effekte von Mediengewalt auf Kinder und Jugendliche ist aber die familiäre Situation: Kinder aus intakten Familien sind wenig gefährdet, weil genügend kompensierende Einflüsse vorhanden sind. Auch für das Erlernen von Aggression gilt, dass zunächst erstens die unmittelbare familiäre Umwelt sowie zweitens die Subkultur bzw. die Gesellschaft, in der man lebt, die Quellen sind, aus denen aggressives Verhalten erlernt wird. Erst an dritter Stelle treten dann die massenmedial angebotenen aggressiven Modelle hinzu. Es scheint so zu sein, dass Gewaltdarstellungen auf die Mehrheit der Betrachter keine oder nur schwache Effekte haben, aber bei bestimmten Problemgruppen womöglich starke Wirkungen zeigen.

III. Aktuelle Forschungsansätze

Die Schwierigkeit für die Forschung liegt darin, herauszufinden, wie man solche Problemgruppen erreicht. Einen ersten Schritt stellte eine Befragung von klinischen Psychologen und Psychiatern dar. Diese Untersuchung ergab, dass die Befragten aufgrund ihrer Berufserfahrung zum überwiegenden Teil von einer eher schädlichen Wirkung der Gewaltfilme ausgingen. Zu den beobachteten Symptomen gehörten Schlafstörungen und Übererregbarkeit sowie insbesondere aggressives Verhalten durch den Konsum von filmischer Gewalt. Sehr häufig wurde angeführt, dass Kinder und Jugendliche versuchen, ihr eigenes aggressives Verhalten durch Vorbilder aus Gewaltfilmen zu rechtfertigen (Rationalisierungsthese). Circa zwei Drittel der Befragten hatten diese Erfahrung schon häufig oder gelegentlich gemacht. Dass Kinder oder Jugendliche von sich aus sagten, das Fernsehen habe Einfluss auf ihr Verhalten genommen, war ebenfalls keine Seltenheit in der beruflichen Praxis der Psychologen und Psychiater. Jeweils gut 40 Prozent schilderten diese Beobachtung. Hier scheint sich die öffentliche Diskussion über die Gefahren von Mediengewalt bereits in konkreten Schuldzuweisungen an das Medium Fernsehen niederzuschlagen.

Ein zentraler Befund der Studie bestand darin, dass die Befragten einen engen Zusammenhang zwischen der häuslichen Situation und dem Gewaltfilmkonsum herstellten. Sie betonten die Bedeutung des Vorbilds der Eltern, und zwar sowohl in Bezug auf deren Fernseh- und Videokonsum als auch auf deren Aggressivität. Am häufigsten wurde ein Zusammenhang zwischen vernachlässigendem Erziehungsstil und Gewaltfilmkonsum der Kinder erwähnt. Die Experten nannten Fernseh- oder Gewaltfilmkonsum jedoch in keinem Fall als Alleinverursacher einer Verhaltensauffälligkeit, sondern führten diesen Faktor immer nur im Zusammenhang mit anderen Problemen auf. Trotzdem waren die Psychologen und Psychiater bei fast jeder Fragestellung bereit, den Gewaltfilmen eine negative, verursachende Rolle zuzugestehen: Gewaltfilme bewirken demnach Aggressivität, prägen Rollenverhalten und nehmen negativen Einfluss auf die Schulleistungen.

Eine weitere Expertengruppe, von der aufgrund ihrer Erfahrungen mit straffälligen Jugendlichen anzunehmen ist, dass sie Aussagen über mögliche Zusammenhänge zwischen Medienkonsum und gewalttätigem Verhalten treffen kann, sind Richter und Staatsanwälte. Eine Befragung dieser Berufsgruppe in Nordrhein-Westfalen ergab, dass vor Gericht ein Einfluss massenmedialer Gewalt auf die Straftat relativ häufig in Betracht gezogen wird. Fast die Hälfte der Befragten gab an, eine solche Begründung ein- oder mehrmals von den Tätern gehört zu haben, wobei die Antworten nahe legen, dass es sich hierbei vor allem um Rationalisierungsversuche handelte. Diese Experten erachteten die von Mediengewalt ausgehende Wirkung auf die kriminelle Entwicklung von Jugendlichen ebenfalls als bedenklich. Aber auch sie betonten, dass Medien nicht als alleine ausschlaggebend zu betrachten sind, sondern die Rolle des erzieherischen Umfeldes, des Milieus sowie des Alkohol- und sonstigen Drogengebrauchs mit zu berücksichtigen ist.

Wie wenig geeignet das Denken in simplen Ursache-Wirkungs-Schemata zur Erklärung der Wirkung von Mediengewalt ist, zeigen auch die Befunde einer umfassenden, methodisch ausgesprochen sauber durchgeführten Untersuchungsreihe von Jürgen Grimm, an der insgesamt über 1 200 Probanden teilgenommen haben. Der wichtigste Befund bestand in der Feststellung, dass sich hinsichtlich der Gewaltrezeption von Spielfilmen das Ergebnis der Experimente "nicht auf die griffige Kurzformel einer durch Medien verrohten Gesellschaft bringen lässt" . Vielmehr reichte die Wirkungsbandbreite "von Gewaltrechtfertigung bis zur Gewaltablehnung, von der Angst bis zur unterhaltsamen Spannung, von politischer Entfremdung bis zu gesteigertem Selbstbewusstsein" . Dabei folgten die Wirkungen von Spielfilmgewalt überwiegend der Logik negativen Lernens. Damit meint Grimm, dass die rezipierten Gewaltmodelle zum Gegenstand kritischer Reflexionen werden und dabei die Violenz eher untergraben denn stärken. Grimm stellte insgesamt bei Spielfilmgewalt eine Dominanz der Opferperspektive fest und kam zu dem Schluss: "Spielfilmgewalt ist ... keine Schule des Mitleids, wohl aber eine Vorschule der Antiviolenz, sofern die Opferdarstellungen Einhakpunkte der Gewaltkritik bieten." Eine deutliche Ausnahme stellte allerdings der von Grimm "Robespierre-Affekt" genannte Wirkungsaspekt dar. Dabei wandelt sich ein zunächst gewaltkritischer Impuls in Aggression gegen Täter. Den Grund sieht der Autor darin, dass sich aus der Identifikation mit den Schwachen und Drangsalierten die Legitimation ableiten lässt, gegen "mächtige Schurken" jedes Mittel einzusetzen. Diese Form der Violenz ist nicht imitativ, sondern opferzentriert und täterkritisch ausgerichtet. Sie ist insbesondere bei der Beobachtung illegitimer Gewalt gegenüber einem sympathischen Opfer zu erwarten.

Angesichts der komplizierten Beziehung zwischen Mediengewalt und Aggressivität kommt in der Forschung immer häufiger ein qualitativer Ansatz zur Anwendung. So befragte Annette Hill 20 männliche und 16 weibliche Versuchspersonen, die über 18 Jahre alt waren und Filme wie "Pulp Fiction" und "Natural Born Killers" gesehen hatten. Die Autorin kam zu dem Schluss, ihre Befunde seien schwierig zusammenzufassen und fast unmöglich zu verallgemeinern. Zentral für die Habitualisierungsthese war allerdings das Ergebnis, dass Konsumenten violenter Filme reale Gewalt in keiner Weise unterhaltsam fanden und zwischen realer und fiktiver Gewalt unterschieden.

Auch Christel Hopf legte im Jahr 2000 eine qualitative Studie mit 24 Probanden im Alter von 18 bis 22 Jahren vor. Auf der Grundlage von Einzelfallanalysen gelangte sie zu dem Ergebnis, dass gewaltbereite Jugendliche durch filmische Gewalt, die als gerechtfertigt dargestellt wird, stärker als andere Jugendliche beeinflusst werden. Der Autorin zufolge ist es allerdings unwahrscheinlich, dass Gewaltbereitschaft im Kindesalter die Folge medialer Einflüsse ist. Der Befund, dass aggressivere Kinder häufiger gewalthaltige Filme sähen, sage vor allem etwas über deren Präferenzen aus.

Thomas Döbler, Birgit Stark und Michael Schenk benutzten im Rahmen ihrer Netzwerkanalyse ebenfalls qualitative Verfahren. Als Probanden wurden Problemjugendliche ausgewählt, die z. B. in Heimen wohnten oder sich an "Brennpunkten" (z. B. öffentlichen Plätzen und Parks) aufhielten. Es wurden 32 Interviews durchgeführt, die Hälfte davon mit Ausländern. Die Autoren resümierten: "Eine Verknüpfung zwischen (gewalthaltigem) Medienkonsum und persönlichem realen Gewaltverhalten lässt sich ... nicht ziehen. Gerade die in dieser Studie stärker gewalttätig eingestellten und auch handelnden Jugendlichen weisen nämlich einen eher geringen Medienkonsum, meist bedingt durch persönliche Lebensumstände - nicht mehr daheim wohnend -, auf; die bezogen auf Schule und Integration in die elterliche Familie eher in geordneten Konstellationen lebenden Jugendlichen geben dagegen einen deutlich höheren und regelmäßigeren Medienkonsum, auch von gewalttätigen Inhalten, an. Hinsichtlich der persönlichen Bereitschaft, Gewalt auch real einzusetzen, zeigen sie sich jedoch merklich zurückhaltender bis ablehnender."

Thomas Döbler u. a. führten auch eine quantitative Studie mit 200 männlichen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren im Großraum Stuttgart durch, wobei eine Risiko- (Jugendliche mit hoher Gewaltneigung) und eine Vergleichsgruppe (geringe Gewaltneigung) unterschieden wurden. Fernsehen und Videokonsum nahmen einen zentralen Stellenwert im Leben der Jugendlichen ein, wobei Action-, Ghetto-/Rapfilme und Psychothriller am beliebtesten waren. Der Konsum von Horrorfilmen wurde mit dem gemeinsamen Erleben mit Freunden begründet. Die Jugendlichen der Risikogruppe besaßen ein vergleichsweise niedriges Bildungsniveau und waren häufig arbeitslos. Auch wiesen sie einen höheren Fernsehkonsum mit einer Präferenz für Gewaltfilme auf, der mit dem Motiv der Wirklichkeitsflucht begründet wurde. Döbler u. a. schlussfolgerten, dass die Rezeption von Mediengewalt und die Wirkung auf die eigene Gewaltbereitschaft besonders durch das soziale Umfeld (v. a. Alkohol- und anderer Drogenkonsum) begünstigt werde. Insbesondere Hauptschüler lebten den Ergebnissen dieser Studie zufolge in einer Umgebung, in der reale und Mediengewalt Unterstützung fanden. Die Befunde deuten darauf hin, dass die jeweiligen sozialen Netzwerke für abweichendes Verhalten sowie die Einstellung zu realer und medialer Gewalt von entscheidender Bedeutung sind.

Zur differenzierteren Betrachtung der Wirkung von Mediengewalt gehört auch die Berücksichtigung von Geschlechtsunterschieden. Jutta Röser ging in ihrer im Jahr 2000 veröffentlichten qualitativen Studie davon aus, dass identische Gewaltinhalte je nach gesellschaftlichem Kontext der Rezipienten unterschiedlich interpretiert und rezipiert werden. Sie konnte belegen, dass die Kategorie "Geschlecht" bei der Gewaltrezeption von zentraler Bedeutung sein kann. Wenn nach den affektiven Reaktionen auf bedrohliche oder brutale Szenen im Fernsehen gefragt wurde, zeigten die Antworten ausgeprägte Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Der Autorin zufolge "kennt so gut wie jede Frau negative Gefühle der Angst und Belastung durch bedrohliche Fernsehszenen" . Auch jenseits der Geschlechterdifferenz seien ausgeprägte Gefühle der Belastung und der Angst der großen Mehrheit des Fernsehpublikums bekannt: "Angesichts der Relevanz solcher Gefühle rückt die Einseitigkeit der Mediengewaltforschung, die fast ausschließlich nach Aggressionsreaktionen fragt, um so schärfer in den Blick." Jutta Röser konnte zeigen, dass bereits die Frage, ob eine bestimmte Szene als realistisch oder unrealistisch, plausibel oder unlogisch eingeordnet wird, von gesellschaftlichen Verhältnissen beeinflusst wird.

Abschließend sei auf eine Studie verwiesen, die den Zusammenhang zwischen Mediengewalt und realem Aggressionsverhalten über einen längeren Zeitraum untersucht und in jüngster Zeit für viel öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt hat. Jeffrey G. Johnson u. a. haben in dieser Untersuchung 707 Kinder über 17 Jahre hinweg beobachtet. Die Autoren wollen festgestellt haben, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des Fernsehkonsums und späterer Aggressivität besteht. Der durchschnittliche Fernsehkonsum im Alter von 14 Jahren (bzw. 22 Jahren) wurde mit der Aggressivität im Alter von 16 bzw. 22 Jahren (bzw. 30 Jahren) verglichen. Kontrolliert wurden Faktoren wie der Erziehungsstil der Eltern und das soziale Umfeld (z. B. schlechte Wohngegend). Der Zusammenhang trat bei männlichen Jugendlichen mit einem Fernsehkonsum von mehr als drei Stunden besonders deutlich zu Tage. Bei Frauen konnte der Zusammenhang im Alter von 14 noch nicht festgestellt werden, was darauf zurückgeführt wurde, dass Mädchen weniger violente Programme sehen. Im Alter von 22 Jahren war der Zusammenhang aufzufinden. Die Autoren resümieren, sie hätten ungeachtet möglicher bidirektionaler Beziehungen (Aggressivität führt zum Konsum violenter Programme) feststellen können, dass unabhängig von der aggressiven Vorgeschichte das Ausmaß des Fernsehkonsums mit späterer Aggressivität verbunden war. Als problematisch an dieser Untersuchung muss allerdings betrachtet werden, dass die Qualität der gesehenen Fernsehinhalte nicht erhoben und berücksichtigt worden ist.

IV. Berichterstattung über reale Gewalt

Die bisher dargestellten Untersuchungen bzw. Thesen bezogen sich u. a. auf fiktive Gewalt in den Medien. Auch wenn Studien, die sich mit Berichten über reale Gewalt befassen, eher selten sind, dürfen die Wirkungen dieser Art violenter Medieninhalte nicht übersehen werden. Die wichtigsten Befunde zu dieser Thematik werden im Folgenden thesenartig zusammengefasst:

1. Gewalt und Verbrechen besitzen als Abweichung von der Norm einen besonderen Aufmerksamkeitswert und haben damit eine besonders große Chance, als Nachricht veröffentlicht zu werden. (Bad news are good news.)

2. Bei der Berichterstattung über Gewalt kommt es zu einer Realitätsverzerrung in dem Sinne, dass z. B. überproportional häufig über schwere Verbrechen wie Morde berichtet wird.

3. Nachrichten über Gewalt und Verbrechen werden intensiv konsumiert.

4. Allein die Anwesenheit von Fernsehjournalisten kann Menschen dazu bewegen, sich durch außergewöhnliche Aktionen (z. B. Gewalt) in Szene zu setzen. Medienaufmerksamkeit kann als Belohnung wirken. Dies gilt sowohl für die Berichterstattung über Demonstrationen als auch über Zuschauerkrawalle bei Sportveranstaltungen. Gewalttätern (auch Terroristen) sollte deshalb in den Massenmedien kein Forum gegeben werden.

5. Individuen und gesellschaftliche Gruppierungen, die keinen routinemäßigen Zugang zum Nachrichtennetz haben, versuchen immer häufiger durch Pseudo-Events, also speziell für die Medienberichterstattung inszenierte Ereignisse (z. B. Demonstrationen, Gewalttaten etc.), Überraschung bei den Journalisten auszulösen, damit über sie berichtet wird.

6. Werden bei der Berichterstattung über Demonstrationen die gewaltsamen Aspekte zu stark herausgestellt, kann die demokratische Demonstrationskultur gefährdet werden. Friedfertige Personen werden von der Teilnahme abgeschreckt und violente Personen angezogen (dies gilt analog für Berichte über Sportveranstaltungen, wie z. B. über randalierende Hooligans). Die bildliche Darstellung von gewalttätigen Demonstrationen im Fernsehen kann ferner polarisierend wirken, d. h., die Positionen der (Anhänger der) Demonstranten und der gegen sie vorgehenden Polizei können extremer werden und damit u. U. konfliktverschärfend wirken.

7. Massive Kritik an staatlicher Gewaltanwendung kann als Legitimationsgrundlage für die Anwendung von Gegengewalt dienen.

8. Berichterstattung über fremdenfeindliche Gewaltakte hat (zumindest in Deutschland) weitere Straftaten stimuliert.

9. Zur Wirkung des Reality-TV (Sendungen, bei denen der Informationswert eines Ereignisses zugunsten des Nervenkitzels bzw. Voyeurismus zurücktritt) liegen kaum Untersuchungen vor. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Formen des Reality-TV (z. B. nachgestellte Hilfeleistungen) durchaus positive Effekte haben können.

10. Zur sekundären Viktimisierung, d. h. zu den Folgen der Medienberichterstattung über ein Verbrechen für das Opfer, liegen erst wenige Studien vor. Diese zeigen, dass zum einen die journalistische Qualität der Berichte häufig ungenügend ist, zum anderen jedoch in einigen Fällen auch durchaus positive Konsequenzen für das Opfer auftreten können (z. B. bei der Verarbeitung des Geschehenen). Besonders negativ ist die Berichterstattung für die Opfer von Vergewaltigungen.

11. Berichterstattung über Gewalt kann zu größerer Zufriedenheit mit der eigenen Situation führen, wenn sich die Gewalt in weiter Ferne ereignet.

12. Berichterstattung über Gewalt ist notwendig, um ein gesellschaftliches Problembewusstsein herzustellen. In vielen Situationen ist es für Journalisten allerdings extrem schwierig, die Konsequenzen der Berichterstattung abzuschätzen. Das Entscheidungsdilemma zwischen Informationspflicht und möglichen negativen Auswirkungen der Berichterstattung kann auch mit Hilfe der Wirkungsforschung nicht endgültig gelöst werden. So kann z. B. die Berichterstattung über die Schändung jüdischer Friedhöfe zu Nachahmungstaten führen, aber auch eine Mobilisierung der öffentlichen Meinung gegen solche Delikte und eine Diskussion darüber bewirken, wie diese verhindert werden können.

V. Ausblick

Angesichts spektakulärer Verbrechen, bei denen die Vermutung besteht, dass Mediengewalt ein auslösender Faktor gewesen sein könnte, kommt in der Öffentlichkeit immer wieder eine Diskussion in Gang, in deren Verlauf eine stark vereinfachende Argumentation erfolgt und die Massenmedien als hauptverantwortlich für die Gewalt in der Gesellschaft betrachtet werden. Forschungsergebnisse, die auf differenziertere Zusammenhänge verweisen, werden dabei kaum zur Kenntnis genommen. Von Politikern werden übertriebene Ängste und monokausale Schuldzuweisungen zumeist schnell aufgegriffen und ohne Kenntnis wissenschaftlicher Forschungsbefunde zur eigenen Profilierung eingesetzt. Eine solche Entwicklung war zuletzt sehr deutlich nach dem Amoklauf in Erfurt im Frühjahr dieses Jahres zu beobachten.

In Bezug auf die Nachahmung von Medieninhalten gelangte die "Gewaltkommission" 1990 zu dem Resümee: "Da Gewaltdarstellungen nur bei wenigen Beobachtern eine direkte gewaltauslösende Wirkung haben, sind Nachahmungstaten oft ohnehin gewaltorientierter Menschen wohl nicht das eigentliche Problem der Gewalt in den Medien." Ähnlich argumentierte Henning Haase: Ein Zusammentreffen der potenziellen Wirkungsfaktoren in einer Person und in einer Situation sei zwar möglich, aber wenig wahrscheinlich. Wenn dies doch geschehe, sei "...dies auf die gesamte Population bezogen ein höchst seltenes Ereignis, individuell bedauerlich, aber gesamtgesellschaftlich ein Randproblem" . Dabei stellt sich die Frage, ab wann ein solches "Einzelproblem" zum gesellschaftlich relevanten Problem wird. Selbst wenn sich die Zahl der durch Mediengewalt Gefährdeten nur im Promillebereich bewegt, darf diese Problematik angesichts einer bei einer Bevölkerung von ca. 80 Millionen Bundesbürgern nicht zu vernachlässigenden absoluten Zahl möglicherweise Betroffener nicht gering geschätzt werden. Es ist allerdings davor zu warnen, dass sich wie nach Erfurt ein in den verschiedensten politischen Lagern feststellbarer blinder politischer Aktionismus entfaltet. Dieser birgt die Gefahr einer Einschränkung der Presse-, Meinungs-, und Kunstfreiheit und lenkt in seiner Fixierung auf die Rolle der Medien zudem oft davon ab, dass andere wichtige Ursachen von Gewalt (Armut, Arbeitslosigkeit, mangelnde Zukunftsperspektiven usw.) womöglich nicht ausreichend bekämpft worden sind. Selbstkontrolle durch die Medien und die konsequente Anwendung ihrer Möglichkeiten dürfte hier der sinnvollere Weg sein.

Bemühungen, über Aufrufe zum Verzicht auf Werbung in Gewaltsendungen Einfluss auf die Programmgestaltung auszuüben, wie dies etwa jüngst der niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer durch Briefe an 60 Unternehmen versuchte, versprechen hingegen wenig Erfolg. Zumeist wird bei solchen Aktionen mit Imageschädigung oder mit Forschungsbefunden argumentiert, die für eine geringere Wirkung von Werbebotschaften in einem gewalthaltigen Umfeld sprechen. Da für die Schaltung von Werbespots in der Regel jedoch noch immer die Reichweite einer Sendung das entscheidende Motiv ist, sind von dieser Strategie allenfalls punktuelle Effekte zu erwarten.

Andere Maßnahmen setzten stärker beim Rezipienten an. Dazu gehört etwa der so genannte "Violence Chip", mit dem in den USA seit 1998 jedes neue Fernsehgerät ausgestattet sein muss und dessen Einführung auch Auswirkungen auf die europäische Jugendschutzdiskussion hatte. In Deutschland wurden die Vorgaben der 1997 geänderten EU-Fernsehrichtlinie im 4. Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 1. April 2000 umgesetzt. Darin wurde festgelegt, dass jugendschutzrelevante Sendungen nicht nur wie bisher altersabhängigen Uhrzeitbeschränkungen bei der Ausstrahlung unterliegen, sondern nach § 3 Absatz 4 auch durch akustische Zeichen angekündigt oder durch optische Mittel während der gesamten Sendung kenntlich gemacht werden müssen. Im privaten digitalen Fernsehen müssen Sendungen, die außerhalb der bestehenden Sendezeitbeschränkungen ausgestrahlt werden, einzeln eine Verschlüsselung oder Vorsperrung erhalten. Eine Freischaltung darf nur für die einzelne Sendung möglich sein - eine allgemeine Verschlüsselung oder Sperrung des Gesamtprogramms ist nicht ausreichend (§ 3 Abs. 5). Diese Maßnahmen werden unter Einbeziehung internationaler Erfahrungen einer regelmäßigen Evaluierung unterzogen.

Hilfsmittel wie der V-Chip oder die Kennzeichnung von Sendungen bringen die Schwierigkeit mit sich, dass der Reiz des Verbotenen die entsprechenden Sendungen für Kinder und Jugendliche oft noch attraktiver macht. Außerdem ist ihre Wirkung von ihrer tatsächlichen Nutzung und vom Problembewusstsein der Eltern abhängig. Gerade in Problemgruppen dürften diese Instrumente keine Anwendung finden.

Das gleiche Dilemma gilt für medienpädagogische Bemühungen, die Kinder im Umgang mit Mediengewalt anzuleiten. Forschungsbefunde zeigen, dass durch Gespräche über Gewaltsendungen, in denen etwa gewalttätiges Verhalten geächtet und auf alternative Möglichkeiten der Konfliktlösung hingewiesen wird, gute Erfolge im Sinne einer Aggressivitätsreduktion möglich sind. Die Schaffung eines Problembewusstseins bei den Eltern bzw. die Förderung entsprechender medienpädagogischer Maßnahmen im sonstigen sozialen Umfeld von Kindern und Jugendlichen, insbesondere in der Schule, ist aufgrund der genannten Schwierigkeiten gewiss kein Allheilmittel, zumindest jedoch ein lohnender Ansatzpunkt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Im Folgenden wird unter personaler Gewalt (Aggression) die beabsichtigte physische und/oder psychische Schädigung einer Person, von Lebewesen und Sachen durch eine andere Person verstanden.

  2. Hinsichtlich der Qualität der Forschung gilt noch immer ein Resümee, das die Kommission "Wirkungsforschung" der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1986 gezogen hat, nämlich dass die Forderung nach der einen Theorie der Medienwirkung nicht erfüllbar ist, weil die Medien und ihre Inhalte viel zu verschieden seien. Auch sind die Randbedingungen, unter denen die Medien wirken, viel zu komplex, als dass es möglich ist, sie in einem konsistenten Satz von Hypothesen zusammenzufassen. Auf die komplizierte Frage nach den möglichen Wirkungen kann keine einfache Antwort gegeben werden. Vgl. DFG, Medienwirkungsforschung in der Bundesrepublik Deutschland, Weinheim 1986.

  3. Zwei Befragungen von Psychologen und Psychiatern bzw. im Jugendstrafrecht tätigen Richtern und Staatsanwälten haben ergeben, dass derartige Rationalisierungsversuche inzwischen häufig vorkommen. Vgl. die Beschreibung dieser beiden Studien im weiteren Verlauf dieses Beitrags.

  4. Vgl. Peter Glotz, Das Spannungsfeld Wissenschaft - Politik - Medien, in: Dieter Roß/Jürgen Wilke (Hrsg.), Umbruch in der Medienlandschaft, München 1991, S. 22 - 29, hier S. 22.

  5. Zu einer ausführlichen Darstellung vgl. Michael Kunczik, Gewalt und Medien, Köln - Weimar - Wien 19984.

  6. Vgl. Jürgen Grimm, Fernsehgewalt. Zuwendungsattraktivität, Erregungsverläufe, Sozialer Effekt. Zur Begründung und praktischen Anwendung eines kognitiv-physiologischen Ansatzes zur Medienwirkung am Beispiel von Gewaltdarstellungen, Opladen - Wiesbaden 1999.

  7. Vgl. Werner Fröhlich/Michael Kunczik u. a., Habituation an Mediengewalt - eine Metaanalyse, unv. Forschungsbericht, Mainz 1993.

  8. Dagegen sprechen etwa die Befunde einer jüngeren Studie von Jürgen Grimm, der zufolge Gewaltdarstellungen zwar teilweise zunächst zu mehr Angst beitrugen, es aber dennoch in der Regel zu einem Abbau von "Scary-World-Ansichten" (d. h. der Vorstellung, in einer bedrohlichen Welt zu leben) kam (vgl. J. Grimm Fernsehgewalt [Anm. 6]). Zu den Schwachpunkten der These vgl. M. Kunczik (Anm. 5), S. 133 - 145 und Michael Kunczik/Astrid Zipfel, Publizistik. Ein Studienhandbuch, Köln - Weimar - Wien 2001, S. 403 - 408.

  9. Vgl. David P. Phillips, The Influence of Suggestion on Suicide: Substantive and Theoretical Implications of the Werther Effect, in: American Sociological Review, 39 (1974), S. 340 - 354.

  10. 1981 und 1982 strahlte das ZDF den sechsteiligen Fernsehfilm Tod eines Schülers aus, in dem ein 19-jähriger Schüler von der Eisenbahn überrollt wird. Imitationen des Selbstmordes waren am deutlichsten bei solchen Personen nachzuweisen, die dem Rollenmodell am meisten ähnelten; in diesem Fall 15- bis 19-jährige männliche Jugendliche, für die eine Zunahme der Selbstmorde in der im Fernsehen gezeigten Weise um 175 % festzustellen war (Beobachtungszeitraum: 70 Tage nach der jeweils ersten Sendung). Die Auswirkungen der zweiten Ausstrahlung des Fernsehspiels waren wesentlich schwächer. Vgl. Armin Schmidtke/Heinz Häfner, Die Vermittlung von Selbstmordmotivation und Selbstmordhandlung durch fiktive Modelle. Die Folgen der Fernsehserie "Tod eines Schülers", in: Der Nervenarzt, 57 (1986), S. 502 - 510.

  11. Vgl. z. B. Leonard Berkowitz, Roots of Aggression, New York 1969.

  12. Zu den Mängeln der Studien von L. Berkowitz vgl. ausführlich M. Kunczik (Anm. 5), S. 86 f.

  13. Vgl. z. B. Albert Bandura, Aggression. Eine sozial-lerntheoretische Analyse, Stuttgart 1979, oder ders., Sozial-kognitive Lerntheorie, Stuttgart 1979 (zuerst 1973).

  14. Vgl. Brent J. Slife/Joseph F. Rychlak, Role of Affective Assessment in Modeling Aggressive Behavior, in: Journal of Personality and Social Psychology, 43 (1982), S. 861 - 872.

  15. Zu Anlage und Ergebnissen vgl. Michael Kunczik/Wolfgang Bleh/Sabine Maritzen, Audiovisuelle Gewalt und ihre Auswirkung auf Kinder und Jugendliche. Eine schriftliche Befragung klinischer Psychologen und Psychiater, in: Medienpsychologie, 5 (1993), S. 3 - 20 und M. Kunczik (Anm. 5), S. 172 - 177. Aus den Äußerungen der Befragten kann kein Kausalzusammenhang bezüglich der Wirkungen von Mediengewalt konstruiert werden, da es sich um subjektive Einschätzungen handelt. Es war jedoch zu erwarten, dass die Experten aufgrund ihrer Erfahrungen aus "erster Hand" wichtige Aspekte in die Diskussion um die Folgen von Mediengewalt einbringen können.

  16. Vgl. Michael Kunczik/Wolfgang Bleh/Astrid Zipfel, Gewalt und Medien. Eine Expertenbefragung bei Richtern und Staatsanwälten, unveröffentlichter Forschungsbericht, Mainz 1995, und M. Kunczik (Anm. 5), S. 177 - 182.

  17. Vgl. J. Grimm, Fernsehgewalt (Anm. 6).

  18. Ebd., S. 706.

  19. Ebd.

  20. Ebd., S. 707.

  21. Es sei jedoch betont, dass Grimm Einstellungen, nicht aber Verhalten misst.

  22. Vgl. Annette Hill, Shocking Entertainment. Viewer Response to Violent Movies, Luton 1997, S. 105.

  23. Vgl. ebd., S. 107.

  24. Vgl. Christel Hopf, Gewalt, Biographie, Medien. Qualitative Analyse zur subjektiven Bedeutung filmischer Gewaltdarstellungen (hier nach dem unv. Manuskript, Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim).

  25. Vgl. Thomas Döbler/Birgit Stark/Michael Schenk, Mediale und reale Gewalt. Eine Untersuchung sozialer Netzwerke von Jugendlichen, München 1999.

  26. Ebd., S. 57 f.

  27. Vgl. ebd., S. 142 f.

  28. Dabei handelte es sich um eine Rezeptionsanalyse auf der Grundlage von Gruppendiskussionen mit 127 Erwachsenen. Vgl. Jutta Röser, Fernsehgewalt im gesellschaftlichen Kontext. Eine Cultural Studies-Analyse über Medienaneignung in Dominanzverhälnissen, Wiesbaden 2000. Zur geschlechtsspezifischen Rezeption von Gewaltinhalten vgl. auch Sabine Effinger, Eine andere Welt: Frauen, Männer und Gewaltwahrnehmung. Eine Untersuchung zur geschlechtsspezifischen Rezeption von Gewaltinhalten in Medien, Bochum 1995.

  29. Ebd., S. 68.

  30. Ebd., S. 71.

  31. Vgl. Jeffrey G. Johnson u. a., Television Viewing and Aggressive Behavior During Adolescence and Adulthood, in: Science, 295 (2002), S. 2468 - 2471.

  32. Diese Untersuchung ist auch ein Beispiel dafür, dass Forscher immer wieder Studien als "Beweis" für die Gefährlichkeit von Mediengewalt anführen, in denen kein solcher Nachweis erbracht worden ist. Johnson u. a. zitieren eine Studie von Brandon S. Centerwall (Television and Violence. The Scale of the Problem and Where to Go From Here, in: Journal of the American Medical Association, 267 [1992], S. 3059 - 3063), in der nach der Logik des "Klapperstorchbeweises" (wo es viele Störche gibt - v.a. auf dem Land - ist die Geburtenrate hoch, also bringt der Storch die Kinder) die Einführung des Fernsehens für eine Verdoppelung der Mordrate zehn bis fünfzehn Jahre später verantwortlich gemacht wird.

  33. Vgl. ausführlich M. Kunczik (Anm. 5), S. 215 - 246.

  34. Vgl. Wolfgang Donsbach, Medienwirkung trotzt Selektion, Köln 1991, S. 138.

  35. Vgl. Hans Mathias Kepplinger/Thea Giesselmann, Gewaltdarstellungen in der aktuellen TV-Berichterstattung, in: Medienpsychologie, 5 (1993), S. 160 - 190.

  36. Vgl. Hans Mathias Kepplinger, Gesellschaftliche Bedingungen kollektiver Gewalt, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 33 (1981), S. 469 - 503.

  37. Vgl. Hans-Bernd Brosius/Frank Esser, Eskalation durch Berichterstattung? Massenmedien und fremdenfeindliche Gewalt, Opladen 1995; dies., Fernsehen als Brandstifter? Unerwünschte Nebenwirkungen der Berichterstattung über fremdenfeindliche Gewalt, in: Mike Friedrichsen/Gerhard Vowe (Hrsg.), Gewaltdarstellungen in den Medien. Theorien, Fakten und Analysen, Opladen 1995, S. 235 - 257, und dies., Massenmedien und fremdenfeindliche Gewalt, in: Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 27 (1996), S. 204 - 218.

  38. Vgl. Michael Kunczik/Wolfgang Bleh, Verbrechensopfer in der Zeitungsberichterstattung. Folgen aus der Perspektive der Opfer, Mainz 1995, und die jüngste Studie von Nicolette Otto, Kriminalitätsberichterstattung und ihre Auswirkungen auf die Opfer und ihr soziales Umfeld. Wie beurteilen Kriminalitätsopfer die Berichterstattung über ihren eigenen Fall?, unv. Magisterarbeit, Mainz 2002.

  39. Vgl. David Caplovitz/Candace Rogers, Swastika 1960. The Epidemic of Anti-Semitic Vandalism in America, New York 1961.

  40. Hans-Dieter Schwind u. a. (Hrsg.), Ursache, Prävention und Kontrolle von Gewalt. Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission), Berlin 1990, S. 96.

  41. Henning Haase, Kinder, Jugendliche und Medien, Frankfurt / M. 1981, S. 25.

  42. Diese Problematik hatte bereits Thomas Mann erkannt, als er sich Oktober 1926 an dem Aufruf gegen das "Schund-und-Schmutz-Gesetz" beteiligte (Georg Potempa, Thomas Mann. Beteiligung an politischen Aufrufen und kollektiven Publikationen. Eine Biographie, Morsum/Sylt 1988, S. 41): "Wir rufen auf, die Geistesfreiheit in Deutschland zu schützen. Die Regierung hat in aller Stille ein Gesetz vorbereitet, das vorgibt, die Jugend zu bewahren. Es maskiert sich als Gesetz gegen Schmutz und Schund. Hinter dem Gesetz verstecken sich die Feinde von Bildung, Freiheit und Entwicklung."

  43. Vgl. Jeanne Rubner, Schöner werben, in: Süddeutsche Zeitung vom 20./21. Juli 2002, S. 9.

  44. Vgl. Brad J. Bushman/Angelica M. Bonacci, Violence and Sex Impair Memory for Television Ads, in: Journal of Applied Psychology, 87 (2002), S. 557 - 564.

  45. Zwar fand der V-Chip trotz intensiver Diskussion im Europaparlament zunächst keinen Eingang in die Neufassung der EU-Fernsehrichtlinie, in Art. 22 wurde jedoch festgelegt, dass die Ausstrahlung unverschlüsselter Sendungen, "die die körperliche, geistige und sittliche Entwicklung von Minderjährigen beeinträchtigen können", "durch akustische Zeichen angekündigt oder durch optische Mittel während der gesamten Sendung kenntlich gemacht" werden muss.

  46. Vgl. L. Rowell Huesmann u. a., Mitigating the Imitation of Aggressive Behavior by Changing Children‘s Attitudes About Media Violence, in: Journal of Personality and Social Psychology, 44 (1983), S. 899 - 910, und Thomas N. Robinson u. a., Effects of Reducing Children‘s Television and Video Game Use on Aggressive Behavior, in: Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine, 155 (2001), S. 17 - 23.

Dr. rer. pol., geb. 1945; Professor an der Universität Mainz, Institut für Publizistik.

Anschrift: Institut für Publizistik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Colonel-Kleinmann-Weg 2, 55099 Mainz.
E-Mail: E-Mail Link: michael.kunczik@uni.mainz.de

Veröffentlichungen u.a.: Gewalt und Medien, Köln 1998; Public Relations. Konzepte und Theorien, Köln 2002.

M.A., geb. 1971; wiss. Mitarbeiterin an der Universität Mainz, Institut für Publizistik.

Anschrift: wie Michael Kunczik.
E-Mail: astrid.zipfel@uni.mainz.de

Veröffentlichungen u.a.: Public Relations in der Elektroindustrie. Die Firmen Siemens und AEG 1847 bis 1939, Köln 1997.